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Café Speciale

von

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Benny-Bunny & Affengesicht

Das Copyright der Story liegt alleine bei mir. Sie darf nicht - auch nicht in Teilen - ohne mein Wissen und schriftliche Zusage anderweitig veröffentlicht oder auf sonstige Weise verarbeitet werden.
 

~ * ~
 


 

Ein weißer Elefant aus Kunstharz.
 

Eine verbeulte Schreibtischlampe.
 

Eine Kuckucksuhr ohne Pendel.
 

Stumm sah Lukas zu, wie ein Gegenstand nach dem anderen in den geöffneten braunen Umzugskartons verschwand.

Ab sofort würde also keine dieser Sachen mehr eine Rolle in Lukas' Alltag spielen. So einfach schien das. Sie gingen mit demjenigen, der gerade die Kisten packte mit und tauchten nicht mehr auf. Nicht hier in dieser Wohnung.

Vermissen würde Lukas diese Dinge, jeden einzelnen dieser Staubfänger. Selbst den kitschigen Elefanten, der sonst immer auf der Fensterbank zwischen zwei vertrockneten Blumentöpfen mit Basilikum gestanden hatte. Die vertrockneten Kräuter blieben zwar hier, aber der Platz dazwischen war ab heute wohl leer.
 

"Ich komme morgen wieder und nehme den Rest des Kleinkrams mit."
 

Schon wieder dieser Satz, diese Androhung, die ganze gemeinsame Zeit endgültig in unzählige Fragmente zu zerschmettern, sie in dunkle Kartons einzupacken und wo anders ohne störende Kanten zusammenzufügen.

Lukas nickte lahm. Es hatte keinen Sinn, noch einmal die schon beendeten Diskussionen aufzuwärmen; er wollte es auch gar nicht mehr.

"Ruf an, bevor du kommst", bat Lukas den jungen Mann, der gerade einen Karton mit Klebeband verschloss und den nächsten einzuräumen begann.

"Warum soll ich anrufen, ich habe ja noch den Schlüssel", kam es kaltschnäuzig zurück.

"Du sollst anrufen, damit ich weg bin, wenn du auftauchst!", zischte Lukas seinen baldigen Ex-Mitbewohner an.

Tino lächelte unschuldig. "Dann suchst du dir besser einen Ort, an dem du dich wohlfühlst, weil ich nämlich noch öfter vorbeikommen werde, um den ganzen Scheiß hier einzupacken!"

Nicht einmal ein Kopfschütteln war Lukas dieser rücksichtslose Kommentar mehr wert. Warum sollte sich Tino am Ende ihrer Freundschaft auch viel anders geben, als zu Beginn...?

Lukas klemmte sich eine dünne Mappe unter den Arm und verließ die Wohnung, möglichst ohne dabei noch zu viele Gedanken an die gestapelten Kisten im Flur zu verschwenden.
 

Lukas zog ihre Wohnungstür hinter sich zu und verharrte einen Moment. Unentschlossen blickte er vor sich in den menschenleeren Flur.

Als ob es so lustig wäre, der Person, mit der er zwei Jahre lang zusammen gewohnt hatte, beim Verlassen der Wohnung zuzusehen, die auf dem Papier noch immer ihnen gemeinsam gehörte. Sollte er etwa einen Freudentanz aufführen, womöglich noch eine Auszugsparty für Tino veranstalten?

Nur schleppend langsam setzte sich Lukas in Bewegung und stieg die Treppe hinab.

Gut, derjenige, der oben in ihrer Wohnung gerade so eifrig sein Zeug packte, war auch der Mensch, der ihn, Lukas, jetzt auf einem Haufen Schulden sitzen ließ, den er nicht alleine zu verantworten hatte. Warum trauerte er ihm nach?

Die noch viel tiefer als der Ärger sitzende Enttäuschung über die Selbstverständlichkeit mit der Tino sich aus der Beziehung und den ganzen unerledigten Konsequenzen stahl, kehrte zurück und Lukas' Schritte wurden energischer. Immer eine Stufe überspringend eilte er das Treppenhaus hinab und flüchtete regelrecht aus dem tristen Mietshaus.
 

Angenehm warme Luft und hektischer Straßenlärm begrüßten Lukas draußen.

Menschen, Maschinen, Leben, alles lief hier weiter, wie in einem Uhrwerk. Unaufhaltsame Rädchen, die sich dem äußeren Geschehen trotzend weiter drehten.

