Yajuu 3 von Avyr (-battles against insanity-) ================================================================================ Kapitel 1: Acht Jahre --------------------- Es war eine stürmische Nacht als sie zurückkehrten und ihre Stadt kaum noch wiedererkannten. Die drei Gestalten die gerade die Hochwiesen vor der Stadt erreicht hatten, stockten. Die dunklen Umhänge wehten umher und bliesen beinahe die Kapuzen davon. Man sah die Gesichter nicht, denn was die Kapuze nicht versteckte, war durch einen schwarzen Mundschutz verhangen. Die Gruppe starrte in die Lichter der Stadt, die sich vor ihnen erhob. Nur kleine Teile der Stadt wirkten noch so wie früher, der Rest lag nahezu in Schutt und Asche. In manchen Vierteln mussten Feuer brennen, denn Qualm stieg auf. Dafür standen die anderen Viertel im krassen Gegensatz, die wie eine Festung wirkten. „Was zum Teufel ist denn hier passiert?“, fragte Vale als erstes und brach die Stille. „Sieht aus als hätte da unten ein Krieg gewütet… oder tut es immer noch.“, meinte Pik beunruhigt. Ich schwieg weiterhin und blickte noch immer schockiert auf die Stadt. „Ist wohl nicht so, wie ihr es in Erinnerung hattet was?“, ertönte plötzlich eine Stimme und Pik und Vale fuhren sofort angriffsbereit herum. Ich drehte nur leicht den Kopf. An einen Baum gelehnt stand Kyria mit verschränkten Armen. Es überraschte mich kaum, dass sie uns bereits bemerkt hatte. Sie war ja Experte darin, Auren zu spüren. „Lange nicht gesehen.“, sagte sie nun etwas freundlicher. „Hallo Kyria, freut mich auch.“, gab ich freundlich zurück. „Ah, du weißt also wieder wer ich bin, ja?“, fragte Kyria erfreut, „Wie schön, hat ja auch recht lang gedauert, was?“ Ich seufzte, denn sie hatte Recht. Meine Erinnerungen waren erst seit einigen Monaten wieder komplett zurückgekehrt und mittlerweile waren so ganze acht Jahre ins Land gegangen, seit unsere kleine Gruppe aufgebrochen war. In dieser Zeit hatte ich wirklich viel von der Welt kennengelernt. Doch unseren eigentlichen Auftrag, den Parasiten ausfindig machen und vernichten, konnten wir nicht erfüllen. Wann immer wir eine schwache Spur gefunden hatte, stellten sich jene sehr schnell als Trugschlüsse heraus. Rasend schnell war so die Zeit ins Land gegangen und damit wir nicht völlig sinnlos umherzogen, hatten Pik, Vale und ich angefangen, gelegentlich Aufträge von Einheimischen anzunehmen, wenn Dämonen, Exile oder Ähnliches Probleme bereiteten. Mit der Zeit waren wir so zu einem eingespielten Team geworden. Das Rätsel blieb jedoch: Wo war der Parasit hin verschwunden? Teilweise kam es mir fast so vor, als existiere er gar nicht, auch wenn ich wusste, dass Seraphis sich das nicht ausgedacht haben konnte. Schließlich war sie es auch, die uns zurück in diese Stadt führte. Vor wenigen Wochen erreichte uns eine Nachricht von ihr. Offenbar hatte der Parasit die Stadt nie verlassen, wie wir ursprünglich angenommen hatten. Er befand sich zwar irgendwie auf der Flucht, doch hatte er sich letztlich genau vor aller Augen versteckt. Denn nicht nur wir suchten nach ihm. Auch die Hunter und auch Lucius Organisation hatten beide eigene Interessen, ihn ausfindig zu machen. Es war also ein Rennen gegen die Zeit. Und doch fragten wir uns alle, wieso ihn niemand finden konnte. So plagten mich gewisse Selbstzweifel an der Richtigkeit unserer Reise. Natürlich hatte ich anfangs keinerlei Erinnerung daran, was ich hier in dieser Stadt schon wieder zurückgelassen hatte, aber ich hatte doch bis eben noch gehofft, dass alles so sein würde, wie immer. Ein Trugschluss. Die Stadt war in einem katastrophalem Zustand. „Du hast dich echt verändert.“, stellte Kyria nun fest, „Ihr drei könnt eure Aura echt gut verbergen. Ich bezweifle, dass euch außer mir sonst noch jemand bemerkt hat. Aber Lua, deine Aura ist ja gar nicht mehr wiederzuerkennen.“ „Ich weiß…“, bemerkte ich, „Liegt wohl daran, dass ich jetzt wieder so bin, wie ich eigentlich geboren wurde. Damals war meine Aura noch verfälscht.“ „Hm sowas hab ich mir fast schon gedacht.“, bemerkte Kyria unbeeindruckt und bewegte sich nun auf mich zu. Sie blieb vor mir stehen und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Ich freue mich sehr, dass es dir gut geht.“ „Ich mich auch.“, gab ich glücklich zurück und umarmte sie. Damit rechnete sie offensichtlich nicht, aber sie ließ mich gewähren. Immerhin war Kyria ja noch nie der knuddelige Typ gewesen. Dann löste ich mich wieder von ihr und die Stimmung wurde ernster. „Sag Kyria, was ist denn hier nur passiert? Die Stadt liegt ja halb in Trümmern.“ Kyria seufzte und folgte meinem Blick. „Ja es ist viel geschehen. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.“ Da fiel ihr scheinbar etwas anderes ein und sofort starrte sie unbeirrt zu Pik, der genauso verhüllt wie Vale und ich war und doch erkannte sie ihn offenbar sofort. „Moment mal.“, begann sie verwirrt, „Solltest du nicht tot sein?“ Pik lachte auf. „Naja Lua war wohl der Meinung, dass es noch zu früh dafür ist, dass ich den Löffel abgebe. Und außerdem… Leben Tote nicht eh länger?“ „Du steckst ja voller Überraschungen was?“, meinte Kyria nun anerkennend und ließ es dabei bleiben. Dann räusperte sie sich und kam zum eigentlichen Thema zurück. „Ok in der Stadt herrscht zur Zeit großes Chaos müsst ihr wissen. Einige Monate nach deinem Verschwinden trat erstmals eine Gang ins Leben, die aus diversen Halbyajuu, Yajuu und Exile besteht. Der Anführer wird von allen nur „Red Alpha“ genannt, denn überall wo er auftaucht, hinterlässt er eine Spur aus Blut. Nicht nur hat er den Huntern und Van Serenberg den Krieg erklärt, er ist auch Menschen gegenüber äußerst brutal und herzlos. Sie sind quasi Freiwild. Große Teile der Stadt werden von seiner Gang beherrscht.“ „Das sind dann wohl die Orte, die da unten so zerstört aussehen, was?“, fragte Vale mürrisch. „Ganz Recht.“, bestätigte Kyria, „Die Hunter und Van Serenberg haben ihn anfangs nicht ernst genommen und deswegen herbe Verluste erlitten. Mittlerweile stehen die drei Gruppen aber in einer Patt-Situation. Das Viertel im Norden, was dahinten aussieht wie eine Festung, gehört den Huntern. Die beschützen zwar die Menschen, aber nur die, die beweisen können, dass sie nicht infiziert sind…“ „Und das im Westen?“, fragte nun Pik. „Das steht unter dem Schutz von Serenberg. Da leben auch einige Menschen, weil die grundsätzlich erstmal alle da rein lassen, jedoch nur die, die sich das auch leisten können.“, erklärte Kyria weiter und verzog verärgert das Gesicht. „Was ist dann mit den Menschen, die infiziert sind, aber kein Geld haben?“, fragte nun ich besorgt. „Tja, sagen wir es so. Nicht alle Exile der Gegend unterstützen den Red Alpha. Ich hab die zusammengesucht, die ihre Familien und Freunde beschützen wollten und halte derzeit ein recht kleines Viertel am Stadtrand in der Nähe vom Tiergarten.“, erklärte Kyria. „Ihr beschützt die Menschen?“, fragte ich neugierig. „So gut es eben geht. Leider sind viele der friedlichen Exile nicht die besten Kämpfer… ist nicht so leicht das alles.“, seufzte sie. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen bei all diesen Dingen und sofort brannte mir nur eine Frage auf der Zunge. „Kyria… sag mir bitte, dass…“ „Keine Sorge.“, beruhigte sie mich sofort und lächelte aufmunternd. „Tiara und den Zwillingen geht es gut. Euer Haus lag ja leider in einem der gefährdeten Viertel, also habe ich sie mit zu mir in eine Wohnung genommen.“ Sofort fiel mir ein Stein vom Herzen. „Wie kann ich mich dafür nur je revanchieren? Du hast so viel für uns getan ich…“ Kyria winkte ab. „Du brauchst dich nicht zu revanchieren. Ich habe euch sehr gern geholfen und mittlerweile sehe ich euch sowieso als meine Familie an und die würde ich nie im Stich lassen. Die Zwillinge sind übrigens sehr talentierte Kämpfer geworden.“ „Du hast ihnen das Kämpfen beigebracht?“, fragte ich verwundert. „Ja sie haben mir fast ein Ohr abgekaut, bis ich zugestimmt habe. Aber in dieser Zeit ist es nicht von Nachteil, dass sie das können. Im Gegenteil. Aber keine Sorge, ich lasse sie nicht in die Frontlinie rennen.“ Da war ich beruhigt. „Und wie geht es Tiara so?“, fragte ich stattdessen. „Ihr geht es ebenfalls gut. Sie hilft im Viertel aus, wo sie nur kann. Sie hilft uns dabei Essen, Kleidung und Sonstiges unter die Leute zu bringen, die alles verloren haben. Sie ist dir eigentlich nicht unähnlich.“ „Wow…“, seufzte ich traurig, „Ich habe so viel von ihren Leben verpasst. Sie alle sind jetzt erwachsen, huh? Ich sehe Tiara und die Zwillinge immer noch vor mir, wie sie bei mir und Luca wohnten und jetzt sind einfach so viele Jahre vergangen…“ Einen Moment brauchte ich noch, bis ich fortfahren konnte. Ich war wirklich froh, dass es den Dreien gut zu gehen schien und das sie wenigstens Kyria als Verlässliche Person an ihrer Seite gehabt hatten und doch war ich traurig, dass ich all diese Jahre mit ihnen verpasst hatte und auch nie würde nachholen können. „Ok…“sagte ich nach einer Weile, „Und was ist mit Luca? Bis jetzt hast du nichts von ihm erwähnt. Wie geht es ihm?“ Da sah ich das Zögern in ihrem Blick und die wohlgewählten Worte, die danach folgten. „Es geht ihm wohl gut, denke ich.“ „Denkst du?“, fragte ich verwirrt, „Ist er denn nicht bei euch?“ Da ging ein Funkeln durch ihre Augen und ich ahnte, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte. „Was ist los Kyria?“, fragte ich mit mehr Nachdruck. Kyria knirschte kurz mit den Zähnen bis sie mit der Sprache herausrückte. „Sagen wir es so… Der Red Alpha ist eine Chimäre. Mehr muss ich dazu wohl nicht sagen.“ Es zog mir die Kinnlade herunter und auch Pik sah ich an, dass er ebenso entsetzt war. „Aber wie? Was? Das ist doch…“, stotterte ich und bekam keinen sinnvollen Satz heraus. „So etwas würde er doch nie tun!“ „Früher ja… aber wie gesagt, es hat sich Vieles geändert.“, meinte Kyria bitter, „Ich kann dir nicht sagen, warum es so gekommen ist oder wie er es geschafft hat, so mächtig zu werden, aber eines steht fest: Es begann kurz nachdem Pik gestorben war.“ „Was ich?“, fragte dieser ungläubig. Kyria nickte. „Anfangs war er einfach nur ständig schlecht drauf und wirkte irgendwie verbittert, doch dann wurde er aggressiv und zunehmend auch herzlos. Als er begann Menschen zu jagen, da stellte ich ihn schließlich zur Rede, doch er war nicht mehr wiederzuerkennen. Er ist regelrecht von Hass und Rachelust zerfressen gewesen. Offenbar will er es mit der ganzen Welt aufnehmen.“ Fassungslos starrte ich sie an und schwieg. „Den Huntern gibt er die Schuld an deinem Verschwinden.“, erklärte Kyria nun, „Und van Serenberg macht er für die Sache mit Pik verantwortlich. Als er anfing herum zu wüten, gab es unzählige Exile und Halbyajuu, die sich ihm nur zu gern anschlossen. Tja und jetzt sind wir also hier.“ „Das verstehe ich nicht.“, meldete sich Vale nun, „Du bist doch die Nummer Zwei der schwarzen Liste… es sollte für dich doch kein Problem darstellen ihn auszuschalten.“ Sie lachte kurz auf. „Da hast du absolut Recht.“, stimmte sie zu, „Doch so einfach ist das nicht. Mit Luca allein käme ich schon klar. Auch mit dem Großteil seiner Leute, doch da gibt es speziell zwei, die die Sache sehr verkomplizieren. Außerdem kann ich nicht einfach ständig das Viertel verlassen. Wir werden ständig angegriffen und die anderen brauchen mich zur Verteidigung.“ „Ok und wer sind die beiden, die dir so den Kopf zerbrechen?“, fragte Vale neugierig. „Dein Name war doch Valentin oder?“, fragte Kyria. „Jup.“, gab er sofort zurück. „Wenn ich mich Recht erinnere bist du doch Listenplatz 13 oder? Dann solltest du den Einen sehr wahrscheinlich kennen. Es handelt sich um die rechte Hand des Red Alpha, Platz 11 der Liste und unter dem Namen Nokogiri bekannt.“ Vale stockte. „Was… er?“ Ich wusste zwar, dass Vale einen Listenplatz hatte, aber das er so einen hohen Rang inne hatte, war mir bisher unbekannt. Allgemeint wusste ich tatsächlich recht wenig über Vale. Er sprach nicht gern über seine Vergangenheit und bisher hatte ich vermieden ihn darüber auszufragen. Doch er schien regelrecht entsetzt über die Tatsache, dass dieser Nokogiri für Luca arbeitete. „Tja das ist wirklich ein Problem.“, sagte Vale nach einiger Zeit. Verdaut hatte er das noch nicht, aber er hatte sich wieder etwas beruhigt. „Er ist der beste Taktiker und Stratege den ich kenne und hat wirklich umfangreiches medizinisches Wissen. Immerhin war er mal Arzt…“ „Oje…“, seufzte ich über diese tollen Aussichten. „Und wer ist das zweite Übel?“, fragte Pik nun ebenfalls resignierend. „Auch ein Listenplatz und das größte Problem der Geschichte, weil es ein recht gefährlicher Dämon ist. Sie hat ja „nur“ Platz 9, aber selbst ich darf sie nicht unterschätzen.“, meinte Kyria, „Denn es handelt sich um eine Hexe.“ „Eine Hexe?“, knirschte Pik, „War ja klar, dass sie da mit drin hängt. Luca muss ja für sie wie ein gefundenes Fressen gewesen sein… Verdammt. Ich hätte es wissen sollen, dass ihr nicht zu trauen ist.“ Ich war hingegen verwirrt. Hexen? Sowas kannte ich nur aus Märchen. „Was ist denn so gefährlich an ihr?“, fragte ich naiver Weise, „Und ist sie so eine Hexe wie aus den Legenden?“ Dieses Mal erklärte Pik. „Hexen sind keine Menschen, sondern Dämonen, also schon mal anders, als in den Märchen. Sie wirken meist recht harmlos, sind sie aber ganz und gar nicht. Grundsätzlich ist die Grundlage ihrer Macht das Wünsche erfüllen.“ „Wünsche?“, fragte ich neugierig. „Ja, man kann sich von ihnen im Prinzip alles wünschen und da beginnt das Problem. Die Hexen beziehen ihre Macht aus den Konsequenzen, die aus den Wünschen resultieren. Je katastrophaler diese sind, desto mehr Macht schöpfen sie daraus. Dazu kommt, dass sie natürlich mehr als nur einen Wunsch gleichzeitig erfüllen. Wenn Luca jetzt aber tatsächlich einen Vertrag mit ihr hat, dann muss ihre Macht bei diesem Chaos wirklich geradezu explodieren. Deswegen macht sich Kyria auch solche Sorgen.“ „Ok, aber letztlich muss sie doch auch zu besiegen sein oder?“, fragte ich nun. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie so gefährlich war. „Natürlich geht das. Niemand ist unsterblich.“, warf Kyria ein, „Aber Hexen können noch weit mehr, als nur Wünsche erfüllen. Sie können ihre Magie auch für eigene Zwecke einsetzen und die nutzen die Hexen wirklich gern um manch einen Vertrag auch mal zu manipulieren, um die Konsequenzen zu steigern, weißt du? Oft verführen sie dazu ihre Vertragspartner sogar. Tatsächlich sind sie was das angeht den Succubi sehr ähnlich.“ Jetzt machte ich mir wirklich Sorgen. Wenn Luca mit so einer zu tun hatte, dann konnte das ja nur übel enden. Doch mir war bewusst, dass ich mich darum jetzt nicht kümmern konnte. Ich hatte andere Aufgaben, die dringender waren. Aber irgendwann würde ich das Problem beheben, das schwor ich mir. Ich war kein schwacher Mensch mehr, der keine Ahnung von sich selbst hatte. Meine Pflichten wiegten viel und eigennütziges Handeln war jetzt einfach fehl am Platz. Das wussten auch Pik und Vale und daher war klar, was unsere nächsten Schritte sein würden. „Ok…“, begann ich schließlich, „Wir werden auf jeden Fall weiterhin unerkannt bleiben müssen. Früher oder später werden wir wohl auf eine der drei Parteien treffen, aber das darf uns nicht ablenken.“ „Was genau erledigt ihr für Seraphis eigentlich?“, fragte Kyria mich ernst. „Kurz gesagt suchen wir Etwas, was die Hunter in ihren Laboren erfunden haben. Seraphis nennt es einen Parasiten und wir wollen ihn finden und unschädlich machen. Wenn wir mehr Zeit haben, kann ich dir mehr darüber erzählen, in Ordnung? In der Zwischenzeit wäre es aber sicher erstmal wichtig, dass wir Kontakt zueinander halten können. Ich hab da auch schon eine Idee.“ Mir war gerade eine Idee gekommen. „Also eine Art Biowaffe… Nun gut, ich hatte so etwas schon fast erwartet. Klingt auf jeden Fall nicht gut. Aber du hast Recht, das ist nicht der rechte Zeitpunkt, das auszudiskutieren. Ich kann ohnehin nicht zu lange vom Viertel fortbleiben.“, erwiderte Kyria nickend, „Aber untereinander in Kontakt bleiben, halte ich für eine sinnvolle Idee.“ „Gut. Dann nimm das hier mit. Damit können wir Kontakt halten.“, sagte ich und materialisierte etwas, dass aussah wie ein kleiner Ohrstecker. Ich reichte ihm Kyria und erklärte: „Über mein Silber kann ich überall hin Kontakt halten. Solange du es bei dir trägst, können wir darüber kommunizieren.“ „Ist ja praktisch.“, grinste Kyria anerkennend und nahm den Stecker entgegen. Sie hatte ja mehrere Piercings am Ohr. Also wechselte sie einen der Stecker einfach kurzerhand aus und es fiel gar nicht auf. „Dann mache ich mich jetzt auf den Rückweg. Ich war schon viel zu lange fort.“, verabschiedete sie sich nun. Tatsächlich hatten wir über eine Stunde hier miteinander gesprochen und ich ahnte, dass sie sich Sorgen machte. „Ihr seid in unserem Viertel jederzeit willkommen.“, rief sie uns noch zu und verschwand sofort. Als Kyria gegangen war, meinte Pik zu mir: „Sieht ja übel aus hier. Könnte die Sache echt schwierig gestalten.“ „Ich weiß, aber wir schaffen das schon.“, wollte ich ihn aufbauen. „Ich kann nicht glauben, dass Luca so eine Scheiße baut.“, knirschte er nun mit den Zähnen. „Ich auch nicht.“, stimmte ich ihm traurig zu. „Hoffentlich können wir daran irgendwann etwas ändern.“ Aber auch Vale schien betrübt. Ich nahm an, dass es an der Person lag, die Kyria eben erwähnt hatte, diesem Nokogiri. „Na gut.“, meinte Pik nun und raffte sich auf. „Dann mache ich mal das, was ich am besten kann und beschaffe Informationen. In ein paar Stunden bin ich wieder da.“ Vale und ich nickten ihm zu und damit machte er sich auch schon auf den Weg. Es war wirklich praktisch einen ehemaligen Informanten dabei zu haben, denn Pik verstand sein Handwerk wirklich gut. Manchmal bewunderte ich ja, wie er es schaffte, immer wieder Dinge in Erfahrung zu bringen, die als absolutes Geheimnis galten. Ich war wirklich froh, dass er dabei war. Auch aus dem Grund, weil er mir wirklich wichtig geworden war. Dasselbe galt auch für Vale. Die beiden waren wie große Brüder für mich, die immer auf mich Acht gaben ohne mich dabei zu unterschätzen. Anfangs war es etwas schwierig gewesen. Pik musste sich natürlich erst daran gewöhnen eine Chimäre zu sein. Der Hunger auf Fleisch und die Jagdlust waren Neuland für ihn und auch ich musste mich erst wieder an diese Dinge gewöhnen. Zumal ich als Kind nicht mal jagen musste, hatte meine Mutter mir das doch immer heimlich besorgt. Vale hatte uns da jedoch gut weiterhelfen können. Immerhin war er schon deutlich älter als wir mit seinen mittlerweile über 90 Jahren Lebenserfahrung. Auch für ihn war es ja eine Umstellung. Er war es gewohnt gewesen, allein zu sein und nun hatte er permanent zwei Rookies im Schlepptau. Doch irgendwie hatten wir uns alle zusammengerafft und heute waren wir hier. „Meinst du, Luca bekommt bald einen Listenplatz?“, dachte ich laut nach. „Wenn er so weiter macht, dann kann es nicht mehr lange dauern und ich bezweifle, dass er dann niedrig einsteigt.“, bemerkte Vale neben mir. Das hatte ich befürchtet. „Egal. Ich sollte mir jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen.“, beschloss ich für mich selbst und dann warteten wir unruhig, bis Pik zurückkehren würde. Kapitel 2: Romeo und Julia -------------------------- Tiara blickte auf die Uhr und wunderte sich, wo schon wieder die Zeit geblieben war. Wenn sie sich nicht beeilte, käme sie noch zu spät. Schnell schnappte sie sich ihre Sachen und verließ die Wohnung, die sie sich mit Kyria teilte. Doch Kyria war gerade nicht da und die Zwillinge, die gleich nebenan wohnten, waren mit ihr gegangen. So bemerkte niemand, dass Tiara das Haus verließ und sich gen Tiergarten aufmachte. Eigentlich war es nicht gern gesehen, wenn sie als Mensch um diese Uhrzeit allein unterwegs war. Hinzu kam, dass der Tiergarten gerade außerhalb der sicheren Zone lag und sie jedes Mal ein großes Risiko einging, wenn sie ihn besuchte. Geschickt überwand sie den Zaun, der das Viertel abgrenzte und durchkämmte die schlammigen Wege. Als sie den Tiergarten erreichte, wurde sie wieder traurig. Früher war das so ein schöner Ort gewesen, aber seit dieser Bandenkrieg angefangen hatte, war er aufgegeben und größtenteils zerstört worden. Der Besitzer des Gartens, Herr Takato, hatte sich bis zum Schluss geweigert, den Garten aufzugeben und war letztlich bei einem der Angriffe getötet worden. Allein der Gedanke daran stimmte Tiara traurig. Mit ihren 20 Jahren hatte sie schon viel miterleben müssen. Yara und Seth, die ja nur vier Jahre älter waren, waren mittlerweile sogar selbst Kämpfer geworden und sie war sich sicher, dass das nie geschehen wäre, wenn alles friedlich geblieben wäre. Noch immer wünschte sie, würde sie Antworten erhalten, weshalb Luca das alles tat. Als er sie verlassen hatte, war dies ein herber Schlag gewesen. Doch noch schlimmer war es gewesen, zu erfahren, dass er solch schlimme Dinge tat. Während sie den Tiergarten durchschritt und dabei die verwahrlosten Gehege betrachtete, schwelgte sie in Erinnerungen. Wie sehr wünschte sie sich diese Zeiten zurück, in denen ihre Familie noch intakt war. War schon verdammt lange her. Endlich hatte sie die ehemaligen Eulenvolieren erreicht und sie setzte sich auf die nahe gelegene Bank. Nun erinnerte sie sich an Lyra, den zahmen Uhu zurück, den sie oft besucht und gerne gestreichelt hatte, bevor Kei ihn und die anderen Eulen freigelassen hatte, weil der Tiergarten nicht länger gehalten werden konnte. Das Wetter war heute nicht das Beste. Es stürmte und regnete in einer Tour, aber das störte sie nicht. Je länger sie hier aber allein saß, desto nervöser wurde sie. Immerhin war sie ein gefundenes Fressen hier und im Gegensatz zu den Zwillingen konnte sie nicht besonders gut kämpfen. Das war einfach nicht ihr Ding. Da vernahm sie ein verdächtiges Rascheln und sofort spannten sich all ihre Muskeln an, bereit wegzulaufen. Sekunden später legte sich ein Arm um ihre Schultern und sie entspannte wieder. „Musstest du lange warten?“, fragte er besorgt, „Sorry, aber ich kam einfach nicht früher weg.“ Tiara begann sofort zu lächeln. Sobald er da war, ging es ihr gleich viel besser. „Nein, nein, bin erst ein paar Minuten hier.“, antwortete sie und Kei nahm neben ihr Platz. Sofort kuschelte sie sich an seine Seite und genoss die Wärme. „Heute mal gelb?“, fragte sie und grinste. Gemeint waren die Kontaktlinsen. „Klar, hatte ich schon lange nicht mehr.“, gab er breit grinsend zurück und die beiden gaben sich einen kurzen Kuss. „Oh man, wenn Kyria wüsste, was ich hier mache, sie würde mir den Kopf abreißen.“, stellte Tiara nun amüsiert fest. „Joa, kann ich so unterschreiben. Ich würde dich ja gern direkt besuchen kommen, dann müsstest du nicht ständig euer sicheres Viertel verlassen, aber ich bezweifle, dass ich da ein gern gesehener Gast wäre.“ Kei wirkte nicht gerade glücklich darüber, dass Tiara sich ständig für ihn in Gefahr begab. „Nicht schlimm. Bisher ist doch nie was passiert und solange wir zusammen sind, bin ich doch sowieso sicher.“, meinte sie selbstsicher und versetzte ihm einen leichten Knuff in die Seite. „Wie läuft es denn so bei euch? Was macht Luca?“ Während Kei ihr gedankenverloren über den Arm streichelte, begann er zu erzählen. „Ist eigentlich alles wie immer. Gibt wohl ein paar Gerüchte, dass ein paar Fremde in die Stadt gekommen sind, aber das konnten wir noch nicht bestätigen. Und was ihn angeht… ist mies gelaunt. Also wie immer eigentlich.“ „Tut mir Leid, dass du…“, meinte Tiara schuldbewusst. „Ach quatsch.“, unterbrach Kei sie und drehte mit einem Finger ihr Kinn in seine Richtung. „Du wolltest ihn doch im Auge behalten und ich hab meine Hilfe angeboten, also was soll´s. Du weißt ja, ich hab nicht umsonst meinen Rang bekommen.“ „Ist irgendwie schlecht vorstellbar, dass du so brutal gewesen sein sollst.“, bemerkte Tiara. „Immerhin bist du immer so friedlich drauf.“ Da begann Kei zu lachen. „Oh ich bin nur bei dir friedlich. Soll ich dir mal ein Geheimnis verraten?“ „Was denn?“, fragte sie neugierig. Kei kam ihr näher, sodass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. „Als wir das erste Mal miteinander gesprochen haben und ich dich dann nach Hause gebracht habe, hatte ich eigentlich vor, dass du als kleiner Abendsnack endest.“ Tiara blieb gelassen. „Und wieso hast du es nicht gemacht?“ Da gab Kei ihr einen Kuss. „Weiß nicht. So ein Gefühl einfach. Ich meine, warum bist du denn nicht gleich davongerannt, als du herausgefunden hast, dass ich eigentlich ein gelisteter Exile bin?“ Tiara erwiderte den Kuss. „Weiß nicht. Auch so ein Gefühl.“ Die beiden trennten sich voneinander und Kei legte die Stirn in Falten. Auch wenn er es zu verbergen versuchte, konnte Tiara ihm seine Augenringe deutlich ansehen. Er wirkte müde, aber das größere Problem lag woanders begründet und Tiara wusste das ganz genau. Seine Stirn ruhte nun auf ihrer Schulter und sie konnte hören, wie er stoßweise atmend, versuchte, seine innere Balance irgendwie zu halten. „Wann hast du denn das letzte Mal was gegessen?“, fragte Tiara besorgt. „Schon ´ne Weile her. Ich steh nicht so auf dieses abschlachten.“, flüsterte er schon fast. „Nur zu, brauchst dich nicht zurück zu halten.“, gab Tiara leise zurück und merkte schon, wie er mit der Zungenspitze ihre Hauptschlagader entlang fuhr. Sie konnte seine Erleichterung sofort spüren, als sie ihm die Erlaubnis gegeben hatte, wenngleich er ganz genau wusste, dass sie ihm niemals ein Verbot erteilt hätte. Ein leichtes Kribbeln ging durch ihren Körper, dann biss er zu. Kei passte stets auf, dass er ja nicht zu viel Blut trank, wenn er sich an ihr bediente und Tiara hatte sich schon längst daran gewöhnt. Zwar zwang sie das immer irgendwelche Schals oder Halstücher zu tragen, aber für ihn nahm sie das gerne in Kauf. Als er fertig war, drückte er sie an seinen Oberkörper. „Du hast was Besseres verdient, als so einen alten Exile wie mich.“, seufzte er leicht niedergeschlagen. Sie wusste, dass Kei deutlich älter war, als er aussah. So schätzte man ihn irgendwo zwischen 25 und 30, aber in Wahrheit war er bereits um die 200 Jahre am Leben und war damit sogar älter als Kyria. Nicht dass sie es kümmerte. Die beiden waren nun seit etwas über 3 Jahren ein Paar und davor schon sehr gut befreundet gewesen. Die 8 Jahre, die sie ihn letztlich nun kannte, hatte sie nicht einen Moment bereut. Für einen Moment schwiegen nur beide und genossen einfach die Gegenwart des jeweils anderen. Tiara war zwar nur einen Bruchteil so alt wie er, aber einer Tatsache war sie sich bewusst: Beide konnten längst nicht mehr ohne den jeweils anderen sein. Ohne dass sie es bemerkt hatten, waren sie abhängig voneinander geworden. Doch während Tiara diese Tatsache längst akzeptiert hatte und es sich auch gar nicht mehr anders wünschte, wusste sie, dass Kei das nicht so leicht fiel. Die genauen Gründe dafür kannte sie nicht, aber sie wusste, dass er einen großen Teil seines Lebens als Einzelgänger verbracht hatte, der sich nie um andere gekümmert hatte. Manchmal fragte sie sich, ob er mit seinen eigenen Gefühlen für sie überfordert war. Also versuchte sie einfach ihr Bestes für ihn da zu sein, denn das war etwas, was er mit sich selbst regeln musste. „Und läuft bei euch auch alles gut?“, fragte Kei nun und brach damit die Stille. „So ziemlich. Letzte Nacht haben ein paar Leute eurer Gang angegriffen, aber Kyria hat sie niedergemacht. Ansonsten ist es eigentlich alles wie immer.“, meinte sie daraufhin locker. „Gut zu hören. Könnt echt von Glück reden, dass so ein hohes Tier auf eurer Seite ist. Ohne sie sähe die Lage sicher ganz anders aus.“ Kei kannte Kyria nur vom Hören und hatte sie nur einmal gesehen. Aber das war schon viele Jahrzehnte her und zu einer Zeit, als Kyria noch selbst am herumwüten war. Komisch wie sich die Zeiten doch änderten. Irgendwann wurde es jedoch Zeit sich zu verabschieden. Obwohl sich beide nicht voneinander trennen wollten, musst es sein. Kei brachte Tiara bis an die Grenze vom Viertel und so nah er eben wagen konnte, mitzugehen. Mit einem langen Kuss verabschiedeten sich die beiden voneinander. Sie wussten ja nie, wann sie sich das nächste Mal würden treffen können und so schmerzte jeder Abschied umso mehr. Kei sah Tiara noch zu, wie sie verschwand, bis er sie in der stürmischen Nacht nicht mehr sehen konnte. Dann machte auch er sich auf den Rückweg. Er war noch nicht sehr weit gekommen, als er eine Aura spürte, die ihn beobachtete. Er tat so, als würde er es nicht bemerken und setzte seinen Weg eine Weile fort. Doch er wurde weiterhin verfolgt. Als es ihm reichte, beschloss er, dem Treiben ein Ende zu setzen. Blitzschnell war er verschwunden, was seinen Verfolger offenbar aus dem Konzept brachte. Als Kei nur Augenblicke später hinter seinem eigenen Verfolger auftauchte, staunte er nicht schlecht. Es handelte sich um jemanden aus der Gang, ein Halbyajuu, dessen Namen Kei nicht einmal kannte. „Was machst du denn hier?“, stellte Kei ihn zur Rede. „Ich ähm…“, stotterte sein Gegenüber und drehte sich hektisch um. „Hast du mich etwa beobachtet?“, fragte Kei und seine Aura wurde von Sekunde zu Sekunde bedrohlicher. Das war die Seite an ihm, die Tiara nie kennenlernte. Der Exile und der erbarmungslose Mörder, der er auch sein konnte, wenn er es wollte. „Du hast sie gesehen oder?“, fügte er eiskalt hinzu. „N… Nein, ich war nur rein zufällig hier. Ich schwöre!“, gab sein gegenüber nervös zurück. Seine Stimme zitterte mit jedem Wort und Kei erkannte die Lüge sofort. Er seufzte und begann anschließend bitter zu grinsen. „Nun mein Lieber. Jetzt haben wir wohl ein Problem.“ Schon war seine Hand um die Kehle des Halbyajuu. „Ich kann nämlich unmöglich zulassen, dass irgendjemand von Tiara erfährt.“ Keis Augen glühten auf, was man sogar durch die Kontaktlinsen noch sehen konnte und ein erstickender Laut war von seinem Gegenüber zu hören. Dann brach er leblos zusammen. Kei ließ ihn zu Boden fallen und streckte sich müde aus. „Oh man, muss demnächst besser aufpassen.“, seufzte er und kehrte ins Hauptquartier der Gang zurück. Dieses lag so ziemlich mitten in der Stadt. Rundherum waren die Straßen zerstört und die Häuser so beschädigt, dass sie allesamt einsturzgefährdet waren. Überall brannten Ölfässer und sorgten somit für Beleuchtung in den Straßen, da kaum noch eine Laterne hier funktionierte. Wohin man auch sah, erkannte man mehr oder weniger frische Blutlachen an Böden und Wänden. Hatte man diesen Streifen des puren Chaos durchquert, erreichte man einen Ort, der wie eine Stadt in der Stadt wirkte. Es hatte sich zu einem regelrechten Ghetto entwickelt in dessen Mitte der Wohnsitz des Anführers lag. Im gesamten Ghetto herrschte quasi Anarchie. Nur wenige Leute hatten hier was zu sagen. Es gab sogar ein paar Menschen hier, die wie Sklaven gehalten wurden. Manche dienten nur zur Belustigung der Anderen, manche als Zapfhahn. Man konnte diese armen Leute echt nicht beneiden, aber Kei konnte da nichts gegen tun. Er musste das Spiel schon mitspielen, wenn er weiterhin das Vertrauen des Anführers genießen wollte. Gerade durchquerte er eine der Hauptstraßen des Ghettos, als vor ihm zwei Gestalten erschienen. Es handelte sich um zwei recht durchgeknallte Exile. Es waren Geschwister und wenn sich Kei Recht erinnerte, hießen sie Shirai und Sarir. Was genau sie hier wollten, war ihm ein Rätsel, denn sie hatten offensichtlich auch Interessen, die über diese Gang hinausgingen. Doch sie waren gute Kämpfer und daher ziemlich angesehen. „Luca will dich sprechen.“, meinte Shirai ohne zu zögern, „Wo hast du dich denn herumgetrieben? Wir haben dich überall gesucht.“ Sarir, der allgemein ja wenig sagte, brummte missmutig. Scheinbar war er genervt. Kei war es egal. „Geht euch gar nichts an.“, meinte er kühl, „Aber ist gut, ich geh zu ihm.“ „Lass ihn nicht noch länger warten. Er ist jetzt schon fuchtig.“, warnte Shirai ihn vor und dann liefen die Geschwister an ihm vorbei und ließen Kei wieder allein. Dieser hatte gerade wenig Lust mit Luca zu sprechen. Für ihn war diese Chimäre nur ein verzogener Bengel, der viel zu viel Macht hatte. Aber er war nun mal der Boss. Da musste Kei nun durch. Als er wenig später das Hauptquartier betrat, sah er schon das Übel. Auf dem Boden lagen mehrere zerfetzte Leichen und dahinter saß Luca auf seinem „Thron“ und wartete ungeduldig. Eisblaue Augen glänzten Kei schon entgegen, doch das machte ihm keine Angst. Er war ohnehin einer der wenigen, der sich von Luca nicht so ohne weiteres einschüchtern ließ, was Luca hingegen an ihm schätzte. Kei war ja nicht ohne Grund seine rechte Hand geworden. „Du hast dich ja wieder ordentlich ausgetobt.“, stellte Kei fest und betrachtete sich die Leichen am Boden. Genau diese Art des Abschlachtens ließ Kei regelmäßig jeglichen Appetit vergehen. „Selbst schuld.“, kam es genervt zurück, „Haben mich verärgert.“ Kei wollte gar nicht wissen, was genau die gemacht hatten. Meist waren es eh nur Banalitäten, doch Luca hatte ein sehr hitziges Gemüt und wenig bis gar kein Mitleid oder Verständnis für andere. In seiner Nähe lebte man immer gefährlich. „Du hast mich lange warten lassen.“, ertönte es nun bedrohlich und Kei spürte bereits, wie es um ihn abzukühlen begann. „Entschuldige, ich war jagen.“, log Kei und gab sich keine Blöße. „Tsk.“, zischte es genervt zurück, „Egal. Hör zu, ich habe einen Auftrag für dich. Vorhin kam eine Info rein, die ich gerne bestätigt haben möchte.“ „Aha und was?“, fragte Kei unbeeindruckt. „Die Hunter erwarten morgen Nacht wohl eine ganz wichtige Lieferung von außerhalb. Höchste Sicherheitsvorkehrungen und auch Lucius scheint sich dafür zu interessieren. Angeblich wird er morgen ein paar seiner Hunde schicken, um das Paket abzufangen.“ „Und ich soll es beiden klauen?“, ahnte Kei nun. „Ganz recht. Nimm so viele Leute mit, wie du willst. Hauptsache ihr bringt mir dieses Paket.“, erklärte Luca weiter. Kei zuckte mit den Schultern. „Ok, sollte machbar sein. Sag mir nur wohin ich muss und ich mach´s.“ „Sehr gut. Das wollte ich hören.“, gab Luca zufrieden zurück und ein biestiges Lächeln zog sich über sein Gesicht, sodass seine Fangzähne aufblitzten. Da kam aus dem Schatten Joker hervor und begann ihn mal wieder zu umgarnen. Kei konnte diese Hexe auf den Tod nicht ausstehen und sie mochte ihn auch nicht besonders. Sie trugen ihre Differenzen zwar nie offen aus, aber bei jedem Blick waren sie da. Allgemein hatten Hexen keinen guten Ruf im Reich der Dämonen und Kei lebte lang genug, um zu wissen, dass sie ihren Ruf absolut zu Recht hatten. Von Tiara wusste er ja ungefähr, wie Luca mal gewesen sein musste und ihm war klar, dass Joker da ganze Arbeit geleistet hatte. Den liebevollen, wenn auch schweigsamen Typen aus den Erzählungen konnte Kei mit sehr, sehr viel Fantasie nur noch erahnen. Dieser Luca hier war egoistisch, gierig, blutrünstig und absolut bösartig. Jedenfalls hatte Kei nicht vor dabei zuzusehen, wie die beiden jetzt Gott weiß was anstellten und so wollte er sich schon wieder verabschieden, aber Luca hielt ihn auf. „Noch eine Sache, Kei.“, ertönte es und die Atmosphäre war plötzlich zum Zerreißen angespannt. Kei wich den Eiszapfen, die auf ihn zurasten zwar ohne Probleme aus, aber sie hatten es in sich. Tief bohrten sie sich in den Stahl der Wände. Luca war noch immer sauer. „Nächstes Mal sagst du gefälligst vorher Bescheid, wenn du mal eben ein paar Stunden verschwindest. Kapiert?“ Kei drehte den Kopf herum und blickte Luca direkt in die Augen. Wie gut, dass Luca keine Gedanken lesen konnte. „Mach ich.“, gab Kei stattdessen kühl zurück. Dann stolzierte er aus dem Hauptquartier heraus und ließ die beiden allein zurück. Kapitel 3: mission start ------------------------ „Bist du auf Position, Pik?“, sandte ich ihm telepathisch zu. War schon praktisch, dass wir beide Chimären waren und uns so unterhalten konnten. Die Reichweite mochte zwar begrenzt sein, aber war dennoch mehr als genug, um sich hier zu unterhalten. „Jup, bin bereit. Warte nur auf dein Signal.“, kam es sofort zurück. Vale stand neben mir und wartete, dass es losging. Der Auftrag war einfach: In dieses Gebäude vor uns einmarschieren und das Paket der Hunter untersuchen, dass sie heute unter größten Sicherheitsvorkehrungen bekommen hatten. Pik hatte die Informationen über dieses Päckchen erhalten und wir wussten sofort, dass wir vielleicht endlich eine Spur gefunden hatten. Das konnten wir uns nicht entgehen lassen. Problematisch war jedoch, dass nicht nur wir es darauf abgesehen hatten. Die alte Fabrikhalle wirkte unscheinbar, doch war sie gut bewacht. Außerdem hatte Vale bereits mehrere Mitglieder von Lucas Gang gesichtet, die ebenfalls auf dem Weg hierher waren. „Ich spüre auch ein paar Menschen.“, erklärte er nun konzentriert, „Müssen wohl Lucius Hunde sein.“ Ich seufzte. „Wird echt schwer, da unbemerkt reinzukommen. Aber was soll´s, immerhin sind wir dafür bestens gerüstet.“ Gerade beobachtete ich aus sicherer Entfernung, wie mehrere Exile aus Lucas Gang sich zutritt zum Gebäude verschafften. Sekunden später ging der Alarm los. Jetzt war der richtige Zeitpunkt. Wir würden das allgemeine Chaos zu unseren Gunsten nutzen. „Alles klar Pik.“, sandte ich ihm zu, „Es geht los.“ „Geht klar.“, kam es zurück und dann betrat auch Pik das Gebäude. Als Chimäre mit einer Affinität zur Elektrizität hatte er erstaunliche Fähigkeiten erhalten. Er konnte nach Belieben Strom generieren und es nach Bedarf zum Angriff oder zur Verteidigung nutzen, aber viel interessanter war die Tatsache, dass er selbst Teil jener Elektrizität werden konnte. Sprich, er konnte durch Leitungen und Kabel reisen und sich somit perfekt und unbemerkt in Gebäude schleusen. Außerdem konnte er mit dieser Fähigkeit alle elektrischen Geräte natürlich auch nach Belieben manipulieren, zum Beispiel Kameras zu unseren Gunsten lenken oder Alarmanlagen ausschalten. All solche Dinge eben. „Bin drinnen. Hangle mich gerade durch einige Leitungen und versuchte herauszufinden, wo die das Paket aufbewahren. Ist hier drinnen größer, als es den Anschein macht.“, erklärte mir Pik nun. Die Fabrikhalle bestand aus vier Etagen, wobei nur die untere Etage wirklich eine Halle war. Der Rest bestand aus Büros und einer Menge anderer Räume von denen wir keine Ahnung hatten, welche Funktion sie mal gehabt hatten. „Wie viele Leute sind noch dort?“, fragte ich nun. „Viele. Bestimmt drei bis vier Duzend von der Gang. Einige kämpfen mit den Wachleuten der Hunter, aber manche sind noch frei unterwegs. Lucius Leute hab ich noch nicht gesehen.“ Pik bewegte sich weiter durch die Leitungen. Mittlerweile war er in der zweiten Etage und untersuchte die Räume. „Zweite Etage sind nur Büros.“, erklärte er mir telepathisch. „Gehe zur dritten weiter.“ Nach einer kurzen Pause meldete er sich wieder. „Ok die hier ist komisch. Lauter Labore hier… von wegen ehemalige Fabrik. Hier gibt es viel komisches Zeug. Komm aber nicht überall ran. Es scheint noch ein zweites Stromnetzwerk geben, aber ich will das hier noch nicht verlassen. Schaut sich das einer von euch mal an?“ Vale und ich tauschten einen kurzen Blick aus. Er nickte mir zu. „Gut.“, gab ich dann zurück, „Sorg für eine Spiegelung und ich komm rein.“ „Mach ich… Ok erledigt. Ich gehe dann weiter zur nächsten Etage. Bis gleich.“ „Bis gleich.“, antwortete ich und machte mich nun selbst bereit. Vale hatte ich, wie Kyria auch, einen kleinen Ohrstecker gegeben, mit dem wir Kontakt halten konnten, weshalb ich auch zu ihm locker Kontakt halten konnte. „Also dann Vale, du bist unser Backup.“ Dieser nickte nur und meinte. „Klar. Sobald ihr Probleme bekommt, komm ich nach. Also dann, viel Glück.“ Ich sammelte kurz meine Energie und dann nutzte ich das Silber um einen Spiegel zu erschaffen. Früher hatte ich damit ja immer nur diese Drähte hergestellt, aber dabei ging meine Macht weit darüber hinaus. Zum Glück wusste ich das wieder. Ich verschwand im Spiegel und fand mich sofort in der Spiegelwelt, so wie ich sie nannte, wieder. Das Prinzip dieser Welt war einfach. Es war wie ein Standbild der eigentlichen Welt in der ich mich nach Belieben bewegen konnte. Wollte ich sie wieder verlassen, brauchte ich nur eine spiegelnde Oberfläche, die groß genug war, dass ich hindurch passte. Wollte ich die Welt nicht verlassen, konnte ich durch spiegelnde Oberflächen auch einfach nur beobachten, was in der realen Welt so geschah, ohne selbst gesehen zu werden. Der Nachteil war natürlich das nur die Spiegel Bewegungen in der realen Welt anzeigten. Sonst bewegte ich mich wirklich nur in einem Standbild oder einer Art Foto. Das konnte dann gefährlich werden, wenn der Ort an dem ich mich befand, zerstört wurde. Dann lief ich nämlich immer Gefahr, gefangen zu werden. Bisher hatte ich das aber immer vermeiden können. Es war ohnehin nur schwer möglich einen Ort dermaßen zu beschädigen, dass es die Spiegelwelt schädigte. Wenn ich sie verließ und später zurückkehrte hatte sie sich dann sowieso aktualisiert und Gebäude, die vielleicht zerstört worden waren, waren auch in dieser Welt dann zerstört. Quasi war es jedes Mal eine Art Neustart wie bei einem Computer, wenn ich die Welt verließ. Nun nutzte ich diese Macht natürlich, um auch in das Gebäude zu kommen. Es dauert nicht lange, da fand ich die Stelle, die Pik für mich präpariert hatte. In einem der Labore hatte er einen Wassertank mit destilliertem Wasser zum Platzen gebracht und die so entstandene Pfütze war mehr als ausreichend, damit ich aus der Welt herauskonnte. Vorher schaute ich mich aber noch etwas durch die anderen Spiegelungen, die es hier eben so gab, um. Pik hatte Recht. Labore gehörten wirklich nicht hierher. Plötzlich hörte ich stimmen. Eine Gruppe von Leuten kam hier durch und da sie alle irgendwo auf ihrer Kleidung das Emblem des Red Alpha trugen, war mir schon klar, zu wem sie gehörten. Die Gang selbst hatte keinen Namen, wie man mir verraten hatte, aber die Mitglieder bezeichneten sich immer stolz als Drachen, was ich ziemlich albern fand. Wer auch immer damit angefangen hatte, war bestimmt so ein Macho gewesen mit Minderwertigkeitskomplex. Das Symbol der Gang hingegen waren die Köpfe einer Chimäre. Also einer richtigen, wie man sie aus den Legenden kannte. Ein Kopf war ein Löwe, der andere eine Ziege und umschlungen wurden die beiden von einer Schlange. Sah eigentlich ganz hübsch aus, wenn man nicht beachtete, wofür das ganze stand. „Wann sind wir denn endlich da?“, hörte ich eine sehr junge Frauenstimme meckern. „Wenn wir eben da sind.“, kam es genervt zurück. Diese Stimme gehörte auf jeden Fall einem Mann. „Das ist langweilig. Ich will endlich mal Action.“, protestierte es erneut. „Dann geh doch runter zu den anderen und kämpf gegen die Hunter.“, ertönte nun die Stimme einer anderen Frau, die älter als die erste Stimme klang. „Ach sei doch still Shirai. Du brennst mindestens genauso drauf zu kämpfen, wie ich. Gib´s doch zu!“, meinte die erste Stimme nun wieder und offenbar streckte sie ihrem Gegenüber dabei die Zunge heraus. „Tse, immerhin benehme ich mich hier aber nicht wie ein kleines Kind. Stimmt´s Sarir?“, fragte sie den Mann der Runde. Dieser brummte nur irgendetwas Unverständliches als Antwort. „Siehst du. Mein Bruder gibt mir Recht.“, gab die Frau schnippisch zurück. „Er hat doch gar nichts gesagt.“, meckerte die andere Stimme wieder. Dann wurden die Stimmen wieder leiser. Sie hatten sich zu weit entfernt und ich war wohl wieder allein. Schien ja sehr harmonisch bei denen zu laufen. Ich befand, dass ich nun ohne Probleme meine Spiegelwelt verlassen konnte und tat das auch. Dann begann ich das Labor näher zu untersuchen. Überall standen Behälter mit undefinierbaren Flüssigkeiten herum. Einige hatten sehr merkwürdige Farben und in anderen sah ich Körperteile herumschwimmen. Ich fragte mich ernsthaft, was die hier gemacht haben. Ich nahm eines der Gläser herunter und öffnete es. Sofort stieg ein widerlicher, fauliger und säuerlicher Geruch heraus und ich beeilte mich, dass Ding schnell wieder zu verschließen. Ich unterdrückte meinen Würgereiz und stellte das Glas wieder zurück. Da meldete sich Pik. „Ich hab es gefunden. Bin ganz oben, da ist nur ein riesiger Raum und hier in der Mitte steht so ein komisches Gerät. Das wird es wohl sein.“ „Ist gut. Ich komme sofort zu dir. Gibt es da eine Spiegelung?“, fragte ich. „Nein. Kann dir auch leider keine Beschaffen. Hier ist alles abgeriegelt. Du musst so hoch kommen.“ „Schon gut. Bin auf dem Weg.“, gab ich zurück und machte mich auf den Weg. „Aber sei vorsichtig. Eben kamen hier ein paar Gestalten vorbei. Sind sicher vor mir oben.“ „Ok, dann weiß ich Bescheid. Ich halt sie zur Not schon auf.“ Trotzdem beeilte ich mich und sandte nun auch eine Nachricht an Vale. „Halt dich bereit, könnte gleich zum Kampf kommen.“ „Ist gut.“ Wo ich auch lang kam, herrschte bereits das Chaos. Hier oben war allerdings kein Hunter mehr am Leben. Während unten noch die Kämpfe tobten und offenbar die Ablenkung spielten, war diese Gruppe von eben hier ohne Probleme durchmarschiert. Man durfte sie also besser nicht unterschätzen. Immerhin kam ich so auch problemlos nach oben. „Wie ist die Lage bei dir?“, fragte ich Pik. „Tja, hab die Leute ein bisschen abgelenkt und auf deiner Etage in einem Raum eingesperrt. Wird wohl aber nicht megalange halten.“ „Coole Aktion.“, lobte ich ihn und amüsierte mich dabei. So wie die drei drauf waren, gab das bestimmt nur Zankereien. Nach wenigen Minuten erreichte ich schließlich den Raum in dem Pik schon auf mich wartete. Als ich eintrat, kam er aus der Leitung und gesellte sich zur mir. „Ok.“, sagte ich und betrachtete mir den seltsamen Kasten. Das Teil sah aus, wie ein mechanischer Sarg oder sowas und war gut zwei Meter hoch. Wahrscheinlich befand sich daran etwas, aber man konnte nicht hineinschauen. „Irgendwelche Ideen wie wir das Ding aufbekommen?“, fragte ich Pik ratlos. Er tastete das Teil ein bisschen ab. „Hm… Sowas hab ich auch noch nicht gesehen. Erscheint mir fast, als könne man das Ding nur über einen Sender öffnen.“ „Oder mit viel Gewalt.“, ergänzte ich. Pik drehte den Kopf zu mir und begann zu grinsen. „Klar, oder das.“ „Aber das sollten wir besser nur als letzte Lösung nehmen.“, meinte ich nun wieder etwas ernster, „Wir wissen ja nicht, was darin ist und ob wir es so nicht beschädigen würden.“ „Da ist was dran.“, stimmte Pik mir zu und untersuchte die Kiste weiter. „Am besten schaffen wir das Ding erstmal hier raus und sehen dann weiter.“, überlegte ich. „Wie willst du das denn unbemerkt hier raus bekommen?“, fragte Pik skeptisch. „Ganz einfach. Ich erschaffe einen Spiegel, du wirst zur Chimäre und trägst das Teil. Dann gehen wir gemeinsam nach draußen.“, meinte ich locker, „Sollte kein Problem werden. Warst ja immerhin schon öfter mit in der Spiegelwelt.“ Pik zuckte mit den Schultern. „In Ordnung, sollte ich hinbekommen. So schwer kann das Teil ja auch nicht sein.“ Da wurden wir unterbrochen, als die Tür aus dem Nichts aus den Angeln gerissen wurde. Wir hatten Besuch bekommen. Die Dreiergruppe von vorhin hatte uns eingeholt und sie schauten uns überrascht an. „Was zum?!