Find your own way von Kokoro-Tamashi ================================================================================ Kapitel 10: Sehnsucht --------------------- Die Gefühle, die am meisten schmerzen, die Gefühlswallungen, die am meisten quälen, sind diejenigen, die ganz absurd sind - Verlangen nach unmöglichen Dingen, eben weil sie unmöglich sind, Sehnsucht nach dem, was nie gewesen ist, Wunsch nach dem, was gewesen sein könnte, Kummer darüber, nicht ein anderer zu sein, Unzufriedenheit mit der Existenz der Welt. Alle diese Halbtöne des seelischen Bewusstseins schaffen in uns eine schmerzerfüllte Landschaft, einen ewigen Sonnenuntergang... Fernando Pessoa   *.: 。✿*゚‘゚・✿.。.:*Taichi*.:。✿*゚’゚・✿.。.:*   Das Quengeln über Hunger, veranlasste die beiden, zunächst in ihrer Beschäftigung inne zu halten. Es hatte keinen Zweck, einen intimen Moment zu genießen, wenn im Hintergrund die Freunde warteten. Im Liberty Island Crown Café, dem bekanntesten Restaurant auf der Liberty Island Insel, wo das Café seinen Namen herhatte, hatte Mimi für sich und ihre Freunde um in Ruhe speisen zu können; einen großen Tisch reserviert. Denn mit so einer großen Anzahl hätten die Freunde sonst niemals einen Tisch bekommen oder säßen alle viel zu weit voneinander entfernt und das wollte die Tachikawa in jedem Falle verhindern. Mimi führte ihre Freunde in einem typisch amerikanischen Diner, die Auswahl der Speisen war kalorienreich und einladend. Die Speisekarte war beeindruckend und die Freunde musterten argwöhnisch was diese zu bieten hatte. Nachdem alle kreuz und quer durcheinandergeredet hatten und zu fast jedem Gericht, die Meinung der Braunhaarigen einholen wollten, gaben sie schließlich die Bestellung auf. Der Kellner wirkte sichtlich überfordert, für die vierzehn Freunde, Getränke und Speisen – in einem mehr oder weniger guten englisch zu verstehen, notierte, was er verstanden hatte und schaffte es aber ohne Komplikationen den Freunden die richtigen Getränke zu bringen.   Nach einer halben Stunde brachte der Kellner schließlich allen Freunden ihr Essen, Taichi, Daisuke und Takeru bestellen sich einen typisch `All American Angus Cheeseburger, während Yamato und Koushiro lieber einen Beast Burger genehmigten. Miyako und Ken teilten sich eine große Portion Hot and Spicy Chicken und Sora, Hikari sowie Jou wollten lieber auf Nummer sich gehen und bestellten Pizza, da die Burger wahnsinnig groß waren, selbst für Yuri gab es einen Veggie Burger, den sie gerne ausprobieren wollte. Mimi und Mira aßen unterdessen lieber einen Salat, der gemeinsam mit einem Sandwich serviert wurde.   Taichi bemerkte die Blicke, die Sora ihm immer wieder zuwarf, aber er schaffte es einfach nicht diese Blicke irgendwie zu erwidern oder auch nur standzuhalten. Zumal ihm auch die Blicke seines besten Freundes unglaublich nervten. Er konnte doch überhaupt nichts dafür, dass die Beiden es nicht hinbekommen hatten. Er musste unbedingt ein Gespräch mit dem Blonden suchen, denn die Freundschaft zu ihm, war ihm zu wichtig und wenn etwas zwischen ihm und Sora geschehen war, wollte er, dass Yamato es lieber von ihm erfuhr, als von dritten.   „Oh Man, ich glaube ich habe noch einen so guten Bürger gegessen“, schwärmte der braunhaarige Igelkopf, während er sich mit seinem Handrücken über den Mund fuhr, um Essensreste abzuwischen. Tadelnd hielt ihm seine Freundin, die neben ihm saß, einer Serviette vor. Eingeschnappt nahm er diese entgegen und zeigte demonstrativ, dass er sehr wohl in der Lage war mit einem Taschentuch seinen Mund zu säubern. „Wirklich beeindruckend, Alter...!“, lachte der ältere Yagami, der das Schauspiel seiner jüngeren Freunde amüsiert beobachtete und gerade dabei war, seine Hände an seinen Hinterkopf abzulegen. „Aber er hat recht, das Essen hier ist wirklich unglaublich lecker“, strahle Miyako die sich genüsslich die Sauce von den Fingern ableckte. „Hmmm...ist es...“, schmatze Takeru zustimmend, während er die letzten Bisse seines Burgers runterschluckte. „Ich gebe mich geschlagen“, seufzte Koushiro, der seinen Bürger von sich weg und zur Mitte des Tisches schob. Gleichzeitig schauten Taichi und Daisuke nachdem Burger und als Taichi gerade Anstalten machen wollten sich dem Bürger zu nähern, hatte Daisuke diesen auch schon verschlungen. „Unglaublich, du Vielfraß hättest ja wenigstens fragen können, ob noch ein andere was möchte!“ beschwerte sich der Ältere. „Also wirklich Daisuke-kun“, jammerte auch Mira und sah ihn erneut strafend an, der wirkte gänzlich überfordert. „Was? Von dem bisschen werde ich niemals satt und dein komischer Salat sättigt mich auch nicht...“ Die Cousine von Mimi seufzte nur theatralisch und hielt sich eine Hand an ihre Stirn. „Wie soll ich diesen Jungen nur jemals satt bekommen?“, fragte sie mehr zu sich selbst. Alle Freunde lachten und Hikari legte nur mitfühlend eine Hand auf die Schulter der Kleineren. „Na ja... du könntest ihn immer noch zum selber kochen zwingen, dann hat sich das mit dem essen nämlich ganz schnell erledigt.“, erwiderte die Braunhaarige und streckte ihren Klassenkameraden die Zunge aus. „Tzz, ihr könnt mich alle Mal.“   Mimi entschuldigte sich kurz bei ihren Freunden, da sie die Toilette aufsuchen wollte. Taichi nutzte die Gunst der Stunde um die Tachikawa auf dem Rückweg abzufangen. Irritiert sah die Jüngere zu dem Yagami auf. „Ich...ich habe doch noch ein Geschenk für dich...“, stammelte der Brünette etwas unbeholfen. Mimi schenkte ihm ein freches Lächeln. „Ich bin bereit, Yagami.“, stichelte sie und hielt ihre Hand auf. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich dich auf einem Flur zwischen den Toiletten beschenke…“, entgegnete der Ältere fast schon beleidigend. Mimi schüttelte belustigt ihren Kopf „Nein, so verrückt bist du nicht...“, Taichi rollte nur mit seinen Augen, wand sich dann wieder der Jüngeren zu und führte sie auf dem Restaurant raus.   Taichi und Mimi liefen schweigend an der Plattform auf dem die Freiheitsstatue stand, entlang. Es war lange her, dass die Beiden nur etwas zu zweit gemacht hatten und unter sich waren. Es war genau genommen ganze vier Jahre her und Taichi wollte den Moment genießen. Er wusste, dass alles kompliziert zwischen ihnen war und dann die Tatsache, dass er sich nach wie vor nicht an die vergangene Nacht erinnern konnte -  schaffte ihn ungemein. Er konnte sich zum Verrecken nicht vorstellen, dass zwischen ihm und der Rothaarigen mehr gelaufen war, er hatte einen kompletten Filmriss, dabei war er sich so sicher, gar nicht so viel getrunken zu haben. Er zuckte kurz zusammen, als er daran dachte, dass Mimi die Nacht mit Koushiro zusammen war und dass sie sich erneut nähergekommen waren. Wütend biss er die Zähne aufeinander und schloss seine Augen, dies blieb auch der Jüngeren nicht verborgen und taktvoll hielt sie den jungen Mann zurück, damit er nicht weiterging. Unsicher besah er die Jüngere „Freust du dich schon auf Japan?