Und das sollte zählen, nicht dieses verhakte, eingerostete Rädchen, der Ignorant oben in seiner Wohnung, der seine Gedanken lieber hinter verletzendem Spott verbarrikadierte!

Wenn er sich doch nur nicht so an Tino gewöhnt hätte...
 

Die anderen Passanten ignorierend, schlenderte Lukas die stark frequentierte Einkaufsstraße entlang. Er schob Tino samt seinen Kartons mental zur Seite und stellte noch ein paar oben drauf, damit er dessen ungerührtes Gesicht nicht mehr sehen musste.

Nur etwas ließ ihn ungeachtet dieser Bemühungen nicht mehr los: Wie sehr sich alles, der Ort, die Beteiligten, die kleinen, in den Augen anderer trivialen Vorstadtdramen von damals unterschied. Und doch endete es auf fast die gleiche unangenehme Art und Weise wie vor Jahren bei Ben.

Lukas' Gedanken schweiften ab. Zu einem Zeitpunkt hin, dem er längst entwachsen zu sein schien. Zu Tagen, die nach Himbeeren schmeckten.
 


 

Beide Arme voller Zettel rannte Lukas die belebte Hauptstraße entlang.

Ein Platzregen hatte ihn im Park beim Lernen überrascht und nun war der junge Mann auf der Flucht vor den vom Himmel hinabstürzenden Wassermassen, die seine Kleider in kürzester Zeit bis auf die Haut durchnässt hatten.

Ein Café auf der anderen Straßenseite des Parks schien der perfekte Unterschlupf vor dem Regen zu sein und Lukas verwarf seine Pläne, direkt nach Hause zu laufen.

Er nahm sich nicht erst die Zeit, zu warten, bis die Fußgängerampel auf Grün umsprang. Stattdessen rannte Lukas behende zwischen den dicht hintereinander stehenden Stoßstangen, der nur langsam vorwärts kriechenden Autokolonne hindurch, quer über die vierspurige Fahrbahn. Dann war er eben kein vorbildlicher Erwachsener, aber immerhin war er einer, der bald im Trockenen war. Und aus dem Café heraus würde er die verkniffenen Gesichter, der brav an der Ampel Wartenden ohnehin nicht sehen können.

Zielsicher steuerte Lukas auf das kleine Eckcafé mit der beleuchteten Eishörnchenreklame über der Eingangstür zu.
 

Das heiter klingelnde Windspiel über der Tür hieß den Neuankömmling Willkommen, lud ein zu bleiben, hier, wo schon so viele andere Gestrandete angeschwemmt worden waren, die den Raum mit ihrem Lachen füllten. Es schloss den Regen und die Pfützenübersäten Gehwege für einen Moment aus und versüßte den nass-kalten Wolkenbruch mit dem Duft nach Karamelleis, Schokosoße und heißen Himbeeren.

Nur zu gerne nahm Lukas dieses Angebot an. Mit einem erleichterten Aufatmen ließ er sich auf den erstbesten freien Stuhl an der Fensterfront sinken, den er erreichen konnte. Vor Ende des Regens würde ihn hier niemand mehr wegbekommen!
 

Lukas schüttelte seine Leidensgefährten, die durchnässten Blätter, ein bisschen, bevor er sie auf dem leeren Stuhl und der Tischplatte vor sich ausbreitete. Dort konnten sie erst einmal in Ruhe trocknen, bis er sich selbst auch wieder aufgewärmt hatte, beschloss Lukas und zupfte zwei Frage-und-Antwortbögen auseinander. Demnächst hatte er die theoretische Führerscheinprüfung vor sich und er musste dafür unbedingt noch lernen.

Lukas versuchte etwas Ordnung in seine Prüfungsunterlagen zu bekommen. Zwecklos. Die völlig durchweichten Blätter klebten wie alter Kaugummi aneinander und statt sich trennen zu lassen, rissen die feuchten Zettel ein. Lukas ließ die Unterlagen sein und sah sich lieber nach der Bedienung um.

Zwischen den knapp fünfzehn Tischen, die nahezu alle besetzt waren, wuselten ein paar schwarzgekleidete Kellner umher. Lukas hob die Hand und winkte einem weißgeschürzten Ober in seiner Nähe zu, doch der bedachte den Gast nur mit einem eilig gemurmelten: "Ist nicht mein Tisch", ehe er zu einem anderen Cafébesucher hetzte.

