Am Rand der Welt von Alaiya ================================================================================ Skógafoss --------- Von einigen Dingen gab es in Island mehr als genug und beeindruckende Wasserfälle gehörten auf jeden Fall dazu. Die Skógafoss waren – im Vergleich zu den Goðafoss – relativ klein und weit weniger beeindruckend, dafür aber auch weit weniger laut. Und dankbarer Weise schien heute wieder die Sonne, nachdem es die letzten zwei Tage relativ bewölkt gewesen war, und so schien wieder ein bunter Regenbogen über dem schimmernden Wasser. „Schön“, kommentierte Abby, die am Rand des am Fuße des Wasserfalls fließenden Flusses saß und ganz entzückt von dem Regenbogen schien. „Ja, das finde ich auch“, erwiderte Dagny, die neben ihr kniete. Tristan machte wieder Bilder auf seinem Handy, wandte sich dann aber ihr zu. „War das nicht der Wasserfall mit dem Piratenschatz oder so?“ Dagny lächelte. „Wikingerschatz.“ „Dann so“, murmelte Tristan. Casey war im Moment nicht bei ihnen, sie war zum Wohnmobil zurückgegangen, um etwas zu trinken zu holen. „Was für ein Schatz?“, fragte Abby interessiert. „Nun, einmal hat ein Wikinger namens Þrasi Þórólfsson einen Schatz hinter dem Wasserfall versteckt“, erklärte sie. „Irgendwann haben zwei Menschenjungen den Schatz gefunden, aber damit auch Freyr darauf aufmerksam gemacht. Und als sie zurückkamen um den Schatz zu holen, hatte Freyr ihn in die Feenwelt hinübergeholt.“ Abby sah sie mit großen Augen an. „Schade.“ Beinahe hätte Dagny über den Blick ihrer Tochter bei diesem Wort gelacht, doch sie lächelte nur. „Ja, ein bisschen schon.“ „Wie hat er das eigentlich gemacht“, fragte Tristan. Dagny sah auf. „Was?“ „Na, den Schatz in die Feenwelt geholt“, erwiderte er. „Ich meine, wenn wir dafür nach Mýrdalsjökull müssen, wie konnte er dann einfach so von dahinten einen Schatz holen?“ Auf diese Frage hin konnte Dagny sich ein verschmitztes Grinsen nun doch nicht verkneifen. „Die Portale verändern sich mit der Zeit. Das Portal das einmal hier war, führt jetzt in die Wylderländer“, erklärte sie. Immerhin war Tristan bisher nur einmal in der Feenwelt gewesen, die nicht so beständig und geregelt war, wie die physische Welt, in der die Menschen lebten. „Davon aber einmal abgesehen … Freyr ist ein Gott. Er ist der König der Alfen. Nur weil er hier ein Portal öffnen kann, ist es mir nicht möglich.“ Tristan sah auf sein Handy und steckte es dann weg. „Aber wie funktioniert das?“, fragte er. „Das mit den Portalen.“ Nun lachte Dagny. „Wie soll ich dir das erklären? Es gibt Stellen, da sind sich die Welten sehr nahe. Wenn man aus den Feenreichen kommt oder einfach nur das richtige Gefühl hat, kann man es spüre. Und wer magische Begabung hat, kann dort übertreten.“ Sie zögerte. „Natürlich gibt es mächtige Wesen und auch einige Magier, die es auch an anderen Stellen können.“ Dankbarer Weise waren im Moment außer ihnen wenige Leute hier, so dass sie relativ unbefangen über diese Dinge reden konnten. Nicht, dass die meisten Menschen sie ernst nahmen. Doch dann wiederum waren sie hier auf Island, wo so viele noch irgendwie an das versteckte Volk glaubten und nicht zuletzt auch damit den Übergang erleichterten. „Wie ist es im Feenland?“, fragte Abby auf einmal. Dagny seufzte. Sie sah hinüber zum Wohnmobil, das dank der Wiesen, die auf dieser Seite des Wasserfalls die Landschaft beherrschten, gut zu sehen war, und fragte sich, was ihre Frau machte. „Ein wenig wie hier, aber auch ein wenig anders“, erwiderte sie und setzte sich schließlich vorsichtig auf den vulkanischen Steinboden am Rand des kleinen Flusses, um so Abby auf ihren Schoss ziehen zu können. „Es ist halt ein wenig verrückter. Die Dinge sind weniger geordnet. Die Dinge sind langsamer, anders. Und das Licht ist bunter.