Raupe im Neonlicht von Noxxyde ================================================================================ Kapitel 5 --------- Was zuletzt geschah: Jonas‘ verbesserungswürdiger Orientierungssinn führt ihn nicht wie geplant zum Italiener, sondern vor Kolbs Haustür. Irgendwie schaffen die beiden es, so etwas ähnliches wie ein Gespräch miteinander zu führen und schon diese kleine Annäherung reicht, um in Jonas den Wunsch nach einer Vertiefung ihrer Bekanntschaft aufkommen zu lassen. Kolbs Gehirn ist von diesem Vorschlag weniger angetan als sein Penis und er bittet um ein wenig Bedenkzeit.   Kapitel 5 Die Sonne war zu grell, die Luft zu frisch und die Vögel zu laut. Alles in allem war es für Jonas‘ Geschmack deutlich zu früh und seine Nervosität trug nicht zur Verbesserung seiner Laune bei. Zum dritten Mal an diesem noch jungen Tag überflog er Eriks knappe Nachricht. Richtiges Datum, richtige Uhrzeit. Über das Warum dieses Besuchs schwieg sie sich jedoch aus und Jonas hatte sich nicht die Blöße geben wollen, nachzufragen. Der Lohn seines falschen Stolzes waren etwa hundert verschiedene Szenarien, die sich gleichzeitig vor seinem inneren Auge abspielten. Er atmete einmal tief durch. Herumstehen und auf der Stelle treten würde ihm keine Antworten liefern. Mit gesenktem Kopf, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, steuerte Jonas Eriks Tür an und klingelte. Obwohl sie dieses Mal verabredet waren, dauerte es merklich länger, bis ihm geöffnet wurde. „Guten Morgen“, begrüßte Erik Jonas. Er wirkte erschöpft, aber weder das zerzauste, von der Dusche noch feuchte Haar, noch die ein wenig schief auf seiner Nase sitzende Brille taten seiner Attraktivität Abbruch. „Müde?“ „Solange ich nicht so fertig wie du aussehe …“ „Ah, ein paar freundliche Worte am Morgen, da geht mir richtig das Herz auf.“ „Jaja, ich sag bloß die Wahrheit.“ Jonas drängelte in die warme Wohnung und ärgerte sich gleich darauf über seine überzogen unhöfliche Reaktion, geboren aus dem Versuch, sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. In der Hoffnung, die vermasselte Begrüßung halbwegs ausbügeln zu können, fragte er: „Hast du die ganze Nacht im Tix gearbeitet?“ „Mhm.“ „Wir hätten uns auch später treffen können.“ „Ich bin heute den ganzen Tag unterwegs.“ „Oh. Ach so.“ Innerlich seufzend aber davon abgesehen protestlos, ließ sich Jonas ein weiteres Mal in die Küche dirigieren. Auf dem Tisch standen ein mit duftenden Brötchen gefülltes Weidenkörbchen, zwei Teller und allerlei Auswahlmöglichkeiten an Belägen. „Setz dich“, wies Erik ihn an. „Kaffee?“ „Mit Milch und Zucker geht’s“, antwortete Jonas wenig begeistert. „Du hast nicht zufällig Red Bull da?“ „Es ist noch nicht mal neun.“ „Deshalb das Bull. Abends bin ich wach genug.“ Jonas glaubte, Erik seufzen zu hören, als sich dieser abwandte und den in die Wand eingelassenen Vorratsschrank durchsuchte. „Ah.“ Offenbar war er fündig geworden, denn er drückte Jonas eine blau-silberne Dose in die Hand. „Ungekühlt und vermutlich seit Jahren abgelaufen.“ „So mag ich‘s am liebsten.“ Jonas prostete Erik zu. „Brauchst du die Semmeln alle für dich, oder gibst du mir eine ab?“ „Bedien dich.“ „Danke.“ Jonas griff sich das oberste Brötchen, dessen resche Kruste seine kalten Hände wärmte und ihnen etwas anderes zu tun gab als nervös an seinem Pulli zu zupfen. Genussvoll spachtelte er eine dicke Schicht Nutella auf das weiche Innere und biss ein größeres Stück ab, als er würdevoll kauen konnte. „Du kommst aus Bayern, richtig?“ „Waff?“, nuschelte Jonas mit vollem Mund. Erik deutete auf die Brötchen. „‚Semmeln‘ ist bayerisch, oder täusche ich mich?