Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 15: Spuren zerbrochener Herzen -------------------------------------- ♥ Taichi ♥ Niedergeschlagen lag er langesteckt auf seinem Bett und hatte seinen Arm gegen seine Stirn gelehnt, während er an seine weiße Decke starrte. Er konnte nicht glauben, wie sich sein Leben zurzeit entwickelte…dass es wie Sand einfach so durch seine Finger rann, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er hatte die Kontrolle verloren und drohte, dass zu verlieren, was ihm am wichtigsten war. Seinen unbändigen Mut, der ihn stets motivierte und zu Höchstleistungen antrieb. Doch mittlerweile war er in ein tiefes schwarzes Loch gefallen, ohne Aussicht jemals alleine wieder herauszukommen. Er hatte keine Lust mehr. Alles wurde ihm plötzlich zu viel, sodass er sich am liebsten für immer in seinem Bett verkriechen wollte. Ein tiefer Seufzer löste sich von seinen Lippen als er sich zu seinem Nachttisch drehte und das dunkele Holz nachdenklich fixierte. Geistesabwesend stützte er sich von seiner Matratze etwas ab und öffnete die erste Schublade vorsichtig. Seine Hand verschwand darin und kramte etwas hervor, dass er schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr in Händen gehalten hatte. Er bildete eine Faust und spürte das raue Material auf seiner Haut, dass ihn in Erinnerungen schwelgen ließ. Er drehte sich schwerfällig auf den Rücken, öffnete seine Hand etwas und betrachtete das rötlich schimmernde Garn, dass zu einem wundervollen Routenmuster verflochten war. Das Ende war mit zwei weißen Perlen versehen, um das Anlegen des Bändchens zu erleichtern. Die Farbe war bereits etwas verblasst, da er es vor Jahren tagtäglich getragen und meist nur zum Duschen abgenommen hatte. Er presste die Lippen verbittert aufeinander, je länger er es betrachtete. Der intensive Rotton hatte seinen Glanz verloren, genauso wie die Beziehung, die sie einst hätten haben können. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihnen, stellte ihnen immer wieder Hindernisse in den Weg, die Taichi in seinem jugendlichen Leichtsinn nicht sehen wollte. Erst als es zu spät war, merkte er, dass er sich in einer Scheinwelt befunden hatte. Dass, das was sie hatten eine reine Wunschvorstellung war, die in der Realität keinen Platz finden konnte. Er erinnerte sich noch gut an die Zeit als er bis spät abends wach blieb, um mit ihr noch wochentags skypen zu können. Einfach ihr Gesicht zu sehen. Ihr strahlendes Lächeln, dass ihre rosigen Lippen umspielte. Ihre Stimme zu hören, die ihm immer wieder mitteilte, wie sehr sie ihn vermisste und das sie sich auf die Sommerferien freute, da sie sich dann endlich wiedersehen würden. Doch meist waren Worte eben nur Worte, die sich im Sog des Vergessens wiederfanden und sämtliche Chancen zerschlugen, die sie sich wagemutig aufgebaut hatten. Er wollte gar nicht mehr daran denken, doch er schaffte es nicht die Vergangenheit loszulassen. Dabei war es offensichtlich, was sie wollte, beziehungsweise wen. Und er konnte nicht sagen, dass ihm diese Entwicklung sonderlich gut gefiel. Schon als sein bester Freund ihm mitgeteilt hatte, dass Mimi mit Makoto ausgehen wollte, hatte er insgeheim gehofft, dass das Date schrecklich laufen würde, sie zur Besinnung kam und er doch noch eine Möglichkeit erhielt mit ihr über ihren Kuss zu sprechen, der nicht nur neue Hoffnungen geschürt hatte, sondern auch das lodernde Feuer des Verlangens. Er wollte sie wieder küssen. Sie in seinen Arme halten mit der Gewissheit, dass sie