Am Rand der Welt von Alaiya ================================================================================ University of Iceland --------------------- Die Aufenthaltshalle der University of Iceland war hell und modern. Da die Universität nicht so überlaufen war, wie die Hochschulen in London oder Oxford, hatte man es sich hier erlauben können, weniger platzeffiziente runde Tische mit jeweils drei bis vier Tischen aufzustellen, was der Halle eine gemütliche Atmosphäre gab – zumindest wenn man Casey fragte. Während sie sich mit Anton Saitov an einem dieser Tische unterhielt, saß Tristan mit seinem Laptop am Nebentisch und war allen Anscheins nach damit beschäftigt, eine Serie zu streamen oder herunterzuladen. Sie wusste, dass ihr Sohn frustriert war. Das Datenroaming für Island war zu teuer gewesen und für ihn war der Laptop beinahe so unabdingbar wie Essen und Trinken. Auch wenn er sich in der letzten Woche wenig drüber beschwert hatte, so hatte er deutlich hervorgehoben, dass er seinen Laptop mit zur Universität mitnehmen würde. Auch Anton schien dies zu bemerken und räusperte sich. „Er weiß, dass es nicht erlaubt ist, über das Netzwerk illegal Dateien zu laden?“ Auch wenn Anton russische Wurzeln hatte, war sein Englisch akzentfrei. Anton war ein Kollege Caseys gewesen, als an in Island an ihrer Doktorarbeit gearbeitet hatte und der jetzt noch immer an der Universität als Forscher tätig war. Er war ein älterer, hagerer Mann mit wettergegerbter Haut und einem leicht eingesunkenen Gesicht. Seine Augen aber waren wach und wirkten aufgeschlossen. Auch jetzt umspielte ein leicht amüsiertes Lächeln seine Lippen. Casey lächelte und sah zu Tristan, der Kopfhörer trug. „Ich denke, dass weiß er, ja.“ Sie wusste genau so gut wie Anton, dass es massig Studenten gab, die illegal Dateien über das Netzwerk der Universität herunterluden. Es gab kaum eine Möglichkeit das zu kontrollieren, geschweige denn dagegen vorzugehen. Sicher, die Informatiker hätten irgendwelche Möglichkeiten, nur wie Zielführend all das wäre, war eine andere Frage. Wer wollte, würde einen Weg um etwaige Filter oder Sperren herum finden. Das Lächeln auf Antons Gesicht wurde süffisant. Er trank einen Schluck aus seiner Wasserflasche. „Und sonst?“ Er schien beschlossen zu haben, auf das Thema nicht weiter einzugehen. „Was machen die britischen Studenten?“ „Dasselbe, was alle anderen Studenten auch machen“, erwiderte sie lachend. „Lernen, sich ab und an über Pläne, Hausaufgaben und Klausuren beschweren und ansonsten wohl das leben, was allgemein hin als das Studentenleben bezeichnet wird.“ Auch Anton lachte leise. „Und du hast vor, als Professor dort zu bleiben?“ Casey zuckte mit den Schultern. „Sicher. Es ist angenehmer, als die Arbeit für EGS.“ Als sie für die Firma gearbeitet hatte, war sie viel gereist, hatte Tristen bei Dagny lassen müssen. Die Adoption wäre damals auf keinen Fall in Frage gekommen. „Sicher“, erwiderte er. „Du könntest dich auch wieder hier bewerben“, meinte er dann mit einem Zwinkern. „Nächstes Jahr wird für das neue Vulkanologie-Projekt mindestens eine neue Forschungsstelle ausgerufen.“ Lächelnd seufzte Casey, schüttelte aber den Kopf. „Ich kann Junior nicht schon wieder aus seine Umgebung rausreißen“, meinte sie und nickte zu Tristan. „Er würde es mir nie verzeihen.“ Natürlich scherzte sie, doch der Kern ihrer Aussage war wahr. Tristan wäre alles andere als Glücklich wieder hier im hohen Norden leben zu müssen. Seit sie ins vereinigte Königreich zurückgekehrt waren, hatte er sich doch schnell wieder ans Großstadtleben gewöhnt. „Schade“, meinte Anton und schien es auch zu meinen. „Was machen deine Kinder?“, fragte Casey, da ihr erst jetzt auffiel, dass sie darüber bisher wenig Fragen gestellt hatte. Anton war sechs Jahre älter als sie. Seine beiden Töchter müssten, wenn sie nicht irrte, nun 19 und 15 sein. Er trank einen Schluck, zuckte dann mit den Schultern und seufzte schwer. „Tatjana will nächstes Jahr nach Frankreich. Studium. Ich glaube, sie ist ganz froh, von hier weg zu kommen. Sie redet die ganze Zeit von den USA.“ Er zuckte mit den Schultern „Und von einem Jungen, da unten in Frankreich. So einen jungen Herrn, den sie über das Internet kennen gelernt hat.“ Dabei warf er Tristan mit seinem Laptop einen langen Blick zu. „Verstehe.