"Meiner auch nicht", brummelte Lukas und sah sich nach einem anderen Kellner um.

Welcher war denn nun sein Kellner?

Unschlüssig betrachtete sich Lukas die verschiedenen Bedienungen, die an ihm vorüber hasteten. Woher sollte er wissen, welcher für seinen Tisch zuständig war? Gab es da irgendwelche geheimen Anzeichen? Lukas gab es auf. Die nächste Person, die eine weiße Schürze trug, würde er sich einfach krallen. Wer nicht will, der wird gewollt!
 

Nach einer viertel Stunde, die Lukas dann doch lieber mit weiteren verzweifelten Trennungsbemühungen seiner Papiere statt mit dem Einfangen eines Obers überbrückt hatte, kam sein Kellner endlich auch von ganz alleine zu ihm.

"Einen Milchkaffee, bitte", bestellte Lukas schnell, ehe der Kellner womöglich wieder verschwand. Eine Kleinigkeit zu essen wäre auch nicht schlecht, was sein Magen in diesem Moment leise knurrend bestätigte, aber Lukas verzichtete auf die Bestellung. Der gestresste Kellner war mit seinen Gedanken ohnehin schon beim nächsten vollbesetzten Tisch, von wo aus eifrig nach ihm verlangt wurde.

Lukas ignorierte seinen spürbar grummelnden Magen und ließ den überlasteten Kellner abziehen.

Er hätte auch gleich nach Hause laufen können, seine Wohnung lag in entgegengesetzter Richtung nicht weit vom Park entfernt. Aber Tino war noch in der Wohnung und so lange der dort am Einräumen seiner Habseligkeiten war, blieb Lukas ihm und den gepackten Umzugskartons lieber fern. Er würde schon früh genug wieder zu Hause sein und die hellen Flecken auf den staubigen Regalen anstarren können. Reine Zeitverschwendung.

Apropos Zeit.

Lukas reckte den Kopf und hielt Ausschau nach seinem Kellner. Scheinbar durfte man die nicht aus den Augen lassen, wenn sich erst einmal einer dazu hinabgelassen hatte, die Gäste zu bedienen, sonst sah man sie so schnell nicht mehr wieder.

Dann musste er sich wohl oder übel doch noch etwas mit sich selbst beschäftigen, dachte Lukas. Er sah auf die vor ihm ausgebreiteten Prüfungsbögen, unter denen eine Zeitung mit aufgeschlagenem Immobilienteil hervor lugte.

Das stand ihm ja auch noch bevor. Eine kleinere Wohnung, in die er nach Tinos Auszug ziehen konnte.

Lukas seufzte in Gedanken auf und schob schnell einen Fragebogen über die Zeitung mit den rot unterstrichenen Mietanzeigen.
 

Aus den Augen, aber immer noch im Sinn. Lukas resignierte. Das Problem war nur beiseite geschoben und nicht gelöst. Spätestens wenn die nächste Miete fällig war, würde er wieder daran erinnert werden, dass es so nicht mehr lange weiter gehen konnte. Er musste ausziehen, egal wie sehr er das auch hasste. Die jetzige Wohnung war für eine Person zu groß und vor allem zu teuer. Viel länger als zwei Wochen würde er den Vermieter mit seinen vertröstenden Ausreden nicht mehr abspeisen können.

Schon wegen des Führerscheins hatte Lukas einen Zweitjob in einem Früchte-Großmarkt annehmen müssen, weil es nicht anders ging. Den Führerschein brauchte er unbedingt für seinen ersten Job, da nach der Trennung von Tino seine bequeme und billige Mitfahrgelegenheit wegfiel. Und um nicht mehr länger von den teuren und umständlichen öffentlichen Verkehrsmitteln abhängig sein zu müssen, stand Lukas nun dreimal in der Woche morgens um halb Fünf in der Früchtehalle und half beim Verladen der Waren - was wiederum ebenfalls einiges an Zeit und Fahrtkosten nach sich zog.

Wenn das so weiter ging, würde er sich noch nach einem dritten Job umsehen müssen, um sich den zweiten leisten zu können...

Am liebsten hätte Lukas die ganzen Papiere vor sich mit einer einzigen Armbewegung vom Tisch gefegt.

