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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 37 - Life Goes On

Turn 37 – Life Goes On

 

 

„Diese hier … oder doch lieber die anderen?“

„Wenn du dich nicht gleich entscheidest, schieb' ich sie dir dahin, wo noch nie zuvor eine Hologrammdrohne gewesen ist!“ Schnaufend wurde hinzugefügt: „Was sich aber ganz schnell ändern wird, wenn ich davon gleich noch ein ganzes Bataillon hinterher schicke!“

Von ihrem Ausbruch zutiefst erschrocken, wich der höchstens zwölfjährige Junge vom Tresen zurück und betrachtete die unfreundliche Verkäuferin fassungslos, ehe er die Päckchen mit Duel Monster-Karten vor ihr auf den Tisch warf, auf der Stelle Kehrt machte und schließlich verstört aus dem Laden stürmte.

„Dachte ich mir. Du mich auch, Knirps“, brummte Anya Bauer, ihres Zeichens Kundenschreck #1, ihm noch hinterher und schnappte sich sauer die Booster, die neben der Kasse verteilt lagen.

 

Es war nicht zum Aushalten, dachte die junge, blonde Frau wütend. Aus ihren meeresblauen Augen warf sie einen teuflisch-bösen Blick auf den Tresen, welcher unter besseren Witterungsumständen glatt Risse in die gläserne Oberfläche gebrannt hätte.

Dabei musterte sie ihr Spiegelbild schnaufend und musste eingestehen, dass sie in ihrem schwarzen Totenkopfshirt nicht ganz dem typischen Bild einer Kartenverkäuferin entsprach.

Na und? Jeder hatte das Recht auf Selbstbestimmung!

Ja, sie hatte ihr Haar mittlerweile so lang wachsen lassen, dass ihr Pferdeschwanz ihr nun schon weit über das Kreuz reichte. Und ja, sie fand die beiden langen Strähnen, die ihr neuerdings rechts und links neben den Ohren hinunter hingen cool! Oder um es in Anyas Worten zu sagen, waren sie einfach 'bad ass'!

Anya verdrängte dabei erfolgreich, dass weniger ihr Äußeres, denn mehr das Innere ausschlaggebend für ihren mikroskopisch kleinen Erfolg bei den Kunden war. Denn der Gnom war weiß Gott nicht der Erste, der davon absah, sein hart erspartes Geld gegen eines der unzähligen Produkte des Kartenladens einzutauschen. Trotzdem war all das kein Grund, gleich das Weite zu suchen!

Was hatten die alle für ein Problem!? Entweder sie wollten was oder eben nicht! Sie sah ja nun -wirklich- nicht aus wie eine Schlägerbraut oder so, empörte sich Anya über dieses außerordentlich ungerechte Verhalten ihrer Kunden.

Dabei glatt ignorierend, dass sie schon seit Kindestagen an einen gewissen Ruf in ihrer Heimatstadt Livington genoss. Der im Übrigen auch nicht unschuldig daran war, dass die Kundenzahlen, seitdem sie hier arbeitete, rapide zurückgegangen waren.

Dazu musste man wissen, dass in Anyas kleiner, egozentrischer Welt -grundsätzlich- andere die Schuld trugen, wenn sie selbst Mist verzapfte.

 

„Hmpf, na toll!“, schnaufte sie unzufrieden und löste sich vom Tresen mit der Motivation einer sedierten Schildkröte.

Ja, sie hatte heute vielleicht ein wenig schlechte Laune! Wie konnte sie die auch nicht haben, wenn sie jeden Tag andere Leute draußen in der Mall spazieren gehen sah, während sie selbst hier vor sich hin vegetieren und arbeiten musste! Hinzu kam noch, dass sie jetzt wieder die Regale suchen durfte, aus denen das Rotzgör sich die Booster gegriffen hatte! Was jedes Mal ein Krampf war, wenn gefühlte hundert davon in geordneten Reihen in diesem verflucht riesigen Laden standen!

 

„Hast du schon wieder einen Kunden verschreckt, Bauer!?“, polterte es aus dem Lager, welches sich direkt hinter der Kasse befand.

Die Blonde runzelte mit saurer Mimik die Stirn, als sie den Tresen umkreiste. Mr. Palmer, ihr Chef, hatte sie vor drei Wochen eingestellt und es verging seitdem kein Tag, an dem er sich nicht über irgendetwas beschwerte.

Zugegeben, bei St. Peters, dem Klamottenladen direkt gegenüber, ist sie nach gerade mal drei Tagen gefeuert worden. Aber die hatten auch nicht einsehen wollen, dass manche Menschen einfach fett waren und ein verdammtes Recht darauf besaßen, es auch in aller Deutlichkeit zu erfahren.

„Der wollte klauen!“, log Anya lauthals, während sie durch die Reihen der Regale von Erweiterungssets hin bis vorgebauten Starter- und Expertendecks schritt.

Es gab hier eine unglaubliche Menge an Produkten und dennoch nicht wirklich mehr als beispielsweise noch vor einem Jahr, weshalb Anya nicht ganz nachvollziehen konnte, wieso als Verkäuferin plötzlich alles viel komplizierter war als sonst. Früher hatte sie hier nur nach bestimmten Sachen fragen müssen und bekam diese dann prompt ausgehändigt. Manchmal sogar unentgeltlich, wenn die 'Frage' richtig 'gestellt' wurde.

Heute nervten die Leute -sie- mit ihren albernen Bedürfnissen und oftmals wussten die am Ende trotzdem noch besser Bescheid als Anya selbst. Das sollte mal einer verstehen!

Sie schnaubte und hatte nebenbei endlich die Reihe mit den Boosterpacks gefunden, die sie gesucht hatte. An kleinen Metallstangen hingen sie direkt nebeneinander, sodass die junge Frau die Päckchen in ihrer Hand nur wieder darauf zurückschieben musste.

 

Wieso nur waren ihre Noten so schlecht gewesen, dass sie dadurch nicht aufs College gehen konnte!?

Es war einfach nicht fair! Hätten ihre Lehrer nicht ein Auge bei der Bewertung zudrücken können? Schön, sie hatte vielleicht ein paar Mal die Schule geschwänzt, war ab und zu durch Fehlverhalten aufgefallen und hatte hin und wieder auch schlechte Testresultate hervorgebracht!

So ein Unsinn, was hatten ihre Noten denn damit zu tun, dass Ernie Winter zum Beispiel gegen Ende des abschließenden Highschool-Jahres eine Halskrause brauchte, weil sie -versehentlich- gegen ihn gestoßen war, als er am Treppenrand stand und nicht gehorchen und Platz machen wollte!?

Das war doch alles eine riesengroße Verschwörung gegen sie und Anya konnte, ja wollte nicht einsehen, dass irgendetwas davon ihre Schuld gewesen war!

Aber nein! Statt wie Abby, ihrer besten Freundin, Valerie, ihrer Erzrivalin und Marc, ihrem ehemaligen Schwarm zu studieren, wurde sie jetzt von ihrer Mutter hin und her gescheucht, weil kein Arbeitgeber im riesigen Einkaufscenter Livingtons die Geduld hatte, sich an sie zu gewöhnen. Als ob das nun so schwer wäre!

Dabei machte Mr. Palmer sich noch recht gut. Trotzdem war er ein Idiot, weil er ihr nicht einmal Mitarbeiterrabatt gewährte!
 

„Hmpf, alles Idio-!“

Plötzlich krümmte Anya sich zusammen und sackte ungewollt in die Knie. Von ihrem Magen war ein stechender Schmerz in ihren ganzen Körper geschossen, wodurch sie wortwörtlich Sterne vor ihren Augen tanzen sah.

„Verdammter Kackmist“, stöhnte sie dabei.

Seit Monaten plagten diese merkwürdigen Krämpfe sie schon und wurden immer schlimmer. Aber zum Arzt zu gehen war für Anya keine Option! Das waren doch sowieso alles nur Quacksalber und sie würde auch ohne heilende Kräfte irgendwelcher Dämonen klar kommen.

Dämonen – Ha! Ein Kapitel, mit dem sie ein für allemal abgeschlossen hatte!

Die junge Aushilfsverkäuferin richtete sich wieder auf, nachdem der Schmerz verflogen war.

Na ja fast abgeschlossen, ein bisschen Dämonisches gab es in ihrem Leben noch.

 

Levrier …

Anya musste zugeben, dass sie seine Stimme gerne öfter hören würde, denn seit er sich damals selbst auf eine Karte reduziert hatte, kommunizierte er nur noch hin und wieder mit ihr. Natürlich vermisste sie die Zankereien mit ihm, die sie immer verlor, nur ganz unbedeutend wenig, so wenig, wie sie früher Valerie Redfield gemocht hatte – möge der Teufel sie aus ihrer piekfeinen Uni in Florida zu sich holen!

Dennoch hatte Anya sich so an Levriers ständige Nähe gewöhnt gehabt und auch jetzt, fast sieben Monate nach dem Erscheinen des Turms von Neo Babylon, fehlte einfach etwas. Und das lag nicht nur daran, dass die Incarnation-Monster von ihr, Valerie, Marc, Matt, Alastair und Henry fort waren. Nicht länger in dieses ganze Wirrwarr rund um Eden, Dämonen und Nicht-Dämonen und dem ganzen Quatsch verwickelt zu sein, war einfach …

Na schön, sie gab es ja ehrlich zu, es war in Wirklichkeit langweilig! In einem Kartenladen zu arbeiten war im Vergleich dazu, sich mit Dämonen zu bekämpfen, einfach nur öde.

 

Anya griff nach ihrer Hosentasche und zog ihr Deck daraus hervor. Die oberste Karte war [Gem-Knight Pearl]. Er war alles, was noch von Levrier geblieben war. Gäbe es ihn nicht, würde Anya jetzt vermutlich mit dem Gedanken leben, sie sei nicht mehr ganz knusper im Oberstübchen. Aber so wurde sie immer daran erinnert, dass damals alles real gewesen war.

Leider erschien Levrier nur selten in Pearls Antlitz, da er laut eigenen Aussagen Energie sparen beziehungsweise sammeln musste, um in der materiellen Welt zu erscheinen. Das war der Grund, warum sie ihr Kontakt miteinander nur noch auf Sparflamme lief.

