Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 24: Das Krisenexperiment -------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Ich bin echt froh, dass wir jetzt endlich Ferien haben“, sagte Mimi erleichtert und ließ sich auf ihrem Stuhl hinabsinken. Heute hatte sie einen Mädelsabend mit Sora veranstaltet, bei dem sie gemeinsam gekocht hatten und später noch ein paar Filme schauen wollten. „Aber nach den Ferien geht es dann richtig los. Die Abschlussprüfungen kommen immer näher“, jammerte ihre Freundin, die gerade den letzten Bissen ihres gebratenen Reises verschlang. „Immerhin hast du bald deinen Abschluss in der Tasche. Ich muss noch ein Jahr länger in der Schule versauern“, stellte Mimi nüchtern fest und spielte an ihrer Kette, die sie seit ihrem Geburtstag fast täglich trug. Sie wusste allerdings nicht genau, wie sie dieses Gespräch mit Taichi einschätzen sollte. Es war so merkwürdig gewesen, auch wenn sie sein Geschenk mehr als nur süß fand. Damit hatte sie absolut nicht gerechnet gehabt. Dass er sich so viele Gedanken um sie machte und ihr ausgerechnet so ein bedeutsames Geschenk heraussuchte. Schon als Kind fand sie die Kennenlerngeschichte ihrer Eltern furchtbar romantisch, obwohl sie erst nach dem Katastrophendate umso himmlischer weiterging. Und auch das Vergissmeinnicht an sich hatte in der langjährigen Beziehung ihrer Eltern eine noch tiefere Bedeutung, die Mimi vor Tai jedoch verschwiegen hatte. Normalerweise sprachen Vergissmeinnicht von der Bedeutung her, für sich selbst. Was die wenigstens wussten war, dass sie auch die wahre Liebe symbolisierten. Eine Liebe, die für ihre Eltern im ewigen Bund der Treue und des Respekts einherging. Denn in mitten von hunderten Vergissmeinnicht hatte ihr Vater ihrer Mutter damals die langersehnte Frage gestellt, die ein gemeinsames Leben geebnete hatte. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, während die gedankenverloren mit dem Finger immer wieder über die Gravur fuhr und Soras neugierigen Blick auf sich zog. „Von wem hast du eigentlich die Kette geschenkt bekommen? Seit der Party trägst du sie wirklich ständig“, stellte sie fest und deutete auf ihr eigenes Dekolleté, dass jedoch Schmuckleer war. „Ähm…“, Mimi lief augenblicklich rot an und senkte den Kopf, bevor sie seinen Namen leise vor sich hin säuselte. „Was? Ich habe dich echt nicht verstanden“, grinste sie und Mimi wusste sofort, dass sie sie verstanden hatte. „Ich habe sie von Taichi geschenkt bekommen“, murrte sie, während das Grinsen ihrer Freundin ins Unermessliche wuchs. „Von Tai? Habe ich irgendetwas verpasst, was ich wissen sollte?“ „Nein, hast du nicht“, spielte sie sofort hinunter, doch Soras durchdringender Blick brachte sie prompt ins Schwitzen. „Ach komm schon! Ich erzähle dir auch immer alles“, protestierte sie, ehe Mimi nur genervt die Augen verdrehte. Warum war sie nur so furchtbar neugierig? Und wieso stand sie plötzlich im Kreuzverhör? Ob sie das gleiche auch bei Taichi tat? Ihr erwartungsvoller Blick ließ nicht nach und brannte regelrecht auf ihrer Haut als sich Mimi tatsächlich geschlagen gab und ihr erzählte, was kurz vor der Nacht mit Makoto passiert war. Sie ließ kein einziges Detail aus, so als hätte sich die Wortkotze ihren eigenen Weg gebannt, um endlich ausgesprochen zu werden. „Es war wirklich nur eine Frage der Zeit, bis all das wieder zur Sprache kommt! Er hat dich gern und ihr zwei steht euch nur selbst im Weg!“, erwiderte Sora behutsam, als Mimi ihre Ellenbogen auf dem Tisch abstützte und betrübt zu ihrer besten Freundin sah, die gerade einen Schluck Wasser trinken wollte. „Während dem Sex mit Makoto habe ich seinen Namen gestöhnt“, gab sie kleinlaut zu. Sora verschluckte sich sofort und hustete röchelnd, während ihre Gesichtszüge komplett entglitten. „D-Du hast was? Sag‘ mal willst du mich umbringen?