Er nahm wohl besser doch den Vorschlag seiner Eltern, vorläufig zu ihnen zu ziehen, an. Wenigstens so lange, bis das Durcheinander wieder einigermaßen überschaubar war.

Aber was dann kam, konnte er sich schon lebhaft ausmalen. Ja, er war in den Augen seiner Eltern zu früh ausgezogen. Ja, sie hatten das alles schon früher gewusst. Und das Ende vom Lied? Er saß auf einem nicht zu übersehenden Haufen Schulden, den Tino ihm ohne Skrupel als Andenken hinterließ.

"Dreieinhalbtausend", stöhnte Lukas lauter als beabsichtigt auf.

"So viel kostet der Kaffee jetzt auch wieder nicht."

Lukas zuckte erschrocken zusammen, als die Stimme unverhofft neben ihm erklang. Aber es war nur der Kellner, der seinem Gast nun den langersehnten Kaffee servierte.
 

Lukas schaute ratlos in die Tasse. Das Getränk hatte eine Krone aus aufgeschlagener Milch und einen Klecks Kakaopulver in der Mitte. Es war nicht das, was er bestellt hatte.

"Hallo, Sie", rief Lukas dem verschwinden wollenden Kellner nach. "Entschuldigen Sie, aber ich hatte einen Milchkaffee bestellt und keinen Cappuccino." Lukas schob dem Kellner die Tasse mit dem falschen Getränk zu, der sie kommentarlos an sich nahm und von dannen zog.

Ob er den heute wieder sehen würde?

Lukas bereute zutiefst, den Cappuccino zurückgehen gelassen zu haben - sogar ein kleiner Keks hatte auf der Untertasse gelegen! -, doch jetzt war es ohnehin zu spät. Keks und Cappuccino waren weg und Lukas saß noch immer durstig und mit knurrendem Magen da und hoffte, wenigstens eines davon bald los zu sein.
 

Gelangweilt sah Lukas aus dem Fenster des Cafés und berechnete stumm, wie wohl die Chancen standen, dass er doch noch etwas zu trinken bekam.
 

Schlechtes Wetter + vollbesetztes Café x gestressten Kellner² = Null.
 

Prima, genau das, was er erwartet hatte.
 

Das Wetter schien indessen Lukas' Rechnung bestätigen zu wollen.

Der Wind trieb den Regen in Böen gegen das Glas und Lukas sah den durchsichtigen Rinnsalen nach. Einige der Regentropfen trafen sich auf ihrem Weg zur Erde, flossen ineinander und liefen dann als ein einziger großer Tropfen zusammen am Glas hinab.

Es konnte so einfach sein, Gesellschaft zu finden - so lange man ein Regentropfen war.
 

Der Kellner, mit dessen Auftauchen Lukas schon nicht mehr gerechnet hatte, stand nach sage und schreibe fünfzehn Minuten tatsächlich wieder an seinem Tisch.

Sogar eine Tasse hatte er dabei, die er nun vor dem jungen Mann auf der Tischplatte abstellte. Allerdings tat er dies so ungeschickt, dass die Tasse umkippte und sich deren Inhalt über Lukas' linkes Bein und einen Teil seiner Unterlagen ergoss.

Lukas sprang in Erwartung des Schmerzes durch den brühend heißen Kaffee schon auf, um wenigstens noch dem Hauptstrahl des Getränkes zu entgehen, sank aber sofort wieder zurück auf seinen Platz.

Es war kein heißer Kaffee, der ihm gerade das Schienbein hinunterlief. Das zäh hinabfließende Gemisch war eiskalt...
 

Das Gesicht des Kellners lief vor Scham leuchtend rot an. Hektisch riss er ein paar Servietten aus einem Spender auf dem Tisch und schmiss sie auf Lukas' Schoß.

"'Tschuldigung", nuschelte der Kellner geknickt und rupfte dabei weiter ein Papiertuch nach dem anderen aus dem chromfarbenen Metallkasten.

Lukas nahm sich ein paar Servietten von dem stetig anwachsenden Stapel auf seinem Schoß und säuberte damit seine durchtränkte Jeans.

"Zum Glück war es Eiskaffee, den Sie mir übergeschüttet haben und nicht der heiße Milchkaffee, den ich eigentlich bestellt hatte...", entgegnete Lukas und konnte sich dabei den sarkastischen Unterton nicht verkneifen.