 

„Fühlst du dich nicht gut?“

Erschrocken wirbelte Anya um und sah am Ende des Regals Mr. Palmer stehen, einen dunkelhäutigen, kräftigen Mann, dessen Haare und Bart bereits weiß wie Schnee anmuteten, obwohl er gar nicht so alt war.

„Nimm dir den Rest des Tages frei“, meinte er gleichmütig. „Ist heute eh nicht viel los und seit du da bist, kommen sowieso kaum noch Kunden.“

Grimmig verzog Anya das Gesicht. „Mir geht’s prima, danke! Aber wenn Sie unbedingt meinen, klar, zu 'nem freien Nachmittag sag ich doch nicht nein!“

Mit herausgestreckter Brust zog sie betont lässig an ihm vorbei und spürte doch immer noch flüchtig das Kneifen und Stechen, welches ihren ganzen Körper durchzog. Aber das würde sich wieder geben, war sicher nur ein Infekt oder ein geklemmter Nerv.

 

~-~-~

 

Missmutig stieg Anya vom Fahrrad. Ihren Führerschein hatte sie leider schon kurz nach dem Erwerb wieder abgeben müssen, weil sie vielleicht ein wenig zu aggressiv gefahren war. Andererseits, war es doch nun wirklich nicht ihre Schuld, dass irgendwelche lahmarschigen Schnecken vor ihr einfach nicht einsehen wollten, dass sie auch mal etwas schneller hätten fahren können!

Da aber alles nichts brachte, musste Anya seitdem längere Strecken per Fahrrad zurücklegen.
 

Sie machte dabei des Öfteren einen Umweg hierher, obwohl der kürzeste Weg nachhause über eine andere Strecke verlief. Was die junge Frau nicht davon abhielt, dennoch die Ruinenlandschaft des alten Schulgeländes zu besuchen. Dort, wo der Turm von Neo Babylon am 11. November des vergangenen Jahres erschienen war und den gesamten Campus samt Schulgebäude vernichtet hatte.

In diesem Turm wäre sie beinahe gestorben. Nein, nicht gestorben, sondern unsterblich geworden – und gefangen in einer Welt, die alle als Albtraum bezeichneten. Den Limbus.

Irgendwie zog sie dieser Ort trotz allem magisch an, vielleicht, weil sie durch ihn immer wieder an all die Kämpfe erinnert wurde, die sie hatte bewältigen müssen.

 

„Eden“, murmelte Anya leise, „was daraus wohl geworden ist?“

Ihr Blick wanderte über das mit hohen Zäunen abgesperrte Gelände, welches seither zu einer Ausgrabungsstätte erkoren worden war. Denn damals hatte die ganze Welt den Turm gesehen, als er für wenige Stunden erschienen war. Seitdem war Livington und insbesondere dieser Ort ein beliebtes Reiseziel für Touristen geworden.

Das weite, erdige Gelände war längst von den Überresten der Schule befreit worden. Stattdessen standen dort nun Container, welche Büros, Lagerräume und allen anderen Schnickschnack für die Forscher bereitstellten. Da die Leute selbst bei Nachtanbruch noch arbeiteten, um die Bruchstücke des Turms zu untersuchen, welchen Anya mithilfe des Dämonenjäger Matts damals in die Luft gesprengt hatte, standen dort auch ein paar spezielle Lampen und anderes Werkzeug herum. Selbst eine Security-Firma war angeheuert worden, damit bloß niemand das Gelände betrat, nachdem die Armee abgezogen war.
 

Anya seufzte. Von Matt und seinem Partner Alastair hatte sie schon lange nichts mehr gehört. Gelegentlich tauschten sie ein paar E-Mails aus, aber da die beiden oft unterwegs waren, ging das nicht so leicht. Immerhin jagten sie Dämonen – hoffentlich nur noch die, die wirklich Scheiße bauten!

Bald zwei Monate war es jetzt her, dass sie sich zuletzt geschrieben hatten.

Und Abby, ihre beste Freundin, studierte seit geraumer Zeit in Oxford. Daher sah sie jene nur noch sehr selten. Dafür telefonierten sie beide wenigstens noch regelmäßig.

Geblieben war ihr im Grunde nur ihr Freund Nick, ein arbeitsloser Volltrottel mit akutem Hirnschwund. Mit ihm traf sie sich am Wochenende regelmäßig, aber als Abby noch dabei war, hatte es wesentlich mehr Spaß gemacht.

 

Die Melancholie mit einem Kopfschütteln verscheuchend, wollte sich Anya gerade auf ihren Drahtesel schwingen, als dem Mädchen ins Auge stach, dass ihr gegenüber auf dem Bürgersteig etwas nicht stimmte.

Ein dunkler Dampf, fast schon Rauch, stieg mitten aus dem Boden.

„'kay“, sagte Anya mäßig beeindruckt, „entweder habe ich gerade Hallus oder wir haben mal wieder ein Problem. Bist du auch so ein Immaterieller, der im Turm eingesperrt war?“

Wäre ja nach Urila nicht der erste, dachte sie dabei grimmig. Das war noch das Beste gewesen, kaum hatte sie Eden überlebt, wollte diese Irre es auf noch viel hinterhältigere Weise öffnen!
 

Ehe Anya jedoch noch einen galligen Spruch loslassen konnte, erhob sich aus dem Nebel eine spiegelnde, dunkle Oberfläche und schoss zwei Meter in die Höhe. Und aus dieser trat einfach mir nichts, dir nichts eine lang gewachsene Gestalt heraus.

„Anya Bauer“, sagte jener Mann, noch bevor sein Gegenüber überhaupt reagieren konnte, „ich bin auf Anliegen meines Meisters hier, um dich zu holen.“

Das Mädchen blinzelte einen Moment verdutzt, ehe sie antwortete.

„Bist du der verdammte Sensenmann oder was soll der Auftritt?“

 

Nun gut, wie der Sensenmann sah er nicht gerade aus. Im Gegenteil.

Er trug einen schwarzen Anzug, unter dem ein weißes Hemd lag. Sogar eine graue Fliege hatte dieser Freak sich umgebunden und sah auf den ersten Blick aus, als wäre er aus einem dieser alten Filme entsprungen. Selbst weiße Handschuhe trug der Kerl. Demnach konnte man ihn beinahe als Klischee eines Butlers bezeichnen, so höflich und korrekt mutete er an.

Wobei sie noch nie einen Butler mit auf dem Millimeter gerade geschnittenem, bis zu den Schultern hängendem, schwarzem Haar und kreisrunder Sonnenbrille gesehen hatte. Genau das machte Anya auch stutzig.

 

„Hey Blassschnute, antworte gefälligst! Bist du ein Dämon? Wenn ja, hast du dir die Falsche zum Quatschen ausgesucht“, raunte sie, lehnte ihr Fahrrad an den hohen Zaun des abgesperrten Geländes und zeigte mit dem Daumen auf ihre Brust. „Mit mir und Dämonen ist das nämlich so'ne Sache, ich-“

„Ich weiß wer du bist“, wiederholte der Mann trocken, „kommst du mit mir?“

Mit einer einladenden Geste wich er zur Seite und deutete zu dieser Art Portal, das immer noch hinter ihm offen stand.

Erste Anzeichen der infernalen Anya Bauer-Premium Wut machten sich in Form zorniger Falten auf der Stirn des Mädchens bemerkbar, nachdem dieser Typ es doch tatsächlich gewagt hatte, sie mitten in ihrer Erklärung hinsichtlich ihres gemischten Verhältnisses zu Dämonen zu unterbrechen.

„Hackt es, oder was!?“, fauchte das Mädchen dementsprechend in ihrer wenig liebreizenden Art. „Ich komm nicht mit! Such dir einen anderen Dummen!“

Aufrecht wie ihr Gegenüber dort stand, schien er sich herzlich wenig von ihren Gebärden beeindrucken zu lassen. „Mein Meister hat mir aufgetragen, dich nicht eher gehen zu lassen, bis du mir folgst. Es ist von äußerster Dringlichkeit.“

„Hörst du schwer!? Ich sagte, ich komme nicht mit!“

 

Anya schnaubte wütend. Was wollte der Kerl überhaupt von ihr?

Hatte ihm seine Mutter denn nicht erzählt, dass man nicht mit Mädchen wie ihr allein weggehen sollte? Und was hieß hier Meister!?
 

„Okay, Laberbacke, nun fang' endlich an zu singen, wenn's sein muss! Wer ist dein Meister und was zum Henker will er von mir?“

Ein ungutes Gefühl beschlich sie nebenbei. Es war wohl keine Kunst darin anzunehmen, dass der Meister dieses Butlerverschnitts auch ein Dämon sein musste. Bloß wer könnte ausgerechnet an ihr Interesse haben?

Andererseits … was, wenn sich die Sache mit dem Turm herumgesprochen hatte? Man konnte sie immerhin als eine kleine Sensation bezeichnen, war sie schließlich dem Fluch des Tores Eden entkommen.

„Das alles wirst du erfahren, wenn du mir folgst“, erklärte der Fremde und ließ dabei den Arm sinken, den er die ganze Zeit einladend Richtung des Portals gehalten hatte. „Eher nicht.“

„Tch! Wenn du glaubst, mich neugierig gemacht zu haben, täuscht du dich!“, schnarrte Anya.

Sie hatte Besseres zu tun, als sich mit Dämonen herum zu ärgern. Zuhause lag noch ein unangerührter First Person Shooter, der dringend aus seiner Verpackung befreit werden wollte. Ödes Leben hin oder her, Zocken ging vor!

 

„Wenn das so ist“, sprach der Mann mit dem glatten, seidigen schwarzen Haar und streckte den Arm jetzt mit geballter Faust aus, „hat mein Meister mir aufgetragen, dich mit Nachdruck zu holen.“

Just in diesem Moment begann der linke Arm zu leuchten, als sich an ihm ein seltsamer Apparat materialisierte. Scheinbar aus tausenden bunten Mosaikteilen zusammengesetzt, ragte eine Duel Disk plötzlich von dort hervor, die ein wenig an einen Vogelflügel erinnerte.