“, fragte sie heiser und stellte das Glas wieder auf dem Tisch ab. „Ich weiß auch nicht, was mich dazu geritten hat, aber irgendwie habe ich mir vorgestellt, wie es wäre mit ihm zu schlafen und dann war es auch schon passiert.“ „Und du sagst, du wärst über ihn hinweg…ich glaube, ihr würdet prompt übereinander herfallen, wenn man euch in einem Zimmer einsperren würde“, mutmaßte Sora waghalsig. „So wie du und Matt an meiner Geburtstagsfeier?“, stellte sie die Gegenfrage. „Das war etwas anderes“, redete sie sich mit geröteten Wangen heraus. „Wir haben uns wieder versöhnt und er ist immer noch etwas deprimiert, weil ohne Makoto die Band bei dem Wettbewerb nicht mehr mitmachen kann.“ „Aber ich dachte, sie haben wieder einen Aushang gemacht?“, hakte Mimi überrascht nach, weil es sie doch sehr verwunderte. Yamato zog normalerweise immer recht schnell neue Mitglieder ans Land. Diesmal schien es allerdings gar nicht gut zu laufen, was ihr Soras betrübtes Gesicht verriet. „Ich glaube, er versucht die restlichen Bands zu übertreffen und sucht nach dem Wunder-Gitarristen, der nicht nur perfekt mit dem Rest harmoniert, sondern auch frischen Wind reinbringt. Anscheinend sind die anderen Bands sehr kreativ und lassen sich dementsprechend auch etwas Neues einfallen“, erklärte Sora ihr ausführlich und ließ deprimiert den Kopf hängen. Auch wenn Mimi wusste, dass Sora alles andere als begeistert von Yamatos Karriereplänen war, unterstützte sie ihn tatkräftig dabei. Mimi erkannte, wie nervenaufreibend all das für ihre beste Freundin war, besonders, weil Yamato keine einfache Person war und oftmals auch die nervtötende Diva raushängen ließ. Dennoch war sie froh, dass sie somit das Gespräch von Taichi auf Yamato lenken konnte. Manchmal hatte sie selbst aufs Soras schlauen Ratschläge keine Lust, auch wenn sie es nur gut meinte. Sie wusste selbst, dass sie mit Taichi reden musste, doch leider war das leichter gesagt als tatsächlich getan. _ Nachdem Gespräch mit Sora vergingen die nächsten Tage wie im Flug und das Krisenexperiment stand ihnen endlich bevor. Nervös saß Mimi neben Kaori, die neben Frau Misa Platz genommen hatte. Sie sprach gerade mit ihrer Klasse und bereitete sie auf das Experiment vor, dass sie auf dem Campus der Kunsthochschule starten wollten. „Und wir bekommen auch wirklich keinen Ärger? Damit verstoßen wir doch gegen die Hausordnung“, erkundigte sich einer der Studenten verblüfft. Frau Misa stand auf und wanderte durch den Kursraum ihrer Klasse. „Ihr braucht euch wirklich keine Gedanken zu machen. Ich habe alles abgeklärt und es werden auch keine Konsequenzen drohen. Auch keinem, der währenddessen mitmacht. Es handelt sich um ein Krisenexperiment, bei dem die verschiedensten Reaktionen dokumentiert werden“, erklärte sie ausführlicher. Auch für Mimi war es eine aufregende Angelegenheit, da sie sowas noch nie zuvor probiert hatte. Kaori und sie wollten natürlich hauptsächlich die Reaktionen der anderen, nicht eingeweihten Studenten, beobachten, die wussten, dass auf dem Unigelände das Musizieren nur während der Unterrichtszeiten erlaubt war. Es gab also strikte Regeln, die selbst das Musik machen auf dem Campusgelände strengstens untersagten, da die Energie und die Leidenschaft für die Proben während der Unterrichtszeit genutzt werden sollte. Mimi war daher gespannt, was passieren würde. Wie würden die anderen Studenten reagieren? Würden sie sich entsetzt abwenden? Sich bei der Universitätsleitung beschweren? Oder würden sie sich von der Musik leiten lassen? Sich hinreißen lassen, ihrer Bestimmung als Musiker doch zu folgen? Kaori und sie würden sich im Hintergrund halten, während die bunt gemischte Klasse von Frau Misa die Musik für sich sprechen lassen würde. Es befanden sich sowohl Sänger, Tänzer als auch Studenten, die unterschiedliche Musikinstrumente spielten unter ihnen, die zusammen nicht nur eine Klangmauer ergeben sollten. Nein, es sollte etwas Bahnbrechendes entstehen. Etwas, das den Rest dazu animierte, Regeln zu brechen und sich der puren Leidenschaft hinzugeben. „Ich glaube, das wird ein großes Ereignis“, murmelte Kaori Mimi zu und lächelte zufrieden. „Manchen kitzelt es schon richtig in den Fingern.