Momente von Alaiya ([One-Shots und Drabbles]) ================================================================================ Prokrastination --------------- Kyra wusste, dass sie losgehen sollte. Doch irgendwie konnte sie sich nicht durchringen. Noch einmal überprüfte sie ihre Kamera in der vagen Hoffnung, dass diese vielleicht doch kaputt war. Sie hobt die Kamera und visierte Watson an, den jungen Bernersennenhund, der nun seit einem halben Jahr bei ihr lebte und gerade müde auf dem Teppich vor ihrem Bett lag. Er war so unglaublich niedlich! Ein Foto. Dann noch eins. Es war eine Digitalkamera, doch wie so viele Kameras gab sie dennoch ein hörbares Feedback, indem sie das Geräusch einer sich schließenden Blende immitierte. Der Hund horchte auf und trottete zu ihr hinüber, um seinen Kopf auf ihren Schoss zu legen, und sie treuherzig anzusehen. Was natürlich nur eine Methode war, um sich Streicheleinheiten zu erbetteln, doch das war ihr egal. Er war einfach so niedlich und hatte so flauschiges Fell. „Braver Hund“, meinte sie, als er ein offenbar glückliches Jaulen von sich gab. Sie sah aus dem Fenster, wo der Abendhimmel sich langsam ins violette verfärbte, und seufzte. „Was meinst du, Watson, sollen wir losgehen?“ Der Hund ließ ein Bellen hören, was sie als ein „Jetzt nicht“ interpretierte. Ein Glück, denn der Meinung war sie auch. „Ja, wir haben noch ein bisschen Zeit, oder?“ Sie zog ihre Beine an, um sich auf die Fensterbank zu setzen und auf die Straße hinab zu schauen. Ja, es war noch Zeit. Und technisch gesehen war sie ja nicht mal verpflichtet über den fringe zu schreiben. Es musste nur irgendein Artikel zu einem aktuellen Event in der Stadt sein und es war ja nur für die Uni. Wahrscheinlich würden alle anderen ja schon über den fringe schreiben. Also: Warum machte sie sich überhaupt so viele Gedanken darüber? Sie konnte anderes tun. Immerhin hatte sie ein neues Buch. Nun kein neues Buch. Nicht per se. Aber es war eine neue Ausgabe der besten Sherlock Holmes Kurzgeschichten und wie hätte sie daran vorbeigehen können? Immerhin waren es nur zehn Pfund gewesen. Ja, sicher, sie kannte die Geschichten beinahe auswendig. Aber hey. Es waren halt ihre Lieblingsbücher. Immerhin stellte sie sich das Leben als Detektiv aufregend vor. Aufregender zumindest, als das Leben als Literaturstudent. Journalismusstudent. Was-auch-immer-student. Sie öffnete das Buch und begann zu lesen, wurde jedoch nach nur zwei Sätzen von Watson unterbrochen, der mit schiefgelegten Kopf neben ihr saß und ein fragendes Jaulen von sich gab. „Ach, wir haben ja noch ein bisschen Zeit“, meinte sie zu ihm. „Aber wir gehen gleich noch raus.“ Sie sah auf das Buch. „Lass mich nur eben diese Geschichte lesen, ja?“ Der Hund bellte. Zustimmung, beschloss Kyra, und fischte ein Leckerli aus der Tasche, die sie aktuell immer am Gürtel trug, hervor. „Braver Hund.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)