In the spider's web von Mizuki18 ================================================================================ Kapitel 1: New master, new beginning ------------------------------------ Die Erde fühlte sich rau an unter meinen Händen. Aber vielleicht waren es auch meine Hände, die rau waren. So genau konnte ich das nicht sagen. Der Duft von Rosen stieg mir in die Nase und er ließ mich das Brennen vergessen, das die Dornen hinterließen. Die Sonne hatte bereits an Kraft gewonnen und wärmte meinen Rücken. Meine Knie schmerzten ein wenig, da ich schon eine Weile auf dem steinigen Boden kniete und die neuen Rosen ins Beet pflanzte. So wie mein Herr es mir befohlen hatte. Eigentlich verabscheute er Rosen, aber seine neueste Liebhaberin mochte sie und so hatte er beschlossen die Lilien entfernen zu lassen. Mich störte das nicht, ich mochte Rosen ebenfalls und die Frau, die gut und gerne die Tochter meines Herrn hätte sein können, war freundlich zu mir. Immer, wenn sie mich sah, lächelte sie, nickte mir zu und ich nickte höflich zurück. Schließlich war sie eine Lady und ich...nun ja, laut meinem Herrn war ich weniger wert, als der Dreck in den Straßen Londons. Aber derartige Beleidigungen hatten mich noch nie gestört, ich war es gewohnt. Mein Leben hatte in den verdreckten Straßen von London begonnen und würde dort vermutlich auch irgendwann enden. Seit meiner Geburt kämpfte ich um mein Leben und hatte schon so einiges erdulden müssen. Da brach ich nicht gleich in Tränen aus, nur weil mich so ein alter, fetter Sack beleidigte. Manchmal wusste ich nicht mal, warum ich überhaupt für ihn arbeitete. So oft wie er mich anschrie und schlug, müsste man annehmen, dass er mich hasste. Und trotzdem ließ er mich bleiben. Vermutlich nur, um mir immer wieder vorhalten zu können, dass er mir ja angeblich das Leben gerettet hätte, wenn ich mal wieder etwas falsch machte. Zumindest in seinen Augen. Nachdem meine gesamte Familie bei einem Raubüberfall gestorben war, den ich nur überlebt hatte, weil ich zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen war, hatte ich auf der Straße erlebt. Bis mich irgendwann die Pferde einer Kutsche fast zu Tode getrampelt hatten, mein jetziger Herr ausgestiegen und mich gemustert hatte. Ich musste an diesem Tag grauenvoll ausgesehen haben und dennoch hatte er seinem Kutscher befohlen mich mitzunehmen. In meiner kindlichen Naivität hatte ich natürlich angenommen er sei ein herzensguter Mensch, aber wie sich bald darauf herausgestellt hatte, war das eine Lüge. Mein Herr war ein alter, perverser und kranker Mann. Denn wenn er nicht gerade eine Liebhaberin hatte, der er die Welt zu Füßen legte, dann musste ich herhalten und seine Bedürfnisse befriedigen. Und das war nicht nur erniedrigend, sondern meistens auch schmerzhaft. Doch ich hatte gelernt mit diesem Schmerz zu leben, hatte mich daran gewöhnt und ließ alles über mich ergehen, was meinen Herrn glücklich machte. Man musste eben um sein Leben kämpfen und ich hatte nicht vor diesen Kampf zu verlieren. "Genevieve Delafontaine?" Ich blickte auf und wurde vom Licht der Sonne geblendet. Vor mir ragte eine hohe, schlanke Gestalt auf, ganz in schwarz gekleidet. "Sind sie Miss Delafontaine?", wiederholte mein Gegenüber seine Frage und ich blinzelte ein paar Mal. Jetzt erkannte ich einen großen Mann mit schwarzen, zurückgekämmten Haaren, der eine Brille trug, hinter denen zwei bernsteinfarbene Augen ruhten, die mich interessiert musterten. "Wer will das wissen?", fragte ich und runzelte die Stirn. "Ich.", antwortete der Mann. Ich verdrehte die Augen. "Und sie sind?" "Claude Faustus. Also, sind sie Genevieve Delafontaine?", wollte Claude wissen. "Ja, aber ich wüsste nicht was sie das angeht.", gab ich zurück. "Nun, es geht mich etwas an. Ich bin hier, um sie einzustellen.", erwiderte