“, fragte er nach. Mimi nickte eifrig „Na und ob, alleine auf das Studium freue ich mich riesig und ich freue ich mich auf euch alle und am meisten auf...“, traute sich die angehende Modestudentin nicht ihren Satz zu Ende zu sprechen, während sich ein roter Filter um ihre Nase zog. Taichi grinste sie wissend an. „Freust du dich auf mich?“, fragte er ganz unverblümt nach. „Bilde dir nicht ein, Yagami!“, erwiderte sie schnippisch, drehte sich aber etwas von ihm weg, damit er ihr mittlerweile komplett eingefärbtes rotes Gesicht nicht sah. Mimi hielt sich an dem Geländer fest und blickte auf das Meer um sich zur Ruhe zu besinnen. Taichi stellte sich grinsend hinter die junge Frau und führte innerlich einen halben Freudentanz auf. Er reichte Mimi sein Geschenk und hielt es ihr vor die Nase. Nun sah sie nichts Anderes als das selbst eingepackte Geschenk des Yagamis, während im Hintergrund das Meer gänzlich verblasste.   Aufgeregt nahm sie das Geschenk entgegen und hielt es in ihren beiden Händen. „Na los, mach es schon auf...“, forderte er die Tachikawa nervenerprobt auf. Ein Lächeln zierte das Gesicht der Brünetten, während sie die Tesafilmreste abpiddelte und vorsichtig das Papier abstreifte. Ihr Herzschlag setzte für ein paar Sekunden aus, als sie auf das eingerahmte Bild schaute. Dieses Bild zeigte sie zwei – vor vielen Jahren, an einem besonderen Tag. Auf dem Bild war auch Mietzi zu sehen, mit denen sie den halben Nachmittag gespielt hatten. Wie in Trance schloss die junge Frau ihre Augen und dachte an diesen unvergesslichen Tag zurück....   Lachend ließen sich auf dem Fußboden des Zimmers von dem jungen Yagami nieder und spielten mit der kleinen Katze, die doch mittlerweile gar nicht mehr so klein war. Ganz im Gegenteil, Mietzi hatte sich großartig in den letzten Jahren entwickelt. Ihr Fell war schon lange nicht mehr verwahrlost, es glänzte in voller Pracht. Er hielt sein Versprechen, immer wenn das Mädchen die Sehnsucht verspürte, das kleine Tier zu besuchen, mit ihr zu kuscheln, mit ihr zu spielen, konnte sie die Katze besuchen, immer war der Junge dabei und schon bald bildete sich ein Ritual, das dazu führte, dass das Mädchen wöchentlich vorbeikam. Mimi zählte schon immer die Tage und Stunden bis sie endlich wieder die Katze sehen konnte, doch schon bald bemerkte sie, dass es ihr weniger um die Katze, als vielmehr um sein Herrchen ging, der sie immer mit einem flapsigen Spruch und einem strahlenden Lächeln begrüßte. Die Umgebung und natürlich die Liebe, die das Tier von den Familienmitgliedern der Yagamis erhielt, zeigte wie wohl sich die Katze fühlte, aber dies wunderte das Mädchen in keinster Weise, hätte sie doch auch ohne mit der Wimper zu zucken, ihr zu Hause aufgegeben um ebenfalls bei den Yagamis einzuziehen. Hier würde sie sich auch Pudelwohl fühlen - das war ihr klar.   