Der Kellner, der die letzte Serviette aus dem Spender riss und auf Lukas' Bein beförderte, funkelte seinen Gast böse an. Dann nahm er die leere Tasse und verschwand wieder wortlos.
 

Lukas' Mitleid mit dem zu beschäftigten Kellner hielt sich in Grenzen. Er raffte die zu Boden gefallenen Fahrschulpapiere auf, trocknete sie so gut es ging von Kaffee und Eis und breitete sie erneut auf der Tischplatte aus. Dann widmete er sich wieder seiner Kleidung.

Die Hose war vorerst hin, ärgerte sich Lukas. Ein großer hellbrauner Kaffeefleck zierte seinen halben Oberschenkel und zog sich schlangenförmig über das Schienbein nach unten bis zum Saum. Die Wohnungsbesichtigung direkt nach dem Cafébesuch konnte er dann wohl vergessen.

Lukas legte das Papiertuch beiseite. Er sah sich um und überlegte dabei, was er nun mit den ganzen überflüssigen Servietten tun sollte, die noch immer auf seinem Schoß lagen.

Sollte er sie dezent unter den Tisch fallen lassen? Lieber nicht, es waren zu viele. Außerdem wollte er nicht mehr riskieren, dem ohnehin schon mies gelaunten Kellner noch weiter auf die Nerven zu gehen.

Er könnte die sauberen Servietten ja wieder falten und in den leeren Spender zurück stecken. Zeit dafür hätte er, so lange wie der lahme Kellner mit seiner Bestellung ja brauchte.

Sorgsam häufte Lukas die Servietten schließlich neben sich auf den freien Stuhl.
 

Der Kellner wagte in der Zwischenzeit einen dritten Anlauf, seinen Gast zufrieden zu stellen, und brachte den nächsten Kaffee.

Lukas bekam fast ein schlechtes Gewissen, als ihn die strafenden Blicke des Kellners trafen, nachdem dieser den Serviettenberg auf dem Stuhl neben Lukas entdeckt hatte.

Die Lippen zu zwei dünnen Linien zusammengepresst, raffte der junge Kellner entnervt die Papiertücher auf, um sie zu entsorgen.

Jetzt tat er Lukas doch ein wenig leid, dass er darüber sogar fast seinen eigenen Ärger mit der schmutzigen Hose vergaß.

Lukas beschloss, dem Ober etwas Nettes zu sagen. Er hob die Tasse an den Mund und sagte so laut, dass der Kellner es verstehen konnte: "Langsam machen Sie ja Fortschritte. Der Kaffee ist sogar heiß und nicht einmal auf meinem Schoß gelandet. Jetzt müssten Sie nur noch an Ihrer Geschwindigkeit arbeiten..."
 

Das stimmte zwar, war aber offenbar doch nicht nett genug, fiel es Lukas in der gleichen Sekunde ein. Und der Kellner fand das wohl auch. Er schnaubte verächtlich und sagte im Weggehen etwas, das Lukas verblüfft aufhorchen ließ:
 

"Affengesicht!"
 

Lukas, der gerade wieder einen Schluck aus der Tasse nehmen wollte, gefror kurzzeitig in dieser Bewegung ein.

Langsam stellte er die Tasse wieder ab.

Erst hatte dieser Kellner ihm nach einer dreiviertel Stunde Wartezeit zweimal das Falsche gebracht, hatte eines davon über Lukas' Unterlagen und die neue Jeans gekippt und nannte ihn nun auch noch Affengesicht?!

Alles was Lukas dazu sagen konnte, war:
 

"Benny-Bunny?"
 

Der Kellner wirbelte herum. Er sah Lukas entgeistert an, während sein Mund wie bei einem Fisch auf dem Trockenen ein paar Mal stumm auf und zu klappte. Als dann auch noch die Gäste an den umstehenden Tischen mehr oder weniger leise zu lachen begannen, verfärbte sich sein Gesicht in dem schon vertrauten Rot.

Noch einmal bedachte der Ober Lukas mit einem allessagenden Blick, der ganze Länder in Kriege stürzen oder wahlweise widerspenstige Gäste in Grund und Boden stampfen sollte, dann drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte schnurstracks zur Theke.
 


 

Was hatte er sich da schon wieder geleistet?! Heimlich sah Lukas zur Theke. Im gleichen Moment schaute auch der Kellner zu ihm, wandte sich aber sofort wieder ab, als er Lukas' Interesse bemerkte.