Claude. "Mich einstellen?" Mit einem Seufzen legte ich nun endgültig meine Arbeit nieder und stand auf. "Tut mir leid, aber ich habe bereits einen Herren.", sagte ich und nickte zu dem großen Anwesen, das keine zehn Meter von uns entfernt lag. "Das ist mir durchaus bewusst. Deswegen möchte ich sie auch fragen, ob sie ihren Dienst in diesem Haus niederlegen wollen und stattdessen Hausmädchen bei den Trancys werden möchten.", entgegnete Claude. "Trancy?", wiederholte ich und hob die Augenbrauen. "Es heißt der alte Earl bevorzuge Jünglinge. Ich glaube kaum, dass er seine Freude an mir hätte." "Der ehemalige Earl Trancy ist vor kurzem verstorben. Sein Sohn ist nun das Oberhaupt der Familie.", erklärte Claude. "Sein Sohn? Mir war nicht klar, dass er einen Erben hatte.", murmelte ich. "Miss Delafontaine, ich wiederhole mein Angebot. Wollen sie in die Dienste meines Herrn treten?" Claude wirkte ungeduldig, denn er trat leicht von einem Fuß auf den anderen. "Nein, ich bin meinem Herrn treu ergeben.", sagte ich. "Einem Herrn, der ihnen Wunden zufügt, die sie so verzweifelt versuchen zu verbergen?" Claude deutete auf den Bluterguss auf meinem Schlüsselbein. Ich räusperte mich und legte eine Hand über diese Stelle. "Wieso mich? Und woher wissen sie überhaupt wie ich heiße?" "Das brauch sie nicht zu interessieren. Ich kenne ihren Namen und habe sie ausgewählt. Jetzt müssen sie nur noch ja sagen, Miss Delafontaine.", erläuterte Claude und schenkte mir ein Lächeln. "Es sei denn sie möchten bleiben und weiterhin...eine Puppe sein, mit der man hin und wieder spielt. Solange bis sie irgendwann kaputt ist und auseinander fällt." Ich biss mir auf die Unterlippe. Die Art dieses Mannes ging mir jetzt schon gegen den Strich, allerdings...hatte er recht. So stark ich auch war, irgendwann würde ich an diesem Leben zerbrechen. "Na schön, ich komme mit ihnen." "Wundervoll, dann sollten wir keine Zeit verlieren." Claude machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon. Ich starrte im irritiert nach. "A-Aber müsste ich nicht eigentlich noch..." "Offiziell kündigen? Ich bitte sie, als ob ihr Herr das zulassen würde.", unterbrach Claude mich, während er auf das Pferd stieg, das vor dem Eingangstor wartete. Konnte dieser Mann Gedanken lesen? Das war ja unheimlich. "Miss Delafontaine, beeilen sie sich!", rief Claude und winkte mich zu sich. Ich hob mein Kleid ein Stück an und eilte zu ihm. "Mein Herr wird hoch erfreut sein.", meinte Claude, half mir aufs Pferd und gab dem Tier die Sporen. "Und was machen sie? Sind sie der Laufbursche von Earl Trancy?", wollte ich wissen und klammerte mich notgedrungen an Claude fest, um nicht vom Rücken des Pferdes zu fallen. "Nein, ich bin sein Butler.", antwortete Claude und sprach den Rest des Rittes kein Wort mehr. Je mehr Weg wir zurücklegten, desto mehr veränderte sich die Landschaft. Aus prächtigen Anwesen wurden normale Häuser, aus diesen wurden irgendwann Scheunen und Hütten und schließlich ging es eine ganze Weile durch einen Wald. Bis nach einer Weile zwischen den Bäumen ein großes, fast schon gewaltiges Gebäude auftauchte. Das musste dann wohl das Anwesen der Trancys sein. Vor dem Eingangstor brachte Claude das Pferd zum stehen, stieg ab und half mir herunter. Obwohl ich das auch sehr gut alleine gekonnt hätte, nur mal so als Randnotiz. "Bevor sie in die Dienste meines Herrn treten, Miss Delafontaine, gibt es da noch ein paar Dinge, die sie wissen sollten.", begann Claude und ging voraus. Ich musste mich beeilen mit ihm Schritt zu halten. "Die da wären?", hakte ich nach. "Sie werden den Earl nur mit 'Eure Hoheit' ansprechen. Sie werden nie etwas tun, das ihn verärgert oder etwas tun, was er ihnen nicht ausdrücklich befohlen hat. Was natürlich auch einschließt, dass sie selbstverständlich alles tun