Noch immer tummelten sie auf dem Fußboden des Kinderzimmers herum, das Mietzi schon lange die Flucht ergriffen hatte, war den Beiden gar nicht klar, da sie viel mehr damit beschäftigt waren sich gegenseitig zu kitzeln und zu necken, anstatt auf die Bedürfnisse der Katze einzugehen. Beleidigt fuhr diese dann ab, als die Beiden im Gerangel miteinander alles um sich herum vergessen hatten. Noch immer kämpften sie freundschaftlich miteinander, als die Brünette sich mit all ihrer Kraft auf den Älteren stürzte um ihn unter sich zu vergraben, dieser lachte über diesen banalen Versuch, ihn zu `besiegen`, konterte indem er nach ihren Beinen griff und diese dann umfiel, noch ehe das Mädchen sich hätte wieder aufraffen können, legte sich der Braunhaarige amüsiert auf das Mädchen.   Das Lachen brach abrupt ab, als sie sich schwer atmend in die Augen sahen. Er nahm ihre Hände, legte diese über ihren Kopf ab, während er anschließend mit seiner Hand sanft um Mimis Gesicht fuhr und mit seinem Daumen über ihre Lippen strich. Ein angenehmer Schauer legte sich um die komplette Haut des Mädchens, ehe sie sah wie der Braunhaarige seinen Augen schloss und seine Lippen auf ihre legte.   Sie küssten sich, es war ihr erster Kuss, es war sein erster Kuss. Der erste richtige Kuss, als hätten sie nie etwas Anderes getan, fuhr er sanft mit seiner Zunge an ihrer Lippe entlang, erst die obere, dann die untere, dann knabberte er etwas mit seinen Zähnen und saugte sich an ihrer Unterlippe fest, während er spielerisch mit seiner Zunge in ihren Mund eindrang, zärtlich umkreiste er ihre Zunge, die sich seiner anschmiegte und leicht neckisch erwiderte. Nach einigen Minuten lösten sie sich schwer atmend voneinander, öffneten ihre Augen und lächelten sich gegenseitig an.   Ihr Gesicht mitten im Raum, liegend auf seinem Fußboden, war das der perfekte Moment, es war ihre beste Zeit, in denen sie meistens nur zu zweit waren, keiner störte sie, keine stellte sich dazwischen, keiner drängte sie auseinander. Es gab nur sie und das war alles was sie brauchten, dies war ihr Augenblick und den würde ihnen auch keiner mehr nehmen...   Die Finger taub und mit brennenden Augen besah die junge Frau das Foto, dass sie zitternd in ihren beiden Händen hielt, als plötzlich seine Hände ihre fanden. „Ich dachte, du würdest dich freuen...“, flüsterte der junge Mann in ihr Ohr. Sie seufzte und nickte, während sie beide den Bilderrahmen umfassten und das Foto darin ansahen. „Danke“, hauchte die Jüngere tief bewegt. „Nicht dafür, es ist ja nur ein Foto.“ Die junge Frau drehte sich mit Glanz in ihren Augen zu dem Älteren herum. „Es ist so viel mehr, als nur ein Foto für mich, zu dieser Zeit teilten wir uns alles, unseren Discman, das erste Bier und den Frust. Es gab nur dich und mich und es war die schönste Zeit...“ sprach sie mit zittriger Stimme aus. „Es war auch meine schönste Zeit, Mimi-chan“, stimmte auch der Braunhaarige zu. „Manchmal wünschte ich, wir könnten einfach dahin zurück, einfach in das Bild eintauchen und für immer in diesem Bilderrahmen bleiben.“ „Aber kein Augenblick, kein Moment lässt sich je wiederholen und was hätten wir davon? Würdest du irgendwas rückgängig machen?“, fragte der junge Mann bei ihr nach. „Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich selten so glücklich war“ antwortete sie ehrlich und schenkte ihm ein hinreißendes Lächeln, jenes Lächeln, dass sein Herz doppelt so schnell schlagen ließ. Er beugte sich etwas zu der Jüngeren runter und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Bah, was sollte das denn?