“, sah ich die Frau mit der jüngeren Stimme fluchen. Bei näherer Betrachtung sah ich, dass sie eine Kitsune war. Das zierliche Mädchen mit den schwarzen Haaren und den schwarzen Augen mit goldener Iris sah aus wie vielleicht 15, aber ich wusste, dass Kitsune nie so alt waren, wie sie aussahen. Sie trug einen freizügig geschnittenen, kurzen, weiß-roten Kimono und darunter ein schwarzes Shirt mit schwarzer Hose. Allgemein war ihr Outfit recht figurbetont. In ihren Haaren war ein kleiner Federschmuck befestigt und an den hinteren Zipfeln ihres Kimonos hingen zwei Würfel. Die kurzen Haare waren zu einem Zopf gebunden, aus dem jedoch zwei sehr lange Strähnen rechts und links über ihre Schultern fielen. Wie alle Kitsune war ihre Gestalt aber nicht völlig menschlich. Sie hatte eindeutig die Ohren eines Fuchses, mit schwarzem Fell und einer roten Spitze. Außerdem hatte sie einen langen, weißen Fuchsschwanz, dessen Ende in schwarzes Fell überging. Darum gewickelt, befand sich eine Perlenkette, die in einer Glocke endete, welche jedoch stumm war. Ihre Hände wurden von den langen Ärmeln des Kimonos verdeckt, doch ich wusste, dass Kitsune üblicherweise recht lange Krallen hatten. Am auffälligsten waren aber wohl die Beine, die nicht in menschlichen Füßen, sondern in den Hinterläufen eines Fuchses endeten. Sie hatte darum zur Deko Bänder gewickelt. Ab den Knien abwärts ging die Haut in weißes Fell über, dass die Hinterläufe bedeckte. „Zu welcher Fraktion gehören die denn?“, hörte ich nun die andere Frau fragen. Sie und der Mann mussten auf jeden Fall Geschwister sein. Beide trugen traditionell chinesische Kleidung und beide hatten kupferfarbene Haare, die in Flammen zu stehen schienen. Lediglich die Augenfarben unterschieden sich bei den beiden. Die Frau hatte diese intensiven, smaragdgrünen Augen und der Mann orange-rote Augen, die mich an Lava erinnerten. Telepathisch hörte ich Pik fluchen. „Verdammt. Die kenne ich.“, bemerkte er, „Die Zwillinge da drüben sind zwei Exile mit Namen Shirai und Sarir. Sei vorsichtig. Die sind nicht zu unterschätzen.“ „Woher kennst du sie denn?“, fragte ich verwundert zurück. „Hab schon mal gegen die gekämpft, als damals die Sache im Labor war. Siehst du die dunklen Punkte über ihren Augen. Behalt sie gut im Blick. Shirai kann damit Explosionen auslösen, ihr Bruder lässt damit Dinge schmelzen.“ „Ok. Ich pass auf.“, gab ich zurück. „Wer seid ihr?“, fragte uns Shirai nun auffordernd. Da wir ja bestens verhüllt waren, konnten sie weder Pik noch mich erkennen. Unsere Gruppe hatte eine Taktik entwickelt während all der Zeit. Wir sprachen nie mit unseren Gegnern, um zu vermeiden, dass man uns anhand unserer Stimmen erkannte. Wir konnten ja ohnehin alles telepathisch regeln. Natürlich gefiel denen das gar nicht, dass wir sie anschwiegen. „Hey! Was ist? Seid ihr taub oder was?“, fauchte uns nun die Kitsune an, „Wovor ihr da steht, das gehört uns. Verschwindet auf der Stelle oder wir müssen euch beseitigen.“ Gut. Dann mussten wir uns eben erst einmal um die kümmern. „Pik, schaffst du die Zwillinge?“, fragte ich ihn und merkte sogleich, wie seine Aura freudig Feuer fing. „Oja, das ist ohnehin schon lange überfällig.“ Ich lächelte leicht. Manchmal waren Chimären echt wie kleine Kinder und viel zu schnell für Dinge zu begeistern. Aber ich ließ ihm seinen Spaß. „Dann kümmere ich mich um die Kitsune.“, verkündete ich und Pik machte sich bereit. „Ihr hattet eure Chance!“, rief Shirai uns nun zu und auch unsere Gegner machten sich kampfbereit. Sofort sah ich, was Pik meinte. Shirai hob ihre Hände in die Höhe und sofort schnellten zwei Punkte hervor, die auf uns zurasten. Pik und ich wichen aus und sahen zu, wie sie detonierten. Pik landete auf der Kiste, ich etwas weiter entfernt und da erschien hinter mir auch schon die Kitsune. Mit ausgefahrenen Krallen sprang sie auf mich zu, doch ich wich erneut aus. Pik hielt derweil auf die Zwillinge zu. Auch er hatte keine großen Schwierigkeiten mit dem Ausweichen. Damit hatten unsere Gegner wohl nicht gerechnet. Wahrscheinlich hatten sie gedacht, dass sie mit uns ebenso leichtes Spiel haben würden, wie mit den Huntern. Weit gefehlt. Die Kitsune wurde mit jedem Angriff gereizter. Sie sprang ein Stück zurück und spreizte die Arme. Um sie herum erschienen lauter kleine Irrlichter, die nun um sie herumtänzelten. „Na warte, mit dir werde ich noch meinen Spaß haben.“, verkündete sie selbstsicher und die ersten Lichter schossen auf mich zu. Meine Silberfäden wehrten sie jedoch mit Leichtigkeit ab. „Was bist du denn für ein Wesen?“, wunderte sich mein Gegenüber. Schließlich hatte sie so etwas noch nie gesehen, „Ist aber auch egal. Ich töte dich so oder so!“ Die hellblauen Flammen umkreisten sie wie ein Wirbel und immer wieder brach daraus eine aus und griff mich an. Schnell spannte ich ein paar meiner Drähte und konnte damit auch in der Luft ausweichen. Den Trick mit den Drähten kannte die Kitsune natürlich nicht und wurde unruhig. Krampfhaft versuchte sie mich in der Luft zu treffen, doch ich wich ständig aus. So kam ich ihr immer näher und umkreiste sie. Nun begann auch ich anzugreifen. Einige Silberfäden rasten auf sie zu und verhärteten zu tödlichen Speeren. Der Kitsune gelang im letzten Moment, auszuweichen. Doch ich setzte sofort hinterher. Dieses Mal nutzte ich die Silberfäden als eine Art Geschoss und auch wenn die Irrlichter, diese abwehren konnten, so gelang es doch einigen, durchzubrechen und die Kitsune zu streifen. Diese fluchte nun, aber die Wunden verheilten sofort wieder. Trotzdem hatte ich sie jetzt wütend gemacht. „Ich bring dich um!“, schrie sie und die Irrlichter verbanden sich. Daraus hervor kamen gewaltige Schlangen aus Feuer, denen es tatsächlich gelang, meine Drähte zu schmelzen. „Aha, das ist also dein Trick.“, lachte sie siegessicher, „Was machst du jetzt, da dein Silber dir wegschmilzt?“ Ich lenkte ein paar Silberfäden auf eine der Schlangen und sie wickelten sich auch darum. Doch hielten sie nicht lange genug, um Schaden anzurichten. Nicht das mich das in ernsthafte Bedrängnis brachte. Ich landete wieder auf dem Boden und ließ neben mir einen Spiegel erscheinen. Dann folgten noch ein paar Duzend mehr, die im halben Raum verteilt waren. „Was wird das denn jetzt?“, fragte sie irritiert. Wieder griff mich ein Irrlicht an, doch ich setzte einen Spiegel davor und das Irrlicht verschwand darin. „Es ist verschwunden?!“ Die Kitsune wirkte etwas fassungslos und schickte gleich noch mehr Angriffe hinterher, die ich alle mit diversen Spiegeln abfing. Als mich dann auch eine der Schlangen angriff und in meinem Spiegel verschwand, starrte sie mich entsetzt an. „Wie zum Teufel machst du das? Warum schmilzt es jetzt nicht mehr?!“ Ich hatte nicht vor, ihr das zu erklären. Im Prinzip war es aber ganz einfach. Es hing nur davon ab, als was ich das Silber benutzte. Jetzt nutzte ich es als Portal und da konnte es nicht schmelzen. Als Waffe allerdings schon. Nun schickte ich die Spiegel zur Kitsune. Sie wurde von allen Seiten eingekreist und konnte nicht daraus ausbrechen. Unsere Blicke trafen sich und sie starrte mich entsetzt an. Im selben Moment kamen alle Angriffe, die sie eben noch auf mich geworfen hatte, auf sie zurück. Ein Schrei ertönte und als sich der Rauch verzog, taumelte die Kitsune schwer angeschlagen. Zornig blickte sie mich an. „Was für ein übler Trick.“, schimpfte sie, aber nochmal lass ich das sicher nicht zu. Jetzt weiß ich ja, wie das funktioniert. Ha!“ Ich seufzte. Zugegeben, ich hatte sie damit überrumpelt und jetzt wusste sie ja tatsächlich wie die Sache funktionierte. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie jetzt bessere Chancen bekam. Zumal ich noch lange nicht alle Trumpfkarten ausgespielt hatte. Doch da ich keine Lust mehr hatte, den Kampf noch sehr viel länger zu ziehen, zog ich es vor, sie jetzt auszuschalten, bevor sie sich regenerieren konnte. Blitzschnell verschwand ich in dem Spiegel neben mir. Die anderen Spiegel waren ja immer noch um sie herum gerichtet und als ich dann erschien und sie direkt angriff, konnte sie kaum mehr ausweichen. Wenn es ihr doch gelang, sprang ich einfach in einen anderen Spiegel zurück und griff wieder von woanders an. Ich hatte meine Hände zu Klauen veränderte und zog ihr damit schwerste Verletzungen zu. Sie fluchte unentwegt und versuchte aus diesem Kreis zu entkommen, aber das konnte sie vergessen. In meine Spiegelwelt konnte sie sowieso nicht fliehen, denn niemand betrat diese Welt ohne meine Zustimmung. Sie war gefangen und mir hilflos ausgeliefert. Als sie wenig später schwer verletzt zusammenbrach, hatte ich gewonnen. Mir war klar, dass die Kitsune noch längst nicht all ihre Macht gezeigt hatte. Ihr Pech war einfach gewesen, mich zu unterschätzen und deswegen viel zu früh, schwere Verletzungen einzustecken. Sollte ich je wieder auf sie treffen, würde das sicher nicht so leicht werden. Warum ich sie deswegen nicht einfach tötete? Es war einfach nicht mein Stil. Sie hatte mir ja nichts getan. Wir waren lediglich zufällig Feinde, weil wir für eine unterschiedliche Sache arbeiteten… Ich blickte nun zu Pik und schaute, wie sein Kampf verlief und ob ich eingreifen musste. Kapitel 4: mission fail ----------------------- Während Lua sich mit der Kitsune beschäftigte, brannte Pik darauf, sich mit den Exile auseinanderzusetzen. Letztes Mal hatten sie ja einfach die Flucht ergriffen, bevor der Kampf geendet hatte. Nun, letztes Mal war es ja nicht gerade optimal für ihn gelaufen, aber er hatte so eine Ahnung, dass er es heute nicht so schwer haben würde. Er musste sich nicht einmal anstrengen, um die Sender von Shirai zu sehen, während sie auf ihn zurasten. Mühelos wich er den Explosionen aus. Da war Sarir schon anstrengender. Seine Angriffe waren großflächiger und machten das Ausweichen schwieriger. Außerdem begann er den Raum damit ernsthaft zu beschädigen. Pik wollte nicht riskieren, dass der Boden unter ihnen einkrachte, also musste er die Sender deaktivieren. Auch wenn das bedeutete, dass sie ihn höchstwahrscheinlich wiedererkennen würden. Immerhin musste er schon längst nicht mehr zur Chimäre werden, um seine Affinität auch so einzusetzen. Als er den ersten Sender mit einem Stromstoß zerstörte, stockten Shirai und ihr Bruder augenblicklich. „Du… Du hast meine Sender zerstört.“, meinte Shirai fassungslos, „Das hat bisher nur einer geschafft… Kann es sein, dass…“ Hinter Pik erschien Sarir, der seine Gestalt bereits geändert hatte und Pik nun direkt attackierte. Es gelang ihm, Pik am Arm zu erwischen. Sofort erschienen die Male auf seinem Arm und es wurde binnen Sekundenbruchteilen verdammt heiß. Pik setzte sich augenblicklich unter Strom und deaktivierte die Male. Außerdem erwischte er so auch Sarir, der eiligst zurücksprang und neben seiner Schwester landete, die sich nun auch verwandelt hatte. Die beiden setzten sich in Bewegung und kreisten Pik ein. Mit ihren ausfahrbaren Klingen schlugen sie auf ihn ein und da ließ er blitzschnell seine Sensen erscheinen und wehrte jeden Angriff ab. Auf seinen Reisen mit Lua und Vale hatte er eine interessante Sache dazugelernt. Eines Tages waren sie einer Frau begegnet, die sich mit Siegeln beschäftigte. Sie hatte Pik gezeigt, wie er seine Sensen verschwinden und bei Bedarf erschienen lassen konnte, damit er sie nicht ständig mit sich rumschleppen musste. Nun waren sie normalerweise als zwei Tattoos auf seinem Rücken zusehen, doch wenn er das Siegel löste, manifestierten sich die echten Sensen griffbereit. Ihm selbst war gar nicht aufgefallen, wie viel schneller und geschickter er über die Zeit geworden war, aber wenn er seinen ersten Kampf mit den beiden mit damals verglich, dann war da ein wahnsinniger Unterschied zu erkennen. Letztes Mal war er lediglich als Chimäre dazu in der Lage gewesen mit den beiden mitzuhalten. Jetzt schaffte er das auch so. Gerade jagte er je einen Stromstoß durch die Sensen. Er traf beide gleichzeitig und die Geschwister schrien schmerzerfüllt auf. Sie sprangen mehrere Meter von ihm weg und regenerierten sich wieder. Außer Atem taxierten sie ihn und warteten darauf, was er als nächstes tun würde. Ein kurzer Blick zu Lua verriet ihm, dass auch sie den Kampf fast entschieden hatte. Die Kitsune war von einer Spiegelsalve umhüllt und Pik wusste, dass nur die wenigsten wussten, wie man da wieder herauskam. Pik hatte jedenfalls seinen Spaß. Er liebte die Jagd und auch wenn die beiden Exile nicht die Herausforderung darstellten, die er sich erhofft hatte, erfüllte es ihn doch mit Genugtuung. Trotzdem versuchte er sich am Riemen zu reißen und sich nicht zu sehr hineinzusteigern. Manchmal übernahmen die Instinkte der Chimäre in ihm die Überhand, doch zum Glück konnte ihn Lua immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Durch die Verbindung die die beiden telepathisch stets zueinander hielten und die Tatsache, dass es Luas Blut war, dass ihn zurückgeholt hatte, konnte sie ihn mit ihrer Aura immer wieder beruhigen. Manchmal fragte er sich, wie es wohl wäre, wenn er diese Verbindung nicht hätte und dann wurde ihm klar, dass wohl genau das der Grund dafür war, was aus Luca hatte werden können. Pik verschwand augenblicklich aus dem Sichtfeld der Geschwister und sprang durch die Stromleitung an der Decke hinter die beiden. Er setzte sich selbst unter Starkstrom und packte beide am Nacken. Sarir hatte ihn einen Moment vorher noch bemerkt und war halb dabei auszuweichen, als Pik die beiden erwischte. Seine Schwester erwischte es jedoch komplett. Bewusstlos kippte sie zu Boden, woraufhin sich ihr Bruder unter schmerzverzerrtem Gesicht von Pik losriss und auswich. Er spreizte alle Klingen, die er besaß, von sich ab und hielt damit auf Pik zu. Dieses Mal wich Pik nicht aus. Er verwandelte einen Arm zur Klaue und bohrte die Krallen in den Boden. Sofort funkte es und schlangenähnliche Gestalten aus purem Strom rasten Sarir entgegen. Er versuchte noch auszuweichen, doch da schossen die Schlangen nach oben und „verbissen“ sich in ihm. Einen Moment versuchte er sich noch zur Wehr zu setzen, doch dann kippte auch er bewusstlos zu Boden. Klirrend landeten die Klingen neben ihm auf den Boden und dann war es still. Pik hatte beide außer Gefecht gesetzt. Da er wusste, dass Lua nicht wollte, dass er die beiden tötete, beließ er es dabei sein. … „Gute Arbeit.“, sandte ich Pik meine Nachricht zu, als ich sah, dass er die beiden Exile bezwungen hatte. „Dann können wir uns ja wieder dem eigentlichen Zuwenden.“ Ich ging zu Pik hinüber, der nun wieder bei der Kiste stand. Ich war fast bei ihm angekommen, als etwas an mir vorbeiraste und sich in die Kiste fraß. Als ich mir näher betrachtete, was da eben an mir vorbeigeflogen war, erkannte ich etwas, dass an ein kreisrundes Sägeblatt mit vielleicht 30cm Durchmesser erinnerte. Es steckte einige Zentimeter tief im Stahl und sowohl Pik als auch ich waren überrascht. Wir hatten es beide nicht bemerkt. Als wir uns umdrehten, lehnte am Türrahmen eine weitere Gestalt. Er sah regelrecht gelangweilt aus und schien wenig motiviert für das Ganze. Der Mann Ende Zwanzig hatte blaugrün gefärbte Haare, die er mit einem Haarreif nach hinten hielt, aber an seiner linken Seite baumelte ein recht langer, geflochtener Zopf. Er war komplett in schwarz gekleidet, trug aber ebenfalls das Symbol der Gang. Seiner Augen waren von unterschiedlicher Farbe. Das eine war dunkelgrün, das andere hingegen hellviolett. Ich hatte den Eindruck, dass es sich dabei aber nur um Kontaktlinsen handelte. „Wo kommt der denn her?“, fragte Pik mich telepathisch. Er schien irritiert, weil wir ihn beide nicht bemerkt hatten und offenbar stand der hier schon eine Weile. Hatte er den Kampf beobachtet? Wenn ja, wieso hatte er dann aber nicht eingegriffen? Nun begann unser Gegenüber zu sprechen. „Ok, ich hab keine Ahnung wer ihr seid, aber scheinbar stimmen die Gerüchte über die Fremden in der Stadt. Habt auf jeden Fall einen sehr interessanten Kampfstil ihr beiden. Man könnte fast meinen, ihr seid Chimären.“ So schnell hatte er uns durchschaut? Sowohl Pik als auch mir war sofort klar, dass dieser Gegner ein ganz anderes Kaliber war, als die drei von eben. Und dazu hatten wir das Überraschungsmoment nicht mehr, denn er hatte bereits ausgiebig beobachten können, wie wir beiden so kämpften. Vorsicht war geboten. „Wisst ihr, an und für sich ist mir voll egal, was ihr hier macht, aber mein Chef hätte gern die Kiste da hinten und da ihr die auch haben wollt, muss ich da wohl intervenieren.“, erklärte der Typ nun gelassen, „Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Kei, aber vielleicht kennt ihr mich auch schon unter dem Namen Nokogiri.“ Pik und ich tauschten einen Blick aus. Nokogiri… „Das ist Lucas rechte Hand.“, bemerkte Pik angespannt, „Irgendwie hatte ich mir den ganz anders vorgestellt.“ Da stimmte ich ihm zu. Dieser Typ wirkte wie ein stilles Gewässer mit unbekanntem Terror in seinen Tiefen, doch nach Vales Erzählungen hatte ich irgendwie eher einen durchgeknallten, hitzköpfigen Exile erwartet. Gerade wollten Pik und ich ihn gemeinsam angreifen, als er uns eiskalt erwischte. Plötzlich hockte er auf der Kiste über uns und mehrere Sägeblätter rasten auf uns herab, sodass Pik und ich ein ganzes Stück nach hinten wegspringen mussten. Nun waren wir plötzlich sehr weit von der Kiste weg. „Man ist der schnell.“, staunte Pik anerkennend. „Ja… leider. Wir dürfen ihn nicht entkommen lassen.“, gab ich zurück. Ich erschuf eine Spiegelsalve und Pik entsandte einen Schwall Stromstöße dort hinein. Als die Spiegel dann Kei umkreisten, zeigte er sich weiterhin absolut unbeeindruckt. „Die Sache mit den Spiegeln ist echt cool.“, sagte er stattdessen und begann dann zu Grinsen. Piks Angriffe sausten auf Kei nieder, doch kein einziger traf ihn. Um ihn herum war wie eine Wand, die aussah, als bestünde sie aus metallenen Federn. Sie hatten alle Stromstöße auf den Boden abgeleitet und ihm war kein Haar gekrümmt worden. Stattdessen musste Pik den Strom selbst wieder ableiten, damit er nicht uns im Gegenzug schade konnte. „Ist ein ziemlich interessanter Trick, den ihr beiden da ausgeheckt habt.“, grinste Kei uns an und es klang irgendwie gleichzeitig lobend, als auch zynisch. „Sehe ich das richtig, dass du bestimmen kannst, was in deinen Spiegeln verschwindet und was nicht?“, fragte er nun, doch es klang nicht so, als erwarte er eine Antwort. Denn die wusste er längst und ich ahnte, dass er wusste, wie man die Spiegel zerstören konnte. Kei fasste mit einer Hand an einen der Spiegel und kam natürlich nicht in meine Welt hinein. Mit der anderen Hand berührte er einen anderen Spiegel und dann erschienen plötzlich fünf Klingen aus seinem Rücken mit dem er die restlichen Spiegel lediglich berührte. Er wollte wohl alle auf einmal loswerden, denn im nächsten Moment manifestierte sich eine weitere Klinge, die dieses Mal jedoch anders aussah. Diese erinnerte an ein Schlangenschwert und endete in eben einer jener kreisrunden Sägen, wie die, mit der er uns begrüßt hatte. Blitzschnell wirbelte die Klinge umher und da die Spiegel jetzt gesperrt waren, zerbrachen sie einfach. Die Überreste klirrten zu Boden und schockiert starrte ich ihn an. So schnell hatte das noch niemand herausbekommen. Leider waren die Spiegel im Nahkampf gegen Gegner ungeeignet, da genau das passierte, wenn man sie direkt und nicht über Fernangriffe attackierte. Deswegen hatte ich für den Nahkampf ja auch die Silberfäden. Dieser Kei hatte sowohl Piks, als auch meine Angriffe ohne mit der Wimper zu zucken zunichte gemacht. Das hatte man also zu erwarten, wenn man mit jemanden aus den oberen Rängen der schwarzen Liste kämpfte. Es war mir ein Rätsel warum er im Ranking nicht höher gestuft war. „Super, jetzt da das aus dem Weg ist, können wir ja ernst machen, was?“, bemerkte er gelangweilt und die Klingen verschwanden wieder. Er erhob sich von der Kiste und machte sich zum Angriff bereit. Auch Pik und ich waren bereit. Kei setzte sich in Bewegung und wieder war er so verdammt schnell, das wir ihn kaum kommen sehen konnten. Plötzlich knallte es und Kei wurde aufgehalten. Seine zur Klaue verwandelte Hand wurde von einer anderen Klaue abgehalten. Nun standen beide da, wie in einer Pattsituation. „Oha, was machst du denn hier?“, staunte Kei über den Neuankömmling. Vale stemmte sich noch immer gegen ihn und antwortete ihm direkt. „Dasselbe könnte ich dich ja wohl auch fragen. Hast du denn den Verstand verloren für so eine komische Gang zu arbeiten? Ich dachte diese Zeiten waren vorbei?“ Kei begann zu grinsen. „Ach weißt du, ich hab so meine Gründe. Und was zum Teufel machst du denn hier?“ „Das müssen ja super Gründe sein.“, knurrte Vale aufgebracht, „Du hilfst dabei die Stadt ins Chaos zu stürzen, ich hoffe das ist dir klar. Und was ich hier mache, geht dich gar nichts an.“ Die beiden mussten sich ja schon eine ganze Weile kennen, stellte ich fest. Aber keiner von beiden schien besonders glücklich, den jeweils anderen hier zu sehen. Letztlich seufzte Kei entnervt und sprang ein Stück von Vale zurück. „Ich soll doch nur dieses blöde Paket hier abholen. Ich hab keine Lust jetzt hier stundenlang zu kämpfen. Schauen wir doch einfach was drin ist und entscheiden dann, wer´s bekommt.“, sagte Kei nun und wieder erschien die Klinge mit dem Sägeblatt. Bevor irgendjemand reagieren konnte, fetzte sie über den Stahl der Kiste und fassungslos sahen wir mit an, wie sie Sekunden später zerbrach. „Tse, hab ich mir schon gedacht.“, meinte Kei nun und schien überhaupt nicht überrascht. „Alles nur ein billiger Trick der Hunter, um uns aus der Reserve zu locken. Tja, Pech gehabt.“ Kei zuckte mit den Schultern und beachtete die Überreste der Kiste nicht weiter, in der wirklich rein gar nichts zu finden war. Derweil hatte Kei mit seinen Klingen die ohnmächtigen Geschwister und die Kitsune aufgesammelt. „Ich bin hier fertig. Wir ziehen uns zurück. Solltet ihr jetzt auch besser tun, sonst bekommt noch einer von den Huntern oder Lucius Hunden mit, dass ihr hier seid.“ Ich wurde aus diesem Typen nicht wirklich schlau. Er war absolut undurchschaubar und das machte ihn zu einem Risikofaktor ungeahnter Größe. „Ach jetzt willst du plötzlich nicht mehr kämpfen oder was?“, fragte Vale ihn gereizt. Kei verschränkte grinsend die Arme vor der Brust und entgegnete: „Nicht wirklich. War ja auch nicht mein Auftrag, aber ich warne euch vor. Nächstes Mal wenn wir uns treffen, dann wird sicherlich Blut fließen. Aber unser Chef hasst es zu warten, also nehme ich die drei Trottel jetzt mit und erstatte Bericht.“ Damit drehte sich Kei zum Gehen um. „Zum Abschied vielleicht noch ein kleiner Rat an euch. Unser Chef hasst Risikofaktoren wie euch. Es würde mich nicht überraschen, wenn er bald die Jagd auf euch eröffnet, wenn ihr ihm weiterhin in die Quere kommen wollt. Ich sag´s ja nur. Hab ja keine Ahnung, was ihr hier wollt und es interessiert mich auch nicht.“ Mit diesem Worten verschwand Kei ebenso schnell, wie er erschienen war und damit waren wir wieder allein. „Der Typ ist ja mal unheimlich.“, seufzte Pik nun aus. Ich konnte ihm da nur zustimmen. „Tja, das ist eben Kei.“, bemerkte Vale. Er wirkte immer noch angefressen wegen der ganzen Sache. „Und der ganze Ärger jetzt nur wegen einer leeren Kiste und einer Finte.“ Keiner von uns war damit wirklich glücklich oder zufrieden. Wir waren schließlich wieder nicht weitergekommen, was den Aufenthaltsort des Parasiten anging. Also eine Niederlage auf ganzer Linie. Hinzu kam, dass zumindest Luca jetzt von unserer Existenz wusste. Das könnte tatsächlich problematisch werden. „Na gut.“, sagte ich nach einem Moment, „Da es für uns hier nichts mehr zu erledigen gibt, verschwinden wir von hier. Immerhin wollen wir ja wirklich nicht noch von den Huntern oder Lucius Leuten entdeckt werden.“ Damit ließ ich einen Spiegel vor uns erscheinen. „Bitte eintreten.“, verkündete ich und zeigte in Richtung des Spiegels. Dann verließen wir diesen Ort. Kapitel 5: Aus dem Leben eines Dealers -------------------------------------- Luca war, wie so oft, außer sich vor Wut. Es war nicht einmal die Tatsache, dass Kei mit leeren Händen zurückgekommen war, sondern vielmehr, dass all der Aufwand für eine leere Kiste stattgefunden hatte. Eine dumme Finte, auf die er hereingefallen war. In solchen Situationen sollte man sich am besten von ihm fern halten, doch Kei war gut genug, um den umherfliegenden Eiszapfen mühelos ausweichen zu können. „Und dann auch noch diese Fremden!“, schimpfte Luca weiter, „Ist da echt eine Chimäre dabei?“ Shirai und Sarir hatten bereits vorhin Bericht erstattet und von der fremden Chimäre berichtet. „Ich schätze ja.“, gab Kei unbeeindruckt zurück, während er dem nächsten Eiszapfen auswich. Manchmal erinnerte Luca ihn an sich selbst, als er noch um einiges jünger gewesen war. In seiner Jugendzeit als Exile hatte Kei sich auch nicht gerade mit Geduld gerühmt. Trotzdem fand er wie so oft, dass Luca überreagierte. „Wo kommen die überhaupt her?!“, rief Luca nun verärgert aus. Sicher erwartete er keine Antwort auf die Frage, doch Kei antwortete dennoch. „Keine Ahnung, waren auf jeden Fall gute Kämpfer.“ „Tsk.“, schnalzte Luca nun noch zorniger. Sowas ging ihm gegen den Strich. Er musste diese Fremden so schnell es ging wieder loswerden. Die Hunter und Lucius schienen davon ja noch nichts mitbekommen zu haben. Dennoch fragte er sich natürlich, woher die ominöse zweite Chimäre kam. Das Kei ihm verschwieg, dass auch die Frau eine Chimäre zu sein schien, ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Genauso wenig ahnte er, dass Kei zumindest einen Mitstreiter des Trios schon seit Jahrzehnten kannte. „Nun gut.“, meinte Luca nach einiger Bedenkzeit schließlich, „Du kannst vorerst gehen. Ich überlege mir, wie wir mit den Neuankömmlingen verfahren. Bis dahin hast du frei, aber solltest du wieder vor haben, auf längere Sicht zu verschwinden, sag dieses Mal Bescheid, kapiert?“ Damit meinte er den Vorfall von neulich, doch Kei ließ sich nicht provozieren. Stattdessen stimmte er nur knapp zu und machte sich dann aus dem Staub. Er brauchte dringend eine Pause von Lucas Launen. Kaum war Kei verschwunden, kam Joker in das Hauptquartier spaziert. „Na, schlechte Laune?“, fragte sie Luca belustigt und näherte sich ihm dabei von hinten. „Hm…“, brummte dieser missgelaunt zur Antwort. „Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht, wenn ich da bin. Soll ich dich nicht viel lieber etwas aufmuntern, damit du den Ärger um diese Finte und die Fremden vergisst?“ Wie immer war Joker über die Lage bestens im Bilde. Woher sie stets alle Informationen nahm, hinterfragte Luca schon lange nicht mehr. Scheinbar konnten das Hexen einfach irgendwie. Nun begann Joker um ihn herum zu tigern. Ihre Intention war mehr als eindeutig und wie so oft war Luca mehr als nur bereit, sich darauf einzulassen. Das war nicht immer so gewesen. In der Anfangszeit, als er noch an Lua gedacht hatte, hatte er sich nie durchringen können, mit Joker zu schlafen, doch mittlerweile war das anders. Lua war aus seiner Welt die meiste Zeit vollständig verschwunden. Sie existierte nur noch in fernen Erinnerungen, die er als die Erinnerungen seines ehemaliges Ichs abstempelte. Das Ich, was schwach gewesen war und das er nie wieder sehen wollte. Dass es größtenteils nur an Jokers Hexerei lag, dass er so empfand war ihm gar nicht bewusst. Oder vielleicht ja doch und es war ihm schlichtweg egal. Tatsächlich war Luca gerne das tyrannische Monster und Arschloch, für das ihn auch die meisten hielten. Er war der Meinung, dass es ihm so viel besser ginge, als noch zu den Zeiten, wo er sich immer nur Sorgen um anderen gemacht hatte. Zeiten, in denen er sich für seine „Familie“ aufgeopfert hatte und mehr als einmal deswegen beinahe sein Leben verloren hätte. Heute war es anders. Jetzt war er mächtig und brauchte sich auf niemanden mehr zu verlassen, als auf sich selbst. Er kümmerte sich nur um sich und sparte sich so die Sorgen, die er sich um andere hätte machen können. Und so kam es, wie so oft, dass er sich mit Joker vergnügte. Immerhin hielt sie deutlich mehr aus, als die Menschen, die sie hier hielten. Diese starben ihm meistens viel zu früh weg, doch an Joker konnte er die Chimäre austoben lassen. Zumal sie auch ihren Spaß dabei zu haben schien. Was er mit ihr trieb, hätten viele einfach nur als brutal gesehen, aber die beiden selbst empfanden dem nicht so. Mit Lua war das anders gewesen, erinnerte er sich manchmal schwach zurück. Bei ihr war er immer sanft gewesen, hatte sie bloß nicht verletzen wollen… schnell fegte er den Gedanken beiseite und fuhr damit fort, Joker die Kleider vom Leib zu reißen. … Es war schon bizarr. Da saßen wir also in Kyrias Wohnung, zwei Exile, zwei Chimären und tranken gemütlich eine Tasse Tee, während wir uns gleichzeitig über all die Entwicklungen der letzten Zeit unterhielten. Tiara war nicht da, weshalb wir uns normal unterhalten konnten. „Eine Finte also.“, meinte Kyria abschließend, nachdem ich ihr das Scheitern unserer Mission erläutert hatte. „Die versuchen wirklich alles, um Luca irgendwie zu kriegen.“ „Scheint so.“, stimmte ich traurig zu. Noch immer war es schwer für mich zu glauben, dass er sich so dermaßen verändert hatte. Und das nicht gerade zum Guten. Ob es noch Hoffnung für ihn gab? Neben uns saß jedenfalls ein etwas mies gelaunter Vale, der scheinbar noch immer an der Tatsache zu knabbern hatte, das ein alter Freund von ihm Luca half. Besser gesagt, seine rechte Hand war. „Sag mal.“, begann Kyria schließlich neugierig, „Ich hörte, dass du und Nokogiri eine recht bewegte Vergangenheit habt. Willst du mich nicht aufklären?“ Jetzt wurden sowohl Pik, als auch ich ebenfalls neugierig. Vale erzählte ja nur selten von seinem vergangenen Leben, eigentlich nie. Vale erstarrte für einen Moment, als hätte sie ihn aus den Gedanken gerissen. Dann hörte ich ihn schnaufen, wobei er sich zu ihr umdrehte und meinte: „Kann man so sagen.“ Für einen Moment vermutete ich, dass er es dabei belassen würde, doch dann fügte er doch noch hinzu: „Ich war eigentlich kein besonders guter Mensch, hatte nie Bock richtig zu arbeiten oder was zu lernen, also bin ich ziemlich schnell auf die schiefe Bahn geraten. Bin ins Drogengeschäft eingestiegen, hab für meinen Chef den Dealer gespielt und tja, wer nicht zahlen konnte oder wollte, hat mich auf andere Weise kennengelernt.“ „Warst ja offenbar ein Vorzeigemensch.“, lachte Pik etwas zynisch. „Fass dir an deine eigene Nase.“, brummte Kei und verwies damit auf die Tatsache, dass Pik einen Großteil seines bisherigen Lebens als Auftragsmörder gearbeitet hatte. Pik verstummte sofort, wirkte jedoch nicht beleidigt. „Ab und an hab ich mein eigenes Zeug genommen, zum Glück bin ich aber nie davon süchtig geworden. Hätte sonst wahrscheinlich echt Probleme mit meinem Chef bekommen.“, überlegte Vale weiter, „Jedenfalls war ich oft auf Partys unterwegs, hab mein Zeug unter die Leute gebracht, wenn es spät genug war. Hatte dafür extra meine Stammkneipen und Clubs. War da nicht sehr verwunderlich, dass ich auch Exile unter meinen Kunden hatte. Auf die wirkten die Drogen zwar anders als auf Menschen, dennoch bekamen sie einen Rausch, den sie sich gern gönnten. Irgendwann traf ich so auf Kei.“ Jetzt war ich gespannt, wie sich das noch entwickeln würde. Ein Kleinkrimineller und ein Exile, absurde Kombi. „Ich wusste natürlich nicht, was Kei wirklich war, aber wir kamen irgendwann ins Gespräch. Zwar kaufte er mir lustiger Weise nie was ab, ging aber verdammt oft feiern zu der Zeit und da lief man sich eben ständig über den Weg. Letztlich freundeten wir uns irgendwie an, quasi sowas wie Saufbrüder.“ Ein kleines Lächeln kam auf seine Lippen, als er sich an jene Zeiten zurückerinnerte. Offenbar hatten sie ihm durchaus gefallen. Aber ich ahnte schon, dass sich das irgendwann geändert haben musste. „Eines Tages.“, meinte Vale nun und sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich zunehmend, „geriet ich aber an die falschen Leute. Neue Kunden, wie sie sagten, die aber nicht zahlen wollten, als ich lieferte. Als ich sie später in einem Park der Stadt zur Rede stellte, zeigten sie ihr wahres Gesicht. Das war das erste Mal, dass mich Exile über den Tisch gezogen hatten. Zugedröhnt wie sie waren, sahen sie in mir nicht den Schuldeneintreiber, sondern vielmehr einen Mitternachtssnack. Tja, das war eben Berufsrisiko, würde ich sagen. Und meine Güte haben die mich zugerichtet. Als sie dachten, ich sei tot, sind sie abgehauen und als man mich Stunden später fand, hatten die Ärzte alle Hände voll zu tun, damit ich nicht verblutete.“ „Lass mich raten, der der dich gefunden hat, war Kei?“, fragte Pik nun dazwischen und Vale nickte zustimmend. „Wie ich heute weiß, hat er mich aus einer reinen Laune heraus gerettet und anschließend ins Krankenhaus gebracht. Immerhin ist er selbst ein hervorragender Arzt und konnte mich so wohl vor dem sicheren Tod bewahren. Jahre später meinte er mal zu mir, dass er mich als Menschen einfach zu amüsant fand, um mich so sterben zu lassen. Tja, Glück gehabt, mehr oder weniger zumindest. Ich lag fast zwei Wochen im Koma nach der Aktion und als ich endlich wieder zu mir kam, wollte ich nur eines…“ „Rache.“, bemerkte Pik, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt. „Genau.“, gab Vale zurück, wobei seine Fangzähne aufblitzten. „Auch wenn ich nur Drogen verkaufte, war es doch irgendwie mein Beruf geworden und da mich zuvor noch niemand um mein Geld betrogen hatte, fühlte ich mich in meiner Ehre angekratzt. Außerdem wollte ich mich für die Nahtoderfahrung bedanken.“ Dann folgte ein kurzer Moment der Stille, als ging Vale im Kopf die folgenden Ereignisse noch einmal im Detail durch. „Diese Idioten hatten mich nicht nur ins Koma befördert, sie hatten mich auch mit dem Y-Virus infiziert. Allerdings wurde mir verdammt schnell klar, dass ich drohte zu einem Yajuu zu werden und wäre das geschehen, hätte ich niemals eine Chance gehabt. Da ich wusste, dass mir nur wenige Tage blieben einen anderen Weg zu finden, suchte ich recht verzweifelt nach Alternativen. Woraufhin ich wieder Kei über den Weg lief. Der bemerkte meine Lage recht schnell, was nicht schwierig war, hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon angefangen zu degenerieren. Ich war wahrscheinlich nur noch Stunden davon entfernt ein Yajuu zu werden, als er mir einen Vorschlag machte, den ich nicht ablehnen konnte. Ein Experiment, sozusagen.“ Wie gebannt hörte ich Vale zu. Jeder hatte so seine ganz eigene Geschichte, wie er oder sie zum Exile geworden war, aber seine, hatte ich bis dato noch nie auch nur ähnlich gehört. „Kei gab sich als Exile zu erkennen und bot mir sein Blut an. Er meinte, dass er auf ähnliche Weise zum Exile geworden war und auch wenn er sich nicht sicher war, ob es bei jemanden, der kurz davor war ein Yajuu zu werden, auch funktionierte, machte er mir dieses Angebot. Weiß bis heute nicht, was ihn dazu geritten hat, aber ich stimmte zu, offensichtlich. Den Rest könnt ihr euch ja denken. Nach der Horrornacht schlechthin wurde ich schließlich nicht zum Yajuu. Und das erste, was ich als frisch gebackener Exile in Angriff nahm, war diejenigen aufzuspüren, die mich übers Ohr gehauen hatten. Dann hab ich glaub ich mit Kei die ganze Nacht einen drauf gemacht und dann hab ich einen Filmriss. Keine Ahnung, was noch so passiert ist danach.“ Pik lachte plötzlich laut auf. „Das ist ja mal die abgedrehteste Story, die ich seit langem gehört habe. Sag bloß, du hast am Ende noch weitergedealt, quasi der freundliche Exile von nebenan und Drogendealer deines Vertrauens.“ Ich gab zu, auch ich musste darüber etwas schmunzeln, doch Vale verdrehte nur genervt die Augen. Als ich zu Kyria hinüberschielte, sah ich, dass auch sie das durchaus amüsant fand. „Natürlich nicht.“, antwortete Vale, „Die erste Zeit bin ich mit Kei um die Häuser gezogen. Der Typ war sowas wie mein Mentor in der Anfangszeit, hat mir alles beigebracht, was man als Exile so wissen sollte und wie man sich kontrolliert. Aber irgendwann sind wir dann getrennte Wege gegangen. Hatte nicht einmal einen bestimmten Grund, hat sich einfach so ergeben. Haben uns zwar alle paar Jahre mal gesehen, aber dass er jetzt bei so einer Gang mit macht, hätte ich nie im Leben erwartet. Er wirkte eigentlich nie wie ein Exile, der gerne alle Menschen auf dieser Welt tot sehen wollte. Er kam mir immer recht vernünftig vor.“ Plötzlich räusperte sich Kyria leise und erwiderte ruhig: „Dieser Kei ist nach meinem Wissenstand schon ein recht alter Exile, nicht? Als ich noch selbst Hunter war, war er bereits gut bekannt, als der Hunterjäger. Bis zum Tag der Schatten und die damit verbundene Vernichtung der damaligen Hunter, war er alles andere als ein Unschuldslamm, ruhig oder gar vernünftig. Um genau zu sein, hatte ich immer den Eindruck, dass er Menschen nicht besonders mochte, besonders uns Hunter damals. Keine Ahnung warum, aber mir schien es immer, als führe er gegen uns einen persönlichen Rachefeldzug der Extraklasse. Da es die Hunter von damals aber nicht mehr gibt, ist er tatsächlich viel ruhiger geworden. Ich schätze einfach mal, dass er das Kriegsbeil wohl begraben hat. Aber hey, ich war ja auch nicht besser in meinen ersten Jahrzehnten, scheint wohl einfach so ein allgemeines Phänomen bei Exile zu sein, dass sie erst mit dem Alter wieder vernünftiger und damit ein Stück weit menschlicher werden.“ So hatte ich das noch nie betrachtet. Ich kannte mittlerweile zumindest ein paar wenige Exile persönlich und bisher waren sie wirklich entweder so ruhig und vernünftig wie Kyria gewesen oder totale Psychos. Ob das wirklich nur am Alter der Exile lag? Zumindest hörte ich immer wieder, dass Listenplätze oft ihre Ränge während der ersten Jahre erhielten und sie dann zwar auf ewig behielten, aber meistens nicht weiter aufstiegen. Manchmal geschah das zwar schon, manchmal sanken einige Exile oder Dämonen sogar in ihren Rängen wieder, aber das war eher selten der Fall. „Mag ja sein.“, sagte Vale nun zu Kyria, „Dennoch grämt es mich, einen alten Freund als Feind zu wissen. Zumal ich seine Intention beim besten Willen nicht nachvollziehen kann. Es passt einfach nicht zu ihm.“ Daraufhin schüttelte Kyria mit den Schultern. „Wer weiß, vielleicht treibt ihn ja doch ein Grund dazu, das zu tun.“ Dass wir diesen Grund in einigen Tagen noch lebhaft erfahren würden, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Plötzlich riss ein Klingenton uns alle aus dem Konzept. Kyria zückte blitzschnell und mit elegantem Schwung ein Handy aus ihrer Hosentasche und nahm noch in derselben Sekunde das Gespräch an. „Ja?“, fragte sie in den Hörer und auch wenn ich nicht verstand, was ihr Gesprächspartner sagte, vielen mir zwei Dinge sofort auf. Erstens: Wer auch immer an der anderen Leitung war, schien über irgendetwas verdammt aufgebracht und Zweitens: Kyrias Gesichtsausdruck verwandelte sich binnen Sekunden von Unglauben zu purem Entsetzen. „Dein Ernst?“, fragte sie nach einigen Sekunden aufgewühlt, „Ich kann hier aber unmöglich weg. Außer mir ist im Moment kaum jemand hier, der die Menschen beschützen könnte.“ Da wurde ich hellhörig. Was bitte ging da vor sich? „Ok…“, meinte Kyria nun noch finsterer, „Ich kümmere mich irgendwie darum.“ Dann legte sie auf, legte das Handy auf den Küchentisch und runzelte angespannt die Stirn. „Was ist denn passiert?“, fragte ich vorsichtig nach, bereit meine Hilfe anzubieten. „Es geht um Yara und Seth.“, seufzte Kyria langsam aus und hob dann den Blick. „Sie sind bei Luca.“ „Sie sind was?!“, brauste ich auf, sodass mich Kyria ganz erschrocken anblickte. Es passierte immerhin nicht oft, dass ich so aus der Haut fuhr. „Keine Ahnung, was die geritten hat, aber scheinbar sind sie zu ihm hin marschiert, weil sie mit ihm reden wollen. Als ob das was bringen würde, diese Trottel.“, beschwerte sich Kyria nun. „Würde Luca mit sich reden lassen, dann hätten wir diese Situation ja erst gar nicht. Ich fürchte echt, dass sie in größter Lebensgefahr schweben, aber wenn ich von hier verschwinde, wer passt dann auf das Viertel auf?“ Sofort war ich von meinem Stuhl aufgesprungen und sowohl Vale, als auch Pik wussten bereits, was ich als nächstes sagen und tun würde. „Kein Problem.“, meinte ich, währen dich mir den Umhang anlegte, den Mundschutz überzog und zum Schluss die Kapuze über mich zog. „Wir holen sie da raus.“ Ohne ein Wort zu sagen, machten sich auch meine beiden Begleiter fertig, worauf Kyria mich nur dankend, aber auch traurig anblickte. „Es tut mir Leid, dass ihr das tun müsst.“ Doch ich winkte nur ab. „Es ist ja immer noch meine Familie und ich habe sie schon viel zu oft im Stich gelassen. Du wirst hier gebraucht, wir allerdings sind ungebunden.“ „Hast du denn keine Angst, dass du auffliegst?“, fragte mich Kyria besorgt. Immerhin wusste sie ja, dass ich unter keinen Umständen wollte, dass herauskam, wer ich war. Doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Das wird nicht geschehen, vertrau mir. Außerdem habe ich sehr fähige Begleiter. Vale und Pik würden das auch locker ohne mich schaffen. Auf sie kann ich mich voll und ganz verlassen.“ Diese ungelogene Zuversicht meinerseits schien Kyria etwas zu beruhigen. Sie blickte kurz zu Vale, dann zu Pik und gab ihnen mit einem Nicken zu verstehen, dass sie auf mich Acht geben sollten. „Lasst sie nicht im Stich.“, sagte ihr Blick, dann zogen wir von dannen. Bevor sich die Tür hinter uns schloss, rief ich Kyria zum Abschied noch zu: „Warte nur, nachher bringen wir die beiden wieder hierher zurück. Dann kannst du ihnen ordentlich die Leviten lesen, da ich das ja nicht tun kann.“ Kyria blieb mit einem belustigten Lächeln zurück und seufzte. „Gebt auf euch Acht.“ Kapitel 6: Selbstmordkommando ----------------------------- Was Yara und Seth dazu bewogen hatte, ausgerechnet persönlich zu Luca zu gehen, wussten sie wahrscheinlich selbst nicht so genau. Fakt war jedoch, dass sie der Meinung waren, sie hätten bisher zu viel untätig zugesehen. Ständig hatten sie zwar mitbekommen, dass um sie herum Dinge passierten, die sie nicht guthießen, doch meistens waren die beiden so sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, dass sie Vieles mehr oder weniger einfach an sich hatten vorbeiziehen lassen. Heute bereuten sie vieles davon. Sie bereuten, dass sie nicht nach Lua gesucht hatten oder zumindest irgendwie dabei geholfen hatten, sie bereuten, dass sie Tiara so vernachlässigt hatten und sie bereuten, dass sie Kyria und Tiara allein damit gelassen hatten, sich um Lucas seltsamen Wandel zu kümmern. Doch dann war es zu spät gewesen. Luca verschwand aus ihrem Leben und gründete diese Gang, wurde deren Boss und tat seitdem alles, um sich Feinde zu machen. Obwohl die beiden zumindest teilweise nachvollziehen konnten, warum Luca so abrutschen konnte, war dieses Maß auch für die Zwillinge nicht mehr im Geringsten nachvollziehbar. Und so hatten sie schließlich einen wohlmöglich tödlichen Entschluss gefasst. Sie wollten Luca zu Rede stellen, wollten die Gründe erfahren, warum er so geworden war und was eigentlich seine Ziele waren. Ihnen war bewusst, dass dies naiv und unvorsichtig von ihnen war, dass sie große Gefahr liefen, zu sterben und dennoch gingen sie das Risiko ein. Denn sie hatten nun lange genug nur zugesehen. Das Ghetto zu erreichen, war nicht schwer gewesen. Es war auch nur eine Frage von Minuten gewesen, bis sie Jemandem dort aufgefallen waren. Menschen waren dort ohnehin eine wahre Seltenheit. Die Zwillinge waren einem Exile begegnet, der sie äußerst skeptisch angeblickt hatte, fast schon ungläubig über so viel Dummheit. Wenigstens schien er halbwegs vernünftig zu sein, denn er griff die Zwillinge nicht einfach sofort an. Allerdings waren die beiden nicht so naiv zu glauben, dass ihn das weniger gefährlich machte. Tatsächlich ahnten sie, dass vor ihnen ein besonders gefährlicher Gegner stand. Dennoch fragte ihr Gegenüber relativ höflich: „Was wollt ihr denn hier?“ Der Mann mit den blaugrünen Haaren und den roten Kontaktlinsen kam den beiden bekannt vor. Schließlich fiel Yara ein, wer da vor ihnen stand. „Du bist doch Nokogiri, oder? Die rechte Hand von Luca. Dann kannst du uns ja sicher zu ihm bringen.“, meinte Yara nun gespielt burschikos. Kei stockte. „Ihr wollt zum Boss? Wieso das denn?“ „Wir müssen mit ihm reden.“, gab nun Seth ebenso wie sein Bruder zurück. „Ich hoffe euch ist klar, dass ihr das nicht überleben werdet.“, meinte Kei ohne die Dinge schön zu reden, „Seid ihr nicht die Schützlinge von Kyria? Die Zwillinge?“ „Oha, du hast von uns gehört?“, kam es sichtlich verwundert zurück. „Natürlich. So wie ihr viele Leute hier kennt und eure Nachforschungen anstellt, haben wir das genauso, Mensch. Aber gut, mir soll es egal sein, dass ihr auf ein Selbstmordkommando gehen wollt. Ich bringe euch zu Luca. Folgt mir.“ Kei konnte nicht fassen, wie dumm diese beiden doch waren. Er konnte sie ja schlecht wieder wegschicken. Jeder Mensch, der sich hierher wagte, war dem Tode sicher. Noch während Kei die beiden also zum Hauptquartier brachte, arbeitete sein Gehirn auf Hochtouren. Er wusste ganz genau, wer die beiden da waren. Tiara hatte immerhin schon oft genug von ihnen erzählt. Nur wenn er sie jetzt rettete, dann würde seine Tarnung auffliegen. Verdammt. Letztlich erreichten sie das Hauptquartier nur wenig später. All die Exile und Yajuu, die ihnen auf dem Weg begegneten, starrten die beiden schon hungrig an und wäre Kei nicht ihre Eskorte gewesen, hätten sie es wahrscheinlich nicht mal lebend zu Luca geschafft. Doch da Kei von allen hier respektiert, besser gesagt gefürchtet, wurde, wagten sie es nicht, die Menschen anzugreifen. Das war auch gut so, denn er wäre wenig erfreut über solch einen Versuch gewesen und vermutlich wäre das auch schmerzhaft und tödlich für denjenigen ausgegangen, der es gewagt hätte. Luca saß auf seinem üblichen Platz, denn hier alle immer nur den Thron nannten und hob verwundert die Augenbrauen, als er seine Gäste erkannte. „Was hast du mir denn da mitgebracht?“, fragte Luca seine rechte Hand mit einer Mischung aus Verwunderung und Belustigung. „Hab die beiden am Rande des Reviers aufgegabelt. Sie wollen scheinbar zu dir.“, gab Kei schlicht zurück. Nach außen wirkte er so ruhig und unbeeindruckt, wie immer, aber innerlich versuchte er noch immer einen Ausweg für die beiden zu finden. Kei wollte Tiara bei ihrem nächsten Treffen nicht beichten müssen, dass ihre Brüder vor seinen Augen gestorben waren. „Oha.“, lachte Luca nun amüsiert auf und erhob sich. Yara und Seth standen vor ihm und beäugten ihn kritisch. „Was bitte könntet ihr von mir wollen, Yara und Seth?“ Dieses Mal sprach Seth zuerst. „Wir wollen mit dir reden, Luca.“ „Mit mir reden?“, wiederholte Luca ungläubig, „Und worüber?“ „Wir wollen Antworten.“, meinte nun Yara, „Antworten, warum du das hier alles tust und wieso du uns verlassen hast. Du warst doch sonst nicht so… Was ist mit dir passiert, dass du dich so verändern konntest?“ Einen Moment schwieg Luca und Kei fürchtete schon, dass er die Zwillinge im nächsten Atemzug einfach töten würde, aber zum Glück geschah das nicht. „Ich bin euch keinerlei Antworten schuldig.“, meinte er stattdessen schlicht. „Oh doch!“, protestierte Yara etwas zu laut, wie Kei fand. Sofort wirkte Luca verärgert. „Ihr hättet lieber bei Kyria bleiben sollen, dann hättet ihr wenigstens noch ein paar Wochen länger leben können. Immerhin war ich ja damals nett genug, euch zu verlassen, bevor ich mit all dem hier angefangen habe. Ich hätte euch ja auch von Anfang an, da mit hinein ziehen können.“ „Ja aber warum?“, gab Seth mit einem Anflug von Enttäuschung zurück. „Warum?“, wiederholte Luca gespielt nachdenklich, „Ganz einfach! Ich war es leid. Ständig war ich der Spielball für alle um mich herum. Das war in meiner Kindheit so, dass war bei Lua so und auch danach, als ich mich allein um euch kümmern musste. Habt ihr eigentlich eine Ahnung, wie viele schlaflose Nächte ich wegen euch hatte? Wie oft ich mein gesamtes Leben verflucht habe, weil ich ständig vor einem Abgrund stand? Es sollte euch nicht überraschen, zu erfahren, dass ich ja auch nur wegen Lua überhaupt erst zur Chimäre geworden bin. Aber hey! Sie war ja sowieso eine Meisterin darin, mich auszunutzen. Ihr kommt also nur an zweiter Stelle.