nichts auf dieser Welt wieder trennen könnte. Doch er hatte zu lange gewartet. Tai hatte seine Chancen glatt verspielt, indem er einfach den Mund hielt und den letzten Rest seines Mutes endgültig unter der Angst vor Zurückweisung vergrub. Er hatte nicht erwartet, dass sich tatsächlich etwas Ernstes zwischen Mimi und Makoto entwickeln könnte, doch nachdem er mitbekommen hatte, dass sie sich dieses Wochenende wieder verabredetet hatten, zerplatzten sämtliche Wünsche und Träume, die er sich zurechtgelegt hatte wie eine Seifenblase. Zurück blieb der beißende Beigeschmack der Eifersucht, die sein Herz einnahm und förmlich durchlöcherte. Wehleidig blickte er zu dem Freundschaftsbändchen, dass Mimi ihm damals zu seinem 15. Geburtstag geschenkt hatte. Hätte er irgendetwas anders machen können? Hatte er überhaupt genug um sie gekämpft? Vielleicht verdiente er diesen Schlag in die Magengrube, um endlich aufzuwachen und zu erkennen, dass er dem Schatten einer einst erblühenden Liebe hinterherjagte, der von Mal zu Mal immer blasser zu werden schien. Schwerfällig schloss er seine müden Augen, drückte das Freundschaftsband gegen seine pochende Brust und fand sich plötzlich in der schmerzlichen Erinnerung der Vergangenheit wieder. _ „Ich hoffe, du hast es noch nicht aufgemacht! Du hast erst in fünf Minuten Geburtstag“, sagte sie gespielt mahnend und lächelte in die Kamera ihres Laptops. „Nein, habe ich nicht“, antwortete Taichi langezogen und hielt das bunte Geschenkpapier in die Höhe. „Du hast sogar dick und fett draufgeschrieben ‚Erst am Geburtstag öffnen‘“. Er lächelte verschmitzt und auch Mimi konnte sich ein Kichern nicht länger verkneifen. „Naja, du reißt doch alles gleich am liebsten mit deinen Zähnen auf, weil du viel zu neugierig bist.“ „Mit den Zähnen?“, hakte er belustig nach. „Wann habe ich mal was mit den Zähnen aufgemacht?“ Mimi legte den Kopf schräg und musterte ihn eindringlich. „Weihnachten 2000. Wichteln. Du konntest dich gar nicht mehr beherrschen und hast Joes Geschenk einfach mit den Zähnen aufgerissen!“ „Was? Ich habe die dumme Schleife nicht aufbekommen! Drei Knoten waren auch wirklich übertrieben, selbst für Joe!“, erwiderte er lachend und dachte automatisch an seinen sehr gewissenhaften Freund, der sich tausendfach dafür entschuldigt und somit auch die Geheimhaltungspflicht der kleinen Weihnachtstradition einfach missachtet hatte. Dennoch hatte er sich damals sehr über die leckere Schokolade mit Karamellkern gefreut gehabt, auch wenn sie sehr schnell in seinem Magen verschwunden war. Von Mimi erhoffte er sich daher etwas Haltbareres. Er hatte schon versucht herauszufinden, was sie ihm schenken wollte, doch weder die Verpackung, noch seine kreativen Hinterfragungsmethoden waren hilfreich gewesen, weshalb er geduldig auf seinen Geburtstag warten musste. „Ich hoffe, es gefällt dir auch“, murmelte sie leise und Taichi sah, wie sich ihre Wangen rötlich verfärbten. Verlegen senkte sie den Kopf und blinzelte gegen die Sonne, die durch ihr Zimmerfenster schien und den Raum erhellte. Bei ihm schenkte nur eine kleine Lampe neben seinem Schreibtisch etwas Licht, damit er nicht im Dunkeln sitzen musste. In Japan war es bereits kurz vor Mitternacht, während es bei Mimi in einer Stunde erstmal Mittagessen geben würde. Sie hatte wegen einer Lehrerkonferenz schulfrei, weshalb sie bereits vormittags skypen konnten. Normalerweise kam Mimi wegen zahlreicher außerschulischer Aktivitäten erst am späten Nachmittag nach Hause und sie verlegten ihre regelmäßigen