“ hakte die Kleinere nach, als sie sich schmollend die Stelle abwischte, die der junge Mann mit seinen Lippen berührte „Hey, spielst du gerade auf unsere erste Begegnung mit Mietzi an?“ hoffte der junge Mann, das es sein Mädchen nicht wirklich schlimm fand, dass er sie küsste, wenn es auch nur auf die Wange war. Diese lachte laut und streckte ihm die Zunge aus – wie damals. „Du bist unmöglich, Tachikawa...“   Noch eine Zeitlang standen sie so beieinander, während der junge Mann vorschlug wieder ins Restaurant zurückzugehen. Mimi brauchte aber noch einen Moment für sich bat den Älteren schon mal vorzugehen. Taichi ging ohne Mimi ins Restaurant zurück, während er sich noch einmal umdrehte, sie anlächelte und er schließlich aus ihrem Blickfeld verschwand.   Und ihr wurde klar, dass dies ihr schönster Tag war, den sie bisher erleben durfte...     *.: 。✿*゚‘゚・✿.。.: *Mimi*.:。✿*゚’゚・✿.。.:*   Noch immer wirkte Mimi gar ein wenig überrumpelt von dem Geschenk des Brünetten. Mit einem verliebten Lächeln sah sie zu dem kleinen Bilderrahmen. Zaghaft fuhr sie mit dem Zeigefinger die Konturen des kleinen Yagamis nach. Ein angenehmes Kribbeln durchfuhr ihren Körper, kurz bevor sie das Bild in ihrer Handtasche verschwinden ließ. Ein schöneres Geschenk hätte er ihr gar nicht machen können. Es weckte nicht nur Erinnerungen, es weckte auch unterdrückte Empfindungen in ihr aus. Die Tachikawa drehte sich wieder an die Brüstung.   Gedankenverloren lehnte sich Mimi an das Geländer der Plattform, welche die Freiheitsstatue umgab. Mit einem trübseligen Blick in den Augen sah sie auf das Schlagen der Wellen, die gegen die zahlreichen Fähren und Felsen entlang der Küste von der Liberty Island schlugen. Sie hatte sich von ihren Freunden etwas abgeseilt, um einen Moment die vergangenen Geschehnisse Revue passieren zu lassen. Wann hatte sie entschieden, dieses wunderbare Fleckchen Erde zu verlassen? New York, Amerika. Das alles war wirklich ein Erlebnis wert. Hier verbrachte man keinen Tag, keine Nacht, ohne etwas Außergewöhnliches und Unvergessliches zu erleben. Hier hatte sie viele Menschen kennen gelernt, neue Freunde an sich herangelassen und viele Moment gesammelt. Aber es wogen die negativen, traurigen und einsamen Momente weitaus schwerer, als die Positiven. Mit ihren Freunden hatte sie kaum Zeit gefunden, auch wirklich etwas zu unternehmen. Stets war es ihre Pflicht – als Tochter des Chefs – in der Firma präsent zu sein und als Vorzeigetochter parat zu stehen. Zu Beginn hatte es sie mit Stolz erfüllt, ihren Vater so zu sehen. Er schwärmte stets von ihr und predigte allen Azubis, sich ein Beispiel an ihr zu nehmen. Doch mit jedem ausgesprochenen Wort wuchs auch der immense Druck, der sich auf sie ausübte.   Die würde Amerika vermissen. Soviel stand fest. Doch nicht so sehr, wie sie die anderen Digiritter vermisste. Auch wenn es nicht leicht werden würde, hatte sie keinen Moment mit ihrer Entscheidung gehadert. Prinzipiell hatte sie es davon abhängig gemacht, ob sie eine Zusage von der Mode Gakuen bekommen hätte oder nicht. Denn nur damit hatte sie auch was in der Hand. Für ihren Traum nahm sie wirklich viel in Kauf. Schließlich hatte sie in Amerika alles, was sich ein Mädchen in ihrem Alter wünschte. In Japan konnte sie nicht auf die Unterstützung ihrer Eltern hoffen. Denn diese verfolgten gänzlich andere Pläne für ihre Tochter. Pläne, denen sie weder gerecht werden wollte, noch konnte.   