“ Sie deutete mit dem Kinn auf einen Studenten, der aufregt mit den Fingern auf seinem Tisch einen gleichmäßigen Takt vor sich hin trommelte. Wahrscheinlich war er Schlagzeuger, der es gar nicht erwarteten konnte, die Becken zu schlagen zu dürften. „Ob der Rest auch mitmachen wird?“, fragte Mimi gespannt und richtete den Blick zu Kaori, die selbst von ihrer eigenen Nervosität übermannt wurde. Sie war ganz hibbelig und konnte kaum stillsitzen, weshalb sich Mimi schon fragte, wie viel Kaffee sie bereits intus hatte. Schon als sie heute Morgen gemeinsam losgegangen waren, verhielt sie sich anders als sonst. Sie wirkte aufgeschlossener und ihre Augen strahlten diesen besonderen Glanz aus, den Mimi bisher nur bei wenigen Menschen gesehen hatte. Unter anderem bei ihrem Freund Yamato, der dieses einmalige Funkeln besaß, wenn er auf der Bühne stand und performte. Es war leidenschaftlich gefärbt, signalisierte bedingungslose Hingabe und zeigte Mimi, dass er für sein Hobby förmlich brannte. Auch bei Kaori konnte sie diese Begeisterung entdecken, auch wenn sie versuchte es noch zurückzuhalten. Mimi spürte, dass sie es nicht mehr lange konnte. Dass die Musik ihren eigenen Weg suchte und nicht um Erlaubnis bat, sich zu entfalten. Es geschah einfach, so als wäre man machtlos dagegen. „Wir sollten uns langsam bereitmachen“, sagte Kaori immer noch flüsternd. „Wir brauchen gute Plätze, um alles beobachten zu können!“ _ „Denkst du, dass das hier ein guter Platz ist?“, hinterfragte Mimi skeptisch als sie sich auf einer Bank niederließen. Viele Studenten befanden sich derzeit auf dem Außengelände des Campus und lernten, da die Prüfungsphase vor kurzem begonnen hatte. Niemand schien sich zu stören, dass die beiden sich ebenfalls dazugesellten, obwohl sie sicher auch als Studentinnen durchgegen würden. Mit einem Block und einem Stift bewaffnet, wollten die beiden die Reaktionen der einzelnen Studenten in ihrem Umfeld notieren. Da der Außenbereich sogar Videoüberwacht war, hatten sie sogar die Gelegenheit sich hinterher ihr Material nochmal in Ruhe ansehen zu können. Bestimmt war es unmöglich alle Reaktionen aufzufangen, auch wenn sie sich genau abgesprochen hatten, wer welches Sichtfenster übernahm. Mimi war für die rechte Seite zuständig, während Kaori ein Auge auf der Linken behielt. Sie hatten sich gut vorbereitet, indem sie eine Beobachtungstabelle zuvor angefertigt hatten, um die unterschiedlichen Reaktionen zu dokumentieren. Jetzt mussten sie nur noch warten, bis es endlich losging. „Hier ist es doch perfekt!“, kommentiere Kaori großspurig und sah sich um. „Ich denke, wir haben hier die Meisten im Blick und fallen auch gar nicht so sehr auf. Wir sehen einfach aus wie zwei fleißig lernende Studentinnen.“ „Ja, jetzt müssen wir nur warten bis es losgeht“, murmelte Mimi mit verhangener Stimme und beobachtete, dass sich der Außenbereich allmählich füllte. Sehr dezent mischten sich die eingeweihten Studenten unter die anderen. Diejenigen, die ein Musikinstrument spielten versuchten sich so unauffällig wie möglich zu verhalten und schlenderten ruhig aber achtsam über das Campusgelände. „Es geht gleich los“, informierte Kaori sie aufgeregt und deutete unauffällig auf eine kleine Gruppe, die den Anfang machen sollte. Gespannt beobachtete Mimi ihre Umgebung und bemerkte, dass den restlichen Studenten gar nicht auffiel, was direkt vor ihren Augen geschah, da manche wie