„Ein Duell? Du willst mich durch ein Du-!“

Anyas Spott wurde jäh von einem Fingerschnippen ihres Gegenüber unterbrochen.

Einen Herzschlag später hatte sich ihre Welt in einen rosafarbenen Albtraum verwandelt – denn der Himmel war nicht mehr klar und blau, sondern sah nun aus wie ein Stück aus Barbies Kleiderkollektion. Und damit meinte Anya nicht ihren mit Nägeln, Rasierklingen und anderen scharfen Gegenständen ausgerüsteten Baseballschläger des gleichen Namens.

Irritiert warf sie einen Blick auf die Neubauten zu ihrer Rechten, dann zur Ausgrabungsstätte – die Menschen, Security-Leute, die Autos … alles war verschwunden. Die Straße war noch dieselbe wie vorher, aber irgendwie leer und verlassen. Bis auf Ausnahme dieses Freaks, der war -natürlich- noch da, whoop de-fucking-doo!

 

„Okay, ein Bannkreis“, schloss Anya wenig begeistert, da sie schon in der Vergangenheit das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatte, in einem eingesperrt gewesen zu sein.

„Korrekt. Du wirst ihn nur verlassen können, wenn du tust, was man dir sagt.“

„Dann“, murmelte sie mit unterdrücktem Zorn und legte langsam ihren geschulterten Rucksack ab, um daraus eine alte Battle City-Duel Disk hervor zu holen, „hast du gerade einen Freibrief in eine Welt voller Schmerzen unterzeichnet, Krümelhirn!“

Mit diesen Worten legte sie das Geschenk ihres Vaters an und reckte taff das Kinn vor. „Wenn du kämpfen willst, nur zu! Eine Anya Bauer kneift nicht.“

„Es ist mir eine Ehre“, erwiderte der in Schwarz gekleidete Butler und ließ mit einem weiteren Fingerschnippen das Portal hinter sich verschwinden.

Anya, welcher man durch solche Tricks schon lange kein „Uh“ oder „Ah“ mehr entlocken konnte, schnaubte ärgerlich. Heute war wirklich ein beschissener Tag!

„Okay, aber bevor wir anfangen, will ich wissen, wie du heißt, Laberbacke!“

„Mein Name lautet … Kyon.“

„Kyon also? Dann zeig mal, wie du mich dazu bringen willst mitzukommen! Duell!“

Auf ihren höhnischen Ruf erwiderte er nichts, sondern ließ nur gemeinsam mit ihr seine Duel Disk hochfahren, wobei in seinem Fall der Flügel ein Stück höher rückte und weitere 'Federn' für die Kartenzonen ausfuhren.

 

[Anya: 4000LP / Kyon: 4000LP]

 

„Als Herausforderer beginne ich das Duell“, bestimmte der Sonnenbrillenträger und zog neben seinem Startblatt von fünf Karten sogleich eine sechste auf. „Mein erstes Monster hört auf den Namen [Spellbook Magician Of Prophecy].“

Unter einem missfallenden Knurren Anyas legte er seine Karte auf eine der Monsterzonen.

Vor ihm gewann dadurch ein etwas kleinwüchsiger, junger Mann Gestalt. Von der blauen Robe an seinem Leib ging ein leichter Schimmer aus, ebenso wie von der gleichfarbigen Haube auf seinem Kopf. Doch er nahm davon keine Notiz, sondern las in dem dicken Wälzer, welchen er bei sich trug.

 

Spellbook Magician Of Prophecy [ATK/500 DEF/400 (2)]

 

„Uh!“, kommentierte Anya seinen Anblick gallig. „Der hat wohl zu lange in Tinkerbells Feenstaub gebadet?“

„Effekt dieses Monsters aktivieren“, setzte Kyon seinen Zug fort, „bei seiner Normalbeschwörung schickt er ein sogenanntes Spellbook, eine besondere Art von Zauberkarte, auf meine Hand.“

Da diese vom Deck kam, zog der junge Mann jenes aus seiner Duel Disk hervor und nahm sich gewählte Karte aufs Blatt, ehe er das Deck wieder im dazugehörigen Schacht positionierte.

„Meine Wahl, [Spellbook Of Secrets], aktiviere ich sogleich. Ihr Effekt ist identisch zu dem meines Magiers.“

Anya blinzelte verdutzt, während das Buch aus der Hand des Knirpses verschwand und kurz darauf ein neues, komischerweise identisches darin auftauchte. Jenes leuchtete blau, fast schon violett, als der Magier darin las.

Gleichzeitig durchsuchte Kyon sein Deck nach einer geeigneten Spellbook-Karte.

Warum tat er das, wunderte sich Anya? Er hätte doch gleich direkt mit seinem Monster nach der Karte suchen können, die er jetzt vorzeigte. Es war ein Spielfeldzauber.

„Wie du siehst, habe ich mich diesmal für [The Grand Spellbook Tower] entschieden. Bevor ich sie aktiviere, setze ich noch eine Karte.“

Der Butler schob erst besagten Zauber in den Zauber- und Fallenkartenslot seiner Flügel-Duel Disk, welcher sich daraufhin vor seinen Füßen materialisierte, ehe das Fach der Spielfeldzauber ausklappte und er seine gewählte Karte dort einlegte.

Die gesamte Umgebung veränderte sich schlagartig. Auch das letzte bisschen Livington war nun endgültig verschwunden. Stattdessen duellierten die beiden sich nun auf einer Straße, die direkt zu einem riesigen Turm führte, welcher hinter Kyon gefühlt bis in den Himmel ragte. Um ihn kreisten Ringe aus grünlichen Runen, sodass Anya sich unfreiwillig an den Turm von Neo Babylon erinnert fühlte.

„Damit beende ich meinen Zug“, sprach Kyon abschließend, „ich bin gespannt auf deine Antwort darauf, Anya Bauer.“

 

Die runzelte ärgerlich die Stirn, als sie zog.

„Meine Antwort? Die lautete nein, du schwerhöriger Volltrottel!“, keifte sie und führte innerlich einen kleinen Freudentanz ob der gezogenen Karte auf.

Mit diesem Schmierlappen würde sie jetzt den Boden putzen! Und wer Anya Bauer kannte, wusste, dass das mitunter wortwörtlich zu verstehen sein konnte.

„Ich aktiviere meine Zauberkarte [Gem-Knight Fusion]!“, krähte das Mädchen vor lauter Überheblichkeit und hielt besagte Magie mit ausgestrecktem Arm in die Luft.

Sogleich öffnete sich ein Wirbel aus dutzenden, verschiedenfarbigen Edelsteinen über Anya, der zwei Karten in sich aufsog.

„Damit verschmelze ich zwei Monster zu einem neuen, und zwar zu einem Gem-Knight! Für heute stehen [Gem-Knight Sardonyx] und [Kuriboss] auf dem Plan!“, erklärte sie. „Sardonyx, du bist das Gefäß! [Kuriboss], du bist die Seele! Werdet eins! Werdet [Gem-Knight Seraphinite]!“

Für einen kurzen Moment tauchten ein roter Ritter, bewaffnet mit einem gleichfarbigen Morgenstern und ein kleines, braunes Fellknäuel mit Sonnenbrille und grauem Cape auf, welche beide in den Wirbel gezogen wurden. Aus dem strahlte anschließend ein grelles Licht, bis daraus eine Ritterin sprang und sich vor Anya stellte.

Mit gezücktem Degen aus blauem Kristall und gleichfarbigen Umhang, ließ sie keine Zweifel offen, dass sie zum Kampf bereit war.

 

Gem-Knight Seraphinite [ATK/2300 DEF/1400 (5)]

 

„Als Normalbeschwörung“, rief Anya hinterher und knallte ein weiteres Monster auf ihre Duel Disk, „[Gem-Knight Iolite]!“

Was dazu führte, dass vor ihr ein weiterer Ritter die Szene betrat, diesmal in blauer Rüstung und mit einer Klinge in der Hand, welche ganz aus Wasser bestand.

 

Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]

 

„Und weil sie so gut ist, ermöglicht Seraphinite mir gleich noch eine Normalbeschwörung! Duh!“

Schon pfefferte Anya regelrecht ihre vorletzte Handkarte auf die Duel Disk. „Los, [Gem-Knight Sapphire]!“

Noch ein Krieger in saphirblauer Rüstung tauchte vor ihr auf, doch dieser schuf einen Wall aus Eis zwischen sich und möglichen Angreifern.

 

Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]

 

Kaum hatte sich das Ritter-Trio um Anya geschart, nahm jene die beiden schwächeren Exemplare und legte sie übereinander. Danach richtete sie sich an Kyon und streckte den Arm in die Höhe. „Und jetzt erschaffe ich das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster geboren! Lerne ihn kennen, den mächtigen Kristalldrachen!“

Unter lautem Getöse öffnete sich ein schwarzes Loch in der Mitte des Spielfeldes. Sapphire und Iolite verwandelten sich in braune Lichtstrahlen, die von dem Wirbel absorbiert wurden, welcher sich danach wiederum schloss.

„Xyz-Summon!“, schrie das Mädchen aus vollem Halse. Der Boden vor ihr brach laut krachend auf, wenngleich es nur eine holographische Darstellung war. „Erscheine, [Kachi Kochi Dragon]!“

Aus dem Spalt hervor trat ein massiver Drache, der tatsächlich mit einer silbrigen, durchsichtigen Kristallschicht bedeckt war. Hohl klang sein mächtiges Brüllen, als er aus dem Asphalt stieg und seine massiven Pranken in jenen bohrte. Zwei braune Lichtkugeln kreisten um ihn.

 

Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4} OLU: 2]

 

In einem Zug sowohl ein Fusions- als auch ein Xyz-Monster herausgebracht, dachte Anya stolz und reckte das Kinn vor. „So muss das laufen! Und jetzt volle Power, [Kachi Kochi Dragon]! Primo Sciopero!“

Mit einem Satz stieß der Kristalldrache sich vom Boden ab und stieg in die Luft auf. Anschließend, nachdem er die Hälfte der Strecke zum Feind hinter sich gelassen hatte, steuerte er im Sturzflug auf den Magier zu, holte bereits mit der Pranke aus.