Mit einem Mal war sich Lukas doch nicht mehr so sicher, ob der junge Mann, den er gerade Benny-Bunny genannt hatte, auch wirklich derjenige war, den er sich erhoffte.

Äußerlich sah er aus wie wohl tausend andere Leute auch. Gut, eine gewisse Ähnlichkeit könnte man schon hinein interpretieren.

Die hellen Haare stimmten in etwa, die Sommersprossen auch. Natürlich war der Kellner größer als der Ben von früher. Das kindlich runde Gesicht war ebenfalls schmäler, kantiger, und ob er an den Knien Pflaster hatte, konnte Lukas ja leider so nicht sehen. Obwohl - nachfragen könnte er ja mal. Der Kellner hielt ihn doch sowieso schon für verrückt...

Lukas musste grinsen, senkte aber gleich wieder schuldbewusst den Kopf, als ihn die Augen des Kellners fixierten.

Die Pflasterfrage vergaß er dann wohl schnellstens wieder, dachte Lukas auf die missbilligenden Blicke des Kellners hin. Dabei hätte er zu gerne gewusst, ob seine erste Vermutung zutraf. Doch von Seiten des Kellners kam kein einziges Zeichen irgendeiner Reaktion, die dies bestätigt hätte.

Schön, er hätte auch kaum erwartet, dass er ihm nach dem 'Benny-Bunny' gleich freudestrahlend um den Hals fiel, wenn er tatsächlich Ben war, aber etwas mehr als nur Rotwerden wäre doch sicher drin gewesen. Und wenn er nicht Ben war, hätte er das ja auch sagen können, fügte Lukas trotzig hinzu. Schlimmer als das 'Affengesicht' wäre das dann auch nicht mehr gewesen.
 

Zeit, genügend über den Kellner herauszufinden, hatte Lukas jetzt jedenfalls keine mehr, wie er nach einem Blick auf seine Armbanduhr feststellte.

Tino dürfte mittlerweile aus der Wohnung verschwunden sein und er selbst konnte wieder dorthin zurück und sich etwas anderes anziehen. Vielleicht konnte er sich die neue Wohnung ja doch noch ansehen.
 

Lukas packte seine Fragebögen und die Tageszeitung zusammen und winkte dem Kellner an der Theke zu. Doch dieser übersah seinen zahlungswilligen Gast geflissentlich und tat so, als sei er unheimlich beschäftigt.

Das tat der doch absichtlich, mutmaßte Lukas misstrauisch, womit er auch nicht allzu falsch liegen könnte.

Der Kellner polierte gerade ein paar gespülte Gläser auf Hochglanz, dass selbst ein zigfach geschliffener Diamant ein Witz dagegen war, und räumte danach in aller Seelenruhe das Geschirr in die Regale ein. Als er zum sicher zehnten Mal innerhalb weniger Minuten über den Tresen wischte, reichte es Lukas.

Und ob das Absicht war!

"Der hat vielleicht Nerven." Lukas atmete hörbar aus. Kein Wunder, dass das Café so gut besucht war. Die Leute kamen ja gar nicht mehr von hier weg, wenn der Kellner ihre Bezahlung ignorierte. Oder war das hier etwa die Sonderbehandlung für aufsässige Gäste?

Lukas' Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen. Da das dem Kellner aber auch nicht sonderlich imponierte und vor allem nicht an Lukas' Tisch brachte, bemühte sich Lukas schließlich doch von selbst zur Theke, um zu bezahlen.
 


 

Lukas legte das Geld auf den Tresen neben die Kasse. "Ich musste zwar lange warten, aber der Milchkaffee zum Schluss war immerhin besser als der Eiskaffee auf meiner Hose."

Dem Kellner wich alle Farbe aus dem Gesicht und Lukas, der rätselte, ob diese Reaktion nicht doch zu übertrieben war, sah gleich darauf den Grund dafür.
 

Ein etwas älterer, untersetzter Mann stand in der Tür, die vom Thekenbereich aus nach hinten in eine Art Küche führte, und er hatte offensichtlich Lukas' letzte Worte mitbekommen. Ausgezeichnet sogar, wie er kurz darauf bewies.

