Sünde von Labrynna ================================================================================ Kapitel 39: Melanie ------------------- Lautes Bassgewummer drang aus dem Lautsprecher und ließ die ganze Box unter meinem Hintern vibrieren, während Matthias etwas lustlos auf seinem Musikinstrument herum schrabbelte. Adam saß am anderen Ende des Proberaums und spannte gerade eine neue Saite in seine Gibson ein, während Peter vor ihm kniete und kluge Tipps zu geben schien, die bei seinem Bandkollegen jedoch nur zu genervtem Augenrollen führten. Wartend warf ich einen kurzen Blick zur Tür, doch von Johannes war noch immer nichts zu sehen. Er war jetzt schon seit fast vierzig Minuten unterwegs, um Pizza für die ganze Mannschaft zu besorgen. Lächelnd richtete ich meinen Blick wieder auf die beiden Gitarristen. Inzwischen sah Adam aus als würde er Peter, der ihn breit und durchtrieben angrinste, seine Gitarre über den Kopf ziehen, wenn er nicht bald den Mund hielte. Es war wirklich erstaunlich: Obwohl ich mit Musik nie viel am Hut gehabt und eigentlich die Gesellschaft von Mädchen immer vorgezogen hatte, fühlte ich mich bei Jos Band wirklich wohl. Die Jungs waren ein Stück weit so etwas wie meine Zweitfamilie geworden und ich schien inzwischen auch für sie irgendwie dazu zu gehören – so als eine Art inaktives, sechstes Bandmitglied. Ich fragte mich, warum die anderen Jungs ihre Freundinnen nie zur Probe mitbrachten. Na ja, vielleicht hatten sie einfach noch keine Beziehungen, die fest und tief genug waren, um ihre Mädchen mit hierher zu nehmen, wo die Jungs sich so etwas wie ihre eigene Welt aufgebaut hatten. Jo hatte immerhin auch über drei Monate gebraucht, um mich in sein Heiligstes zu lassen. Alleine Adam hatte in den vergangenen fünf Monaten seit ich Johannes und „Deep Green“ kannte sechs verschiedene Freundinnen gehabt – darunter für einen Zeitraum von wenigen Wochen auch meine Finchen. „Na? Morgen startet die große Reise?“ Erschrocken zuckte ich zusammen und schaute zu Sam hoch, der es irgendwie geschafft hatte, sich vollkommen lautlos an mich heran zu schleichen. Oder war ich so in meine Gedanken vertieft gewesen, dass ich ihn einfach nicht gehört hatte? Vom Schreck noch etwas benommen nickte ich dumpf. „Ja, morgen früh um acht fährt der Bus.“ „Und wohin geht’s genau?“ Sam zog sich seinen zerschlissen aussehenden Schlagzeughocker heran und setzte sich neben mich. Irgendwie wirkte es ein wenig lächerlich wie er seine riesige Gestalt auf diesen winzigen Hocker zwängte. „Nach Malvern. Das liegt in Worcestershire, relativ in der Nähe der Grenze zu Wales.“ „Ah, ja, die berühmten Malvern Hills.“ Sam zog eine Grimasse, so als wäre er selbst bereits auf Klassenfahrt in der Gegend gewesen und hätte unzählige Stunden in der nebeligen Berglandschaft verbracht. Mit einem leichten Schaudern dachte ich an die auch für uns angekündigte Wanderung durch die Malvern Hills. Ich war nie ein großer Freund von langen Spaziergängen gewesen – schon gar nicht, wenn es regnete und nass war. Doch auf den geplanten Ausflug nach London freute ich mich schon sehr. „Und wie lange bleibt ihr?“ „Nicht sehr lange, nur sechs Tage. Also, am Samstagabend sind wir wieder hier.“ Bildete ich mir das ein oder hatte Sam gerade tatsächlich erleichtert aufgeatmet? Als er meinen verwirrten Blick bemerkte, grinste er breit. „Ich hatte mir schon vorgestellt, wie Jo als jammerndes Wrack auf dem Sofa hockt und in seinem Liebeskummer absäuft.“ Bei der Vorstellung musste ich unwillkürlich lachen, wurde aber schnell wieder ernst. „Du glaubst, das würde er tun, wenn ich mal länger weg wäre?