Ein Fingerschnippen genügte, um Kyons verdeckte Karte aufspringen zu lassen.

„[Magical Dimension]“, nannte er sie, während sich sein Zauberbuchexperte aufzulösen begann. „Wenn ich einen Zauberer kontrolliere, erlaubt diese Karte mir, eines meiner Monster zu opfern, um einen anderen von meiner Hand zu beschwören. Zusätzlich zerstört sie dabei eines deiner Monster!“

Da die nächsten drei Ereignisse parallel zueinander abliefen, hatte Anya gewisse Schwierigkeiten, ihnen zu folgen.

Nicht nur zog ihr Drache mitten im Sturzflug die Notbremse, nein, vor Kyon materialisierte sich ein neuer, in violetter Robe gehüllter Magier. Und dieser wedelte sich geradezu abfällig wegschauend mit einem Fächer Luft zu.

Schlimmer war jedoch, dass hinter Seraphinite aus dem Nichts ein goldener, stehender Sarg erschien, der mithilfe von Ketten inmitten eines Gerüsts gehalten wurde. Seine Klappe schwang nach rechts auf, wodurch Seraphinite auf unbekannte Weise in sein Inneres gezogen wurde. Kaum war jene in seinem Inneren gefangen, verschloss er sich wieder von alleine und löste er sich unter einem Schrei der Ritterin auch schon wieder auf.

„Shit!“, fluchte Anya außer sich.

„Mein neuer Prophet hört auf den Namen [Emperor Of Prophecy]“, erklärte Kyon ruhig.

 

Emperor Of Prophecy [ATK/2300 DEF/2000 (5)]

 

„Ach ja!?“, herrschte Anya ihr Gegenüber jedoch ungehalten an und schwang den Arm aus. „Mir doch egal! [Kachi Kochi Dragon], setze den Angriff fort! Primo Sciopero!“

Noch während der Drache wieder zum Sturzflug ansetzte, schob Anya einen Schnellzauber – ihre letzte Handkarte – in die Duel Disk ein.

„Ha! Mal sehen, wie gut dein komischer Zauberfuzzi mit der [Forbidden Lance] umgehen kann!“

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, wurde der Fächer des überaus überraschten Kaisers durch einen schlichten, goldenen Speer ersetzt. Und da der Magier die Bedienungsanleitung nicht gelesen hatte, wurde er durch regelmäßige Stromstöße geschockt, die von dem Speer ausgingen.

 

Emperor Of Prophecy [ATK/2300 → 1500 DEF/2000 (5)]

 

Anya gluckste zufrieden in sich hinein.

Diesen Zauber und ein paar weitere Karten hatte sie Caroline Mayfield abgetauscht, die ebenfalls im Einkaufszentrum arbeitete. Die gute Caroline war einst von Abkömmlingen des Dämonen Another, dem Drahtzieher hinter den Ereignissen rund um Eden, besessen gewesen. Dabei hatte sie ein Deck erhalten, was unter anderem die Forbidden-Zauberkarten enthielt.

Da die schüchterne Blonde aber schon lange auf der Suche nach einem Abnehmer für diese Karten war, gruselte sie sich schließlich noch immer vor ihnen, hatte Anya ihr den 'Gefallen' erbracht und sie von den Karten befreit. Und dahinter hatten auch gewiss keine betrügerischen Absichten gesteckt!

Dummerweise hatte die hohle Nuss Caroline die besonders seltene [The Supremacy Sun]-Karte längst für ein Heidengeld auf eBay versteigert. Aber immerhin hatte sie dennoch die ein oder andere nette Karte von ihr bekommen, dachte Anya zufrieden.

So wie diese hier.

 

„[Forbidden Lance] macht ein Monster für einen Zug gegen Zauber- und Fallen immun“, erklärte sie mit ausgestrecktem Oberlehrerzeigefinger, „aber das kostet was! Nämlich 800 Angriffspunkte! Damit kann mein Drache deinen Macker jetzt besiegen! Auf ihn mit Gebrüll!“

Der Butler Kyon sah überrascht auf, wie [Kachi Kochi Dragon] seinen Sturzflug des Verderbens wieder aufnahm und mit nur einem Prankenhieb erreichte, dass sein Magier nun als lebendes Puzzle durchging. Formvollendet explodierte der Kaiser als Höhepunkt dieses Aktes schließlich.

„Kein Kampfschaden?“, stellte der junge Mann verwundert mit einem Blick auf seine Duel Disk fest, da ploppte vor ihm der braune Fellball von eben aus dem Nichts hervor und quietschte in hohen Tönen.

„Kuri, Kuri!“

„[Kuriboss]“, erklärte Anya und zeigte die Karte des Kuriboh-Oberhauptes vor, „hat einen netten Effekt. Er kann Kampfschaden annullieren, wenn er vom Friedhof verbannt wird.“

Ihr Gegner verstand jedoch die Absicht dahinter nicht. „Das war dumm. Meinen Kampfschaden damit zu annullieren, statt später den eigenen … warum?“

„Tja, 600 lausige Lebenspunkte sind es nicht wert geraubt zu werden“, gab sich das Mädchen cool und zuckte lässig mit den Schultern, dabei mit einem bitterbösen Lächeln auf den Lippen, „und weil es natürlich die Sondereffekte von [Kuriboss] auslöst, was sonst? Stoppe ich deinen Kampfschaden, darf ich eine Karte ziehen! Und mehr noch, eines meiner Monster erhält 300 Angriffspunkte!“

Sofort griff das Mädchen nach ihrer Duel Disk und riss ruckartig die oberste Karte von ihrem Deck. Zur selben Zeit glitt der Fellball mit Cape und Sonnenbrille herüber zu Anyas Drachen, welcher direkt vor Kyon verharrte und verschwand quietschend in ihm. Was bewirkte, dass besagter Kristalldrache aufschrie und in weißer Aura aufglühte.

„Prima!“, rief Anya beim Anblick ihrer neuen Karte und griff plötzlich nach dem Xyz-Monster auf ihrer Duel Disk. „Sorry, aber wenn du denkst, dass du so leicht davon kommst, täuscht du dich! Da [Kachi Kochi Dragon] ein Monster im Kampf besiegt hat, kann ich einmal pro Zug eines seiner Xyz-Materialien entfernen …“

 

Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 → 2400 DEF/1300 {4} OLU: 2 → 1]

 

Was sie hiermit tat und es in den Friedhofsschacht schob. Gierig schnappte ihr Drache nach einer der beiden um ihn kreisenden Sphären und verschluckte sie.

„... und ihn dafür noch einmal angreifen lassen! Secondo Sciopero!“

Einen überrumpelten Laut von sich gebend, gelang es Kyon nicht mehr rechtzeitig dem Prankenhieb seines drakonischen Gegenübers auszuweichen. Die Klaue ging wie Butter durch seinen Körper hindurch und Anya verfluchte die Tatsache, dass sie nicht mehr über Levriers Kräfte verfügte, um realen Schaden anzurichten.

 

[Anya: 4000LP / Kyon: 4000LP → 1600LP]

 

„Das war gut“, lobte der Butler sie, nachdem der Drache sich wieder zu seinem herrischen Frauchen zurückgezogen hatte. „Ein exzellenter Treffer.“

Ihren Gegner als „Schleimer!“ titulierend, nahm Anya ihre neugewonnene Handkarte und schob sie in den Slot, der unter dem von [Kachi Kochi Dragon] lag.

„Die setze ich verdeckt“, erklärte sie, wobei sich die Karte vor ihren Füßen materialisierte, „sprich schon mal dein Gebet! Ich mag es nämlich gar nicht, wenn man mir meine One Turn Kills versaut! Zug beendet!“

 

Wortlos zog Kyon auf vier Karten auf und streckte dabei den Arm aus. Der Turm im Hintergrund begann grünlich zu leuchten. „Da auf meinem Friedhof Zauberer liegen, kann ich in meiner Standby Phase ein benutztes Spellbook unter mein Deck legen, um eine Karte zu ziehen.“

Demnach holte er [Spellbook Of Secrets] aus dem Friedhof, schob es unter das Deck und zog wie angekündigt.

Anya hasste dieses Deck jetzt schon.

Umso überraschter war sie anschließend, als Kyon drei Zauberkarten von seiner Hand vorzeigte, welche allesamt weitere dieser komischen Zauberbücher waren. So hießen sie [Spellbook Of Fate], [Spellbook Of Eternity] und [Spellbook Of Wisdom].

„Indem ich drei Spellbooks vorzeige, kann sie von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören, die [High Priestess Of Prophecy]!“

Vor ihm erhob sich eine wunderschöne, pinkhaarige Zauberin, gekleidet in weißer Robe und gleichfarbigen Stiefeln. Sogar der Hut besaß dieselbe Farbe und Anya musste sich einen fiesen Kommentar bezüglich der von ihm herabhängenden Stoffstreifen mit eingenähten Zaubersprüchen darauf verkneifen, die ihrer Meinung nach verdammt dämlich aussahen.

 

High Priestess Of Prophecy [ATK/2500 DEF/2100 (7)]

 

„Uh!“, entfleuchte es ihr beim Anblick der Angriffspunkte der Hexe. „Nicht gut.“

„Von meiner Hand nun die Zauberkarte [Spellbook Organization]“, sprach Kyon in ruhigem Tonfall weiter und schob den Schnellzauber in seine Duel Disk ein.

Vor ihm tauchten die Abbilder dreier Karten auf, die er mit Bild sehen konnte, wohingegen Anya nur die Rückseite bestaunen durfte. Mit flinken Handbewegungen ordnete der schwarzhaarige Butler sie neu an und erklärte dabei den Effekt: „Die obersten drei Karten meines Decks, oder wahlweise auch die meines Gegners, können damit angesehen und neu arrangiert werden.“

Da er sein eigenes Deck bearbeitete, begann dieses mit einem komplizierten Mischprozess, die obersten drei Karten neu zu sortieren.