“ Casey sah ihn mitleidig an. Sie fragte sich, wie es sein würde, wenn Tristan aus dem Haus ziehen würde – selbst wenn es noch ein paar Jahre hin wäre, sofern David sich nicht drum bemühen würde, ihn zu nehmen. Doch sie bezweifelte. David reiste viel und hatte in den letzten zwölf Jahren nie Anstalten gemacht, viel Kontakt mit Tristan aufzunehmen, von einzelnen Besuchen an Geburtstagen einmal abgesehen. „Und Anja?“ Anton lachte wieder. „Ach, sie ist meine große Hoffnung“, meinte er und zwinkerte wieder. „Sie ist letztens im Forschungssommercamp gewesen und scheint sich für die Biologie zu interessieren. Wenn ich Glück habe, bleibt sie hier.“ „Na, zumindest etwas.“ Casey lächelte ihm zu und sah dann zum Fenster, von dem aus sie zum Park unterhalb der Sæmundargata sehen konnte. Das Gras im Park war, wie überall auf der Insel, eher gelblich- statt sattgrün, war nun im Sommer aber ausgewachsen und wirkte gesund. Der Parkplatz, mitten im Gelände, war dank der Semesterferien relativ leer. Es war Anton, der die Stille zwischen ihnen am Ende wieder brach. Er räusperte sich und sah ebenfalls zum Fenster. Ganz offenbar wollte er ihrem Blick ausweichen. „Du und“ – noch einmal räusperte er sich – „deine Frau, also, ich meine, wie läuft es so.“ Casey war durchaus aufgefallen, dass er das Thema bisher gemieden hatte. Sie ahnte wieso. Er tat sich schwer mit ihrer Homosexualität, auch wenn er sich bemühte, es zu akzeptieren. Manchmal war es wohl alles, was man erwarten konnte. Zur Antwort zuckte sie mit den Schulter und lächelte. „Gut. Sie ist mit Abby in der Stadt, wollte ihr das Wikingermuseum zeigen.“ Anton erwiderte ihr Lächeln. Er schien unsicher. „Das ist doch gut.“ Ein weiteres Räuspern folgte, während er offenbar unbewusst ihrem Blick auswich. „Das ist gut, ja.“ Dann seufzte er. „Abby? Das ist eure …“ „Unsere Adoptivtochter, ja“, antwortete Casey und holte ihr Handy heraus. Sie suchte öffnete die Bildergalerie, die voller Bilder aus den letzten Tagen war. „Abigail heißt sie eigentlich. Hier.“ Sie zeigte ihm ein Bild, das sie vor wenigen Tagen vor dem Großen Geysir aufgenommen hatte. Dagny hielt Abby auf dem Arm, während die Kleine fasziniert auf die hochschießende Wassersäule zeigte. „Süß“, meinte Anton und sein Lächeln sagte, dass er das auch wirklich meinte. „Wie alt ist sie?“ „Vier“, erwiderte Casey. Sie suchte ein anderes Bild heraus, um es ihm zu zeigen. „Schade, dass du sie nicht mitgebracht hast“, sagte Anton mit einem leisen Seufzen. „Ich hätte sie gerne einmal kennen gelernt.“ Unschlüssig zuckte Casey erneut mit den Schultern. „Wenn du magst, könnten wir heute Abend gemeinsam Essen gehen“, schlug sie vor. „Deine Familie. Meine. Dann könntest du sie kennen lernen.“ Sie war sich nicht sicher, ob er es annehmen würde – denn auch wenn sie ihn für einen guten Freund und Kollegen hielt, war sie sich nicht sicher, ob sie ihn dabei haben wollte, wenn sie mit Dagny gemeinsam unterwegs war. Anton zögerte kurz. „Ich muss meine Frau fragen. Aber ja, wieso eigentlich nicht. Wenn sie kann.“ Casey lächelte. „Gut.“ Sie musste sich beherrschen, nicht erleichtert aufzuatmen. Wieder wurde die Stille etwas angespannt und Casey sah sich zu Tristan um, der sich ein Video anzuschauen schien. Er schien sie gar nicht zu bemerken, war offenbar ganz in der Welt der Serie abgetaucht. Sie stupste ihn an und erntete einen leicht genervten Blick. „Was?“ „Noch da?“, fragte sie scherzhaft. Er verdrehte die Augen. „Ja.“ Kurz wanderte sein Blick zu Anton hinüber. „Gehen wir schon?“, fragte er dann an seine Mutter gewandt. „Nein, nein“, erwiderte Casey und lächelte ihn an. „Alles gut. Mach weiter.“ Daraufhin lehnte er sich wieder zurück. „Danke.“ Anton lächelte und wartete, bis Tristan die Kopfhörer wieder aufgesetzt hatte. „Kommt mir nur zu bekannt vor“, meinte er zwinkernd. „Er kann auch ganz lieb sein“, versicherte Casey. Er war es ja auch – die meiste Zeit. „Wann fahrt ihr eigentlich zurück?“ „Nach England? Ach, erst in zwei Wochen“, antwortete Casey. „Wir fahren übermorgen aber weiter. In einer Woche wollen wir zum Jokulsarlon Gletscher.“ Dieses Mal war es sie, die sich räusperte. „Wir treffen uns dort mit Dagnys Eltern.“ Das war zumindest eine Art es zu beschreiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)