“ Kei beobachtete Luca aufmerksam, während dieser seine Hassrede schwang. Auch wenn Luca es nie zugeben würde, man sah ihm an, wie viel Schmerz ihn noch immer plagte, wenn er an seine Vergangenheit dachte. Meistens ertränkte er diese Gedanken nur in anderen Dingen. Letztlich tat Luca ihm sogar ein bisschen Leid, was trotzdem nicht rechtfertigte, was er jetzt gerade abzog. Die Zwillinge hingegen sahen regelrecht verletzt aus, als sie all die Vorwürfe von jener Person hörte, die sie als großen Bruder betrachteten. „Ist das wirklich deine Meinung? Glaub du wirklich, dass wir dich immer nur ausnutzen wollten?“, fragte Seth gekränkt, woraufhin Luca verärgert schnaubte. „Ob ihr das nun wolltet oder nicht, spielt keine Rolle. Fakt ist jedenfalls, dass ich damit fertig bin, mich um andere zu kümmern. Ich verfolge jetzt nur noch meine eigenen Ziele und nehme ganz sicher auf niemanden mehr Rücksicht.“ „Ja, das sieht man.“, erwiderte Yara etwas biestig, „Was sind deine Ziele überhaupt? Du wirkst einfach nur wie ein Irrer, der alles und jeden zu vernichten versucht.“ Einen Moment war es totenstill. Kei sah, wie Lucas Augen für einen Moment aufglühten, sich dann aber wieder beruhigten. Versuchte sich Luca tatsächlich zu beherrschen? „Denkt, was ihr wollt. Es ist mir egal, Menschen.“ Da war es wieder, die Eiseskälte, die Luca immer dann umfing, wenn er wieder jegliche Vernunft zu vergraben schien. „War das nun alles?“, fragte er schließlich kaltblütig, „Ihr fangt nämlich an, mich zu langweilen.“ Die Zwillinge tauschten schnell einige Blicke aus, die nur Geschwister zu deuten wussten. Kei fand die beiden Menschen zwar nach wie vor irgendwie dumm, dennoch bewunderte er ihren Mut. Für Menschen waren sie wirklich interessant und wenn Kei eines mochte, dann interessante Menschen. Wenn man schon so lange lebte wie er, wo vieles schnell langweilig wurde, war das eine willkommene Abwechslung. Allgemein war ja diese gesamte Familie einfach nur interessant. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb er sich in Tiara verliebt hatte. Doch nun wurde es allmählich brenzlig. Luca verlor die Geduld mit den Beiden und Kei ahnte, was danach folgen würde. Denn eines war klar, einfach hier herausspazieren und ihrer Wege gehen, würden die Beiden nicht. „Eine Sache noch.“ Yara und Seth blickten beide entschlossen zu Luca und zeigten für diesen einen Moment nicht einen Hauch von Angst. „Denkst du eigentlich manchmal darüber nach, was Lua oder Pik von all dem hier halten würden?“ Oh nein. Sie hatten es getan. Wenn es eine Sache auf der Welt gab, die man in seiner Gegenwart nicht ansprechen sollte, dann war es Lua. Genauso schlecht war er jedoch auch auf Pik zu sprechen, den einzigen richtigen Freund, den Luca je gehabt hatte und der nun schon seit so langer Zeit gestorben war. Es ging für niemanden gut aus, der Luca an einen von den beiden erinnerte. Sofort kühlte sich die Luft im Raum um mehrere Grade ab und obwohl sie drinnen waren, begann es leicht zu stürmen. Das entging auch den Zwillingen nicht, doch ihre Entschlossenheit blieb. „Wagt es nicht.“, zischte Luca nun mit hell glühenden Augen, „Einen dieser Namen je wieder in den Mund zu nehmen! Pik ist tot und Lua ist abgehauen. Für beide gibt es keinen Platz mehr in meinem Leben. Habt ihr das verstanden?!“ Obwohl nun keiner mehr etwas sagte, sank die Temperatur immer weiter. Kei wusste schon lange, dass Luca sich von seinem besten Freund und seiner Partnerin betrogen fühlte. Klar, Pik war gestorben und hatte Luca deswegen erst einmal nicht absichtlich im Stich gelassen, aber da Pik aus freien Stücken die anderen Informanten herausgefordert hatte, war das für Luca gleichbedeutend, wie sein Leben wegzuwerfen. Noch heute warf er daher seinem besten Freund vor, dass dieser ihn nicht vorgewarnt hatte. Luca hätte ihm dann früher helfen können und hätte damit verhindert, dass Pik die letzte Spritze hatte nehmen müssen, was wiederrum seinen Tod verhindert hätte. Zumindest redete sich Luca das so ein. Ob die Dinge anders ausgegangen wären, wenn Pik ihn vorgewarnt hätte, war fraglich. Kei zweifelte stark daran, dass das etwas geändert hätte. Sicher, er kannte nur die Erzählungen, aber ihm war immer gewesen, als sei Piks Ende unvermeidbar gewesen. Und dann war da natürlich noch das Verschwinden von Lua. Jene Lua, von der Kei schon so viel gehört hatte, dass er glaubte, sie schon fast persönlich zu kennen. Auch wenn er vorwiegend, die negativen Ansichten von Luca über sie kannte, hatte er aber auch von Tiara über die Zeit sehr viel Gutes gehört. Mittlerweile war Kei sich deswegen relativ sicher, dass Lua keineswegs aus egoistischen Gründen verschwunden war. Klar konnte er sich das mit ihr auch nicht recht erklären, aber sein Innerstes sagte ihm einfach, dass da weit mehr dahinter steckte, als einfach nur eine Frau, die aus purem Egoismus die Koffer packt und spurlos verschwindet. Aber darüber konnte sich Kei nun keine Gedanken mehr machen, denn jetzt wurde es kritisch für die beiden Menschen. „Und? Habt ihr noch irgendwelchen letzten Worte?“, fragte Luca ohne mit der Wimper zu zucken, „Ihr dachtet ja hoffentlich nicht, dass ihr hier hereinspazieren könnt und dann frisch und munter auch wieder herausspaziert? Für euch gelten dieselben Regeln, wie für alle Menschen hier. Entweder ihr werdet Futter, Arbeiter oder sterbt sofort. Da ich aber keine Lust habe, euch jeden Tag sehen zu müssen, trifft bei euch Version drei ein.“ Yara und Seth wirkten erstaunlich ruhig für Menschen, die gerade im Begriff waren, zu sterben. Offenbar hatten sie damit schon gerechnet, als sie eingetreten waren. „Du machst uns keine Angst, Luca.“, meinte Seth erstaunlich gelassen. Trotzdem spürte Kei deutlich die steigende Herzfrequenz der beiden. Ganz kalt ließ sie das dann doch nicht, was logisch war. „Oh die solltet ihr aber haben.“, zischte Luca bösartig zurück und ließ seine Fangzähne aufblitzen. Nun setzte er sich ganz langsam in Bewegung und kam immer näher auf seine Opfer zu. Luca und Seth wollten wohl instinktiv zurückweichen, aber da dort immer noch Kei stand, war dies unmöglich. Langsam wurde es eng. Wenn das so weiter ging, musste Kei gleich einschreiten, was er eigentlich vermeiden wollte. Warum konnten es nicht irgendwelche anderen Menschen sein? Die hätten ihm egal sein können. Luca machte sich zum Angriff bereit. Seine Hand war bereits zur Klaue geworden, bereit jeden Moment zuzustoßen, als der Raum plötzlich von dichtem Nebel geflutet wurde. Kei wusste sofort, was Sache war, doch Luca stutzte verwirrt. „Was zum?“, fragte er verärgert über diese Störung. Aus dem Nebel erkannte Kei gerade noch eine vage Gestalt, dann wich er im letzten Moment zurück und entkam so dem Angriff. Auch Luca wich einem Angriff aus dem Nebel aus, der sehr stark an Seraphis erinnerte. Der Nebel schien zu leben, veränderte ständig seine Form, war aber in der Lage auch tödlich zu werden. Das bewiesen die zwei langen Klingen gerade eindrucksvoll, die noch immer umherwirbelten und somit ihre Gegner auf Abstand hielten. Nun lichtete sich der Nebel ein ganzes Stück, sodass zum Vorschein kam, wer sich dahinter befand. Es war nicht Seraphis, sondern stattdessen ein Exile in Gestalt eines weißen Fuchses, dessen Beine goldenes Fell hatten. Auch im Gesicht des Exile befand sich ein filigranes Muster aus diesem Fell. Die Augen leuchteten hingegen in einem blutigem Rot. Obwohl dies eindeutig ein Exile war, hatte er durchaus Gemeinsamkeiten zu den Chimären, bemerkte Luca. Nirgendwo war an dem Exile eine Klinge zu finden, dafür war jedoch der Schweif erstaunlich, denn dieser schien nicht nur die Quelle des geheimnisvollen Nebels zu sein, er bestand offenbar auch selbst daraus. Es war wirklich dasselbe Prinzip wie bei Seraphis Haaren, die zum Nebel wurden und Luca fragte sich kurz, ob die beiden irgendwie im Zusammenhang standen. Kei hingegen wusste die Antwort auf diese Frage, auch wenn er sie Luca nicht verraten würde. Der Exile vor ihnen, besser gesagt Listenplatz Nummer 13, war für mehrere Jahrzehnte in einem Forschungslabor gewesen. Er hatte dort nahezu freiwillig an sich experimentieren lassen, was einzig und allein an der Frau lag, die dort gefangen war. Seraphis. Er hatte sich in sie verliebt und war für sie geblieben, nachdem er gefangen genommen worden war. Die Experimente, die auf Grundlage von Seraphis Macht an ihm durchgeführt wurden, hatten ihn letztlich so verändert, dass seine Macht nun ähnlich funktionierte. Er war nicht so mächtig, wie das Original, aber dennoch sollte man ihn nicht unterschätzen. Dass wusste Kei nur zu genau. Wenn Vale hier war, dann konnten die andere beiden ja auch nicht weit sein, stellte Kei für sich fest. Das beruhigte ihn, denn so konnten die Zwillinge gerettet werden, ohne dass er seine Tarnung verlor. Er musste lediglich ein bisschen gegen die Angreifer kämpfen, aber das würden die schon überleben. Besonders da er ja sehr gut mit Vales Kräften umzugehen wusste. „Wer bist du?“, fragte Luca verärgert, jedoch nicht mehr überrascht. „Bist du etwa wegen der Menschen hier? Hat dich Kyria geschickt?“ Vale beäugte Luca, den er nun zum ersten Mal in seinem Leben persönlich sah, eingehend. Nun konnte er nur noch weniger verstehen, warum Kei für ihn arbeitete. „Mein Name ist Valentin.“, stellte er sich nun formell vor, „Ich belege momentan Listenplatz 13, vielleicht sagt dir das ja mehr.“ Luca war tatsächlich überrascht. „Oha. Und wie kommt es, dass so ein hoher Listenplatz sich hierher verirrt?“ „Sagtest du doch bereits. Wegen der Menschen.“, erklärte Vale regelrecht gelangweilt, während der Nebel weiterhin umherwallte. Die Zwillinge wirkten mit all dem etwas überfordert und wechselten nun ständig die Blicke zwischen Luca und ihrem vermeintlichen Retter. „Listenplatz hin oder her, du glaubst doch nicht im ernst, dass ich das zulasse?“, grollte Luca aufgebracht. „Diese Menschen sind in meinem Revier und gehören demnach mir. Verschwinde wieder von hier oder ich zögere nicht, auch dich töten zu lassen.“ Kei ahnte schon, dass das seine Aufgabe werden würde und verdrehte innerlich genervt die Augen. Seine Lust gegen einen alten Freund, wenn nicht sogar dem besten Freund, zu kämpfen, hielt sich doch in starken Grenzen. Doch Vale lachte nur amüsiert auf, wobei der Nebel für einen Moment noch dichter wurde. „Das will ich gern sehen.“, meinte er noch immer lachend und dann schnappte er sich mittels des Nebels die Zwillinge. Sofort griff Luca an. Mehrere Duzend Eiszapfen prasselten auf den Eindringling nieder, doch als sich der Rauch verzog, war nur noch eine kleine Nebelwolke da. Vale stand stattdessen einige Meter hinter Luca und beobachtete ihn. Luca zögerte jedoch nicht lang und jagte eine Windböe hinterher, die so schnell war, dass sie Stahl mühelos schneiden konnte. Damit gelang es ihm spielend, den Nebel zu durchtrennen, aber Vale erwischte er so nicht. Im ersten Moment wirkte es zwar, als hätte Luca ihn in der Mitte geteilt, aber stattdessen war Vale an diesen Stellen zu Nebel geworden, der sich nun wieder zusammensetzte, als wäre nichts gewesen. Zugegeben, Vale war nicht unverwundbar. Diese Nebelsache funktionierte nur, wenn er schnell genug war, aber bei Luca reichte seine Reaktionszeit noch. Kei war für ihn da schon schwerer zu händeln. Zum Glück hielt dieser sich bis jetzt noch aus dem Kampfgeschehen heraus. „Warum hilfst du uns?“, fragte nun einer der Zwillinge, als Vale sie wieder zu Boden ließ. „Weil es Leute gibt, die euch gerne lebend zurück hätten.“, gab Vale kurz angebunden zurück, denn da kam wieder Luca und setzte zum direkten Angriff an. Die Hände zu Klauen verwandelt, griff er frontal an, wobei Vale nicht die Klingen an den dünnen Drähten entgingen, die Luca plötzlich aus den Ärmeln schnellen ließ. Diese waren so schnell und präzise gesteuert, dass Vale wirklich seine ganze Aufmerksamkeit benötigte, um nicht getroffen zu werden. Warum er so vorsichtig war? Nun, er konnte das Chimärengift an den Klingen deutlich riechen und da er, anders als Pik oder Lua, dagegen nicht immun war, wollte er nicht unbedingt davon erwischt werden. Vale seufzte nun etwas genervt aus und begann zu kontern. So umkreisten sich Luca und er wie hungrige Haie, die sich ständig attackierten. „Brauchst wohl doch Hilfe.“, ertönte es nun in Vales Kopf. Etwas belustigt hörte er Pik, der das ganze seit Beginn beobachtete. Da er sich mal wieder in den Stromleitungen befand, hatte ihn noch niemand bemerkt. Eigentlich sollte Vale die Zwillinge ja schnell hier heraus schaffen, aber da Luca wirklich besser war, als gedacht, musste eine Planänderung her. „Mir wäre schon geholfen.“, meinte Vale nun genervt, „Wenn die Menschen aus meiner Schussbahn wären.“ Durch sie konnte er schließlich nicht uneingeschränkt kämpfen, was Luca natürlich gnadenlos ausnutzte. „Ist ja gut.“, gab Pik nun seufzend zurück, „Ich lenk die beiden ab, damit du mit den Menschen verschwinden kannst. Lua wäre ja auch noch da.“ Doch aus dem Plan wurde nichts. Sekunden später wurde die Stromleitung durch ein kreisrundes Sägeblatt regelrecht zerfetzt. Kei hatte Pik offenbar doch bemerkt. „Ah, wusste doch, dass mir die Aura bekannt vorkam.“, stellte Kei unbeeindruckt fest, während Pik unweit von den Kämpfenden landete. Er hatte ihn nicht einfach ignorieren können, denn hätte jemand anderes die Aura der Chimäre gemerkt, ohne das Kei reagiert, hätte das ein schlechtes Licht auf ihn geworfen. Immerhin wäre es sehr unglaubwürdig gewesen, wenn Kei so getan hätte, als hätte er das nicht spüren können. Als Luca den zweiten Eindringling bemerkte, wirkte er noch schlechter gelaunt. „Was ist denn heute hier nur los? Wer ist das jetzt schon wieder?! Kei, kümmere dich um ihn!“ „Ja Boss.“, rief dieser gelangweilt zurück. Zum Glück erkannte Luca Pik nicht und dass konnte seiner Meinung nach auch so bleiben. Trotzdem sah sich Pik nun einem überaus mächtigem Gegner gegenüber. Obwohl Kei irgendwie nur halbherzig zu kämpfen schien, war das mehr als genug, um Pik beschäftigt zu halten. Zugegeben, auch Pik hielt sich zurück, da er nicht auffliegen wollte, trotzdem forderte ihn der Kampf mit Kei sehr. „Jungs, beeilt euch. Die Leute hier haben mitbekommen, was hier abgeht. Ihr bekommt gleich Besuch.“, ertönte nun die Warnung von Lua, die über ihre Spiegel das Gelände im Blick behielt, während sie selbst in ihrer Spiegelwelt wartete. „Na großartig.“, schnaufte Vale, während er den nächsten Eisklingen auswich. Obwohl er wirklich wendig und schnell war, kamen diese Klingen aus so vielen Richtungen gleichzeitig, dass es schwer war, allen auszuweichen ohne dabei die Menschen in Mitleidenschaft zu ziehen. Auch Pik war gerade damit beschäftigt den schlangenschwertartigen Klingen von Kei auszuweichen. Immer wieder versuchte er Kei zu schocken, er kam aber nie genug an ihn heran und die Klingen selbst trennte Kei immer sofort von sich ab, wenn Pik sie zu berühren versuchte. So erreichte der Strom Kei nicht, nur weiter als das konnte Pik im Moment nicht gehen. Natürlich konnte er noch ganz andere Stromstärken ausfahren, aber dann gerieten die Menschen in ernsthafte Gefahr, was Pik nicht zulassen konnte. … So hatten also sowohl Vale, als auch Pik ihre Probleme, sodass ich mich gezwungen sah, einzugreifen. Aus einer nahegelegen spiegelnden Fläche verließ ich meine Welt und mischte mich ins Kampfgeschehen. Noch unbemerkt von Luca, nutzte ich mein Quecksilber um ihn zu fesseln. Kaum bemerkte er das, grollte er vor Zorn. Mir tat es in der Seele weh, ihn so jähzornig zu sehen. Lange hatte ich Angst gehabt, Luca wiederzusehen und auch wenn er nicht wusste, dass ich vor ihm stand, tat es nicht minder weh. Er hatte sich so stark verändert, dass ich ihn kaum wiedererkannte. Sicherlich sah sein Äußeres noch fast so aus wie früher, nur innerlich schien er eine komplett andere Person zu sein. Ich liebte ihn ja wirklich sehr, aber es war schwer für mich zu glauben, dass das wirklich die Person war, an die ich einst mein Herz verloren hatte. Was mein Verschwinden und offenbar auch Piks Ableben mit ihm angestellt hatten, war katastrophal und ließ sich mein Herz schmerzhaft zusammenziehen. Doch nun war wahrlich keine Zeit, dem nachzutrauern. Jetzt musste ich erst einmal Yara und Seth hier heraus bekommen. Dafür musste ich Vale genug Zeit verschaffen, denn er war am besten dafür geeignet, die beiden hier heraus zu schaffen. Pik konnte von uns allen zwar am schnellsten Reisen, da aber nur er zu Strom werden konnte, konnte er niemanden mitnehmen. Tja und ich konnte zwar theoretisch jeden, also auch Menschen, in meine Welt mitnehmen, doch tat ich das nicht gern. Menschen vertrugen die Spiegelwelt nur sehr schlecht. Irgendwas an ihrer Macht schadete den Menschen sehr, selbst bei kurzen Aufenthalten, sodass ich dies auch nicht als Option in Betracht zog. Blieb also nur noch Vale. Luca ließ unterdessen mein Silber gefrieren. Es wurde brüchig und hielt ihm nicht mehr lange stand. Es diente ja ohnehin nur zur Ablenkung. Allgemein war diese Eisfähigkeit von Luca aber eher hinderlich. Ich spürte, wie die Kälte um mich herum zunahm und Sekunden später brauste eine Salve von Eiszapfen auf mich herab, denen ich aber mit meinem Silber Einhalt gebot. Im nächsten Moment kam ein gewaltiger Sturm auf, mit dem Niemand gerechnet hatte. Vale krallte sich in den Boden, ich wich aus, aber die Zwillinge wurden gegen eine nahegelegen Wand geschleudert, woraufhin sie das Bewusstsein verloren. Doch ich bekam nicht einmal die Zeit, mir Sorgen zu machen, denn im nächsten Moment griff mich eine gewaltige, schwarze Chimäre an. Lucas eiskalter Blick brannte vor Mordgier und Hass, was mich zutiefst erschreckte. Scheinbar hatte er nun echt genug, von all den Eindringlingen in seinem Revier. Im letzten Moment sprang ich aus dem Radius seiner tödlichen Klauen heraus, als ich ihn schon wieder hinter mir spürte. Durch seine Affinität zur Luft war er wahnsinnig schnell. Ich kam kaum hinterher. Trotzdem wehrte ich den Angriff mit meinem Silber noch im letzten Moment ab und landete etwas unsanft auf dem Boden. Noch im selben Moment stürmten mehrere Exile den Raum. Der Kampf war hier keinem entgangen und sofort mischten sich die Neuankömmlinge ins Kampfgeschehene ein. Schon sehr bald herrschte ein riesiges Chaos im Raum. Vale, Pik und ich kämpften mit so vielen Gegnern gleichzeitig, dass man nie wusste, wem man eigentlich gerade gegenüber stand. So konnte das nicht weitergehen. Die Zwillinge, immer noch bewusstlos, waren all dem hier schutzlos ausgeliefert. „Neuer Plan.“, sandte ich meinen Begleitern telepathisch zu, „Vale, glaubst du, du kannst mir etwas Zeit verschaffen? Dann bringe ich die beiden hier heraus.“ „Klar schaff ich das.“, meinte dieser enthusiastisch, „Ist mir sogar ganz recht. Kann mit den beiden hier, sowieso nur sehr eingeschränkt kämpfen.“ „Ok.“, gab ich nickend zurück, „Und Pik? Kannst du Kei davon abhalten, mir zu folgen, falls er das vor hat? Mit den kleinen Fischen komme ich auch mit den Zwillingen ohne Probleme klar, aber mit ihm wird es problematischer.“ „Mach ich.“, kam es knapp zurück. Ein Blick genügte, um zu sehen, dass Kei ihm ordentlich einheizte. Dabei verwendete er nach wie vor nicht mehr, als die zwei Klingen mit den Sägeblättern an deren Enden. Er war schon ein beeindruckender Exile, musste ich gestehen, was für uns eher schlecht war. „Dann ist das ja geklärt.“, meinte ich nun, „Dann brauche ich nur noch ein kleines Ablenkungsmanöver. Würdest du bitte, Vale?“ „Mit Vergnügen.“, lachte dieser vorfreudig, wie ein kleines Kind. Sekunden später landete er in der Mitte des Raumes, wo sich auch gerade Luca befand. Vale griff ihn mit ausgefahrenen Krallen an, aber der direkte Angriff war nur eine Finte gewesen. Stattdessen tauchte Vale nun den gesamten Raum in einen so dicken Nebel, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte. Für den Moment ging unser Plan auf. Alle stockten für einen Moment, selbst Luca, was mir genug Zeit verschaffte, mir die Zwillinge zu schnappen. Da ich mir gemerkt hatte, wo sie sich befanden, brauchte ich nicht zu sehen, um sie zu finden. Zielsicher schnappte ich mir die beiden und war, noch bevor der Nebel aus dem Raum verschwunden war, mit den Zwillingen aus dem Hauptquartier geflohen. Nur einen Moment später hörte ich ein so erbostes Brüllen einer Chimäre, dass ich wusste, dies würde noch ein Nachspiel haben. Kapitel 7: der eisige Jäger --------------------------- Luca war außer sich vor Wut. Die seltsame Frau, die aus dem Nichts gekommen war, war verschwunden und sie hatte, was noch viel schlimmer war, die Zwillinge mitgenommen. Niemand nahm ihm seine Beute weg. Niemand! Das nahm er persönlich und so würde er auch niemanden hinter ihr her schicken, sondern sich persönlich darum kümmern. Er musste nur diesen nervigen Exile lange genug ablenken, das er hinter ihr her konnte. Mit zwei Menschen war sie unmöglich schnell genug, ihm zu entkommen. Dann war da ja auch noch die andere Person, die als zweites gekommen war und die sich vornehmlich mit Kei beschäftigte. Bisher hatte Luca dem aber kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Einige seiner Leute wollten der Frau hinterher, aber bevor er sie zurückpfeifen konnte, weil sie seine Beute war, ging der Fuchs schon dazwischen. Jetzt da die Menschen weg waren, kämpfte er sofort viel besser. Nicht das er vorher schlecht gewesen wäre, aber nun war auf jeden Fall trotzdem ein deutlicher Unterschied zu vorher erkennbar. In einiger Entfernung erspähte Luca Shirai und ihren Bruder Sarir, die das ganze durcheinander bis jetzt nur belustigt mitansahen. Da kam Luca eine Idee. Blitzschnell landete er bei den beiden Exile und meinte: „Lenkt diesen Fuchs da unten für mich ab. Haltet ihn so beschäftigt, dass er keine Zeit hat mir zu folgen. Kapiert?“ Shirai blickte Luca mit großen Augen an. Bisher hatte sie ihn nur selten als Chimäre gesehen und war immer wieder beeindruckt, wenn sie ihn sah. Beeindruckt, aber auch eingeschüchtert. Ihr Bruder nahm das etwas gelassener, doch auch ihm sah man an, dass die Chimäre ihm Respekt einflößte. „Machen wir, Boss.“, kam es zögerlich, dann aber doch entschlossen zurück. Luca antwortete darauf nicht mehr, sondern schaute den Geschwistern zu, wie sie sich nun auch in das ohnehin schon große Durcheinander da unten warfen. Sofort nahmen sie ihre Gestalten als Exile an und stürzten sich auf den Fuchs. Dieser schien zwar nicht überrascht, aber wurde er nun von so vielen Gegner gleichzeitig angegriffen, dass er alle Hände voll zu tun hatte. Wobei selbst Luca zugeben musste, dass Vale beeindruckend war. Gegen gut vier Duzend Gegner hielt er nicht nur mit, sondern konnte auch selbst noch angreifen und dabei Schaden verursachen. Er selbst hatte bisher noch jeden Angriff parieren oder ausweichen können. Alles in allem ein wirklich unfairer Kampf, aber das war Luca egal. Er kämpfte schon lange nicht mehr fair. Als Vale bemerkte, was hinter diesem Massenangriff steckte, war es aber schon zu spät. Luca war verschwunden. „Shit.“, fluchte Vale, denn seine Gegner ließen ihn nicht weg. Wie hungrige Moskitos umschwirrten sie ihn und griffen unablässig ab. Vale blieb für den Moment nichts anderes übrig, als mitzuspielen. „Du hast Luca entkommen lassen.“, schimpfte nun auch Pik, der noch immer mit Kei beschäftigt war, welcher das Ganze scheinbar eher als langweilig und unnötig empfand. Zumindest sah man ihm deutlich an, dass er darauf eigentlich keine Lust hatte. „Ich weiß, aber halt du mal jemanden auf, der so schnell ist wie der Wind, während auf dich vier duzend Leute losgehen.“, verteidigte sich Vale gereizt. „Meinst du, du schaffst den hier auch noch abzulenken? Dann folge ich Luca und halte ihn auf, bevor er Lua erreicht.“ Ein lautes Seufzen war zu hören. „Ja, ja für einen kurzen Moment, bekomme ich Kei schon abgelenkt. Der scheint eh keinen Bock zu haben.“ So schüttelte Vale seine Angreifer für einen Moment ab und gesellte sich zu Pik, der gerade mehrere Stromschläge auf Kei jagte, welcher diesen jedoch ohne Probleme auswich. Noch während Pik seinen Angriff beendete, sprang Vale aus seinem Schatten hervor und griff Kei direkt an. Damit hatte dieser nicht gerechnet und das erste Mal seit Beginn des Kampfes, musste er sich etwas mehr anstrengen, um auszuweichen. Mehrere Klingen aus dem geisterhaften Nebel griffen Kei an, bis dieser letztlich dazu überging, den Nebel zu kontern, statt auszuweichen. Darauf hatte Pik gewartet, der nun blitzschnell verschwand und Lua folgte. Vale blieb allein zurück, der nun so viele Gegner auf einmal vor sich hatte, wie noch nie zuvor. Aber er nahm es als Herausforderung und freute sich regelrecht, sich mal wieder austoben zu können. Er ließ dem Nebel immer mehr Raum, bis Vale darin zu verschwinden schien. Die Wolke, die so entstand, war mehrere Meter im Durchmesser und verschluckte seine Gegner. Nahezu blind waren sie ihm dann ausgeliefert, während er nun dazu überging, einen nach dem anderen aufzuschlitzen. Nur Wenige kamen mit dieser Methode klar, doch Kei, der dies in und auswendig kannte, beeindruckte das nicht. Er ließ sich sogar freiwillig vom Nebel verschlucken, wartete einen Moment geduldig und als Vale auf ihn losging, spießte Kei ihn mit mehrere Klingen auf. Sofort sprang Vale zurück, woraufhin sich die Wunden augenblicklich wieder schlossen. Aber auch der Nebel lichtete sich wieder. „Alles herhören!“, rief Kei nun an die Menge gerichtet, „Wer ohnehin nicht die geringste Chance hat, verschwindet jetzt. Ich hab keinen Bock nachher all eure Leichen wegräumen zu müssen, nur weil ihr so erbärmlich schwach seid!“ Die Anderen im Raum stoppten. Missmutig starrten sie zu Kei, der jedoch mit seiner Aussagen durchaus Recht hatte, was sie auch wussten. Nur mochte es niemand besonders, wenn man ihn erbärmlich schwach nannte. Da sich aber keiner traute, Kei das offen zu zeigen, lichteten sich die Kampfreihen stattdessen. Selbst Shirai und Sarir zogen sich an den Rand zurück. „Endlich etwas Freiraum.“, stöhnte Kei erleichtert, wobei Vale ihm nur zustimmen konnte. „ Na gut, dann bist du wohl jetzt mein Gegner. Was, alter Freund?“ … Ich kam mit den Zwillingen im Gepäck leider viel langsamer voran, als ich wollte, aber da meine Begleiter offenbar ganze Arbeit leisteten, kam ich ohne große Probleme voran. Nur selten begegnete mir einer von Lucas Leuten, die mir aber keine Probleme bereiteten. Meistens hielten sie nicht einmal einem Angriff stand und so näherte ich mich langsam dem Ende dieses Ghettos. Plötzlich merkte ich jedoch, wie sich etwas rasend schnell auf mich zu bewegte. Sofort erkannte ich, wessen Aura das war und seufzte innerlich. Ich hätte mir ja denken können, dass Luca irgendeinen Weg finden würde, mich zu verfolgen. Ich konnte Vale nicht einmal einen Vorwurf machen. Er hatte so viele Gegner gehabt, dass es nahezu unmöglich war, Luca daran zu hindern. Nur hatte ich gehofft, dass ich schneller als er wäre. Offenbar ein Trugschluss. Luca schnitt mir den Weg ab. Mit gefletschten Zähnen starrte er mich mit seinen eiskalten Augen an. „Endstation.“, grollte er zornig, „Was auch immer ihr drei von den beiden Menschen da wollt, das könnt ihr vergessen. Sie sind meine Beute und wer immer es wagt, mir meine Beute streitig zu machen, bezahlt teuer!“ Mir war klar, dass das keine leeren Drohungen waren. Er meinte es todernst. Leider. Aber ich musste mich wohl auf einen Kampf mit Luca gefasst machen, auch wenn das das letzte war, was ich jemals gewollt hatte. Vorsichtig setzte ich Yara und Seth am Boden ab und spannte über die beiden eine Art Käfig aus meinem Silber. Das sollte sie so gut es ging vor Angriffen schützen, denn ich konnte sie nicht die ganze Zeit in meiner Nähe haben, wenn ich gleich mit Luca kämpfen würde. Dann machte ich mich innerlich bereit auf eine der schwersten Aufgaben, die ich je in meinem Leben hatte. „Wer seid ihr drei überhaupt?“, fragte Luca nun verstimmt, „Ihr habt schon eine Mission meiner Leute sabotiert, wie ich hörte. Was wollt ihr?!“ Da ich jedoch nicht mit Luca reden konnte, schwieg ich. Es tat mir in der Seele weh, aber hätte ich das Wort erhoben, hätte er mich sofort erkannt und das konnte ich nicht riskieren. „Du willst also nicht reden?“, fragte Luca nach einiger Zeit. Sein Zorn schien stetig zu wachsen. „Auch gut, ich zerfetzte dich so oder so.“ Dann griff er an. Gut zwei Duzend Eiszapfen manifestierten um mich herum und prasselten auf mich herab. Ich wich ihnen ohne Probleme in die Luft aus, wo mich Luca schon empfing. Seine Klauen rasten auf mich herab, sodass ich abwehren musste. Blitzschnell ließ ich das Silber zu einer stabilen Klinge werden, die den Klauen standhielt. Damit stemmte ich mich Luca entgegen, der alles andere als glücklich darüber schien, dass ich ihm standhalten konnte. Doch im nächsten Moment begann sich seine Stimmung zu ändern. Er war immer noch zornig, aber ich merkte deutlich, dass der Jagdtrieb der Chimäre nun die Oberhand gewann. Er sah vor sich einen Gegner, der eine Herausforderung darstellte, was offenbar nicht allzu oft geschah und das heizte seinen Instinkten ein. Auch ich kannte dieses Gefühl, Pik kannte es auch nur allzu gut, doch Luca hatte nie wirklich gelernt damit umzugehen. Langsam machte ich mir Sorgen, wie das enden sollte. Wenn Pik die Beherrschung verlor konnte ich stets einschreiten, aber wer tat das bei Luca? Nun lösten wir uns wieder voneinander und landeten einige Meter entfernt voneinander. Es begann zu stürmen, wie ich feststellte und Augenblicke später kamen solch heftige Böen, dass sie mich zu zerteilen drohten, wenn ich ihnen schutzlos gegenüber stand. Ich manifestierte mehrere Spiegel, die diese Windschnitte aufsogen, gefolgt von weiteren Eiszapfen. Luca war offenbar fasziniert von diesen Spiegeln. Sowas hatte er noch nie gesehen. Er rechnete also auch nicht damit, dass seine Angriffe auf ihn zurückfeuern würden. Als die Spiegel um ihn herum erschienen und seine Angriffe auf ihn niederprasselten, war er für einen Moment so überrascht, dass ich ihn sogar mehrere Male traf, bis er die restlichen Angriffe wieder abwehrte. Zum Glück war Luca nicht so schlau wie Kei, meine Spiegel auf Anhieb zu durchschauen. So verschwand ich in ihnen und begann Luca zu umkreisen. Immer wieder griff ich ihn an, verschwand aber zu schnell wieder in den Spiegeln, bevor er mich zu fassen bekam. Ich sah, wie er immer wütender wurde und mit jedem Treffer, den ich landete, wurde es noch kälter. Schließlich begannen meine Spiegel dieser Kälte nachzugeben. Obwohl nicht direkt attackiert, gefroren sie mir Stück für Stück und ich war gezwungen diese Taktik abzubrechen. Kaum erschien ich wieder aus einem der Spiegel, in sicherer Entfernung von Luca, stürmte er schon auf mich zu. Zumindest dachte ich das. Stattdessen musste ich jedoch entsetzt feststellen, dass sein Ziel nun die Zwillinge waren. Mein Silber wehrte tapfer die Eiszapfen und Windschnitte ab, die Luca auf sie niederfahren ließ, aber ich sah bereits die ersten Risse im Silber entstehen. Ich musste eingreifen, sonst waren Yara und Seth in zu großer Gefahr. Aber darauf hatte Luca nur gewartet. Kaum näherte ich mich ihm, schlug er blitzschnell zu und beförderte mich damit an einen Felsen in der Nähe. Einige meiner Rippen knackten verdächtig, als ich abprallte, doch ich machte mir darum keine Gedanken. Das würde eh gleich wieder verheilen. Bevor ich jedoch wieder richtig auf die Beine kam, tauchte Luca erneut vor mir auf. Seine messerscharfen Zähne waren nur noch Zentimeter entfernt. Ich wusste, wenn er mich erwischte, würde ich nicht nur mit ein paar Kratzern davon kommen. Im letzten Moment wich ich zur Seite aus, nur um festzustellen, dass der Boden plötzlich eiskalt wurde. Einen Wimpernschlag später kamen riesige Eisklingen empor. Ich stieß mich von ihnen im letzten Moment ab, als mich Luca mit einem Prankenschlag erwischte und mehrere Meter durch die Luft fliegen ließ. Dieses Mal war die Verletzung schon deutlich tiefer. Ein stumpfer Schmerz zuckte durch meinen Körper, was die Chimäre in mir kurz aufzucken ließ. Denn was niemand außer mir wusste, war, dass ich beim Kämpfen nur auf die Kräfte zurückgriff, die ich von meinem Vater vererbt bekommen hatte. Die Kräfte eines Exile. Kurz gesagt kämpfte ich immer nur mit der Hälfte meiner eigentlichen Macht, was im Allgemeinen aber auch mehr als genügte. Kombinierte ich meine Kräfte zu ihrer eigentlichen Macht, hätte Luca keine Chance gehabt. Aber das tat ich nicht. Das hatte ich bisher nur einmal getan und das war im Labor gewesen, als mich die Menschen beinahe getötet hatten und seitdem nie wieder. Der Grund dafür war simpel. Nutzte ich meine gesamte Macht, war ich zwar deutlich stärker als jetzt, aber auch am Verwundbarsten. Ich schaffte es jedoch den Aufschrei der Chimäre erfolgreich im Keim zu ersticken und landete relativ elegant auf den Füßen. Die Wunde begann sofort zu verheilen, benötigte dieses Mal aber einige Sekunden. Zeit, die Luca nutzte, um sofort wieder anzugreifen. Innerlich wappnete ich mich bereits, diesen neuen Angriff mit dem Silber zu kontern, als Pik dazwischen ging. Ein riesiger Stromstoß ließ Luca stoppen und zurückspringen, als Pik vor mir erschien. Telepathisch sandte er mir zu: „Verzeih, dass ich so spät komme. Hatte auf dem Weg mit ein paar Hindernissen zu kämpfen. Wie läuft es so?“ Endlich hatte sich die Wunde von eben wieder geschlossen und ich seufzte erleichtert aus. „Naja siehst du ja. Luca ist wirklich viel mächtiger, als ich gedacht hatte. Kein Vergleich mehr zu früher.“ „Das stimmt.“, pflichtete mir Pik bei und ließ Luca dabei keine Sekunde aus den Augen. „Hör zu. Ich kümmere mich um Luca, dann kannst du mit den Zwillingen von hier verschwinden. Er hat dich für einen Tag genug verletzt.“ „Ach das ist nicht schlimm, ist doch schon alles verheilt.“, meinte ich sofort. Ich sah Pik klar und deutlich an, dass er sich um mich sorgte. Irgendwie fand ich das ja niedlich, auch wenn es eigentlich nicht nötig war. „Meinst du echt, du kommst mit Luca klar? Ich möchte nicht, dass du gegen deinen besten Freund kämpfen musst, Pik.“ „Das ist in Ordnung. Es lässt sich nicht vermeiden und es war ja von vorn herein abzusehen, dass es so kommen könnte. Bring du die Menschen in Sicherheit und ich verschaffe dir die Zeit, die du brauchst. Sag mir dann einfach Bescheid, wenn ich von hier verschwinden kann.“ „Ok…“, meinte ich etwas missmutig. Mir gefiel das ganz und gar nicht, Pik hier mit Luca allein zu lassen, aber es ließ sich nicht vermeiden. „Also gut. Dann verlass ich mich auf dich.“ Pik nickte entschlossen und machte sich bereit. Luca hatte sich während der wenigen Sekunden, die das Gespräch gedauert hatte, nicht vom Fleck gerührt. Scheinbar analysierte auch er die Lage. Dann ging alles jedoch ganz schnell. „Los!“, sandte mir Pik telepathisch zu, ließ im selben Moment eine elektrische Entladung auf Luca herabfahren und ich stürmte zu den noch immer bewusstlosen Zwillingen. Schnell packte ich die beiden und machte mich aus dem Staub. Natürlich wollte mir Luca sofort den Weg abschneiden, aber dann geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Das erste Mal seit Jahren war jemand genauso schnell wie er. Pik hatte die einzige Affinität unter den Chimären, die der Luft in Punkto Schnelligkeit überlegen war. Und noch etwas musste Luca sehr schnell feststellen. Die Elektrizität seines Gegners konnte nicht durch seine Windangriffe aufgehalten werden. Sie gingen ungehindert dort hindurch. „Du musst die andere Chimäre sein, von der Kei erzählt hatte.“, stellte Luca schließlich fest und wich ein Stück zurück. „Hätte nicht gedacht, dass es außer mir noch jemanden gibt. Hat dich etwa auch Seraphis zurückgeholt?“ Doch Pik schwieg sich genauso aus wie Lua. Auch er wollte nicht anhand seiner Stimme erkannt werden. Luca schnaubte zornig. „Was ist nur los mit euch? Könnt ihr alle nicht reden oder was? Nur euer Fuchs scheint da ja gesprächiger drauf zu sein. Aber gut, von mir aus. Dann töte ich dich eben, ohne ein paar Antworten zu bekommen.“ Kapitel 8: Katz und Maus ------------------------ Pik und Luca befanden sich auf offenem Gelände, sodass weit und breit keine Stromleitungen für Pik zur Verfügung standen. Aber auch ohne sie kam er sehr gut klar. Er setzte den ganzen Boden unter Strom, Luca wich jedoch im letzten Moment noch in die Luft aus. Also jagte Pik von unten einen Blitz nach oben, welcher ins Schwarze traf. Verärgert und sicher auch vor Schmerz brüllte Luca, bevor er auf den Boden knallte und dort weiter gegrillt wurde. Es fiel im sichtlich schwer wieder aufzustehen, doch es gelang ihm. Im selben Moment raste auf Pik von hinten eine riesige Klinge aus Eis zu. Er musste ausweichen, was aber den Strom vom Boden verebben ließ. Luca war wieder frei und nutzte das sofort, um auf Pik loszugehen. Dieses Mal war Luca ein Sekundenbruchteil schneller als sein Gegner. Er packte Pik mit einer Klaue an der Kehle und rammte ihn zu Boden. Im selben Moment setzte Pik sich selbst unter Strom, doch dieses Mal ohne Erfolg. Luca hatte sich mit seinem Eis eine Art Blitzableiter geschaffen. „Nicht nochmal.“, grollte dieser siegessicher, während er Pik die Kehle zuschnürte und ihn gegen eine Felswand krachte. Pik sah bereits kleine Sternchen vor seinem inneren Auge, was die Chimäre in ihm erwachen ließ. Luca hatte sich unterdessen in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt, die Hände aber immer noch zu Klauen verwandelt, und grinste seinen Gegner siegessicher an. Aber Pik war noch lange nicht am Ende. Er riss die Beine hoch und kickte Luca damit von sich. Der Tritt musste gesessen haben, denn Luca stand, nachdem er wieder auf dem Boden gelandet war, noch einige Sekunden schmerzerfüllt und leicht eingesunken da. Zornig funkelte er Pik an. Seine eisblauen Augen sprühten vor Hass und Pik fragte sich allmählich, ob Luca überhaupt noch zu retten war. Aus dem Felsen an dem Pik noch immer stand, war plötzlich eine Eiseskälte zu spüren und Pik wich gerade noch schnell genug nach vorne aus, um nicht aufgespießt zu werden. Da schossen auch unter ihm die Eiszapfen aus dem Boden. Dieses Mal war Pik zu langsam und er fror am Boden fest. Das Eis war steinhart und mit reiner Körperkraft kaum zu brechen. Also jagte Pik so viel Strom hindurch wie er konnte und sah, wie das Eis zu schmelzen begann. Es war jedoch nicht schnell genug, denn bevor er sich befreien konnte, ging Luca zum nächsten Angriff über. Eine Klaue schob sich durch Piks Bauchraum und er spuckte Blut. Dann veränderte sich das Gefühl jedoch und er wusste, dass Luca versuchte ihn von innen heraus einzufrieren. Gerade noch rechtzeitig lösten sich die eisigen Fesseln jedoch und er sprang von Luca zurück. Sein Blut spritzte Luca entgegen, der dies scheinbar noch amüsant fand, aber immerhin war Pik so dem Einfrieren entgangen. Sofort begann sich die Wunde zu schließen, doch Luca nutzte den Moment, in dem sein Gegner noch nicht wieder voll handlungsfähig war und packte ihn erneut an der Kehle. Pik wurde quer durch den Raum an den nächsten Felsen geschleudert, hinterließ einen kleinen Krater im Gestein, nur um gleich wieder gepackt zu werden. So langsam reichte es Pik. Er hielt sich die ganze Zeit extra zurück, aber mit jedem Schlag den er einstecken musste, wurde die Chimäre ungeduldiger. Er hasste es, sich so zurichten zu lassen und wäre vor ihm nicht gerade sein bester Freund gewesen, hätte er ihn schon längst zu Kleinholz verarbeitet. Da von Lua aber noch immer nicht das Ok gekommen war, dass er abhauen konnte, musste er weiter kämpfen. Pik war jedoch nicht sehr viel länger bereit, sich von Luca so behandeln zu lassen. „Was ist los mit dir?“, hörte er Luca höhnisch rufen, „Ich dachte, du wärst auch eine Chimäre? Bisher habe ich davon aber nicht sehr viel gesehen.“ Während Pik versuchte, sich am Riemen zu reißen, griff ihn Luca unentwegt an. Immer mehr Wunden erstreckten sich über Piks Körper, doch Luca spielte nur mit ihm. Scheinbar wollte er sein Gegenüber leiden sehen. Und dann reichte es Pik endgültig. Gerade war er einem direkten Angriff ausgewichen und wieder auf dem Boden gelandet, als er bemerkte, wie sich um ihn herum die Luft wieder deutlich abkühlte. Auch Luca landete gerade und kam langsam auf seinen Gegner zu. Piks Blut klebte bereits an Lucas Klauen und tropfte zu Boden. Eine Windböe kam auf und Pik wurde klar, dass das Eis ihn gleich einkesseln sollte, während ihn die Luft zerschneiden sollte. Da machte er aber nicht mehr mit. Das war zu viel des Guten. Luca bemerkte noch, wie sich seine Armhaare aufstellten, weil die Spannung in der Luft plötzlich sprunghaft anstieg. Man konnte die Elektrizität in der Luft für einen Moment fast sehen und dann krachte es gewaltig. All das Eis um Pik zerbarst regelrecht und schmolz unter der enormen Hitze instant weg. Gleichzeitig wich Pik mit nur wenigen Bewegungen den tödlichen Schnitten aus der Luft aus, verschwand dann für einen Moment komplett aus Lucas Sicht und tauchte dann genau vor ihm wieder auf. Funken sprühten noch immer von Pik ab, als er Luca direkt angriff. Er packte ihn an der Kehle und jagte Starkstrom durch Luca hindurch. Dieser zuckte wie bei einem epileptischen Anfall und war unfähig sich zu wehren. Dennoch gelang es Luca noch über Pik eine Eisklinge zu erschaffen, die auf ihn heruntersauste und Pik zum Ausweichen zwang. Hustend und noch immer verkrampft blieb Luca zurück. Seine Aura schien für einen Moment verrückt zu spielen. Pik dachte schon, dass sein Freund jeden Moment völlig den Verstand verlieren würde, aber dann kam er wieder etwas herunter. „Nicht schlecht.“, meinte Luca schon fast anerkennend. „Ich gebe zu, ich habe dich wohl unterschätzt, mein schweigsamer Freund. Aber mal sehen, wie du damit zurechtkommst.“ Für einen Moment fragte sich Pik, was denn jetzt kommen würde, als es auch schon geschah. Er spürte einen gewaltigen Schmerz in seinem Inneren. Es fühlte sich so an, als würden seine Innereien zerfetzt werden und im Prinzip geschah auch genau das. Entsetzt starrte Pik auf sein Gegenüber. Jetzt wusste er, warum Luca unbedingt sein Blut an den Klauen haben wollte. Er ließ es gefrieren und auch wenn Pik nicht wusste, wie das funktionierte, so gefror ihm sprichwörtlich das Blut in den Adern. Mit Sicherheit musste Jokers Magie hinter diesem kleinen Trick stecken, aber das machte es nicht minder gefährlich. Es begann ihn von innen heraus zu zerfetzen. Das Einzige, was ihn davor bewahrte, komplett zerrissen zu werden, war sich selbst unter Strom zu setzen. Die Wärme die dadurch produziert wurde, hielt diesen heimtückischen Angriff zwar letztlich auf, ließ aber dennoch schwere Verletzungen zurück. Pik rang mit sich. In nur wenigen Sekunden hatte Luca seinem Körper so viel Schaden zugefügt, dass er für einen Moment fürchtete, die Chimäre in ihm würde einfach Amok laufen. Für einen Moment schrie alles in ihm nach Rache, aber er wusste, dass er dem nicht nachgeben durfte. Schließlich gelang es ihm, sich wieder unter Kontrolle zu bringen, als er sich zu wundern begann, warum Luca plötzlich nicht mehr angriff. Pik schaute auf und blickte in zwei völlig entsetzte Augen. Erst jetzt fiel Pik auf, dass beim letzten Angriff sowohl Mundschutz, als auch Kapuze verrutscht waren. Pik war nicht länger getarnt und Luca erkannte seinen besten Freund natürlich sofort wieder. „Shit.“, dachte er sich und blickte ebenso fassungslos zurück. Im ersten Moment sagte niemand etwas. Die beiden starrten sich einfach nur an. Luca mit seinen eisblauen, Pik mit den goldenen Augen. Doch letztlich war es Luca, der als erstes Etwas sagte. „Pik…“, begann er unschlüssig, „Du… lebst?“ Angesprochener seufzte nun und streckte sich. Seine Wunden waren wieder verheilt und der Schmerz endlich verstummt. „Scheinbar.“ „Aber wie?“ „Lange Geschichte…“ Das Gespräch der beiden war irgendwie sehr kurz angebunden. Kein Vergleich zu früher. „Und ich nehme an, du hast nicht vor, mich einzuweihen, was?“, meinte Luca nun mit einem Anflug von Zorn. „Ich hab dich sterben sehen, besser gesagt, ich hab gesehen, dass du tot warst. Wer hat dich zurückgeholt? Seraphis?“ „Tut mir Leid aber das kann ich dir nicht verraten.“, gab Pik zurück. Er wusste, dass es unfair war, Luca so im Unwissen zu lassen, aber er wollte nicht, dass Lua auch noch aufflog. Zum Glück schien Luca bis jetzt nicht der geringste Gedanke gekommen zu sein, dass auch sie wieder hier war. Aber gut, hatte ja auch niemand damit gerechnet, dass sie Tote ins Leben zurückholen konnte. „Aha.“, zischte Luca nun, „Dann kannst du mir ja vielleicht wenigstens verraten, was du hier zu suchen hast? Warum bist du nicht da geblieben, wo auch immer du dich die letzten 8 Jahre herumgetrieben hast? Denn wegen mir bist du ja ganz sicher nicht hier.“ Es lag so viel Verbitterung in Lucas Stimme, dass es Pik an sich selbst erinnerte, als Yari gestorben war. Wahrscheinlich war es nicht mal so unterschiedlich. Auch Luca hatte scheinbar jeglichen Respekt vor dem Leben verloren. „Ich bin tatsächlich nicht wegen dir hier.“, antwortete Pik, „Heute bin ich nur wegen deiner Mündel hier gewesen, die du ja scheinbar zu töten versucht hast. Du hast dich ganz schön verändert mein Freund und das nicht zum Besseren.“ „Tsk, was erlaubst du dir, darüber ein Urteil zu fällen? Ich kümmere mich schon lange nicht mehr um diese Menschen.“ „Diese Menschen?“ Pik hob eine Augenbraue über diese Ausdrucksweise. „Respekt, du klingst jetzt so, wie ich zu meinen Glanzzeiten. Du hast dich mit Joker eingelassen, kann das sein?“ Er beobachtete nun Lucas Reaktion ganz genau. „Na und? Sie ist immerhin die Einzige, die sich bis jetzt als treu erwiesen hat. Sie hat mich in den letzten Jahren besser unterstützt, als irgendjemand sonst es je getan hätte. Ich meine, schau dich doch mal an, scheinbar führst du ja ein ganz nettes Leben. Muss toll gewesen sein, mich endlich los zu sein.“ Was sich Luca alles für Unsinn einredete, war schwer zu ertragen. Pik fand, dass er sich im Moment einfach nur furchtbar kindisch verhielt, auch wenn das zum Großteil Jokers Schuld war. „Hör auf mit dem Quatsch.“, brauste nun auch Pik auf, „Der Grund, warum ich nicht zurück kam, hatte nichts mit dir zu tun. Ich habe eine Schuld zu begleichen der Person gegenüber, die mich gerettet hatte. Wenn du noch so etwas wie Ehre besitzt, dann solltest du das nachvollziehen können. Und zu denken, dass sich die ganze Welt gegen dich verschworen hat, ist einfach nur lächerlich. Nicht alles, was passiert, hat mit dir zu tun, auch wenn Joker dir das einzureden versucht. Sie ist eine Hexe verdammt! Sie würde dir alles einreden, damit du als Quelle ihrer Macht fungierst und das scheint ja auch hervorragend zu funktionieren. Was genau hast du dir von ihr gewünscht? Etwa Macht?“ „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“, knurrte Luca verärgert zurück, sodass seine Fangzähne aufblitzten. Pik war klar, dass sie sich gegenseitig anstachelten und es würde böse enden, wenn er sich zu weit darauf einließ. „Sehe ich das also richtig.“, begann Luca nun und sein Blick wurde plötzlich ganz ruhig und erstarrte wie zu Eis, „Dass du jetzt mein Feind bist?“ „Ich bin nicht dein Feind.“, entgegnete Pik, „Doch wenn du deinen Weg weitergehst, wie du es jetzt tust, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dich aufzuhalten. Du machst einen großen Fehler und ich bin mir sicher, dass dir das irgendwo, ganz tief in dir drin, auch noch bewusst ist.