„Alles läuft nach meinem Plan“, erklärte Kyon und griff nach seinem Friedhof, „nun erlebe die Fähigkeit der hohen Priesterin. Indem ich ein Spellbook vom Ablagestapel verbanne, zerstört sie eine deiner Karten. Um nicht in eine Falle zu laufen, wähle ich ebendiese auf deiner Spielfeldseite.“

Anya wich einen halben Schritt zurück, als die Magierin ihres Gegners mit einem Händeklatschen ein Buch in ebendiese zauberte und daraus in einer seltsamen Sprache vorzulesen begann. Sogleich tauchten verschiedene, leuchtende Runen um ihre gesetzte Karte auf und fingen an um jene zu tanzen.

„Nicht mit mir!“, fauchte das Mädchen und drückte den Auslöser an ihrer Duel Disk, was ihren Schnellzauber zum Aufspringen brachte. „Ich kette [Forbidden Chalice] an. Sie annulliert eine Runde den Effekt eines Monsters, gibt ihm dafür aber 400 Extraangriffspunkte.“

Die Stirn runzelnd, überlegte Anya angestrengt. Es war sinnlos, jetzt noch den Effekt dieser ollen Schrulle zu negieren und sie noch stärker zu machen. Demnach kam nur ihr eigenes Monster infrage.

„Ziel ist [Kachi Kochi Dragon]“, gab die Blonde daher bestimmend von sich.

Schon tauchte über ihrem Drachen ein kleiner, goldener Kelch mitten in der Luft auf. Er neigte sich wie durch Zauberhand ein Stück nach vorn, um den Wein direkt in das Maul des Kristallungetüms zu schütten, welches seinen Kopf nach oben reckte und gierig den mit scharfen Zähnen bespickten Schlund öffnete. Kaum hatte er den Wein in sich aufgenommen, verschwand der Kelch wieder.

 

Kachi Kochi Dragon [ATK/2400 → 2800 DEF/1300 {4} OLU: 1]

 

„Dann ist es sinnlos, einen Angriff zu wagen“, stellte Kyon im Angesicht des gestärkten Monstrums fest und zückte stattdessen eine Zauberkarte. „Daher aktiviere ich [Spellbook Of Eternity], welches mir erlaubt, ein verbanntes Spellbook auf die Hand zu nehmen. Die Wahl fällt auf [Spellbook Organization].“

Und während vor dem langhaarigen Butler ein weißes, leuchtendes Buch auftauchte, verstand Anya den Sinn hinter dieser Aktion nicht. Er hatte doch schon sein Deck neu formiert. Wollte er dasselbe jetzt bei ihr tun, oder warum war er so scharf auf das Ding?

„Ich setze zwei verdeckte Karten“, erklärte Kyon und ließ beide vor seinen Füßen erscheinen. Dabei hatte er seinen Blick jedoch auf seine letzte Handkarte gerichtet. „Alles geschieht zur rechten Zeit unter den richtigen Bedingungen. Damit gebe ich an dich ab, Anya Bauer.“

Bevor das Mädchen sich noch mehr darüber wundern konnte, warum er dieses komische Zauberbuch nicht aktiviert hatte, um ihr Deck umzugestalten, musste sie angewidert den Kopf zur Seite drehen. Denn ganz unverblümt verabschiedete sich ihr Drache von dem wohl doch nicht so köstlichen Wein und würgte ihn wieder hervor.

 

Kachi Kochi Dragon [ATK/2800 → 2400 DEF/1300 {4} OLU: 1]

 

Wenig angetan vom reizenden Verhalten ihres Drachen, griff Anya nach ihrem Deck und zog eine neue Karte. Leider musste sie bei deren Anblick feststellen, dass Gott ihr einmal mehr seinen Mittelfinger herausgestreckt hatte.

„Na toll“, murrte sie, „auch das noch.“

Eine Falle. Sie brauchte aber etwas, das sie sofort einsetzen konnte!

Das Mädchen überlegte. Im Grunde blieb ihr keine andere Wahl als zu bluffen und auf ihr Glück zu vertrauen. Denn wenn man bedachte, dass diese pinkhaarige Hexe ihre Karten zerstören konnte, war es unsinnig, nur eine verdeckte Karte auszuspielen. Also besorgte Anya sich einfach eine zweite, um ihren Gegner zusätzlich einzuschüchtern.

„Ich verbanne [Gem-Knight Sapphire] von meinem Friedhof“, erklärte das Mädchen und holte dabei gleich zwei Karten von ihrem Friedhof, „um [Gem-Knight Fusion] von genau dort auf die Hand zu bekommen.“

Damit schob sie ihren Ritter in die hintere Hosentasche ihrer Jeans und fügte ihre Fusionskarte dem Blatt hinzu. Anschließend drehte sie [Kachi Kochi Dragon] auf ihrer Duel Disk widerwillig in die Horizontale, sprich die Verteidigungsposition. Jener versank auf magische Weise im Asphalt, bis nur noch sein Kopf und ein Teil seines Torsos zu sehen war.

 

Kachi Kochi Dragon [ATK/2400 DEF/1300 {4} OLU: 1]

 

Das getan, schob sie ihre beiden letzten Handkarten in die Zauber- und Fallenkartenzonen.

„Die zwei Süßen verdeckt“, gab sie mürrisch zum Besten, wobei sich ihre beiden Bluffs vor ihr materialisierten, „Zug beendet. An deiner Stelle wäre ich jetzt vorsichtig mit dem, was ich mache!“

 

„Keine Sorge“, erwiderte Kyon unbehelligt und zog mit einer eleganten Handbewegung seine nächste Karte, „in der Ruhe liegt die Kraft. Ich habe nicht vor, etwas zu überstürzen.“

Hinter ihm leuchteten wieder das ganze [The Grand Spellbook Tower] in grellem, grünem Licht auf.

„Wie schon im letzten Zug, schicke ich [Spellbook Of Eternity] unter mein Deck, um eine weitere Karte zu ziehen.“

Entsprechend seiner Erklärung legte der Butler den verbrauchten Zauber unter sein Deck und zog auf fünf Handkarten auf.

Die mit einem weißen Handschuh bedeckte, rechte Hand einmal schnippen lassend, ließ Kyon sogleich eine seiner verdeckten Karten aufspringen. „Ich aktiviere [Spellbook Organization]. Damit arrangiere ich die obersten drei Deckkarten eines Spielers neu an. Diesmal deines.“

„Oh shit!“, entlockte er Anya damit.

Vor Kyon tauchten die drei Abbilder der Deckkarten des Mädchens auf, welche er mit schnellen Handbewegungen so arrangierte, dass seine Gegnerin minimalen Nutzen daraus ziehen konnte. Als er mit der neuen Reihenfolge zufrieden war, klatschte er zweimal in die Hände, um dies kundzutun.

Schon mischte Anyas Duel Disk die Karten um. Was nur dafür sorgte, dass er von ihr eine obszöne Geste mit geladener Mittelfingerpower erhielt.

„Du bist so tot, Dreckskerl!“, schickte sie begleitend hinterher. „Das ist unfair! Niemand rührt mein Deck an!“

Kyon schmunzelte. „Nicht ich, dein Drache. Ich aktiviere den Effekt von [High Priestess Of Prophecy] und verbanne [Spellbook Organization] von meinem Friedhof, um [Kachi Kochi Dragon] zu vernichten.“

Anya blieben die Worte im Halse stecken, als sie mit ansehen musste, wie diese pinkhaarige Schnepfe wieder aus ihrem Zauberbuch vorlas und diesmal dafür sorgte, dass der Kristalldrache von Innen heraus in tausend Teile auseinander gerissen wurde.

„Oh fuck, was soll das!?“, beklagte sich Anya, die am wenigsten damit gerechnet hatte, dass er sich auf ihr Monster konzentrieren würde, wo er doch zwei gesetzte Karten zur Auswahl hatte.

„Ruhig, aber mit Nachdruck, das ist, was meinen Duellstil ausmacht. Und nun sieh her“, bat er freundlich, aber distanziert und zeigte zwei Zauberkarten von seinem Blatt vor, „ich aktiviere [Spellbook Of Life], wobei ich für diesen Zweck ein weiteres Spellbook von meiner Hand vorzeigen muss. So, wie [Spellbook Of Fate] eines ist.“

Aus dem Friedhof seiner bunten, flügelartigen Duel Disk schoss förmlich der [Spellbook Magician Of Prophecy] heraus, den Kyon nahm und in den Schlitz darunter, die verbannte Zone, schob.

„Diese Karte genehmigt die Reanimation eines Zauberers, wenn ich einen weiteren, gefallenen Zauberer banne. Dabei wird das Wissen des Verbannten an den neu erwachten Zauberer weitergegeben.“

Anya lief ein Schweißtropfen über die Stirn, als neben der pinkhaarigen Magierin ihr Kollege im violetten Gewand mit dem Fächer in der Hand erschien.

 

Emperor Of Prophecy [ATK/2300 DEF/2000 (5 → 7)]

 

„Nur die Stufe hat sich verändert“, murmelte sie. Dann machte es klick. „Du willst doch nicht etwa-!?“

„Doch. Sicherlich wäre es einen Versuch wert, mit meinen Monstern direkte Angriffe auf deine Lebenspunkte zu wagen“, sagte Kyon und schob mit dem Zeigefinger seine minimal verrutschte Sonnenbrille zurecht, „aber wie ich sagte, ist mein Duellstil von Geduld und Gründlichkeit geprägt. Daher werde nun Zeuge, wie ich das Overlay Network erschaffe! Aus meinen zwei Stufe 7-Monstern …“

Schnaufend zuckte das Mädchen zusammen, als ihr Gegner den Arm ausstreckte. Zwischen ihnen beiden öffnete sich auf der Straße zum Turm ein schwarzer Wirbel, welcher seine Magierin in einem gelben und den Kaiser in einem violetten Lichtstrahl absorbierte.

„... wird ein Rang 7-Monster! Erhebe dich, oh heiligster aller Zauberweber und teile mit uns deine Weissagung!“

Ein gelbschwarzer Blitz schoss aus dem Wirbel heraus. Doch nicht er war es, der Anya den Atem stocken ließ – es war dieses weinrote Leuchten, das kaum bemerkbar unter dem rechten Ärmel des Butlers hervor schimmerte.

„Das kann nicht sein!“, stammelte sie und hoffte, sich zu täuschen.

