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Am Rand der Welt

von

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Mývatn

Mývatn hatte seinen Namen mit Recht. Dichte Schwärme aus schwirrenden Mücken hingen über dem Wasser und ein einzelner Schwarm schien auch nahezu magisch von ihnen angezogen zu sein, als sie den Weg, ein Stück vom Ufer des Sees entfernt folgten.

„Iih Bäh!“, machte Abby und schlug nach den lästigen Tieren, die dankbarer Weise jedoch nicht stachen.

„Deswegen hasse ich Natur“, merkte Tristan an und zog sich den Kragen seines Pullovers über den Mund. Er blinzelte, offenbar aus Angst, dass ihm eins der Tiere in die Augen fliegen könnte, und sprintete dann los, um dem Schwarm zu entkommen.

Casey hob Abby hoch und tat es ihm gleich, sodass einzig Dagny ruhig folgte.

Die Insekten ignorierten sie, vielleicht, da sie weniger nach Schweiß roch, als die anderen drei es taten.

„Iih!“, wiederholte Abby, als Casey sie wieder absetzte. „Zu viele Krabbelviecher.“

„Aber ohne die Krabbelviecher gäbe es hier weniger Fische und weniger bunte Vögel“, gab Dagny etwas amüsiert zu bedenken. „Die ernähren sich nämlich alle von ihnen.“

„Das macht sie aber nicht weniger ekelhaft“, merkte Tristan an. Er schlug ein Tier, das offenbar auf seiner Kleidung gesessen war, weg.

„Ach, jetzt mach nicht so eine Miene, Tris“, meinte Casey und knuffte ihn in die Seite. „Du musst doch zugeben, dass die Landschaft wirklich schön ist.“ Immerhin waren sie von der aktuell in der relativen Sommerwärme erblühenden Vulkanlandschaft umgeben. Tiefgrüne Gräser bedeckten den Rand des ehemaligen Vulkankraters zusammen mit einigen zähen Büschen und gelb blühenden Blumen.

Dunkles Vulkangestein, das mit der Zeit die seltsamsten Formen gebildet hatte, ragte etwas weiter entfernt am Rand des Sees aus dem Wasser.

Einige Enten schwammen über den See, während an anderer Stelle – etwa weiter das Ufer hinab – eine kleine Kolonie siedelte und sich um ihre Jungtiere kümmerte.

Im Stillen musste Casey allerdings auch zugeben, dass sie die Landschaft ohne die Insekten eher hätte genießen können. Doch was erwartete man von einem Ort der Mývatn, Mückensee, hieß?

„Nenn mich nicht Tris“, grummelte ihr Sohn noch immer missgelaunt.

Casey seufzte. Als sie das letzte Mal hier waren, hatte er bei weitem mehr Begeisterung für Natur und Landschaft gezeigt. Jetzt schaffte er kaum zwei Stunden ohne sich nicht mindestens zwei Mal über den Mangel eines guten Internetempfangs zu beschweren – und darüber, dass man ihn, wie er es ausdrückte, auf diesen Trip „entführt“ hätte, wo er doch viel lieber mit seinen Freunden und speziell seiner neuen Freundin in Oxford geblieben wäre.

Hach ja. Pubertät. Manchmal fragte sie sich, wie schlimm ihre Eltern sie empfunden hatten?

„Ach, ich finde Tris ist ein wunderbarer Name“, zog Dagny ihn auf.

„Jetzt hör doch auf“, grummelte er. „Tris ist ein Mädchenname. Tristan ist ja schon schlimm genug.“

„Ja ja, wenn man dich nur hätte fragen können“, meinte Dagny. „Wie hättest du dich dann genannt?“

Tristan zuckte mit den Schultern. „Irgendwas normales. Thomas oder Tim oder so.“

Lachend klopfte Dagny ihm auf die Schulter. „Dann sollst du von nun an 'Thomas oder Tim oder so' heißen.“

Er verdrehte die Augen. „Ha ha“, kommentierte er wenig amüsiert.