verbissen in ihre Bücher starrten oder sich angeregt miteinander unterhielten. Erst als der erste Ton angestimmt wurde und die Stimme einer Sängerin ertönte, wurde nach und nach die Aufmerksamkeit der anderen geweckt. Ameagari no niji mo rin to saita hana mo irozuki afuredasu Akane-iro no sora aogu kimi ni ano hi koi ni ochita Shunkan no DORAMACHIKKU FIRUMU no naka no hito-koma mo Kienai yo kokoro ni kizamu kara Es kamen immer weitere Stimmen hinzu und die Musikinstrumente tanzten mit der entstehenden Klangmauer im Takt. Mimi presste die Lippen aufeinander als sich immer mehr Menschen um sie formierten und den Song voller Herzblut wiedergaben, während sie völlig sprachlos von den anderen Studenten gemustert wurden. Einigen klappte der Mund voller Entsetzen auf, während andere fast regungslos auf ihren Plätzen saßen und die Luft anzuhalten schienen. „Oh Gott, die meisten sind ja richtig entsetzt“, kommentierte Mimi amüsiert und notierte die ersten Reaktionen genau. „Ich glaube damit hat wohl keiner gerechnet“, meinte Kaori belustigt und schaute in die buntgemischte Runde als die muntere Gruppe den Refrain anstimmte. Die Instrumente gingen ineinander über, ehe sich die einzelnen Töne miteinander vermischten und eine eingehende Melodie ergaben, während die Stimmen der Sänger miteinander verschmolzen und von den Tänzern taktvoll begleitet wurden. Kimi da yo kimi nanda yo oshiete kureta Kurayami mo hikaru nara hoshizora ni naru Kanashimi wo egao ni mou kakusanai de Kirameku donna hoshi mo kimi wo terasu kara Pure Lebensfreude strömte durch ihren Körper, während sie sie beobachtete. Die Probleme der letzten Wochen, die Mimi so sehr belastetet hatten, waren in den Hintergrund gerückt und zeigten ihr, dass Musik durchaus heilsam sein konnte. Sie betrachtete die Gesichter der einzelnen Studenten, die vor ihnen standen und ihre sämtliche Leidenschaft in diese eine Performance steckten. Sie schafften einen Moment der einzigartigen Glückseligkeit, den Mimi gar nicht in Worte fassen konnte. Es fühlte sich fast so an als könnte sie schweben. In eine andere Welt abtauchen, in der die Musik als Heilmittel galt. Michibiite kureta hikari wa kimi da yo Tsurarete boku mo hashiridashita Shiranu ma ni KUROSU shihajimeta Hora ima da koko de hikaru nara Kimi da yo kimi nanda yo oshiete kureta kurayami wa owaru kara „Oh mein Gott“, flüsterte Kaori und grinste vor sich hin. „Sieh mal, da hinten!“ Sie deutete so unauffällig wie möglich auf eine kleine Gruppe von Studenten, die zuvor mit Lernen beschäftigt waren. Mimi riss prompt die Augen auf als sie das sah, was Kaori aufgefallen war. „Unfassbar“, erwiderte sie erstaunt und notierte sich das folgende Szenario. Ein junger Mann stand in mitten seiner Freunde und tippte mit dem Fuß die heitere Melodie heimlich mit, so dass es keiner mitbekam. Mimis Blick wanderte durch die Runde als sie erkannte, dass es mehreren so ging, sie es aber unbedingt versuchten zurückzuhalten, was man anhand ihrer angespannten Gesichter erkennen konnte. „Ich glaube, die meisten würden wirklich gerne mitmachen“, fiel Mimi auf, ehe ihr prompt eine Idee kam und sich ein Grinsen auf ihre Lippen schlich. „Sie brauchen bestimmt nur ein Anstoß! Wenn sich einer traut, traut sich sicher auch der Rest“, erwiderte sie überzeugend und legte den Block beiseite, während sie Kaori auffordernd musterte. „Was willst du denn damit sagen?