“ Rasch würgte Jonas den Bissen in seinem Mund herunter. „Hör mir bloß mit diesem ganzen Dialektscheiß auf! Mein erster Besuch beim Bäcker hier in Berlin war traumatisch für alle Beteiligten.“ Er lächelte verlegen als Erik lachte. „Aber du hast recht, ursprünglich komm ich aus Oberbayern, Nähe Schliersee. Winziges Dorf am Arsch der Welt. Ein Wunder, dass ich halbwegs Hochdeutsch sprechen kann. Und jetzt setz dich endlich, macht mich ganz zapplig, wenn du da so rumstehst.“ Zu Jonas‘ Überraschung, sank Erik widerspruchlos auf den Stuhl ihm gegenüber. „Ich hatte ja viel erwartet, aber sicher nich‘, hier ein Frühstück serviert zu bekommen.“ Erik zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, das bricht vielleicht das Eis.“ „Also erst essen, dann ficken?“ „Erst essen, dann reden.“ „Reden? Wozu denn das?“ Ohne den Blick von Jonas zu lassen, schenkte sich Erik eine Tasse Tee ein. „Weil ich dich ein bisschen kennenlernen will.“ „Wozu?“ Scheiße, was sollte das nun wieder? Nach ihrer Verabschiedung und spätestens nachdem sich Erik bei Jonas gemeldet hatte, war er fest davon ausgegangen, schon bald nackt in dessen Bett zu liegen und jetzt sollte er schon wieder mit Engelszungen auf ihn einreden, nur, damit sie endlich vögeln konnten? Jonas wollte es doch einfach nur hinter sich bringen und die schlechte Erfahrung mit etwas Glück mit einer guten überschreiben. Blind für Jonas‘ inneren Tumult, drehte Erik die Teetasse in seinen Händen. „Ich versuche mal, dir meine Bedenken darzulegen und hoffe einfach, dass du sie mir nicht übel nimmst. Als du neulich Nacht mit zu mir mitgekommen bist, warst du offensichtlich bereit, Dinge zu tun, die du noch nie getan hast. Was an sich natürlich kein Problem darstellt, aber der Punkt ist, dass du dich dabei nicht wohlgefühlt hast. Trotzdem hast du mich weitermachen lassen, anstatt die Reißleine zu ziehen. Verstehst du, worauf ich hinauswill?“ „Darauf, dass du kneifst?“ Erik schüttelte den Kopf. Allmählich wirkte er frustriert. „Vielleicht habe ich deine Worte neulich auch einfach falsch gedeutet.“ „Welche Worte?“, fragte Jonas misstrauisch. „Dass es dir gefällt, wenn ich dir sage, was du tun sollst und du das gerne vertiefen würdest. Ich bin davon ausgegangen, dass es kein 08/15-Kuschelsex ist, um den es dir hier mit mir geht.“ „Das … Jaah, schon“, gab Jonas zu, eifrig bemüht, gelassen zu wirken. „Wir reden hier also von einer Form von BDSM, wie auch immer wir das dann genau definieren wollen, richtig?“ Jonas nickte stumm, peinlich berührt, dass Erik eine Fantasie, die er lange Zeit nicht einmal vor sich selbst hatte eingestehen können, so einfach aussprach. „Gut, dann ist das soweit ja schon mal geklärt.“ Erik seufzte. „Weißt du, ich hätte nichts dagegen, ein wenig in diese Richtung zu experimentieren und ich übernehme dabei auch gerne den dominanten Part, aber ich muss sicher sein, dass mein Gegenüber weiß, worauf es sich einlässt. Seine Grenzen kennt und achtet. Da bin ich mir bei dir einfach nicht sicher.“ „Woher soll ich meine verfickten Grenzen denn kennen?“, rief Jonas aufgebracht. Nach einem tiefen Atemzug fügte er leiser hinzu: „Ich hab ja noch nie … Ich hab ja noch nix in die Richtung gemacht.“ „Akzeptiert.“ Erik hob beschwichtigend die Hände. „An Grenzen kann man sich herantasten.“ „Wo ist dann das Scheißproblem?“ „Hast du dich neulich wohlgefühlt?“ „Ich war nervös, aber grundsätzlich war‘s schon ziemlich geil.“ „Die ganze Zeit?“ „Naja …“ „Als du über den Tisch gebeugt warst? Ich dich runter gedrückt habe?“ „Nich‘ wirklich“, räumte Jonas ein und meinte damit eigentlich ‚Überhaupt nicht‘. „Warum hast du es dann nicht beendet?