werden, was ihnen der junge Herr aufträgt. Egal was es ist.", sagte Claude und warf mir einen beängstigenden Blick zu, der mich zusammen zucken ließ. Hoffentlich kam ich jetzt nicht vom Regen in die Traufe. Mit gesenktem Kopf folgte ich Claude, kam aber nicht umhin zu bemerken, dass der gesamte Garten rund um das Anwesen mit Rosen bepflanzt war. Rosen in allen Farben. Rot, gelb, blau. Es sah einfach wunderschön aus und es roch betörend. "Miss Delafontaine, hier entlang." Claude hatte die große Flügeltür des Hauses geöffnet und wartete darauf, dass ich die Eingangshalle betrat. Dort war alles in Rot- und Goldtönen gehalten. Es gab so viel Schmuck und Prunk, dass es völlig überladen wirkte. Es war einfach...zu viel von allem. Zu viele kostbare Mingvasen, zu viele exquisite Möbelstücke, zu viele Blattgoldverzierungen. Und nicht zu vergessen der gigantische Kronleuchter, mit Lüstern aus Kristall und noch mehr Gold. Ein Wunder, dass das Ding nicht von der Decke krachte und den ellenlangen Tisch aus Eichenholz unter sich begrub. "Claude! Du bist wieder da!", ertönte da plötzlich eine sehr ausgelassen klingende Stimme. Ein Junge, etwa in meinem Alter, kam die Treppe herunter gerannt. Er hatte engelsblonde Haare, eisblaue Augen und strahlte über das ganze Gesicht. Wenn mich nicht alles täuschte, dann müsste das... "Euer Hoheit." Claude schaffte es gerade noch sich leicht zu verbeugen, bevor sein Herr sich an ihn schmiss und irgendetwas Unverständliches murmelte. "Was hat denn überhaupt so lange gedauert? Was...wer ist das denn?" Earl Trancy löste sich von Claude und betrachtete mich missbilligend. In etwa so, als hätte ich ihn und seinen Butler gerade bei etwas sehr wichtigem gestört. "Euer Hoheit, ich habe sie extra für Euch ausgesucht. Gefällt sie Euch?", fragte Claude. Gefallen? Wie bitte? Ich war doch kein Gegenstand, den man einfach so... Ich wich erschrocken ein kleines Stück zurück, weil der Earl mir auf einmal sehr nahe war. "Hm, sie sieht so gewöhnlich aus.", meinte er, nahm eine Strähne meines kastanienbraunen Haares und ließ es durch seine Finger gleiten. Gewöhnlich? Hallo? Ich stand doch direkt vor ihm und konnte jedes Wort verstehen. "Auf den ersten Blick vielleicht. Aber wenn sie erst einmal gewaschen und herausgeputzt ist, wird sie ganz annehmbar aussehen.", kam es von Claude und ich verzog das Gesicht. Annehmbar? Oh Herr im Himmel, wo war ich da denn nur wieder rein geraten? "Und was soll sie hier machen? Einfach nur blöd herumstehen und hübsch aussehen?", fragte der Earl und hob das Kinn. "Natürlich nicht, Euer Hoheit. Sie wird Euch als Hausmädchen dienen.", erklärte Claude. "Aber ich hab doch schon Hannah.", warf der Earl ein und wandte sich von mir ab. "Das ist wahr, doch ich dachte ihr nun ja könntet vielleicht Euren Spaß mit ihr haben. Immerhin ist sie in Eurem Alter.", erwiderte Claude. "Willst du mir irgendwas damit sagen Claude?", zischte der Earl. "Selbstverständlich nicht, Euer Hoheit. Es liegt in Eurem Ermessen was ihr mit ihr machen wollt." Claude senkte demütig den Kopf und ich wünschte mich zurück zu meinem alten Herrn. "Wie heißt sie denn überhaupt?", wollte der Earl wissen. "Genevieve Delafontaine." Claude wandte sich an mich. "Und das ist Earl Alois Trancy." Und ich will hier bitte sofort weg, dachte ich. Allerdings befürchtete ich, dass es dafür jetzt zu spät war. "Ich bin sehr erfreut Euch kennen zu lernen, Euer Hoheit.", sagte ich, vollführte einen ziemlich unbeholfenen Knicks und rang mir ein Lächeln ab. "Jaja, schon gut. Stell sie den anderen vor und mach sie fertig. Vielleicht sieht sie nach einem Bad ja ganz...niedlich aus." Alois warf mir einen eher abfälligen Blick zu, drehte sich um und stieg die Treppe empört. Was für ein freches, verzogenes Kind. Da hatte ich ja mehr Manieren und ich entstammte keiner