Contest Trouble von Auraya ================================================================================ Kapitel 30: Heilung ------------------- Auch in den folgenden Nächten wich Drew nicht von Maikes Seite. Der Arzt und die Krankenschwestern machten ihn zwar immer wieder darauf aufmerksam, dass er das eigentlich nicht durfte, aber sie hielten ihn am Ende auch nicht davon ab. Sie sahen selbst, dass es ihrer Patientin gut tat, Regeln hin oder her. „Denken Sie bloß bitte auch ein bisschen an sich selbst“, hatte der Doktor Drew nach der ersten Nacht ermahnt. „Sie brauchen selbst noch dringend Schlaf und Erholung.“ Drew war das egal. Das hatte für ihn keine Priorität, und er war so weit wieder fit, dass er das schon irgendwie aushalten würde. Außerdem legte er sich meistens für eine Weile hin, wenn Maike Besuch von ihrer Familie bekam, und konnte so ein wenig Schlaf nachholen. Nach drei Tagen verabschiedete sich Ash. Er hatte am Ende doch darauf verzichtet, seine Verärgerung Maike gegenüber zum Ausdruck zu bringen, doch er versprach, dass sie sich bald wieder sehen würden. Drew war sich sicher, dass er der Sache bloß einen Aufschub gewährte. Zur Freude ihrer Familie ging es Maike von Tag zu Tag wirklich viel besser. Sie wurde noch immer schnell müde und ihre Konzentration ließ rasch nach, doch auch da zeigten sich deutliche Verbesserungen im Vergleich zum ersten Tag, nachdem sie aufgewacht war. Die Prellungen heilten so langsam, während die Verstauchungen ihr noch eine Weile Ärger bereiten würden. Ihre Arme ließen sich mittlerweile auch wieder belasten und weitestgehend schmerzfrei bewegen - Tormund hatte sie wohl irgendwie verdreht als sie bereits ohnmächtig gewesen war, anders konnte die Koordinatorin sich das nicht erklären. Zusätzlich kam wahrscheinlich noch Muskelkater hinzu von ihrem Flug auf Glurak, als sie den bewusstlosen Drew nach Graphitport City gebracht hatten. Sie hatte ihn fast die ganze Zeit festhalten müssen. Ihr Auge war zum Glück mittlerweile auch abgeschwollen und der Bluterguss wechselte von rot zum berühmten blau. Damit würde sie wohl noch eine Weile umherlaufen müssen. Ansonsten waren bloß noch einige Schrammen und Schürfwunden und weitere blaue Flecken Zeugen von ihren Erlebnissen. Nichts, was nicht heilen würde. Da hatte sie wieder einmal Glück gehabt. „Blau ist echt nicht deine Farbe“, hatte Max einmal scherzhaft zu ihr gemeint, als er sich ihr blaues Auge näher ansah. „Dir ist schon klar, dass meine Augenfarbe auch blau ist, oder?“, hatte sie ihren kleinen Bruder mit hochgezogenen Augenbrauen gefragt, und dieser hatte bloß gelacht. „Du weißt schon, wie ich das meine!“ Am vierten Tag kam ihre Mutter mit einer Schere und versuchte, von ihren Haaren zu retten, was zu retten war. Am Ende fühlte sie sich wirklich wieder zehn Jahre in die Vergangenheit versetzt, als sie in den Spiegel sah. Die Ähnlichkeit war verblüffend, wenn man von ihrem sonstigen, eher bemitleidenswerten Auftreten einmal absah. Die Tage vergingen nun wie im Fluge. Nachdem Drew das Krankenhaus verlassen durfte, kam er bei Maikes Familie unter. Caroline bestand darauf, dass er sich das Geld für ein Zimmer im Pokemon Center sparte, und er nahm das Angebot dankbar an. Trotzdem verbrachte er die Nächte stets im Krankenhaus an Maikes Bett. Nach ein paar Tagen hatte sie ihm zwar gesagt, dass es in Ordnung wäre und er das nicht mehr tun müsse, doch er hatte bloß gelächelt und war dennoch geblieben. Alea kam öfter zu Besuch und