“ Jonas senkte den Blick. „Keine Ahnung.“ Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er eine Ahnung. Ein Gedanke, der in seinem Hinterkopf spukte, nicht greifbar genug, um ihn zu formulieren und viel zu unangenehm, um es zu versuchen. „Hattest du Angst?“, fragte Erik unbeirrt weiter. „Ein bisschen.“ Ziemlich. „Und trotzdem hast du mich weitermachen lassen, sogar dann noch, als ich dir explizit angeboten hatte, abzubrechen.“ Jonas starrte schweigend auf das Brötchen vor ihm. Ihm war der Appetit vergangen. „Ich will dich nicht angreifen“, stellte Erik mit sanfter Stimme klar. „Diese Fantasien zu haben ist völlig okay und ich weiß selbst, wie schwer es sein kann, seinem Gegenüber zu sagen, dass man etwas gerade doch lieber nicht möchte. Ich will nur nicht, dass du etwas tust, das du später bereust. Und ganz sicher will ich nicht daran beteiligt sein.“ „Du hast aufgehört“, flüsterte Jonas. „Hm?“ „Als … Als ich mich verschluckt und ‘nen Moment lang keine Luft bekommen hab, da hast du aufgehört und dich um mich gekümmert. Ich mein … Es war mir scheißpeinlich, aber … In dem Moment hab ich mich in guten Händen gefühlt. Und dann … später als … Ich hatte echt A–“ Jonas räusperte sich. „Ich war nervös, aber der Gedanke abzubrechen und wieder nicht … Jedenfalls … Du hast getan, was ich nicht konnte. Du hast abgebrochen. In dem Augenblick hast du besser auf meine Grenzen geachtet als ich selbst.“ Er lächelte schwach. „Und eigentlich tust du das jetzt schon wieder.“ Erik antwortete nicht sofort, wirkte nachdenklich. „Jedenfalls“, fuhr Jonas fort, „klar, das neulich is‘ scheiße gelaufen … Ich war total nervös und hatte einfach so viele Erwartungen … An dich … Und an mich … Und daran, was du von mir erwarten könntest. Als dann nix so gelaufen is‘, wie ich’s mir vorgestellt hatte, bin ich noch nervöser geworden und hab noch mehr Druck aufgebaut und … Naja, wir wissen beide, wie das ausging. Aber ich kann einfach nich‘ aufhören daran zu denken, wie scheißgut es hätte werden können, wenn ich’s nich‘ so versaut hätte. Und … Und, ich mein … Du würdest dir doch nich‘ so viel Zeit für das hier nehmen, wenn du nich‘ auch wenigstens ein bisschen Potenzial sehen würdest, oder?“ „Hast du keine Angst, dass ich dein Vertrauen ausnutzen könnte?“, fragte Erik nach einer längeren Pause. „Keine Ahnung. Vielleicht. Aber das könnte mir bei jedem anderen Typen auch passieren, oder nicht? Selbst dann, wenn ich nur Kuschelsex suchen würde.“ „Möglich“, räumte Erik ein. „Außerdem hast du das ja letztes Mal auch nicht gemacht. Obwohl ich nix gesagt hab. Genaugenommen hab ich praktisch drum gebettelt. Und jetzt bestellst du mich sogar extra hierher, nur um zu labern. Du hättest mich schon dreimal ficken können und tust es einfach nicht!“ Frustriert riss Jonas ein Stück von seinem Brötchen ab, stopfte es sich in den Mund und würgte den viel zu großen Brocken herunter. „Naja, jetzt haben wir‘s eh kaputtgelabert.“ „Reden gehört dazu. Zugegeben, auf solche Krisengespräche könnte ich in Zukunft verzichten, aber davon abgesehen ist das einfach noch immer die beste Möglichkeit, den anderen kennenzulernen.“ „Und was heißt das jetzt?“ „Das weiß ich noch nicht.“ Jonas rollte mit den Augen. „Ganz toll.“ Erik schien sich von Jonas‘ genervter Reaktion nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Du sagst, du hast unter anderem deshalb Interesse, diese Dinge mit mir auszuprobieren, weil ich neulich aufgehört habe. Es freut mich natürlich, dass du mir da so vertraust, aber … Das ist eine Verantwortung, die ich nicht übernehmen will. Ich kann auf dich achten und natürlich respektiere ich deine Grenzen, aber ich kann keine Gedanken lesen und ich will es auch nicht müssen.