„Ach komm schon, Tristan“, meinte Casey. „Willst du jetzt den ganzen Trip lang schmollen?“

„Ich kann's versuchen“, murmelte er. Missmutig die Hände in die Taschen gesteckt, trottete er neben ihnen her, während sie weiter gingen.

Casey verkniff sich ein Seufzen und wechselte einen Blick mit Dagny, die ihr aufmunternd zunickte, woraufhin Casey die Augen verdrehte. Natürlich wussten sie beide, dass all dieses Verhalten wohl oder übel dazu gehörte, dass es auch besser werden würde und dass es sich nicht lohnen würde, sich davon den Urlaub verderben zu lassen.

Dagny lief dichter bei ihr, legte ihre Hand in die ihre und drückte sie – eine Geste die Casey mit einem Lächeln beantwortete.

Wahrscheinlich würde Tristan sich nach ein paar Tagen einkriegen. Sie waren ja gerade erst einmal einen Tag hier und die kurze Nacht, wenn man sie überhaupt Nacht nennen konnte, war für sie alle nach sechs Jahren in den UK ungewohnt. Wie auch die Betten im Wohnwagen. Entsprechend waren sie allesamt etwas unausgeschlafen.

Zumindest hoffte sie das.

„Guck mal, Mama, der Vogel da hat eine Krone!“, rief Abby auf einmal aus, die die ganze Zeit die Vögel auf dem See beobachtete.

Dagny bückte sich zu ihr, um besser sehen zu können, wohin sie zeigte. „Das ist ein Ohrentaucher.“

„Die sehen hübsch aus“, erwiderte Abby. „Die Krone ist ganz flauschig.“

„Du darfst sie aber nicht anfassen“, ermahnte Casey sie noch einmal. Zwar hatten sie es Abby schon mehrfach eingebläut, aber sie wollte kein Risiko eingehen.

Das Mädchen sah sie an. „Ich weiß.“

Sie lächelte. „Gut.“

Sie hatten noch gar nicht beschlossen, was sie für den Rest des Tages machen sollten. Vielleicht sollten sie noch eine der Vulkangrotten aufsuchen, in der Hoffnung, dass die Wasser kühl genug zum Schwimmen waren. Auch wenn Casey definitiv für eine Mahlzeit bei ihrer Rückkehr zum Wohnwagen wäre.

Sie beobachtete die Vögel.

Hier draußen wirkte alles zu unberührt. Wie hatte sie es damals genossen, als sie vor zehn Jahren das erste Mal hierher gekommen war und auch jetzt wirkte es teilweise unwirklich.

Da jagte eine Ente gerade eine andere, ehe beide nur einen Moment später nebeneinander schwammen, als wäre nichts gewesen. An einer anderen Stelle führte ein Haubentaucher drei Küken zum Wasser hinab.

Vielleicht konnten sie die Tage auch ein paar Papageientaucher an der Küste sehen.

Ein spitzer, überraschter Aufschrei gefolgt von einem Weinen. Casey wusste schon, bevor ihr Blick zu ihrer Tochter wanderte, dass sie gestürzt war.

Schon war Dagny bei ihr. „Ist ja gut, ist ja gut.“ Sie besah sich die Hände und Knie Abbys und noch während sie ebenfalls in die Hocke ging, tat Casey es ihr gleich.

„Ist ja nichts passiert“, sagte Dagny und nahm die Hände der kleinen in die eigenen. Sie pustete. „Siehst du, alles okay?“

Tatsächlich war da nichts, außer ein wenig gerötete Haut – nicht mal genug Verletzung, um den Einsatz von Dagnys besonderen Kräften zu rechtfertigen.

Abby schluchzte. Wahrscheinlich mehr vom Schock. „Aua. Aua. Mama.“ Mit tränenüberströmten Wangen versuchte sie die Arme auszustrecken. Sie wollte auf den Arm genommen werden.

