New Horizon von dattelpalme94 ================================================================================ Kapitel 2: Erklärungen ---------------------- Frustriert stöhnte Mimi auf. Frau Hifumi hatte gerade eine Pause angeordnet, nachdem Mimi  zum wiederholten Male von der Trainerin ermahnt worden war, dass sie die falschen Schritte getanzt habe und die ganze Gruppe wieder von vorne anfangen musste. Die genervten Blicke der anderen Mädchen waren ihr dabei nicht entgangen. Es war Mimis erster Tag in der Ballettschule. Sie hatte die Choreographie sogar per Mail geschickt bekommen, so dass sie noch in New York anfangen konnte, zu üben. Mittlerweile konnte sie die Schritte auch. Nur heute wollte es ihr nicht gelingen. Die Schritte alleine einzustudieren war eben doch etwas anderes, als gemeinsam in einer Gruppe zu tanzen. Sie nahm einen großen Schluck Wasser aus ihrer Flasche und setzte sich auf die Bank und lehnte ihren Kopf gegen die Wand, wobei ihr Dutt ihren Kopf sanft auffing. Warum konnte es nicht einmal gut für sie laufen? Bereits als sie sich vorgestellt hatte, hatten die anderen Mädchen sie kritisch beäugt. Und auch jetzt fühlte es sich an, als würden ihre Augen Mimi durchdringen. Was hatten sie nur gegen sie? „Was bläst du denn für Trübsal?“, holte Karis sanfte Stimme sie aus ihren Gedanken. „Wegen mir mussten wir ständig neu anfangen“, murmelte Mimi betrübt und ließ sich ein Stück an der Wand runterrutschen. „Das kann doch mal vorkommen. Jeder hat ab und an einen schlechten Tag“, versuchte Kari die Brünette aufzuheitern und setzte sich neben sie. „Es ist aber kein guter Start, wenn gleich am ersten Tag alles schiefläuft. Und mir darf das nicht passieren“, erklärte Mimi wehmütig und legte ihren Kopf in ihre Hände, „ich kann mir keine Fehler leisten. Sonst kann ich die Juilliard vergessen.“ „Aber du hast doch noch über ein Jahr Zeit bis zu den Aufnahmeprüfungen. Und sieh es mal so: es kann nur besser werden“, tröstete Kari sie. Sie hatte leicht reden. Auf ihr lastete nicht der Druck, den Mimi auf ihren Schultern trug und der langsam immer schwerer wurde. „Das ist egal. Zur Aufnahmeprüfung kommen die Besten der Besten. Ich muss noch viel besser werden, um da mithalten zu können“, sprach die Brünette ihren Kummer aus. „Ach Mimi, du bist die Beste von uns allen. Das ist uns hier schon klar, obwohl es erst dein erster Tag ist. Und das hat was zu heißen. Immerhin ist das hier eine der besten Ballettschulen Japans und die Aufnahmeprüfungen sind ziemlich hart“, sachte legte die Jüngere ihre Hand auf Mimis Knie und drückte es leicht, „Du bist so jung und hast schon so viel erreicht. In New York hast du immer die Hauptrollen getanzt, warum solltest du das hier nicht auch?“, fragte Kari aufmunternd. „Ja, aber das hat ja nichts zu bedeuten.“ Mimi stutzte einen Moment. „Woher weißt du das eigentlich? Dass ich in New York meist die Hauptrolle getanzt habe?“, fragend schaute Mimi sie an. Sie hatte das nicht erwähnt als sie sich vorgestellt hatte. Warum auch? Dann hätten die anderen sie sicher gleich als arrogante und verwöhnte Prinzessin abgetan oder dachten, sie würde damit prahlen oder sich gar als etwas Besseres fühlen. Sie hatte schon oft genug spüren müssen, dass sie auf andere diesen Eindruck erwecken konnte. Es war ihr fester Vorsatz gewesen, dass es diesmal anders sein würde. Doch sie hatte es wohl bereits versaut, ohne dass sie es gemerkt hatte. „Frau Hifumi hat es erwähnt, als sie sagte, dass wir jemanden Neues in unsere Gruppe bekommen. Sie meinte, wir würden ziemlich talentierte Verstärkung bekommen“, klärte Kari sie auf ohne klang begeistert von Mimi und ihrem Talent, „Und es ist doch ein gutes Zeichen, dass Frau Hifumi so viel von dir hält. Sie ist doch eine Größe im Ballettbusiness.