“ Bevor Sam antworten konnte, schwang jedoch die Tür laut scheppernd auf und Jo kam herein. Auf seinen Armen balancierte er eine riesige Pizzaschachtel, von der ein aromatischwürziger Geruch ausging. Ich warf Sam einen eindringlichen Blick zu und raunte zu ihm herüber: „Du bist mir ’ne Antwort schuldig.“ Dann schwang ich mich auf die Füße und trabte zu Jo herüber, der langsam und vorsichtig den Pappkarton absetzte, so als wäre sein Inhalt kostbar und zerbrechlich. Kaum dass ich neben ihm stand, zog er mich fest in den Arm und strich mir liebevoll über den Rücken. Ich kuschelte mich an ihn und blendete für kurze Zeit die anderen Anwesenden einfach aus. Schon jetzt spürte ich deutlich, dass ich Jo während meiner Klassenfahrt schmerzlich vermissen würde. Konnte ich ihn vielleicht einfach in den Koffer stecken? Ich presste meine Nase gegen seine Halsbeuge und atmete tief ein, doch zu meinem Leidwesen roch er mehr nach Fett und Schnellimbiss als nach sich selbst. Hinter mir hatte sich inzwischen die ganze Band zusammen gefunden und die Jungs fielen wie ausgehungerte Raubtiere über die Pizza her. Es verblüffte mich regelrecht, dass man sie nicht knurren, bellen und schnappen hörte. Jo lachte bei dem Anblick leise in sich hinein, was mich durch die Vibrationen in seinem Brustkorb ein wenig durchschüttelte. „Ey, lasst mir auch was übrig!“, rief er mit drohend erhobenem Zeigefinger, ließ mich jedoch nicht los, um sich sein Stück zu sichern. Dankbar dafür schmiegte ich mich noch näher an ihn und genoss das Geräusch seines schlagenden Herzens unter meinem Ohr. Vor ein paar Wochen hatten wir das erste Mal miteinander geschlafen und seitdem fühlte ich mich ihm noch näher als vorher – auch körperlich. Es schien als könnte ich endlich die Intensität seiner Berührungen in vollem Umfang spüren und wann immer er mich umarmte, lehnte ich mich nun vollkommen automatisch und selbstverständlich gegen ihn. „Ah, seht euch mal die beiden Turteltäubchen an!“ Matthias zeigte mit fettigen Fingern, an denen ein bisschen Tomatensauce klebte, auf uns und grinste ein wenig fies. „Gut, dass das ab morgen erst mal vorbei ist.“, pflichtete auch Peter lachend bei, was mich überrascht die Augenbraunen in die Höhe ziehen ließ. Der blonde Gitarrist war eigentlich ein eher schüchterner Typ, der sich stets im Hintergrund hielt und nur selten von sich aus den Mund aufmachte. Kleine, fiese Sticheleien unter Freunden hatte ich ihm gar nicht zugetraut. Adam näherte sich von der Seite und klopfte Jo auf die Schulter. „Dann lassen wir erst mal die Sau raus. Nicht wahr, Alter?“ Jo grinste und nickte eifrig. „Klar. ’n paar Weiber aufreißen und so.“ „Genau!“ Glücklich strahlend ließ Adam sich auf das alte, ausgesessene Sofa in der Ecke fallen und zwinkerte mir lächelnd zu. Gerade als ich mich spielerisch beschweren wollte, dass die Jungs schrecklich gemein zu mir waren, schluckte Sam seinen letzten Bissen Pizza hinunter und murmelte mitleidig: „Tja, Mel, Arschkarte. Die Engländer sind ja nicht unbedingt für ihre grenzenlose Attraktivität bekannt.“ „Es sei denn, man steht auf Segelohren und rote Haare!“, grölte Matthias, doch niemand beachtete ihn. Ich streckte den Jungs die Zunge heraus und drehte den Oberkörper, um Jo zu küssen. Seine Augen leuchteten und glänzten mich warm an, während sich die stumme Versicherung in ihnen spiegelte, dass er niemals etwas mit einem anderen Mädchen anfangen würde. „Sei ganz beruhigt und genieß die Fahrt. Ich bin auch noch da, wenn du zurück bist.“, stand in dem funkelnden Braungrün. So paradox es auch war, freute ich mich plötzlich noch mehr auf die Klassenfahrt, weil sie bedeutete, dass ich zu Jo zurückkehren konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)