Am Rand der Welt von Alaiya ================================================================================ Reynisdrangar ------------- Dagny liebte die beiden Kinder, doch sie hatte über die vergangenen Jahre gelernt, die Momente, die sie mit Casey allein hatte zu schätzen – immerhin hatten sie oft nicht die Zeit. Ja, sie spürte, wie ihr Herz auch nach den neun Jahren, die sie schon zusammen waren, etwas schneller schlug, während sie den Strand entlang liefen. Es war bereits Nacht, selbst wenn es nicht ganz dunkel wurde. Abby schlief im Wohnmobil, dass etwas auf dem Campingplatz von Reynisdrangar stand. Einem der Campingplätze, denn hier gab es mehrere. Dagny wusste, dass die Menschen es genossen in ihre Heimat zu kommen. Das Land fühlte sich magisch für diejenigen an, die hier nicht aufgewachsen waren, und selbst die Einheimischen konnten die Magie fühlen. Dennoch war ihr nie klar gewesen, wie viele Campingplätze es hier gab. „Wie waren noch einmal ihre Namen?“, fragte Casey, um deren Schultern ein aus grober Wolle gestricktes Tuch lag. Der Küstenwind wirbelte ihre Haare permanent in scheinbar unvorhersehbaren Mustern um ihren Kopf. Kurz war Dagny verwirrt, ehe ihr klar wurde, was ihre Frau meinte. Sie zeigte auf die Felsen am Rand der Klippe, die sich vor dem im Westen zumindest in Ansätzen dunkelblauen Himmels abhoben. Die beiden Felsen, die aus dem Meer ragten und die einmal gelebt hatten. Zumindest sagte man das. Es waren einmal zwei Trolle gewesen, nicht, dass Dagny sie kennen gelernt hatte. Sie hatte diese Geschichte auch in der Anderswelt gehört, es war also entweder ein Märchen, dass sich Fae und Menschen teilten, oder beruhte auf einer wahren Geschichte. Vielleicht war es wirklich zweiteres, da die Formen der Felsen zumindest mittlerweile nicht mehr an Trolle erinnerten. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie auf Caseys Frage. Casey seufzte dramatisch. „Schade. Ich war mir sicher, du hättest es mir damals einmal gesagt“, murmelte sie. Dagny lachte und drückte ihre Hand. „Vielleicht habe ich mir damals nur etwas ausgedacht, um dich zu beeindrucken“, erwiderte sie. Auch Casey lachte und blieb stehen. „So etwas tust du?“ Lächelnd musterte Dagny sie. „Ich habe deine Aufmerksamkeit genossen, falls du es nicht bemerkt hast.“ Dann kicherte sie leise und beugte sich zu ihr hinüber, um sie kurz zu küssen. Sie legte die eigenen kalten Hände auf Caseys Wangen, die überraschend warm waren. „Wie ich es noch immer tue.“ Sie spürte, wie das Lächeln Caseys unter ihren Lippen noch breiter wurde. „Ich weiß“, flüsterte sie. „Es ist schön einmal …“ Sie endete den Satz nicht, aber Dagny wusste auch so, dass sie meinte, woran auch sie vorher gedacht hatte. „Ja.“ Sie seufzte zufrieden und sah Casey an. Sie spürte ihr Herz schlagen. Der Wind umwehte sie weiter, wirbelte ihre Haare durcheinander. „Ich bin so gespannt, wie Abby reagieren wird“, flüsterte Casey. „Wenn wir drüben sind, meine ich.“ Dagnys Herz klopfte bei dem Gedanken. „Ja. Ich mich auch.“ Sie seufzte. „Ich frage mich auch, wie meine Eltern reagieren werden.“ „Nervös?“, fragte Casey. Dagny zögerte. Die Wahrheit war kompliziert. „Ja. Und nein. Ich bin mir nicht sicher, was sie davon halten werden. Ich hörte schon Worte über umgekehrte Wechselbälger.“ Sie lächelte entschuldigend. „Was ist mit Tristan?