“ Kapitel 9: ohne Reue -------------------- „Also.“, meinte Vale genervt, „Was soll das Ganze?“ Nach einem minutenlangen Kampf, bei dem Niemand sich ernsthaft angestrengt hatte, reichte es Vale nun langsam. Kei wirkte so gelangweilt wie eh und je, als wäre ihm das alles total egal. Mittlerweile war Vale wieder in menschlicher Gestalt und sah sich Kei direkt gegenüber. Beide hatten einige unbedeutende Kratzer davongetragen, die längst verheilt waren, aber letztlich war nicht ein einziger ernsthafter Angriff geschehen. „Na offensichtlich kämpfen wir gegeneinander.“, gab Kei in seiner typischen Art zurück. „Danke für die Info, ist mir gar nicht aufgefallen.“, seufzte Vale sarkastisch. Die beiden hatten während ihres Kampfes das Hauptquartier verlassen und waren nun allein etwas weiter abseits am Anfang des Ödlands. „Gern geschehen.“ Kei zuckte belustigt mit den Achselns, sodass Vale entnervt stöhnte. „Wieso bist du in dieser Gang? Ich kenne dich nun lange genug, um zu wissen, dass das überhaupt nicht zu dir passt.“ „Die Zeiten ändern sich eben.“, antwortete Kei mit einem falschem Lächeln auf den Lippen. „Wer weiß, vielleicht gefällt es mir ja hier nur so gut.“ „Verarsch mich nicht. Da steckt doch mehr dahinter, als du zugeben willst.“, brauste Vale auf. Er konnte und wollte nicht verstehen, warum Kei hier war. Deswegen versuchte er schon fast verzweifelt eine plausible Erklärung dafür zu finden. „Ach Vale, du bist so naiv, wie damals als dich die Exile über den Tisch gezogen haben.“, seufzte Kei, „Wenn du glaubst, dass ich dir jetzt mein Herz ausschütte, dann liegst du absolut falsch.“ Plötzlich griff Kei Vale an. Dieser wehrte zwar ab, aber in jenem Moment als sich ihre Klingen trafen, flüsterte Kei: „Hau schon von hier ab. Ich denke, wir haben das lange genug hingezogen. Die Menschen sollten wohl mittlerweile in Sicherheit sein.“ Vale riss erstaunt die Augen auf, während die beiden voneinander wegsprangen. Hatte er da gerade richtig gehört? Kei ließ ihn gehen? Er hatte nur auf Zeit gespielt? Was waren wirklich seine Absichten? Für einen Moment sah er unter den roten Kontaktlinsen seines Gegenübers ein helles Glühen, dem ein belustigtes Grinsen folgte. „Sprachlos oder was?“ Nun begann auch Vale zu lächeln, wobei seine Augen ebenfalls zu leuchten begannen. Jetzt hatten sie sogar fast dieselbe Augenfarbe, auch wenn Keis durch die Kontaktlinsen ja etwas verfälscht wurden. „Ich hab schon verstanden.“, rief Vale nun. Dann startete er einen Angriff, der eigentlich keiner war. Stattdessen hüllte er nur die gesamte Umgebung in einen sehr dichten Nebel, sodass er ungesehen verschwinden konnte. Hätte Kei wirklich ernst machen wollen, wäre das für ihn kein Problem gewesen, aber Vale wusste nun, dass Kei eigene Pläne verfolgte. Zwar war ihm immer noch nicht klar, was das für Pläne waren, aber immerhin war er sich nun ziemlich sicher, dass Kei nicht ihr Feind war. Vale verschwand und machte sich auf den Weg zu Lua, die er in einiger Entfernung spüren konnte. Als er sie wenig später erreichte, hatte sie gerade das Ghetto mit den Menschen hinter sich gelassen. „Oh wie schön.“, freute sie sich, als Vale neben ihr erschien. „Wie ist es gelaufen?“ Vale kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf. „Schwer zu sagen, aber ich lebe auf jeden Fall noch.“ Dann grinste er frech, sodass auch Lua zu Lächeln begann. „Das ist gut, jetzt müssen wir nur noch Pik da raus bekommen.“ „Wo ist er denn?“ „Bei Luca…“, seufzte sie, „Das gefällt mir ganz und gar nicht. Ich muss ihn da raus holen.“ „Meinst du nicht, dass er das allein schafft? Ich meine, der ist doch ein echt talentierter Kämpfer.“, brachte Vale verwundert ein. „Das weiß ich doch.“, gab sie zurück, „Dennoch mache ich mir Sorgen. Luca ist nicht zu unterschätzen und ich befürchte, dass sich die beiden gegenseitig aufstacheln könnten. Immerhin hat Pik bisher noch nie gegen eine andere Chimäre gekämpft, seit er selbst eine ist. Außerdem… spürst du nicht, diese Spannung in der Luft? Man merkt sie bis hierher. Das ist kein gutes Zeichen.“ „Stimmt.“, pflichtete Vale ihr nun bei, „Jetzt wo du es sagst, seit einigen Minuten scheint die Luft wirklich wie elektrisch aufgeladen. Denkst du, Pik verliert die Kontrolle?“ „Ich hoffe nicht.“, seufzte sie, „Aber wenn, dann muss ich ihn wieder zur Vernunft bringen. Nicht auszudenken, was seine Kräfte für Schaden über diese Stadt bringen könnten, wenn sie außer Kontrolle geraten.“ „Du hast Recht. Dann gib mir die Menschen und ich bringe sie zu Kyria. Komm du dann einfach mit Pik nach. Mir hat das eine Mal damals gereicht, als er die Kontrolle schon mal verloren hat.“ Lua nickte zustimmend. Ja, das war schon einmal geschehen. Damals war Pik gerade ein paar Wochen Chimäre gewesen, ihre Reise hatte erst begonnen, als sie in einige Kämpfe verwickelt wurden. Im Laufe der Kämpfe hatte Pik, der sich zu dem Zeitpunkt ohnehin noch nicht so gut beherrschen konnte, für kurze Zeit die Kontrolle über seine Kräfte verloren. Die Konsequenzen waren fatal gewesen. Und begonnen hatte es wie jetzt auch, die Spannung in der Luft war drastisch angestiegen, bis man sie deutlich auf der Haut spüren, ja schon fast sehen konnte. … „Ich hoffe, dir ist bewusst, dass das was du hier tust, blanker Wahnsinn ist.“, meinte Pik genervt, doch Luca schien das nicht zu interessieren. „Was soll´s?“, gab dieser nur zurück, „Die Welt kann von mir aus brennen. Ich bin fertig mit ihr.“ Wütend zischte Pik zurück: „Hörst du dich eigentlich selbst noch reden? Was würde Lua wohl dazu sagen, wenn sie dich jetzt so sehen würde? Wenn sie hören könnte, was du hier für Schwachsinn von dir gibst!“ Als Antwort kam zunächst ein tiefes Knurren und im nächsten Augenblick stand Luca Pik gegenüber und packte ihn erneut an der Kehle. „Es ist mir vollkommen egal, was sie davon halten würde!“, zischte Luca finster, „Wie der Rest der Welt kann sie sich gerne auch zur Hölle scheren.“ „Ist das dein voller ernst?“, gab Pik nun ebenso finster zurück und packte Luca Handgelenk, dass seine Kehle im festen Griff hielt. „Denn wenn dem so ist, dann zerreiße ich dich lieber in Stücke, als zuzulassen, dass sie das je von dir hören würde.“ „Sieh an… Sag bloß, ich hab da einen wunden Punkt getroffen? Ich frage mich, wieso. Wobei… ihr hattet euch ja schon immer blendend verstanden, nicht? Was siehst du denn in ihr? Einen Ersatz für Yari oder hat ihr Mutter-Teresa Komplex dich an das erinnert, was du nie haben durftest? Eine Familie…“ Da setzte etwas in Pik aus. Luca machte ihn momentan so fuchtig, dass er es nicht mehr aushielt. Blitzartig manifestierte er die erste Sense in der noch freien Hand und rammte sie Luca so schnell von hinten durch den Rücken, dass dieser das kaum realisierte. Da er nicht zurückspringen und ausweichen konnte, sah er die Funken zwar noch aufkommen, doch er konnte nichts mehr dagegen machen. Luca wurde regelrecht gegrillt. Doch Pik zeigte kein Erbarmen mehr. Die Chimäre übernahm in ihm die Oberhand und als Luca endlich zur Chimäre wurde, um ausweichen zu können, beschwor Pik augenblicklich die zweite Sense und setzte ihm nach. „Ach meinst du es jetzt endlich mal ernst?“, hörte er Luca rufen, was ihn nur noch mehr reizte. „Unser letzter Kampf ist Jahre her und dieses Mal wird gewiss keine Kyria kommen, die dazwischen geht.“, grollte Pik finster, „Und wie ich sehe, kommst du mit den Sensen immer noch nicht klar.“ Immer wieder holte er aus und auch wenn Luca sein bestes tat, er konnte einfach nicht ausweichen. Es war, als wäre Pik omnipräsent und wann immer Luca einen kleinen Abstand schaffte, kam Pik wie ein Blitz wieder hinterher, sodass Luca allmählich klar wurde, dass er doch nicht so leichtfertig mit ihm umgehen konnte. Kaum realisierte er das, änderte er seine Taktik und er setzte zum Gegenangriff an. Mit den Zähnen gelang es ihm, einen Teil von Piks Umhang zu packen und im nächsten Moment wurde dieser bereits durch die Luft geschleudert. Mit einem lauten Knall landete Pik wieder auf dem Boden und spürte eine der großen Pranken auf seinem Brustkorb. Die Krallen bohrten sich allmählich in ihn hinein und er spürte, dass seine Rippen nicht mehr ewig standhalten würden. Pik fiel es immer schwerer zu atmen, aber die riesige Bestie auf ihm ließ sich nicht mal eben entfernen. Er begann kleine Sternchen vor seinem inneren Auge zu sehen und spürte, dass ihm das Bewusstsein wegzurutschen begann. „Geh von mir runter!“, knurrte Pik erzürnt und fletschte die Zähne. „Zwing mich!“, gab Luca ebenso bösartig zurück. „Das kannst du gern haben!“, zischte Pik nun und stemmte sich Luca entgegen. Beide Gegner knurrten sich an. Das war kein Kampf mehr zwischen vernunftbegabten Wesen. Jetzt standen sich nur noch zwei Bestien gegenüber, die den jeweils anderen tot sehen wollten. Und so brach auch in Pik die Chimäre durch. Er schnappte nach Luca und grub seine Zähne in dessen Kehle, sodass dieser grollend zurück taumelte, was Pik wiederrum die Chance gab auf die Beine zu kommen. Nun begannen sich die beiden wie hungrige Haie zu umkreisen. Sie ließen einander keine Sekunde aus den Augen, bereit jederzeit zuzuschlagen. Dieses Mal ging Pik als erstes auf Luca los. Erst verschwand er vor seinen Augen, tauchte dann nur einen Augenblick später hinter Luca auf und als dieser herumwirbelte, um den Angriff abzuwehren, war Pik bereits erneut verschwunden und erschien direkt vor Luca. Dieser hatte den Kopf noch immer nach hinten gedreht und war daher zu langsam, um zu verhindern, dass sein Gegenüber in mit voller Wucht zu Boden riss und dabei die Zähne tief in seinen Nacken bohrte. Luca knurrte überrascht auf und wollte sich wegdrehen, aber Pik hielt ihm im Griff wie eine Würgeschlange. Sein Fell lud sich elektrisch auf und nur Momente später setzte es Luca wieder unter Strom. Nun sah er mal Sternchen. Er war außer sich vor Zorn. Es gelang ihm, eine Vorderpfote gegen Pik zu stemmen und er nutzte dies um seine Krallen in seinen Brustkorb zu bohren. Doch Pik beachtete das gar nicht. Als Luca sich dann ein kleines Stück drehen konnte und er mit seinen beiden Hinterbeinen nun auch Piks Bauchraum erwischen konnte, gab diesem das wiederrum die Gelegenheit an Lucas Kehle zu kommen. Nun galt es, wem es gelang, länger Das Blut beider Kontrahenten färbte den Platz allmählich rot, doch keinen der beiden interessierte das noch. Die beiden Raubtiere gingen, ungeachtet ihrer Verletzungen, immer wieder aufeinander los. Durch Lucas Macht war die Lufttemperatur längst unter den Gefrierpunkt gefallen und es stürmte barbarisch. Pik hingegen lud die Luft elektrisch auf. Bis sie begann, sich zu entladen. Wenn Pik sich unter Kontrolle hatte, konnte er die Blitze, die so entstanden, gezielt steuern, aber jetzt, gingen sie einfach unkontrolliert los. Überall schlug es neben den beiden ein und hinterließen tiefe Krater im Boden. Und je länger dieser Zustand beibehalten wurde, desto mehr breitete sich dies aus. Doch die beiden Kontrahenten schienen davon kaum Notiz zu nehmen. Auch das Lucas eigenes Hauptquartier Gefahr lief, zerstört zu werden, wenn das so weiter ging, war ihm egal. Genauso wie es Pik egal war, welchen Schaden er anrichtete. Immer wieder brüllten und fauchten sich die Chimären an. Gerade waren sie für einen kurzen Moment wieder voneinander weggesprungen, bereit, jeden Moment wieder aufeinander loszugehen, als aus dem Nichts eine Frau erschien. In den tiefsten Sphären seines Bewusstseins hörte Pik eine ihm seltsam bekannte Stimme. „Es tut mir so furchtbar Leid, dass ich so lange gebraucht habe.“, flüstere sie unendlich traurig, „Aber bitte komm jetzt wieder zu dir. Es wird Zeit zu gehen.“ Pik knurrte die Frau mordlustig an und wollte auf sie losgehen, doch bevor er sie angreifen konnte, stoppte sein Körper einfach gegen seinen Willen. Wie gebannt stand er nun da und starrte mit zornigen Blick auf sein Gegenüber, als sie langsam eine Hand erhob und sie ihm lediglich auf die Stirn legte. Augenblicklich riss es ihn zurück in die Vernunft. Man sah in seinem Blick, dass Pik wieder die Kontrolle übernahm. Dieser schämte sich sofort für sein Verhalten, als ihm klar wurde, was er eben getan hatte. Er hatte nicht vor gehabt, sich so gehen zu lassen, dass Lua ihn hatte zurückholen müssen. „Ist ok.“, sandte sie ihm aufmunternd zu, „Du hast dich gut geschlagen. Lass uns jetzt von hier verschwinden.“ Ihnen gegenüber stand ein sehr schlecht gelaunter Luca, der im Gegensatz zu Pik noch lange nicht wieder bei Bewusstsein war. Aber da konnte Lua nicht viel gegen tun. Er musste sich von allein wieder beruhigen. Traurig blickte sie in die hasserfüllten Augen ihres Gegenübers, dann ließ sie einen Spiegel neben sich und Pik erscheinen. Luca knurrte und ging zum Angriff über, aber er war zu langsam. Als er die Stelle erreichte, an der die beiden eben noch gestanden hatten, waren sie schon im Spiegel verschwunden und der Spiegel mit ihnen. Die Chimäre brüllte vor Zorn, sodass man es noch meilenweit hören konnte. Aber es nützte nichts. Seine Beute war ihm entkommen. … Als Pik und ich Kyrias Haus erreichten, war er noch immer sichtlich frustriert. Es ließ ihm einfach keine Ruhe, dass er die Kontrolle über sich verloren hatte. „Jetzt schau nicht so traurig.“, versuchte ich ihn aufzumuntern. Wir befanden uns noch immer in meiner Spiegelwelt, sodass ich ungestört mit ihm reden konnte. Mittlerweile war er wieder in menschlicher Gestalt. „Ich bin nicht traurig, sondern enttäuscht.“, brummte Pik, „Ich hab mich einfach mitreißen lassen und wärst du nicht gekommen, wäre das noch ewig so weitergegangen. Ich meine… Ich habe wirklich versucht, ihn zu töten und ich hätte es auch getan, wenn du nichts gemacht hättest.“ Ich sah den Schmerz in seinem Blick, als er das sagte und ich wusste, dass er das wirklich ernst meinte. Für Chimären gab es weder Freund noch Feind mehr, wenn sie einmal in Raserei gerieten. Dann war einfach die ganze Welt ihr Jagdgebiet. „Das ist doch nicht schlimm.“, widersprach ich ihm schließlich, „Dafür bist du nun einmal eine Chimäre. Es ist bewundernswert wie gut du dich eigentlich unter Kontrolle hast. Ich meine, schau dir Luca an, er kann das fast überhaupt nicht, sobald man ihn einmal gereizt hat.“ „Ich weiß, ich weiß… Aber bei ihm ist da ja auch Joker mit dran schuld.“ Ich seufzte und klopfte ihm dann auf die Schultern. „Eines Tages kümmern wir uns darum und waschen Luca gehörig den Kopf, dass er wieder zu Sinnen kommt. Ich gebe dir mein Wort, dass Joker von mir persönlich eine Abreibung bekommt, wenn es soweit ist und bis dahin: Zerbrich dir nicht den Kopf, ja? Du bist ein sehr wichtiges Mitglied dieses Teams und du hast dich heute mal wieder selbst übertroffen. Ich bin wirklich froh, dass ich dich habe.“ Pik hob nun endlich den Blick und schaute mich zwar noch immer traurig, aber wenigstens ein bisschen aufgeheitert an. „Danke…“, flüsterte er schon fast, „Weißt du, ich bin froh, dass du mich damals zurückgeholt hast. Nach Yaris Tod hatte ich erst den Sinn für mein Leben verloren, hab nicht wirklich gewusst, was ich mit meinem Leben noch anstellen sollte, außer zu arbeiten. Die Rache damals kam für mich sehr gelegen. Ich wusste, dass ich sterben würde und ich war tatsächlich froh darüber. Ich kann verstehen, warum Luca meine Entscheidung damals als selbstsüchtig betrachtet, weil es im Prinzip nichts anderes war. Es war für mich ein billiger Vorwand, Selbstmord zu begehen. Aber heute bin ich froh, dass ich noch eine Chance bekommen habe. Ich habe Yari nicht vergessen, das werde ich nie und ich habe mit Sicherheit auch Lucius nicht vergessen, aber endlich erachte ich auch wieder etwas anderes in meinem Leben als wichtig.“ „Ich bin froh, dass zu hören.“, meinte ich leise, „Ich hatte immer Angst, dass du mir übel nimmst, dass ich eigenmächtig entschieden hatte, dich zurückzuholen. Ich hatte echt Angst, dass du mich deswegen hasst.“ Da zog mich Pik an sich und umarmte mich. „So ein Blödsinn. Ich weiß, ich hätte damals sicher etwas netter sein können, als ich wieder aufgewacht bin und es tut mir ehrlich leid, dass ich so ruppig war, aber ich habe dich nie gehasst, ok? Ich weiß, dass dich Lucas Worte sehr mitnehmen, aber glaube mir, du bist absolut nicht diese egoistische, schreckliche Person, als die er dich jetzt ständig beschreibt. Er weiß nicht, was er da redet und ich bin mir sicher, wenn er erst einmal wieder bei Sinnen ist, wird ihm das sicher auch furchtbar leidtun. Fakt ist, du bist die warmherzigste, aufopferungsvollste Person, die ich bisher je getroffen habe. Und ich bin nicht der einzige, der das denkt. Vergiss das nie.“ Piks Worte und Umarmung halfen wirklich, mein aufgebrachtes Inneres etwas zu beruhigen. Seit ich Luca getroffen hatte, waren meine Gedanken und Gefühle außer Kontrolle geraten und belasteten mich sehr. Selbstzweifel kamen in mir auf, ob das, was ich tat, wirklich richtig war. In freien Minuten begannen meine Gedanken daher immer wie ein Tornado zu schweifen und drohten mich jedes Mal mitzureißen. Aber Piks Worte bauten mich wirklich wieder auf. Sie trösteten mich und halfen, dieses Chaos in meinem Herzen etwas zu besänftigen. Dafür war ich wirklich mehr als dankbar. Als ich mich endlich wieder beruhigt hatte, die Tränen weggewischt und wieder eine heitere Miene aufgesetzt hatte, verließen wir schließlich meine Spiegelwelt und gingen zu Vale und Kyria. Die Zwillinge lagen verarztet und bewusstlos auf ihrer Couch und ich war heilfroh, dass wir sie da herausbekommen hatten. Auch Kyria war erleichtert. „Schön, dass es euch so weit gut geht.“, begrüßte sie mich und Pik. Klar, wir hatten einige Blessuren einstecken müssen, was man an unserer Kleidung noch deutlich sah, wobei es Pik deutlich schlimmer als mich erwischt hatte. Vale hingegen war nahezu unverletzt aus der ganzen Sache herausgekommen, wie mir nun auffiel. Irgendwie überraschte mich das nicht im Geringsten. Und so ging eine wirklich turbulente Nacht zu Ende. Wir blieben nur noch kurz bei Kyria, weil Tiara bald nach Hause kommen würde, aber die Zeit reichte zumindest noch, um sie im Groben über alle Ereignisse zu informieren. Stumm hörte sie sich unsere Ausführungen an und blickte gelegentlich etwas verärgert drein. Als wir geendet hatten, meinte sie nur schlicht: „Die Welt ist wirklich ein komischer Ort geworden.“ Kapitel 10: tödliche Ungeduld ----------------------------- Als Shirai und Sarir neben ihm landeten, wusste er schon, dass er eine sehr unangenehme Aufgabe zu erfüllen hatte. „Da bist du ja.“, begrüßte ihn Shirai mit hektischem Blick, „Du musst uns helfen den Boss wieder zu beruhigen. Er ist völlig außer sich.“ Kei seufzte laut aus. „Oh man, was für eine beschissene Nacht.“ „Ja da hast du Recht.“, stimmte Shirai ihm mit finsterem Blick zu. „Ich kann nicht glauben, dass uns alle drei entkommen sind und dann auch noch die Menschen… Ich frag mich wirklich, wer das eigentlich war.“ Noch während sie die Unterhaltung fortsetzten, näherten sich die drei jenem Ort, an dem Luca noch immer Amok lief. Kei fiel sofort auf, dass Luca stark verletzt worden war. Die Wunden heilten zwar bereits, aber sein Gegner musste es in sich gehabt haben. Vermutlich diese Elektrochimäre, überlegte er nachdenklich. Auch er war fasziniert davon, dass es neben Luca noch weitere zu geben schien. Bei der Frau war er sich nicht sicher, was sie war. Einerseits wirkte sie auch wie eine Chimäre, andererseits auch wie eine Exile. Irgendwas dazwischen vielleicht. Gerne hätte er Vale darüber ausgefragt, aber da das im Moment nicht ging, beschloss Kei, nicht weiter darüber zu spekulieren. Früher oder später würde er ihr ohnehin wieder über den Weg laufen. Luca knurrte und brüllte außer sich vor Zorn. Myori, die Kitsune, hielt ihn jedoch mit ihren Irrlichtern in Schach, sodass er nicht abhauen konnte. Keiner konnte jetzt gebrauchen, dass er marodierend durch die Stadt zog. Da wäre er nur ein gefundenes Fressen für die Hunter oder für Lucius Leute. Auch Kei war nicht wirklich in der Lage, Luca zu beruhigen und das war auch gar nicht seine Aufgabe. Im Prinzip musste er nur als Boxsack herhalten, bis Joker auftauchte. Man hatte sie bereits alarmiert, aber keiner wusste, wie lange sie brauchen würde, hier zu erscheinen. „Oh man, er sieht wirklich sauer aus.“, bemerkte Shirai, als sie endlich ankamen. Dennoch entging Kei nicht das kurze, aber deutliche belustigte Grinsen über die Tatsache, dass er gleich dafür herhalten musste. Kei konnte weder Shirai noch ihren Bruder Sarir besonders leiden. Sie waren noch recht junge und durchaus talentierte Exile, doch sie waren auch äußerst intrigant und töteten aus keinem anderen Grund, als um zu Foltern. Die meisten Exile töteten ja mehr oder weniger gerne, aber die meisten taten es eher wegen dem Nahrungsaspekt und weniger aus reinem Vergnügen. Sicher, manch einer tötete auch aus Rache, das hatte Kei auch lang genug getan, aber zumindest konnte er nicht von sich behaupten, jemals eine Gruppe Menschen gefangen, gequält und getötet zu haben, nur um sie danach achtlos liegen zu lassen und sich den nächsten zu widmen. Von daher wusste er, dass die meisten Worte, die Shirai sprach, erlogen waren. Sarir sprach ohnehin fast nie, aber wenn er etwas sagte, war es ebenfalls meistens eine Lüge. So begab sich Kei also in die Mitte der Fuchsfeuer und machte sich darauf gefasst, von Luca gleich herumgescheucht zu werden. Dieser konnte seinen Kontrahenten kaum erwarten. Kei war noch nicht richtig angekommen, da ging Luca schon auf ihn los. Man merkte Luca jedoch deutlich an, dass er bereits sehr geschwächt von den vorherigen Kämpfen war. Das Ausweichen war für Kei kaum der Rede wert. Es erinnerte ihn fast an seine Schulzeit, als im Sportunterricht gerne Völkerball gespielt worden war. Kei wusste nicht, wie lange dieses Spiel sich fortsetzte, aber als endlich Joker auf der Bildfläche erschien, war er dennoch heilfroh. Er wollte nämlich einfach nur noch seine Ruhe haben. Joker war schon irgendwie beeindruckend. Binnen weniger Sekunden hatte sie, Gott weiß wie, Luca wieder zur Vernunft gebracht. Man sah es als erstes in seinen Augen, die ihren irren Glanz verloren, dann stoppte er völlig und kehrte in seine menschliche Gestalt zurück. Auch jetzt sah man ihm die Erschöpfung noch deutlich an. „Na, alles wieder gut?“, fragte Joker ihn mit einem belustigten Grinsen, „Hattet ja einen ereignisreichen Abend, wie mir scheint.“ Luca brummte zur Antwort nur ein missgelauntes „Hm“, woraufhin Joker meinte: „Tja passiert. Jeder verliert mal. Du bekommst deine Rache schon noch.“ Die schlechte Laune war ihm ins Gesicht gemeißelt, als er ohne ein Wort zu sagen an ihr vorbeistiefelte. Sein Blick sprach Bände „Lasst mich jetzt alle einfach in Ruhe“ und das taten sie auch. Keiner wollte jetzt seinen Zorn auf sich ziehen und Kei war froh, dass auch er sich jetzt zurückziehen konnte. Er überließ es den anderen im Hauptquartier für Ordnung zu sorgen. Eigentlich war er verdammt hungrig, war sein letztes Treffen mit Tiara schon verdammt lange her, aber ihm stand nicht der Sinn nach den eingepferchten Menschen im selbstgebauten Gefängnis. Das Blut von Menschen, die teilweise schon wochenlang dort eingesperrt waren, war einfach nichts für Kei. Er fand es viel zu unappetitlich. Zuviel Stress wirkte sich, seiner Meinung nach, äußerst negativ auf den Geschmack aus. Tatsächlich fand er das aus ärztlicher Sicht sehr interessant und nahm sich vor, eines Tages mehr Nachforschungen darüber anzustellen. Stattdessen nahm er sich vor Tiara noch eine Nachricht zu schicken, um sie zu fragen, wie es so lief und ob ihre Brüder wieder wohlbehalten angekommen waren. Es dauerte nicht lang, da antwortete sie bereits. „Ja, alles super. Kyria hat ihnen ordentlich die Leviten gelesen. Hab gehört, Bekannte von ihr haben die beiden da raus geholt. Bin froh, dass sie noch leben.“ „Dann bin ich ja froh.“, schrieb er zurück. „Danke, dass du ihnen indirekt geholfen hast, Schatz.“ Kei musste nun lächeln. Sie konnte sich also denken, dass er auch seine Finger mit im Spiel gehabt hatte. Auch wenn das einzige was er getan hatte, war, die anderen mit Vale ein wenig abzulenken. „Kein Problem. Will dich ja nicht unglücklich sehen.“, schrieb er schließlich. „Ich vermiss dich, haben uns viel zu lang nicht gesehen. Wann können wir uns das nächste Mal treffen?“, kam nun zurück. Kei überlegte kurz. Auch er wollte sie endlich mal wieder sehen. Nur war er sich nicht sicher, was Lucas weitere Pläne waren. Trotzdem würde er sich die Zeit schon irgendwie nehmen. „Ist gerade echt stressig wegen all der Kämpfe in die sich Luca verwickeln lässt, aber ich finde schon Zeit. Für dich doch immer. Wie wäre es nächsten Mittwoch? Selbe Zeit, selber Ort?“ „Geht klar, passt sogar gut. Kyria wollte Mittwoch ohnehin irgendwo weg und sich mit Jemand treffen. Da kann ich mich ohne Probleme davonschleichen >:D“ „Super, dann bis Mittwoch.“, freute sich Kei. „Bis Mittwoch. Liebe dich.“ „Ich dich auch.“ Nun legte Kei das Handy wieder weg und ließ sich auf sein Bett sinken. Er war hundemüde und freute sich einfach nur noch endlich schlafen zu können. Es dauerte auch nicht lang, da hatte ihn der Schlaf bereits übermannt. ... Schnell war der heißersehnte Tag endlich gekommen. Leider sollte nicht alles so reibungslos verlaufen, wie geplant. Der Vorfall mit den Zwillingen war nun gerade fünf Tage her und Luca war noch immer schlecht gelaunt deswegen. Nachdem er sich zwei Tage erholt, sprich duzende Menschen getötet hatte, kam er am Mittwochnachmittag mit einem Plan daher, den Kei alles andere als toll fand. Es war gut zehn Minuten bevor Kei geplant hatte, zu Tiara aufzubrechen, als er von Luca zu sich zitiert wurde. „Was gibt´s denn Boss?“, fragte er und überspielte seine schlechte Laune geflissentlich. Scheinbar hatte er nicht nur Kei rufen lassen, sondern viele Leute. „Ich habe euch rufen lassen, weil ich etwas zu verkünden habe. Die, die heute Morgen schon abkömmlich waren, habe ich es schon gesagt und jetzt auch noch für den Rest von euch.“, begann Luca und wirkte dabei wirklich wie eine Führungsperson. „Mir ist aufgefallen, dass Kyria sich im Moment vermehrt in unsere Angelegenheiten einmischt. Ihre Leute haben sich jetzt schon mehr als einmal eingemischt und es reicht mir jetzt. Natürlich können wir sie nicht persönlich angreifen, deswegen frage ich euch, wie kann man ihr wohl am besten Schaden?“ Während die meisten zu überlegen begannen, wusste Kei sofort worauf Luca hinauswollte und ihm wurde schlecht. Er konnte ja schlecht verraten, dass Vale und die, die er begleitete, nicht direkt zu Kyria gehörten. „Es ist doch ganz einfach.“, erklärte Luca nun selbstsicher weiter, „Wie müssen ihr da schaden, wo es ihr am meisten wehtut. Und das sind die Menschen, die sie so verzweifelt zu beschützen versucht. Zugegeben, es wäre dumm, ihr Viertel direkt anzugreifen und das habe ich auch nicht vor. Stattdessen beauftrage ich jeden einzelnen von euch: Wann immer ihr in der Nähe ihres Viertels seid und auf Menschen stoßt, die es unvorsichtiger Weise verlassen haben, dann bringt sie her. Tötet sie nicht sofort, sondern bringt sie mir lebend!“ „Aber Boss…“, warf plötzlich jemand ein, „Warum sollten die Menschen denn das Viertel verlassen?“ „Ganz einfach.“, meinte Luca grinsend, „Weil sie sich sicher fühlen. Ich weiß, dass die Menschen denken, dass wir uns nicht in ihre Nähe wagen, weil Kyria dort wacht, aber das stimmt nicht. Glaubt mir, manch einer wagt es trotzdem, sei es auf Neugier oder Dummheit, die sicheren Mauern zu verlassen und wenn das passiert, dann schnappt sie euch. Alles verstanden?“ Die Menge stimmte ihm unterwürfig zu, sodass Luca sie nun wieder mit den Worten: „Gut, dann verschwindet von hier.“, fortschickte. Auch Kei wollte gerade verschwinden, als Luca ihn jedoch zurückpfiff. „Nicht so schnell. Mit dir habe ich auch noch etwas zu bereden.“, rief Luca und Kei drehte sich widerstrebend um. Er hatte jetzt alles andere als Zeit, sich hier ewig mit Luca aufzuhalten. Das Treffen mit Tiara stand an und mit diesem neuen Befehl schwebte sie in großer Gefahr. Kei musste unbedingt zu ihr, bevor es zu spät war, denn er wusste, sie war schon auf dem Weg. Eine SMS würde sie mit Sicherheit nicht mehr rechtzeitig lesen, zumal Kei im Moment ohnehin keine schreiben konnte. „Was ist?“, fragte Kei also so freundlich wie möglich und trottete zu Luca herüber. „Störe ich dich bei was?“, fragte Luca stattdessen und beäugte Kei aufmerksam. Dieser gab sich jedoch keine Blöße und entgegnete: „Nicht wirklich. Wollte eigentlich gerade für ein, zwei Stunden verschwinden, um jagen zu gehen, aber das kann auch noch warten.“ „Gut.“ Luca schien zufrieden mit der Antwort und glaubte Kei offenbar. „Dann wirst du deine Jagd wohl auf später verschieben müssen. Ich möchte nämlich, dass du diese Nacht hierbleibst.“ „Ok…“, begann Kei langsam und versuchte im Kopf hektisch einen Ausweg zu finden, „Warum denn?“ „Ich hab von einem der Späher den Tipp bekommen, dass die Hunter einen Angriff auf das Hauptquartier planen. Deswegen habe ich beschlossen, dass ich nicht alle meiner fähigsten Leute jeden Abend wegschicken kann. Heute haben sich Shirai, Sarir und auch Myori freigenommen, weshalb du für den Fall der Fälle im Lager bleiben sollst. Keine Sorge, morgen hast du dafür freie Wahl deiner Abendplanung.“ Während Luca erklärte, ließ er sich auf seinem „Thron“ nieder. Er wirkte noch immer erschöpft, was aber weniger an den Kämpfen der letzten Zeit, sondern an dem Stress lag, den er jeden Tag hatte. Lebte sich sicher nicht angenehm mit dem Wissen, dass Hunderte Leute deinen Tod planten. „Verstehe.“, gab Kei zurück und wirkte dabei völlig ruhig und entspannt, dabei ging es ihm gerade mehr als dreckig. „Wenn das dein Befehl ist, Boss, dann verschiebe ich die Jagd auf morgen. Kein Problem.“ „Gut. Wenn was ist, ruf ich dich. Bis dahin kannst du erst mal gehen.“, winkte Luca ihn davon. Kei drehte sich um und schlenderte aus dem Hauptquartier. Dann hastete er fast schon zu seiner Bleibe zu seinem Handy. Hektisch schrieb er eine SMS an Tiara, um ihr zu sagen, dass sie sofort wieder zu Kyria zurück sollte. Kaum hatte er auf senden gedrückt, wählte er zusätzlich noch ihre Nummer und rief, entgegen seiner Gewohnheiten, an. „Der Teilnehmer ist im Moment leider nicht zu erreichen. Bitte versuchen sie es später noch einmal.“, sagte die mechanische Stimme und Kei begann zu fluchen. Aufgerechnet jetzt hatte sie das Handy aus?! Bestimmt wieder der Akku. Den vergaß Tiara regelmäßig aufzuladen und dann starb ihr öfter mal das Handy weg, ohne dass sie es bemerkte. Normalerweise war das ja nicht so tragisch, aber heute konnte das Timing nicht schlechter sein. Besorgt lief er auf und ab und versuchte eine Möglichkeit zu finden, wie er doch von hier heimlich verschwinden konnte. Es musste ja nicht lang sein. Nur lange genug, dass er Tiara wieder heimbringen konnte. Er könnte es in einer halben Stunde hin und zurück schaffen, wenn er sich wirklich beeilte. Plötzlich stoppte er. Warum machte er sich so viele Sorgen um einen Menschen? Das war überhaupt nicht von sich gewohnt. Es war merkwürdig für ihn. So viele Jahre hatte er sich nicht für die Menschen interessiert. Er hatte sie nicht direkt verabscheut, aber wirklich gemocht hatte er sie auch nicht. Gut, er hatte Valentin das Leben gerettet, weil ihn an dem Abend danach gewesen war, aber grundsätzlich war er nicht sehr hilfsbereit für die Menschen gewesen mit denen er dann und wann zu tun gehabt hatte. Als er selbst noch ein Mensch gewesen war, war das anders gewesen. Da wollte er den Menschen immer helfen, war er doch Arzt. Nun, die Zeiten hatten sich geändert. Und plötzlich gehörte sein Herz einer Frau, die so viel jünger war als er und keine Ahnung davon hatte, wie grausam er eigentlich sein konnte. Jetzt lachte Kei auf. Im Prinzip war es nicht anders als das, was er einst durchgemacht hatte. Immerhin war seine erste große Liebe auch eine Frau gewesen, die so viel älter und gefährlicher als er war. Im Leben wiederholte sich wirklich alles, auch wenn er nun auf der anderen Seite der Geschichte saß. Da wurde Kei hellhörig. Im Lager war plötzlich Aufregung zu vernehmen. Zwischen dem Stimmenmeer verstand Kei letztlich „Wir haben einen Menschen! Gleich in der ersten Nacht, wirklich ein Glückstreffer!“ und Keis Herz setzte für einen Moment aus. Vom Fenster seiner Bleibe erkannte er, wie zwei Halbyajuu siegessicher eine Frau zum Hauptquartier trugen. Eine junge Frau mit dunkelbraunen Haaren… Kei musste sie nicht einmal komplett sehen, um zu wissen, dass sein schlimmster Alptraum wahr geworden war. Sie hatten Tiara erwischt. Ihren Geruch würde er immer wieder erkennen. „Verdammt!“, zischte Kei aufgebracht und machte sich ebenfalls auf den Weg zum Hauptquartier. „Lasst mich runter verdammt!“, schimpfte Tiara verärgert. Die Halbyajuu hatten sie über die Schultern geworfen und trugen sie nun herum, wie einen Sack. Sie versuchte sich irgendwie zu befreien, was jedoch ein absolut sinnloses Unterfangen war. „Man hat die Kleine Temperament.“, hörte sie jemanden sagen, woraufhin jemand anderes meinte: „Boss wird ihr das schon austreiben.“ Tiara hätte Angst haben sollen und als sie vorhin gefangen genommen worden war, hatte sie die auch gehabt. Doch nun war so viel Adrenalin in ihren Adern, das sie einfach nur versuchte einen Fluchtplan auszuarbeiten. Je tiefer man sie aber in das Ghetto brachte, desto bewusster wurde ihr, dass es keinen Ausweg gab. Hier waren so viele Monster, dass sie kaum hundert Meter kommen würde, bis man sie fasste. Und so schleppte man sie schließlich ins Hauptquartier. Als man sie zu Boden ließ und sie aufblickte, starrte sie in die Augen der Person, den sie als großen Bruder betrachtete. Doch jegliche Wärme, die ihr sonst gegolten hatte, war verschwunden. Stattdessen waren eine gruselige Kälte und eine amüsierte Überraschung in seinem Blick zu erkennen. „Boss, wir haben dir ein Souvenir mitgebracht. Ist die Kleine nicht hübsch?“, meinte einer ihrer Entführer und trat dabei mehrere Schritte von ihr zurück. „Oja, das nenn ich wirklich eine gelungene Überraschung.“, begann Luca und ein Lächeln zog sich über sein Gesicht, sodass seine Fangzähne aufblitzten. „Lasst mich allein, ihr bekommt eure Belohnung später.“ „Natürlich Boss.“, kam es unterwürfig zurück und die beiden Halbyajuu verschwanden wieder. Nun war Tiara mit Luca allein. „Wie schön.“, sagte er nun, „Da gehen mir Yara und Seth durch die Lappen und als Wiedergutmachung bekomme ich dich. Sehr erfreulich.“ Tiara stand langsam auf und klopfte sich den Staub von den Sachen. „Hallo Luca.“, begrüßte sie ihn freundlich. Obwohl sie wusste, was er alles getan hatte, hasste sie ihn nicht. Ein kleiner Teil ihres Selbst freute sich sogar, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen, auch wenn sie wusste, dass das nicht gut für sie ausgehen konnte. „Wie ich sehe geht es dir ausgezeichnet.“, meinte Luca nun und ging auf den Smalltalk ein. Auch wenn es eine Farce war, wirkte es für den Moment doch echt. „Ja das tut es, danke.“, gab Tiara zurück und lächelte ihn kurz an, „Und wie geht es dir? Du scheinst sehr beschäftigt zu sein.“ „Tja, als Chef hat man immer viel zu tun.“, entgegnete Luca locker und lehnte sich dabei zurück. „Kann ich mir vorstellen. Wie viele Leute arbeiten denn im Moment für dich? Ich habe unzählige gesehen, als sie mich hierher brachten.“ So absurd die Situation auch war, Tiara war froh, für den Moment mit ihm halbwegs normal reden zu können. Bevor er verschwunden war, war dies kaum noch möglich gewesen. „Weiß ich selbst nicht genau.“, lachte Luca kurz auf, „Irgendwas um die 300, vielleicht 400 Leute. Hab noch nie nachgezählt.“ Da öffnete sich die Tür zum Hauptquartier und Kei kam herein. Mit üblicher desinteressierter Miene kam er herein, betrachtete Tiara kurz und kam dann näher. Mit ihm traten Shirai und Sarir ein, die gerade von ihrer Jagd zurückgekehrt waren. Sie hatten vom Aufruhr gehört und wollten das nun persönlich mit ansehen. „Ah, Kei. Du kommst gerade rechtzeitig. Schau wen sie mir da mitgebracht haben.“ Luca zeigte dabei auf Tiara und grinste zufrieden. „Und wer ist das?“, fragte Kei gelangweilt. Wenn es ums schauspielern ging, machte ihm da keiner was vor. „Das da“, und Luca machte eine ausschweifende Bewegung, „Ist Tiara.“ „Ach die Kleine, um die du dich damals gekümmert hast.“, meinte Kei desinteressiert. „Genau. Ist das nicht ein Glück, dass sie mir nicht mal eine Woche nachdem mir die Zwillinge entkommen sind, ins Netz gegangen ist? Das Schicksal scheint es mal gut mit mir zu meinen.“ Kei musste sich auf die Zunge beißen, um nichts dazu zu sagen. Im Moment verfluchte er sich selbst dafür, dass er das Treffen mit Tiara auf heute gelegt hatte. Er hätte länger abwarten sollen, was Luca plante. Nun gab er sich ganz allein die Schuld daran, dass sie nun in so einer Lage war. „Und was hast du jetzt mit ihr vor?“, fragte er stattdessen und schluckte seine Schuldgefühle für den Moment herunter. „Gute Frage…“, erwiderte Luca und schien nun ernsthaft darüber nachzugrübeln. Doch das war nur gespielt, denn offenbar hatte er schon ganz genaue Vorstellungen davon, was er mit ihr anstellen würde. „Findest du nicht, dass sie wirklich eine Schönheit ist? So jemand wie du, hast doch mit Sicherheit einen Partner, nicht wahr?“ Tiara zuckte zusammen, sagte jedoch nichts, während sich Luca langsam von seinem Platz erhob und zu ihr herüber ging. „Was ist? Ich bin neugierig.“, meinte er mit einem Anflug von Ungeduld. „Ja ich habe einen Partner und du solltest ich nicht unterschätzen.“, meinte Tiara schließlich trotzig. „Wie schön für dich. Ich hoffe du hast dich ordentlich bei ihm verabschiedet, denn kein jämmerlicher Mensch dieser Welt, wird dich hier herausholen. Zumal ich fast glaube, dass ohnehin niemand weiß, dass du hier bist. Kann es sein, dass du dich heimlich herausgeschlichen hast?“ Nun schwieg Tiara wieder und blickte schuldbewusst zur Seite. „Dachte ich es mir doch.“, lachte Luca nun auf und meinte dann zu Kei: „Ich denke, dass ich mich ein wenig mit ihr amüsieren werde.“ Luca griff nach ihren Haaren und ließ eine Strähne durch seine Finger gleiten. Kei schaute weiterhin desinteressiert zu, doch in seinem Inneren brodelte es. Auch wenn es sonst niemand bemerkte, sah Tiara ihrem Freund ganz genau an, dass er vor Zorn fast platzte. Sie hoffte so sehr, dass er keine Dummheit begehen würde. „Ich dachte, die Menschen sterben dir immer zu früh weg?“, sagte Kei nun stattdessen. Das letzte was er zulassen würde, war das. Nie im Leben würde sich Luca an ihr vergreifen. „Tun sie auch“, seufzte Luca nun fast schon melancholisch, „Aber bei ihr mache ich mal eine Ausnahme. Ich meine, schau sie dir doch nur mal an. Was wäre das für eine Verschwendung, sie einfach nur zu töten? Wer weiß, vielleicht lebt sie ja lang genug, dass du dich auch noch mit ihr vergnügen kannst.“ Kei war kurz davor auf Luca loszugehen, als ein lautes Klatschen durch den Raum hallte. Luca hatte sich eine Ohrfeige eingefangen, mit der Niemand hier gerechnet hatte. Er als aller letzter. Und die Ohrfeige hatte gesessen. Man sah deutlich den Handabdruck auf seinem Gesicht. Überrascht schauten alle Beteiligten zu Tiara, die Luca nun wütend anfunkelte. „Du bist nicht Luca.“, schimpfte sie, „Mein großer Bruder würde solch niedere Dinge niemals sagen oder gar tun. Ich weiß ja nicht, was in dich gefahren ist, aber es bricht mir das Herz. Ich habe immer an dich geglaubt, weißt du? Alle glauben, dass du einfach nur noch ein tyrannisches Monster bist, aber trotzdem glaube ich noch an dich. Aber wenn ich so etwas von dir höre, dann fällt auch mir es wirklich schwer, den Glauben nicht zu verlieren!“ Für einen Moment schienen sowohl Shirai, Sarir, als auch Kei die Luft anzuhalten, was Luca nun tun würde. Noch nie hatte ein Mensch gewagt, ihm eine zu Knallen. Doch dieser nahm es erstaunlich gelassen. Tatsächlich begann er nun frech zu grinsen und hielt Tiaras Hand fest, die ihn eben noch geschlagen hatte. „Du bist wirklich mutig, Kleine.“, meinte er mit durchaus Anerkennung in der Stimme, „Das hat sich noch nie jemand getraut, vor allem kein Mensch. Das verdient durchaus meinen Respekt.“ Tiara riss ihre Hand von ihm los und wich nun einen kleinen Schritt zurück, denn nun änderte sich Lucas Miene schlagartig. Das Lächeln erstarb und machte einer wütenden Miene Platz. Mit glühenden Augen überbrückte Luca die kurze Distanz wieder, die sie geschaffen hatte und verpasst Tiara ebenfalls eine solch heftige Ohrfeige, dass es sie von den Füßen riss. Sie fiel einige Meter nach hinten und landete dann unsanft auf dem Boden. Fassungslos stand Kei daneben. Er war wie gelähmt vor Wut. „Wag es NIE wieder“, zischte Luca nun, „Niemand erhebt die Hand gegen mich und überlebt das!“ „Du machst mir keine Angst.“, antwortete Tiara mit ungebrochenem Stolz. Sie rappelte sich wieder auf und kam mit zittrigen Beinen zum Stehen. Mit einer Hand hielt sie sich die Stelle, an der er sie erwischt hatte. Es musste furchtbar wehtun, so wie das aussah. Tatsächlich hatte sie echt Glück gehabt, dass ihr nicht mehr zugestoßen war. Lediglich der zarte Blutgeruch einer aufgeplatzten Lippe hing nun im Raum. „Die solltest du aber wirklich haben.“, grollte Luca zurück, „Der eine Schlag hat wohl noch nicht gereicht, dir Respekt einzuflößen oder was?“ In diesem Moment spürte Tiara, wie die Temperatur um sie herum deutlich sank. Im nächsten Moment sah sie, wie sich neben Luca ein Eiszapfen manifestierte, dessen Spitze genau auf sie zeigte. Bevor sie blinzeln konnte, raste das Teil auf sie zu. Da reichte es Kei. Das konnte er sich nicht länger mit ansehen. Seine Geduld mit dieser Chimäre war nun endgültig am Ende. Kei fing den Eiszapfen mit einer Hand ab und zerschmetterte ihn. Wie ein Schutzwall stand er nun vor Tiara, die ihn mit großen Augen anblickte, jedoch nichts sagte. Ihre Augen sprachen jedoch Bände. „Tu es nicht.“ „Was hat das zu bedeuten?“, fragte Luca nun mit einer Mischung aus Verwirrung und Wut. „Ich dachte, sie sollte nicht sofort sterben.“, gab Kei zurück. Noch klang er wie immer, aber Tiara wusste, dass sein Geduldsfaden bereits gerissen war. Luca kam nun näher. „Stimmt. Du hast Recht. Hatte für einen Moment ganz vergessen, dass sie ja nur ein Mensch ist.“ Vor Kei kam Luca zum Stehen. „Was ist denn noch?“, fragte er ungeduldig, weil Kei ihm keinen Platz machte. „Sag bloß, die Kleine gefällt dir? Ich lass schon noch genug von ihr übrig, keine Sorge.“ Und da klatschte es erneut. Dieses Mal jedoch deutlich lauter als beim ersten Mal und heftig genug, dass nun Luca quer durch die gesamte Halle geschleudert wurde. Er landete zwar auf den Füßen, rutschte aber selbst dann noch ein Stück weiter, bis er wirklich zum Stehen kam. Das halb zertrümmerte Gesicht heilte zwar sofort wieder, aber änderte nichts an dem Schock, den alle Beteiligten gerade hatten. Kapitel 11: der lautlose Killer ------------------------------- „Was…zum… Teufel!“, grollte Luca voller Zorn, doch ein Blick auf Kei und er stockte für einen Moment, denn so hatte er ihn noch nie gesehen. Trotz farbiger Kontaktlinsen leuchteten Keis Augen in einem tiefen, grellen rot. Sein Blick war mindestens so finster, wie der von Luca. Der blanke Zorn war in sein Gesicht geschrieben. „Sieh einer an. Du kannst ja doch mehr Emotionen als Gleichgültigkeit zeigen.“, meinte Luca nun, „Da fragt sich nur, warum bei ihr? Ist ja nun bei weitem nicht der erste Mensch, den ich hier habe.“ Kei schnaufte kurz und steckte dann die Hände in die Hosentaschen. „Tja, könnte daran liegen, dass ich es nicht gern sehe, wenn jemand sich an meiner Frau vergreift.“ Darauf folgte ein Moment der Totenstille. „Warte, warte, warte…“, meinte Luca schließlich verwirrt, „Ihr seid zusammen? Wie um alles in der Welt geht das denn?“ Nun seufzte Kei genervt aus und erklärte: „Hast du dich wirklich nie gefragt, was ich bei euch zu suchen hatte? Wieso ich eines Tages einfach zu euch gestoßen bin? Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass ein 200 Jahre alter Exile nicht besseres zu tun haben könnte, als bei deinen kindischen Plänen mitzuwirken? Wirklich nicht?“ Als Luca erkannte, worauf Kei hinauswollte, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. „Du hast für sie spioniert.“ „Bingo.“ Luca fletschte die Zähne und die Luft begann schlagartig abzukühlen. „Dreckiger Verräter! Ich wusste doch, dass niemandem zu trauen ist! Na warte, dafür wirst du bezahlen. Ist mir scheißegal, wer du bist! Du wirst diese Nacht ganz sicher nicht überleben!“ „Abwarten.“, konterte Kei ruhig, „Vielleicht sterbe ich heute tatsächlich, aber eines kannst du mir glauben. Tiara bekommst du nicht.“ Für den Hauch einer Sekunde durchflutete ein Bruchteil von Keis Aura den Raum und es stellte Tiara die Nackenhaare auf. Diese stand noch immer hinter Kei und blickte ihn traurig an. Sie wusste, was nun folgen würde und das war alles andere als das, was sie gewollt hatte. Warum hatte Kei sie nicht einfach im Stich lassen können, dann wäre er jetzt nicht in Lebensgefahr. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, drehte dieser sich nun mit einem Lächeln zu ihr um und meinte: „Keine Sorge, ich bin nicht so alt geworden, weil ich nicht kämpfen kann, ok? Vertrau mir, es wird alles gut.“ Dann drehte er sich wieder um und fixierte Luca. Noch im selben Moment griffen Shirai und ihr Bruder ihn von hinten an. Offenbar dachten sie, dass er sie nicht auf dem Schirm hatte, aber das war ein Trugschluss. Tatsächlich wurden beide noch im Angriff von zwei Klingen aufgespießt. „Oh man, endlich bekomme ich euch auch mal ruhig gestellt. Balsam für meine Ohren.“, seufzte Kei zufrieden und schleuderte die Beiden davon. Er wusste, dass sie nicht tot waren, jedoch so schwer verletzt, dass sie in den nächsten Stunden ganz sicher gar nichts machen würden. Sicher wäre es für ihn ein leichtes gewesen, sie zu erledigen, aber vor Tiara wollte er niemanden töten. Sie sollte das einfach nicht mitansehen müssen. Vielleicht war dieser Gedanke dämlich, dennoch fühlte Kei so. Es reichte ihm schon zu wissen, dass er heute sein wahres Gesicht vor ihr zeigen musste. Heute musste er die Illusion des friedlichen Exile wohl endgültig fallen lassen, auch wenn sie noch nie hatte glauben wollen, dass er seinen Rang nicht umsonst bekommen hatte. „Rühr dich nicht vom Fleck.