Unterhaltungen meist auf die Wochenenden, weil die Uhrzeit dann nicht ausschlaggebend war, auch wenn es Taichi manchmal gar nicht erwarten konnte sie zu sehen. Es war seltsam, wie sich ihre Beziehung in den letzten Monaten verändert hatte. Seit ihrem Kuss an Silvester ging sie ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ständig schwirrte sie durch seine wirren Gedankengänge und brachte sein Herz dazu höher zu schlagen, auch wenn er es immer noch nicht schaffte, seine Gefühle richtig zuzuordnen. Immer wenn sie gemeinsam miteinander sprachen, verging die Zeit wie im Flug, sodass er oftmals nicht bemerkte, dass schon drei Stunden vergangen waren. Er fühlte sich wie in einem Rauschzustand, der einfach nicht enden wollte. Er sehnte sich nach ihrer Nähe, wollte mehr als nur über einen Bildschirm mit ihr zu kommunizieren, auch wenn er wusste, dass das sehr schwierig werden würde. Zwar hatte Mimi bereits angekündigt, dass sie ihre Freunde in den Sommerferien wieder besuchen kommen wollte, doch Taichi war ungeduldig. Wie sollte er das Ganze noch drei weitere Monate aushalten? „Okay…“, ertönte ihre Stimme und Taichi schrak etwas zusammen. Sie biss sich auf die Unterlippe und grinste als sie plötzlich von zehn runterzuzählen begann. „3…2…1…alles Gute zum Geburtstag!“, quietschte sie freudig und lächelte herzlich. In diesem Moment hätte er sich gewünscht, sie einfach fest an sich zu drücken, ihren Duft einzuatmen und ihre weiche Haut auf Seiner spüren zu können. Er atmete auf einmal sehr hektisch und fühlte wie seine Wangen zu Glühen begannen. Was dachte er hier schon wieder? Ihre weiche Haut auf seiner? Seit wann war er in einem kitschigen Jane Austin Roman gefangen, die seine Mutter ihm ständig verträumt unter die Nase hielt? Er verstand sich selbst nicht mehr. Vor wenigen Monaten war er fest davon überzeugt gewesen, niemals über seine beste Freundin hinweg zu kommen, die mittlerweile mit seinem besten Freund zusammen war und jetzt? Jetzt hatte sie ihm einfach das Herz gestohlen, ohne das er etwas gemerkt hatte. „Erde an Taichi, worauf wartest du denn?“, fragte sie nachdrücklich und musterte ihn besorgt. „Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst du nachdenklich aus.“ „Was? Nein, alles gut…ich…ähm, ach ja das Geschenk“, stammelte er und öffnete das bunte Papier an der Seite. Mimi kicherte amüsiert. „Ich wusste nicht, dass Senilität schon ab fünfzehn Jahren beginnt. Und jetzt mach es endlich auf! Du hältst es ja schon eine gefühlte Ewigkeit in Händen.“ „Ist ja schon gut! Hetz‘ mich nicht so“, murrte er und streckte ihr die Zunge raus. „Wow, ein Jahr älter und immer noch so kindisch wie eh und je“, kommentierte sie überheblich, hatte aber dieses begeisterte Funkeln in ihren Augen. Sie schienen immer größer zu werden, je mehr Taichi von dem Geschenkpapier löste. „Eine Schachtel?“, hakte er irritiert nach und öffnete sie bedacht. Seine Augen weiteten sich ungläubig als er zaghaft das rote Bändchen herausholte und skeptisch eine Augenbraue in die Höhe zog. „Ein Freundschaftsbändchen?“ Mimi nickte euphorisch und hob stolz ihren Arm an, um ihm das Gegenstück zu präsentieren. Es zierte bereits ihr Handgelenk und bestand aus dem gleichen roten Garn wie Seins. Zwei weiße Kugeln schmückten die Enden, während Tai das Muster mit dem Finger entlangfuhr und nicht richtig wusste, was er dazu sagen sollte. „Sind wir dafür nicht schon ein bisschen zu alt?“, erwiderte er unüberlegt und Mimis Blick verfinsterte sich sofort, sodass er seine Worte auch gleich bereute. „Also hör mal! Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Weißt du wie lange ich daran gesessen habe? Du bist unmöglich, Taichi“, knurrte sie erbost und es schien sich schon eine Zornesfalte auf ihrer Stirn zu bilden als Taichi nur sachte mit dem Kopf schüttelte und es gleich anlegte. „So meinte ich das doch nicht, Prinzessin.“ „Nenn‘ mich nicht Prinzessin! Das hast du immer schon im Kindergarten gemacht, wenn ich keine Matschengel mit dir machen wollte!“, schimpfte sie und blies verärgert die Wangen auf. „Ach komm‘ schon, so war das doch nicht gemeint“, gab er klein bei und versuchte das Bändchen anzulegen, was mit einer Hand gar nicht so einfach war. Mit zitternden Fingern versuchte er einen Knoten zu knüpfen, doch eines der beiden Enden rutschte ihm ständig aus der Hand, da ihm einfiel, dass er solche Freundschaftsbändchen schon oft bei Pärchen gesehen hatte. Doch welche Bedeutung hatte es für sie? Sollte er danach fragen? Angestrengt knapperte er auf seiner Unterlippe herum, senkte den Kopf und konzentrierte sich ganz auf den Knoten, der ihm einfach nicht gelingen wollte. „Freust du dich denn?“ Überrascht blickte er sofort nach oben und ließ, dass Bändchen auf seinen Schreibtisch sinken. „Ja…ich habe noch nie etwas Selbstgemachtes bekommen. Schon gar nicht von einem Mädchen“, gab er zu und fixierte peinlich berührt einen unbestimmten Punkt auf dem Holztisch, während er aus dem Augenwinkel heraus erkennen konnte, dass sich Mimis Gesicht erhellte. „Vielleicht schaffe ich es auch gleich, es mal anzulegen“, ergänzte er, fuhr mit schwitzenden Fingern über das weiche Garn und versuchte es erneut. Diesmal schaffte er einen lockeren Knoten zu machen und hielt es stolz in die Kamera, während Mimi verschmitzt lächelte. Doch ihr Lächeln verschwand schnell wieder und wich einem ernsten Gesichtsausdruck. „Ich vermisse dich…“, murmelte sie mit gedämpfter Stimme und richtete ihr Gesicht angestrengt nach unten, sodass ihr einige Strähnen die Sicht nahmen. Völlig perplex über ihr plötzliches Geständnis, starrte Taichi wortlos auf den Bildschirm. „Ich…“, begann er leise, doch sein Schluchzen übertönte ihn. Sie hatte noch immer nicht den Kopf angehoben, aber er konnte erkennen wie sie hektisch über ihre Augenpartie fuhr und versuchte ihre Tränen vor ihm zu unterdrücken. Sein Herz wurde auf einmal ganz schwer als er sie so vor sich sitzen sah. Sie wirkte wie zerbrechliche eine Porzellanpuppe, die bei jeder harschen Berührung zu zerbrechen drohte. „T-Tut mir leid…irgendwie bin ich im Moment sehr emotional. Bestimmt bekomme ich meine Tage“, informierte sie ihn unverblümt und Taichi entgleisten prompt seine Gesichtszüge. „Boah Mimi, zu viel Informationen!“, kreischte er und hielt sich demonstrativ die Ohren zu. „Hey, sei nicht so ein Mädchen“, konterte sie sofort und beruhigte sich langsam wieder. Taichis verdrehte demonstrativ die Augen, auch wenn er diese offene Art an Mimi sehr mochte. „Du vermisst Japan, oder?“, fragte er plötzlich, ohne groß darüber nachzudenken. „Mehr als ich je erwartet hätte“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Aber meine Eltern…ihnen gefällt es hier sehr gut und New York ist wirklich wundervoll. Gerade zu Weihnachten oder an Silvester.“ Silvester. Eine zarte Gänsehaut legte sich über seinen Körper. Seine Gefühle kämpften sich an die Oberfläche und übernahmen seine Sinne, die ein Eigenleben entwickelten. Er sah wie er die Hand hob und gegen seinen Bildschirm drückte. Verwundert beobachtete Mimi ihn, als er, ohne darüber nachzudenken, seinen Gefühlen Worte verlieh. „Ich vermisse dich auch und kann es gar nicht erwarten dich wiederzusehen.