“ „Verstehe“, erwiderte Jonas geknickt. Obwohl er es versuchte, schaffte er es nicht, wütend auf Erik zu sein, dafür verstand er dessen Begründung zu gut. „Ich hab’s echt versaut, was?“ „Sagen wir, es macht alles ein wenig komplizierter. Um ehrlich zu sein“, Eriks Finger spielten mit dem Rand seiner Tasse. „war ich kurz davor dir in meiner Nachricht abzusagen.“ „Was hat dich abgehalten?“ Jonas schaffte es nicht, den anklagenden Ton aus seiner Stimme herauszuhalten. „Dass ich dich wahnsinnig gerne in meinem Bett hätte.“ „O-oh, das is‘ … cool.“ Jonas war beeindruckt von seiner Eloquenz. „Ich meine … cool … Fuck! Jetzt hast du mich nervös gemacht!“ Erik war sichtlich darum bemüht, nicht zu lachen. Erfolglos. „Das nehme ich mal als Kompliment.“ Jonas zwang sich, von seinem Brötchen abzubeißen, in der Hoffnung, entspannter zu wirken als er sich fühlte. „Also … willst du dich noch mal mit mir treffen, oder nich‘?“ Vermutlich vergingen nur wenige Sekunden, bevor Erik zu einer Antwort ansetzte, aber sie fühlten sich wie eine verfluchte Ewigkeit an. „Ich bin versucht, es noch einmal darauf ankommen zu lassen. Sofern du das auch willst.“ „Will ich!“ Jonas war so mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt, dass er die Anspannung, die aus Eriks Zügen wich nicht bemerkte. „Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob das zwischen uns in die Richtung gehen soll, die du dir erhoffst.“ „Sondern?“, fragte Jonas misstrauisch. Erik zuckte mit den Schultern. „Wir machen langsam, tasten uns aneinander heran und sehen mal, ob unsere Wünsche und Fantasien zusammenpassen. Dann hast du die Gelegenheit, deine Grenzen kennenzulernen und sie mir zu kommunizieren. Aber ich behalte mir vor, abzubrechen, wenn ich das Gefühl habe, dass du das nicht tust.“ „Mit andren Worten: Wenn ich noch mal sowas wie neulich bring, isses vorbei.“ „Ja.“ Eriks Stimme ließ keinen Zweifel, dass er das ernst meinte. „Is‘ vermutlich fair.“ Jonas trank den letzten Schluck seines schalen Red Bulls. Langsam drehte er die Dose in seinen Händen, beobachtete die Lichtreflexe auf der glatten Oberfläche. Nachdem Eriks Entscheidung positiv ausgefallen war, kehrte allmählich zusammen mit seinem Appetit auch seine Neugierde zurück. „Wie oft machst du sowas wie neulich eigentlich?“ Das war eine Frage, die Jonas seit ihrem missglückten One-Night-Stand durch den Kopf spukte. Erik hatte an diesem Abend so unglaublich selbstsicher gewirkt, dass es beinahe schon wie Routine erschienen war. Dieser hob eine Braue. „Vögeln?“ „Nee. Doch. Also … halt so wie das, was du da mit mir gemacht hast.“ Normalerweise war Jonas stolz darauf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, aber bei diesem Thema redete er wie ein Grundschüler, dem man sein erstes Aufklärungsbuch vor die Nase gelegt hatte. Im Stillen sandte er einen grimmigen Dank an sein konservatives Elternhaus. „Normalerweise lasse ich die Finger von Gästen. Das gibt nur unnötigen Ärger.“ „Nee, das meinte ich gar nicht.“ Jonas hielt inne. „Wobei … Warum bei mir die Ausnahme?“ Erik zuckte mit den Schultern. „Du warst echt hartnäckig. Und hast mir gefallen. Gefällst mir immer noch. Dass das keine besonders gute Idee war, war mir natürlich schon bewusst, aber es war ein langer Abend und ich habe mich hinreißen lassen.“ Jonas versuchte, sein selbstzufriedenes Grinsen zu verstecken, indem er sich den letzten Rest seines Brötchens in den Mund stopfte. „Was war deine eigentliche Frage?“, wollte Erik wissen. „Ach so, ja.