„Xyz-Summon! Erscheine, [Hierophant Of Prophecy]!“, nahm Kyon ihren Ausruf jedoch gar nicht wahr.

Begleitet von den Blitzen tauchte aus dem Wirbel ein groß gewachsener Magier hervor. Gekleidet in schwarzer Robe, flatterten unzählige weiße Stoffbänder mit Zaubersprüchen darauf von ihr durch die Luft. Den langen Zauberstab fest umklammert, setzte der schwarzhaarige Hierophant einen strengen Blick auf. Zwei Lichtsphären kreisten um ihn.

 

Hierophant Of Prophecy [ATK/2800 DEF/2600 {7} OLU: 2]

 

Anya verharrte wie gelähmt auf der Stelle.

Das Leuchten von Kyons Arm und dieses Monster! Dieser Kerl stand doch nicht etwa in Pakt mit einem Immateriellen!?

Nein, eine andere Erklärung gab es dafür gar nicht!

Genau wie sie, Valerie Redfield, Marc Butcher, Matt Summers, Henry Ford und Alastair damals, schien er tatsächlich einen Pakt eingegangen zu sein. Aber mit wem!? Bisher hatte sie angenommen, er selbst wäre ein Dämon in menschlicher Gestalt!

 

„Ich aktiviere meine zweite verdeckte Karte [Spellbook Of Wisdom]“, rief Kyon derweil und ließ jene mit einem Fingerschnippen aufspringen, „sie macht einen Zauberer immun vor Magien oder Fallen und es sind letztere, die ich wähle!“

Kurz darauf tauchte vor dem düsteren Propheten ein Zauberbuch auf, welches jener eifrig las, ehe es verschwand. Was Anya jedoch kaum wahrnahm.
 

Isfanel, Another und Urila waren tot. Nun wusste Anya von dem Dämonenjäger Matt, dass nicht nur Immaterielle Pakte schließen konnten, aber sie hatte nie jemanden gesehen, der mit -richtigen- Dämonen einen solchen geschlossen hatte. Dieser Typ, mit wem stand er in Kontakt? Mit seinem Meister?

„Hast du es endlich erkannt, Anya Bauer?“, fragte Kyon und ein geheimnisvolles Lächeln umgab seine Lippen.

Und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie redete nicht mit dem Gefäß, sondern demjenigen selbst, der sich jenes Körpers bemächtigt hatte! Nur die Immateriellen sprachen ihre Mitmenschen mit vollem Namen an, so'n Ehrending oder was auch immer!

„Du hast den Typen da besetzt!“, schrie sie ihn an. „Du bist so'n körperloser Freak, oder!?“

„Als Freak würde ich mich nicht bezeichnen. Und nein, dieses Gefäß ist nur eine leere Hülle, denn der wahre Besitzer ist schon lange fort.“

Verächtlich pfiff Anya durch die Zähne. „Als ob! Jeden von euch, den ich bisher kennengelernt habe, war ein mieser Halunke, der einen Scheiß auf seinen Wirt gegeben hat!“

Kyon zuckte immer noch lächelnd mit den Schultern. „Das streite ich nicht ab. Viele meines Volkes sind kompromisslos. Was ich sage entspricht jedoch der Wahrheit.“

„Tch, verarschen kann ich mich auch alleine!“, gab Anya misstrauisch zurück. „Ist mir im Endeffekt auch schnuppe, ich habe nämlich nicht die Absicht, dein Opfer zu retten!“

„Mein 'Opfer'“, sagte er und sprach es mit besonderer Betonung aus, „ist schon lange nicht mehr zu retten.“

 

Plötzlich wandelte sich sein Tonfall und wurde düsterer. „Aber hast du nicht andere Sorgen? Ich aktiviere nämlichen den Effekt von [Hierophant Of Prophecy] und hänge ein Xyz-Material ab!“

Anya knurrte regelrecht vor Wut, weil ihr Böses schwante.

Als der Magier nämlich seinen Stab in die Höhe hielt und damit das Xyz-Material absorbierte, begann seine Waffe grell in grünem Licht zu leuchten.

Kyon erklärte: „Der Hierophant nutzt das Wissen der Vergangenheit und setzt es ein, um die Zukunft zu beeinflussen.“

 

Hierophant Of Prophecy [ATK/2800 DEF/2600 {7} OLU: 2 → 1]
 

„Was soll das heißen!?“, empörte sich seine Gegnerin, die kein Wort verstand. „Red' Klartext!“

„Für jedes Spellbook auf meinem Friedhof wird eine deiner Zauber- oder Fallenkarten zerstört.“

„Uh- Was!?“

Da richtete der elegante Magier seinen Zauberstab bereits schräg nach unten, zielte damit auf Anyas gesetzte Karten. Zwei schwarze Feuerbälle lösten sich von seiner Spitze und schossen wie Kanonenkugeln auf ihre Ziele zu.

Kurz darauf wurde Anya in eine Explosion gehüllt. „Fuck! Und ich dachte, der Idiot würde Schiss vor meinem Bluff haben!“

Der Rauch verzog sich und statt der beiden gesetzten Karten, verharrte nun der Ritter des Saphirs in kniender Position vor Anya und schuf zwischen sich und dem Feind eine Eisbarriere.

 

Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)]

 

„Ein lausiger Bluff“, kommentierte Kyon das, „aber du hast deine Karte aktiviert, bevor sie vernichtet werden konnte, wie ich sehe.“

Anya schnaubte und schob ihre ehemals gesetzte [Gem-Knight Fusion] sowie die Falle, die sie aktiviert hatte, in den Friedhofsschlitz. „Verdammt richtig, Einstein! [Gem-Knight Barrier] beschwört einen verbannten Gem-Knight in Verteidigung auf mein Feld. Eigentlich wollte ich mir die noch aufheben …“

„Wenn du denkst, dich dadurch schützen zu können, irrst du dich“, sprach ihr Gegner und präsentierte ihr zwischen Mittel- und Zeigefinger seine letzten beiden Handkarten. „Ich aktiviere die zweite Kopie meines [Spellbook Of Secrets] und [Spellbook Of Fate]. Mit dem ersten Buch erhalte ich ein neues von meinem Deck. Für meine Zwecke wähle ich [Spellbook Of Eternity].“

Und als sein Hierophant in dem neu aufgetauchten, blauen Buch in seinen Händen zu lesen begann, zog Anya nebenher die Stirn kraus. Langsam kam sie bei diesen schwachsinnigen Zauberbibeln nicht mehr mit! Dauernd wechselten die vom Friedhof zum Deck, von der Verbannungszone zur Hand und was auch immer! Viel zu kompliziert für ihren Geschmack!

Kaum hatte Kyon sich [Spellbook Of Eternity] aus dem Deck aufs Blatt genommen, erklärte er den Effekt der zweiten aktivierten Karte. „Nun zu [Spellbook Of Fate], das nur unter Zuhilfenahme eines Zauberers aktiviert werden kann. Sein Effekt richtet sich nach der Anzahl an Spellbooks, die ich von meinem Friedhof verbanne.“

„Okay?“, erwiderte Anya skeptisch.

„Bei einem“, sagte er und entledigte sich des [Spellbook Of Wisdom], „zerstört er eine gesetzte Zauber- oder Fallenkarte.“

Sein Hierophant richtete den Zauberstab bedrohlich in die Höhe und absorbierte damit einen Lichtstrahl, der aus Kyons Duel Disk kam.

„Bei zwei hingegen“, sprach dieser weiter und verzichtete auch auf [Spellbook Of Life], „kann er die Position eines Monsters wechseln.“

Wieder nahm der Zauberstab des Hierophanten ein Licht von Kyons Friedhof in sich auf.

„Bei dreien, dem Höhepunkt dieser Macht“, setzte dieser seine Erklärung fort und schob letztlich auch [Spellbook Of Secrets] in den Schlitz unter dem Friedhof, „verbannt er direkt eine deiner Karten. Los!“

Kaum gesagt, wurde vom Zauberstab noch ein dritter Lichtstrahl absorbiert, ehe der Hexer diesen schreiend nach unten riss.

„Crap!“

Über [Gem-Knight Sapphire] tat sich ein merkwürdiges Tor auf, von einem Runenkreis umgeben, und zog den Ritter in sich hinein, ehe es so schnell verschwand wie es gekommen war.

„Nun bist du frei für einen direkten Angriff“, stellte Kyon gleichwohl fest und zeigte mit dem Finger auf sie, „los [Hierophant Of Prophecy], direkter Angriff! Prophecy #5 – Road To The Stars!“

Der Magier hob seinen Zauberstab in die Höhe, dann schwang er ihn in Anyas Richtung und feuerte dutzende, gar hunderte kleiner Lichtsterne auf Anya. Jene hielt ihre Arme schützend über Kreuz und versteckte den Kopf dahinter, als sie von der Salve heimgesucht wurde.

„Argh!“, schrie sie unter Qualen, denn bei jeder Berührung gab es eine winzige Explosion an ihrem Körper. Schließlich wurde sie von der Wucht des Angriffs nach hinten geworfen und landete auf dem Rücken.

 

[Anya: 4000LP → 1200LP / Kyon: 1600LP]

 

„Owwww“, stöhnte sie.

„Mein Meister hat mir aufgetragen, notfalls auch Gewalt anzuwenden. Von daher verzeihe mir bitte für die Brutalität, die ich bedauerlicherweise an den Tag legen muss. Die andere Möglichkeit, nämlich freiwillig mitzukommen, hast du ja ausgeschlagen.“

Hätte sie nicht ihre schwarze Lederjacke angehabt, hätten ihre Arme jetzt jedem Borderline-Patienten imponiert, dachte das Mädchen dabei panisch.

 

Moment – ihre Jacke!

Anya besah mit Schrecken das Resultat des Angriffs. In Fetzen hing das gute Stück ihr von ihren Armen. Das war ihre Lieblingsjacke gewesen. Die, die sie von ihrem Vater zum vierten Geburtstag bekommen hatte, weil sie schon in diesem zarten Alter auf Totenköpfe stand. Es war der letzte Geburtstag gewesen, den sie als Familie gefeiert hatten, alle hatten sich für sie und ihre Jacke gefreut, die sie als Umhang getragen hatte.