“, befahl Kei Tiara nun und dann ging der Kampf urplötzlich los. Ihre Augen waren bei weitem nicht schnell genug, um jeder ihrer Bewegungen folgen zu können. Es wirkte so surreal auf sie. Kei und Luca stürmten gleichzeitig aufeinander los und trafen sich letztlich genau in der Mitte. Klauen trafen aufeinander, dann noch einmal und dann sprangen sie wieder auseinander. Sofort sausten mehrere eisige Klingen auf Kei herab, welche er mit seinen Sägeblättern konterte und zerstörte. Im nächsten Moment brauste auch auf Luca eine Salve von Angriffen nieder. Die Klingen, die auf ihn herabfuhren, erinnerten an Federn, nur das diese um einiges tödlicher als jede normale Feder waren. Luca wich einigen aus, die anderen wehrte er mit einer Windböe ab und schleuderte sie auf ihren Besitzer zurück. Auf magische Weise stoppten die Federn aber vor Keis Nase und lösten sich dann einfach auf. Die nächsten Windböen galten Kei nun wieder direkt. Er wusste, wie scharf die Dinger werden konnten und deswegen hielt er sich daran, diesen auszuweichen. Jedoch positionierte er sich stets so, dass Tiara nicht in die Schusslinie geriet. Nun beschwor Kei jene beiden Klingen hervor, die wie zwei Schlangenschwerter aussahen. Mit den Sägeblättern am Ende war es ein leichtes jeden Eisangriff abzuwehren, aber Kei wusste, dass Luca damit noch ganz andere Dinge anstellen konnte. Luca hingegen wurde zunehmend ungeduldig. Er war es nicht gewohnt, mit keinem Angriff einen Treffer zu landen. Zwar konnte er Kei gut auf Abstand halten und wurde so ebenfalls nicht verletzt, trotzdem verlief der Kampf ganz und gar nicht nach seinem Geschmack. Wenn er endlich einen Treffer landen wollte, musste er sich etwas Neues einfallen lassen. Da fiel sein Blick auf Tiara und er wusste genau, was er zu tun hatte. Luca beschwor mehrere Windböen herauf. Die Hälfte hetzte er auf Kei, die andere jedoch auf Tiara, welche nie im Leben schnell genug war, dem aufzuweichen. In der Sekunde als Kei das bemerkte, blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als dazwischen zu gehen. Mehrere tiefe Wunden schnitten sich in Kei, als die Böen ihn trafen. Hätte er sie mit den Federn nicht noch etwas abschwächen können, wäre sicher ein Arm oder Bein weg gewesen. Dennoch waren die Wunden so tief, dass sein Blut zu Boden tropfte und eine kleine Pfütze hinterließ. Tiara starrte ihn mit vor Schreck aufgerissenen Augen an. „Kei…“, schluchzte sie mit heiser Stimme, doch er begann nur müde zu lächeln. „Mach dir keine Sorgen. Das ist gar nichts.“ Tatsächlich heilten die Wunden sofort, doch Luca wartete nicht, bis er wieder vollständig geheilt war. Nun griff er frontal an, wobei er zur Chimäre wurde. Kei, der wegen Tiara nicht ausweichen konnte, wurde von Lucas Hörnern regelrecht aufgespießt und dann quer durch den Raum geschleudert. Tiara unterdrückte einen Aufschrei, als sie mit ansah, wie Luca gleich einen nachsetzte und mehrere Eisklingen auf Kei jagte. Dieser wehrte im letzten Moment mit seinen eigenen Klingen ab und wich sogar dem nächsten direkten Angriff aus. Die Wunden, die Luca ihm zugefügt hatte, schlossen sich rasend schnell wieder, was Tiara wieder etwas beruhigte. Für die nächsten Minuten begann ein Katz- und Mausspiel, bei dem Kei eindeutig in der Rolle der Maus war. Luca griff ihn unablässig an und Kei konnte fast ausschließlich nur ausweichen. Langsam aber sicher wurde er in die Ecke gedrängt. Letztlich kam, was kommen musste. Luca erwischte Kei mit seinen Pranken, schlitzte ihn auf und schlug ihn dann gegen eine der Wände. Kei spuckte große Mengen Blut und dann merkte er eine eisige Kälte in seinem Inneren. Er kannte diesen Trick von Luca bereits, wusste sich aber nicht dagegen zu verteidigen. Keis Blut gefror ihm in den Adern. Es zerriss ihn regelrecht und er sackte in sich zusammen. Das er solche Schmerzen ertragen musste, war schon so lange her, dass es Kei völlig surreal vorkam. Ein letztes Mal spießte Luca ihn mit den Hörnern auf, warf ihn in die Luft, fing ihn mit den Zähnen und beförderte ihn dann mit großem Schwung an eine nahegelegene Wand, sodass ein tiefer Krater entstand. Kei war nicht mehr zu sehen, während nach und nach weitere Bruchstücke der Wand auf den Boden rieselten. Tiara starrte auf diese Szene wie gelähmt. Sie dachte für einen Moment, das Herz springe ihr aus der Brust. Der Schmerz, den sie nun fühlte, war unbeschreiblich. Lieber hätte sie mit Kei getauscht, als das ertragen zu müssen. Nun wandte sich Luca wieder ihr zu. Langsam kam die Chimäre auf sie zu. Noch immer tropfte Keis Blut von seinen Zähnen und Klauen und Tiaras Augen brannten bereits von den Tränen, die sie so verzweifelt zu unterdrücken versuchte. „Was ist denn los?“, hörte sie eine verächtliche Stimme in ihrem Kopf, „Dachtest du etwa wirklich, dass er eine Chance gegen mich hätte? Welch naiver Mensch du bist.“ Die ersten Tränen rannen ihr über das Gesicht, während sie Luca in die Augen starrte. Er war nur noch etwa einen Meter von ihr entfernt, als er stehen blieb. „Ich hab es mir anders überlegt.“, verkündete er nun, „Ich fresse dich einfach auf. Ich habe keine Lust mehr, mich noch länger mit dir beschäftigen zu müssen.“ Tiara schluchzte immer lauter. Es war ihr vollkommen egal, was mit ihr geschah, aber sie bekam einfach nicht das Bild aus dem Kopf, was soeben mit Kei geschehen war. Geradezu apathisch sah sie die Blutstropfen ihres Freundes zu Boden gehen. Sie konnte es immer noch nicht fassen. Luca leckte sich über die blutigen Zähne und kam einen weiteren Schritt auf sie zu, als sich eine Hand auf seine Schnauze legte. Neben ihm stand Kei, völlig unverletzt und mit mörderischem Blick. Er musste seine Kontaktlinsen verloren haben, denn nun sah Tiara das erste Mal, wie seine Augen wirklich glühten. Ja, sie waren rot, aber nicht nur. Vielmehr schimmerten sie, je nachdem wie das Licht auf sie fiel, in allen möglichen Farben, während das rote Leuchten weiterhin allgegenwärtig war. Der Rest seiner Augen waren jedoch pechschwarz, wie ein bodenloses Loch. Luca war sichtlich überrascht. „Du lebst ja noch.“, stellte er fest, als er noch im selben Atemzug von vier Klingen durchbohrt wurde, die anders aussahen, als die Zwei mit den Sägeblättern am Ende. Diese Klingen bestanden einfach aus einer Vielzahl von Segmenten, die wie ineinander gesteckt schienen und scheinbar noch um ein vielfaches schärfer waren, als die anderen Beiden. „Also bitte.“, meinte Kei nun verärgert, „Als würde mich so ein bisschen umbringen. Das war doch nur das Aufwärmprogramm.“ Da riss sich Luca los und stellte sich auf die Hinterpfoten. Mit den Vorderpfoten stürzte er sich auf Kei, welcher sie jedoch mit seinen Händen abfing und entgegen stemmte. Es schien ihn nur wenig anzustrengen, woraufhin sich Luca noch mehr dagegen stemmte. Er war es absolut nicht gewöhnt, dass ihm jemand Paroli bot, was ihn sichtlich nervte. Das Bild was sich nun bot, war eine über drei Meter große Chimäre, die auf den Hinterbeinen stand und mit den vorderen Pranken versuchte, Kei zu Boden zu drücken. Doch er hielt dagegen, als würde Luca nichts wiegen. „Aber ich gebe zu.“, erklärte Kei nun finster, „Dass es schon lange keinem mehr gelungen ist, mich so zu verärgern, dass ich ernst mache. Lass mich dir eines sagen, Grünschnabel, es war ein großer Fehler mich herauszufordern.“ Im selben Moment begann sich Keis Gestalt zu verzerren. Noch niemand in der Gang hatte Kei bisher in seiner Gestalt als Exile gesehen, was daran lag, dass er normalerweise mächtig genug war, dass er sie nicht benötigte. Luca merkte, wie er langsam zurückgedrückt wurde, während vor ihm ein riesiger Exile erschien. Ähnlich einem Zentaur war auch Keis Gestalt zweigeteilt. Nur der Teil, der normalerweise von einem Pferd stammte, war in diesem Fall eher der Körper einer riesigen Raubkatze, der in einen menschlich aussehenden Oberkörper überging. An der Übergangsstelle, sowie der Schweif waren mit eben jenen Federn besetzt, mit denen Kei üblicherweise kämpfte. An den Schultern bildeten sie wie eine Art Kragen und auch an den Ellenbogen fungierten sie als eine Art zusätzliche Klingen, während die sechs Klingen, mit denen Kei sonst kämpfte aus seinem Rücken ragten. Auch der Kopf war mit jenen Federn besetzt. Allgemein war dieser Exile fast vollkommen weiß. Nur einige hellgraue Akzente waren in den Spitzen der Federn zu sehen. Im gewaltigen Gegensatz zum furchteinflößenden Körper des Exile stand das Gesicht, welches absolut friedlich schien. Man sah nur die schmalen, leuchtend roten Augen und auf der Stirn drei dunkle Ellipsen, jedoch erkannte man auf den ersten Blick kein Maul oder ähnliches, weshalb das Gesicht eher wie eine Maske wirkte. Luca hingegen sah sich nun einer Kreatur gegenüber, die ihm in Sachen Muskelkraft überlegen war. Kei drückte ihn immer weiter zurück, bis Luca schließlich aufgab und nach hinten zurücksprang. Kei war mit Sicherheit noch mal ein guter Meter größer als er und durch die Klingen war sein Angriffsradius enorm. „Das ich das noch erlebe.“, schnaufte Luca wütend, „Zugegeben, ich hab dich unterschätzt, aber das passiert mir nicht noch einmal. Im Endeffekt bist du auch nur ein Exile!“ In diesem Moment begann Kei zu Lachen. „Deine Arroganz wird wirklich noch einmal dein Grab werden. Aber ich bin gerne bereit, dir zu zeigen, wieso ich als „nur ein Exile“ auf der schwarzen Liste stehe.“ In diesem Moment begannen die drei schwarzen Ellipsen auf seiner Stirn in einem intensiven Rot aufzuglühen. Kei streckte die Arme von sich und zeigte mit den Fingerspitzen auf Luca. Erst jetzt fiel Tiara auf, dass in beiden Handflächen Keis je ein großes Loch waren, sodass man hindurchschauen konnte. Als Tiara sich gerade zu wundern begann, was nun geschehen würde, sah sie, dass Luca urplötzlich von so vielen Federn umgeben war, dass man ihn kaum noch erkennen konnte. Er war eingekesselt und schaute etwas perplex drein, als Kei die Arme sinken ließ und im nächsten Moment begannen sich die Federn zu bewegen. Wie ein Tornado umkreisten sie Luca. Plötzlich begann Tiara in diesem Wirbelsturm Formen zu erkennen. Ständig wurde Luca angegriffen. Er versuchte sich zu wehren, aber aus irgendeinem Grund konnte er kaum ausweichen. Das lag daran, dass alles, was ihn angriff, absolut lautlos war. Nur was er sehen konnte, konnte er parieren, aber der Rest verwundete ihn zusehends. Langsam wusste Tiara nun, woran sie die Formen erinnerte, die sich ständig in den Feder zu bilden schienen. Eulen. Das erinnerte sie an ihr erstes Gespräch, dass sie jemals mit Kei geführt hatte. Damals hatte er gesagt, dass Eulen irgendwie die einzigen Tiere waren, die ihn zu mögen schienen und langsam wurde ihr auch klar, wieso. Als Exile hatte er selbst einiges mit ihnen gemeinsam. Tiara hörte Luca wütend brüllen. Immer wieder ließ er gewaltige Windstürme auf die Federn los und versuchte den Kreis so zu brechen, aber wann immer er eine kleine Lücke geschaffen hatte, schloss sie sich sofort wieder. Kei schien das nicht im Geringsten anzustrengen, wie Tiara feststellte. In diesem Moment fiel die Raumtemperatur schlagartig weit unter null Grad ab. Um Luca herum, wurde es binnen Augenblicke so kalt, dass die Federn in ihrer Bewegung einfroren. Kei hatte schon geahnt, dass so etwas früher oder später geschehen würde und war nicht im Geringsten überrascht, als seine Federn letztlich durch Luca zertrümmert wurden und er endlich wieder frei war. Er blutete stark, die Wunden heilten jedoch schnell. Seinem Blick nach zu urteilen, war er jedoch alles andere als erfreut. Blitzschnell schoss Luca auf Kei los. Mit ausgefahrenen Klauen sprang er Kei direkt an die Kehle, welcher mit seinen eigenen Pranken abwehrte. Immer wieder versuchte Luca mit den Zähnen nach Kei zu schnappen, kam aber nie nah genug heran. Schließlich jagte Kei seinen Klingen auf Luca, welcher jedoch in die Luft auswich und seinerseits eine Salve von Eisklingen auf Kei jagte. Da Tiara noch immer hinter Kei stand und dieser nicht ausweichen konnte, zerstörte er die gesamte Salve mit Hilfe seiner Sägen, die lautlos und tödlich durch die Angriffe schossen. Ein Eiszapfen, der direkt auf Tiara zuhielt, fing Kei mit bloßen Händen auf und sandte ihm seinen Besitzer zurück. Natürlich traf er Luca nicht, lenkte ihn jedoch lang genug ab, dass nun auch Kei zum direkten Angriff überging. Man hätte ja meinen sollen, dass er aufgrund seiner Größe langsam gewesen wäre, aber das war nicht wirklich der Fall. Zwar war Kei tatsächlich ein ganzes Stück langsamer als Luca, doch durch seine Lautlosigkeit machte er einiges wieder weg. Kei riss Luca mit seinen Vorderpfoten zu Boden, sodass dieser nun auf dem Rücken lag und durch den Druck auf seiner Brust auch dort gehalten würde. Mit den Hinterpfoten versuchte er deswegen, Kei den Bauch aufzuschlitzen, aber dieser spießte Luca nun blitzschnell mit seinen Klingen auf und fixierte ihn so auf dem Boden. Obwohl als Brüllen getarnt, war der Schmerzensschrei deutlich zu hören. Im Gegensatz dazu stand noch immer Keis seelenruhiges Gesicht. Er spürte, wie die Chimäre sich unter ihm wandte und verlor keine Zeit, bevor sie den nächsten Angriff starten konnte. Nun wurde Keis rechter Arm selbst zu einer Klinge und fuhr auf Luca herab. Sie bohrte sich neben seine Pranken in den Brustkorb der Chimäre und verfehlte das Herz nur knapp. Es wurde immer deutlicher, dass Kei Luca deutlich überlegen war. Und wäre es nicht gerade Luca gewesen, den Kei Tiara zu Liebe nicht einfach töten konnte, wäre der Kampf schon vor Minuten vorbei gewesen. So musste Kei seinen Zorn jedoch zügeln und versuchte stattdessen die Chimäre so sehr zu verletzen, dass er das Bewusstsein verlor. Es war schwerer als er angenommen hatte, sich genug zu zügeln, um Luca nicht einfach zu zerreißen für das, was er mit Tiara vorgehabt hatte. Kei spürte, wie es Luca gelang, eine Klinge aus Eis genau über ihn zu manifestieren. Offenbar baute Luca wohl darauf, dass Kei ausweichen würde, hatte wohl aber nicht damit gerechnet, dass Kei das riesige Teil einfach aus der Luft fischte und Luca dann durch eine der Vorderpfoten jagte. Auch Luca musste wohl einsehen, dass er unter normalen Umständen keine Chance gegen Kei haben würde. Im Prinzip hatte er bereits verloren, aber das wollte er einfach nicht akzeptieren. Luca spuckte Blut, hatte Kei eine seiner Lungen erwischt und stemmte sich nun noch verzweifelter gegen seinen Gegner. Er spürte, dass er drohte das Bewusstsein zu verlieren, wenn das so weiterging und er wollte auf keinen Fall verlieren. Die Sache mit den Zwillingen hatte ihm eindeutig gereicht. So ging Luca dazu über sich für kurze Zeit selbst einzufrieren. Wenn Kei nicht mit eingefroren wollte, musste er wohl oder übel von ihm ablassen, was er auch tat. Elegant sprang er ein Stück von Luca zurück und sah zu, wie sein Gegenüber sich langsam und keuchend wieder aufrappelte. Allmählich kam Luca an seine Grenzen. Die Wunden heilten zwar noch, jedoch mittlerweile deutlich langsamer als zu Beginn des Kampfes. Kein Wunder, so oft wie heute, war er selten verletzt worden. Und selbst wenn, das war schon viele Jahre her. Er wollte auf keinen Fall schon wieder verlieren, schoss es Luca immer wieder durch den Kopf. Und so tat er etwas, was er sonst immer zu vermeiden versuchte. Luca überließ der Chimäre in ihm freiwillig die Kontrolle. Kapitel 12: ein letzter Ausweg ------------------------------ „Ich bin noch lange nicht fertig mit dir!“, zischte Luca laut und außer Atem. Kei wusste, dass er wieder die Kontrolle an die Chimäre in ihm verlor und ab jetzt wurde es gefährlich. Denn wenn Luca in diesem Zustand war, war es ihm egal, ob er verletzt wurde. Er kämpfte einfach so lange weiter, bis entweder sein Gegner oder er zusammenbrach. Am gefährlichsten wurde es jetzt aber für Tiara. Kei wusste, dass die Chimäre hungrig war, man sah es an ihrem irren Blick klar und deutlich und er wusste, dass Luca versuchen würde, sich Tiara zu schnappen. Nur Sekunden später ging Luca zum nächsten Angriff über. Seine Wunden waren noch nicht vollständig geschlossen, als er, wie Kei es vermutet hatte, auf Tiara zuhielt. Kei ging sofort dazwischen und trieb Luca mit seinen Klingen zurück. Hätte er es nicht getan, hätten die Sägeblätter ihn wohl in der Mitte zerteilt. Doch das hielt Luca nicht lange auf. In den nächsten Minuten griff er wie ein Besessener an. Immer wieder wehrte Kei ihn mit seinen Klingen und den Federn ab und immer wieder versuchte es Luca erneut. Es sah aus wie ein verrückter Tanz zwischen zwei Monstern in dessen Mitte ein Mensch stand, der nichts weiter tun konnte, als zusehen. Tiara fror furchtbar. Seit Minuten war die Luft so kalt geworden, dass sie ihren Atem sehen konnte. Ihren Schätzungen nach waren es mindestens -10 Grad, wenn nicht sogar noch kälter. Sie zitterte am gesamten Körper, hatte sie doch nur dünne Sachen an. Immerhin war eigentlich später Frühling. Auch Kei bemerkte schließlich, in welcher Lage sich Tiara befand. Als Arzt wusste er genau, dass sie Gefahr lief zu unterkühlen, wenn sie noch viel länger hier verweilen musste und er beschloss sich zu beeilen. Während sich Kei und Luca ständig direkt angriffen, tobte über ihnen ein ständiges hin und her aus Eisklingen, Windböen, Federn und den Klingen. Es war, als führten beide Kontrahenten zwei Kämpfe gleichzeitig gegeneinander und obwohl Kei im Gegensatz zu Luca noch keine ernsten Verletzungen davon getragen hatte, war keiner mehr im Vorteil. Das lag daran, dass Luca mittlerweile absolut nicht mehr darauf achtete, wie es ihm ging. Er hatte nur noch seine Beute und das Hindernis, dass ihn davon trennte vor Augen, hatte völlig die Kontrolle über sich verloren und stürzte sich auf Kei wie ein Berserker. Dieser war im Gegenzug genauso bedacht wie zu Anfang des Kampfes, wenngleich auch er langsam ermüdete. Seine letzte Mahlzeit war nun schon so lange her, dass es sich langsam rächte. Das war nun einmal der Preis, wenn man sich als Exile nur von ein bisschen Blut ernährte. Es war vergleichbar mit einem Menschen, der nur von irgendwelchen Proteinshakes lebte und das jahrelang. Und dann wendete sich das Blatt schlagartig. Luca gelang es tatsächlich durchzubrechen. Tiara hatte keine Chance auszuweichen und Kei benötigte gerade all seine Klingen, um die Eisklingen Lucas abzuwehren. Sein einziger Weg, Tiara das Leben zu retten, war, sich selbst in die Schussbahn zu werfen. Die Chimäre riss die Vorderpfoten hoch, Kei stemmte sich noch dagegen, erkannte die Finte aber zu spät. Im nächsten Augenblick wurde ihm schon der gesamte Bauchraum aufgeschlitzt. Kei schluckte den Schmerz herunter, als er merkte, was ihn eigentlich getroffen hatte. Der Skorpionsstachel dem er bisher so bedächtig ausgewichen war. Die Chimäre sprang zufrieden ein Stück zurück und wartete nun mit listigem Blick auf das, was als nächstes geschehen würde. Das Gift wirkte blitzschnell. Binnen weniger Atemzüge merkte Kei, wie seine Sicht leicht verschwamm und seine Beine zittriger wurden. Ein starkes Nervengift, stellte er fest. Kei wusste, wie gefährlich Lucas Gift war. Lediglich andere Chimären schienen dagegen immun zu sein und das war Kei ganz und gar nicht. Es war wahrscheinlich lediglich seiner guten Regenerationskraft zu verdanken, dass er nicht sofort starb. Trotzdem ahnte er, dass er gegen dieses Gift nicht ankommen würde. Hinweis Nummer eins darauf war noch immer die riesige Wunde an seinem Bauch, die keinerlei Anstalten machte, sich zu schließen, während Unmengen an Blut seinen Körper verließen. Die Chimäre wirkte überaus zufrieden und lauerte nun bis Kei nachgeben würde. Um die Sache zu beschleunigen ließ sie eine weitere Salve von Eisklingen und Windböen auf Kei los. Mühsam, aber erfolgreich, wehrte er sie ab. Dann knickte er für einen kurzen Moment ein, was auch Tiara nicht entging. „Kei… Was ist mit dir?“, fragte sie besorgt, denn auch sie sah, dass sich seine Wunde nicht wie üblich verschloss. Sie kam ihm ein Stück näher und legte eine Hand auf seine Flanke. Die Berührung gab ihm ein wenig Kraft. „Alles in Ordnung.“, log er und unterdrückte dabei ein Keuchen. Ihm ging die Luft aus. Ein neuer Plan musste her, sein letzter Ausweg, um hier wegzukommen und auf den er eigentlich nicht hatte zurückgreifen wollen. „Halt dir die Ohren zu, so fest wie du kannst.“, forderte er nun Tiara auf. „Wieso?“, fragte sie verwirrt. „Tu es einfach.“, meinte er ungeduldig. Er wollte sie nicht anherrschen, aber ihm lief die Zeit davon. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, tat Tiara nun wie geheißen. Sie legte die Hände auf die Ohren und Kei legte nun seine noch darüber, während er sich wieder aufrappelte. Luca starrte die beiden verwirrt und neugierig an. Er fühlte sich sehr sicher, jetzt da er Kei vergiftet hatte und dachte deswegen nicht im Traum daran, dass sie ihm noch irgendwie entkommen könnten. Nun erhob Kei sich wieder zu voller Größe und trat Luca direkt entgegen. Neugierig verharrte Luca und beobachtete, was sein Gegenüber nun vorhatte. Da bekam die Maske von Kei Risse. Zum Vorschein kam ein Maul mit einer Vielzahl tödlicher Zähne. Im ersten Moment knurrte Kei nur, doch dann veränderte sich der Ton und wurde unerträglich für die Chimäre mit dem sensiblen Gehör. Dieser absolut grelle, laute Ton in mehreren Frequenzen gleichzeitig zwang Luca in die Knie. Verzweifelt versuchte er sich die Ohren irgendwie zuzuhalten, aber mit zwei Pfoten gelang das eher schlecht. Auch Tiara zuckte zusammen. Sie hörte zwar bei weitem nicht so gut wie Luca, aber es reichte allemal, auch sie damit zu quälen. Sie fühlte sich, als würde jeden Moment ihr Trommelfell platzen, obwohl sie ihr bestes tat, sich davor zu schützen. Auch außerhalb des Hauptquartiers gingen die Leute in die Knie. Keiner hatte damit gerechnet und der Ton war stark genug, mehrere hundert Meter weit gehört zu werden. Gequält blickt Luca zu dem Exile über ihn, der nun aber mal die Chance hatte, seinen Gegner problemlos zu töten und es erneut nicht tat. Vernichtend starrte der Exile zu der Chimäre, die ihn mit Hilfe einer dummen Finte in die Knie gezwungen hatte und musste einen Moment wirklich mit sich Ringen. Kei wurde einen kurzen Moment von seinen eigenen Instinkten übermannt, doch im Gegensatz zu Luca hatte er Jahre der Erfahrung, damit umzugehen. Stattdessen schnappte sich Kei nun Tiara, nahm sie auf die Arme und verschwand. Luca sah ihnen zwar hinterher, er war aber immer noch wie gelähmt von dem Ton, dass er nur zuschauen konnte. Voller Zorn fletschte er die Zähne, dennoch war er bewegungsunfähig. Zwar hielt dieser Zustand nicht sehr lange vor, aber lange genug, dass Kei aus dem Ghetto rauskam. So schnell er konnte, brachte er Tiara an den Rand ihres Viertels, denn er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Luca seine Leute hinter ihnen herschickte. An der Grenze zum Viertel angekommen, ließ Kei Tiara wieder zu Boden. So gut er konnte unterdrückte er seine Schmerzen und die Tatsache, dass er sich fühlte, als kippe er jeden Moment um. Noch nie zuvor war er so nah an das Viertel herangekommen und er wusste, dass es für ihn hier auch gefährlich war, aber er wollte sichergehen, dass Tiara in Sicherheit war. „Wir sind da.“, verkündete er müde, als er sie herunterließ. Nun stand sie vor ihm, unsicher, was sie sagen sollte. Mit ihren Rehaugen blickte sie ihn an und er wusste nicht zu deuten, was sie gerade dachte. Hatte sie Angst vor ihm? Er hätte es ihr nicht verübelt, immerhin hatte sie ihn noch nie so gesehen. „Kei… ich…“, begann sie zögerlich. „Schon gut.“, unterbrach er sie, „Ist ok, wenn du dich vor mir fürchtest. Das ist ganz normal für einen Menschen.“ Dabei verschwieg er geflissentlich, dass ein winzig kleiner Teil in ihm, sie ebenso als Beute betrachtete wie Luca. Sie zuckte kurz schuldbewusst zusammen. „Ich will dich aber nicht fürchten… Du hast mir das Leben gerettet, schon wieder… Es ist nur, ich hatte nicht gedacht, dass du so… furchteinflößend sein kannst.“ Kei lachte kurz auf. „Sei doch froh, sonst hätte ich da nicht raushauen können und was das Leben retten angeht. Das war doch selbstverständlich. Ich hätte dich da niemals sterben lassen und schon gar nicht hätte ich zugelassen, dass Luca solche Dinge mit dir anstellt.“ Nun kicherte auch Tiara kurz. „Ja… ich hätte nie gedacht, dass ich dich einfach eifersüchtig erleben würde. Danke. Danke für alles.“ Vorsichtig legte sie nun eine Hand auf seine Flanke. Zum Glück war es mittlerweile tiefste Nacht, sodass sie nicht sah, dass sein Bauchraum noch immer aufgeschlitzt war. Die Blutung war zwar zum Teil abgeebbt, aber das änderte nichts an der Schwere seiner Verletzung. „Wie geht es nun weiter?“, fragte sie nach einer Weile. „Ich weiß noch nicht.“, meinte Kei nachdenklich, was jedoch gelogen war. „Auf jeden Fall wirst du jetzt in dein Viertel gehen und da die nächsten Wochen auf keinen Fall mehr herauskommen. Hast du verstanden? Hier ist es nicht mehr sicher für dich.“ „Warum redest du so, als würdest du nicht mitkommen?“, fragte sie plötzlich. „Ich kann unmöglich mitkommen.“, erwiderte Kei, „Ich bezweifle stark, dass ich bei euch gern gesehen bin. Immerhin bin ich bis vorhin noch Lucas rechte Hand gewesen.“ „Aber das war doch alles nur gespielt!“, antwortete Tiara aufgebracht, „Wenn wir Kyria die Situation erklären, wird sie das schon verstehen. Sie ist wirklich eine gute Person. Sie wird dich nicht verstoßen, schon gar nicht, wo du doch sowohl mir, als auch Yara und Seth das Leben gerettet hast.“ Doch Kei schüttelte nur müde mit dem Kopf. Da er Tiara nicht gestehen wollte, dass er die Nacht nicht überleben würde, musste er sich etwas anderes einfallen lassen, also meinte er: „Nein, es ist besser so. Ich komme sehr gut allein zurecht, ok?“ „Aber…“, begann Tiara zu schluchzen, „Das kannst du doch nicht machen. Luca wird dich jagen lassen und die Hunter, sowohl auch Lucius Leute werden dich ebenfalls verfolgen. Du bist Freiwild, wenn du auf dich allein gestellt bist.“ Kei lachte und legte ihr eine Hand auf den Kopf. Das Gift verhinderte, dass er sich zurückverwandeln konnte, also musste er in dieser Gestalt verweilen. Zum Glück hinterfragte Tiara das noch nicht. „Mach dir keine Sorgen.“, versuchte er sie zu beruhigen, „Ich bin es gewohnt, verfolgt zu werden. Schon vergessen? Ich bin Platz 11 auf der schwarzen Liste und bisher wurde ich auch noch nicht erwischt, ok? Mir wird es gut gehen, wirklich.“ Doch Tiara wirkte kein bisschen überzeugt. Allmählich wurde Kei unruhig. Er wollte sie endlich in Sicherheit wissen und noch war sie immer noch nicht wieder in ihrem Viertel, weil sie sich hier so lange unterhielten. Außerdem wusste er nicht, wie lange er die Fassade noch aufrecht halten konnte, dass es ihm gut ging. „Mag ja alles sein… Aber wenn du jetzt gehst, wann werden wir uns wieder sehen? Ich vermisse dich immer sehr und jetzt kann ich ja nicht einmal mehr wissen, wo du bist.“ Die ersten Tränen rannen ihr Gesicht herab und es brach ihm das Herz. Er wollte nicht, dass sie wegen ihm weinte. Glücklich war sie ihm so viel lieber, zumal er wusste, dass sie in ihrem Leben schon so oft hatte leiden müssen, weil andere sie verlassen hatten. Also beschloss er, drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Er ging auf die Knie, dass er sie nicht mehr so stark überragte und umfasste mit seinen Händen ihr Gesicht. Dann legte er seine Stirn auf ihre und sagte: „Ich kann dir versichern, was auch geschieht, mein Herz und meine Gedanken werden immer bei dir sein. Und sobald ich kann, werde ich dich besuchen kommen, das schwöre ich. Nur bitte weine nicht meinetwegen. Das hat ein Exile wie ich echt nicht verdient.“ Tiara schluchzte immer lauter. „Aber Ich liebe dich doch, egal was du bist.“ Daraufhin musste Kei zufrieden lächeln. „Ich liebe dich doch auch, du verrückte Menschenfrau.“ Er gab ihr einen kurzen, aber sanften Kuss und bevor sie noch etwas sagen konnte, ließ er sie mit einer kurzen Bewegung ohnmächtig werden. Kaum sackte sie in sich zusammen, nahm er sie vorsichtig hoch und sprang über den Zaun in ihr Viertel. Auch wenn es für ihn sehr gefährlich war, trug er sie ein ganzes Stück hinein, bis er fand, dass sie weit genug von der Grenze entfernt war. Sanft setzte er sie auf einer Parkbank ab und betrachtete sie sich ein letztes Mal. „Leb wohl.“, hauchte er traurig und verließ das Viertel dann. Sein letzter Weg, so beschloss er, würde ihn in den Tiergarten führen. Besser gesagt, das was davon noch übrig war. So viele Erinnerungen steckten in diesem Park. Hier hatte er Tiara kennengelernt und hier hatte er mehrere Jahre fast wie ein Mensch leben können. Die Zeit, in der er sich um die Eulen gekümmert hatte, war wirklich schön und vor allem friedlich gewesen und er erinnerte sich stets gern daran zurück. Zwar war heute alles verwildert und nur noch wenige Stellen, wo einst Gehege gewesen waren, erinnerten an den ursprünglichen Glanz dieses Parks, aber er stellte sich einfach vor, wie es einst hier ausgesehen hatte. Seine Beine trugen ihn kaum noch und bei jedem Schritt verlor er mehr und mehr Blut, aber es gelang ihm die große Wiese zu erreichen, wo vor vielen Jahren die Eulen ihr zu Hause gehabt hatten. Heute war es einfach eine verwilderte Wiese, die Volieren waren längst verschwunden. Schließlich gaben seine Beine nach und Kei knallte zu Boden. Mit dem Oberkörper stützte er sich noch an einen Baum, um nicht gänzlich zu fallen. Das Atmen fiel ihm unglaublich schwer und er spürte, wie er das Gefühl in seinen Gliedmaßen verlor. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Gift ihn töten würde. Plötzlich war er so unglaublich erschöpft. Er blickte verschwommen in die Ferne und begann in Erinnerungen abzudriften. Sein Leben begann regelrecht an ihm vorbei zu ziehen. Er erinnerte sich an die Zeit mit Tiara, eine Zeit, die er sehr genossen hatte. Dann erinnerte er sich an die vielen Jahrzehnte zuvor, die er als gejagter Exile verbracht hatte. Er war viel herumgereist, stets mit dem Ziel vor Augen, so viele Hunter wie möglich zu töten. Nach dem Tag der Schatten, als die Hunter aufgelöst wurden, hatte er kein Ziel mehr gehabt und von da an, war sein Leben einfach irgendwie an ihm vorbeigezogen. Es war ein Leben von einem Tag zum anderen, dass Kei einfach nur gelangweilt hatte. Ständig war er deswegen auf der Suche nach Abwechslung gewesen. Das war wohl auch der Grund, warum er sich auf Valentin eingelassen hatte. Dieser Mensch war damals ungewöhnlich gewesen und hatte Kei durchaus eine Abwechslung ins Leben gebracht. Von ihm hatte er letztlich auch die Idee bekommen, mal eine Weile wieder als ganz normaler Mensch zu leben, was er schließlich auch getan hatte. Doch dann streiften seine Erinnerungen noch weiter zurück, in eine Zeit, als Kei selbst noch ein Mensch gewesen war. Das waren turbulente Jahre gewesen, ein schönes Leben, jedoch auch mit seinen Tiefen. Und dann kam ihm jene Frau wieder in den Sinn, die er vor Tiara geliebt hatte und für die er zum Exile geworden war. Kapitel 13: Interlude: Das Todesurteil -------------------------------------- Es war einer dieser Nachmittage an denen die Schicht einfach kein Ende finden wollte. Eigentlich mochte Kei seine Arbeit ja, aber heute wollte er eigentlich nur so schnell wie möglich nach Hause. Ihm ging es nicht sonderlich gut, hatte seit nun zwei Wochen mit einer üblen Erkältung zu kämpfen und war nur mit Hilfe von diversen Medikamenten halbwegs arbeitsfähig. Kei war einer der Ärzte im ortsansässigen Krankenhaus der mittelgroßen Stadt in der er seit jeher lebte und näherte sich gerade dem Ende seines zweites Jahres der Facharztausbildung. Mit seinen 27 Jahren konnte er sich eigentlich nicht beschweren. Er stand fest im Leben, hatte eine wunderschöne Verlobte, die er über alles liebte und auch sonst war ihm noch nie wirklich Unglück widerfahren. Er war behütet aufgewachsen, war stets ohne Probleme durch Leben gekommen und allgemein stand er bisher immer auf der Sonnenseite des Lebens. Kurzum, er konnte sich nicht beschweren. Das nun eine Erkältung seine anscheinend größte Sorge war, konnte man da doch vernachlässigen. Im Pausenraum trank er gerade einen der vielen Kaffee, die ihn am Laufen hielten. Er unterdrückte ein Husten, als eine Stimme sich neben ihm erhob. „Mensch, bist du echt immer noch erkältet? Das hört ja bei dir gar nicht mehr auf, was?“, lachte die freundliche Stimme und als Kei aufblickte, erkannte er seinen besten Freund aus Kindertagen, Jack, der ebenfalls hier im Krankenhaus als Arzt arbeitete. Sie hatten dieselbe Schule besucht, hatten gemeinsam studiert und nun waren sie auch hier gemeinsam gestrandet. Kei war wirklich dankbar, dass er ihn hatte. „Hättest dir doch mal ein paar Tage frei nehmen sollen, sonst wird das ja nie wieder besser oder du verschleppst es noch. Das wäre allerdings noch schlimmer, findest du nicht?“, fragte Jack nun etwas ernster und setzte sich, ebenfalls mit Kaffeebecher bewaffnet, neben Kei. Dieser rang sich nun seinerseits ein schwaches Lächeln ab. „Schon gut, Jack. Geht glaube ich langsam wieder bergauf. Wird schon.“ „Na wenn du meinst. Aber ich finde trotzdem, dass du dich nicht überanstrengen solltest. Wie wäre es, wenn du heute einfach mal eine Stunde früher gehst. Ich übernehme das für dich.“ Jack war wirklich eine gute Seele, was Kei ihm sehr anrechnete. Wieder unterdrückte er ein Husten, doch dieses Mal gelang es ihm nicht so recht. „Und was ist mit den ganzen Yrida-Patienten? Soweit ich weiß sind noch drei auf der Intensiv.“ „Mach dir darum keine Gedanken. Die bekommen wir auch ohne dich versorgt. Zumal ich nicht glaube, dass sie noch lange haben. Bei zwei von ihnen hat das Organversagen bereits eingesetzt. Ist nur noch eine Frage von Stunden.“, gab Jack mit gedämpfter Stimme zurück. Yrida-Virus, kurz Y-Virus, war die Wurzel allen Übels. Aus diesem Virus waren einst die Yajuu und Exile hervorgegangen, die heute die Welt terrorisierten. Was aber viele nicht wussten, bei einem Viertel der Infektionen fand keine Mutation statt, die zu diesen Bestien führte. Manche Menschen schienen aus unbekannten Gründen einfach nicht in der Lage sich dem Virus anzupassen. Oft waren diese Menschen schon Jahre infiziert, bis sie aufgrund eines geschwächten Immunsystems schließlich dem Virus erlagen. Es fing schleichend an und breitete sich gegen Ende wie ein Lauffeuer im Körper der Betroffenen aus. Sie verhungerten, weil der Körper keine Nahrung mehr zuließ oder starben an Organversagen durch Erschöpfung. Kei kümmerte sich seit Jahren speziell um diese Patienten. Es war kein schöner Anblick zusehen zu müssen, wie sie langsam dahinsiechten, wissend, dass keine Medizin der Welt diese Menschen zu retten vermochte. Alles was die Ärzte hier letztlich tun konnten, war den Sterbenden die letzten Tage oder Wochen so angenehm wie möglich zu machen. „Hat man die Angehörigen schon informiert?“, fragte Kei nun betrübt. Ihm gefiel die Vorstellung nicht, dass bald wieder zwei Patienten mehr gegen den Virus verlieren würden. Warum nur hatte man bis heute kein Heilmittel dafür entdeckt? Oder zumindest eine Impfung zur Prävention. Er wusste, dass daran geforscht wurde, bisher jedoch ohne nennenswerte Ergebnisse. „Ja… Sie sind auf dem Weg hierher.“, bestätigte Jack und leerte seinen Kaffee, „Also… Tu dir das heute nicht an. Fahr nach Hause zu deiner Verlobten und lass dich ein wenig von ihr pflegen. Der Chefarzt wird da sicher kein Problem mit haben. Er weiß doch auch, dass es dir nicht gut geht.“ Letztlich gab Kei nun nach. Er hatte ja wirklich selbst keine Lust, heute noch den Tod von zwei Patienten miterleben zu müssen. Also leerte er nun auch seinen Kaffee und meinte seufzend: „In Ordnung. Ich fahr heim. Du hast dafür echt einen Gut bei mir, Jack. Versprochen.“ „Dafür sind Freunde doch da.“, lachte dieser und klopfte Kei leicht gegen die Seite. Als Kei eine knappe Stunde später bei sich daheim ankam, empfing ihn bereits der Parfümduft, den er über alles liebte. Natürlich war Jade schon da. Sie arbeitete als Lehrerin und hatte somit im Allgemeinen vor ihm Feierabend. „Hallo Schatz, du bist ja schon da.“, begrüßte sie ihn freudestrahlend und gab ihm eine herzliche Umarmung. Jade war alles für ihn. Seit er sie das erste Mal gesehen hatte, war es um ihn geschehen gewesen. Sie war nicht von hier, hatte einen dunklen Teint und wallendes, schwarzes Haar mit smaragdgrünen Augen. Eine exotische Schönheit konnte man sagen. Er hatte sie während seines Studium kennengelernt, als sie mit Schulklassen die Universität zu den offenen Tür Tagen begleitet hatte und letztlich waren sie nun schon seit über sieben Jahren ein Paar. „Jack hat mir angeboten, den Rest meiner Schicht zu übernehmen.“, meinte Kei nun zurück. Ihm war etwas schwindlig vom Heimweg, aber vor ihr versuchte er es so gut es ging zu verbergen. „Das ist aber nett von ihm.“, lachte sie. Zusammen schlurften sie nun ins Wohnzimmer, wo Jade offensichtlich gerade Klausuren kontrollierte. Kei ließ sich erschöpft auf die Couch fallen, Jade blieb vor ihm stehen und blickte ihn etwas besorgt an. „Wie geht es dir heute?“, fragte sie nun, „Du wirkst heute noch blasser als sonst.“ Aber Kei winkte nur ab. „Geht schon, alles in Ordnung.“ Jade schien keineswegs überzeugt, beließ es aber vorerst dabei. „Wie war dein Tag so?“, fragte er stattdessen und auch wenn sein Schädel brummte, wollte er doch versuchen, sich normal mit ihr zu unterhalten. Er wollte keiner dieser Leute sein, die bei einer einfachen Erkältung so taten, als würden sie daran sterben. „Ach wie immer eigentlich. Manche Schüler sind und bleiben einfach unbelehrbar, aber ansonsten war der Tag eigentlich recht angenehm.“, meinte Jade und verschwand dabei in die Küche. Kei hörte den Wasserkocher und wenig später kam sie mit zwei Tassen Tee zurück. Dann setzte sie sich auch und begann sich wieder den Klausuren zu widmen. Er nippte unterdessen an dem Tee und schaute ihr eine Weile einfach nur schweigend zu. Lediglich sein Husten unterbrach die Stille ab und zu. Schließlich raffte er sich jedoch auf und schlurfte Richtung Bad. „Ich geh schnell duschen.“, meinte er müde und schloss dann die Tür hinter sich. Die Erkältung setzte ihm doch mehr zu, als er sich eingestehen wollte. Vielleicht doch eher eine Grippe. Immerhin tat ihm alles weh. Er fühlte sich mindestens fünfzig Jahre älter als er eigentlich war, aber das warme Wasser half, den Schmerz für eine Weile hinfort zu spülen. Als er nach über einer halben Stunde wieder aus dem Bad kam, roch er bereits einen feinen Geruch aus der Küche strömen. Jade hatte begonnen, das Abendessen zuzubereiten und so beschloss er, ihr in der Küche Gesellschaft zu leisten. Zu seiner Überraschung war die kein normales Abendessen. Jade tafelte regelrecht opulent auf. Kerzen standen auf dem Tisch, den sie zusätzlich mit ein paar Blumen dekoriert hatte und sofort wunderte er sich, womit er das denn verdient hatte. Bevor er jedoch fragen konnte, drehte sich Jade zu ihm um und meinte: „Ich bin noch nicht fertig. Husch, es soll doch eine Überraschung werden!“, und so wurde er aus der Küche verbannt. Perplex ging er zurück zur Couch. Auf dem Tisch davor lagen nun die fertig korrigierten Klausuren und Kei bewunderte immer wieder, wie schnell sie doch damit war. Aber es war ja auch kein Wunder, immerhin war Jade kein Mensch. Richtig. Sie war eine Exile. Natürlich hatte er das nicht von Anfang an gewusst. Tatsächlich wusste er, dass der Anfang zu seiner Beziehung zu Jade nur ein Vorwand ihrerseits gewesen war, um ihn eigentlich eines Tages auffressen zu können. Sie hatte es selbst zugegeben. Ursprünglich war ihr Plan gewesen, sich solange mit ihm zu befassen, bis er ihr langweilig wurde und dann den tödlichen Schlussstrich zu ziehen. Aber es war anders gekommen. Jade hatte sich in den Menschen verliebt und war nicht länger in der Lage dazu, ihn töten zu können. Als ihr das bewusst geworden war, hatte sie versucht, Kei von sich zu stoßen. Immerhin war ein Zusammenleben von Mensch und Exile doch unmöglich oder nicht? Kei wusste noch ganz genau, wie sie sich wochenlang merkwürdig verhalten hatte, als würde sie etwas vor ihm verbergen. Er hatte sich wirklich Sorgen um sie gemacht, denn all der Stress hatte sie regelrecht krank aussehen lassen. Damals hatten sie noch nicht zusammengewohnt und als schließlich tagelang kein einziges Lebenszeichen mehr von ihr gekommen war, hatte er sich auf zu ihrer Wohnung gemacht, nur um über ihr Treiben zu stolpern. Sie hatte es mehr als offensichtlich gemacht. Hatte Knochen ihres letzten Opfers, sowie Blutspritzer in der Küche belassen und hatte nur darauf gewartet, bis Kei es entdecken würde. Als erstes war natürlich die Angst gekommen. Als sie ihm plötzlich gegenüberstand mit Gold glühenden Augen und den ausgefahrenen Fangzähnen, da hatte alles in ihm geschrien, dass er abhauen solle. Aber sein Verstand hatte sich geweigert. Immerhin war sie doch die Frau, die er über alles liebte. Als Jade bemerkte, dass er nicht vor ihr floh, war sie sogar so weit zu gegangen, ihm das Gefühl zu geben, dass er nun ihre nächste Beute werden würde. Außer natürlich wenn er fliehen und sie den Huntern melden würde. Aber Kei hatte das nicht getan. Er hatte ihre Fassade durchschaut. Und er weigerte sich, sie deswegen gehen zu lassen oder gar den Huntern dem Fraß vorzuwerfen. Vielmehr noch hatte er doch fest vorgehabt, diese Frau zu heiraten. Durch Zufall hatte er am selben Tag zuvor den Verlobungsring noch beim Juwelier abgeholt. Als er ihn ihr präsentierte, was Jade eingeknickt und hatte ihre Fassade fallen lassen. Seitdem waren sie also verlobt. Das war nun zwei Jahre her und noch etwas hatte sich geändert. Natürlich konnte Kei nicht einfach so darüber hinweg sehen, dass Jade Leute jagte und doch war ihm klar, dass sie es tun musste, um zu überleben. Und so hatten die beiden einen einzigartigen Deal miteinander. Wann immer er konnte, brachte Kei überschüssige Blutspenden aus der Blutbank für sie mit oder hielt notfalls eben selbst her und sie verzichtete dafür komplett auf die Jagd nach Menschen. Trotz einiger Bedenken hatte Jade schließlich eingewilligt und so war es seitdem. „So, es ist angerichtet!“, rief es nun fröhlich aus der Küche. Kei, der irgendwie einfach nur in Gedanken versunken war, raffte sich auf und ging dann zu ihr. Jade hatte sich wirklich selbst übertroffen. Exile konnten menschliches Essen zu sich nehmen, mussten es aber nicht. Viele verzichteten daher darauf, aber Jade liebte das Kochen über alles. Es war ihr liebstes Hobby und Kei beschwerte sich darüber sicher nicht. Da Jade schon ein ziemlich alter Exile war, um genau zu sein war sie 143 Jahre alt, hatte sie auch schon reichlich Zeit gehabt, ihre Kochkunst zu perfektionieren. Kei bezweifelte, dass ein Sternekoch ihr so leicht die Stirn bieten konnte. „Wow… Du hast dich ja mal wieder selbst übertroffen.“, staunte Kei völlig perplex, „Womit verdiene ich denn diese Ehre?“ „Später.“, lachte Jade zufrieden, „Erst wird gegessen. Sonst wird es noch kalt.“ Eine köstliche Mahlzeit später, beim Dessert angelangt, rückte sie schließlich mit der Sprache raus. Jade strahlte überglücklich, als sie den Löffel beiseite legte und dann fast schon nervös die Hände übereinander faltete. „Ok… Also du fragst dich sicher, wieso all das?“, begann sie und klang auch hier etwas nervös. Sofort ließ auch Kei den Rest des Desserts ruhen und blickte sie neugierig und fragend an. „Darauf kannst du Wetten.“, meinte er zustimmend. „Gut… Also wie soll ich das nur anfangen…“ So hatte er sie noch nie erlebt. Sie schien glücklich, aber auch nervös. Nicht so wie damals, als sie ihm offeriert hatte, dass sie eine Exile war. Da war sie zwar auch nervös gewesen, aber anders. „Einfach gerade weg.“, meinte sie zu sich selbst und atmete dann einmal tief durch. Dann legte sie ihre Hände auf seine und beugte sich leicht über den Tisch. „Kei… Du wirst Vater.“ Da war es raus. Er brauchte einen Moment, das zu verarbeiten. „Du bist schwanger?“, fragte er selten dämlich nach. Er war perplex, doch langsam sickerte diese Information zu ihm durch. „Ja, etwa die fünfte Woche.“, gab sie noch immer nervös zurück. Sie wusste wohl nicht, wie er reagieren würde. Für einen Moment schwieg er nun und sie begann sich schon zu Sorgen, doch dann hellte sich seine Miene schlagartig auf. Kei sprang von seinem Platz auf und ging zu ihr herüber. Als sie sich auch vom Stuhl erhob, schlang er seine Arme um ihre Taille und hob sie in die Luft, als würde sie nichts wiegen. „Das ist ja der Wahnsinn.“, freute er sich wie ein kleines Kind. Kei hatte nicht mal gewusst, dass eine Schwangerschaft zwischen Mensch und Exile möglich war. Jade offenbar auch nicht und doch war es geschehen und die werdenden Eltern waren beide überglücklich darüber. Kei schenkte Jade einen langen Kuss und als er sich wieder von ihr löste und sie zurück auf den Boden ließ, lachte sie entspannt. „Und ich hatte schon Angst, dass du es nicht mögen würdest.“, gab sie zu, aber Kei schüttelte nur den Kopf. „Nein, ich wollte schon immer eine Familie mit dir haben. Ich hätte nur nicht gedacht, dass es möglich ist. Aber ich freue mich wirklich sehr. Das sind doch mal tolle Neuigkeiten.“ „Ja, das ist es wahrlich.“, lachte Jade und drückte sich nun an seinen Oberkörper, während er sie noch immer im Arm hielt. „Das heißt, wir haben bald jede Menge Arbeit vor uns.“, sagte sie verträumt und schwelgte scheinbar schon in Tagträumen. Auch Kei begann sich vorzustellen, wie es wohl werden würde. Das es letztlich nie so weit kommen würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Tage nach der frohen Botschaft vergingen. Jade und Kei beschlossen, es vorerst noch niemandem sonst zu verraten. Es war zu gefährlich und auch sonst kamen allmählich die Bedenken, wie das Kind wohl werden würde. Wäre es ein Mensch oder ein Exile? Oder etwas ganz anderes? Neben der Vorfreude kamen schnell Sorgen dazu und doch waren beide fest entschlossen, sich der Aufgabe anzunehmen. Jade nahm unterdessen Kontakt zu ein paar Exile auf, denen sie vertraute und versuchte sich umzuhören, ob es solch einen Fall schon einmal gegeben hatte. Kei arbeitete ganz normal weiter. Oder er versuchte es zumindest. Denn Teil der traurigen Wahrheit war, dass die Erkältung noch immer an ihm nagte, sogar schlimmer wurde. Seit einigen Tagen bekam er Magenprobleme. Immer weniger Essen wollte dort bleiben wo es hingehörte und Schwächeanfälle machten sich breit. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er eines Tages während der Arbeit für kurze Zeit das Bewusstsein verlor. Als er wieder erwachte, war er auf einem der Krankenbetten und Jack beäugte ihn kritisch und auch irgendwie voller Kummer. Kei wollte sich aufsetzen, aber alles drehte sich vor ihm. „Hey ganz langsam, Kei.“, meinte Jack sofort besorgt und stützte seinen Freund ab. „Was ist passiert?“, fragte Kei etwas benommen. Die letzten Stunden waren wie in Watte gehüllt an ihm vorbei gezogen. „Du bist umgekippt, mein Freund. Starke Dehydrierung.“, erklärte Jack. Kei wunderte es nicht. Immerhin war es ziemlich schwer für ihn, an schlechten Tagen auch nur Wasser noch drin zu behalten. Heute war einer dieser schlechten Tage. „Verstehe…“, seufzte Kei und prompt folgte ein Hustenanfall der sich gewaschen hatte. Jack wartete geduldig bis Kei sich wieder beruhigt hatte. Er wollte Kei ein Glas Wasser reichen, doch dieser lehnte dankend ab. Er glaubte nicht, dass sein Magen stabil genug war, dass jetzt drinnen zu behalten. „Mein Freund… Ich hab schlechte Nachrichten für dich.“, begann Jack nun zögerlich und setzte sich auf einen Stuhl, den er neben Keis Bett gezogen hatte. „Was meinst du?“, fragte Kei verwirrt. „Als du ohnmächtig warst, hab ich dir ein klein bisschen Blut abgenommen. Immerhin ist das ja nicht mehr normal mit dir.“ Als Kei schließlich bemerkte, worauf das hier hinauslaufen würde, trat kalter Schweiß auf seine Stirn und das Atmen fiel ihm schwer. Da zückte Jack ein Blatt Papier hervor. Der große schwarze Fleck auf dem Schnelltest war eindeutig. „Ich hab Yrida...“, flüsterte Kei fast schon ehrfürchtig und gleichzeitig überkam ihm eine undefinierbare Panik. „Ich fürchte ja, mein Freund.“, seufzte Jack traurig, „Du bist wohl ein Abstoßungspatient. Die im Labor haben deine Probe vorgeschoben und ich hab hier deine Werte. Willst du sie sehen?“ Nun zückte Jack ein zweites Blatt Papier und reichte es Kei, der es zitternd entgegennahm. Während Kei mehr auf das Blatt starrte, als es wirklich zu lesen, erklärte Jack trotzdem für ihn. „Wie es aussieht, sind deine Leber- und Nierenwerte nicht mehr die Besten. Aber Lunge und Herz scheinen noch in Ordnung. Du bist also noch nicht im Endstadium. Ansonsten hast du ein paar Vitaminmangelerscheinungen, aber das liegt wohl eher daran, dass du momentan eh so wenig zu dir nimmst. Das ist allerdings nicht so beunruhigend.