lenkte Maike damit wunderbar ab. Drew zog sich dann stets zurück, um den Beiden etwas Zeit miteinander zu gönnen. Er wusste, dass das für Maike wichtig war, denn mit Alea konnte sie anders reden als mit ihm. Und als sie einige Tage später endlich auch das Krankenhaus verlassen durfte war von der müden, erschöpften und mitgenommenen jungen Frau gar nicht mehr so viel übrig wie befürchtet. Das einzige Problem war, dass sie nicht redete. Darüber, wie es ihr ging. Stattdessen schien sie sich immer weiter in sich selbst zurück zu ziehen. Einige unangenehme Wege standen noch an. So mussten sie zum Beispiel ihre Aussagen bei Officer Rocky machen und versuchen, ein paar der Bewahrer zu identifizieren - was ihnen jedoch schwer fiel, da sie die meisten nur maskiert gesehen hatten. Keith war nicht dabei und die Beiden fragten sich, was wohl mit ihm passiert war. Theodor hingegen war an diesem Tag sehr wohl dabei und sein bloßer Anblick nahm Maike sehr mit. Drew musste ab da das Reden übernehmen und auch auf dem Heimweg verlor sie kein Wort mehr. „Möchtest du darüber reden?“, hatte er gefragt, doch er erhielt keine Antwort. Zurück in ihrem Elternhaus zog sie sich sofort in ihr Zimmer zurück und ließ Drew ratlos und alleine im Flur stehen. Max spähte aus der Tür zum Wohnzimmer heraus und blickte den grünhaarigen Koordinator fragend an. „Was ist los?“, wollte er wissen. „War es so schlimm?“ Drew zuckte mit den Schultern. „Sie braucht gerade bestimmt einfach Zeit für sich, um das zu verarbeiten.“ „Also habt ihr jemanden wiedererkannt?“ „Ein paar Wenige, ja.“ Zu seiner Erleichterung hakte Max nicht weiter nach und sie sahen sich gemeinsam eine Sendung im Fernsehen an. Außer den Dreien war niemand im Haus, da Norman in der Arena zu tun hatte und Caroline mit Alea einkaufen war. Max seufzte, sichtlich gelangweilt vom Fernsehprogramm, und stand auf. Nachdem er sich einmal gestreckt und ausgiebig gegähnt hatte schlurfte er in Richtung Küche. „Ich mache uns mal Tee“, meinte er. „Kannst du Maike bitte fragen, ob sie auch welchen möchte?“ „Na klar“, antwortete Drew und machte sich sogleich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Dort angekommen klopfte er zwei Mal vorsichtig an die bloß angelehnte Tür. Es kam zwar keine Antwort, doch Maikes Luxio schob die Tür mit der Nase auf und schmiegte sich an die Beine des Grünhaarigen. Vorsichtig spähte er hinein, in der Hoffnung, dass er nicht schon wieder in einem unpassenden Moment auftauchte. Die Koordinatorin saß im Schneidersitz auf ihrem Bett und schien ins Leere zu starren. „Maike?“, versuchte er sie auf sich aufmerksam zu machen. „Ich wollte dich fragen, ob du auch einen Tee möchtest?“ Sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie sich zu ihm drehte. „Oh, hey Drew. Was hast du gesagt?“ Er runzelte die Stirn und betrat nun einfach ihr Zimmer. Vor ihrem Bett kniete er sich hin und sah ihr direkt in die Augen. „Etwas stimmt doch nicht. Was ist los?“ Er hatte nicht vorgehabt, sie jetzt darauf anzusprechen, doch er machte sich Sorgen. Zu sehr, um es einfach auf sich beruhen zu lassen. Maike ihrerseits wandte den Blick ab und schluckte schwer. „Nichts ist los“, log sie. Als sie ihn schließlich wieder ansah rang sie sich ein Lächeln ab. „Alles in Ordnung. Ich bin nur ein wenig müde.“ In Drews Brust verkrampfte sich alles. Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, schloss ihn sogleich aber wieder. Warum dachte sie, dass sie das mit sich allein ausmachen musste? Das war nicht richtig so! Er wollte ihr helfen - genauso wie all die anderen Menschen um sie herum. Sie musste es bloß zulassen. „Also, was hast du eben gesagt?“, hakte sie noch einmal nach und sah ihn fragend an. Er seufzte. „Max macht Tee. Ich habe gefragt, ob du auch einen möchtest.“ „Oh.“ Sie lächelte. „Ja, vielen Dank!“ „Willst du dann zu uns runter kommen?“, wollte er wissen, doch sie schüttelte langsam den Kopf. „Na gut“, meinte er, „dann bringe ich ihn dir gleich hoch, okay?“ „Danke, Drew.“ Er stand auf und verließ ihr Zimmer. Unten bei Max in der Küche angekommen sah ihn der Jüngere fragend an. „Sie nimmt einen. Ich bringe ihn ihr dann hoch.“ Max setzte dazu an, etwas zu sagen, überlegte es sich aber doch anders. So viele ungesagte Worte hingen in letzter Zeit ständig in der Luft. So viele Worte, die eigentlich gesagt werden mussten. Der Koordinator hoffte inständig, dass sich die Stimmung bald etwas auflockern würde. Einige Minuten später trat er erneut in Maikes Zimmer, eine Tasse dampfenden Kräutertee in den Händen. Er reichte ihn ihr und sie atmete mit geschlossenen Augen den Duft des Tees ein. „Darf ich mich setzen?“, fragte der Grünhaarige mit Blick auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch. Sie nickte. „Na klar!“ Nachdem er es sich bequem gemacht hatte, suchte er noch ein paar Sekunden nach den richtigen Worten. Er war sich nicht sicher, wie er das kommende Gespräch am besten anfangen sollte. Luxio sprang auf seinen Schoß und rollte sich zufrieden schnurrend zusammen, während der Koordinator es geistesabwesend streichelte. „Weißt du, Maike“, begann er schließlich, „du bist nicht alleine. Du musst das Alles nicht alleine tragen. Wir wollen und können dir dabei helfen, wenn du uns lässt.“ Sie presste die Lippen aufeinander und sah ihn wortlos an. Das ärgerte ihn. Wenigstens irgendetwas dazu sagen konnte sie doch! „Komm schon, das ist nicht fair. Besonders nicht deiner Familie gegenüber.“ „Was genau ist denn nicht fair?“, wollte sie leise wissen und sah ihn mit zu Schlitzen verengten Augen an. Eigentlich hätte er nun aufpassen müssen, was er als nächstes sagte, doch er ignorierte den vernünftigen Teil in ihm. „Dass du uns nicht helfen lässt ist nicht fair. Dass du uns anlügst. Ich will ja gar nicht von dir, dass du uns alles bis ins kleinste Detail erzählst, aber versuch doch nicht uns weis zu machen, dass es dir gut geht, während du dich immer mehr zurückziehst.“ Die Augen der Koordinatorin füllten sich mit Tränen, doch Drew konnte nicht genau sagen, ob diese von Traurigkeit oder von Wut herrührten. Oder von Beidem. „Na schön. Ja, Drew, es geht mir nicht gut! Ich bin gerade nicht glücklich! Nicht fröhlich! Nicht sorglos! Was für eine Überraschung.“ Sie stellte ihre Tasse mit zu viel Nachdruck auf ihren Nachttisch, sodass etwas heißer Tee auf ihre Hand schwappte und sie leise fluchte. Dann stand sie wutentbrannt auf und lief im Zimmer auf und ab. „Was willst du denn bitteschön hören? Du warst doch dabei, verdammt! Glaub mir, ich habe mir das Alles ganz anders vorgestellt, selbst bei den Bewahrern noch. Wer konnte denn ahnen, dass sie uns gleich umbringen wollen? Dass mich dieser Mistkerl...“ Sie brach ab und wischte sich mit dem Handrücken zornig eine einsame Träne weg. „Auch egal. Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Angst wie in den letzten Wochen und ja, Drew, das zehrt an mir und meinen Nerven! Und ich habe immer noch Angst! Ständig! Ich möchte am liebsten das Haus nicht mehr verlassen.