Die Beschwerde des unzufriedenen Gastes, ließ den alten Mann aufmerksam die Ohren spitzen. Einem Derwisch gleich wirbelte er zur Theke. Die Hände in die umfangreichen Hüften gestemmt, baute er sich gewichtig vor dem Kellner auf und sah den um zwei Köpfe Größeren um eine erklärende Antwort herausfordernd an.

Von Seiten des Kellners hatte der Alte aber nichts zu erwarten, was ihn umso mehr ärgerte.
 

Lukas versuchte den zwar sichtlich wütender werdenden, aber immer noch stumm die feisten Backen aufblasenden Cafébesitzer im Vorfeld zu beschwichtigen und machte alles nur noch schlimmer.

Es wäre ja nicht so tragisch, beteuerte Lukas eifrig, nass wäre er dank des Regens ja sowieso schon gewesen und die Hose war auch alt, log er dem alten Mann ins Gesicht, ohne dabei Rot zu werden.

Alles nicht so schlimm, betonte Lukas noch einmal, damit es der Cafébesitzer auch tatsächlich registrierte, aber der hatte wohl nur 'nass' und 'Hose' verstanden und seine eigenen - wenn auch richtigen - Schlüsse daraus gezogen.
 

Dem Cafébesitzer stieg nun ein wütendes Rot in die Wangen und er flippte vollkommen aus. Er schrie den Kellner an, beschimpfte ihn wie wildgeworden, wobei sich seine Stimme die meiste Zeit vor Aufregung überschlug. Und genau darüber war Lukas dann letztendlich doch recht froh, da es ihm so erspart blieb, zu verstehen, was der Ältere dem armen Kellner gerade an den Kopf warf. Die sehr bildlichen Gesten und die mehr als ausdrucksstarke Mimik, die jeden Theaterschauspieler vor Neid den Beruf aufgeben lassen würde, waren jedoch verständlich genug, um zu wissen, was der alte Mann meinte.

Den Kellner konnte der Cafébesitzer mit seinem Redeschwall allerdings nicht sonderlich beeindrucken. Er stand vollkommen desinteressiert neben dem älteren Mann, füllte ein paar leere Zuckerstreuer auf und ließ die lautstarken Vorhaltungen bemerkenswert regungslos über sich ergehen. Es war wohl nicht das erste Mal, dass das geschah...
 

Nach sich endlos hinziehenden fünf Minuten hatte der Inhaber des Cafés auch realisiert, dass er mit seinen vorwurfsvollen Worten bei seinem Angestellten nicht auf offene Ohren stieß, und hörte endlich auf zu jammern und sich die ohnehin schon spärlich wachsenden Haare zu raufen.

Der alte Mann wandte sich nun wieder direkt an Lukas, entschuldigte sich vielmals für seinen angeblich unfähigen Kellner und redete sich währenddessen wieder so dermaßen in Rage, dass er zu Lukas' Entsetzen erneut anfing, noch einmal Minutenlang darüber zu lamentieren, was dieser Kellner nicht schon alles zerdeppert und in Brand gesteckt hatte, seit er bei ihm arbeitete.

Der Kellner verdrehte bei der nicht gerade schnell vonstatten gehenden Aufzählung aller Schäden genervt die Augen gen Decke und wischte weiter tapfer über die bereits blitzsaubere Theke.
 

"Lassen Sie Ihre Kleider reinigen und bringen Sie uns bitte die Rechnung vorbei", riet der Cafébesitzer Lukas und nickte zu dem scheinbar unbeteiligten Ober hin. "Er wird die Ausgaben dann selbstverständlich begleichen. Von seinem eigenen Lohn!"

Der letzte Satz war direkt an den Verursacher des Schadens gerichtet, dem vor Verblüffung die Kinnlade nach unten klappte.

"Er hatte den Tisch voller Zettel liegen und es war kaum Platz für den Kaffee. Dass die Tasse dann wegen seines Papierkrams umkippte, ist ja wohl nicht mein Problem!", protestierte der Kellner, aber sein Chef schnitt ihm wütend das Wort ab.

"Und ob das Ihr Problem ist!", blökte der seinen Angestellten an, in den nun endlich das Leben zurückzukehren schien - zumindest in seinen Kopf, der sich mit Lichtgeschwindigkeit Lukas zuwandte, um diesen mit seinen feindseligen Blicken zu durchbohren.
 