“, fragte Casey. „Sie sehen ihn denke ich mehr als deinen Sohn, nicht als meinen“, erwiderte Dagny. Sie wollte ihn nicht anlügen und wusste, dass es in ihrer Familie – ja, wahrscheinlich in ganz (Sommerreich) so war. „Deswegen urteilen sie darüber anders. Ich habe dich gewählt und du hattest einen Sohn. Das ist akzeptabel. Ein für sie fremdes Kind … Ich bin mir nicht sicher.“ Der Gedanke hatte sich ihr in den vergangenen Tagen immer mehr aufgedrängt. „Ich bin mir sicher, sie werden sie lieben“, meinte Casey und legte ihrerseits die Arme um Dagny. Beruhigend strich sie über ihre Schulter, wie sie es auch bei Abby oder Tristan machen würde. Doch es half. Dagny erlaubte es sich, zu entspannen und sich mit einem Seufzen an sie zu lehnen. Sie schloss die Augen und genoss Caseys Wärme, das Rauschen der Wellen und das Gefühl des Windes auf ihrer Haut. „Danke“, flüsterte sie schließlich, als sie sich wieder von ihr löste. Casey küsste sie auf die Wange. „Kein Problem.“ „Ich freue mich trotzdem darauf, zurückzukehren“, meinte Dagny schließlich. „Ich war so lange nicht mehr da. Ach, ich frage mich, was alle machen.“ „Das kann ich verstehen“, erwiderte Casey. Sie machte Anstalten, weiterzugehen, und griff nach Dagnys Hand. „Weißt du, als ich die sechs Jahre hier war … Ich habe es genossen, aber ich habe die UK verdammt noch mal auch vermisst.“ Sie lächelte Dagny an. „Und ich meine, für dich … Es ist eine andere Welt.“ Der Ton in ihrer Stimme sagte Dagny, dass es für sie auch jetzt etwas verrückt war. „Ja, eine andere Welt“, murmelte Dagny. „Auch wenn ich es manchmal beinahe vergesse.“ Sie schenkte Casey ein weiteres Lächeln. „Ich habe auch hier ein Zuhause.“ Sie war sich nicht ganz sicher, warum sie es sagte. Sie hatte das Gefühl, es Casey versichern zu müssen, nachdem sie beinahe melancholisch geworden war. „Ich weiß“, erwiderte Casey. Es wurde still zwischen ihnen, während sie weiter den Strand entlang liefen. Sie mussten nicht reden. Es reichte, die Hand der anderen in der eigenen zu spüren. Schließlich sah Dagny zu den Klippen zu ihrer linken. „Was meinst du. Wollen wir zurück?“ Casey nickte. „Schauen wir mal, ob Abby Tristan geärgert hat.“ „Ach“, meinte Dagny lächelnd. „Ich bin mir sicher, dass sie wie ein kleiner Engel schläft.“ Doch obwohl sie diese Worte ironisch meinte, mussten sie feststellen, dass sie Recht hatte. Als sie knapp zehn Minuten später am Wohnmobil zurück waren, fanden sie Abby seelenruhig auf dem oberen der Beiden Betten am Ende des Wohnraums schlafen, ihren Plüschhasen im Arm. Tristan saß derweil mit einem Buch in der Hand am Tisch, schien aber nicht wirklich zu lesen. Sein Handy lag vor ihm auf den Tisch. „Na, alles okay?“, fragte Casey leise und setzte sich zu ihrem Sohn, während Dagny vorsichtig den Wasserkocher anstellte, um sich einen Tee zu machen. „Alles okay“, erwiderte Tristan. Auch er hatte die Stimme gesenkt, um Abby nicht zu wecken. „Sie hat aber noch eine Gute-Nacht-Geschichte gebraucht.“ „Dieses Mal mit Prinzessin?“, fragte Dagny und drehte sich zu ihm um. Er verdrehte die Augen, lächelte dann aber verlegen. „Ja, dieses Mal mit Prinzessin“, meinte er und drehte sich zu den Betten um. Neugierig sah Dagny auf das Buch in seinen Händen, als er dieses zusammenklappte. „Märchen aus aller Welt.“ Hatte er es sich in Reykjavik gekauft. Sie ging zu ihm hinüber und setzte sich neben ihn, um ihm auf die Schulter zu klopfen und dafür einen verwirrten Blick zu ernten. „Wofür war das?“, fragte er. Sie zuckte mit den Schultern und lächelte ihn an. „Nur so.“ Denn sie war sich sicher, dass er konkretes Lob ablehnen würde. Immerhin hatte er seinen Stolz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)