“ Ein freudloses Lachen verließ ihre Kehle. „Ich möchte das Haus nicht mehr verlassen. Ich, ausgerechnet ich. Und dann sehe ich euch, wie ihr alle mit sorgenvollen Mienen um mich herum tänzelt und mich am liebsten in Watte packen würdet, aber das ist nicht hilfreich! Ich möchte, dass alles wieder normal wird. Ich möchte, dass alles wieder so wird wie früher, aber ich habe keine Ahnung, ob das überhaupt geht. Und davon mal ganz abgesehen, warum machst ausgerechnet du mir Vorwürfe? Du, der du selbst behauptest, dass es dir gut ginge! Das kann doch nicht die Wahrheit sein, oder?“ Drew wollte darauf antworten, doch sie ließ ihm keine Chance dazu, so sehr hatte sie sich in Rage geredet. „Und mir ist klar, dass ich unvernünftig war, dass ich vorher nicht alles gut genug durchdacht habe. Das ist richtig, und verdammt, das tut mir Leid!“ Der Koordinator legte ein wenig den Kopf schief. Soweit er wusste, hatte sie noch niemand auch nur im Ansatz darauf angesprochen, dass die gesamte Aktion extrem unüberlegt gewesen war. Das zeigte bloß, wie viel sie darüber nachdachte und sich selbst die Schuld gab. „Es lief alles von Anfang an einfach nur bescheiden, schon als ich aus dem verdammten Café in Graphitport City raus gegangen bin. Ach, eigentlich schon weit vorher, als ich das erste Mal das Vergnügen hatte, den Bewahrern zu begegnen. Aber ja, ich würde es wieder tun! Immer wieder, wenn ich irgendwem dadurch helfen kann. Und erst recht, wenn ich dir helfen kann!“ Als sie geendet hatte schluchzte sie und die Tränen, die sie vorher so verbissen zurückzuhalten versucht hatte, liefen ihr nun ungehindert über die Wangen. Drew stand auf und ging auf sie zu, um sie in den Arm zu nehmen, doch er zögerte, als er realisierte, dass sie kaum merklich vor ihm zurück wich. Es tat ihm beinahe schon körperlich weh, zu sehen, dass sie offensichtlich Angst vor ihm hatte. Aber er wollte das nicht auf sich beruhen lassen. Nicht zulassen, dass Platz für diese Angst war. In dem Wissen, dass er jetzt möglicherweise zurückgewiesen wurde, ging er noch einen letzten Schritt auf sie zu, sodass er unmittelbar vor ihr stand, und breitete die Arme aus. Maike schluchzte und zitterte und sah verwirrt zwischen seiner einladenden Geste und seinem fragenden Blick hin und her. Offensichtlich überließ er es ihr, zu entscheiden, ob sie mit so viel Nähe gerade umgehen konnte oder nicht. Sie presste unentschlossen die Lippen aufeinander. Eigentlich war sie doch wütend. Und eigentlich hatte sie gar nicht vorgehabt vor ihm zurückzuweichen, das war vollkommen unterbewusst passiert. Sie wollte nicht, dass er dachte, sie habe Angst vor ihm. Aber was ihr ohne Zweifel Angst machte war, diesen Schritt jetzt von sich aus zu gehen. Es war prinzipiell keine große Sache, doch bisher war alles von ihm ausgegangen, wie ihr plötzlich bewusst wurde. Jede Umarmung, jede Form von Nähe, auch der Kuss. Warum war ihr das zuvor nie aufgefallen? Sie spürte, wie sie bei der Erinnerung an den Kuss knallrot wurde und ließ den Kopf an seine Brust sinken, in der Hoffnung, dass es ihm dadurch nicht zu sehr auffallen würde. Drew musste einen erleichterten Seufzer unterdrücken. In den Sekunden, die sie gebraucht hatte um sich zu entscheiden, war er bis aufs Äußerste angespannt gewesen. Ganz vorsichtig legte er seine Arme um sie, so, dass man eigentlich kaum von einer wirklichen Berührung sprechen konnte. „Tut mir Leid“, sagte er zu ihr. „Was denn?