“ Verlegen senkte er den Blick und konnte selbst nicht fassen, was er gerade ausgesprochen hatte. Aber es war die Wahrheit. Er vermisste sie. Mehr als eine alte Freundin, die er bereits aus Kindertagen kannte. Auch sie rückte näher an den Bildschirm heran, in ihren Augen lag ein glühender Blick, der dennoch auf ihn so unergründlich wirkte. Sie hob ebenfalls ihre Hand, presste sie direkt gegen seine und schloss beherzt die Augen. „Es ist fast so als könnten sich unsere Hände berühren, auch wenn wir so weit voneinander entfernt wohnen.“ Auch er schloss die Augen und ließ sich ganz auf das Gefühl der Geborgenheit ein, dass sich in seinem Körper wohltuend ausbreitete. Tatsächlich konnte er ihre warme Haut in seiner Einbildung spüren. Es fühlte sich unglaublich an, auch wenn sie nur ihre Hände gegen ihre Bildschirme drückten und es sich vorstellten… _ Er erinnerte sich an diese Zeit als wäre es erst gestern gewesen. Nach seinem Geburtstag schienen sie eine Verbindung zu teilen, die keiner der beiden nur ansatzweise in Worte fassen konnte. Es war fast schon ein wenig magisch, wenn er an das wilde Kribbeln in seinem Bauch zurückdachte und vor Ungeduld förmlich platzte, wenn sie sich zum Skypen oder telefonieren verabredet hatten. Es war eine Zeit voller Hoffnung, die ihm das Gefühl von Liebe und Geborgenheit näherbrachte und ihm immer klarer werden ließ, wen er an seiner Seite wissen wollte. Doch die Entfernung stand immer zwischen ihnen. Zeitverschiebungen. Unendlich lange Flüge. Unsagbarer Herzschmerz, der sich im Konstrukt der Frustration wiederfand, je länger sie voneinander getrennt waren und je offensichtlicher eine intakte und gesunde Beziehung unmöglich wurde. Mimi war diejenige, die nach über einem Jahr wegen des ganzen Hin und Her die Reißleine zog. Er hatte bereits schon viel früher gemerkt, dass sich etwas zwischen ihnen verändert hatte und dass sie scheinbar etwas vor ihm verheimlichte. Er hatte nur nicht erwartet gehabt, dass tatsächlich ein anderer Junge dahinterstecken könnte. Kurz nach Valentinstag hatte sie ihm per SMS gestanden, dass sie eine Beziehung mit ihrem Klassenkammeraden Michael versuchte wollte. Schon damals hatte es ihn getroffen, wie ein Schlag ins Gesicht, auch wenn er vor ihr diese Demütigung niemals zugeben wollte. Taichi hatte sich daraufhin von ihr komplett distanziert und bekam meist, wenn nur über Sora mit wie sich die Beziehung von Mimi entwickelt hatte. Doch das Drama fing erst danach an. Nach der Trennung von Michael, nach ihrem Besuch während den Sommerferien, nach all dem, was er getan hatte… Verbittert legte er seine trockenen Lippen aufeinander, sodass sie einen schmalen Strich ergaben. Das Freundschaftsbändchen hielt er immer noch fest umklammert als plötzlich ein gleichmäßiges Klopfen ertönte. „Was willst du Kari?“, fragte er genervt, da er sie bereits an ihrem Klopfzeichen erkannt hatte. „Kann ich reinkommen?“, stellte sie prompt die Gegenfrage. In ihrer Stimme hallte ein hartnäckiger Ton mit, der Taichi wissen ließ, dass er sie nicht so einfach abschütteln konnte. Widerwillig raffte er sich auf, zog seine Nachtischschublade auf und ließ das Freundschaftsbändchen behutsam darin verschwinden, bevor er seine Schwester hineinbat. Sie steckte vorsichtig den Kopf zur Tür rein und beäugte ihren Bruder mit großen Augen, während Tai sich achtlos und mit ausgestreckten Armen zurück aufs Bett fallen ließ. „Was willst du denn?