Sünde von Labrynna ================================================================================ Kapitel 48: Melanie ------------------- Ich umklammerte Gregs steifen Körper und zog ihn noch fester an mich, während mir mehr und mehr Tränen über die Wangen kullerten. So hatte ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt. Warum nur war er so kalt, so unbewegt? Es war fast als würde ich eine Statue umarmen oder... eine Leiche. Hinter mir öffnete sich mit einem leicht schleifenden Geräusch die Haustür und Greg seufzte tief. Ich hob meinen tränenverschleierten Blick und versuchte in seinem sphinxartigen Gesicht zu lesen. Seine wunden, femininen Lippen hatte er hart aufeinandergepresst und sein Kiefermuskel war angespannt, so als bisse er die Zähne fest zusammen. Seine Augen konnte ich wegen der undurchsichtigen Sonnenbrille leider nicht sehen, doch sie schienen auf die Haustür gerichtet zu sein. Langsam drehte ich mich um, wobei ich darauf achtete, Körperkontakt zu Greg zu halten. Die kindliche Angst, er könnte anders plötzlich verschwinden, war einfach zu groß. Papa stand in der Tür und musterte uns mit einem seltsam gequälten Gesichtsausdruck. Irgendwie bekam ich allmählich das Gefühl, dass ich die Einzige war, die sich wirklich darüber freute, dass Greg endlich wieder zu Hause war. Für mehrere Minuten, in denen eine eigenartig knisternde, angespannte Atmosphäre entstand, starrten Papa und Greg sich einfach nur an. Doch dann huschte ein Schatten über das Gesicht unseres Vaters, wo er nur Müdigkeit zu hinterlassen schien. Seine grünblauen Augen wurden trüb, neben seinen Mundwinkeln, die sich bedrohlich nach unten wölbten, entstanden tiefe Falten und er krümmte die Schultern nach vorn. Als er sprach, klang seine Stimme so brüchig wie millimeterdünnes Eis: „Greg. Willkommen zu Hause.“ Ich wandte den Kopf, um zu sehen, ob sich endlich etwas im Gesicht meines Bruders bewegte, das zur Maske erstarrt zu sein schien, seit er mich erkannt hatte. Doch Greg nickte Papa nur zu, bückte sich nach seinem Rucksack und trat so schnell von mir weg, als würde ich in Flammen stehen oder als hätte ich plötzlich die Beulenpest. Irritiert blickte ich ihm hinterher, während er mit leicht unsicheren Schritten neben unserem Vater – denn das war er, Blutsverwandtschaft hin oder her – ins Haus trat. Papa drehte sich auf der Schwelle noch einmal um und warf mir ein trauriges Lächeln zu, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Was zur Hölle war hier nur los? Warum war jetzt plötzlich alles so verquer? Bis vor ein paar Minuten schien doch noch alles in bester Ordnung gewesen zu sein. Wir hatten uns alle auf Gregs Heimkehr gefreut. Und jetzt? Mit einem bitteren Geschmack im Mund fühlte ich mich um drei Jahre zurück versetzt. Gregs Verhalten erinnerte mich einfach zu sehr an die Zeit kurz bevor er uns verlassen hatte. Mein Herz schrumpfte zu einem kleinen, scharfkantigen Eisklumpen zusammen und mein Magen schien ein einziger Knoten zu sein. Trotzdem folgte ich den beiden Männern meiner Familie nach ein paar Minuten ins Haus. Ich würde noch herausfinden, was hier schief lief. Drinnen war die Stimmung nicht gerade sehr viel besser. Als ich in den Flur trat, war Mama gerade dabei, Greg zu umarmen, aber irgendwie hatte diese Szene etwas an sich, das sich falsch anfühlte. Mama presste meinen Bruder, der sie um gut fünfzehn Zentimeter überragte, an ihre Brust und weinte stumme Tränen. An und für sich hätte man glauben können, es wären Tränen der Freude, doch der Ausdruck in ihren Augen zeigte deutlich, dass es nicht so war. Papa stand stocksteif mit abgewandtem Gesicht daneben und auch Greg ließ die Schultern hängen, so als ob ein zentnerschweres Gewicht auf ihm lasten würde. Irritiert lehnte ich mich gegen die Wand und beobachte die Drei. Warum nur wirkten sie so gequält? Ja, Greg hatte unsere Eltern damals sehr verletzt und sicher war es jetzt für keinen der Beteiligten leicht, einfach neu anzufangen. Aber sie hätten sich doch wenigstens freuen müssen, oder? Heute Morgen hatten sie es zumindest getan. Schließlich ließ Mama die Hände von Gregs Schultern gleiten und er richtete sich wieder auf. Mit einer beinah erschreckenden Leichtigkeit hob er einhändig seinen schwer aussehenden, braunen Armeerucksack hoch und deutete nach oben. „Das gleiche Zimmer wie früher?“ Es waren die ersten Worte, die ich seit drei Jahren von ihm hörte, und ich war überrascht, wie voll und dunkel seine Stimme geworden war. Als ich sie das letzte Mal gehört hatte, hatte Greg noch an den Nachwehen des Stimmenbruchs gelitten. Mama nickte stumm und Greg stieg ohne ein weiteres Wort die Treppe nach oben. Papa nahm meine Mutter schützend in den Arm, während sie Greg mit einem dermaßen gequälten Gesichtsausdruck hinterher sahen, als hätte er ihre Herzen herausgerissen und Samba darauf getanzt. Ich verstand die Welt nicht mehr. Dieser Mann da... das war nicht mein Bruder wie ich ihn kannte und liebte. Erneut stiegen mir dicke, heiße Tränen in die Augen und meine Welt wurde von einem undurchsichtigen Schleier verhangen. Ich sah nur undeutlich, wie Papa seine Hand nach mir ausstreckte und mich zu sich zog. Sofort kuschelte ich mich an meine Eltern, die mir beruhigend über den Rücken strichen, während mir die Tränen über die Wangen strömten. Was war nur schief gelaufen, dass dieser Tag, auf den ich mich seit Jahren freute, zu einer solchen Katastrophe geworden war? Mama strich mir zärtlich übers Haar und küsste mich auf die Stirn, als Papa leise murmelte: „Das wird schon wieder. Das sind gerade einfach ein bisschen viele Emotionen, die auf uns einprasseln. Gib ihm, gib uns Zeit. Das wird schon wieder... Mach dir keine Sorgen.“ Ich stieß geräuschvoll Luft aus der Nase. Keine Sorgen machen – das war leichter gesagt, als getan. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)