“ „Hm“, murmelte Mimi und ließ ihren Blick zu ihrer Ballettlehrerin schweifen. Frau Hifumi war etwa Ende dreißig und eine große, dünne Frau, deren schwarze Haare in einem perfekten Dutt zusammengehalten wurden. Ihre Mutter und Frau Hifumi kannten sich von früher und so hatte Mimi mal erzählt bekommen, dass sie am Londoner Royal Ballet getanzt hatte bevor sie Trainerin wurde. Dennoch passte Mimis Meinung nach irgendetwas nicht zusammen, wenn es um ihre Trainerin ging. „Gib dir ein bisschen Zeit. Die Mädchen müssen dich erst kennenlernen. Am Anfang haben sie mich ständig gemustert, weil ich ein Stipendium habe“, erklärte Kari und Mimi sah für einen Moment ein wenig Trauer in ihren Augen. „Aber ich bin auf sie zugegangen und irgendwann haben sie damit aufgehört. Irgendwann haben sie mich wohl akzeptiert“, lachte sie und schaute Mimi kurz darauf wieder ernst an, „und das werden sie mit dir auch. Gib dir Zeit. Gib ihnen Zeit“, fügte Kari hinzu und lächelte sie an. „Kari, da ist noch was..“, setzte Mimi an, doch Frau Hifumi rief sie zurück zum Training. „Später“, flüsterte Kari ihrer Freundin zu und ging auf ihre Position.   Eineinhalb Stunden später wurde die Gruppe erlöst und schweißgebadet strömten sie zur Umkleidekabine und genossen eine wohltuende, warme Dusche, die die Spuren des harten Trainings von ihrem Körper entfernte. Die Umkleide leerte sich allmählich sodass neben Mimi und Kari nur noch einige wenige Mädchen anwesend waren. „Kari“, fragte Mimi und stellte sich neben die Brünette, die gerade mit einem Kamm durch ihr schulterlanges, braunes Haar fuhr. „Sind die anderen arg böse auf mich?“, sprach Mimi das aus, was ihr seit der Mittagspause auf der Seele lag. „Wieso sollte sie deshalb auf dich sauer sein?“, Kari schaute sie fragend an. „Weil ich das mit Matt angesprochen hab. Ich glaube, ich habe Salz in die Wunde gestreut“, offenbarte Mimi traurig.   „Wo ist denn Matt?“, fragte Mimi und es war plötzlich still. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Verwirrt sah sie Sora an, die ihre Gabel in die Essensbox sinken ließ. Tai schaute sie nur böse an schüttelte den Kopf. „Vermutlich im Bandraum oder so“, erklärte Sora mit verbitterter Stimme. „Oh, okay“, stammelte Mimi und fühlte sich immer unwohler in ihrer Haut. Was hatte sie gesagt, dass die Stimmung plötzlich so umgeschwungen ist? Hatte sie etwas verpasst? „Er hat mit ein paar Klassenkameraden eine Band. Sie hatten ein paar kleinere Gigs in Bars. Bei einem wurden sie von einem Plattenproduzenten entdeckt. Sie haben sogar schon eine Single aufgenommen. Aber unsere Eltern bestehen darauf, dass er erst die Schule beenden muss bevor er auf Tournee oder so gehen darf“, erklärte TK stolz, der die angespannte Stimmung zu ignorieren schien und anfing, über seinen Bruder zu plaudern. „Und kennt deshalb seine Freundin und seine Freunde nicht mehr“, fügte Tai gereizt hinzu und seine braunen Augen funkelten vor Wut. Mimi lief es bei diesem Blick eiskalt den Rücken hinunter. „Tai“, unterbrach Sora ihn, „lass das. Er hat eine Entscheidung getroffen, die wir akzeptieren müssen.