“ Einen Augenblick überlegte Jonas, wie er seine Gedanken formulieren sollte. „Also … Wir kannten uns ja kaum, aber irgendwie schienst du zu wissen, dass ich darauf stehe, wenn du, ähm … wenn du etwas dominanter bist. Machst du das einfach generell, oder … oder lag das an mir?“ „Ah, jetzt verstehe ich deine Frage.“ Erik musterte ihn aufmerksam. „Würde es dich stören, wenn ich sage, dass es an dir lag?“ „Scheiße. Ja, irgendwie nervt das schon.“ Jonas war selbst erstaunt, wie stark seine Ablehnung ausfiel. „Ich will nich‘ der Typ sein, dem man ansieht, dass er darauf steht, sich rumkommandieren zu lassen.“ „Hältst du das für etwas Schlechtes?“, hakte Erik neugierig nach. „Ich glaub … Ich glaub, andere könnten das für was Schlechtes halten.“ „Du wirkst eigentlich nicht wie jemand, der sich darum kümmert, was andere von ihm denken.“ Jonas suchte nach Anzeichen, dass Erik ihn lediglich aufzog, entdeckte aber nur ehrliches Interesse und entschied, ebenso ehrlich zu antworten. „Ich versuch’s. Is‘ aber nich‘ so einfach, wenn man in ‘nem winzigen Dorf aufwächst, in dem jeder Schritt von den Nachbarn beobachtet und schön an die Eltern weitergetratscht wird. Und wer will schon gerne als schwach gelten?“ Oder als Homo, fügte er in seinem Kopf hinzu. „Ich denke nicht, dass so eine Vorliebe irgendetwas mit Stärke oder Schwäche zu tun hat“, erwiderte Erik gelassen. „Nein, lass mich das anders formulieren. Tatsächlich denke ich, dass es eine Menge innerer Stärke braucht, um sich bewusst für einen bestimmten Zeitraum in eine devote Rolle zu begeben. Aber falls es dich beruhigt, kann ich dir verraten, dass ich dir nicht auf irgendeine magische Weise angesehen habe, dass du darauf stehst.“ „Ach nein?“ „Jonas, du hast mir wortwörtlich gesagt, du würdest alles tun, was ich will. Es ist schwierig, da etwas anderes hineinzuinterpretieren.“ „Oh.“ „Was mich zu der viel interessanteren Frage bringt, was dich dazu gebracht hat, zu denken, dass ich auf sowas stehe.“ „Oh … ähm …“ Jonas schnaubte, verärgert über seine eigene Unsicherheit. „Das Vorstellungsgespräch im Club … Du hattest sowas, ähm, dominant-unnahbares an dir, das, äh … Aber ehrlich gesagt … Ich glaub, ich hätte dieses Angebot jedem gemacht, der mir gefällt. Ich wollt’s einfach mal ausprobieren.“ „Hm. Verstehe. Kann ich dir noch eine etwas persönliche Frage stellen?“ „Wie viel persönlicher kann es denn jetzt noch werden?“ „Bin ich der erste Mann, dem du körperlich nähergekommen bist?“ Oh, fuck. „Das ist persönlich!“ „Ich weiß, tut mir leid.“ Erik zögerte. „Du hast neulich deine Ex-Freundin erwähnt, deshalb habe ich geschlussfolgert, dass Männer eine neue Erfahrung für dich sein könnten.“ „Wäre das ein Problem?“ Erik schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will nur sichergehen, dass ich nichts als selbstverständlich ansehe, das für dich nicht selbstverständlich ist.“ Jonas nahm einen Schluck aus seiner bereits geleerten Dose, in der Hoffnung, seinen inneren Disput vor Erik verbergen zu können. Das Vernünftigste wäre, einfach ehrlich zu sein und einzugestehen, dass auch seine angebliche Beziehung mit Maria nichts als Tarnung gewesen und er praktisch erfahrungslos war, aber diese Blöße konnte und wollte er sich nicht geben. „Jaah, es gab bisher tatsächlich nur meine Ex-Freundin.“ Technisch gesehen war das keine Lüge. Erik seufzte und rieb mit der Hand über seine Unterarme. „Hast du doch ein Problem damit?“ Jonas‘ Augen blitzten herausfordernd. „Nein, das ist es nicht“, versicherte Erik rasch. „Nur … Es ist schlimm genug, was passiert ist. Wenn das dann auch noch deine erste Erfahrung mit einem anderen Mann war …“ Er seufzte erneut. „Ah, verflucht, das hätte wirklich nicht so laufen sollen.