“, murmelte sie ohne den Blick zu heben in sein T-Shirt. „Alles. Du hast Recht. Ich darf dir keine Vorwürfe machen, denn ich bin selbst nicht viel besser.“ Und es tat ihm unendlich Leid, dass sie seinetwegen überhaupt erst in diese Situation geraten war. Nur, um ihm zu helfen. „Aber ich bin jetzt vollkommen ehrlich zu dir, okay?“ Sie schniefte und hob mit fragendem Blick den Kopf. „Okay“, antwortete sie unsicher. „Gut.“ Er atmete tief ein. „Wenn du nicht möchtest, dass deine Familie dich in Watte packt, dann musst du mit ihnen reden. Sie sind total verunsichert und wissen nicht, wie es dir wirklich geht, weil du sie nicht teilhaben lässt. Sie machen sich Sorgen und sehen wie du leidest, aber sie sprechen dich nicht darauf an, weil sie dir Zeit geben wollen. Weil sie dich nicht zusätzlich belasten wollen. Also machen sie das einzig Logische: Sie gehen mit dir so vorsichtig um, als wärest du so zerbrechlich wie Porzellan. Wenn du dir Normalität wünschst, dann erreichst du diese nicht, indem du die Menschen um dich herum ausschließt.“ Sie hatte den Blick wieder gesenkt während er geredet hatte und er spürte, wie sein T-Shirt immer nässer wurde. Jetzt wagte er es auch, sie fester in die Arme zu schließen und gab ihr einfach etwas Zeit, sich auszuweinen. Aus dem Augenwinkel bemerkte der Koordinator eine Bewegung. Max kam gerade die Treppe hinauf, eine Tasse in der Hand. Doch als der Jüngere die Beiden sah, blieb er abrupt stehen und grinste Drew verlegen an. Er deutete auf die Tasse in seiner Hand - Drew hatte seinen eigenen Tee unten stehen lassen - und stellte diese lautlos auf eine Kommode im Flur. Drew lächelte zum Dank, und Max schlich auf leisen Sohlen wieder die Treppe hinunter. Maike schien davon nichts mitbekommen zu haben, noch immer hatte sie leise schluchzend ihr Gesicht in sein T-Shirt vergraben. Nach einer Weile hatte sie sich beruhigt und löste sich aus der Umarmung. „Du hast Recht“, murmelte sie und blickte dabei den Boden zu ihren Füßen an. „Danke. Und tut mir Leid, dass ich vorhin so wütend war.“ Der Grünhaarige lächelte milde. „Das muss dir nicht Leid tun. Ich bin froh, dass du mir gesagt hast, wie du dich fühlst.“ Er holte seine Tasse und nahm wieder auf dem Stuhl an ihrem Schreibtisch Platz, während sie sich auf die Bettkante setzte. „Ich glaube, ich bin einfach selbst noch total überfordert mit allem“, gestand sie. „Ich weiß auch gar nicht, wie ich mit ihnen sprechen soll. Wie fängt man so ein Gespräch schon an? ‚Ach übrigens, Mama, Papa, so ein Typ bei den Bewahrern wollte mich...‘“ Sie brach erneut ab und Drew schluckte schwer. Insgeheim war er froh, dass sie es nicht aussprach. Es war alles andere als leicht für ihn, seine Wut über diesen Vorfall in Zaum zu halten. Plötzlich grinste sie ihn etwas schadenfroh an und er zog verwundert die Augenbrauen in die Höhe. „Danke übrigens“, meinte sie. „Du hast ihm glaube ich ordentlich weh getan.“ „Ich bin mir nicht sicher ob er überhaupt noch am Leben wäre, wenn meine Hände nicht zusammengebunden gewesen wären“, knurrte er und konnte das Lächeln, das sie ihm daraufhin schenkte, nur halbherzig erwidern. „Du musst ihnen übrigens gar nichts darüber erzählen, solange du nicht magst“, griff Drew das Thema von vorher wieder auf. „Von mir haben sie nichts darüber gehört, also sollten sie auch nicht von selbst danach fragen. Aber sag ihnen einfach, wie du dich fühlst. Deine Angst ist auch so mehr als nachvollziehbar, mach dir da keine Sorgen.