Sie zuckte gar ein wenig zusammen, als sie Schritt hinter sich wahrnahm. Überrascht sah sie in die warmen Augen Koushiros, der sich neben ihr an das Geländer lehnte. „Warum stehst du hier so alleine?“, fragte er direkt und musterte Mimi kritisch. Diese lächelte nur schwach. „Ich wollte ein wenig nachdenken“, gestand sie. Koushiro nickte nur und sah sich die unglaubliche Aussicht an. New York war eine wirklich abenteuerliche Stadt. Hier konnte man sicher unglaublich viel erleben.   „Bist du dir eigentlich sicher, dass du das machen möchtest?“, fragte er mit ruhiger Stimme. Verwundert sah die Tachikawa auf. „Was meinst du?“ „Nicht, dass ich mich nicht freue, dich wieder in Japan und somit in meiner Nähe zu haben. Aber wie stellst du dir das vor? Deine Eltern werden dich wohl kaum unterstützen. Irgendwie müssen ja Studiengebühren und Lebenserhaltungskosten getragen werden.“ Die Trägerin der Reinheit musste grinsen. Koushiro hatte sich kein Stück verändert. Noch immer war er der rational denkende Wissende. „Ja, das weiß ich.“ Wieder sah sie zu der Skyline von New York. „Ich kann am Anfang bei meinen Großeltern unterkommen. Ein Freund der Familie hat mir zudem angeboten in seinem Café auszuhelfen. Ich weiß, ein Nebenjob wird wohl kaum die Kosten decken können, aber dann such ich mir eben noch einen“, erklärte sie mit ihrer naiven Art. Ihr Exfreund verzog das Gesicht. „Und wann willst du für die Schule lernen?“, fragte er mit ernsten Ton. „Findest du nicht, dass das etwas naiv ist? So funktioniert das nicht. Du wirst dich noch zu Tote schuften!“, erläuterte der Rothaarige verbissen. Überrascht sah sie ihn an. „Willst du nicht, dass ich mit zurückkomme?“, fragte sie nun traurig. Schockiert erwiderte Koushiro ihren Blick. Schnell schüttelte er den Kopf. „Bist du bescheuert? Natürlich will ich, dass du zurück mit uns kommst. Aber ich will nicht, dass du dafür alles aufgibst, was du dir hier aufgebaut hast.“ Mimi senkte den Blick. „Nichts davon, habe ich mir selbst aufgebaut. Ich war immer nur das verwöhnte Prinzesschen von Mami und Papi… habe mich auf ihren Lorbeeren ausgeruht und musste mich kaum um etwas kümmern. Das einzige, was ich musste, war zu funktionieren, vorbildlich agieren, am besten den Mann heiraten, den sie sich für mich vorstellen und möglichst bald die Firma übernehmen und repräsentieren…“ Wieder sah zu du den aufgeregten Wellen. „Aber das alles bin ich nicht. Ich will keine Firma leiten und nicht nach der Nase von anderen tanzen. Auch wenn es eine Herausforderung ist, möchte ich mir etwas Eigenes aufbauen. Egal, wie schwer es wird, schlimmer als bisher kann es nicht werden. Es ist nur eben das andere Extrem von dem, was ich bisher lebe…!“, erklärte sie aufrichtig und zauberte einen beeindruckten Ausdruck in die Mimik ihres Freundes. Mit ihrem typischen Lächeln machte sie ein Hohlkreuz und streckte sich einmal ausgiebig, kurz bevor sie Izzy ansah. „Außerdem bin ich doch nicht alleine in Japan. Ihr seid doch alle auch da und ich bin mir sicher, dass ihr mich unterstützen werdet!