“ Offensichtlich hatte sich Erik wirklich den Kopf über diese Nacht zerbrochen. Instinktiv legte Jonas eine Hand auf seinen Unterarm, fühlte die weichen Wollfasern unter seinen Fingerspitzen, das reflexhafte Anspannen der Muskulatur, als könnte sich Erik gerade noch davon abhalten, den Arm zurückzuziehen. „Vermutlich hätt’s wirklich besser laufen können“, gab Jonas zu, „aber daran trage ich weit mehr Schuld als du und außerdem bezweifle ich ernsthaft, dass ich ‘nen bleibenden Schaden davongetragen hab. Ich mein, fuck, ich will sowas von mit dir ficken.“ Erik lachte. Warm. Herzlich. Erleichtert. „Du bist schon ein bisschen schräg.“ „Nee, ich bin jung und geil. Und Student. Also darf ich Fehler machen und mich auf seltsame Typen einlassen.“ „Akzeptiert.“ „Alsooo … Und jetzt?“ Jonas warf Erik einen, wie er hoffte, verführerischen Blick zu. „Jetzt …“ Erik erhob sich und legte seine Hände auf Jonas‘ Schultern. „Will ich dich immer noch kennenlernen.“ Seine Lippen strichen über Jonas‘ Nacken. „Allerdings nicht mehr unbedingt nur durch Gespräche.“ „K-klingt ziemlich gut.“ „Steh auf.“ Mit wackeligen Beinen folgte Jonas Eriks Aufforderung, aber nüchtern und bei Tageslicht war das etwas völlig anderes als in der Nacht nach seinem Clubbesuch. Er musste Erik ansehen, wie ein Lamm den Metzger. Ein feines Lächeln zeigte sich auf dessen Gesicht und er reichte Jonas die Hand. Der brauchte allerdings einen Augenblick, um zu verstehen, dass er sie ergreifen sollte. Mit einem Ruck zog Erik Jonas an sich. Der Stoff seines Oberteils war kuschelweich und da war wieder dieser Duft, der ihn umhüllte. Sonne und Holz, Wärme und Geborgenheit. Beinahe hätte Jonas protestiert, als Erik einen Finger unter sein Kinn legte und seinen Kopf anhob, weg von seinem Geruch, aber dafür hin zu seinen Lippen. Süßes Red Bull mischte sich mit bitterem Tee. „Ich steh auf dieses ‚Kennenlernen‘“, nuschelte Jonas, die Wangen erhitzt und tomatenrot. „Ah, das trifft sich gut.“ Eriks kühle Finger rutschten unter Jonas‘ Kapuzenpullover, legten sich auf seine Taille. „Wir haben nämlich gerade erst angefangen.“ Widerstandslos ließ sich Jonas von ihm gegen die Küchenzeile drängen und nur mit Mühe konnte er ein wohliges Seufzen unterdrücken, als Erik einen Oberschenkel gegen seinen Schritt presste, während seine Zunge Jonas‘ sensiblen Hals kitzelte. Trotz des frostigen Wetters, wurde Jonas beinahe unerträglich heiß und er wünschte sich, Erik würde ihn endlich von seinem Pullover befreien, selbst wenn das bedeutete, dass er für wenige Sekunden auf das Gefühl der Hände auf seinem Körper verzichten musste. Verlangen verdrängte jede Verlegenheit. Haltsuchend klammerte sich Jonas an die Kante der Küchenzeile, rutschte zurück, bis er halb auf der Arbeitsfläche saß, doch bevor sich Erik über diesen Rückzug beschweren konnte, hatte er bereits seine Beine um dessen Hüfte geschlungen. Jonas fühlte Eriks Griff um seine Taille fester werden, hörte sein leises Stöhnen. Er wusste nicht, worauf er zuerst achten sollte. Eriks Zunge, die mit seiner spielte, Eriks Hände, die ihn fest umklammerten, Eriks Erektion, die gegen seine rieb. Unfähig, noch einen klaren Gedanken zu fassen, schloss er die Augen, drückte sich fest gegen den fremden Körper, folgte dem hypnotischen Rhythmus seines Beckens. „Fuck, fuck, fuck, fuck, fuck …“ Jonas war sich nicht bewusst gewesen, laut gesprochen zu haben, bis Eriks unterdrücktes Lachen den Dunst in seinem Kopf durchbrach. „Hey! Auslachen ist beschissen!“ „Entschuldige.