“ Sie nickte und trank einen Schluck von ihrem Tee. „Wahrscheinlich hast du Recht“, meinte sie. „Ich übertreibe sicher auch total. Ich meine, es ist ja nicht so, als wäre wirklich etwas passiert.“ „Ich glaube nicht, dass du übertreibst. Ich weiß ja nicht, was genau er gemacht hat, aber er hat dich zumindest geschlagen und...“ Drew seufzte und fasste sich an die Stirn. „Naja, ich weiß eben nur, was Keith Tormund erzählt hat.“ Ein paar Sekunden herrschte unangenehmes Schweigen. Der Grünhaarige räusperte sich. „Auf alle Fälle kannst du mit mir reden. Natürlich nur, wenn du das möchtest.“ Maike biss sich auf die Lippe und warf einen verunsicherten Blick auf ihre Zimmertür, die noch immer geöffnet war. Offenbar dachte sie darüber nach, sie zu schließen, also nahm Drew ihr die Entscheidung ab und schloss sie selbst. Die Koordinatorin seufzte. Vielleicht sollte sie es einfach tun und los reden. „Im Grunde genommen hat Keith alles erzählt, was auch passiert ist“, murmelte sie. „Mehr war da eigentlich nicht. Er hat mich überrascht, als ich gerade geschlafen habe. Zuerst wusste ich nicht, wer er ist oder warum er so einen Groll auf mich hegt, aber dann habe ich erkannt, dass er der Bewahrer ist, den ich in Graphitport City anderthalb Finger gekostet habe.“ „Ich wünschte, du hättest ihn alle Finger gekostet“, knurrte Drew, und Maike nickte zustimmend. „Ich wusste auch gar nicht, was er vorhatte, bis er versucht hat, mein Kleid aufzumachen.“ Drew atmete schwer ein und aus, bemüht ruhig zu bleiben. Sie hob den Blick und sah ihn an. „Aber es ist ja wie gesagt nichts passiert. Keith kam ihm in die Quere. Ja, er hat mich geschlagen, vorher, als ich mich gewehrt habe.“ Ihre Finger tasteten nach der beinahe verheilten Platzwunde an ihrer Lippe. „Ich glaube, was mich an der ganzen Sache am meisten mitnimmt ist meine eigene Hilflosigkeit. Ich habe wirklich alles getan, meine gesamte Kraft aufgewendet, mich mit Händen und Füßen gewehrt, aber wenn Keith nicht vorbei gekommen wäre...“ Ihre Stimme brach ab und sie blickte wieder starr auf den Boden. Sie war von sich selbst überrascht. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, mit jemandem darüber zu reden. Ganz besonders nicht mit Drew. Dabei war ihr gar nicht mal wirklich bewusst, was sie an der Vorstellung so schlimm fand. Aber jetzt, wo sie es einfach getan hatte, bemerkte sie, dass es gar nicht so schlimm war. Ganz im Gegenteil, auch wenn es schwer fiel es zu erzählen, so tat es gleichzeitig auch irgendwie gut es los zu werden. Drew bedankte sich, dass sie es ihm anvertraut hatte. Sonst sagte er nichts weiter dazu - und sie war froh darüber. Er hätte am Ende eh nichts wirklich hilfreiches beisteuern können. Es war passiert, es war vorbei, und es war vor allem glimpflich ausgegangen. Jetzt musste sie nur noch selbst damit fertig werden und es irgendwie hinter sich lassen. Die Beiden hörten, wie sich unten die Haustür öffnete. Kurz darauf erklangen die Stimmen von Caroline und Alea und das Rascheln von Einkaufstüten. Maike seufzte. „Na gut“, meinte sie und erhob sich. „Dann will ich mich mal damit auseinander setzen, worüber wir gesprochen haben.“ Sie warf Drew noch ein zaghaftes Lächeln zu, dann verließ sie ihr Zimmer. Drew selbst ging ins Gästezimmer und beschäftigte sich ein wenig mit Roserade und Zorua. Er hatte nicht das Gefühl, dass er bei Maikes Gespräch mit ihrer Familie dabei sein sollte. Das mussten sie selbst klären - und das würden sie auch, davon war er überzeugt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)