“, hakte sie skeptisch nach, bevor Mimi ihr plötzlich den Block entriss und ihn achtlos zu ihrem legte. „Na, dass wir mitmachen sollten! Bei vielen Krisenexperimenten waren doch die Beobachter auch beteiligt gewesen. Also eine teilnehmende Beobachtung“, stellte Mimi euphorisch fest und stand auf. Sie wusste selbst nicht so recht, wo dieser plötzliche Energieschub auf einmal herkam, aber sie verspürte diesen unglaublichen Drang einfach mitzutanzen und in die mitreißende Melodie einzustimmen. „W-Was? N-Nein, warte…“, stammelte Kaori verunsichert, ehe Mimi sie plötzlich am Arm packte und sie auf ihre Füße zog. „Keine Widerrede! Es wird Zeit dein Schneckenhaus hinter dir zu lassen! Das ist die perfekte Gelegenheit dazu“, forderte sie sie auf und gab ihr keine Wahl sich ihr zu wiedersetzen. Eher widerwillig folgte sie ihr in die Menge und stand anfangs stocksteif neben ihr, während der Rest sie herzlich in Empfang nahm und ihnen die Möglichkeit gab, sich zu einem großen Ganzen zu verbinden. Kotae wa itsudemo Guuzen? Hitsuzen? Itsuka eranda michi koso unmei ni naru Nigirishimeta sono kibou mo fuan mo Kitto futari wo ugokasu hikari ni naru kara Sie befand sich wie in einem Rausch, während der eingehende Klang sie regelrecht zum Tanzen beflügelte. Mimi sah zu Kaori, die sich anfänglich stocksteif bewegte und peinlich berührt ihren Kopf senkte, während sie ständig ihre Brille zurechtrückte. In diesem Moment erinnerte Kaori sie sehr an ihren guten Freund Izzy, der sich meist auch nur im Hintergrund hielt und nicht gerne im Mittelpunkt stand. Obwohl sie in vielen Bereichen sehr selbstbewusst auf Mimi wirkte, ging sie meist in einer größeren Masse unter. Ihre Haltung lockerte sich allmählich, besonders als weitere Studenten hinzustießen und sich den Regeln wiedersetzten, die ihnen auferlegt wurden. Mimi lächelte leicht, als sie feststellte das der Flashmob immer mehr Menschen begeistern konnte und zum Mitmachen anregte. Ihr Blick wanderte zu Kaori, die sich immer noch sehr unsicher bewegte und zur Kontrolle immer wieder zu Mimi sah, die ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte, ihre Hüften kreisen ließ und einen weiteren Entschluss fasste. Unvermittelt griff sie nach ihrer Hand und zog sie in die Mitte des Flashmobs, drehte sich mit ihr freudig im Kreis und hörte wie sie leise auf quietschte. Erst wehrte sich Kaori, da sie sich versuchte wieder nach hinten zu drücken, doch Mimi wollte ihr diesen Moment im Rampenlicht ermöglichen, weshalb sie sie stur festhielt und zum Tanzen aufforderte. Nach und nach schien sie immer lockerer zu werden und bewegte sich zum Takt als das Ende des Songs angestimmt und Endposition eingenommen wurde. Sie atmete unruhig, nachdem sie ihren Platz eingenommen hatte und verstohlen zu den anderen blickte, die ein ausgelassenes Lächeln auf ihren Lippen trugen und vor lauter Euphorie kaum stillstehen konnten. Auch Kaoris Beine zitterten vor Aufregung, während Mimis Herz wild gegen ihre Brust pochte. Sie hatten es tatsächlich getan. Und Mimi hätte niemals erwartet, dass sich ein Krisenexperiment so gut anfühlen würde. _ „Hast du das gesehen? Dieser Blick sagt mehr als tausend Worte“, kommentierte Kaori den Gesichtsausdruck eines mürrisch dreinblickenden Studenten, den sie auf dem Videoband aufgezeichnet hatten. „Ohja! Oder der dahinten“, sagte Mimi und deutete auf den Bildschirm. „Ich glaube, der steht kurz vorm explorieren. Jedenfalls sagt mir, dass sein wutverzehrtes Gesicht.“ „Oh Gott, wie kann man nur so böse gucken? Das gibt sicher noch Falten“, lachte Kaori herzlich und die Unbeschwertheit schwang förmlich in ihrer Stimme mit. Es fühlte sich fast so an, als wäre bei ihr ein Knoten geplatzt, der sich vor langer Zeit gebildet hatte. „Ich glaube, du solltest auch wieder öfters Musik machen“, meinte Mimi überzeugend, ehe Kaoris Lachen abrupt verschwand und einer ernsten Miene wich. „Das war heute nur eine Ausnahme. Für das Experiment“, redete sie sich sofort heraus als Mimi den Kopf schräg legte. „Wem willst du hier eigentlich etwas vormachen? Dir oder mir? Also die Aufzeichnungen sagen wirklich mehr als tausend Worte und als du damals in der Aula gespie…“ „Ich will aber nicht mehr spielen. Ich habe das hinter mir gelassen“, erwiderte