“ Erik klang nicht geringsten, als täte es ihm leid. „Lass mich diesen Fauxpas wieder gut machen.“ Mit geübten Fingern öffnete Erik Jonas‘ Jeans und strich liebevoll über die darunter verborgene Erektion. „Ich glaube, ich bin dir ohnehin noch etwas schuldig.“ Er griff an Jonas vorbei, und holte ein Kondom aus einer der Küchenschubladen. „Hast du die Teile eigentlich überall im Haus verteilt?“ „Mhm. Ist praktischer als jedes Mal ins Schlafzimmer rennen zu müssen.“ „Scheiße, an was für ‘nen Typen bin ich da nur geraten?“ „Du darfst jederzeit gehen“, schlug Erik vor, aber sein Lächeln machte deutlich, dass er bezweifelte, Jonas könnte diese Option tatsächlich in Erwägung ziehen. „Nee, ich … ich glaub, ich bleib hi-Oh, Fuck!“ Jonas legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Erik hatte ihm das Kondom übergerollt und kniete vor ihm. Sein Mund war heiß, seine Lippen fest, seine Zunge erschreckend geschickt. Binnen Sekunden war Jonas‘ Verstand vernebelt, aber er zwang sich, doch noch einmal einen klaren Gedanken zu fassen. Seine Finger krallten sich in Eriks dichtes Haar. „Tiefer“, neckte er. „Mach langsam und entspann di– Au!“ Jonas zuckte zurück. „Fuck! Keine Zähne!“ Erik hob den Kopf. Auf seinen Lippen lag ein amüsiertes Lächeln, aber sein Blick war streng. „Nur um das klarzustellen: Ich gebe hier die Anweisungen. Du freust dich über die Aufmerksamkeit, die ich dir zuteilwerden lasse. Wie auch immer die aussehen mag.“ Jonas öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber Erik erstickte jede weitere Diskussion, indem er sich wieder seiner Erektion zuwandte und bewies, dass er absolut zu dem fähig war, was Jonas so ungeschickt bei ihm versucht hatte. Kaum hatte Jonas begonnen, Eriks Berührungen wirklich zu genießen, war es auch schon um ihn geschehen. „Fuck, Erik ich …“ Er konnte nicht einmal den Satz beenden, bevor ihn sein Höhepunkt überrollte. Haltsuchend klammerte er sich mit einer Hand an die Anrichte und grub die andere noch tiefer in Eriks Haare. Dieser wartete geduldig, bis die letzte Woge verebbt war, bevor er sanft Jonas‘ Finger löste und aufstand, um ihm ein Stück Küchenrolle zu reichen. „Was für eine schmeichelhafte Reaktion. Man könnte meinen, das war dein erster Blowjob.“ „Fick dich!“, keuchte Jonas nach Atem ringend. „Wenn das nicht auch der Letzte gewesen sein soll – jedenfalls von mir – solltest du dein Mundwerk ein bisschen im Zaum halten.“ Eriks süffisantes Grinsen nahm die Schärfe aus seinen Worten. Jonas entsorgte das Kondom mitsamt Küchenpapier in dem Mülleimer, den Erik ihm zeigte. „Gib’s zu, du stehst drauf.“ „Schon.“ Erik packte Jonas‘ Hüfte und zog ihn an sich. „Aber hauptsächlich, weil ich dann darüber nachdenke, wie ich es dir stopfen könnte.“ „Schon irgendwelche Ideen?“ „Hunderte.“ Er trat einen Schritt zurück, brach die wunderbare Spannung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte. „Aber die hebe ich mir für ein andermal auf.“ Jonas musterte ihn misstrauisch. „Ich hab noch gar nicht … Bei dir …“ „Hmm, du führst mich in Versuchung, aber ich glaube, auch das würde ich mir lieber für ein andermal aufheben.“ „Echt jetzt? Warum das denn?“ Erik zuckte mit den Schultern. „Vielleicht genieße ich die Vorfreude.“ „Das klingt … bescheuert.“ „Mag sein.“ Jonas wartete einen Augenblick, ob Erik noch eine weitere Erklärung folgen ließ, aber dieser blieb stumm. „Dann … sollt ich wohl so langsam von hier verschwinden.“ „Ah, fühl dich bitte nicht rausgeschmissen! So war das nämlich nicht gemeint. Du kannst gerne noch bleiben.“ „Nee, passt schon.