 

Langsam rappelte sich das Mädchen auf. Ihre Lider kniff sie dabei so eng zusammen, dass Rasierklingen Schwierigkeiten gehabt hätten, ihren Weg hindurch zu finden. Zwar sah sie dadurch fast nichts mehr, aber das war ohnehin egal.

Denn wäre Anya Bauer ein Stier, hätte Kyon ihr soeben seinen roten Mercedes vorgestellt. Nun war für ihn nur zu hoffen, dass dieses Ding genug PS drauf hatte, denn wenn nicht …

„Du bist so fucking tot, das glaubst du gar nicht“, murmelte sie überraschend beherrscht, „scheiß drauf, dass Kannibalismus verboten ist. Dir werde ich das Herz vor eigenen Augen herausreißen und verspeisen, du mieser Bast-“

„Na na na“, tönte Kyon da mit erhobenem Zeigefinger, „so etwas ist nicht witzig.“

„Ich werd' drüber lachen, während ich deine restlichen Gedärme für später einfriere.“

Der Butler schob sich wieder mit besagtem Finger die kreisrunde Sonnenbrille zurecht. „Eher nicht, denn das Duell habe ich in der Hand. Mit [Spellbook Of Eternity] kann ich auf jede verbannte Spellbook-Karte zugreifen. Ob Life, Wisdom oder sogar Secrets, um mit ihm aus meinem Deck eine passende Antwort für deinen Zug zu finden – den ich im Übrigen bereits kenne – es spielt keine Rolle.“

Ein unheilverkündendes Lächeln huschte so weit über sein Gesicht, dass man seine Mundwinkel am Hinterkopf regelrecht gegeneinander stoßen hören konnte. „Ich habe gewonnen. Denn die Zeit ist auf meiner Seite. Zug beendet.“

 

Sofort griff Anya vor Wut schnaubend nach ihrem Deck, doch zögerte beim Ziehen.

Auf ihrem Feld gab es nichts mehr. Genauso auf ihrer Hand. Die nächste Karte musste der Hammer werden, wenn sie diesem Scheißkerl so richtig in den Arsch treten wollte.

Nur gab es da ein paar kleine – Anya mochte sie eigentlich gar nicht so nennen – Probleme. Dieser verrückte Hierophant-Paktissimus, denn sie war überzeugt davon, dass der die Paktkarte dieses Freaks sein musste, konnte Fallen mühelos beseitigen. Und schlimmer noch, Kyon wusste das und dürfte dementsprechend ihr Deck mit seiner bekloppten [Spellbook Organization] arrangiert haben.

„Tch“, zischte sie ärgerlich.

Wie flexibel dieser Typ war und gleichzeitig wie ein Hellseher die Zukunft sehen konnte, gar selbst in diese eingriff, war erstaunlich! Was sollte sie dagegen tun?

Er wusste, was sie ziehen würde! Dann wusste er tatsächlich, dass er-

 

Könntest du ein wenig Hilfe vertragen, Anya Bauer?

 

Neben dem Mädchen tauchte urplötzlich das durchsichtige Abbild eines großen, weißen Ritters auf. Schlicht wie er war, trug er keinen Umhang. Nur die rot leuchtenden Stellen im Visier seines Helms, das dadurch sehr ungewöhnlich daherkam, gaben ihm etwas Markantes.

Aber dieses Monster, das normalerweise als [Gem-Knight Pearl] bekannt war – eigentlich war es nur Anya und Leuten aus ihrem Umkreis ein Begriff, da Pearl eine Paktkarte und somit einzigartig war – stellte in diesem Fall nur das Erscheinungsbild von Levrier dar, welcher nach der Auflösung seines Paktes mit Anya Bauer mit Pearl verschmolzen war.

 

„Schön, dass du dich auch endlich sehen lässt“, giftete die leise zurück.

Pearl war schließlich nur für sie sichtbar, da Levrier auf gewisse Weise immer noch mit ihr verbunden war.

Wenig liebreizend fragte sie: „Was hast du die ganze Zeit getrieben, während ich mich hier mit diesem lausigen Alucard-Cosplayer 'rumärgern muss!?“

 

Alucard?

 

„Hast du noch nie Hellsing gesehen!?“, gab das Mädchen aufrichtig empört von sich. Dann winkte sie ab. „Ist ja auch egal. Ich geb' es ja nicht gerne zu, aber im Moment sieht es schlecht aus. Hast du einen Plan?“

Ihr Blick fiel dabei auf Kyon, der ruhig verharrte.

Plötzlich sagte dieser: „Du brauchst nicht zu flüstern, ich höre dich und Levrier auch so.“

Daraufhin zuckte das Mädchen zusammen. Denn was er da sagte, war schlichtweg unmöglich!

Anya und Levrier unterhielten sich durch eine Verbindung über Anyas Elysion, der Grenze zwischen materieller und immaterieller Ebene, welche jedem Lebewesen zu eigen war.

Dabei besaß jeder Mensch sein eigenes Elysion, welches einerseits Zugangsort war, um mit Immateriellen in Kontakt zu treten, andererseits auch vor ebenjenen abgeschirmt werden konnte, wenn man nur wusste wie.

Und Anya konnte sich nicht erinnern, Einladungen zu einer Hausparty verteilt zu haben.

„Wieso hört der uns!? Und kennst du diesen Kyon zufällig, oder woher weiß er deinen Namen?“
 

In beiden Fällen muss ich leider sagen, dass ich es nicht weiß – mir ist nie jemand mit seinem Namen begegnet. Vermutlich ist es aber eine besondere Fähigkeit von ihm, die es gestattet, das Elysion entgegen aller Umstände zu durchdringen. Wie du weißt, verfügen Immaterielle über viele mögliche Gaben. Telepathie, Visionen, Illusionen, Schicksalsbeeinflussung …

 

„Ja ja ja, schon klar“, würgte Anya ihren Partner da ab, „ist auch egal, im Endeffekt wird er eh nicht mehr lange etwas davon haben. Denn weil du es gerade erwähnst …“

Sie griff wieder mit verkniffenem Blick nach ihrer Duel Disk. „Du könntest da schon etwas für mich tun.“

 

Es wird uns viel Kraft kosten. Und Anya Bauer, wenn ich das so sagen darf, dein Gesundheitszustand ist seit Neuestem besorgniserregend.

 

„Lieber krepiere ich, als mit dem mitzukommen!“, fauchte Anya wütend. „Also los, tu es!“

Kyons Mundwinkel zuckten kurz.

 

Wie du willst, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.

 

Schnaubend stellte Anya klar, wie viel sie doch von dieser Warnung hielt.

Dann schloss sie die Augen und spürte sie. Diese Kraft, die in ihr pulsierte. Warm, nein heiß wie Feuer, glühten die Überreste des Paktes in ihr.

„Ha“, schrie sie, wobei ihre ganze Hand an der Duel Disk in weißem Licht aufging, „jetzt kommt der Gegenangriff! Draw!“

Sie sah sie, die eine rettende Karte vor ihrem inneren Auge. Das Netz der Pfade des Schicksals veränderte sich, das spürte sie, während sie ausholend zog. Es war, als würde sie selbst das Labyrinth der Zukunft durchwandern, nein, bestimmen, wo welcher Gang platziert wurde!

Das Licht von ihrer Hand war auf die Karte zwischen ihren Fingern übergegangen. Ein neuer Pfad war dank Levrier entstanden!

 

Plötzlich zwang ein fürchterlicher Schmerz in ihrer Brust sie dazu, beinahe vorne über zu kippen. Keuchend hielt sie sich die nahezu pochende Stelle.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Kyon, allerdings ohne besondere Sorge in der Stimme. „Mein Meister könnte es richten.“

„Scheiß auf deinen Meister!“, fauchte Anya und richtete sich wieder auf. „Der kann sich schon mal nach einem neuen Versager umschauen!“

Ohne nachzusehen, was sie gezogen hatte, knallte sie die Karte auf die Duel Disk. „Erscheine, [Gem-Knight Turquoise]!“

„Nicht die Karte, die ich bestimmt habe“, stellte Kyon fest und hielt sich dabei mit einer Hand das Kinn. „Das überrascht mich tatsächlich. Ich hätte nicht gedacht, dass Levrier noch über so viel Macht verfügt.“

Anya missfiel die Art zutiefst, wie er das aussprach. Als würde es ihn nicht im Geringsten stören.

Dennoch ließ sie sich nicht davon beirren und griff nach ihrem Friedhof. Gleichzeitig tauchte vor ihr ein Ritter in hellblauer Rüstung auf. In diese eingelassen waren an Armen und Beinen feingeschliffene Türkise. Der Krieger spannte bereits seinen Bogen, bereit zum Angriff.

 

Gem-Knight Turquoise [ATK/1400 DEF/2000 (4)]

 

Schwungvoll zog Anya die [Gem-Knight Fusion] von ihrem Ablagestapel und rief: „Indem ich einen Gem-Knight vom Friedhof verbanne, erhalte ich sie zurück auf die Hand!“

Sprachs und zeigte zudem [Gem-Knight Iolite] vor, welcher dafür herhalten sollte.

„Und dank Turquoises Effekt kann ich [Gem-Knight Fusion] abwerfen, um einen verbannten Gem-Knight zu beschwören. Und welcher wäre da besser geeignet als Iolite? Erscheine!“

Das gesagt, knallte sie die Karte des Ritters auf ihre Duel Disk, anstatt sie sich in die Hosentasche, sprich ihre Version der Verbannungszone, zu stecken.

Neben ihrem Bogenschützen materialisierte sich der blaue Ritter mit dem Schwert aus Wasser.
 

Gem-Knight Iolite [ATK/1300 DEF/2000 (4)]

 

„Und jetzt wirst du 'ne ganze, beschissene Legosammlung staunen“, rief Anya und streckte dabei den Arm weit in die Höhe, „ich erschaffe das Overlay Network!“

Vor ihr öffnete sich der schwarze Schlund erneut und saugte ihre beiden Krieger als braune Lichtstrahlen in sich auf.
 

Ist es jetzt Zeit für meinen Auftritt?