“ Kei konnte es noch immer nicht fassen. Im Prinzip hatte er hier gerade sein Todesurteil in der Hand. Wie oft hatte er es schon selbst ausgeteilt, aber es nun einmal selbst zu erhalten, war etwas ganz anderes. Die Panik, die Verzweiflung, die er sonst immer in den Augen der Patienten sah… waren nun seine Eigene. Tröstend legte Jack ihm eine Hand auf die Schulter. „Es tut mir Leid, mein Freund. Wirklich…“ „Wie lange denkst du… hab ich wohl noch?“ Keis Stimme zitterte leicht. Er dachte an Jade und an das Kind, was er so wohl nie kennenlernen würde dürfen. Das wiegte für ihn noch so viel schwerer, als sein Tod an sich. „Schwer zu sagen. Du hast ja schon ein paar Wochen Symptome. Die Erkältung muss wohl der Auslöser gewesen sein. Bei diesen Werten würde ich sagen noch drei bis sechs Monate.“ Jack schluckte ebenfalls schwer. „Ich denke du solltest jetzt wohl nach Hause gehen. Der Chefarzt weiß schon Bescheid. Du musst nicht mehr arbeiten. Er bezahlt dir deine letzten Wochen als Urlaub. Den Rest übernimmt die Krankenkasse.“ Mit glasigem Blick schaute Kei zu Jack auf. „Ich verstehe…“, war alles, was er herausbekam. „Dann war´s das also.“ „Es tut mir Leid, Kei. Sollte es zu schlecht werden, kannst du jederzeit hierher kommen, aber du weißt ja, dass wir dir auch nicht viel tun können.“ Kei nickte langsam. Wenn er schon sterben musste, dann nicht an ein Krankenhausbett gefesselt, voller Schläuche im Körper. Jack und er sahen das nun schon seit so vielen Jahren, dass die beiden das niemals wollen würden. Er schnaubte aufgebend und vergrub dann den Kopf zwischen den Knien. Jack blieb noch eine Weile bei ihm. Sie redeten nicht mehr, aber die Tatsache dass sein bester Freund für ihn da war, gab Kei doch ein wenig Kraft. Einige Zeit später fuhr Jack ihn nach Hause. Er hatte Kei mehrere Schmerzmittel mitgegeben, denn sie waren die einzigen, die jetzt noch etwas für ihn tun konnten. Als Kei ausstieg und sich bedankte, meinte Jack noch zum Abschied. „Wenn was ist, du kannst mich jederzeit erreichen, ok?“ „Ich weiß. Danke, Jack. Du bist ein wahrer Freund.“, gab Kei traurig lächelnd zurück, „Bis dann.“ „Bis dann.“ Damit schloss Kei die Autotür und Jack fuhr zurück zur Arbeit. Kei war immer noch schlecht, aber die Schmerzmittel taten ihren Dienst du linderten die restlichen Schmerzen. Hustend erklomm er die Treppe zu seiner Wohnung. Innen brannte Licht. Eigentlich hätte er Nachtschicht gehabt, aber Jade war wohl noch wach. Er hatte die ganze Heimfahrt über fieberhaft überlegt, was er zu ihr sagen sollte, doch er war zu keinem Ergebnis gekommen. Seine blonden Haare hingen ihm ins Gesicht, was ihn nervte. Bei jedem neuen Hustenanfall fielen sie ihm nur wieder vor die Augen, aber er war die letzten Wochen über einfach nicht dazu gekommen, einen Friseur aufzusuchen. Schließlich steckte er den Schlüssel ins Schloss und betrat seine Wohnung. Jade lag auf der Couch und schaute irgendeinen Film. Vor ihr auf dem Tisch stand ein Glas mit Blut, doch Kei hatte sich längst an den Anblick gewöhnt. Sofort wurde ihm klar, dass er für Jade nur Probleme verursachte, denn ab jetzt konnte er keinen Nachschub mehr besorgen. So verzweifelte er nur noch mehr. Kaum war er eingetreten, blickte Jade verwundert zu ihm auf. „Kei? Was machst du denn hier?“, fragte sie besorgt und sprang sofort auf und kam zu ihm gelaufen. Er stand hilflos im Flur und versuchte den Schwall an Gedanken zu ordnen, die ihn zu verschlingen drohten und war unfähig, ihr zu antworten. Nun noch besorgter umfasste Jade mit ihren Händen sein Gesicht und zwang ihn so, sie anzusehen. „Kei? Was ist denn los?“, fragte sie mit mehr Nachdruck. „Jade… Ich…“, begann er, aber kein Satz wollte ihm über die Lippen gehen. Aber zu seiner Überraschung nahm sie ihm das Problem ab. „Du weißt es jetzt also?“, fragte sie stattdessen und riss Kei sofort aus seiner Gedankenblase. „Du… weißt es?“, fragte er perplex zurück. „Ich wusste einfach nicht, wie ich es dir sagen sollte, aber ja. Ich weiß seit Wochen, was mit dir nicht stimmt, Kei.“, gab Jade kleinlaut zu und blickte ihn mit tränennassen Augen an, „Ich hatte so gehofft, dass es nicht so kommen würde, aber dein Blut schmeckt schon lange infiziert.“ „Wie lange bin ich denn dann schon…?“, Kei bekam den Satz nicht zu Ende, aber jetzt wurde ihm auch klar, dass Jade es gewusst haben musste. Er hatte ihr oft genug erlaubt, sein Blut zu trinken. „Mindestens die zwei Jahre, seit dem ersten Mal seit ich dein Blut trinken durfte. Aber ich schätze, dass es noch länger so ist.“, gab sie traurig zurück. Damit hatte Kei nicht gerechnet. Letztlich hatte er also sein Todesurteil schon seit Jahren mit sich herumgeschleppt und diese dämliche Erkältung hatte nur den Startschuss gegeben. „Bitte sei mir nicht sauer, aber ich wusste wirklich nicht, wie ich es dir hätte sagen sollen. Als mir klar wurde, dass du kein Exile werden würdest, habe ich einfach nur gehofft, dass du vielleicht immun bist, aber ich habe mich wohl getäuscht.“ „Ich bin nicht sauer. Wirklich nicht.“, gab er sofort zurück und das meinte er todernst. Letztlich war er sogar froh, dass sie es für sich behalten hatte, sonst hätte er sich doch schon viel früher den Kopf darüber zerbrechen müssen und wäre tagtäglich nur mit der Angst geplagt gewesen, wann es denn endlich soweit sei. Nein, er war eigentlich ganz froh, dass sie ihn im Unwissen gelassen hatte. Jade schien erleichtert, doch das änderte nichts an der Lage in der sie sich nun befanden. Beide wussten, dass es von nun an nur noch schlimmer werden würde. „Komm, setz dich erst mal.“, meinte Jade schließlich und begleitete Kei ins Wohnzimmer. Sie kuschelte sich an seine Seite und versuchte ihm irgendwie Trost zu spenden. „Wir schaffen das schon.“, schluchzte sie fast schon, obwohl sie doch zuversichtlich klingen wollte. Kapitel 14: Interlude: Die Vollstreckung ---------------------------------------- Die Wochen vergingen wie im Fluge und Keis Gesundheitszustand baute kontinuierlich ab. Immer öfter verweigerte sein Magen ihm die Nahrungsaufnahme und so nahm Kei unvermeidlicher Weise binnen weniger Wochen mehrere Kilogramm ab. Hinzu kamen schließlich Kurzatmigkeit und beginnende Herzrhythmusstörungen, die sich bisher aber noch in Grenzen hielten. Jade verfolgte diesen Verfall ihres Verlobten still und voller Sorge. Die werdende Mutter plagten viele Sorgen. Aber wären die bereits vorhanden Sorgen nicht schon groß genug gewesen, kam eine weitere Tatsache hinzu. Jade wusste nicht warum oder wie, aber offenbar hatten die Hunter in der Stadt Wind von ihrer Existenz bekommen. Es war so surreal. Sie hatte doch seit über zwei Jahren keinen Menschen mehr gejagt. Wieso sie jetzt entdeckt worden war, war ihr ein Rätsel. Kei hatte sie nichts davon verraten. Sie wollte ihn nicht noch mehr belasten. Ihr einziger Anlaufpunkt in dieser schweren Phase war ein alter Freund von ihr. Ein Exile, der fast genauso alt wie sie war und eine Bar in der Stadt führte. Diese Bar war unter den Exile ein bekannter Anlaufpunkt, aber um die Tarnung nicht zu gefährden, war es hier strengstens untersagt, in der Gegend Menschen anzugreifen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, an das sich auch alle hielten. Sogar die Yajuu hielten sich von hier fern. Als Jade sich an den Tresen setzte, wurde sie bereits von der grimmigen Miene ihres Kameraden begrüßt. Ty, so nannten ihn alle hier, blickte immer grimmig drein. Der durchtrainierte Kerl schien gar keinen anderen Gesichtsausdruck zu besitzen. „Lange nicht gesehen Jade.“, begrüßte er sie mit seiner etwas schroffen Art, die sie längst von ihm gewohnt war. „Was führt dich her?“ Jade war das letzte Mal bei ihm gewesen, als diese von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Aber auch er hatte ihr nicht weiterhelfen können, ob es so etwas schon einmal gegeben hatte oder nicht. Seitdem waren aber einige Wochen vergangen und obwohl sie sich noch immer auf das Kind freute, wiegten die Probleme mit Kei und den Huntern momentan doch zu schwer, um unbeschwert die Schwangerschaft zu genießen. „Ty… Weißt du noch als ich mal vor Ewigkeiten zu dir meinte, dass mein Verlobter infiziert ist, aber scheinbar kein Exile werden kann? Es ist jetzt ausgebrochen. Er stirbt…“, flüsterte sie traurig. „Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll. Ich will ihm irgendwie helfen, aber es gibt einfach kein Heilmittel. Ich habe überall nachgeforscht. Du bist meine letzte Hoffnung.“ Ty seufzte. Um diese Zeit waren nur Exile im Lokal, sodass sie offen miteinander sprechen konnten. „Der Mensch muss dir ja echt am Herzen liegen, wenn du ihn sogar retten willst, was? Aber ich muss dich enttäuschen. Es gibt einfach kein Heilmittel. Gäbe es das, wären wir alle nicht mehr hier oder?“ Jade schluchzte einmal kurz auf. „Ich will ihn nicht verlieren, aber… ich fürchte wir werden bald beide sterben. Deswegen wollte ich wenigstens ihn retten, wenn ich schon nicht mich oder mein Kind retten kann.“ Ty blickte sie verwirrt an. „Was meinst du damit, Jade? Hast du etwa Probleme mit dem Baby?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein… Da ist alles in Ordnung, aber die Hunter sind mir auf die Schliche gekommen. Sie wissen, dass ich die Harpyie bin und sie wissen auch, dass ich als Lehrerin arbeite. Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis sie mich gefunden haben.“ „Was? Aber wie ist das möglich? Ich dachte, du hast ewig nicht gejagt?“, fragte Ty und wirkte dabei regelrecht schockiert. „Ich weiß nicht wieso. Ich war wirklich so unauffällig wie möglich und habe Kei zuliebe keinen Menschen mehr angerührt und trotzdem… Aber Fakt ist, ich bin kein Kämpfer. Zwar mag ich mich gut zu tarnen wissen, aber du weißt selbst, dass ich miserabel im Kampf bin. Wenn sie mich finden, werde ich sterben.“ „Du könntest die Stadt doch verlassen, dann verlieren sie deine Spur.“, war Ty sofort ein, aber Jade winkte ab. „Ich kann Kei in seinem Zustand nicht allein lassen. Er braucht mich.“ Nun schlug Ty aufgebracht auf den Tisch und brauste auf. „Hörst du dich eigentlich selbst reden, Jade? Du bist ein Exile und willst wirklich dein Leben für einen Menschen riskieren, der ohnehin bald sterben wird? Denk doch an dich und dein Kind und nicht an ihn!“ Doch Jade blieb ganz ruhig. „Ich weiß selbst, dass es töricht ist. Aber mein Herz verbietet es mir, ihn in dieser Zeit allein zu lassen. Hör zu, es mag klingen, als hätte ich mit dem Leben bereits abgeschlossen und auch wenn ich eben noch sagte, dass ich kein Kämpfer bin, bin ich mehr als bereit für das Leben meines Kindes und das meine zu kämpfen, sollten sie mich finden. Ich gebe nicht einfach auf, falls du das denkst. Außerdem will ich noch eine Sache versuchen, bevor sie mich aufspüren.“ „Und das wäre?“ Ty klang äußerst skeptisch. Für ihn klang es irrsinnig, was Jade da von sich gab. Allgemein hatte er noch nie verstehen können, wie sie so viel für einen Menschen empfinden konnte. Sie waren die Beute, Exile die Jäger. So war es schon immer gewesen und plötzlich stimmte das anscheinend nicht mehr. „Halt mich ruhig für verrückt dafür, aber ich hab bei meinen Recherchen gelesen, dass infizierte Menschen, auch wenn sie sich nicht verwandeln können, ab einem bestimmten Punkt denselben Hunger auf Menschen entwickeln, wie Yajuu oder Exile. Nur können ihre Körper damit nichts anfangen und so sterben sie trotzdem.“, begann sie zu erklären. Noch immer skeptisch und nicht wissend, worauf sie hinauswollte, fragte Ty nun: „Und das bringt uns was?“ „Wurde denn je ausprobiert, was geschieht, wenn ein Infizierter mal das Blut eines Exile zu sich nimmt? Was wenn das irgendwas in Gang bringen könnte, was den Betroffenen von selbst fehlt?“ „Das klingt verrückt.“, war Tys erste Reaktion, doch dann seufzte er, als er Jades erwartungsfrohes Gesicht sah und fügte hinzu: „Klingt so verrückt, dass es vielleicht funktionieren könnte. Die Betonung liegt auf Vielleicht, Jade.“ Aber sie schien offenbar zufrieden mit dieser Antwort. Er verstand ja ihren Ansatzpunkt, zweifelte allerdings daran, ob es wirklich einen Nutzen haben würde. „Ok schön, das willst du also noch versuchen.“, fasste er nun zusammen, „Und was willst du dann von mir? Du bist doch nicht nur hergekommen, um mir das zu sagen, oder?“ Er hatte Jade durchschaut. Sofort kam die leichte Reue in ihren Blick, doch dann sagte sie: „Du hast Recht. Eigentlich bin ich hier, um dich um etwas zu bitten.“ „Das wäre?“ Ty ahnte schon, was jetzt kommen würde und er war nicht gerade erpicht darauf. Sie sagte es trotzdem. „Angenommen… diese ganze Sache funktioniert, aber mir passiert etwas, dann möchte ich, dass du für mich auf Kei Acht gibst. Zumindest eine Weile, bis du dir sicher sein kannst, dass er allein klar kommt. Würdest du das für mich tun? Der alten Zeiten Willen?“ Am liebsten hätte Ty abgelehnt. Bei jedem anderen hätte er das auch, aber bei Jade konnte er einfach nicht. Dafür waren sie einfach schon viel zu lange befreundet, als das er ihr diese letzte Bitte abschlagen konnte. Natürlich wäre ihm immer noch lieber gewesen, dass sie diesen Menschen einfach verlassen würde, aber er wusste ganz genau, dass sie dies nicht tun würde. Und sie wusste, dass Ty nicht viel von Kei hielt und trotzdem bat sie ihn darum, denn er war der einzige, dem sie voll und ganz vertraute. Ty seufzte genervt und doch willigte er letztlich ein. „Schon gut. In Ordnung.“, schnaufte er aufgebracht, „Sollte es so kommen, wie du es sagst, dann hab ich ein Auge auf ihn.“ „Danke Ty, du bist der Beste.“ Da war es wieder. Das Freudestrahlen, dass Ty so gerne von ihr sah. Sie war ein Sonnenschein und er fand, dass ein Mensch diesen Anblick gar nicht verdient hatte und doch hielt er diese Gedanken ihretwillen für sich. Zum Abschied umarmte sie Ty noch einmal, dann kehrte sie zu Kei zurück. Ty blieb schlecht gelaunt zurück. Er hoffte inständig, dass der Mensch einfach sterben würde und Jade somit das Leben ermöglichen würde. Aber den Gefallen würde der Mensch ihm wohl nicht so einfach tun. Als Jade nach Hause kam, war es totenstill. Kei schlief. Dank der Schmerzmittel war ihm wenigstens das noch vergönnt. Tagsüber halfen sie aber kaum noch. Er schien immun gegen sie zu werden oder sie verloren einfach ihre Wirkung. Wenn sie ihn sich so betrachtete, so furchtbar blass und mit blutunterlaufenen Augen, abgemagert und schwach, dann zog es ihr das Herz zusammen. Sie konnte sich noch lebhaft an den ersten Abend erinnern, als er ihr erlaubt hatte, sein Blut zu trinken. Sie hatte unbändige Angst gehabt, dass sie ihn dabei töten könnte, aber sie war hungrig gewesen und hatte nicht ablehnen können. Aufgestachelt von Glücksgefühlen hatte sie ihn damals danach stürmisch geküsst und er hatte alles über sich ergehen lassen, hatte sogar mitgemacht. Doch daran war heute nicht mehr zu denken. Ihre Blutreserven gingen langsam zu neige, aber Keis Blut konnte sie nicht mehr nehmen. Noch die kleinste Menge hätte ihn vermutlich töten können und das wollte sie nicht riskieren. Da sie ihn nicht wecken wollte, gab sie ihm einen sanften Kuss auf die Stirn und ging dann wieder ins Wohnzimmer. Erschreckend stellte sie fest, dass seine Körpertemperatur langsam abnahm. Die letzten Wochen über hatte er meistens Fieber gehabt, aber jetzt schien sein Körper wohl langsam aufzugeben. Der Tod schwebte über ihm und sie konnte es förmlich spüren. Irgendwann war sie selbst auf der Couch eingeschlafen, doch wurde sofort wieder in den Wachzustand gerissen, als sie Kei Husten hörte. Er musste wohl aufgewacht sein und sofort eilte sie zu ihm. Er sah schrecklich aus. Seine blauen Augen hatten ihren Glanz verloren und ein Rinnsal Blut floss aus seinem Mund. Weiteres Blut klebte auf seiner Hand. Er hustete erneut und noch mehr Blut verließ ihn. Jades Herz zog sich krampfhaft zusammen. „Kei…“, flüsterte sie schmerzerfüllt und setzte sich an seine Seite. Er hörte sie zwar, konnte aber gerade nicht antworten. Ihm fehlte die Luft zum Atmen dazu. Er schmeckte den Blutgeschmack in seinem Mund, woraufhin sich sein Magen stechend verkrampfte. Das tat er schon seit Tagen. Kei war am Verhungern, doch sein Körper erlaubte ihm kein Essen mehr. Mit Mühe und Not konnte er noch Flüssigkeiten bei sich behalten, sodass er wenigstens noch die Schmerzmittel nehmen konnte, auch wenn sie allmählich kaum noch wirkten. Wieder hörte er Jade seinen Namen sagen und dieses Mal hatte er genug Kraft, ihr zu antworten. „Schon gut, ist schon vorbei.“, meinte er und versuchte in irgendeiner Weise aufmunternd zu klingen. Er scheiterte dabei. Er spürte wie Jade ihn besorgt beobachtete und gab sich nun alle Mühe etwas weniger miserabel auszusehen. Ein erneuter Stich ging durch seine Magengrube und er krümmte sich reflexartig zusammen. „Was hast du?“, fragte sie besorgt und hielt eine seiner Hände fest. Kei atmete mehrere Mal tief durch und ließ den Schmerz abebben, bevor er antwortete: „Mein Magen rebelliert nur mal wieder. Passt ihm wohl nicht, dass ich nicht mal mehr versuche, was zu essen.“ „Das ist kein Scherz, Kei.“, kam es tadelnd zurück. „Ich weiß doch…“, seufzte er und leckte dabei unbewusst das Blut von seinen Lippen ab. Jade beobachtete ihn ganz genau. Offenbar störte ihn das überhaupt nicht. Und so stärkte es ihren Entschluss nur noch mehr. Sie musste nur noch einen Weg finden, wie sie es ihm erklären sollte. Noch während sie überlegte, krümmte sich Kei erneut. Dieses Mal weniger schlimm und doch war es für sie nicht zu übersehen. Noch während er mit dem Schmerz zu kämpfen hatte, schritt sie zur Tat. Sie ließ einen Finger zur Kralle werden und ritzte sich damit über den anderen Arm. Sie hatte eine Arterie erwischt und nun floss das Blut geradezu in Strömen über ihren Arm. Mit Absicht unterdrückte sie ihre Regenerationskraft, damit es nicht sofort wieder verheilte und sah, wie Kei sie entsetzt anstarrte. „Jade, was zum Teufel machst du da?“, fragte er sie geschockt. „Kei, ich weiß es klingt komisch, aber ich will dass du etwas von meinem Blut trinkst. Ich glaube, dass es dir vielleicht helfen könnte.“ Sie versuchte es sachlich zu erklären, wusste aber, dass sie dabei scheiterte. „Glaubst oder hoffst du das?“, fragte er scharf nach. Jade fühlte sich ertappt. „Ich wünsche es mir.“ Dann blickte sie ihn mit Tränen in den Augen an und meinte: „Kei, ich will dich einfach nicht verlieren und wenn ich dich so sehe, dann sehe ich, dass dir kaum noch ein paar Tage bleiben in deinem Zustand. Du stirbst vor meinen Augen und ich kann das einfach nicht ertragen.“ Für einen Moment blickte Kei sie an und dann zu seiner Bettdecke, auf der mittlerweile einige Blutflecken gelandet waren. Er kniff die Augen ein Stück zusammen und seufzte dann. Mit einer Hand umgriff er das Handgelenk ihres verletzten Armes. „Bitte versprich dir nicht zu viel davon.“, seufzte er leise und leckte dann vorsichtig über das Blut, das noch immer in nicht zu verachtenden Strömen aus der tiefen Wunde floss. Er konnte nicht einmal leugnen, dass ihm der Geschmack gefiel. Schon seit Wochen schmeckte Blut für ihn nicht einfach mehr nur nach Eisen. Wann immer er nach einem Hustenanfall sein eigenes Blut schmeckte, fiel ihm das auf. Jades Blut schmeckte allerdings anders als das seinige. Und doch zweifelte er daran, dass das wirklich etwas nutzen würde. Aber er wollte ihr diesen Wunsch nicht ausschlagen und ließ sich auf ihre merkwürdige Bitte ein. Kapitel 15: Interlude: Das schwarze Loch ---------------------------------------- Da saß er nun also. Es regnete in Strömen und der Boden war furchtbar schlammig und kalt. Kei war bereits völlig durchnässt und doch spielte all das überhaupt keine Rolle mehr. Denn die Szene, die sich vor ihm abspielte, brannte sich so tief in sein Gedächtnis, dass es nie mehr gelöscht werden konnte. Während man ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt hatte und ihn zwang tatenlos zuzusehen, während er auf dem matschigen Boden am Rande der Stadt kniete, kämpfte Jade vor seinen Augen um ihr aller Leben. Ihres, dass ihres Kindes und das von Kei. Was geschehen war? Das war schnell zusammengefasst. Es waren einige Tage vergangen, seit Kei Jades Blut getrunken hatte. Sein Zustand hatte sich seitdem zwar nicht weiter verschlechtert, allerdings auch nicht gebessert. Er vegetierte den Großteil des Tages recht apathisch vor sich hin, unterbrochen von einigen lichteren Momenten, in dem es ihm relativ gut ging. Jade war so oft es ging bei ihm und versuchte ihr bestes, ihm den Alltag angenehm zu gestalten. Doch eines Tages klingelte und klopfte es plötzlich stürmisch an Tür. Es war recht spät am Abend und Kei war verwirrt. Doch ein Blick auf Jade und er hatte gesehen, dass sie offenbar ganz genau wusste, wer da vor der Tür stand. Hunter. Kei hatte nicht gewusst, dass sie Jade auf die Schliche gekommen waren. Wieso denn nur hatte sie nichts gesagt? Wieso war sie nicht rechtzeitig aus der Stadt geflohen? Doch er konnte sich die Antwort schon denken. Sie hatte es natürlich nur seinetwegen getan und sofort wünschte er, dass sie es nicht gemacht hätte. Aber nun war es zu spät. Die Hunter traten die Tür ein und nahmen Jade und ihn mit. Kei hatte nicht die Kraft sich dagegen zu wehren, er konnte ja kaum drei Meter laufen ohne außer Atem zu kommen, worauf die Hunter jedoch keine Rücksicht nahmen. Sie brachte Kei und Jade an den Rand der Stadt und schnell wurde klar, hier würden sie exekutiert werden. Jade wehrte sich nicht, aus Angst, dass die Hunter sonst Kei etwas antun würden. Ihm war es egal. Er war doch ohnehin dem Tode geweiht und er wollte sie anschreien, dass sie doch gefälligst fliehen sollte. Sie tat es nicht. Zu seiner Überraschung jedoch gab Jade letztlich nicht kampflos auf. Kaum hatten sie den Rand der Stadt erreicht, die Waffen der Hunter waren bereits gezückt, da schlug sie doch zurück. Offenbar belustigt, gingen die Hunter darauf ein und Kei wurde zu Boden gedrückt. Er musste alles mitansehen. Schnell wurde ihm klar, dass Jade keine Kämpferin war. Obwohl sie wirklich ihr Bestes gab, waren die vier Hunter, die sich ihr entgegen stellten, ihr überlegen. Es war logisch. Jade hatte seit Jahren nicht mehr gekämpft und ein ruhiges Leben als Mensch geführt. Und für die Jagd auf nichtsahnende Menschen brauchte man als Exile nun wirklich keine Kampferfahrung. Dafür reichte der Instinkt. Aber das hier war was anderes. Nach und nach setzten die Waffen der Hunter ihr zu. In Strömen floss ihr Blut zu Boden und Kei konnte den Blick einfach nicht abwenden. Er wollte schreien, aber keine Worte wollten ihn verlassen. Stattdessen brannte sich nur ein tiefer Hass auf die Hunter in sein Herz. Einen Hass, den er jahrelang nicht überwinden würde können. Es kam so, wie es kommen musste. Jade verlor. Eine tödliche Wunde, die ihr den halben Torso aufriss, beendete den Kampf. Sie sank entkräftet zu Boden und spuckte Unmengen an Blut. Jetzt schrie Kei doch. Er schrie ihren Namen und wurde dabei nur noch weiter in den Schlamm gedrückt. Er war als ihr Komplize angeklagt. Die Hunter sahen es nicht gern, wenn man einem Exile Unterschlupf gewährte, ohne ihn zu melden. Und in diesem Fall war er ja sogar mit ihr verlobt und hatte zusätzlich auch noch Blut für sie geschmuggelt. Ein schweres Verbrechen. Auch ihn erwartete der Tod. Endlich ließen sie ihn aufstehen. Mit all seiner verbliebenen Kraft rappelte er sich hoch und versuchte zu Jade zu kommen. Bevor er sie jedoch erreichte, durchfuhr in ein stechender Schmerz im Bauch. Als er an sich herunter sah, erkannte er die Schusswunden, die man rücklings auf ihn abgefeuert hatte. Er hatte die Schüsse nicht einmal gehört. Und doch war es ihm egal. Er spürte den Schmerz nicht einmal mehr. Dafür hatte er die letzten Wochen über schon genug Schmerzen erlitten. Er war wohl abgestumpft. Mit letzter Kraft kam er bei Jade an, die kaum noch bei Bewusstsein war. Man musste kein Arzt sein, um zu sehen, dass sie nur noch wenige Sekunden zu leben hatte. Kei nahm eine ihrer Hände und hielt sie vor sein Gesicht. Tränen, die er selbst nicht bemerkte und vom Regen überdeckt wurden, liefen sein Gesicht herab, als er ihren Namen flüsterte. Seine Stimme zitterte dabei. „Jade… Jade? Kannst du mich hören? Ich bin´s…“ Er fürchtete schon, dass sie gar nicht mehr antworten würde, aber sie schaffte es doch ihren Blick auf ihn zu richten. Ein erschöpftes, blutverschmiertes Lächeln trat auf ihr Gesicht. Auch sie weinte. „Kei… Ich hab es wohl verbockt.“, flüsterte sie schwach zurück, „Das war´s dann wohl.“ „Nein… Du hast gar nichts verbockt.“, gab er ohne zu zögern zurück und musste dabei Blut husten. Sie sah den großen Blutfleck, der sich auf seinem Shirt immer mehr ausbreitete und blickte ihn dann voller Kummer an. „Ich wäre wirklich gerne Mutter geworden und hätte eine Familie mit dir gehabt. Dank dir hab ich erfahren, dass auch ein Exile wirklich glücklich sein kann. Das werde ich dir nie vergessen.“ Sie schluchzte kurz und meinte dann weiter: „Ich wollte so sehr, dass wenigstens du überlebst…“ Weiter kam sie nicht mehr. Mitten im Satz setzte ihr Herz endgültig aus. Einen Moment blickte sie Kei noch direkt in die Augen, dann verließ sie der Glanz und ihre Lider schlossen sich zur Hälfte. In Kei brach seine Seele entzwei. Er hatte immer auf der Sonnenseite des Lebens leben dürfen. Nun war da aber nur noch Finsternis. Er hustete erneut und dann verließ auch ihn die Kraft. Er knallte neben ihr in den Schlamm, noch immer ihre Hand haltend. Sein letzter Gedanke, bevor die Dunkelheit sich seiner bemächtigte war zweigeteilt. Einerseits war da der Schmerz über seinen Verlust. Der Gedanke, dass Jade wegen ihm gestorben war, ließ ihn zerbrechen und andererseits war in seinem Inneren dieser gleisende Zorn. Der Hass, den er auf ihre Mörder hegte, die die Szene schweigend beobachteten. Jade hatte den Tod nicht verdient gehabt. Sie war kein wildgewordener Exile gewesen, der wahllos Menschen getötet hatte. Die Existenz der Hunter war ja nicht unnötig, aber sie machten einfach keinen Unterschied zwischen Gut und Böse. In ihren Augen waren alle Yajuu und Exile böse. Aber Kei wusste, dass stimmte ganz und gar nicht. Die Finsternis verschlang sein Bewusstsein und dann spürte auch er gar nichts mehr. Die Stunden verstrichen. Aus Abend wurde tiefste Nacht und die Temperatur sank stetig weiter. Da Ende November war, ging der Regen irgendwann in leichten Schnee über und da wurde Kei wieder wach. Er hätte damit als allerletzter gerechnet. Verwirrt schlug er die Augen auf und blickte sich um. Die Hunter waren längst verschwunden. Sie hatten ihre Opfer einfach zurückgelassen, aber Kei wusste aus Erfahrung, dass wohl morgen im Laufe des Tages ein Aufräumtrupp hier vorbeischauen würde. Sein Blick schweifte weiter zu Jade. Für einen Moment flackerte diese kleine Hoffnung in ihm auf, dass auch sie auf magische Weise überlebt hatte, aber ein Blick genügte, um diese zu zerschlagen. Jade lag steif und kalt vor ihm im Schlamm. Und trotzdem wirkte ihr Gesicht noch immer so friedlich, als würde sie schlafen. Wieder übermannte ihn die Trauer, dann kam die Wut und schließlich nur noch Leere. Sein Lebensmut hatte ihn verlassen und er fragte sich, wieso er überhaupt wieder aufgewacht war. Schließlich bemerkte er, dass sich die Schusswunden merkwürdigerweise geschlossen hatten. Sie waren nicht ganz verschwunden, sahen aber aus, als lägen sie schon Wochen zurück. Kei fand das befremdlich. Er fühlte sich definitiv nicht anders als vorher. Ihm ging es nur wieder besser. All die Probleme der letzten Wochen, die Erkältung, die Schmerzen, all das war fast verschwunden und kaum noch der Rede wert. Doch letztlich war ihm das völlig egal. Er wollte gar nicht mehr Leben, denn das was sein Leben lebenswert gemacht hatte, lag vor ihm auf dem Boden. Als er nach einiger Zeit, in der die Kälte bereits tief in seine Knochen gekrochen war, das Auftauchen von einigen Yajuu bemerkte, war er regelrecht erleichtert. Offenbar vom Blutgeruch angezogen, näherten sie sich Jade und ihm und beäugten ihn aufmerksam und neugierig. Der Hunger in ihren Augen war allgegenwärtig und so war Kei froh, dass er doch nicht weiterleben musste. Die Yajuu kamen langsam näher. Etwas skeptisch waren sie schon, dass er so gar keine Anstalten machte, zu fliehen, aber sie nahmen es wohl als leichte Beute hin. Doch auf einmal hielten sie inne und schreckten auf. Die beiden Yajuu blickten für einen Moment in eine Richtung hinter Kei und dann machten sie sich blitzschnell aus dem Staub. Kei konnte es nicht fassen. Wieso zum Teufel starb er heute einfach nicht? Da riss es ihn vom Boden hoch. Eine Klinge hatte sich um seinen Hals geschlungen und zerrte ihn in jene Richtung davon, vor der die Yajuu eben noch geflohen waren. Kei rang nach Luft. Seine Füße berührten den Boden nicht und nur mit einiger Anstrengung gelang es ihm, so weit nach unten zu schauen, dass er den Verursacher erkannte. Vor ihm stand ein verdammt grimmig dreinblickender Exile, durchtrainiert und tätowiert, mit kurz geschorenen Haaren und stahlgrauen Augen. Kei hatte diesen Typen noch nie zuvor gesehen, aber sein Gegenüber schien ihn zu kennen. Als dieser seine Stimme erhob, bebte der Zorn darin unüberhörbar. „Ich kann nicht fassen, dass du Ratte das Gemetzel hier überlebt hast. Und das erste war du mit deinem Leben anfängst, ist es vor ein paar Yajuu wegzuschmeißen?!“, herrschte er Kei an. Dieser war nun vollends verwirrt. Da er aber immer noch um Luft rang, konnte er nicht einmal antworten, was offenbar auch nicht gewollt war. „Nun hör mir mal gut zu.“, kam es stattdessen von dem Typen vor ihm, „Wenn es nach mir ginge, würde ich dich jederzeit selbst aufschlitzen oder noch viel Schlimmeres mit dir anstellen, aber da ich Jade versprochen habe, auf dich Acht zu geben, sollte ihr was zustoßen, kann ich das leider nicht. Also tu mir gefälligst den Gefallen und behandle das Leben das sie dir geschenkt hat, nicht wie Dreck oder ich schwöre dir, Versprechen hin oder her, ich mach dir dieses Leben zur Hölle auf Erden!“ Immerhin konnte sich Kei nun einiges Zusammenreimen. Er musste ein Freund von Jade gewesen sein. Sie hatte offenbar schon länger gewusst, dass sie wohl sterben würde. Nun knallte Kei zu Boden. Ty hatte die Klinge um seinen Hals gelöst und als erstes musste Kei mehrere Male husten, bis er wieder genügend Luft bekam, um zu antworten. „Du bist also ein Freund von Jade.“, war das erste, was er emotionslos von sich gab, „Offenbar kannst du mich nicht ausstehen, aber lass dir versichern, dass ich am liebsten auch nicht mehr aufgewacht wäre. Dann hätte ich dir diese Arbeit gerne erspart.“ Ty schnaubte nun wütend und genervt. „Ganz Recht, Mensch. Seit Jahren muss ich mir die Geschichten über dich anhören. Ich habe nie verstanden, wie Jade sich für ein Leben mit dir entscheiden konnte. Du warst ihr Todesurteil und deswegen würde ich nichts lieber tun, als dir eigenhändig den Hals umzudrehen. Da ich das aber nun einmal nicht kann, rate ich dir nur, ihr Andenken nicht mit Füßen zu treten.“ Kei musste kurz gequält auflachen. Es war so surreal, dass er es nicht fassen konnte. „Das ist wohl fair.“, meinte er nüchtern zurück. Zwar wollte Kei nicht wirklich weiterleben. Nicht ohne sie und doch verstand er, dass es wohl ihr Blut gewesen war, dass ihm das Leben gerettet hatte. Ty hatte Recht. Er konnte dieses Geschenk nicht einfach wegwerfen. So sehr ihn die Trauer auch quälte, er musste wohl weitermachen. Also tat er das, was er immer machte, wenn er mit seinen Emotionen nicht mehr zurecht kam und wurde rational. Mühsam rappelte er sich hoch und blickte dem Exile fest in die Augen. „Ich bin Kei, aber das wusstest du ja schon.“, meinte er emotionslos. „Ty.“, kam es kurz und knapp zurück. Der Exile blickte ihn noch immer grimmig an, aber Kei ließ sich davon nicht abschrecken. Immerhin war klar, dass Ty nicht wirklich vorhatte, ihn zu töten. Das hätte er längst tun können. „Vielleicht kannst du mir ja dann eine Sache erklären.“, Kei strich dabei über die fast verheilten Schusswunden von vorhin, „Wie ist das hier überhaupt möglich?“ Ty zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Hab das auch noch nie zuvor gesehen. Fakt ist, du riechst eindeutig nach Mensch mit einem kleinen Hauch Exile. Was auch immer Jades Blutaktion mit dir gemacht hat, ist dafür verantwortlich.“ Kei wurde klar, was das für ihn bedeutete. Er war noch immer zum Großteil ein ganz normaler Mensch, aber dieser kleine Anteil Exile hatte nicht nur die Schusswunden heilen lassen, sondern hatte auch die ganzen Symptome abebben lassen. Ihm wurde bewusst, dass er wohl nicht mehr daran sterben würde und doch konnte er sich nicht darüber freuen. Schließlich seufzte Ty genervt und meinte: „Genug geplaudert. Ich sag dir, wie das jetzt laufen wird. Morgen früh kommt der Aufräumtrupp der Hunter und wird euch abholen. Wenn du nicht mehr da bist, wirst du jedoch gesucht werden. Sicher nicht mit hoher Priorität, aber das bedeutet trotzdem, dass dein altes Leben hiermit vorbei ist. Da gibt es auch kein Zurück, hast du verstanden?“ Kei nickte nur. Ihm war das auch klar. „Ich hab einen Ort an dem du unterkommen kannst. Als Gegenleistung wirst du für mich arbeiten.“, erklärte Ty nun weiter, „Ich hab gehört, du bist Arzt. Das trifft sich ganz gut.“ „Ich soll als Arzt arbeiten?“, fragte Kei perplex nach. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. „Genau. Ein Arzt für Exile könnten wir gebrauchen. Nicht alle von uns haben eine gute Regenerationsfähigkeit und wären auf medizinische Hilfe angewiesen. Bisher haben sich da ein paar Leute drum gekümmert, die mal in der Medizin tätig waren, aber keiner von denen war auch Arzt. Die Praxis ist eine umgebaute Werkstatt im Innenhof hinter meiner Bar. Dort kannst du auch wohnen und ich kann ein Auge auf dich haben.“ Eigentlich war Kei nicht sonderlich erpicht darauf, dieses Angebot anzunehmen. Doch in Ermangelung an Alternativen, blieb ihm gar nichts anderes übrig. Und so willigte er schließlich ein und folgte Ty. Bevor sie diesen furchtbaren Ort aber verließen, verharrte Ty noch einen Moment und ging zu Jade hinüber. Kei blieb zurück und schaute voller Trauer zu seiner Verlobten, die nun von dem fremden Exile verdeckt wurde. Ty schien irgendetwas zu Jade zu sagen, was Kei aber nicht verstand und dann kehrte er zu dem Menschen, den er so sehr verachtete, zurück und nahm ihn mit. Ty hatte nicht gelogen, was die Praxis betraf. Man sah deutlich, dass es sich einst um eine recht große Werkstatt gehandelt hatte, aber man hatte das Beste daraus gemacht und alle wichtigen medizinischen Hilfsmittel konnte Kei dort finden. Für eine solide Grundversorgung reichte es allemal. Einen Warteraum oder eine Rezeption gab es nicht, aber man hatte einen Raum als eigentliche Praxis hergerichtet, in der man auch leichtere Operationen durchführen konnte und daneben befand sich ein Raum mit fünfzehn Betten, sodass man auch stationär behandelt konnte. In einem Lagerraum befanden sich noch ein paar Betten mehr, die notfalls auch noch hätten aufgebaut werden können. Vor dem Behandlungsraum war noch ein halbes Zimmer, dass als Flur diente und der Ersatz für einen Warteraum darstellte und hinter dem Praxisraum lag noch zwei private Zimmer plus Bad, die Keis neue Wohnung werden würden. Eingerichtet waren diese Zimmer bereits und da Kei ohnehin nichts mehr besaß, war er da auch nicht böse drum. Als Ty ihm alles gezeigt hatte, ließ er Kei erst einmal eine Weile allein, um sich duschen und ausruhen zu können. Morgen würde Ty dann alles Weitere klären, hatte dieser angekündigt und war dann ohne weitere Worte verschwunden. Es war offensichtlich, dass er nicht viel von Kei hielt, sich aber sich anstrengte, sein Versprechen zu halten und diese Gefühle dabei zu unterdrücken. Kei war das egal. Er hatte nichts gegen Ty, konnte aber durchaus nachvollziehen, wieso dieser ihn nicht sonderlich mochte. Kei hasste sich ja im Grunde aus denselben Gründen selbst, wie hätte er es Ty da übel nehmen können? Trotz allem war das warme Wasser der Dusche doch ganz angenehm. Mittlerweile waren die Schusswunden völlig verschwunden. Nur die Haut schimmerte noch etwas heller, als der Rest. Daran musste sich Kei erst einmal gewöhnen. Als er einige Zeit später erschöpft ins Bett fiel, erwartete ihn eine unruhige Nacht. Von Alpträumen mit den Geschehnissen der Nacht geplagt, immer wieder Jades Tod durchlebend, schlief er einen unruhigen Schlaf, bis er irgendwann gegen Mittag völlig erschöpft erwachte. Letztlich fühlte er sich nun sogar noch müder, als zuvor. Trotzdem rappelte er sich auf und trottete in den Küchenbereich. Der Magen hing ihm in den Kniekehlen du das erste Mal seit Wochen war sich Kei sicher, dass er das Essen auch drin behalten konnte. Seine Stimmung jedoch war auf dem Tiefpunkt. Er vermisste Jade schrecklich. Ihr Tod nagte noch immer an ihm und der tiefen Trauer wich langsam einfach nur eine nicht enden wollende Leere, die fast noch schwerer zu ertragen war. Irgendwann kam Ty vorbei und brachte Kei ein paar saubere Klamotten mit. Außerdem gab er ihm einen Bündel Geld mit den Worten, dass er sich davon den Rest selbst einrichten solle. Zum Schluss gab er Kei noch den Rat, vielleicht etwas an seinem Aussehen zu ändern, damit die Hunter ihn nicht so leicht wiedererkennen würden und dann nahm er Kei mit in die Bar. Für normale Besucher war sie geschlossen und trotzdem war sie gut gefüllt. Kei ahnte, dass alle Gäste hier Exile waren. „Das ist er also?“, fragte jemand skeptisch, als Ty Kei vorgestellt hatte. Die Skepsis war allgegenwärtig. Immerhin war Kei trotz allem ein Mensch und das war für die Exile nicht so leicht zu akzeptieren. Immerhin durften sie Kei ja auch nicht jagen. Das war strengstens von Ty untersagt. Auch darüber machte sich unterschwellig Unmut breit. Kei verübelte es ihnen nicht. Angst hatte er dennoch keine. Sein Herz schlug die ganze Zeit über völlig ruhig, als ginge ihn das alles nichts an. Immerhin das schienen die Exile mit Anerkennung zu betrachten. Ihren Respekt musste er sich letztlich durch Taten verdienen. Das war klar. Und so begann für Kei ein neues Leben, an das er sich schneller gewöhnte, als er gedacht hätte. Er war überrascht, wie viele Patienten er zu betreuen hatte. Schon am ersten Tag wurden mehrere recht akute Fälle eingeliefert. Meistens waren es Exile, die nur knapp Huntern entkommen waren, manchmal waren es aber auch Kämpfe untereinander, die sie hierher brachten. Und immer wieder sah er Fälle wie bei Jade. Exile, die eigentlich friedlich unter den Menschen zu leben versuchten, welche auf brutalste Weise exekutiert wurden. Manchmal konnte er solche Fälle retten, meistens nicht, denn oft wurden sie zu spät gefunden. Das nagte an ihm mehr, als er sich eingestehen wollte, denn mit jedem neuen Fall, spielte sich Jades Tod wieder und wieder vor seinen Augen ab. Die Wochen vergingen. Rasch verschaffte sich Kei Respekt unter den Exile, denn an seinen Fähigkeiten als Arzt zweifelte schnell niemand mehr und auch Kei fand eine gewisse Erfüllung darin. Immerhin hatte er immer gerne als Arzt gearbeitet. Dass er nun Exile statt Menschen behandelte, störte ihn dabei gar nicht. Außerdem folgte er Tys Rat und begann sich die Haare zu färben. Nach mehreren Farben blieb er schließlich bei blaugrün hängen. Er hatte selbst nicht vermutet, dass er ein Typ für sowas gewesen wäre, aber es gefiel ihm. Er begann eine besonders lange Strähne zu flechten und wachsen zu lassen. Den Rest der Haare hielt er jedoch kürzer und kämmte sie immer nach hinten weg, damit sie ihm nicht ins Gesicht fielen. Außerdem begann er aus Spaß farbige Kontaktlinsen zu tragen. Was mit nur einer Farbe begonnen hatte, wandelte sich bald in einen Tick um, dass er jeden Tag die Farbe wechselte. Schon bald wusste keiner mehr so genau, was seine originale Augenfarbe mal gewesen war. Aber obwohl es grundsätzlich irgendwie mit seinem Leben voranging, blieb die Leere bestehen. Jede Nacht quälten ihn dieselben Bilder jener schrecklichen Nacht und jede Nacht wachte er schweißgebadet auf und verfluchte die Hunter für alles. Erst kamen daher die Zigaretten, dann der Alkohol. Was mit nur einer Zigarette am Abend und einem Drink begann, artete schnell aus und Kei verkam regelrecht zum Kettenraucher und abendlichen Alkoholiker. Tagsüber, wenn er arbeitete, war er immer nüchtern, aber abends schoss er sich jeden Tag ab, um in einen traumlosen Schlaf zu fallen. Alles nur, damit er diese Bilder nicht mehr sehen musste. Auch Ty bemerkte dieses selbstzerstörerische Verhalten natürlich, aber konnte nichts daran ändern. Immerhin hielt sich Kei an seinen Teil des Deals und durch die beachtliche Regenration die er nun besaß, schien der Alkohol spurlos an ihm vorbeizuziehen, wenn er morgens aufwachte. Es war faszinierend und erschreckend zugleich, wie sehr sich Keis Charakter veränderte. Einst war er ein lebensfroher Mensch gewesen. Meistens gut gelaunt, hilfsbereit und immer zu Späßen bereit. Doch nun war er meist in sich gekehrt, wurde ein perfekter Schauspieler, wenn es darum ging, die Gefühle zu verstecken und schien das Leben als solches als langweilig zu erachten. Meistens trank Kei für sich allein in seiner Wohnung, aber manchmal kam er auch in die Bar rüber. Monate waren inzwischen ins Land gegangen und auch wenn Ty Kei anfangs regelrecht gehasst hatte, hatte er ihn mittlerweile mögen gelernt. Dies schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen, denn er war der einzige mit dem Kei halbwegs normale Unterhaltungen führte, ohne seine Gefühle völlig zu verbergen. Und so kam es manchmal, wenngleich sehr selten vor, dass Kei durchblicken ließ, wie sehr die vergangenen Ereignisse ihn immer noch quälten. Der Hass auf die Hunter fraß ihn innerlich auf und Ty wusste nicht Recht, wie er damit umgehen sollte. Irgendwann würde Kei explodieren, dass wusste er, aber gleichzeitig wusste er nicht, was man dagegen hätte machen können. Eines Nachts jedoch kam ein Notfall rein. Ein schwer verletzter Exile, der gerade so den Huntern entkommen war, wurde von zwei weiteren Leuten in die Praxis getragen, während Ty zu Kei lief, um diesen zu holen. Ty hatte Keis Wohnung bisher nicht betreten, seit dieser hier eingezogen war. Sie war auch nach wie in tadellosen Zustand, doch was Ty etwas verstörte, war eine spezielle Wand, an der eine große Dartscheibe hing. Diese wiederrum war gespickt mit Fotos von Huntern und Ty nahm stark an, dass dies wohl jene waren, die damals bei der Jagd auf Jade beteiligt gewesen waren. Kei saß einige Meter entfernt auf einer kleinen Couch. In der einen Hand hatte er eine Flasche Hochprozentigen, mit der anderen warf er mit tödlicher Präzession Pfeile auf die Scheibe. Darunter stand zwar der Fernseher, der auch lief, aber Ty war sich sicher, das Kei nicht mal wusste, welche Sendung gerade kam. Außerdem fiel ihm die beachtliche Menge an leeren Alkoholflaschen auf, die auf dem Tisch vor dem Sofa standen. Es war wild durcheinander, eigentlich alles vertreten. Wodka, Rum, Whisky, Schnaps, Tequilla und noch mehr. Wie viele davon wohl auf heute Nacht zurückgingen, konnte Ty nur erahnen. Aber so wie er Kei kannte, der Müll nicht gerade lange rumliegen ließ, waren das höchstens die Bestände der letzten drei Tage. „Wir haben einen Notfall.“, meinte Ty nun, während all diese Eindrücke auf ihn einprasselten. „Geht klar, bin gleich da.“, kam es gelangweilt zurück. Kei lallte nicht einmal, was Ty schon fast gruselig fand. Stattdessen warf Kei nun den Pfeil auf die Scheibe, traf eines der Hunterbilder mitten ins Schwarze und erhob sich dann elegant vom Sofa. Er stellte den Tequilla, den er gerade noch getrunken hatte, auf den Tisch, aber nicht ohne vorher noch einen ordentlich Schluck daraus zu nehmen. Dann kam er kerzengerade auf Ty zu. „Bist du denn nüchtern genug dafür?“, fragte dieser skeptisch nach, obwohl er ja sehen konnte, dass Kei nicht sonderlich betrunken schien. Wenn überhaupt, war dieser leicht angetrunken. „Sicherlich.“, kam es mit einem halbherzigen Lachen zurück und dann ging Kei in die Praxis. Kei klang fast schon deprimiert über diese Tatsache und Ty ahnte, dass Kei deswegen so große Mengen Alkohol trinken konnte, weil sein Körper sich so schnell regenerierte und er begann sich wundern, welche Ausmaße das wohl noch annehmen würde, wenn nichts geschah. Immerhin schien die Menge die Kei zu sich nehmen konnte, bevor er einen Effekt spürte, fast täglich zuzunehmen. Ty folgte Kei argwöhnisch in die Praxis, während er sich weiter darüber wunderte. Der verletzte Exile keuchte vor Schmerzen. Mehrere tiefe Wunden zogen sich Torso und Rücken entlang. Das Shirt hatte man ihm bereits ausgezogen und so konnte Kei auf den ersten Blick schon sehen, dass es nicht gut um ihn stand. Trotzdem schätzte er, dass der Exile es wohl überleben würde. Ein Mensch wäre bei diesen Wunden längst gestorben. „Was ist passiert?“, fragte Kei geradezu beifällig, während er sich an die Arbeit machte, um den Patienten wieder zusammen zu flicken. „Die Hunter haben ihn gefunden.“, erklärte einer der Helfer, während der Exile selbst die Zähne zusammenbiss, um nicht laut loszuschreien, während Kei die Wunden säuberte. „Dabei hat er doch nur gejagt, wenn er wirklich musste.“, beschwerte sich der andere Helfer und Kei kniff dabei unmerklich die Augen zusammen. Das alte Leid. Ein unauffälliger Exile, der nur des Überlebens Willen Menschen jagte und trotzdem auf der Abschussliste gelandet war. Wann immer er solche Geschichten hörte, kochte der Zorn aufs Neue in ihm hoch und verdrängte die Leere, die er sonst meist fühlte, für einen Moment. „Die scheinen gerade nicht ausgelastet zu sein, wenn die Zeit haben, jeden noch zu ungefährlichen Exile zu jagen.“, meinte der erste Helfer nun wieder, woraufhin der Zweite zustimmend nickte. „Wäre echt mal wieder an der Zeit, dass mal ein hohes Tier hier auftaucht, dass die elenden Hunter auf Trab hält. So kann es doch nicht weitergehen. Ist doch so nur eine Frage der Zeit, bis wir alle tot sind. Dann musst du deine Praxis wohl dicht machen, was Kei?“ Kei blickte kurz auf und rang sich ein halbherziges Lächeln ab. „Ich würde sie jederzeit dicht machen, wenn ich nicht so viele Patienten hätte. Solange sich da aber nichts tut, hab ich noch offen.“ Zwanzig Minuten später war er fertig. Er hatte die Wunden zusammengeflickt und dem Exile Schmerzmittel gegeben, die erfahrungsgemäß nicht sehr lange wirkten, aber für diese Nacht wäre der Exile über den Berg. Die Helfer und Kei brachten ihn in eines der freien Betten, wo bereits zwei weitere Exile lagen und dann kümmerten sich die Helfer um den Rest, während Kei sich eine Zigarette anzündete und nach vorn zu Ty trottete. „Wird er es schaffen?“, fragte dieser leise nach. „Ich denke schon. Wird wohl ne Weile dauern, aber der wird wieder.“, gab Kei nickend zurück. „Wir können froh sein, dass wir dich haben.“, meinte Ty nun und das überraschte Kei. Ty war eigentlich nicht der Typ dafür, solch ein Lob auszusprechen. Verwundert blickte er zu ihm herüber und dieser zuckte nur mit den Schultern. „Nun, ich meine, eigentlich war das nur Mittel zum Zweck am Anfang, aber hätte nicht gedacht, dass die Exile so auf dich zählen würden. Wäre eine Schande, wenn verschwinden würdest.“ Jetzt wurde Kei klar, worauf Ty hinaus wollte und er lachte lieblos auf. „Mach dir keine Sorgen. So schnell trete ich schon nicht ab. Daran können auch die Zigaretten und der Alkohol nichts ändern.