“, lachte sie munter. Nun konnte selbst Koushiro ein Lächeln nicht vermeiden. „Du bist wirklich eine unverbesserliche Optimistin!“, gab er bekannt und nahm ihr Handgelenk. Schneller als sie schauen konnte, trug sie folgend ein Armkettchen an diesem. Verwundert sah sie zwischen dem Schmuckstück und den Augen von Koushiro hin und her. „Womit hab‘ ich das denn verdient?“, fragte die neugierig und sah das Armband an. Es war in einem zarten Rosé-Ton gehalten und besaß einen kleinen Anhänger, der die Form einer Blume hatte. Auf dieser tummelten sich fein verzierte blauviolett schimmernde Applikationen. „Noch ein zusätzliches Geburtstagsgeschenk“, erwiderte er stolz. „Und das, obwohl ihr mir schon ein so tolles Geschenk gemacht habt.“ „Nur ist das eben von mir.“   Mimi hob ihren Arm an und musterte die filigran hergestellte Blütenform des Anhängers. „Ist das eine Kornblume?“, fragte sie neugierig. Koushiro musste lachen. „Hätte mich auch gewundert, wenn du sie nicht erkennst!“ Er nickte. „Wow, das ist wirklich wunderschön!“ „Ich dachte mir schon, dass sie dir gefallen würde. Naja… sie soll dir einfach auch sagen, dass ich immer für dich da bin.“, gestand der Ältere verlegen. „Wow… ich wusste gar nicht, dass du auch eine romantische Seite an dir hast.“, kicherte die junge Frau und musterte noch immer das Geschenk, welches sich perfekt um das schmale Handgelenk der Tachikawa schmiegte. Der Angesprochene schnaubte nur. „Mhm…naja…vielleicht mehr noch, weil da noch eine andere Bedeutung ist“, flüsterte er verlegen und ein roter Filter legte sich auf seine Wangen. Mimi sah von ihrer Musterung auf und ihn interessiert an. „Na los. Spuck es schon aus!“, forderte sie ihn auf.   Verlegen ließ Koushiro seine Hände in den Hosentaschen verschwinden. Er wich gekonnt ihrem Blick aus und sah in den Horizont.   „Ich gebe die Hoffnung nicht auf…“   Augenblicklich weiteten sich die Augen der Angesprochenen und ihr Herz schlug einmal mehr gegen ihre Brust. Sie wusste ganz genau, was er mit diesen Worten meinte und musste schlucken. Im Moment hatten sich so viele Probleme, damit verbundene Empfindungen in ihrem Leben gesammelt, dass sie gar nicht wusste, wo ihr der Kopf stand. Die Trennung von Michael, der gigantische Bruch zu ihren Eltern, das Wiedersehen mit ihren Freunden, Taichi, Koushiro – ihr Exfreund. Sie wusste gar nicht, wo ihr der Kopf stand oder was sie wirklich wollte. Genauso wenig konnte sie sagen, welche Empfindungen sie noch für Koushiro hegte. Natürlich liebte sie ihn. Doch reichte das schon aus, um ihn irgendwelche Hoffnungen zu machen? Er war ihr wahnsinnig wichtig, zu wichtig, um ihn noch einmal mehr zu verletzten. Bis heute wusste sie einfach nicht, was sie wirklich empfand, wie sie es definieren sollte.   „Koushiro, i-ich…“, stotterte sie unsicher. Koushiro legte einen Finger auf ihre Lippen. „Du hast da glaub ich etwas falsch verstanden…“, begann er und legte seine Hand auf ihren Hinterkopf, um sie näher an sich zu drücken. Ihre Wangen färbten sich rot und ihre Augen waren noch immer etwas geweitet. Ihr Herz schlug in dreifacher Geschwindigkeit, als sie seinem folgenden Worten lauschte. „Man kann für viele Dinge Hoffnung haben.