“ Sie lächelte matt. „Und es gibt viele Leute, die in Rätseln sprechen.“ „Und in Reimen“, warf Tristan ein, als wäre ihm das besonders in Erinnerung geblieben. „Ja, das tun manche auch“, erwiderte Dagny lachend. Wieder wanderte ihr Blick zum Wohnmobil, dessen Tür sich gerade öffnete. Casey kam zu ihnen hinüber gelaufen. Sie hatte offenbar einen anderen Pullover übergezogen. War ihr kalt gewesen? „Mommy!“, rief Abby aus. Caseys blondes, leicht gelocktes Haar hatte sich schon als sie bei ihnen ankam wieder aus ihrem Zopf befreit, wie es so oft passierte. Sie strich sich eine Strähne hinters Haar. „Sorry, mir ist ein Glas umgekippt. Dafür“ – sie hob eine Thermoskanne – „habe ich warmen Tee mitgebracht.“ Dagny lächelte und bedeutete ihr, sich neben sie zu setzen. „Du bist immer so ungeschickt“, flüsterte sie ihr dann zu. „Was ist?“, fragte Abby. Bald schon hatten sie den Tee in Becher gefüllt. Da der Boden trotz der Sommermonate recht kühl war, waren sie auf die Wiese am Rand der Felsfläche umgezogen, von der aus sie den tosenden Wasserfall noch immer im Blick hatten. Es war schon Abend, doch der Sonnenuntergang war natürlich noch weit entfernt. Die Sonne würde zwar untergehen, doch wirklich dunkel würde es nicht werden. „Hinter dem Wasserfall war mal ein Schatz“, erklärte Abby Casey, während sie so da saßen. Casey sah sie an. „Ach ja?“ Natürlich kannte sie die Geschichte schon, sie war immerhin nicht besonders unbekannt. „Ja. Den hat ein Wikinger versteckt und ein Elf dann mitgenommen dahin wo Mama her ist.“ Casey zwinkerte Dagny zu. „Vielleicht finden wir ihn dann ja dort.“ „Wir können ihn ja suchen“, erwiderte Dagny, auch wenn sie vorsichtig sein sollten, nicht zu sehr danach zu suchen. „Morgen fahren wir dann nach Reykjavik, nicht?“, fragte Tristan, offenbar um das Thema zu wechseln. Als ob er das nicht genau wüsste. „Ja“, antwortete Casey. „Ich bin morgen Nachmittag mit Anton verabredet.“ „Kann ich dann in die Stadt?“, fragte Tristan. „Ich brauche dringend wieder ein wenig Zivilisation.“ „Kannst du“, erwiderte Casey. „Solange du keinen Blödsinn machst.“ „Ich doch nicht“, kam es beleidigt. Auch wenn Dagny durchaus die Vorteile der „modernen Zivilisation“, wie die Menschen es nannten, verstehen konnte, so erschien ihr die Sehnsucht Tristan nach jenen leblosen Straßen doch wenig nachvollziehbar. Doch vielleicht war es auch, weil ihre Heimat so anders war. „Ich muss mal“, meinte Abby auf einmal. Casey sah zu ihr. „Dann müssen wir wohl mal zum Wohnwagen zurück, hmm?“ „Das kann ich machen“, bot Tristan auf einmal an. „Ich kann mit ihr hingehen. Muss eh mein Handy aufladen.“ Überrascht sahen Dagny und Casey ihn an. „Danke.“ Tristan zuckte mit den Schultern und bückte sich. „Kommst du mit mir mit, Abby?“ Er half seiner Schwester auf. Mit einem matten Lächeln auf den Zügen sah Dagny ihnen hinterher, als Tristan mit Abby an der Hand den Weg entlang ging. „Er kann ja doch ein guter großer Bruder sein.“ Casey lachte und legte einen Arm um Dagny. „Natürlich kann er das.“ Sie seufzte und legte den Kopf gegen ihre Schulter. „Natürlich kann er das.“ Dagny spürte ein Kribbeln in der Magengegend und sah zu ihrer Frau, ehe sie ebenfalls den Arm um sie legte. „Und wir haben zumindest einen Moment für uns“, stellte sie dann fest. Auch Casey lächelte. „Ja.“ Damit küsste sie sie. „Aber nur einen Moment.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)