“ Ty brummte nur zur Antwort. Offenbar war er mit dieser Reaktion nicht wirklich zufrieden, beließ es aber dabei. Er verabschiedete sich noch kurz und kehrte dann in seine Bar zurück, während Kei noch einen kurzen Blick auf die Patienten warf, um die sich die beiden Helfer kümmerten und verschwand dann ebenfalls wieder in seiner Wohnung. Ein Stechen ging durch seine Magengrube, als er eintrat und er zuckte kurz zusammen. Seit einigen Wochen hatte er dieses Problem wieder. Es fühlte sich fast so an wie damals, als er am Verhungern gewesen war und sein Magen deswegen rebelliert hatte. Aber auch wenn es sich so anfühlte, die Übelkeit und auch sonst keines der anderen Symptome war zurückgekehrt. Er vertrug Essen ganz ohne Probleme und begann sich fragen, ob es vielleicht doch Folgen von seinem exzessiven Alkoholkonsum waren. Während das krampfhafte Stechen langsam abebbte, trottete er leicht zusammengekrümmt zurück zu der Couch. Ein letztes Mal meldete sich sein Magen, dann beließ er es für dieses Nacht sein. Kapitel 16: Interlude: Nokogiri ------------------------------- „Alles in Ordnung bei dir? Du hast ganz schöne Augenringe, wenn ich das mal sagen darf.“, riss Ty ihn aus den Gedanken. Es war schon spät am Abend, aber Kei weigerte sich schlafen zu gehen. Etwas, was er immer öfter machte, seit der Alkohol die Träume auch nicht mehr fern halten konnte. Und mit jeder Nacht wurden sie bizarrer. Es begann immer real. Dann kniete Kei wieder im Schlamm und musste mit ansehen, wie Jade vor seinen Augen starb, aber dann begann sich die Szene immer zu verzerren und am Ende eines jeden Traumes sah Kei überall nur noch Blut. Es trieb ihn allmählich in den Wahnsinn und sein einziges Hilfsmittel dagegen, war einfach so wenig wie möglich zu schlafen. So schlug er sich Nacht um Nacht um die Ohren und natürlich forderte das seinen Tribut. Seine Augenringe waren mittlerweile so dunkel, dass man meinen konnte, es handle sich um Make up. Das sein Magen ihm ebenfalls zunehmend Probleme bereitet, half dabei ganz und gar nicht weiter. Und trotzdem log er und versteckte seine Probleme so gut er konnte. „Ja, alles Bestens, nur viel zu tun, weißt du ja.“, gab Kei recht kurz angebunden zurück. Es war nicht mal völlig gelogen. Immerhin stieg die Anzahl seiner Patienten immer weiter an. Mittlerweile waren fast alle Betten seiner stationären Abteilung belegt. Es fehlte wirklich jemand, der die Hunter mal auf Trab hielt. „Mag ja sein, aber das erklärt nicht, wieso du nicht mehr schläfst.“, meinte Ty trocken zurück. Dieses Mal ließ er sich nicht so leicht von Kei abspeisen. Dieser blickte kurz grimmig drein, doch dann wich seiner Mimik wieder dem gelangweilten Gesichtsausdruck, den er meistens zeigte. „Ich weiß nicht, was du meinst.“, bluffte er eiskalt. Ty schnaubte genervt aus. „Du weißt ganz genau, was ich meine. Herr Gott nochmal, man sieht es dir aus Meilen Entfernung an.“ Kei schwieg. Er wusste nicht recht, was er dazu sagen sollte. „Was genau träumst du, dass es so schlimm ist, dass du es nicht sehen kannst?“ Kei fühlte sich ertappt und blickte nun mit verzweifelter Mine zu Ty hoch. „Frag mich das nicht.“, gab er knapp zurück und hoffte inständig, dass Ty Ruhe geben würde, doch dieser dachte nicht daran. Nicht dieses Mal. „Ist es Jades Tod?“, fragte er nun frei heraus und sofort flackerten eben jene Bilder vor Keis innerem Auge auf, gefolgt von einem so heftigen Stich in die Magengrube, dass er verkrampfte. Gequält atmete er ein und klammerte sich dabei so sehr an sein Glas, dass es zersprang. Sofort floss Blut auf den Tresen. Als Kei all das Blut bemerkte, wie es sich langsam ausbreitete, zog sich sein Magen nur noch mehr zusammen. Ty war alarmiert und auch einige Exile die in der Nähe saßen, drehten sich verwirrt um. „Hey man, alles in Ordnung? Ich wollte nicht…“, begann Ty etwas überfordert zu reden und zückte sofort ein Tuch, um all das Blut und das Glas wegzubekommen. Er konnte hören, wie Keis Puls in die Höhe schoss, dann Ty das Tuch fast schon panisch aus der Hand riss und das Blut selbst davon wischte. Umso erstaunter war Ty, dass die Wunden nach nur den paar Sekunden bereits verschwunden waren. „Schon gut.“, keuchte Kei noch immer angestrengt, „Gib mir einfach ein Neues und ich bin zufrieden.“ Obwohl Ty nicht fand, dass es eine gute Idee war, ihm einfach einen neuen Drink zu geben, fühlte er sich irgendwie schuldig für all das. Kei verschwand zur Toilette um sich das Blut abzuwaschen und Ty war gerade dabei ein neues Glas zu holen, als die Tür klingelte und eine Gruppen Menschen eintrat. Guter Stimmung gingen zu einem der Tische und setzten sich, während sich einer der Gäste von der Gruppe löste und zum Tresen kam, um eine Bestellung aufzugeben. „Guten Abend!“, begrüßte der Mensch ihn gut gelaunt und schon leicht angetrunken, „Fünf große Bier bitte.“ „Kommt sofort.“, gab Ty zurück und stellte Keis Drink schon mal wieder auf seinen Platz und machte sich dann daran, die Bestellung zu erfüllen. Der Typ hatte bereits die ersten drei Bier zu seinen Freunden getragen, als er wiederkam, um die restlichen beiden zu holen, da kaum auch Kei zurück und erstarrte augenblicklich, als er den Menschen sah. Dieser hatte Kei noch nicht bemerkt, aber Ty beobachtete Keis Reaktion ganz genau. Er wurde kreidebleich und schien für einen Moment regelrecht Angst zu haben. Da drehte sich auch der Gast um und blickte Kei genau in die Augen. Im ersten Moment schaute er noch neutral, schien ihn nicht zu erkennen, aber dann änderte sich auch sein Gesichtsausdruck schlagartig und hätte beinahe die Biergläser fallen lassen. „Kei?!“, rief der Typ mit einer Mischung aus Überraschung, Freude und Entsetzen aus. Einen Moment antwortete Kei nicht, doch dann kam ein entrüstetes: „Jack…“, zurück und Ty wurde klar, dass die beiden sich von früher kannten. Waren wahrscheinlich sogar befreundet gewesen. „Mein Gott, du lebst ja noch. Und ich dachte, du wärst längst tot. Wo warst du die letzten Monate nur?“ Kei war das ganze sichtlich unangenehm. „Naja…“, begann er zögerlich, „Hat sich einiges in meinem Leben geändert…“ Mehr schien er dazu nicht sagen zu wollen. Jack hatte unterdessen die Biergläser wieder auf dem Tresen abgestellt und kam Kei ein Stück näher. „Hab dich fast nicht wiedererkannt. Du siehst so… anders aus.“ Da lachte Kei kurz auf, äußerte sich aber nicht weiter dazu. Stattdessen meinte Jack nun weiter: „Aber sag mal… Wie geht es dir? Ich hätte nicht gedacht, dass du noch so lange lebst und offenbar scheint es dir ja nicht so schlecht zu gehen, wie ich vermutet hatte.“ Da Kei ihm ja schlecht die Wahrheit sagen konnte, versuchte er der Frage irgendwie auszuweichen. Sein Glück war tatsächlich, dass er durch den Schlafmangel wenigstens nicht hundert Prozent gesund aussah, denn das hätte wirklich Fragen aufgeworfen. „Scheine wohl Glück zu haben.“, sagte er also stattdessen, „Zieht sich bei mir wohl länger hin, was?“ Jack nickte nur perplex und schien die Tatsache wohl hinzunehmen. Da er angetrunken war, hinterfragte er das zum Glück nicht weiter. Er seufzte einmal laut auf und legte Kei dann eine Hand auf die Schulter. „Hab dich echt vermisst. Seit wir das letzte Mal telefoniert haben, ist ja schon bald ein Jahr vergangen.“ Es stimmte. Kurz nach seiner Krankschreibung hatten Kei und Jack noch manchmal telefoniert, jedoch nur so lange, bis Keis Gesundheitszustand zu schlecht dafür geworden war. Das lag jetzt tatsächlich schon bald ein Jahr zurück. Wie doch die Zeit raste, wunderte sich Kei und da wurde ihm bewusst, dass dies bedeutete, dass auch Jade schon ein halbes Jahr nicht mehr lebte. Ein kleiner Stich fuhr ihm durch das Herz, aber er zeigte es nicht. Stattdessen antwortete er: „Ja, hab dich auch vermisst, mein Freund.“ Und das meinte er auch so. Immerhin war Jack sein bester Freund seit Kindertagen gewesen. Es gab nicht viele Personen, die er vermisste, aber Jack gehörte definitiv dazu. Er gehörte quasi zur Familie, die Kei seit jener Zeit auch nicht mehr gesehen oder gesprochen hatte. Er hatte es einfach nicht übers Herz gebracht, ihnen zu beichten, dass er an Yrida erkrankt war und hatte es daher vorgezogen den Kontakt abzubrechen. Das änderte nichts an der Tatsache, dass er seine Familie schrecklich vermisste und doch wusste, dass er sie nicht einfach besuchen konnte. Sonst würde er auch sie ins Fadenkreuz der Hunter geraten lassen und das wollte Kei nicht riskieren. Nun hörte er Jack fröhlich auflachen. „Freut mich auf jeden Fall, dich mal wiederzusehen. Und? Hast du eigentlich schon eine neue Freundin gefunden? Vielleicht dieses Mal eine, die kein Exile ist?“ Jack hatte gar nicht gemerkt, was er da gerade unbedachter Weise von sich gegeben hatte und vor allem vor wem er es gesagt hatte. Kei jedoch, der trotz einiger Drinks noch immer völlig nüchtern war, realisierte sofort, was sein bester Freund da soeben gesagt hatte. Nicht nur wusste Jack, dass Jade nicht mehr lebte, er wusste auch, dass sie ein Exile gewesen war. Kei erstarrte für einen Moment. Jack mochte wie ein Bruder für ihn sein, aber Jade war sein Leben gewesen. „Woher wusstest du das?“, presste er mit unterdrücktem Zorn hervor und Jack blickte ihn verwirrt an. „Wusste ich was?“, fragte er. „Jade. Woher weißt du, dass sie nicht mehr lebt? Woher weißt du, was sie war?“, In Kei brodelte es immer heftiger, was auch Ty nicht entging, der die Sache angespannt verfolgte. Jetzt realisierte auch Jack endlich, was er eben preisgegeben hatte und die Reue kam sofort. „Oh shit… Kei, ich… Ich meine… Du musste das verstehen. Ich musste es melden! Kaum warst du weg, sind keine Blutkonserven mehr verschwunden. Ich hatte schon vorher den Verdacht, aber da musste ich nur noch eins und eins zusammenzählen…“ Jack blickte drein, wie ein verletzter Hund. Angst trat auf sein Gesicht. Kei stand jedoch noch immer wie angewurzelt da und rührte sich nicht, während Jack einige Schritte nach hinten wegging. „Du hast sie gemeldet.“, Es war keine Frage, sondern eine bittere Feststellung, „Wegen dir ist Jade gestorben.“ „Kei… Ich weiß, dass sie deine Verlobte war, aber sie war eine Exile, verdammt! Das hätte nie im Leben gut gehen können. Ich meine, ich wette du bist nur wegen ihr überhaupt erst krank geworden! Kümmert dich das denn gar nicht? Und überhaupt, du kannst von Glück reden, dass die Hunter dich für diesen Verrat nicht auch exekutiert haben.“, versuchte sich Jack zu verteidigen. Er schien nicht zu wissen, dass die Hunter genau das auch zu tun versucht hatten. Aber Kei zuckte nur mit den Schultern. „Selbst wenn es so wäre, es ist mir egal.“, war seine schlichte Antwort, „Ich würde es jederzeit wieder für sie tun.“ Ein Glas zersprang. Kei sah nicht hin, aber einer der Gäste musste wohl sein Glas fallen gelassen haben. Jack lenkte es jedoch kurz ab. „Ich bring dich um.“, flüsterte Kei finster vor sich hin. Er konnte nicht mehr rational denken. Das ging einfach nicht und er sah für den Moment nur noch rot. Als Jack sich irritiert zu ihm umdrehte, sah er Kei bereits auf ihn losgehen. Er riss Jack mit solch einer Wucht zu Boden, dass die Gläser in den Regalen klirrten. Jack keuchte auf und versuchte sich irgendwie zu wehren, aber er kam einfach nicht gegen Kei an. Da wurde Kei nach hinten weggezerrt. Er sträubte sich mit aller Macht dagegen, aber er musste sich fügen und als Jack aufblickte, erkannte er den Barkeeper, der Kei fest umklammert hielt und diesen grimmig anstarrte. „Lass mich los!“, schimpfte Kei lautstark. So außer sich vor Zorn hatte ihn Jack noch nie erlebt und er fragte sich, was mit seinem besten Freund geschehen war. Vom ausgeglichenen, lebensfrohen Menschen von früher war nichts mehr geblieben. Jack fragte sich, ob es tatsächlich seine Schuld war, dass Kei nun in so einem Zustand war und doch war er noch immer der Meinung, dass Richtige getan zu haben. Er hatte seinen besten Freund doch nur vor einer Gefahr schützen wollen, vor der er selbst die Augen verschlossen hatte. „Du solltest wohl besser gehen.“, richtete der Barkeeper nun das Wort an Jack, welcher sich mit Hilfe seiner Begleiter wieder vom Boden hochrappelte. Er nickte wie ein verschrecktes Reh und wenig später war die Gruppe aus der Bar verschwunden. Doch Kei randalierte noch immer und wollte ihnen hinterher. Ty und ein weiterer Exile zerrten ihn nach draußen in den Innenhof der Bar, was erstaunlich schwierig war. „Krieg dich wieder ein!“, schrie Ty Kei an und ließ Kei dann los, welcher sich wutentbrannt zu ihm umdrehte. „Er hat Jade auf dem Gewissen!“, schrie Kei zurück, „Und ich werde das ganz sicher nicht tolerieren! Also lass mich gefälligst durch!“ „Das werde ich nicht tun.“, konterte Ty standhaft, „Rund um meine Bar ist es absolut verboten Menschen zu verletzen. Das gilt auch für dich, kapiert? Oder willst du die Hunter gleich selbst einladen?!“ Kei schnaufte zornig, aber tatsächlich schienen Tys Worte zu ihm durchzudringen. Er wurde tatsächlich etwas ruhiger. „Und was soll ich dann deiner Meinung nach tun? Es einfach so akzeptieren? Ich dachte Jade wäre eine Freundin von dir gewesen? Du hast mich dafür gehasst, dass sie sterben musste, aber bei ihm ist es dir egal?“ „Natürlich nicht. Ich würde ihn auch selbst dafür lynchen, aber ich halte mich an unsere Regeln hier.“, gab Ty sofort zurück und blickte Kei todernst an. „Deswegen wirst du jetzt nach Hause gehen und wieder runterkommen. Wenn du dich unbedingt an diesem Menschen rächen willst, können wir ein anderes Mal darüber sprechen, aber ganz sicher nicht heute.“ Für einen Moment starrte Kei Ty sauer an, aber dann machte er auf dem Absatz kehrt und stapfte davon. Er sagte kein Wort mehr und als er in der ehemaligen Werkstatt verschwunden war, atmete Ty erleichtert auf. Der Exile der ihm geholfen hatte, Kei zu bändigen, sah auch erleichtert aus. „Man, und ich dachte schon, der springt dich gleich auch noch an.“, seufzte der Exile und blickte dabei auf die Stelle, auf der eben noch Kei gestanden hatte. Tiefe Furchen zogen sich dort durch den Boden. „Ty… Wie lange soll das noch so weitergehen? Findest du nicht, du solltest mal mit ihm reden?“ Ty massierte sich erschöpft zwischen den Augenbrauen und seufzte. Es war offensichtlich, dass Kei allmählich zur Gefahr wurde. Immerhin hatte er weder gemerkt, dass er in der Bar ein Glas zum Bersten gebracht hatte, noch das seine Aura auch den Boden so verwüstet hatte. Für alle war es offenkundig, dass Kei kein Mensch mehr war, aber er selbst schien es einfach nicht zu bemerken. Es war schleichend passiert. Als Ty Kei hergebracht hatte, war dieser tatsächlich noch ein Mensch gewesen, dem ein Hauch Exile angehangen hatte. Aber mit jeder Woche die vergangen war, war der menschliche Geruch immer schwächer geworden. Mittlerweile war er für Ty und die anderen Exile kaum noch wahrnehmbar und alle wussten, dass Kei mittlerweile völlig ausgehungert war, ohne es zu merken. Immerhin zeigte er das typische Verhalten eines hungernden Exile. Die Alpträume und die Magenkrämpfe, die ihn besonders beim Geruch und Anblick von Blut heimsuchten, waren der beste Beweis dafür. Wann immer sich Kei aufregte, schlug außerdem seine Aura aus und richtete zunehmend Schaden an. Es war beängstigend zu sehen, wie gefährlich dieser Exile binnen dieser kurzen Zeit geworden war und es selbst nicht realisierte. „Jade hat da echt eine Bestie erschaffen.“, seufzte Ty müde, „Ich denke nicht, dass irgendeiner in dieser Stadt eine Chance gegen ihn hätte, sollte er ernst machen.“ „Aber ihn im Unwissen zu lassen und so zu riskieren, dass er seine Macht unwillkürlich einsetzt, ist auch keine Lösung. Das könnte sogar noch gefährlicher für uns ein, als es ihm einfach zu sagen.“, erwiderte sein Kumpel und er hatte ja Recht. Trotzdem hoffte Ty noch immer, dass Kei es selbst bemerken würde. „In Ordnung… Wir warten noch bis zum Ende der Woche und wenn er es bis dahin nicht selbst merkt, rede ich mit ihm.“, beschloss Ty widerwillig. Es war Donnerstag, also waren es noch drei Tage bis dahin. In Anbetracht dessen, wie ausgehungert Kei schon war, hoffte er einfach, dass sein Körper ihn vorher auf den Boden der Tatsachen bringen würde. Aber alles sollte anders kommen, denn zwei Tage später kam ein Exile in Tys Bar gestürmt. Er schien völlig durch den Wind und nachdem er sich versichert hatte, dass keine Menschen anwesend waren, erklärte er: „Die Hunter haben Kei!“ Ty fiel beinahe das Glas aus der Hand, das er gerade abwusch. „Bitte was?“, rief er aufgebracht. „Es stimmt. Ich hab sie gesehen, wie sie ihn ins Hauptquartier gebracht haben. Der Mensch von neulich muss ihn gemeldet haben.“ Ty knirschte verärgert mit den Zähnen. Er wusste, dass Kei gestern Nacht ausgegangen war, um im nahegelegen Park spazieren zu gehen. Das machte er manchmal, denn er meinte, dass die Eulen ihn nachts beruhigen würden. Dabei mussten die Hunter ihn wohl erwischt haben. „Was machen wir jetzt?“, fragte der Exile nun nach. Kei war sehr wichtig für die Exile in der Stadt. Sie wollten ihren Arzt nicht einfach verlieren und sofort meldete sich bei Ty das schlechte Gewissen. Vielleicht hätte er doch etwas wegen des Menschen unternehmen sollen. Er hatte Jade doch versprochen, dass er auf Kei Acht geben würde. Aber was sollte er schon tun? Im Hauptquartier der Hunter wimmelte es nur von Feinden. Dort hineinzuspazieren, um einen Exile zu befreien, glich einem Selbstmordkommando. Es war einfach unmöglich. „Vielleicht befragen sie ihn ja nur…“, meinte ein anderer Exile, woraufhin jemand rief: „Klar doch. Er sollte exekutiert werden, da lassen die ihn doch nicht wieder laufen!“ Unbehagen machte sich breit. Kei war verloren, das wussten alle hier. Die Stunden vergingen. Immer mehr Exile hatten von der Nachricht erfahren und waren in Tys Bar erschienen. Jeder wollte wissen, was der Stand der Dinge war, obwohl letztlich niemand etwas wusste. So wurde viel spekuliert und diskutiert, doch zu einem Ergebnis kamen sie nicht. Das alles zog sich so lange hin, bis einer der Exile einen Anruf bekam, woraufhin dieser in die Menge schrie, dass Ty den Fernseher einschalten solle. Er wechselte auf den örtlichen Nachrichtenkanal, wo zur Überraschung Aller eine Live Berichterstattung außerhalb des Hunterhauptquartieres stattfand. Der ganze Innenhof wurde von Huntern umstellt und man konnte klar und deutlich einen Alarm aus dem Gebäude hören. Ein Helikopter zeigte die Bilder und im Hintergrund hörte man eine Sprecherin sagen: „… und nun warten alle angespannt, wie sich die Lage noch entwickeln wird.“ „Mensch, das müssen alle Hunter aus der Stadt sein, die sich da versammelt haben.“, stellte einer der Exile verwundert fest und Ty konnte nur zustimmend nicken. Was ging da nur ab? Das musste er sich aus der Nähe anschauen und so machten er und ein paar andere Exile sich auf den Weg, während der Rest in der Bar verblieb und wie gebannt auf die Übertragung schaute. … Ein paar Stunden zuvor. „Rede endlich! Wer hat dir geholfen, dich zu verstecken?!“, hörte er den Hunter schreien und spürte sogleich den Schlag, der ihn den Kopf zur Seite wegriss. Keis Lippe platzte auf und ein dünner Rinnsal Blut bildete sich. Außerdem blutete seine Nase. Könnte gebrochen sein, aber das war Kei egal. Es würde ja eh gleich verheilen. Das änderte aber nichts an den Schmerzen, die er bei jedem neuen Schlag trotzdem spürte und seinen Hass nur noch weiter schwelen ließen. Er hatte nicht aufgepasst und so hatte er sich plötzlich auf dem Heimweg vom Park von mehreren Hunter umstellt gesehen, die ihn hierher gebracht hatten. Kei hasste sich selbst dafür, dass er so dumm gewesen war, aber es war geschehen und er konnte es nicht ändern. Nun versuchten sie seit Stunden aus ihm herauszubekommen, wo er sich die letzten Monate versteckt gehalten hatte und vor allem, wer ihm geholfen hatte. Außerdem wollten sie natürlich wissen, wie Kei die Exekution überlebt hatte. Aber er weigerte sich auch nur eine Frage zu beantworten. Sehr zum Ärger der Hunter. Der Mann, der ihn hauptsächlich verhörte, wurde immer ungeduldiger und die Schläge immer brutaler. Kei, der auf einem unbequemen Stuhl saß, die Hände hinter der Lehne gefesselt, ließ sich davon aber nicht beeindrucken. Er hatte schon schlimmeres erlebt als das. „Du kannst nicht ewig schweigen!“, fluchte der Hunter nun und verpasste Kei einen so heftigen Tritt, dass er mitsamt Stuhl zu Boden krachte. „Tse… Wir machen nachher weiter.“, meinte der Hunter nun grimmig, „Du passt auf ihn auf, bis ich wieder da bin.“ Im Raum anwesend waren noch zwei weitere Hunter, die aber nur schweigend zugesehen hatten. Beide richteten Kei nun wieder auf, dann verließ einer der beiden zusammen mit dem Anführer den Verhörraum. Zurück blieb eine junge Frau, die offenbar noch sehr neu in dem Geschäft war. Sie wirkte nervös. Kei hatte das längst bemerkt, dass sie Angst vor ihm hatte, obwohl er bisher nicht einen Ton gesagt hatte. Er hatte sich ja nicht einmal gewehrt, als sie ihn verprügelt hatten. Trotzdem sah man ihr das Unbehagen deutlich an. Am Arm hatte sie einige Wunden, sicher von Aufträgen in letzter Zeit und sie begann vor lauter Nervosität, diese aufzukratzen. Minutenlang verharrten sie so schweigend. Kei starrte gedankenverloren auf den Boden, wo er einige seiner Blutstropfen schimmern sah. Sein Verstand driftete immer weiter ab und wäre er nicht gefesselt gewesen, wäre er vielleicht sogar vom Stuhl gekippt. In regelmäßigen Abständen ging ein Zwicken durch seinen Magen, doch der Anblick und Geruch seines Blutes machte die Sache plötzlich noch so viel schlimmer. Da verkrampfte sein Magen plötzlich so heftig, dass Kei zusammenfuhr. Es erschreckte die junge Hunterin so sehr, dass sie sich vor Schreck einer der Wunden wieder aufriss. Ein leises „Au“ war zu hören und plötzlich war Keis Aufmerksamkeit völlig auf sie gerichtet. Unbewusst starrte er sie an wie ein ausgehungertes Raubtier. Er sah das Blut, dass ihren Arm herablief und was noch schlimmer war, er konnte es auch riechen. Da die junge Frau kein Taschentuch oder Ähnliches dabei hatte, versuchte sie die Wunde mit der anderen Hand abzudecken, aber es gelang ihr nicht wirklich. Als sie den Blick hob, sah sie, dass Kei sie beobachtete. Er hörte, wie ihr Puls langsam in die Höhe schoss, was ihn irgendwie noch mehr anstachelte. „W…Was schaust du so?“, fragte sie nervös und versuchte dabei standhaft zu klingen. Kei, der ihre Wunde noch immer nicht aus den Augen ließ, gab nun gelangweilt zurück: „Du solltest sie nicht aufkratzen. Das gibt nur unschöne Narben.“ Sie war überrascht. Es war das erste Mal das Kei sprach, seit er hier angekommen war. „Das ist doch halb so wild.“, versuchte sie sich rauszureden und ging unmerklich einen Schritt nach hinten weg. Da begann Kei zu Lächeln und plötzlich starrte er genau in ihre Augen. „Amüsant.“ „W…Was ist amüsant?“, fragte sie wie ein aufgeschrecktes Reh, als sie sah, dass Kei sich von dem Stuhl erhob und auf sie zukam. Sie wollte ihre Waffe zücken, aber gleichzeitig wollte sie hier weg und rannte schon fast zur Tür. Gerade als sie diese erreichte, kam jedoch hinter ihr eine Hand hervorgeschnellt und drückte gegen die Tür, sodass sie diese nicht öffnen konnte. Zu ihrem Entsetzen waren die Fesseln gerissen. Mit der anderen Hand packte Kei nun ihren blutenden Arm und betrachtete ihn sich einen Moment gedankenverloren. „Ich finde es amüsant, dass du mir gerade geholfen hast, etwas zu realisieren, was mir bisher einfach nicht bewusst war.“, erklärte er kryptisch. „U…Und das wäre?“, stotterte sie aufgeregt. Sie wollte fliehen, fühlte sich wie die Maus vor der Katze. Sie konnte ihre Waffen nicht ziehen, da sie zu nah an der Tür stand und Kei sie nicht wegließ. Da lachte er kurz auf. „Nur dass ich verdammt hungrig bin.“, war alles was sie noch hörte, dann spürte sie schon den gleißenden Schmerz in ihrem Hals. Sie wollte schreien, konnte es aber nicht und dann wurde alles schwarz um sie herum. Die Frau war so schnell gestorben, dass es Kei schon fast surreal vorkam. Er ließ sie los, sie rutschte zu Boden und er war irgendwie enttäuscht. Es grämte ihn, dass sie kaum gereicht hatte, um auch nur den gröbsten Hunger zu stillen. Aber zu seinem Glück wimmelte es hier ja nur von Menschen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er die arme Frau ganz schön zugerichtet hatte. Auch seine Hände waren voller Blut, das er nun genüsslich ableckte, während er zurück zu dem Stuhl ging und sich wieder setzte. Er wartete nicht lange, da kamen die beiden Hunter von vorhin zurück. Kaum traten sie ein, sahen sie all das Blut und doch reagierten sie viel zu langsam. Kei hatte bereits beide gepackt und rücklings gen Boden befördert. Unbewusst knurrte er die beiden an. „Zahltag.“, knurrte er laut und nur Sekunden später hatte er auch diesen beiden das Leben ausgehaucht. Sein Jagdtrieb war geweckt und er lief gerade erst warm. Als er wenig später die massive Stahltür mit seinen Klingen aus den Angeln riss, ging der Alarm los, aber genau darauf hatte er auch gehofft. Er wollte so viele Hunter wie möglich erwischen. Jetzt war ihm selbst nicht klar, wieso er es vorher nicht bemerkt hatte, aber ihm war schlagartig bewusst geworden, zu was er geworden war. Als er sich all der Macht bewusst wurde, die in ihm brodelte und nur darauf wartete nach all den Monaten endlich einmal freigelassen zu werden, war sein Entschluss bereits gefallen. Heute würde er zum Jäger werden. Und so war Kei binnen Minuten zum Staatsfeind Nummer eins geworden. Die Hunter, die auf solch eine Situation überhaupt nicht vorbereitet gewesen waren, kamen anfangs nicht einmal zum Kämpfen. Vielmehr war es ein einseitiges Gemetzel. Zumindest so lange, bis Kei sich nach draußen vorgearbeitet hatte. Der Innenhof war voller Hunter. Er vermutete, dass die ganze Stadt sich wohl versammelt hatte. Ihm war das nur Recht. Als er auf den Hof hinaustrat, blieb er stehen und schaute sich in aller Ruhe um. „Hey!“, rief er schließlich in die Menge, „Irgendwo unter euch ist das Team, das die Harpyie auf dem Gewissen hat. Ich glaube, ich habt doch nach mir gesucht, nicht wahr?“ Ein Raunen ging durch die Menge und nach kurzer Zeit traten jene fünf Hunter nach vorne, deren Gesichter sich so tief ins Keis Gedächtnis eingebrannt hatte, dass er sie niemals vergessen würde. Er knurrte, als er sie erkannte. „So sieht man sich wieder. Dieses Mal werdet ihr im Schlamm kriechen, das schwöre ich!“ Dann explodierte seine Aura regelrecht, was sogar für einen Moment die Kameras der umgebenden Medien störte. Ty und jene Exile, die ihn begleitet hatten und mittlerweile aus sicherer Entfernung das Hauptquartier im Blick hatten, stellte es die Haare auf, als die Aura sie erreichte. Regelrecht gebannt starrten sie nach unten, wo sich plötzlich ein riesiger, weißer Exile erhob. Allein seine Anwesenheit war einschüchternd, aber als er sich zu bewegen begann, rollten sehr schnell die ersten Köpfe. Die Hunter, die in den letzten Jahren so erfolgreich jeden Exile, den sie aufgespürt hatten, eliminiert hatten, wurden plötzlich ausradiert. Von nur einem sehr wütenden, hasserfüllten und ausgehungerten jungen Exile. Selbst als der Überraschungseffekt verflogen war und die restlichen Hunter sich darauf einstellten, stellte sich schnell heraus, dass sie keine Chance hatten. Hinzu kam Keis wahnsinnige Regenerationskraft. Wann immer die Hunter ihn doch erwischten, was tödlich hätte sein können, verheilten die Wunden einfach wieder, als sei nichts gewesen. Es war gleichermaßen beeindruckend und furchteinflößend und Ty, sowie allen anderen Anwesenden waren klar, dass dort ein Exile der schwarzen Liste geboren war. Schließlich lebten nur noch fünf Hunter. Diese speziellen Fünf, die sich Kei für den Schluss aufbewahrt hatte. Obwohl einer der Fünf ihn damals nur in den Schlamm gedrückt hatte und am eigentlichen Kampf gegen Jade keinen Anteil gehabt hatte, hatte Kei auch ihn bis zum Schluss am Leben gelassen. Die ganze Gruppe sollte leiden. Kei erhob sich vor ihnen wie ein Berg und für einen Moment schien die Zeit völlig still zu stehen. Kapitel 17: Interlude: Aftermath -------------------------------- „Wie fühlt es sich an, tatenlos mitansehen zu müssen, wie Leute sterben, die einem etwas bedeuten?“, knurrte Kei die fünf Hunter an, die er sich extra bis jetzt aufgehoben hatte. Es wäre schon mehrere Male ein leichtes für ihn gewesen, den ein oder anderen mit seinen Klingen oder Klauen zu erwischen, aber er hatte absichtlich darauf verzichtet. Die Hunter antworteten ihm jedoch nicht. Mit gezückten Waffen standen sie vor ihm und er konnte ihnen die Angst ansehen. Ihre Ehre verbat es ihnen, zu fliehen, aber ihnen musste klar sein, dass sie keine Chance haben würden. Die Hunter versuchten ein abgestimmtes Manöver auf Kei, dass schon bei so vielen anderen Exile funktioniert hatte. Die ersten beiden griffen frontal an und bildeten die Vorhut, dienten letztlich aber nur als Finte, während die anderen beiden sich von den Seiten näherten und der letzte von hinten angriff. Kei war noch sehr unerfahren, sonst hätte er diese Finte vielleicht durchschaut, aber so spürte er plötzlich den gleißenden Schmerz, der ihn von beiden Flanken durchfuhr. Eines der Schwerter musste sein Herz erreicht haben, denn für einen Moment spürte er, wie es mehrere Schläge taumelte und dann sogar einen Schlag aussetzte. „Shit, sie haben ihn erwischt.“, fluchte einer der Exile, der Ty begleitet hatte. Angespannt verfolgten sie die Szene. Einige wollten eingreifen, denn mit diesen verbliebenen vier Huntern würden sie auf jeden Fall fertig werden. Doch Ty hielt sie zurück. „Wartet.“, meinte er ernst, „Das muss er ganz allein regeln, sonst verlassen ihn die Bilder von damals nie.“ „Aber Ty, sie erwischen ihn so noch. Es ist zwar beeindruckend, was er da unten abgezogen hat, aber er ist immer noch sehr unerfahren und hat schon fast seine gesamte Energie aufgebraucht.“, warf einer seiner Begleiter berechtigter Weise ein. Die meisten Exile hätten es nie so weit geschafft. Ty hatte bisher mindesten fünf normalerweise tödliche Wunden bei Kei gezählt und sieben weitere, die einen Kampf im Allgemeinen beendet hätten. Das Kei trotzdem noch stand, grenzte an ein Wunder und da wurde Ty eines bewusst. „Sie beschützt ihn immer noch…“, flüsterte er zu sich selbst. „Was meinst du?“, fragte einer seiner Begleiter verwirrt. Da musste Ty müde lächeln und schüttelte nur mit dem Kopf. „Jade. Keine Ahnung, wie sie es gemacht hat, aber kein Wunder, dass er so mächtig ist. Seine Macht greift an, aber ihre beschützt ihn. Es ist, als sei die Harpyie ein Teil von ihm geworden.“ „Jetzt wo du es sagst… Er hat tatsächlich ein bisschen Ähnlichkeit mit der Harpyie.“, stimmte ein anderer zu. Ty nickte vor sich hin. „ Kaum zu glauben, dass ihr Plan wirklich funktioniert hat…“ Unterdessen sahen sie, dass Kei mehrere Schritte nach hinten taumelte. Er mochte erschöpft sein, aber er dachte nicht ans Aufhören. Die Hunter wollten natürlich nicht warten, bis er sich erholte und nutzten den Moment, um sofort wieder anzugreifen. Sie hatten ausgenutzt, dass er sich auf seinem Ruhm ausgeruht hatte und waren sich sicher, nun den finalen Stoß austeilen zu können, als Kei auf einmal die Zähne fletschte. Plötzlich war ein markerschütterndes Brüllen zu hören, das mehrere Frequenzen auf einmal zu haben schien. Nicht nur die Hunter, sondern auch alle Pechvögel, die zu nah am Ort des Geschehens waren, zwang das in die Knie. Auch Ty und die anderen Exile wurden davon nicht verschont. Ty konnte nur noch mit Mühe nach unten schauen und sah, dass Kei mit jenen Klingen, die wie Sägeblätter aussahen, ausholte. Warum er die Hunter letztlich nicht quälte, sondern sie sogar so schnell erledigte, war Ty jedoch nicht ganz bewusst. Im nächsten Augenblick waren die Hunter tot. Keis Wunde hingegen war fast völlig verschwunden. „Er hat es tatsächlich geschafft.“, staunte Ty und nahm die Hände von den Ohren, die ihm immer noch klingelten. Der Helikopter, der das ganze Spektakel gefilmt hatte, drehte ab. Kei hatte mit dem Schallangriff der Technik ganz schön mitgespielt und überall brach die Übertragung ab. Und dann kehrte völlige Stille ein. Kei verharrte noch mehrere Minuten an Ort und Stelle und starrte geistesabwesend gen Himmel. Was er nun dachte, konnte niemand erahnen. War er zufrieden? Kehrte endlich Frieden für ihn ein? Ty bezweifelte es. Dann verschwand Kei plötzlich. „Wo will er denn hin?“, fragte einer der Anwesenden verwirrt, „Sollen wir ihm hinterher?“ Ty schüttelte mit dem Kopf. „Ich denke, wir sollten ihm erstmal die Zeit geben, sich selbst zu ordnen. Er wird schon wieder auftauchen.“ Damit kehrt auch Ty in seine Bar zurück, wo alle wissen wollten, was geschehen war, nachdem die Übertragung ausgefallen war. Mehrere Stunden vergingen und allmählich leerte sich die Bar wieder. Kurz vor Tagesanbruch, als nur noch die Stammgäste unter den Exile da waren, läutete die Bartür und Kei trat ein. Er sah ganz schön mitgenommen aus, aber offenbar hatte er zwischendurch in seiner Wohnung die blutverschmierten Klamotten gewechselt. Er sah müde aus, ansonsten schien es ihm aber gut zu gehen. Erschöpft setzte er sich an den Tresen, als sei nichts gewesen und bestellte sich was zu trinken. Natürlich war er nun im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ty stellte ihn ein Glas hin und Kei nahm einen Zug, dann stellte er das Glas wieder zurück und meinte: „Ich werde meine Praxis schließen müssen.“ „Wieso, wie meinst du das? Was hast du denn vor?“, fragte Ty verwirrt, denn damit hatte er nicht als erstes gerechnet. „Mir ist heute etwas klar geworden.“, begann Kei langsam und nahm einen weiteren Schluck, „Ich bin zwar immer gerne Arzt gewesen, aber im Endeffekt kann ich für euch doch nichts weiter tun, als den Schaden so gering wie möglich zu halten, wenn er schon geschehen ist. Für die Hunter sind alle Exile gleich. Ihr könnt noch so friedlich zu leben versuchen und doch werden sie euch eines Tages aufspüren und angreifen. Auch deine Bar würde so sicherlich eines Tages auffliegen.“ „Schon möglich… Aber was hat das damit zu tun, dass du schließen willst?“, Ty war sich nicht sicher, ob er Kei folgen konnte. Da hob dieser den Blick und lächelte ihn aufmunternd an. „Vor einer Weile gab es doch dieses Gespräch, als ich nachts den Notfall behandeln musste, für den du mich aus der Wohnung geholt hast. Die beiden hatten Recht. Im Moment gibt es wirklich nicht genug Herausforderungen für die Hunter. Also wird es Zeit, dass mal jemand auftaucht, der ihnen die Hölle heiß macht.“ Nun wurde Ty klar, worauf Kei hinauswollte. „Das ist doch Irrsinn! Hast du überhaupt eine Ahnung, worauf du dich da einlässt? Du würdest ein Leben als Gejagter haben. Schon allein die Aktion heute Nacht wird dich mit Sicherheit auf die schwarze Liste bringen, aber wenn du damit weitermachst, wirst du keine ruhige Minute mehr haben.“ Aber Kei war fest entschlossen. „Ist mir bewusst, aber das ist schon ok. So habe ich einfach das Gefühl, dass ich die Schuld begleichen kann, dass Jade für mich gestorben ist.“ „Ich glaube aber nicht, dass sie sich das für dich gewünscht hätte.“, warf Ty ein. Er hatte Jade gut gekannt und sie hatte Kei über alles geliebt. Mit Sicherheit hatte sie sich solch ein Leben nicht für ihren Verlobten vorgestellt. „Mag sein.“, erwiderte Kei, „Aber wenn ich es nicht tue, werde ich nie Ruhe finden. Bis die Hunter diese Stadt neu besetzen, werden sicherlich einige Tage vergehen. Genießt die Freiheit bis dahin, aber werdet nicht zu übermütig.“ Kei lachte kurz auf. „Und was hast du jetzt genau vor?“, fragte Ty skeptisch nach. Er hielt immer noch nicht viel von Keis Plan, war sich aber auch bewusst, dass er ihn nicht davon würde abhalten können. Was das anging, war er genau so stur wie Jade es gewesen war. Mittlerweile verstand er doch, was sie an ihm so gemocht hatte. „Mal sehen. Ich gehe einfach wohin der Wind mich treibt, bisschen die Welt anschauen und dabei auf die Jagd nach ein paar Huntern gehen. Ich bin nur hier, um mich zu verabschieden.“ Ty seufzte aufgebend. „Ich schätze, das werde ich dir nicht ausreden können, was?“ Kei schüttelte nur mit dem Kopf. „Na gut… Aber wenn du je wieder in diese Gegend kommen solltest, dann steht meine Bar dir jederzeit offen.“, meinte Ty nun leicht betrübt. Er hatte sich irgendwie so an Keis Anwesenheit gewöhnt, dass es nun merkwürdig war, sich vorzustellen, dass er nicht mehr da sein würde. Auch wenn er ihm viele Probleme bereitet hatte, so war Ty letztlich doch traurig über diesen Abschied. „Danke, Ty. Für alles. Ohne dich wäre ich mit Sicherheit nicht mehr am Leben und das werde ich dir nie vergessen. Wenn es hier mal brennt, dann kannst du mich jederzeit anrufen. Ansonsten… werde ich gerne mal auf einen Drink vorbeischauen.“ Damit leerte Kei sein Glas und verließ dann die Bar. Auch die Stammgäste verabschiedeten ihn mit einem Hauch von Wehmut und dann machte sich Kei auf in den Morgengrauen. Bevor er die Stadt verließ, blieb nur noch eine Sache für ihn zu erledigen. Er hatte die letzten Stunden genutzt und hatte lange darüber nachgedacht und schließlich war er zu einer Entscheidung gelangt. Er zündete sich eine Zigarette an und machte sich dann auf den Weg. Er hatte es nicht gerade eilig. Er hörte wie sich der Schlüssel im Schloss drehte und sich dann die Tür zur Wohnung öffnete. Ein Licht ging im Flur an und man hörte es rappeln, als Schuhe und Jacke ausgezogen wurden. Schließlich trottete Jack in seine Stube und erstarrte zur Salzsäule. An der Couchlehne lehnte Kei und wartete. Jack kam gerade von der Nachtschicht nach Hause und war eigentlich müde gewesen, aber nun war er hellwach. Natürlich hatte auch er von den Ereignissen bei den Huntern gehört und die Übertragung gesehen. So ziemlich jeder in der Stadt hatte das. Er hatte gesehen, was Kei geworden war und nun schlug sein Puls vor Angst so schnell, dass es sich anfühlte, als springe ihm das Herz aus der Brust. „Kei…“, mehr bekam Jack nicht heraus. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Kei hingegen wirkte seelenruhig, nicht wie beim letzten Mal, als er auf Jack losgegangen war. „Hallo, Jack.“, begrüßte ihn Kei seltsam kühl. Jack schluckte und versuchte erneut zu reden. „Hör mal… Ich hab dich nicht bei den Huntern gemeldet. Einer meiner Begleiter hat dich wiedererkannt, aber ich war´s nicht. Ich schwöre! Bitte glaube mir…“ Kei glaubte ihm. Er wusste, wann Jack log. Dafür kannte er ihn schon viel zu lange und er erzählte gerade wirklich die Wahrheit. „Tu ich.“, gab Kei knapp zurück, „Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass wir noch eine Rechnung offen haben, mein Freund.“ Wieder schluckte Jack und er spürte den kalten Schweiß seinen Rücken herablaufen. Doch was sollte er schon groß dazu sagen? Jack hatte Kei nie schaden wollen. Seit er gesehen hatte, was Jades Tod aus ihm gemacht hatte, bereute er seine Tat sogar, obwohl er doch immer geglaubt hatte, das Richtige getan zu haben. „Du weißt es sicher nicht, aber die Hunter haben mich damals zusammen mit Jade exekutieren wollen. Sie haben mich übrigens zusehen lassen, wie sie um ihr Leben und das ihres Kindes gekämpft hat. Nun, sie hat es nicht geschafft.“, meinte Kei bitter. „Warte was?“, Jack konnte nicht ganz folgen, „Sie war schwanger?“ Kei nickte. „Oh shit… Kei ich… Verdammt, egal was ich sage, es bringt ja eh nichts, nicht wahr? Das wusste ich nicht. Nichts davon. Ich wollte nicht, dass sie dich auch holen und erst recht hätte ich nicht gedacht, dass sie eine Schwangere exekutieren würden. Wobei ich nicht mal wusste, dass das überhaupt möglich ist…“ Jack stand die Reue ins Gesicht gemeißelt. Da hörte er Kei seufzen. „Wir kennen uns jetzt schon unser gesamtes Leben und ich weiß, dass du kein schlechter Mensch bist, Jack. Als du dich vor ein paar Tagen verplappert hast, hätte ich dich wohl umgebracht, hätte dich Ty nicht vor mir gerettet.“ „Ich wollte dir nie schaden.“, meinte Jack betroffen und in seinen Augenwinkeln glänzte es nass. „Aber wenn du mich schon töten musst, kannst du es wenigstens schnell machen?“ Kei hob eine Augenbraue. „Meinst du, du hast das verdient?“ Jack schluchzte kurz auf. Er war am Ende seiner Nerven, zumal er immer wieder die Bilder der Fernsehübertragung vor Augen hatte. Er hatte mit eigenen Augen gesehen, was für ein Gemetzel Kei angerichtet hatte und nun stand er hier seelenruhig vor ihm, als wäre nichts gewesen. Als er eine Hand auf seiner Schulter spürte, zuckte Jack instinktiv zusammen. Plötzlich drückte Kei ihn an sich. Jack war perplex. Was sollte das werden? Würde er ihn nun zur Strecke bringen? Aber der Schmerz kam nicht. Stattdessen erhob Kei die Stimme und meinte ruhig: „Ich verzeihe dir. Jade hätte nicht gewollt, dass ich ihretwegen Jemanden töte, der mir so wichtig wie ein Familienmitglied ist. Ich musste lange drüber nachdenken, aber wäre unsere Rollen getauscht gewesen, hätte ich wohl wie du gehandelt. Du wolltest mir helfen, auch wenn das voll nach hinten losgegangen ist. Letztlich bist du immer noch mein bester Freund… Daher lass ich dich am Leben, aber wir werden uns nie wieder sehen.“ Damit ließ er Jack los und ging einen Schritt zurück. Dieser wirkte völlig durch den Wind. Er brauchte noch einen Moment, um zu verarbeiten, was Kei da gerade zu ihm gesagt hatte. Er wollte etwas sagen, aber ihm fiel einfach nichts ein. Sein Kopf war wie leer gefegt. „Außerdem hab ich momentan eh keinen Hunger mehr.“, meinte Kei nun und lächelte kurz amüsiert, sodass Jack die Fangzähne aufblitzen sah, „ Du bist also vor mir sicher.“ Jack schluckte kurz. Er wollte nicht diese unbändige Angst vor seinem besten Freund verspüren, aber sie wollte einfach nicht abebben. „Leb wohl.“, hörte er Kei nun sagen und nur einen Sekundenbruchteil später war er einfach aus Jacks Wohnung verschwunden. Das ließ Jack aus seiner Schockstarre erwachen. „Kei!“, rief er in die Leere seiner Wohnung hinein und hoffte, dass dieser es doch noch irgendwie hören würde: „Es tut mir schrecklich Leid!“ Dann brach kummervoll zusammen. Kei hatte ihn noch gehört, aber er reagierte nicht mehr darauf. Es war besser so. Stattdessen machte er nur noch an einer Station halt, bevor er die Stadt endgültig hinter sich ließ. Er war am Stadtrand. Diese schlammigen Felder würde er immer wiederfinden. Auch ein Jahr später zeugten noch kleine Krater im Boden von vergangenen Ereignissen. Er stellte sich an jene Position, an der er einst zum Zusehen gezwungen war und blickte gedankenverlorenen auf das Feld hinaus. Wieder spielte sich die Szene wie ein Film vor ihm ab. Doch dieses Mal verzweifelte er daran nicht. Er seufzte müde. „Jade…“, flüsterte er in die kalte Morgenluft, sodass man seinen Atem sehen konnte, „Sei mir nicht böse, aber ich werde nicht mehr zusehen können. Ab heute werde ich selbst kämpfen. Ich weiß, dass bringt weder dich noch unser Kind zurück, aber für mich ist es eine Wiedergutmachung an euch. Ich hoffe, du bist mir nicht sauer deswegen.“ Er verharrte noch einige Minuten und dachte an die gemeinsamen Jahre zurück, die er mit Jade erlebt hatte. Noch immer schmerzte ihr Verlust, aber das erste Mal seit Monaten konnte Kei wieder nach vorn blicken. Die Leere war nicht verschwunden, aber sie war erträglicher geworden. Damit begann Keis Reise. Ty sollte Recht behalten. Innerhalb nur eines Jahres kam Kei auf die schwarze Liste und stieg in den folgenden Jahres kontinuierlich in den Rängen auf. Auch wenn ihn viele Exile, die ihn persönlich begegneten auf einen Rang der Top 5 schätzten, blieb er schließlich bei Rang 11 hängen. Er wollte selbst nicht in die oberen Ränge. Dort war ihm das Leben dann doch zu stressig. Schnell gaben ihm die Hunter den Namen Nokogiri, während sich unter der Bevölkerung ein ganz anderer Name etablierte, „Hunterjäger“. Kei fand den Namen zwar albern, aber er wurde ihn nie wieder los. Jahre zogen an ihm vorbei und schließlich Jahrzehnte. Dann kam der Tag der Schatten, der gleichzeitig das Ende der Hunter bedeutete. Von da an zog sich Kei zurück. Immerhin gab es niemanden mehr, den er jagen konnte. Zwar tauchten einige Jahre später neue Hunter auf der Bildfläche auf, welche aber mit der originalen Vereinigung kaum noch etwas gemeinsam hatte und Kei daher nicht interessierte. Das Leben als Jäger überdrüssig geworden, kehrte Kei schließlich in die Gesellschaft der Menschen zurück. Eine Zeit arbeitete er wieder bei Ty, der auch nach all den Jahren noch seine Bar führte, wenngleich in einer neuen Gegend und später zog es Kei wieder von Ort zu Ort. Auf einer dieser Reisen lernte er einen jungen Drogendealer namens Valentin kennen, dem er schließlich aus einer Laune heraus das Leben rettete. Als dieser Mensch durch seine Hilfe schließlich zum Exile wurde, nahm Kei sich seiner für einige Jahre an. Es war eine nette Abwechslung für ihn, aber als sich ihre Wege irgendwann wieder trennten, strandete er schließlich in einer großen Stadt, welche am äußersten Rand einen kleinen Tierpark hatte, geführt von einem netten, alten Mann. Aus einer Laune heraus begann Kei für den Mann zu arbeiten, kümmerte sich um die Eulen, die ihn immer zu beruhigen vermochten und genoss dieses friedliche Leben tatsächlich sehr. Dann, eines Tages, trat ein Mädchen in sein Leben. Das zierliche Ding, das so voller Trauer schien, weckte schnell seine Aufmerksamkeit. Was eigentlich als abendlicher Snack und leicht erjagte Beute enden sollte, entpuppt sich bald als viel mehr. Erst freundete er sich mit dem Mädchen an und irgendwann, nach einigen Jahren, hatte sie es irgendwie geschafft, sein Herz zu erobern. Plötzlich wurde Kei klar, das alles sich wiederholte. Er war nun an Jades Stelle und dieses Mädchen an der seinigen. Es war bizarr, doch er war zufrieden. Endlich verstand er, war Jade an diesem Leben als vermeintlicher Mensch mit ihm so genossen hatte, denn auch er genoss jeden Moment mit diesem Menschenmädchen. Und bevor er es realisierte, war seine Einsamkeit und die Leere, die ihn nach Jades Tod steter Begleiter gewesen waren, auf einmal verschwunden. Es hatte 200 Jahre gedauert, aber eines Nachts waren die Bilder von damals plötzlich endgültig verschwunden. An ihre Stelle traten neue Erinnerungen mit jenem Menschenmädchen, für das er alles nur erdenkliche getan hätte. Er wollte Tiara auf jeden Fall beschützen, etwas, dass er für Jade nie hatte machen können. Für sie hatte er für Luca gearbeitet und sein Spiel mitgespielt, obwohl es ihm so widerstrebt hatte und für sie würde er auch sterben. Er bereute es nicht und endlich begriff er, dass auch Jade es nicht bereut hatte. Denn er war endlich wieder auf der Sonnenseite des Lebens angekommen und würde diese nie mehr loslassen. Kapitel 18: ein verzweifelter Versuch ------------------------------------- Als Tiara erwachte, fand sie sich auf einer warmen und gemütlichen Couch wieder. Sofort schreckte sie hoch. Wie war sie hierhergekommen? Das letzte, woran sie sich erinnerte, war daran, dass sie mit Kei an der Grenze zum Viertel gesprochen hatte. Jetzt erstarrte sie. Wo war Kei? „Na wieder wach?“, ertönte es nun und aus der Küche kam Seth geschlendert, „Dann kannst du uns ja vielleicht verraten, was du da draußen ohnmächtig auf einer Parkbank zu suchen gehabt hast?“ Tiara schwieg. Sie versuchte immer noch ihre Gedanken zu ordnen, als nun auch Yara dazu stieß und meinte: „Wo warst du nur? Wir haben dich stundenlang gesucht und plötzlich tauchst du wieder auf. Sei froh, dass Kyria noch nicht wieder da ist, sie hätte dir echt den Kopf gewaschen.