“ „Richtig. Er hat entschieden, dass wir ihm nicht gut genug sind. Warum reden wir dann noch über ihn?“, mit jedem Wort wurde seine Stimme zorniger. „Tai“, mahnend wandte sich Sora erneut an Tai. Sie wollte nicht, dass es eskalierte, immerhin war es für beide ein sensibles Thema.  „Richtig. Wir reden über ihn, weil ein gewisses Prinzesschen nach vielen Jahren einfach wieder auftaucht und alles nachfragen muss, weil sie nichts mitbekommen hat in ihrer Abwesenheit“, redete er sich immer weiter in Rage und ließ all die Wut, die sich in ihm angestaut hatte, raus. „Tai“, wütend haute Sora auf den Tisch, „es reicht. Wenn du nicht über ihn reden willst, dann tu es auch nicht.“ Bockig widmete er sich wieder seinem Essen.   „Mach dir keinen Kopf deswegen“, tröstete Kari Mimi, „es ist nicht so leicht, weder für Sora noch für Tai. Sora und Matt waren schon ziemlich lange zusammen und dass er sich dann gegen sie entscheidet, ist nicht leicht. Aber ich glaube, sie ist auf einem guten Weg.“ „Es tut mir nur so leid, dass ich nicht für sie da war. Wir haben leider die letzten Wochen kaum geskypt wegen des Umzugsstresses“, frustriert raufte sich Mimi die Haare. Wieso konnte sie nicht einmal für jemanden eine gute Freundin sein? Ging es wirklich immer nur um sie? In ihrem Kopf spannte sich eine Kette von Vorwürfen gegen sich selbst. „Sora hat das erst mal mit sich ausmachen wollen. Sie hat auch nur wenig mit uns darüber gesprochen, meistens nur mit Tai“, erklärte die Jüngere und stand auf. „Glaub mir, du musst dir keinen Kopf deswegen machen. Die Trennung ist ja auch erst vier Wochen alt. Sie wollte dich sicher nicht mit ihren Problemen belasten, während du im Umzugsstress bist. Du weißt doch wie sie ist“, führte Kari fort und nahm Mimi zumindest ein wenig das schlechte Gewissen. Auch wenn sie jetzt wusste, dass sie bei Sora keinen Salz in die Wunde gestreut hatte, so wäre sie dennoch gerne für ihre Freundin da gewesen. Aber das wollte Mimi nun ändern und ihrer Freundin bei Seite stehen. „Und wie geht es Tai damit?“, erkundigte sich Mimi zaghaft. Sie wollte eigentlich nicht, dass es sie interessierte, doch das Bild des wütenden Tais vom Vormittag hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt und wollte nicht mehr verschwinden. Und trotz der schwierigen Situation zwischen den beiden, so gab es auch positive Erlebnisse, die zumindest eine sanfte Bande der Freundschaft zwischen ihnen schuf. „Er ist wütend“, meinte Kari nachdenklich und wandte ihren Blick nach unten. „Das hab ich gemerkt.“ „Nimm es nicht persönlich. Du warst in dem Moment leider sein Blitzableiter. Es ist nicht leicht für ihn. Er fühlt sich von Matt verraten und gleichzeitig von ihm verlassen. Die beiden waren seit dem Kindergarten beste Freunde und von heute auf morgen sind sie es nicht mehr. Ich glaube, er macht gerade so etwas wie Liebeskummer durch, aber eben in dem Sinne, dass sich sein bester Freund nach Jahren von ihm quasi getrennt hat“, eröffnete Kari Tais Gefühlslage während sie gemeinsam den langen Flur Richtung Ausgang hinabschritten. Mimi fragte sich, ob er mit seinen Freunden nie darüber geredet hatte, was zwischen ihm und Mimi geschehen war, wenn selbst Kari Tais Verhalten ihr gegenüber auf die Sache mit Matt schob. Ob sie sie fragen sollte? Doch dann würde sie Kari in eine unangenehme Lage bringen und das wollte sie nicht. „Aber