“ Etwas Abstand und die Möglichkeit, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, war genau das, was Jonas jetzt brauchte. An der Eingangstür drehte er sich doch noch einmal um. „Schon ‘ne Idee, wann wir uns das nächste Mal sehen?“ „Das ist tatsächlich eine ziemlich gute Frage.“ Erik neigte den Kopf. „Der Club hat Sonntag und Montag geschlossen, da habe ich also frei. Naja, zumindest bin ich nicht im Club. Hast du da Zeit?“ „Montags hab ich zwei Seminare. Die kann ich notfalls schon schwänzen, aber das wär ein eher beschissener Einstand ins Studium. Dann also Sonntag?“ „Dann also Sonntag“, bestätigte Erik. „Okay. Dann, äh, mach’s gut und so …“ „Jonas?“ „Ja ...?“ Erik zog ihn an sich und streichelte ungewohnt zärtlich über seinen Rücken. Jonas lehnte den Kopf gegen seine Schulter und schloss die Augen. Erst jetzt bemerkte er, wie sehr ihm die Nähe zu anderen Menschen in den vergangenen Wochen abgegangen war. Er hatte seine Liebsten in Bayern zurückgelassen und auch, wenn er in Berlin rasch neue Kontakte geknüpft hatte, konnten diese seine Freunde und Familie natürlich nicht ersetzen. Die beiläufigen Berührungen, Umarmungen zur Begrüßung, zum Abschied, oder auch einfach so, weil der andere die Zuwendung gerade zu brauchen schien fehlten ihm. Jonas genoss jede Sekunde, die Erik ihm schenkte. „Wenn du irgendwelche Fragen hast, melde dich“, flüsterte dieser. „Wenn du Zweifel bekommst, melde dich. Wenn du dich nicht wohl fühlst …“ „Meld ich mich“, versprach Jonas. Er lauschte den zwei Herzschlägen in seinem Ohr. Seinem eigenen und Eriks. „Ach ja, noch etwas ...“ Plötzlich war da wieder dieser raue Unterton in Eriks Stimme. „Ich habe drei Aufgaben für dich.“ „Aufgaben?“, wiederholte Jonas perplex. Was sollte das werden? „Mhm.“ Erik löste sich aus der Umarmung und hob einen Finger. „Erstens: Du überlegst dir bis Sonntag zwei Fantasien, die du mir dann erzählen wirst. Eine, die dich richtig anheizt, völlig egal, wie unrealistisch sie ist. Und eine zweite, von der du dir vorstellen könntest, sie in naher Zukunft mit mir in die Tat umzusetzen.“ Jonas schluckte. Bei der Aussicht, seine Fantasien mit jemandem zu teilen, zog sich sein Magen zusammen. Von weit her hörte er sich sagen: „Mach ich.“ „Brav.“ Eriks Lippen strichen über Jonas‘ Stirn, seine Wange, seinen Mund. „Was noch?“ Beim Klang seiner Stimme verzog Jonas das Gesicht. Wie ein kleiner Junge, der den Zahnarzt fragte, ob gebohrt werden musste. Erik hielt einen weiteren Finger nach oben. „Zweitens, du wählst ein Safeword. Irgendetwas, das du dir gut merken und im Notfall verwenden kannst. Und drittens, schreibst du mir eine Liste mit Dingen, die du derzeit auf gar keinen Fall ausprobieren möchtest.“ „Oh … Klar, das sollte ich wohl.“ Jonas grinste verlegen. „Wird wohl echt ernst, was?“ „So ernst, wie wir beide es wollen.“ Ein letztes Mal beugte sich Erik vor und presste seine Lippen gegen Jonas‘, bevor dieser mit klopfendem Herzen durch die Wohnungstür nach draußen schlüpfte. Zurück an der frischen Luft, verkrümelte er sich in eine abgeschiedene Ecke, schloss einen Moment lang die Augen und versuchte, seine Gedanken zu sortieren. Jetzt, da seine körperliche Erregung abgeflaut und Eriks Berührungen nur noch Erinnerungen auf seiner Haut waren, kehrte die Vernunft zurück. Die Erkenntnis, was gerade passiert war. Er hatte sich mit einem fast Fremden zum Sex verabredet und dazu den ersten Orgasmus erlebt, für den er nicht selbst verantwortlich gewesen war. Strenggenommen hatte Jonas Sex mit einem Mann gehabt. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Was würden wohl seine Eltern sagen, wenn sie davon wüssten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)