"Na ja..." Lukas, dem die ganze Szene immer peinlicher wurde, wand sich hilflos unter den giftigen Blicken des Kellners und dem erwartungsvollen Lächeln des Cafébesitzers.

Schließlich gewann der ältere Mann die Oberhand, aber nicht, weil Lukas wirklich auf eine Wiedergutmachung bestand, sondern nur, damit dieser nicht wieder über eine auf einer eingeschalteten Herdplatte vergessenen Schürze zu meckern anfing und Lukas endlich aus dem Café nach Hause kam. Die zu besichtigende Wohnung wartete schließlich nicht ewig auf ihn.

"Okay, dann bringe die Rechnung vorbei, sobald es geht", versprach Lukas hastig und vermied es danach, den Kellner direkt anzusehen.

Der Cafébesitzer nickte zufrieden.

"Schönen Tag noch!", blaffte der junge Kellner Lukas zum Abschluss erbost an. Das war wohl das Zeichen, dass er jetzt gehen durfte.

Lukas kramte eine Weile in seiner Hosentasche herum und förderte schließlich ein paar Münzen zu Tage, die er vor den Kellner auf die Theke legte.

"Vielen Dank für den Service", verabschiedete sich Lukas mit einem süffisanten Grinsen.

Am Gesicht des Kellners konnte Lukas bestens sehen, dass dieser ihm das Geld am liebsten nachgeworfen hätte, wenn nicht sein Chef noch in seiner Nähe gestanden hätte. Doch so sagte er nichts und starrte Lukas nur nach.
 

Eigentlich war er ja nicht rachsüchtig, aber das Trinkgeld hatte sich Lukas einfach nicht verkneifen können. Den Triumph, diesen überheblichen Kellner wenigstens einmal sprachlos sehen zu können, gönnte er sich noch. Immerhin war er es, der jetzt mit schmutziger Hose nach Hause laufen durfte.

An der Tür angekommen, drehte sich Lukas noch einmal zu dem Kellner um und begegnete dessen Blicken, die, erst noch rätselnd, sich augenblicklich wieder verfinsterten.

Der Kellner konnte ruhig so tun, als hätten sie sich noch nie im Leben gesehen, Lukas, das Affengesicht, wusste es besser. Es musste einfach Ben sein. Und er hatte Lukas auch erkannt.
 

Zufrieden trat Lukas hinaus auf die Straße. Ja, er würde tatsächlich wiederkommen und die entsprechende Rechnung mitbringen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Chimi-mimi
2007-11-04T21:05:49+00:00 04.11.2007 22:05
du hast wirklich einen sehr guten schreibstil, der mir wirklich gut gefällt!
keine fehler ^^'
und du bringst wieder gut die atmosphäre rüber, die stelle mit dem affengesicht und lucas reaktion!
insgesamt find ich die storyidee auch sehr schön!
Von: abgemeldet
2007-06-11T14:27:45+00:00 11.06.2007 16:27
wow, deine geschichte ist wirklich toll. ich mag deinen schreibstil! wunderbar zu lesen!

einwandfrei tolle geschichte...
Von:  abranka
2006-07-06T18:17:24+00:00 06.07.2006 20:17
Ich bin zufällig reingestolpert. Wie - das kann ich noch nicht einmal richtig erklären. ^^°

Mir hat die Geschichte auf Anhieb supergutgefallen. *zuihrenfavoritenaufnimmt*

Mich hat umgehauen, wie du die Atmosphäre rübergebracht hast. Sorglos in der Kinderzeit und doch mit namenlosen Schatten, bedrückt in der Gegenwart durch die Trennung, die behutsame Annäherung...
Einfach großartig. ^-^

Dein Stil ist lupenrein. Er liest sich wie feingeschliffen - keine Ecken, keine Kanten, keine Fehler schlichtweg so gut wie perfekt. ^^

Alte Freunde, ehemalige Freunde... Ja, manchmal trifft man sie wieder. Wenn man die Vergangenheit irgendwie wieder anknüpfen kann, ist das schön. Wenn man feststellt, dass man sich einfach nichts mehr zu sagen hat, ist es deprimierend.
Schön finde ich, dass es ausgerechnet der alte Freund ist, der Ben ein wenig auf die Beine hilft. Die Vergangenheit wird zur Gegenwart, stützt sie und schafft die Zukunft. Ein schöner Zirkelschluss. ^^

Es war mir ein reines Lesevergnügen. :-)


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