Matt kämpft doch nur für seinen Traum. Auch wenn Matt und Sora nicht mehr zusammen sind, so müssen sich doch nicht auch noch Tai und Matt trennen“, Mimi versuchte wirklich, nachvollziehen zu können, wie es zum Bruch zwischen den beiden Freunden geführt hatte, doch sie verstand es nicht. Genauso wenig wie sie den Bruch zwischen sich und dem Braunhaarigen verstand. „Da steckt vielleicht mehr dahinter als wir wissen“, murmelte Kari und öffnete die große Tür der Ballettschule. Eine zarter Windhauch kam den beiden entgegen und Mimi zog ihre Jacke enger an sich. Auch wenn es mittags sehr frühlingshaft war, so wurde es gegen Abend doch frischer und Mimi war froh, dass sie ihre Jacke eingepackt hatte. Gemeinsam mit Kari stieg sie die breite, steinerne Treppe hinab. Am Eingangstor erspähte sie die Umrisse einer großen Person, die auf jemanden zu warten schien. In der Dämmerung konnte sie nicht genau sagen, wer es war. Doch mit jedem Schritt, den sie auf das Tor machten, wurde sie sich sicherer, dass es Tai sein musste. Seine wilde, braunhaarige Mähne verriet ihn. „Tai, was machst du denn hier?“, fragte Kari überrascht bei ihrem Bruder nach und gab ihm eine leichte Umarmung zur Begrüßung. „Ich war bis eben im Training und wollte dich abholen, damit du nicht alleine heimgehen musst. Es wird sicher bald ganz dunkel sein“, erklärte der Braunhaarige und sein Blick huschte immer mal wieder für den Bruchteil einer Sekunde zu Mimi, die etwas abseits von den beiden stand und die kleine Szene beobachtete. Tai schien sich wieder beruhigt zu haben. Von der Wut, die ihn am Vormittag auszeichnete, war nichts mehr zu merken. Er wirkte vielmehr erschöpft und ausgelaugt, was Mimi auf das Training schob. „Ich geh dann mal. Schönen Abend noch“, verabschiedete sich Mimi. „Bis morgen“, erwiderte Kari die Verabschiedung und winkte der Älteren noch zu. „Warte Mimi“, erschrocken blieb Mimi stehen als Tais Stimme sie zurückrief. Was wollte er denn noch? „Ähm, kommst du gut nach Hause?“, fragte er nach und Mimi meinte, sie könne einen leicht besorgten Unterton heraushören. „Ja“, antwortete sie zögerlich, „es ist nicht so weit.“ „Okay“, er nickte ihr leicht zu und ihre Blicke fixierten sich,  „Komm gut nach Hause und verlauf dich nicht. Warst ja schon lange nicht mehr in Japan und bei deinem Orientierungssinn wäre das kein Wunder“, und mit einem Schlag war die leichte Hoffnung, sie würde Tai noch etwas bedeuten, zerstört. „Brauchst dir keine Sorgen zu machen“, konterte Mimi provokant, „ich finde den Weg schon.“ „Dann bis morgen. Falls du über Nacht nicht wieder nach New York verschwindest“, und damit wand er seinen Blick von ihr ab, legte Kari seine Hand auf ihren Rücken und signalisierte ihr so, dass er gehen wollte. Kari winkte Mimi nochmal zu und dann verschwanden die beiden in der leichten Abenddämmerung. Während Mimi sich an die Mauer lehnte und über seine Worte nachdachte, überkamen verdrängte Erinnerungen ihre Gedanken.   War er deswegen sauer? Aber er wusste doch, dass sie letztes Jahr etwas früher abreisen musste… Nachdem sie sich wieder gesammelt hatte, stieß Mimi sich von der Mauer ab und machte sich auch auf den Weg nach Hause. Es war ein langer Tag mit vielen Eindrücken und Erlebnissen, die sie verarbeiten musste. Es würde ein harter Weg für sie werden, bis sie es schaffen würde, alles unter einen Hut zu bekommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)