Dagny lächelte sanft und hob sie hoch. „Ist ja gut“, flüsterte sie und tätschelte den Kopf des Mädchens. „Alles gut.“

„Aua“, jammerte Abby weiter und entlockte damit Tristan ein genervtes Seufzen.

Casey warf ihm einen warnenden Blick zu, doch er ging zu Dagny hinüber und strich, wenngleich etwas zurückhaltend, über Abbys Hinterkopf. „Hey, Abbylein“, meinte er und wiederholte sich, als sie nicht reagierte. „Abby.“

Sie sah ihn vorwurfsvoll an, so als wäre er persönlich für ihr Elend verantwortlich. „Aua“, schniefte sie dabei.

„Ich mache dir einen Vorschlag“, meinte Tristan und war bemüht sanft zu sprechen, auch wenn Casey durchaus erkennen konnte, dass er etwas genervt war. „Ich nehme dich für den Rest des Weges Huckepack und du hörst dafür auf zu weinen.“

„Aber es macht aua“, erwiderte Abby kleinlaut, aber zumindest etwas weniger schniefig.

Tristan streckte die Arme aus, um sie, wenn sie denn wollte, anzunehmen.

Wieder schniefte Abby, ließ sich dann aber auf seinen Arm gleiten und schmiegte sich für einen Moment an ihn.

Casey tauschte einen kurzen Blick mit Dagny, lächelte und klopfte, als er aufstand, ihrem Sohn auf die Schulter, um auch ihm ein Lächeln zu schenken. Missmutiger Teenager hin oder her: Er konnte ja doch ein guter großer Bruder sein.

Er verdrehte die Augen, als er ihren Blick bemerkte, setzte dann aber Abby ab, damit sie vom Boden auf seinen Rücken klettern konnte.

„Da kann ich mir einen Zauber ja sparen“, meinte Dagny zu Casey, als Abby ihren Bruder kurze Zeit darauf antrieb, voran zu laufen, den Sturz schon lange vergessen.

Casey sah sie an und lächelte. „Das wollten wir ja sowieso.“

Dagny deutete ein Schulterzucken an, während ihr Blick den beiden Kindern folgte. „Ja, ich weiß“, gab sie schließlich zu und wandte sich dann wieder Casey zu. Sie griff nach ihrer Hand, lächelte und seufzte dennoch. „Ich bin ein wenig übervorsichtig, fürchte ich.“

„Ich merke es“, scherzte Casey und drückte ihre Hand. Sie wusste, dass es seltsam sein musste, wenn man, wie Dagny, aus einer Welt kam, in der Schmerz für die meisten sehr schnell vergänglich war. Auch nach acht Jahren und zwei Besuchen in jener Welt konnte sie es sich nicht vollkommen vorstellen, wie es war, so aufgewachsen zu sein. Dennoch konnte sie es Dagny kaum entgegen halten.

Kurz blieb sie stehen und küsste ihre Frau auf die Wange. „Nicht schlimm“, versicherte sie ihr mit neckendem Ton in der Stimme, ehe sie Hand in Hand Tristan folgten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Taroru
2017-10-13T11:58:25+00:00 13.10.2017 13:58
und weiter? :-p

(ich mag die kleine familie übrigens sehr, mit allen kleinen macken XD und ich finde du hast abby super als kleinkind rüber gebracht, auch tristan kommt sehr überzeugend rüber, gefällt mir gut :-) )
Antwort von:  Alaiya
13.10.2017 13:59
Gerade das Kleinkind hat das schreiben schwer gemacht, sag ich dir @.@ Ich habe doch so wenig mit kleinen Kindern zu tun
Antwort von:  Taroru
13.10.2017 14:10
ich kann dir ja meine nichte vorbei schicken, dann merkst du das ganz schnell XD


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