sie mit fester Stimme, jedoch ohne Mimi direkt anzusehen. „Wirklich? Dein Gesicht sagt aber etwas völlig anderes! Und als du damals auf der Bühne gestanden hast…das war magisch gewesen! Du kannst mir nicht erzählen, dass du es nicht vermisst“, antwortete Mimi verständnislos. Insgeheim versuchte sie Kaori etwas aus der Reserve zu locken, da sie absolut nicht verstehen konnte, warum sie die Musik so sehr hasste, wenn daraus so wundervolle Momente entstehen konnten. Es musste einen Grund geben… „Du verstehst sowas nicht“, grummelte sie aufgebracht und ballt die Hände zu Fäusten. „Gut, dann erklär‘ es mir! Warum hasst du die Musik? Warum suchst du ausgerechnet ein Projekt für uns aus, dass Musik beinhaltet? Warum stößt du immer Menschen von dir, die dich gerne näher kennen lernen wollen? Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns gut verstehen, aber ein anderes Mal bist du so abweisend zu mir! Ich verstehe das nicht“, eröffnete sie ihr gekränkt, auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte. Sie waren doch Partner – jedenfalls so lange bis das Projekt beendet war. Sie wollte es verstehen, aber Kaori war für sie undurchschaubar. Wütend blickte Mimi sie an, während sie den Kopf gesenkt hatte und sich im Schweigen übte. Erst als sie ein leises Wimmern vernahm, wurde Mimi von ihrem schlechten Gewissen eingeholt. Was sagte sie da nur zu ihr? Sie kannten sich doch nicht sonderlich gut, auch wenn Mimi das Gefühl hatte, dass zwischen ihnen eine Art Verbindung bestand, die sie nicht ganz deuten konnte. War es eine zarte Freundschaft, die sich gerade entwickelte? „Hey…ist alles in Ordnung?“, fragte Mimi behutsam und berührte Kaoris Schulter. Sie nickte nur und fuhr sich hastig über ihre Augenpartie. „Manchmal vermisse ich es wirklich...die Musik…dieses belebende Gefühl, wenn der Takt dich erfasst und du wie auf Wolken schwebst…“ Sie atmete hörbar aus, während sie nervös an ihrem Daumennagel spielte. „Aber…sie kann auch so viel kaputt machen. Wenn ein Song zu Ende ist, hast du genau zwei Möglichkeiten: Den Nächsten zu hören oder dich in einer Dauerschleife zu verfangen, bis du den Takt nicht erträgst und du am liebsten alles hinter dir lassen möchtest...man fühlt sich wie in einem ewigen Alptraum gefangen, der einfach nicht enden will“, erklärte sie mit brüchiger Stimme und schniefte herzzerreißend. Mimi verstand nicht so ganz, was sie ihr damit sagen wollte, aber sie traute sich auch nicht näher nachzufragen, da sie jetzt schon das Gefühl hatte zu weit gegangen zu sein. Kaori war ein Mensch, der sich nur langsam öffnete. Wenn man zu viel Druck ausübte, war die Gefahr groß, dass sie sich wieder verschloss. „Ich glaube, du fühlst dich in der Dauerschleife gefangen oder?“ Sie nickte nur schwach, ohne aufzusehen. „Vielleicht solltest du einfach den nächsten Track abspielen! Indem du dich neuen Herausforderungen stellst und nicht deine Liebe zur Musik verdrängst! Denn das macht dich auf Dauer nur unglücklich“, stellte sie besorgt fest und tätschelte ihr den Rücken. „Und was soll ich deiner Meinung nach machen? Das Musikgenre wechseln und einer Emo-Hipster-Band beitreten?“, hakte sie schulterzuckend nach und ließ kraftlos den Kopf hängen. Überrascht schaute Mimi sie an, als eine Idee in ihr heranwuchs, die sich langsam in ihrem Kopf ausbreitete. Vielleicht wäre das die perfekte Möglichkeit. Und es würde nicht nur ihr helfen, sondern Mimi könnte auch wieder etwas gut machen. „Möglicherweise ist das gar keine schlechte Idee.“ „Was? Ich spiele sicher in keiner Emo-Hipster-Band“, verteidigte sie sich vehement, während sich ein Grinsen auf Mimis Lippen schlich. Sie wusste bereits genau, wie sie Kaori aus ihrem Schneckenhaus befreien konnte…sie musste es ihr nur noch etwas schmackhaft machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)