“ Tiara setzte sich nun auf und starrte ihre Brüder mit einer Mischung aus Verwirrung, Schuldbewusstsein und Entsetzen an. Allmählich wurde ihr klar, was Kei getan hatte. Doch er war nicht bei ihr geblieben. Bilder des Kampfes schossen ihr durch den Kopf, als ihr eines klar wurde. Kei musste noch immer schwer verletzt sein. Nur peripher hatte sie vorhin wahrgenommen, dass seine riesige Wunde sich nicht geschlossen hatte, aber erst jetzt wurde ihr auch klar, wieso. Luca musste ihn vergiftet haben und Kei hatte offenbar zu vertuschen versucht, dass es nicht gut um ihn stand. Sofort sprang sie von der Couch auf, wie ein gehetztes Reh. Die Zwillinge beäugten sie skeptisch und mit fragendem Blick, als sie sich ihre Jacke schnappte und zur Tür eilte. Yara schnitt ihr jedoch den Weg ab. „Wow, stehen geblieben. Was zum Teufel ist denn los? Wo willst du um diese Uhrzeit bitte hin, es ist mitten in der Nacht.“ „Mir egal.“, zischte Tiara nun gehetzt und versuchte irgendwie an ihm vorbeizukommen. Aber nun versperrte ihr auch Seth den Weg und sie wurde ungeduldig. „Lasst mich durch. Ich hab es wirklich, wirklich eilig, verdammt.“ Sie musste zu Kei, egal wie. Sie konnte nicht zulassen, dass er starb, nie im Leben. Zwar wusste sie nicht, ob man ihn wirklich retten konnte, aber sie musste es versuchen. Immerhin wusste sie, dass Kyria mit ihrer Macht die Regenrationsfähigkeit anderer stärken konnte. Vielleicht half das ja. Doch ihre Brüder machten keine Anstalten, ihr aus dem Weg zu gehen. „Tiara, was zum Teufel ist los?“, fragte Yara sie ungeduldig, „Du bist doch sonst nicht so.“ Jetzt stoppte sie und blickte ihre Brüder vernichtend an. „Ich kann das jetzt nicht erklären, aber wenn ihr unbedingt wissen wollt, was los ist, dann kommt halt mit und helft mir. Nur lasst mich jetzt los, mir rennt die Zeit davon!“ Yara und Seth blickten sie ungläubig an. Keiner von beiden war es gewohnt, dass Tiara so aufbrauste. Die beiden tauschten kurz einen Blick aus und seufzten dann. Als sich die Zwillinge nun ihre Waffen und Jacken schnappten, fiel Tiara ein Stein vom Herzen. „Ok, wir kommen mit, wohin auch immer.“, seufzte Seth nun genervt. „Danke.“, meinte Tiara gehetzt und eilte bereits aus der Wohnung. Die Zwillinge folgten ihr, während sie so schnell wie möglich den Weg durch die Stadt suchte. „Sag mir nicht, wir verlassen das Viertel?“, fragte Yara nach einer Weile, als er die Mauer näher kommen sah. „Ganz genau.“, rief Tiara über ihre Schulter hinweg und rannte weiter. „Nicht dein ernst! Kyria killt uns, wenn sie das herausfindet.“ „Ist mir vollkommen egal. Ihr müsst ja nicht mitkommen, wenn ihr nicht wollt.“ Tiara eilte weiter. Ihr was es wirklich egal, dass sie sich wieder großer Gefahr aussetzte, wenn sie das Viertel verließ. Ihr war klar, dass draußen noch immer Lucas Leute darauf lauerten, neue Menschen zu fangen, aber das Risiko musste sie eingehen. Sie würde es sich ein Leben lang nicht verzeihen, wenn sie Kei im Stich ließ, auch wenn er alles daran gesetzt hatte, sie zu retten. Sie wollte ja nicht undankbar wirken, aber dennoch musste sie sich wieder in Gefahr begeben. Eigentlich wollte sie ihre Brüder da nicht mit hinein ziehen, aber sie konnte die Hilfe gut gebrauchen. Yara und Seth wirkten nicht gerade glücklich über ihren Entschluss, folgten ihr jedoch ohne weitere Widerrede. Als sie die Mauer überwunden hatten, überlegte Tiara kurz, wo sie Kei finden könnte. Doch die Antwort lag für sie auf der Hand und so machte sie sich auf den Weg zum ehemaligen Tiergarten. Einige Minuten später hatten sie und die Zwillinge das Tor des Gartens erfolgreich passiert. Keiner sagte ein Wort, während sie den Garten durchquerten und sich den ehemaligen Eulengehegen näherten. „Man, ich war ewig nicht hier.“, meinte Yara nach einiger Zeit leise, woraufhin ihm sein Bruder nur zustimmte. „Nur, was wollen wir hier? Jetzt hör doch endlich mal auf, so geheimnisvoll zu sein.“ „Das werdet ihr schon noch früh genug erfahren.“, gab Tiara leise zurück. Alle drei waren in höchster Alarmbereitschaft, falls sie angegriffen werden würden, doch zum Glück waren sie allein. Endlich erreichten sie ihr Ziel. Schon von weitem sah Tiara den großen Exile an einem Baum lehnen und ihr fiel ein Stein vom Herzen. Sie hatte sich nicht geirrt. Yara und Seth jedoch blieben entsetzt stehen. „Mist, ein Exile. Schnell weg von hier.“, zischte Seth, doch Tiara ging schnurstracks auf die Bestie zu. Den Zwillingen entglitt die Mimik. „Was machst du denn da? Bist du verrückt?!“, rief Yara so laut er sich traute, als Tiara stehen blieb und sich umdrehte. „Schon in Ordnung. Wegen ihm bin ich doch hier.“ Die Zwillinge tauschten einen Blick aus, der sagte: „Sie ist verrückt geworden.“ „Tiara, dir ist klar, dass das ein Exile ist.“, sagte die beiden fast synchron, „Ein halbtoter Exile scheinbar.“ Vorsichtig kamen die beiden nun näher, hielten jedoch weiterhin einen Sicherheitsabstand ein. Der Exile vor ihnen war riesig, obwohl er in sich zusammengesunken war. Doch auch ihnen fiel sofort die riesige Menge an Blut auf, die um ihn herum war. Der Exile schien nicht bei Bewusstsein und atmete kaum noch. Es ging wohl zu Ende mit ihm. „Das ist nicht einfach ein Exile.“, beschwerte sich Tiara nun und ging noch näher an die Bestie heran. Mit besorgtem Blick betrachtete sie sich seine Wunde. Kei war eiskalt. „Das ist mein Freund.“, verkündete sie nun. „Dein was?“, fragte Yara entsetzt nach. „Ihr habt schon richtig gehört.“, verteidigte sich Tiara genervt, „Kei und ich sind jetzt schon seit drei Jahren ein Paar.“ „Moment mal. Du sagst, ihr seid schon so lange zusammen? Aber ist Kei nicht der Name von Lucas rechter Hand?“ Seth beäugte den Exile kritisch, konnte er sich noch lebhaft an seine letzte Begegnung mit diesem Exile erinnern, auch wenn er damals in menschlicher Gestalt gewesen war. „Ja das war er, aber doch nur, weil ich ihn darum gebeten habe. Hört zu, ich kann euch nicht alles jetzt erklären, aber bitte vertraut mir, wenn ich euch sage, dass Kei nicht unser Feind ist. Er hat mir heute das Leben gerettet, ok? Und nur deswegen ist er jetzt in diesem Zustand. Bitte helft mir, ihn ins Viertel zu bringen, das Kyria sich um ihn kümmert. Ich flehe euch an, er ist alles für mich.“ Tränen glitzerten auf ihren Augen, als Tiara ihre Brüder anflehte ihr zu Glauben. Sie verbeugte sich zutiefst und zitterte vor Angst, dass sie sie im Stich lassen würden. Wieder tauschten die Zwillinge vielsagende Blicke aus, dann jedoch seufzten sie aufgebend. „Ist ja gut, nicht weinen. Wir helfen dir ja.“, meinte Seth schließlich, „Aber du bist uns nachher so einige Erklärungen schuldig, ok?“ Sofort heiterte sich Tiaras Miene auf. „Ich danke euch so sehr.“, lächelte sie und umarmte ihre Brüder stürmisch, welche dabei leicht rot wurden. Dann löste sie sich wieder von ihnen. „Nur, wie bringen wir ihn jetzt zurück zu uns? Er erscheint mir nicht gerade ein Leichtgewicht zu sein.“, seufzte Yara, als er sich den riesigen Exile weiter betrachtete. „Immerhin ist keiner von uns so stark, wie ein Exile oder wenigstens Halbyajuu.“ „Ich weiß, aber wir müssen es dennoch versuchen.“, meinte Tiara unermüdlich. Sie wollte sich nicht entmutigen lassen. Das konnte sie sich jetzt nicht leisten. „Vielleicht schaffe ich es ja, ihn irgendwie aufzuwecken.“, überlegte sie nun, „Dann kann er mithelfen.“ „Dann mach, aber beeil dich. Ich fühle mich nicht wohl, hier so auf dem Präsentierteller zu sein.“, seufzte Yara. Die nächsten Minuten versuchte Tiara Kei irgendwie wach zu bekommen, aber er war viel zu weit weg. Egal was sie tat, es half nichts. Er reagierte weder auf Berührungen, noch auf ihre Stimme. Plötzlich hörten alle drei ein verdächtiges Rascheln und die Zwillinge zückten ihre Waffen. Während Yara mit einem Schwert kämpfte, bevorzugte sein Bruder Schusswaffen, von denen er stets mehrere bei sich trug. Wie gebannt starrten sie in die Nacht, als ein Yajuu erschien. „Wusste ich doch, dass wir nicht allein sind.“, flüsterte Seth leise. „Zum Glück nur ein Yajuu, damit kommen wir klar. Mach dir keine Sorgen Tiara und versuch ihn weiter wach zu kriegen.“ Tiara nickte und versuchte ihr bestes. Leider hatten sie sich geirrt. Es war nicht nur ein Yajuu, der sich nun näherte. Tatsächlich war es ein ganzes Rudel von fünfzehn Yajuu. Luca hatte sie ausgesandt, um nach Kei zu suchen und ihn zu erledigen, sollten sie ihn finden. Er war sich zwar sicher, dass Kei die Nacht ohnehin nicht überleben würde, was wohl auch der Grund war, dass er nur Yajuu entsandte, dennoch wollte er auf Nummer sicher gehen. Mit einem Yajuu kamen die Zwillinge ja klar, auch zwei waren kein Problem, doch bei dieser Anzahl, waren sie schnell überfordert. Es gelang ihnen den ersten niederzustrecken, als sein Platz bereits von einem anderen eingenommen wurde. Yara ging auf direkten Konfrontationskurs mit den Yajuu, während Seth ihm Feuerschutz gab. Gegen Menschen funktionierte das super, bei Yajuu nur eingeschränkt, da sie schneller und stärker waren und wenn die Zwillinge nicht richtig trafen, heilten die Yajuu einfach wieder. Dennoch waren die Zwillinge nicht schwach. Kyria hatte ihnen so das kämpfen gelehrt, wie sie als damals als Hunter auch gelernt hatte und Kyria war immerhin eine der besten ihrer Zunft gewesen, was niemand bestreiten konnte. Yara und Seth waren durchaus talentiert, ihnen fehlte nur die Erfahrung. Als die beiden zusammen vier Yajuu getötet hatten, begann sie jedoch zu ermüden. Immer weiter wurden sie in eine Ecke gedrängt. Der erste Yajuu brach durch und näherte sich nun Tiara. „Renn weg!“, rief Seth gehetzt und schoss, traf den Yajuu aber nicht perfekt, sodass dieser seinen Weg nach kurzer Verzögerung fortsetzte. Nun griff ein anderer Yajuu Seth an und er musste sich selbst verteidigen. Auch Yara war beschäftigt und so war Tiara allein. Mit ausgestreckten Armen positionierte sie sich vor Kei. „Ich weiß, dass Luca euch geschickt hat. Aber so leicht bekommt ihr Kei nicht.“, rief sei dem Yajuu zu und zeigte keine Angst, obwohl sie wusste, dass sie keine gute Kämpferin war. Es reichte für ein bisschen Selbstverteidigung, aber mehr nicht. Der Yajuu schien sich zu amüsieren. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er vor Tiara zum Stehen kam. Ihre Blicke trafen sich und in diesem Moment wünschte sich Tiara, dass sie selbst eine Exile wäre. Dann könnte sie Kei verteidigen, aber da sie nach wie vor regelmäßig ihre Medizin nahm, war sie weit davon entfernt, eine zu werden. Auf einmal schnitt sie eine Klinge. Es war nicht tief, wenngleich schmerzhaft. Der Yajuu spielte mit ihr. Immer wieder griff er sie an und verletzte sie. Er wartete wohl auf den Moment, in dem sie aufgab und den Weg freiwillig frei machte, aber das würde nicht geschehen. Mit blutigen Armen und Beinen stand sie da, wie ein Felsen in der Brandung. Langsam wurde der Yajuu jedoch ungeduldig und seine Schläge dementsprechend kräftiger. Tiara biss die Zähne zusammen, wich jedoch weiterhin nicht vom Fleck. Yara und Seth hatten derweil einen weiteren Yajuu erledigt, blieben aber noch neun weitere, die ihrer Aufmerksamkeit bedurften. Sie konnten Tiara nicht helfen. Nun zischte der Yajuu sie ungeduldig an. Die Klinge, die er nun bereit machte, sah deutlich gefährlicher aus, als die letzten und Tiara war klar, dass es ihm nun reichte. Er würde mit dem nächsten Angriff ernst machen. Bevor sich Zeit zu reagieren hatte, sauste die Klinge bereits auf sie zu. Sie zwang sich, sich nicht vom Fleck zu rühren und starrte so direkt in das Antlitz des Todes, als die Klinge nur Millimeter von ihrer Nasenspitze gefangen wurde. Eine weiße Klaue hatte die Klinge gepackt und hielt sie nun so fest, dass der Yajuu nicht wegkonnte. Kei war aufgewacht. Schwer atmend analysierte er die Lage. Der ihm so vertraute Blutgeruch hatte ihn zurückgeholt, auch wenn er kurz davor war, wieder das Bewusstsein zu verlieren. „Was zum Teufel machst du hier.“, stöhnte er angestrengt, als er sah, wie mitgenommen Tiara aussah. Dann blickte er zum Yajuu, der ihr das offenbar angetan hatte. Einen Sekundenbruchteil später hatte er den Yajuu mit einer Klinge aufgespießt und getötet. Unter größter Anstrengung erhob sich Kei und blickte zu dem Kampf, der sich unweit von ihm abspielte. Die Zwillinge waren so vertieft, dass sie nichts davon mitbekamen. Gerade wich Yara einem Yajuu aus und wollte kontern, als genau hinter ihm ein weiterer Yajuu zum Angriff überging. Als Yara das bemerkte, war es bereits zu spät. Er sah eine Klaue auf sich herabfahren, als der Yajuu in der Mitte zerteilt wurde. Dann starrte er in das Antlitz des riesigen Exile. Obwohl dieser unheimlich mitgenommen aussah, war er noch immer viel furchterregender, als alle Yajuu hier zusammen. Auch die Yajuu hatten endlich gemerkt, dass Kei wieder aufgewacht war. Zusammen starteten sie einen recht verzweifelten Angriff, doch Kei streckte sie mit seinen Klingen so schnell nieder, dass keiner der Anwesenden Menschen das mitverfolgen konnte. Die Leichen der Yajuu knallten zu Boden und dann war es einen Moment totenstill. Schwer atmend ging Kei nun wieder auf die Knie. „Ihr hättet nicht herkommen sollen.“, meinte er schwer atmend. „Was wollt ihr überhaupt?“ „Wir sind hier, um dich zu retten.“, meinte Tiara selbstsicher, „Du bist ein riesiger Lügner, weißt du das? Von wegen, dir geht es gut. Luca hat dich vergiftet, nicht wahr? Du stirbst!“ Während die Zwillinge das schweigend betrachteten, gab Kei zurück: „Ja, ich hab gelogen. Aber wie bitte, wollt ihr mir helfen? Nur eine Chimäre könnte das Gegengift herstellen und ich wüsste nicht, dass ihr eine kennt.“ „Vielleicht kann dir Kyria ja helfen.“, erklärte Tiara nun, „Bitte, wir müssen es wenigstens versuchen. Ich kann dich hier nicht einfach sterben lassen.“ Kei atmete schwer und tat sich noch schwerer bei Bewusstsein zu bleiben. „Ich kann nicht…“, stöhnt er schwach, „Ich bin am Ende.“ Tiaras Blick verschwamm. Sie kämpfte mit den Tränen, als sie sah, wie nah Kei dem Tod schon war. Aber sie konnte ihn nicht aufgeben. Plötzlich stemmten sich sowohl Yara, als auch Seth gegen Kei und versuchten ihn wieder hochzudrücken. „Nun steh schon auf, du riesiger Exile. Unsere Schwester weint schon wegen dir, also streng dich gefälligst ein bisschen an.“, herrschte Seth ihn. Das war Kei nun wirklich nicht gewohnt, so von Menschen behandelt zu werden. „Du kannst jetzt nicht sterben.“, meinte auch Yara, „Du bist uns nämlich, genau wie Tiara, einige Erklärungen schuldig! Also reiß dich zusammen.“ Obwohl Kei das Blut bereits aus den Mundwinkeln tropfte, sammelte er seine ganze Kraft, die ihm noch verblieb zusammen und stemmte sich vom Boden auf. Das er dabei einen Schwall Blut aus der riesigen Wunde an seinem Bauch verlor, versuchte jeder der hier Anwesenden zu ignorieren. „Na geht doch.“, riefen die Zwillinge motiviert und obwohl Kei bei jedem Schritt einzuknicken drohte, taten sie ihr bestes, dass er stehen blieb. Auch Tiara versuchte ihn zu stützen. Letztlich kamen sie sogar einige hundert Meter weit, doch dann verließen Kei endgültig die Kräfte. Er brach zusammen und das konnten die drei Menschen unmöglich mehr stützen. Kei knallte unsanft zu Seite. Er atmete hektisch, als bekäme er keine Luft und Tiara überprüfte seinen Puls, welcher immer schwächer wurde. „Es hat keinen Zweck.“, sagte Kei schwach. Nach jedem Wort musste er Atmen, bevor er weitersprechen konnte. Die Zwillinge versuchten ihn ein letztes Mal hochzustemmen, aber ein Exile, der mehrere hundert Kilo wog, war zu viel für die beiden. „Aber was machen wir denn jetzt?“, fragte Tiara verzweifelt, „Komm schon Schatz, du musst kämpfen. Gib nicht auf!“ Aber von Kei kam keine Antwort mehr. Mit halbgeöffneten Augen starrte er ins Nichts. Nur noch stoßweise atmete er und Tiara gab auf. Sie brach neben ihm zusammen und begann zu weinen. Neben ihr standen die Zwillinge, die hilflos und betrübt zusahen, wie ihre Schwester Tränen für die Person vergoss, die sie so sehr liebte. Sie wollten Tiara trösten, aber außer bei ihr zu sein, wussten sie keine Worte zu finden, die helfen würden. Kapitel 19: Der Schutzengel --------------------------- Da erschien eine verhüllte Gestalt auf der Wiese. Es war offenbar eine Frau, die aber durch einen langen Umhang, Mundschutz und Kapuze nicht zu erkennen war. Von der Ferne hatten sie die Frau zwar schon einmal mit Kyria reden sehen, aber sie hatten keine Ahnung, wer sie war oder woher sie kam. Mit leisen Schritten kam die Frau nun näher und betrachtete sich den Exile und die Menschen davor. Schützend stellten sich Yara und Seth vor den Exile. Warum sie das taten, wussten sie selbst nicht. Da blieb die Frau stehen und hob die Hände. Sie wollte niemandem schaden, gab sie zu verstehen, auch wenn sie nicht sprach. Tiara, die noch immer weinte, schaute nun auch auf und blickte mit verzweifelten Augen zu der geheimnisvollen Frau. Keiner sagte ein Wort, als sie näher kam und je eine Hand auf die Stirn und die Flanke des Exile legte. … Ich hatte ein Auge auf die drei, seit sie das Viertel verlassen hatten. Vale und Pik waren jagen und Kyria, mit der wir uns zuvor getroffen hatten, hatte sich ihnen angeschlossen, weshalb sie mich gebeten hatte, ein Auge auf das Viertel zu haben. Als die drei dann eilig die Wohnung der Zwillinge verließen, wusste ich schon, dass etwas nicht stimmte und folgte ihnen unauffällig. Ich war überrascht zu sehen, dass sie den Tiergarten aufsuchten und noch überraschter war ich, als ich den Exile wiedererkannte. Als Tiara verzweifelt versuchte ihn zu retten, stand mein Entschluss bereits fest. Beinahe hätte ich schon in den Kampf gegen die Yajuu eingegriffen, aber zunächst hatten die Zwillinge das beeindruckend im Griff gehabt. Als Tiara dann Gefahr lief, zu sterben, Kei jedoch einschritt, war ich mir sicher, dass auch der Exile Tiara wirklich liebte. Ich erkannte schnell, dass er vergiftet war, denn Lucas Gift war deutlich zu spüren. Schließlich brach er zusammen. Es war schon beeindruckend genug gewesen, dass er so lange durchgehalten hatte. Er musste ein wirklich mächtiger Exile sein, wenn er dem Gift einer Chimäre so lange standgehalten hatte. Dann war Tiara zusammengebrochen, was mir wiederrum das Herz brach und mich zwang, einzugreifen. Ich konnte nicht länger tatenlos zusehen. Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich das tun sollte, was ich jetzt tat, musste ich es dennoch versuchen. Für Tiara. Nachdem die Zwillinge mich zu Kei gelassen hatten, legte ich zunächst eine Hand auf seine Flanke um zu sehen, wie es um ihn bestellt war. Sein inneres war ein einziges Chaos. Kaum ein Organ funktionierte noch. Das Gift hatte in ihm wirklich gewütet. Es war ein Wunder, dass sein Herz noch schlug. Langsam strich ich über das Fell des Exile und betrachtete mir die klaffende Wunde an seinem Bauch. Hier roch man das Gift am deutlichsten. Ich hockte mich vor die Wunde und dann ging alles ganz schnell. Ich ritzte mir in den Arm, sodass mein Blut über meine Handfläche floss. Dann rammte ich meinen Arm durch die Wunde in den Körper des Exile, bis ich sein Herz zu fassen bekam. Entsetzt starrten mich die Drei an, doch keiner wagte mich zu unterbrechen. Scheinbar vertrauten sie mir genug, dass sie ich Kei nicht umbrachte. Oder ihnen fehlten schlichtweg die Alternativen. Als ich mir sicher war, dass mein Blut in seinem Herzen war, zog ich den Arm wieder heraus, wobei ein bisschen Blut umherspritzte. Ich hoffte einfach, dass das, was bei Chimären funktionierte, auch bei Exile klappen würde. Meine Wunde war nun verschlossen, stattdessen ließ ich mein Silber erscheinen, welches sich als filigranes Netz um meine Hand schloss. Diese legte ich nun auf die Stirn des Exile, die andere Hand auf dessen Flanke. Dann jagte ich einen großen Stoß meiner Macht durch den Körper des Exile hindurch. Das Silber glühte kurz auf, dann wurde es wieder dunkel. Erschöpft erhob ich mich wieder. Kei hatte mehr meiner Macht gefordert ihn zurückzuholen, als ich angenommen hatte. Nun musste er den restlichen Kampf jedoch selbst gewinnen. Während die Zwillinge mich einen Moment skeptisch beäugten, starrte Tiara auf Kei. Sie hielt eine seiner Hände und die Sekunden verstrichen. Dann zuckte er zusammen. Es war so heftig, dass er seine Hand Tiara entriss. Als ich sah, dass seine Federn an den spitzen silbern wurden und sich von den Spitzen ein feines und filigranes silbernes Muster über Kei ausbreitete, wusste ich, dass es funktioniert hatte. Das filigrane Muster zog sich über seinen gesamten Rücken bis zu einem Teil des Gesichts. Gleichzeitig schloss sich die riesige Wunde an seinem Bauch und er spuckte Unmengen von Blut aus. Tiara weinte noch immer, nun aber vor Freude. Doch die Freude kam zu früh. Ich spürte sofort, dass Kei momentan noch nicht wieder bei Bewusstsein war, auch wenn sich sein Körper bewegte. Bevor ich reagieren konnte, hatte eine Klinge Yara und Seth bereits mehrere Meter nach hinten geschleudert, ohne die beiden damit glücklicherweise zu verletzen und auch ich fand mich in der Luft wieder. Ich hatte eindeutig die Macht eines gelisteten Exile unterschätzt. Verdutzt starrten Yara und Seth zu Tiara, die nun ganz allein vor der riesigen Bestie stand. Ihr Blutgeruch war nach dem Angriff des Yajuu vorhin noch allgegenwärtig und während ich noch versuchte der Klinge auszuweichen, die mich von den beiden fernhalten sollte, knurrte Kei bereits voller Inbrunst und richtete seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf Tiara. Diese rührte sich zu meinem Entsetzen nicht vom Fleck. Mit unbeirrtem Blick starrte sie ihn direkt an. Ausgefahrene Klauen rasten auf sie zu, als sie flüsterte: „Ich hab keine Angst vor dir, Kei. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass es ok ist?“ Mit einer schnellen Bewegung zog sie sich das Tuch vom Hals und gab den Blick auf ein Pflaster frei, dass sie schwungvoll abzog. Sofort erstarrte Kei in der Bewegung und ich atmete erleichtert aus. Ganz sanft strich er nun eine Haarsträhne zurück und strich dabei über die Wunde, die Tiara freigelegt hatte. Endlich kam er wieder zu sich. Er brauchte einen Moment zu realisieren, was gerade geschah. Sein Blick ging zu den Zwillingen, dann zu mir und schließlich zu Tiara, die ihn mit großen Augen anschaute. „Kei…“, schluchzte sie leise und nun galt seine gesamte Aufmerksamkeit nur ihr. Dieser ging auf die Knie und schloss Tiara in seine Arme. Es war bizarr zu sehen, wie liebevoll diese Bestie mit Tiara umging. Er hielt sie in den Armen so vorsichtig, dass ich mir sicher war, dass ihr nichts geschehen würde. Die Zwillinge standen schweigend daneben und betrachteten das Schauspiel mit einer Mischung aus Neugier und Verwunderung, während sie wieder näher kamen. Letztlich lösten sich die beiden wieder voneinander und endlich verwandelte sich Kei wieder in seine menschliche Gestalt zurück. Mit Tiaras Hand in seiner blickte er mich an und meinte schließlich ruhig: „Danke und Entschuldigung für den Angriff. War nicht meine Absicht gewesen.“ Ich nickte ihm nur zu. Später würde ich wohl mal allein mit ihm reden müssen, um zu klären, was sich eventuell durch meine Kräfte verändert haben konnte, aber für den Moment war das egal. Nun zählte nur, dass er lebte und Tiara glücklich war. Obwohl die Zwillinge Kei noch immer kritisch beäugten, behandelten sie ihn wie einen normalen Menschen. „So und du datest also unsere Schwester?“, fragte Yara mit einem merkwürdigen Unterton. „Jup.“, gab Kei mit dieser gelangweilten Tonlage zurück, die er perfekt beherrschte, während sie sich an seine Seite kuschelte. Zusammen gingen wir zum Viertel zurück, als dieses Gespräch aufkam. „Wie bitte habt ihr euch kennengelernt?“, fragt nun Seth neugierig und mit etwas Unglauben in seiner Stimme. „Lange Geschichte.“, lachte Tiara fröhlich, „Aber keine Sorge, ich werde euch nachher alles erzählen. Hab euch ja Antworten versprochen.“ Man sah es Kei zwar auf den ersten Blick nicht an, aber auch er wirkte durchaus zufrieden im Moment. Wenn man ihn so sah, glaubte man nie im Leben, dass er ein gelisteter Exile sein konnte. Nun aber machten wir uns gemeinsam auf den Rückweg. Ohne weitere Angriffe kamen wir schließlich bei Tiaras Wohnung an. Mittlerweile war auch Kyria zurückgekehrt, die nicht schlecht staunte, als Kei die Bleibe ebenfalls betrat. Den Rest des Abends erklärte Tiara alles. Sie erzählte, wie sie und Kei sich kennengelernt hatten und schließlich sogar zusammengekommen waren. Dann erklärte sie, dass sie ihn gebeten hatte, ein Auge auf Luca zu werfen, was er natürlich getan hatte und letztlich kam sie zu dem Punkt, wie sie sich heimlich davongeschlichen hatte, um ihn zu treffen, dabei jedoch gefangen genommen worden war. Tiara erzählte von dem Treffen mit Luca und dem darauf folgenden Kampf und endete schließlich damit, wie sie versucht hatte, ihn zu retten. Kyria schien zunächst etwas fassungslos über all die Male, die sich Tiara unvorsichtiger Weise davongeschlichen hatte, letztlich seufzte sie jedoch und akzeptierte all das irgendwie. Manchmal warf auch Kei das ein oder andere in das Gespräch mit ein, ließ jedoch Tiara den Hauptteil erzählen. Wenngleich er mir immer noch undurchsichtig erschien, war er offenbar in Ordnung. Vale und Pik, die mit Kyria zusammen zurückgekehrt waren, hörten ebenfalls zu, hielten sich jedoch im Hintergrund. Kyria hatte uns als drei Bekannte vorgestellt, die für eigene Angelegenheiten in der Stadt waren, ihr jedoch manchmal unter die Arme griffen, was ja nicht einmal gelogen war. Später, als Tiara und die Zwillinge längst zu Bett gegangen waren, kam Kei zu uns getrottet. „Ich wusste doch, dass du eigene Pläne verfolgst, aber dass du das für einen Menschen tust, hätte ich nie gedacht.“, lachte Vale, als Kei in die Küche eintrat. Er war nun bester Laune, jetzt da er wusste, was sein alter Freund für Gründe für sein Handeln gehabt hatte. „Ja, ja.“, seufzte Kei gelangweilt und ließ sich auf einem der Stühle nieder. „Hast du echt geglaubt, dass ich sowas unterstützen würde?“ „Nicht wirklich, aber bei dir weiß man ja nie.“, gab Vale zurück und grinste frech, woraufhin Kei die Augen verdrehte. Ich unterdrückte ein Kichern. Pik und Kyria betrachteten das schweigend und dachten sich scheinbar ihren eigenen Teil. Schließlich richtete Kei das Wort jedoch an mich. „Also“, begann er, „Wer bist du?“ Ich nahm meine Kapuze und den Mundschutz ab und lächelte Kei nun freundlich an. „Mein Name ist Lua.“ Kei hob verwundert die Augenbrauen. „Die Lua? Hätte nicht gedacht, dass ich dich mal live erleben würde. Nett deine Bekanntschaft zu machen und natürlich danke, dass du mir das Leben gerettet hast.“ „Kein Problem.“, meinte ich und wurde leicht rot, „Ich habe gesehen, wie Tiara an dir hängt und ich weiß, dass du sie nicht anzulügen scheinst. Da konnte ich nicht einfach tatenlos zusehen, wie dich das Gift der Chimäre umbringt.“ „Apropos. Was genau hast du eigentlich mit mir gemacht? Ich fühle mich seitdem irgendwie… anders.“ Kei wirkte etwas unsicher, wie er das beschreiben sollte, aber ich wusste, was er meinte. „Naja…“, begann ich unsicher, weil ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte, „Ich musste dir etwas von meiner Macht geben, um dich zurückzuholen. Wahrscheinlich fühlst du dich deswegen so komisch, weil sie ein Teil von dir geworden ist. Ich kann dir nicht sagen, inwiefern sich das genau auf dich auswirkt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dich zumindest zum Teil zur Chimäre gemacht habe. Anders habe ich dich nicht immun bekommen.“ Kei schwieg einen Moment und dachte nach. „Ok…“ sagte er schließlich erstaunlich gelassen, „Damit komme ich schon klar. Nicht gerade das, was ich wollte, aber hey. Immerhin lebe ich noch.“ Ein Stein fiel mir vom Herzen, dass er das so locker nahm. „Jetzt da ich dir mein Leben schulde, was verlangst du von mir als Gegenleistung?“, fragte er plötzlich. Doch ich winkte nur ab und lachte. „Nichts, wirklich. Pass einfach weiterhin auf Tiara auf und vielleicht auch auf Yara und Seth und dann bin ich glücklich. Ich habe dich nicht gerettet, weil ich dafür etwas im Gegenzug erwarte.“ Einen Moment blickte mich Kei verwirrt an, war er wohl nicht gewohnt, dass Leute anderen Leuten einfach halfen, ohne etwas dafür zu verlangen, aber letztlich schien er das zu akzeptieren. „Ist gut.“, sagte er lächelnd, „Das bekomme ich schon hin.“ „Hey Kyria, dann hast du ja jetzt tatkräftigte Unterstützung hier.“, meinte nun Vale gut gelaunt und klopft Kei auf die Schulter, der das stumm ertrug. „Scheint so.“, meinte diese mit ruhiger Miene. „Ich habe viel von dir gehört.“, meinte sie nun zu Kei, „Aber ich freue mich, dass du auf unserer Seite bist. Du hast mir wirklich Kopfschmerzen bereitet.“ Kei begann zu grinsen, was seine blauen Augen regelrecht strahlen ließ. „War nicht meine Absicht.“ Nun musste auch Kyria kurz lächeln. Eine Weile unterhielten wir uns noch über dieses und jenes, Kei erzählte alles, was er von der Gang wusste und dann beschlossen wir auch schlafen zu gehen. Der Sonnenaufgang war ohnehin nicht mehr weit, aber ich war furchtbar erschöpft. Immerhin war ich den ganzen Tag auf den Beinen gewesen, hatte nichts gegessen und dann noch einiges meiner Macht verbraucht, um Kei zurückzuholen. Ich brauchte dringend meine Ruhe. Kei hingegen gesellte sich zu Tiara, die in ihrem Bett schlief. Einen Moment verweilte er an ihrer Tür, unsicher, was er jetzt machen sollte. Sie hatte ihn zwar gebeten, später noch einmal vorbei zu schauen, aber aufwecken wollte er sie nun auch nicht unbedingt. Da er in der Dunkelheit perfekt sah, betrachtete er eine Weile schmerzerfüllt die unzähligen Wunden, die der Yajuu ihr zugefügt hatte. Er konnte nicht fassen, dass sie ihn auf diese Art beschützen wollte. Dabei war es doch seine Aufgabe, sie zu beschützen. Gleichzeitig meldete sich aber auch sein Magen wieder zu Wort. Er verabscheute sich selbst dafür, dass der leichte Blutgeruch, der von ihr ausging, seine Instinkte weckte. Aber es war logisch. Er hatte seit Wochen nicht mehr gejagt und hatte heute so viel Energie verbraucht, dass er nur ausgehungert sein konnte. Er wollte ihr Zimmer gerade wieder verlassen, um keine Dummheit zu begehen, als er es hinter sich rascheln hörte. „Kei?“, fragte eine verschlafene Stimme und er drehte sich wieder zu ihr um. Sie wirkte erschöpft, aber ansonsten schien es ihr gut zu gehen. „Jup, ich bin´s.“, meinte er zurück und sah, wie sich Tiara aufsetzte und ihre Nachttischlampe anschaltete. Einen kurzen Moment mussten sich seine Augen an das neue Licht gewöhnen, doch dann kam er näher zu ihr heran. Den Hunger ignorierte er dabei geflissentlich. „Wie geht es dir jetzt?“, fragte Tiara mit einem Anflug von Sorge und betrachtete ihn eingehend. „Hey, schau nicht so.“, gab er verlegen zurück, „Alles wieder gut, ok? Bin ein bisschen müde und ein bisschen hungrig, aber sonst geht es mir wieder blendend. Und dieses Mal lüge ich nicht, versprochen.“ Offenbar zufrieden mit dieser Antwort verzogen sich die Sorgenfalten aus Tiaras Gesicht wieder und sie seufzte erleichtert aus. „Ein Glück. Ich bin so froh, dass du noch lebst. Ich hatte echt Angst, dass du es nicht schaffst.“ „Naja… Es war auch knapp.“, musste Kei nun zugeben und setzt sich an ihre Bettkante. „Aber Schwamm drüber. Es ist vorbei und jetzt will ich nie mehr sehen, dass du wegen mir weinst, verstanden? Ich bin ein gelisteter Exile. Um mich weint man nicht.“ Plötzlich drückte sich Tiara an seinen Oberkörper und schlang die Arme um ihn, als wolle sie ihn nie mehr gehen lassen. „Ich bin so froh, dass du jetzt hier bist.“, nuschelte sie gegen sein Shirt und Kei legte einen Arm um sie. „Ich bin auch froh.“, sagte er leise und spürte wie seine Augen zu glühen begannen. Nicht jetzt, raunte er sich selbst innerlich an. Tiara zog ihn nun unvermittelt neben sich auf das große Bett, wobei ihr Blick an seinen Augen haften blieb. „Du hast nicht nur ein bisschen Hunger, kann das sein?“, stellte sie trocken fest. Kei schluckte schmerzhaft und wollte sich wieder aufsetzen, doch nun legte sich Tiara mit ihrem Oberkörper auf seine Brust und hinderte ihn daran. „Du weißt, dass du dich bei mir nicht zurückhalten musst.“, meinte sie nun leise und Kei schaute angestrengt in eine andere Richtung. „Du wurdest heute schon genug verwundet.“, meinte er stattdessen, „Da muss ich nicht auch noch damit anfangen. Zumal ich vorhin doch eh schon beinahe auf dich losgegangen wäre.“ Da seufzte Tiara kurz und kratzte sich mit einer schnellen Bewegung eine der Wunden von vorhin wieder auf. Ein kleiner Tropfen Blut landete direkt neben Keis Lippen und entsetzt starrte er sie an. „Du hast mich vorhin schon mal angelogen und wenn ich sehe, dass deine Augen heller Glühen als der Mond, dann verbiete ich dir jegliche Widerrede. Verstanden? Morgen kannst du ja richtig jagen gehen, aber ich kann dich doch so nicht rumlaufen lassen.“ Ihre resolute Stimme, die absolut kein Widerwort duldete, ließ Kei einknicken. Seine Zurückhaltung hing ohnehin nur an einem seidenen Faden, der gerade gefährlich gespannt wurde. Vorsichtig umgriff er ihr Handgelenk und leckte über die Wunde an ihrem Arm, die sie soeben wieder geöffnet hatte. Als der Geschmack des Blutes ihn jedoch traf, riss der Faden endgültig. Blitzschnell wirbelte er herum, sodass Tiara nun unter ihm lag. Mit hungrigem Blick schaute er sie an, doch sie lächelte nur liebevoll. Sie hatte keine Angst vor ihm, vertraute ihm scheinbar so sehr, dass er sie nicht ernsthaft verletzte, dass nicht einmal ihr Herz einen Takt schneller schlug. Dann beugte er sich zu ihr herab, küsste sich ihre Halsbeuge entlang und biss letztlich zu. Tiara zuckte kurz zusammen, doch dann entspannte sie sich wieder, während er versuchte, ihr ja nicht zu viel Blut zu nehmen. Etwas widerwillig löste er sich anschließend wieder von ihr. Seine Augen glühten noch immer, war er noch lange nicht satt, aber für den Moment musste es reichen. Stattdessen gab er ihr noch einen Kuss auf jene Stelle, die er eben noch gebissen hatte und legte sich dann neben sie, während sie sich an ihn kuschelte. „Du bist ein wahrlich verrückter Mensch.“, sagte er leise und Tiara kicherte kurz auf. „Ich weiß und du ein komischer Exile.“ Kapitel 20: Eine letzte Warnung ------------------------------- Luca ging es, milde gesagt, furchtbar. Kei hatte ihn furchtbar zugerichtet und auch wenn Luca dieses Mal selbst die Kontrolle über sich zurückerlangen konnte, war er gerade mehr als ausgebrannt. Zwar waren alle Wunden mittlerweile verheilt, doch fit war Luca noch lange nicht. Nun saß er einsam und verlassen in seinem Hauptquartier. Shirai und ihr Bruder waren auf die Krankenstation gebracht worden, nachdem Kei sie mit nur einem Schlag gekonnt außer Gefecht gesetzt hatte. Bisher waren beide noch immer nicht wieder bei Bewusstsein. Die Nachricht von Keis Betrug hatte sich wie ein Lauffeuer im Lager verbreitet und obwohl sofort duzende von Yajuu die Verfolgung aufgenommen hatten, war noch immer keine Nachricht gekommen, dass man Kei gefunden hatte. Obwohl Luca wusste, dass er ihn tödlich getroffen hatte, zweifelte er daran, dass er ihn auch getötet hatte. Er konnte sich das Gefühl nicht erklären, aber dennoch war er sich sicher, dass Kei es irgendwie geschafft hatte, sein Gift zu überlisten. Wie im Dämmerzustand ließ Luca also die Nacht an sich vorbeiziehen. Er duldete keinen Besuch und in diesem Zustand wagte es auch niemand, ihn zu stören. Irgendwann war Luca eingeschlafen. Seine Träume waren wie immer dieses wirre durcheinander aus Gedanken, Erinnerungen und schlichtweg Kauderwelsch. Schließlich fand er sich jedoch in einem Raum wieder, den er nicht kannte. Es handelte sich um einen kleinen Raum von vielleicht 5x5 Metern Größe. Außer einem Stuhl und einer Couch waren keine Gegenstände zu sehen. Die Wände waren kahl und strahlten eine unwillkommene Stimmung aus, die Luca wünschen ließ, von hier zu verschwinden. Plötzlich hörte er eine Stimme. „Oha, Besuch.“ Vorsichtig blickte sich Luca um und erkannte, dass auf der Couch jemand saß. Warum er die Person vorher nicht bemerkt hatte, war ihm ein Rätsel. Er näherte sich vorsichtig und sah… sich. Um genau zu sein, sein etwa 13 Jahre altes Ich. Perplex starrte Luca sein anderes Ich an und sagte nichts. „Was ist? Willst du hier Wurzeln schlagen? Setz dich doch.“, ertönte es nun und der Junge zeigte auf den Stuhl. Etwas widerwillig folgte Luca der Aufforderung und setzte sich. „Wer bist du?“, fragte Luca schließlich mit seiner üblichen kühlen Miene. „Wer ich bin? Ist das nicht eine unnütze Frage? Immerhin weißt du die Antwort doch bereits.“, gab sein Gegenüber belustigt zurück und lehnte sich zurück. „Sollte die wichtigere Frage nicht sein: Was mache ich hier?“ Ein kurzer Blickwechsel fand stand. Lucas junges Ich wirkte gewieft und das missfiel ihm sehr. „Gut, dann klär mich auf.“, brummte er schließlich. „Oh man… warum bist du immer so schlecht gelaunt? Ist ja wie eine Seuche mit dir. Wann hattest du das letzte Mal eigentlich gute Laune?“ Der Junge verdrehte genervt die Augen und starrte einen Moment ins Nichts. „Was geht es dich an? Ich bin oft glücklich.“, konterte Luca. Irgendwie brachte er sich selbst auf die Palme. Ging das überhaupt? „Schon klar.“, seufzte der Junge wieder und richtete den Blick zurück auf Luca, „Aber gut. Kommen wir zum eigentlichen Thema zurück. Was mache ich hier? Nun, wir haben dich eingeladen, weil wir mit dir reden wollten.“ „Wir?“ Luca hob fragend eine Augenbraue, sah er doch nur den Jungen und sonst niemanden. „Ja, wir.“ „Ich sehe aber niemanden außer dir.“, meinte Luca genervt und schaute sich erneut um, nur um sicher zu gehen, dass er nichts übersah. „Wie du meinst. Dann halt nur ich.“, kam es gelangweilt zurück. „Ich bin hier, um dich zu warnen.“ „Und wovor?“ Langsam ging Luca die Geduld für diesen merkwürdigen Traum aus. Was sollte der Blödsinn? „Davor.“ Nun schnipste der Junge mit den Fingern und die Wände des Raumes kippten weg, als wären sie ein Kartenhaus. Dahinter kam eine abartige Welt zum Vorschein, die Luca kaum beschreiben konnte. Alles wirkte finster, wie giftiger, schwarzer Nebel, der die ganze Zeit umherwirbelte, den Raum jedoch nicht traf. Manchmal konnte Luca in dem Nebel einzige Schatten erkennen oder Silhouetten, konnte jedoch nichts davon scharf sehen. „Willkommen in deiner Welt. Oder in unserer Seele, wie du es zu nennen wünschst.“, verkündete der Junge nun und ließ den Blick nicht von Luca ab, während der weiterhin versuchte, im Nebel etwas zu erkennen. „Meine… Seele?“, fragte dieser ungläubig. „Ganz genau. Vielleicht fällt dir ja auf, dass es hier etwas… düster aussieht. Um genau zu sein befinden wir uns im letzten Ort deiner Seele, die noch nicht von den Schatten verschlungen wurde, wenngleich dies natürlich auch nur eine Frage der Zeit ist.“ „Ich verstehe nicht…“ Luca blickte sich unsicher um. Sollte das wirklich seine Seele sein? „Zugegeben, das hier war noch nie ein besonders schöner Ort, aber immerhin hatten wir unseren Verstand noch für uns. Aber das geschieht mit dir, seit du diesen Vertrag mit dieser Hexe abgeschlossen hast. Ihre Magie zerfrisst diesen Ort. Sie verschlingt deine Erinnerungen und deinen Verstand. Ich meine, im Prinzip macht es ja genau das, was du dir immer gewünscht hast. Joker befreit dich von allen negativen Erinnerungen, von allem, was dir je Unglück bereitet hat. Aber hey, übrig bleibt aber auch nichts Gutes. Nur Elend und Hass, Gier und Neid. Bist du überhaupt noch dazu fähig, etwas Positives zu fühlen?“ Nun schwieg der Junge für einen Moment und ließ die Szenerie auf sein anderes Ich wirken. „Aber ich bin nicht hier, um dich zu bekehren, um ehrlich zu sein.“, erklärte er nun und Luca horchte auf. „Tatsächlich bin ich nur gekommen, um mich zu verabschieden.“ „Verabschieden?“, fragte Luca ungläubig. „Jup, meine Zeit neigt sich dem Ende entgegen. Du kannst dir vielleicht denken, dass ich alles bin, was noch von deinem wahren Ich übrig ist. Ich bin der letzte Rest von dem „Luca“, der früher diesen Körper geführt hat. Ich bin die Menschlichkeit, die du so sehr hasst. Acht Jahre habe ich versucht zu kämpfen, aber da du dein Bestes tust, mich zu zerstören, geht mir nun die Kraft aus. Herzlichen Glückwunsch also. Du hast dein Ziel fast erreicht.“ Erst jetzt fiel Luca auf, dass der Junge furchtbar blass wirkte. Tatsächlich schien er irgendwie durchsichtig, als könnte er jeden Moment verschwinden und das machte ihm plötzlich Angst. „Warte und was wird dann aus mir?“, fragte Luca nun beunruhigt, während er weiterhin auf den dicken Nebel starrte, der alles zu verschlingen drohte. „Was fragst du mich das?“, lachte der Junge finster, „Du hast doch diesen Weg gewählt. Es ist doch genau das, was du wolltest. Also was fürchtest du dich jetzt? Wenn du mich fragst, sind Verzweiflung, Hass und Jähzorn nicht die besten Begleiter, aber du scheinst dich ja bereits prächtig an sie gewöhnt zu haben.“ Wieder schwiegen sich beide an. Luca war sprachlos. Langsam wusste er nicht mehr, ob das wirklich nur ein Traum war oder ob das wirklich geschah. „Nun denn.“, meinte der Junge nun und sprang von der Couch auf. Er streckte kurz seine Glieder dann ging er zur Tür hinüber, die nach dem Fall der Wände als einziges noch stehen geblieben war. Mit einer Hand auf der Klinke hielt der Junge noch einmal inne und meinte: „Eine Sache noch zum Schluss. Ich verabscheue dich nicht. Es ist nicht so, dass ich deine Entscheidung nicht nachvollziehen könnte, immerhin bin ich du. Auch ich habe falsche Entscheidungen getroffen, als ich noch Herr im Hause war. Dennoch bin ich etwas enttäuscht, denn aus mir ist dank dir, wirklich ein Feigling geworden. Ich habe mich eigentlich als Kämpfer gesehen. Wann immer man mich zu Boden warf, bin ich wieder aufgestanden und habe weitergekämpft und das aus eigener Kraft. Dass du dich nun auf diese falsche Macht dieser Hexe verlässt und damit offensichtlich den leichtesten Weg wählst, finde ich schade. Jedoch was das angeht, musst du dich vor mir nicht rechtfertigen. Da gibt es jemand anderen, den das durchaus mehr stört.“ Luca wollte gerade fragen, was das zu bedeuten hatte, als der Junge mit Schwung die Tür öffnete. Ein letztes Mal drehte er sich zu Luca um, sagte jedoch nichts, als er hinaus in den Nebel trat. Fassungslos starrte Luca ihm nach. Er wollte etwas tun oder sagen, aber er war wie gelähmt. Die Tür fiel ins Schloss zurück, doch da keine Wände mehr da waren, konnte Luca gut erkennen, wie der Junge unbeirrt weiter in den Nebel hineinging, immer blasser wurde und letztlich verschwand. „Weg ist er.“, raunte es nun und Luca zuckte zusammen. Er hatte gedacht, jetzt allein zu sein, doch das war ein Trugschluss. Blitzschnell fuhr er herum, nur um dort, wo eben noch die Couch gestanden hatte, in das Antlitz der Chimäre zu starren. Mit ihren eisigen Augen durchbohrte sie Luca regelrecht. „Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass sich der Rest deines alten Ichs gerade verabschiedet hat, besser gesagt, aufgegeben hat?“, fragte die Chimäre nun mit ihrer dunklen Stimme. Sie wirkte ruhig und doch hörte Luca den unterschwelligen Zorn in ihrer Stimme. „Du kannst reden?“, war das erste, was Luca durch den Kopf schoss. „Natürlich.“ Obwohl die Chimäre saß, überragte sie ihn ein Stück. „Er meinte doch, WIR müssen reden. Er hat gesagt, was er zu sagen hatte und ist jetzt fort. Jetzt bin ich dran.“ Luca seufzte und ließ sich auf den Stuhl zurückfallen, von dem er aufgesprungen war, als sein anderes Ich zur Tür gegangen war. „Also gut… Ich höre.“, meinte Luca nun missmutig. Schlimmer konnte es ja kaum werden. „Verabschiedest du dich jetzt auch noch?“ „Keineswegs.“, meinte die Chimäre kühl, „Zumindest noch nicht.“ „Noch nicht?“ „Ich, im Gegensatz zu deiner besseren Hälfte, habe noch nicht aufgegeben. Solange dieser Raum nicht zusammenbricht, werde ich weiterexistieren.“ „Ok toll.“, brummte Luca nun zynisch, „Und was willst du dann bequatschen?“ „Ich habe eine Warnung an dich. Wie der Junge schon meinte, sehe ich die Macht die du benutzt, nicht so locker. Um genau zu sein, hasse ich es. Diese Hexe hat es gewagt, mich zu benutzen. Sie hat mir meine Macht geklaut, sie manipuliert und damit geschändet.“ „Wie meinst du das?“, fragte Luca verwirrt, „Ich dachte, es ist eh meine Macht, weil ich zur Chimäre geworden bin oder nicht?“ „Nicht ganz.“, knurrte die Chimäre, „Ich bin genauso Teil deiner ursprünglichen Seele, wie der Junge es gewesen ist. Wir haben zusammen gearbeitet, harmoniert, doch die Hexe hat alles zerstört. Jetzt benutzt du zwar noch meine Macht, aber du bist nicht mehr Ich. Lass es mich so formulieren, dass du es verstehst. Für mich bist du ein Parasit. Dank dir, habe ich fast keine Macht mehr, sie hat mir alles geklaut um dich zu erschaffen. Du bist nicht mehr, als die Schattenseiten von beiden Teilen deiner eigentlichen Seele. Wärst du geduldig gewesen, hättest du schon früh genug gemerkt, dass ich mehr als nur eine Affinität habe, aber da du ja die Hexe geholt hast, hat sie alles beschleunigt. Jetzt ist es kein Wunder, dass du deine Macht kaum im Griff hast, dass du ständig die Kontrolle verlierst, wenn du länger kämpfst und dass du niemals satt wirst, wenn du jagen gehst. Das liegt alles daran, dass ich kein Teil mehr von dir bin.“ Verächtlich schnaufte die Chimäre nun und sie peitschte mit dem Schwanz auf den Boden. „Heißt das also.“, meinte Luca perplex, „Dass ich was bin? Eine falsche Seele oder was?“ „Falsch.“, korrigierte mich die Chimäre, „Du bist weder der Junge noch Ich. Du bist auch keine falsche Seele. Du bist einfach nur das, was übrig bleibt, wenn man alles Gute einer Seele zerstört. Du bist der schmierige, finstere Rest, der zwar zu uns gehört, aber niemals ein Anrecht hatte, zu Wort zu kommen. Die Hexe hat das geändert. Ich hoffe du fühlst dich jetzt gut. Wobei ups, das geht ja gar nicht. Denn alles Gute ist mit dem Jungen gerade verschlungen worden.“ Langsam wurde Luca sauer. Was erlaubte sich die Chimäre da eigentlich? Sie beleidigte ihn in einer Tour. Im Prinzip bezeichnete sie ihn als Parasiten und als Dreck, was ihm so gar nicht passte. „Sei still!“, herrschte Luca die Chimäre nun an, „Du kannst mir hier gar nichts sagen, kapiert?“ Daraufhin schnaufte die Chimäre verächtlich und fletschte die Zähne. „Schweig, Parasit! Noch hast du die Chance, alles wieder gerade zu biegen. Solange ich noch existiere, ist auch der Junge nicht völlig verschwunden, denn unser beider Schicksale sind miteinander verknüpft, seit Seraphis mich zu einem Teil von dir machte. Doch sei gewarnt, auch meine Geduld verlässt mich, zusammen mit meiner verbliebenen Kraft, die die Hexe mir nicht stehlen konnte. Vor dir liegt ein bodenloser Abgrund, wenn du deinen Weg weiterbeschreitest. Noch hast du die Wahl ob du hinein springst oder nicht. Du magst es nicht wahrhaben wollen, aber du wirst kein Glück in diesem Abgrund finden. Das weißt du auch irgendwo, ganz tief in dir drinnen, doch leugnest es.“ „Was weißt du schon?“, zischte Luca genervt von dieser Moralpredigt. „Dummer Mensch.“, knurrte die Chimäre stattdessen. Es missfiel Luca sehr, so genannt zu werden, doch bevor er etwas dazu sagen konnte, spürte er einen merkwürdigen Zug an sich. „Verschwinde nun von hier. Ich habe keine Lust mehr, länger mit dir zu reden.“ Im selben Moment wurde Luca regelrecht davongerissen. Er hatte keine Chance sich dagegen zu wehren, konnte nicht protestieren. Er sah noch, wie die Chimäre den Blick von ihm abwandte, dann war er nur noch von Dunkelheit umgeben. Luca schreckte hoch. Sein Puls schlug verdammt schnell und er atmete heftig. Der Traum hatte ihn mehr mitgenommen, als er sich eingestehen wollte. Mit einer Hand fasste er sich an die Stirn und versuchte sich zu beruhigen, während kalter Schweiß sein Gesicht herabtropfte. Nur ein Traum, nur ein Traum, redete er sich innerlich ein. Als ob seine Seele wirklich so ein Chaos sein konnte. So ein Blödsinn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)