Adelsfamilie. "Kommen sie, Miss Delafontaine. Ich möchte ihnen das restliche Hauspersonal vorstellen.", mischte Claude's Stimme sich in meine Gedanken ein und bevor ich etwas erwidern konnte, zog er mich einfach mit sich. Etwas ungelenk stolperte ich vor mich hin und hätte mir am liebsten eine Ohrfeige nach der anderen verpasst. Wie hatte ich denn nur denken können, dass es in diesem Haus besser werden könnte? Im Grunde waren diese Adligen doch alle gleich. Und Alois, als Sohn seines Vaters erst recht. Kein Wunder, dass ich lediglich als sein Spielzeug herhalten sollte. Er war mit Sicherheit kein Stück besser als der ehemalige Earl Trancy. Plötzlich blieb Claude so abrupt stehen, dass ich gegen ihn stolperte, was mir einen mörderischen Blick und ein kaum wahrnehmbares Knurren einbrachte. Na toll, der Butler hasste mich offenbar schon mal. "Würdet ihr mir kurz eure Aufmerksamkeit schenken?", fragte Claude in den Raum hinein und klatschte in die Hände. Ich lugte vorsichtig hinter seinem Rücken hervor. In dem Zimmer, in dem wir jetzt standen, waren vier Personen gerade damit beschäftigt den Tisch für das heutige Abendessen zu decken. Drei junge Männer, von denen jeder so aussah wie der andere und eine junge Frau mit langen, hellen Haaren. "Ab heute haben wir ein neues Personalmitglied. Ihr Name ist Genevieve Delafontaine." Claude packte mich bei den Schultern und zerrte mich vor ihn hin. "Das da sind Timber, Canterbury und Thompson." Er nickte zu den Drillingen, die sich lediglich durch die leicht verschiedenen Frisuren unterscheiden ließen. "Und das da ist Hannah, sie wird sich ein wenig um dich kümmern. Solange bis du dich eingelebt hast." "H-Hallo.", stammelte ich verlegen und hob leicht die Hand. Die Drillinge begannen sofort zu tuscheln, Hannah hingegen warf Claude einen undefinierbaren Blick zu und trat vor. "Freut mich dich kennen zu lernen, Genevieve.", sagte sie und schenkte mir ein freundliches Lächeln. "Gen reicht völlig aus.", erwiderte ich. "Dann hätten wir das ja geklärt. Hannah, du wirst sie jetzt baden und ein wenig herrichten. Danach gibst du ihr eines von den leeren Zimmern. Zum Abendessen seid ihr beide wieder hier.", kommandierte Claude, der es offenbar ganz toll fand, dass er das Kommando hatte. "Na dann, gehen wir Gen." Hannah legte eine Hand an meinen Rücken und schob mich vorwärts. Ich ließ es mit mir machen. Eine andere Wahl hatte ich ja eh nicht. "Ich nehme an du hast den jungen Herrn schon kennen gelernt." Hannah dirigierte mich um die nächste Ecke und öffnete eine Tür. "Ja.", sagte ich und klang dabei genervter als beabsichtigt. "Ich weiß wie er im ersten Moment wirkt. Aber..." Hannah ließ den Satz unvollendet und stellte das Wasser an. Ich hob verwirrt eine Augenbraue. Wollte sie mir gerade weiß machen, dass Alois Trancy einen guten Kern besaß? Gut, sie kannte ihn immerhin deutlich länger, als ich, aber auf mich wirkte die 'Hoheit' eher wie ein arrogantes, verwöhntes Kind mit extremen Stimmungsschwankungen. "Solange du nichts tust was ihn verärgert, hast du nichts zu befürchten.", meinte Hannah und riss mir, ohne zu zögern, das Kleid herunter. Ich verschränkte automatisch die Arme vor der Brust. "Er kann manchmal schwierig sein. Sieh einfach zu, dass...du ihn nicht langweilst." Hannah griff nach meinem Arm und platzierte mich in der Badewanne. "Ihn nicht langweilen?", wiederholte ich und mein Herz begann schneller zu schlagen. Hannah biss sich auf die Unterlippe und legte schweigend beide Hände auf meine Schultern. "Luft anhalten." Ich gaffte sie irritiert an. "Luft anhalten?" Statt einer Antwort drückte Hannah mich unter Wasser und vor meinen Augen verschwamm alles zu einem einzigen bunten Wirrwarr. Mein Herz schlug so laut, dass ich es auch unter Wasser hörte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)