“ Er lächelte sie an, als er sie ein Stück von sich wegdrückte und sie ansah. „Zunächst einmal hat sich zumindest mal meine Hoffnung bestätigt, dich wieder an meiner Seite zu wissen…“ Er schloss einen Moment die Augen. „Das reicht mir zunächst. Um alles andere kann man sich auch noch später kümmern.“, erklärte er aufrichtig.   In ihrem Inneren überschlugen sich die Emotionen, als Koushiro sanft und zärtlich seine Lippen an ihre Stirn legte und ihr einen Kuss auf diese gab. Danach schenkte er ihr noch ein herzliches Lächeln, kurz bevor er sich wieder zurück in das Café aufmachte, wo sich die anderen tummelten. Mimi starrte ihm noch eine ganze Zeit nach, wirkte sehnsüchtig und fast schon traurig. Sie wusste, dass sie ihn einst das Herz gebrochen hatte. Die beiden waren ein Paar, waren glücklich und stets ehrlich zueinander gewesen. Der Umzug hatte alles kaputt gemacht. Doch nicht nur das. Auch fremde Gefühle hatten sich in ihr Herz gebannt, die sie unmöglich ignorieren konnte. Damals wie heute nicht. Um ehrlich zu sein, waren diese Gefühle bereits vorher präsent gewesen. Mimi hatte nicht einmal das Bedürfnis verspürt, diese zu ignorieren. Nein, sie hatten sie glücklich gemacht. Mit jedem Augenblick, den sie mit besagter Person verbringen durfte.   Traurig sah sie zu dem wunderschönen Schmuckstück an ihrem Arm. Wenn sie ehrlich war, hatte sie nie die immensen Gefühle seinerseits erwidern können. Sie war sich sicher, dass auch Koushiro das wusste. Dass ihm bewusst war, dass ihr Herz schon lange für Jemand anderen schlug. Trotzdem war er damals die Beziehung mit ihr eingegangen. Koushiro war ihr erster richtiger Freund und dementsprechend hatte er sie auch behandelt. Einfühlsam, liebevoll, auf Händen tragend. So, wie es ein Mädchen wie Mimi immer wollte. Doch das intensive Gefühl der „richtigen“ Liebe blieb aus. Mimi wusste, dass auch das der ursprüngliche Grund für ihre Trennung war. Denn die wahre Liebe hätte jede Entfernung überwunden. Traurig presste sie die Lippen aufeinander. So sehr wünschte sie sich, Koushiro glücklich machen zu können. Viel mehr noch wünschte sie sich, ihn wirklich zu lieben und mit allem, was dazugehörte seine Freundin zu werden. Doch die Empfindungen blieben aus. Es gab für sie keine Möglichkeit, sich dazu zu zwingen. Denn Koushiro war wohl der einzige Mensch, der sie wirklich kannte. Der sie in- und auswendig kannte. Er würde jedes gespielte Gefühl noch vor jedem anderen entlarven. Und es würde ihm noch mehr das Herz brechen, als die unerwiderten Gefühle zu ihr.   Noch eine ganze Weile fixierte sie das grazile Schmuckstück an ihrem Handgelenk. Der junge Mann hatte sich wirklich Gedanken um das Geschenk gemacht. Die Message dahinter war jedoch klar. Trotzdem musste sie leicht schmunzeln. Irgendwie glaubte sie nicht, dass der Rothaarige niemals sein Glück finden würde. Eines Tages würde der Tag kommen, an dem er auch glücklich sein würde. Mimi war einfach froh, die Rolle seiner besten Freundin behalten zu haben. Er war immer so verständnisvoll. Sie würde immer für ihn da und an seiner Seite sein. Denn das gehörte sich schließlich für eine beste Freundin.   Und wer wusste schon, was die Zukunft brachte? Gefühle änderten sich wie das Wetter. Einmal war es heiter Sonnenschein und im nächsten Moment tobte ein Sturm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)