“, hinterfragte er etwas barsch und Kari schloss hinter sich die Tür. „Darf ich jetzt noch nicht mal mehr in dein Zimmer kommen? Nur zu deiner Info, wir haben hier drin jahrelang zusammengewohnt“, führte sie ihm vor Augen und verschränkte etwas beleidigt die Arme vor der Brust. „Hast du schlechte Laune, oder was?“ Taichi verdrehte nur demonstrativ die Augen und kreuzte die Arme hinter dem Kopf, um etwas höher liegen zu können. „Ist es heute deine Aufgabe mich zu nerven? Sind dir deine Freunde abhandengekommen?“ „Man…warum bist du nur so schlecht drauf?“, erwiderte sie und setzte sich einfach auf sein Bett. „Hast du dich etwa mit Papa gestritten?“ Entsetzt weiteten sich seine Augen. Wie kam sie nur darauf? Vielleicht hatte sie bereits mitbekommen, dass er ihrem Vater immer noch aus dem Weg ging und sämtliche Versöhnungsversuchte abblockte. Aus gutem Grund, fand er. „Was? Nein! Wie kommst du nur auf so einen Mist?“ „Naja, du liegst schon den gesamten Samstag im Bett und guckst depressiv aus der Wäsche! Ich mache mir doch nur Sorgen um dich!“, erwiderte sie empört, jedoch wurden ihre Gesichtszüge automatisch weicher. „Du kannst doch mit mir reden, wenn dich irgendetwas bedrückt.“ Missmutig setzte sich Taichi auf und legte seine Arme locker auf seine aufgestellten Knie. Der besorgte Blick seiner Schwester brannte auf seiner Haut und ließ sein schlechtes Gewissen gegenüber ihr wachsen. Sie machte sich nur Sorgen und er hatte nichts Besseres zu tun als seine Laune an ihr auszulassen. Ein wirklich toller großer Bruder. Doch er war in seiner eigenen Verbitterung gefangen, versank in den tiefen Gewässern der Hoffnungslosigkeit, die durch seinen Herzschmerz unerträglich für ihn geworden waren. „Mir geht’s gut! Mach‘ dir nicht immer so viele Sorgen, nur, wenn ich mal im Bett liege“, log er ohne rot zu werden. „Ich hatte eine sehr anstrengende Woche und höllischen Muskelkater.“ „Du willst es also wirklich durchziehen? Also das mit dem Stipendium?“ Ihre Stimme zitterte etwas als sie das Wort ‚Stipendium‘ in den Mund nahm. Ihre kaminroten Augen wirken auf einmal so unfassbar traurig, dass Taichi für den Moment nicht wusste, was er ihr antworten sollte. Das Stipendium war seine einzige Möglichkeit aus der alltäglichen und farblosen Teufelsspirale auszubrechen, die sein Leben eingenommen hatte. Dennoch wollte er nicht, dass seine Schwester traurig war. Behutsam legte er den Arm um sie und zog sie näher an sich heran. Ein kurzer Blickwechsel folgte als Taichi das Wort ergriff. „Jetzt mach‘ dir mal keine Sorgen. Ich weiß selbst noch nicht, wo das alles hinführt und ob es überhaupt klappt“, beruhigte er sie sanftmütig und zog sie noch dichter an sich. „Aber was willst du machen, wenn es zum Beispiel nicht klappt? Du möchtest doch studieren, oder?“ „Ja, aber das ist nicht deine Sorge, verstehst du“, erwiderte er eindringlich und sah ihr direkt in die Augen. „Ich werde das schon irgendwie hinbekommen. Vertrau‘ mir einfach.“ Ein schwerfälliges Nicken brachte sie zustande als sie sich etwas von ihm löste und Taichi einen winzigen Hoffnungsschimmer in ihren Augen erkennen konnte. Vielleicht kam ihm das Leben zurzeit einfach nur so schwarz-weiß vor, weil er unglücklich und in Begriff war, sich selbst zu verlieren. Möglicherweise musste er härter kämpfen, um das zu erreichen, was er sich vorgenommen hatte. Zwar konnte er die Zeit nicht aufhalten, aber er konnte versuchte, dass Bestmögliche aus ihr zu machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)