 

„Hell yeah“, antwortete Anya mit einem fetten Grinsen auf den Lippen, während ihr Partner neben ihr verschwand, „aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz-Summon! Mach diesen Dreckskerl platt, [Gem-Knight Pearl]!“

Sogleich entstieg aus dem Wirbel der weiße Ritter, der zuvor kurz neben Anya verharrt hatte. Doch anders als zuvor, war er dieses Mal nicht durchsichtig. Stolz verschränkte er die Arme, während zwei braune Lichtsphären um ihn kreisten. Genau wie sieben riesige Perlen, die um ihn schwirrten.

 

Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]

 

„Interessante Wahl“, gab Kyon zum Besten.

„Oh das kannst du mir glauben!“ Anya griff unter das Xyz-Monster auf ihrer Duel Disk. „Es hat sich ja mittlerweile herumgesprochen, dass mein Pearl keinen Effekt besitzt. Aber dieses kleine Manko wird [Gem-Knight Turquoise] ausgleichen, indem ich ihn und einen anderen Gem-Knight abhänge.“

Das getan, schob Anya die beiden Xyz-Materialmonster in den Friedhofsschlitz. Pearl beziehungsweise Levrier absorbierte die beiden Sphären um ihn mit den Fäusten und begann in einer türkisfarbenen Aura zu leuchten.

„Das bewirkt“, schloss Anya den Kreis mit zusammengekniffenen Augen, „dass Pearls Angriffskraft sich verdoppelt.“

 

Gem-Knight Pearl [ATK/2600 → 5200 DEF/1900 {4} OLU: 2 → 0]

 

Kyon wich einen Schritt zurück. „Das ist-!?“

Den Arm weit ausschwingend, rief Anya triumphierend: „Dein Ende, Sportsfreund! Auf ihn mit Gebrüll, Levrier! Blessed Spheres Of Purity!“
 

Wenn es sein muss.

 

„Und mach ihm ein bisschen Druck, klar!?“, fügte das Mädchen noch fordernd hinterher. „Er soll wissen, mit wem er es zu tun hat! Ich will Rache für meine Jacke!“
 

Ich denke, das weiß er auch so, aber wie du willst …

 

Genau wie sie, schwang Pearl seinen Arm aus und kommandierte damit seine Waffen, die Riesenperlen. Dem Befehl ihres Meisters folgend, schossen sie wie Kanonenkugeln auf den [Hierophant Of Prophecy] zu. Im Flug ragten aus ihnen plötzlich Pfeilspitzen heraus.

Kyon seufzte bitter und zuckte mit den Schultern. „Ich hätte es wissen sollen …“

Damit durchbohrten die Geschosse seinen Magier und brachten ihn dazu, in einer heftigen Druckwelle zu explodieren. Diese war so stark, dass sie den Butler im schwarzen Anzug mitriss und fort schleuderte. Selbst Anya hielt sich die Arme als Schutz vor den Oberkörper, zerrte der heftige Wind doch an ihrer zerfetzten Lederjacke und dem blonden Haar.

„Daaaah!“, schrie Kyon im Flug schmerzvoll.

 

[Anya: 1200LP / Kyon: 1600LP → 0LP]

 

Mit einem heftigem Ruck landete der schwarzhaarige Mann einige Meter von seiner Ursprungsposition entfernt auf dem Rücken.

„Ugh …“, stöhnte er im Liegen.
 

Gleichzeitig lösten sich die Hologramme auf. Der Turm verschwand, die Straße fand zu ihrer alten Erscheinung zurück und die Ausgrabungsstätte sowie die umliegenden Häuser tauchten wieder aus dem Nichts auf.

Nur eines blieb und das war Pearl, der jetzt wieder durchsichtig neben Anya verharrte. Was jedoch nach wie vor fehlte, waren die Bewohner der Stadt.

„Na, was sagst du dazu, Arschgeige!?“, ereiferte sie sich und zeigte ihm die doppelte Ladung Mittelfinger. „Das war für meine Jacke! Mistkerl! Levrier, du warst viel zu soft zu ihm!“

 

Dir ist die Tatsache, dass er deine Jacke zerstört hat, wichtiger als der Fakt, dass er dich zu einem vermutlich hochrangigen Dämonen führen wollte? Anya Bauer, hast du die vergangenen neun Monate über eigentlich irgendetwas gelernt?

 

Levriers aufrichtiger Empörung trotzte das Mädchen mit einem abfälligen Schnaufen. „Du hast ja keine Ahnung.“

 

Derweil richtete sich Kyon langsam wieder auf, bis er wieder kerzengerade stand und sich die Kleidung sauber klopfte.

„Ich muss gestehen“, sagte er dabei unterschwellig brüskiert, „dass das nicht geplant war. Wenn der Meister davon erfährt, habe ich ein Problem. Was bedauerlich ist, denn wie ich ihn kenne, weiß er es schon längst.“

„Wenn du nicht gleich abzischt, dann hast du mit -mir- ein Problem. Und zwar richtig!“ Anya runzelte ärgerlich die Stirn und verschränkte die Arme. „Außerdem kannst du deinem Meister bestellen, dass ich nichts von Pennern kaufe! Er soll sich einen anderen Dummen suchen, für was auch immer!“

Kyon sah nun auf und rückte seine Brille zurecht. „Nun, da ich verloren habe, gebietet es mir allein schon die Ehre, nicht noch einen Versuch der Überzeugung zu starten. Wie du wünscht, ich werde dich nicht länger behelligen. Aber eines solltest du wissen, Anya Bauer.“

„Und das wäre?“, hakte sie desinteressiert nach.

„Dein Leben wird in exakt einhundert Tagen enden“, antwortete Kyon ruhig, aber bestimmt, „und nur mein Meister ist in der Lage, dies zu verhindern.“

„... huh?“
 

Von diesen Worten etwas aus der Bahn gebracht, verstummte das Mädchen. Verdutzt blinzelnd, musste sie das eben Gehörte erst verarbeiten. Denn es geschah äußerst selten, dass jemand ihr mit dem Tode drohte.

Sie würde also in hundert Tagen sterben, was nur Kyons Meister verhindert konnte?

Vollkommener Schwachsinn! Sie war fit wie ein Turnschuh … fast so fit. Aber das bisschen Schmerz, was sie ab und zu verspürte, hatte nichts damit zu tun!

… oder doch?

Vielleicht ging es aber auch gar nicht darum. Könnte es nicht genauso gut jemand auf sie abgesehen haben? Bloß wer wäre so dummdreist? Und warum dann diese exakte Vorhersage von hundert Tagen?

Anya wurde daraus nicht schlau.

 

„Was soll das denn bitteschön heißen?“, fragte sie skeptisch. „Hat deine Kristallkugel ausgespuckt, dass ich's nicht mehr lange machen werde oder was!?“

Auf Kyons Lippen breitete sich ein geradezu siegesgewisses Lächeln aus. Ganz so, als habe er ihr diese Information bis zum Schluss vorenthalten. „Das erfährst du nur, wenn du mir folgst.“

Mit einem Schnippen ließ er hinter sich das schwarze, spiegelnde Nebelportal erscheinen, durch das er zuvor gekommen war. Sich verneigend, deutete er an, dass sie dort hindurch gehen sollte.

Jetzt waren sie wieder beim Anfang angelangt, dachte Anya wütend. „Ich werde nicht-!“

„Deine Schmerzen, die von Tag zu Tag schlimmer werden, sind ein eindeutiges Zeichen“, unterbrach Kyon sie ernst, „sei nicht so dumm und tue sie als Zufall ab. Deine Zeit verrinnt wie im Fluge und wenn du nichts dagegen unternimmst, wirst du binnen drei Monaten tot sein.“

Wütend stampfte das Mädchen auf. „Verarschen kann ich mich auch alleine!“

Also doch eine Krankheit? Von wegen, das war doch nur ein abgekartetes Spiel, um sie zum Mitkommen zu bewegen!

 

Anya Bauer, du solltest das überdenken. Dass er von deinen Schmerzen weiß ist noch unbedenklich, kennen wir das Ausmaß seiner Fähigkeiten nicht. Aber wenn sich mein Verdacht bestätigt, dann ist das keine bloße Lüge.

 

„Du jetzt auch noch!?“ Entrüstet sah Anya den durchsichtigen Ritter neben sich an. „Welcher Verdacht!? Was geht hier überhaupt ab!?“

 

Wir werden es nicht herausfinden, wenn du weiterhin so stur bist.

 

„Exakt“, stimmte Kyon mit ein und schwang wieder einladend den Arm aus, „dies ist deine einzige Chance, die Wahrheit zu erfahren, Anya Bauer.“

„Das ist doch 'ne Falle!“, beklagte das Mädchen sich.

Der Butler schmunzelte vergnügt. „Womöglich? Aber ist das nicht genau der Nervenkitzel, den du so lange vermisst hast?“

 

Das gehört, dachte Anya darüber nach.

Wenn sie jetzt mitging, hieße es, wieder in eine Welt voller Dämonen und Gefahren einzutauchen. Das spürte sie einfach, denn das Besuchen dieses komischen Meisters wäre erst der Anfang.

Sie hatte damals so erbittert um ihr Leben gekämpft, dass sie nicht im Traum daran dachte, es erneut aufs Spiel zu setzen.

Aber was, wenn es keine Lüge war und jenes Leben sich längst in Gefahr befand?

Hundert Tage, bis sie starb. Die Schmerzen. Steckte da wirklich mehr hinter?
 

Mit fragendem Blick richtete sie sich an Levriers Abbild, welcher nach einigem Zögern nickte.

„Also schön“, wandte sie sich damit an Kyon, „ich komme mit.“

„Wunderbar. Ich wusste, du würdest die richtige Wahl treffen.“ Er verbeugte sich vor ihr. „Der Meister erwartet dich, Anya Bauer.“

Das Mädchen ihm gegenüber zückte nur den Stinkefinger. „Fuck off!“

Dann ging sie auf ihn zu.

Als sie beide auf gleicher Höhe standen, blieb das Mädchen stehen. Ohne den gut einen Kopf größeren Mann anzusehen, sondern stur geradeaus starrend, sagte sie ganz leise: „Aber wenn du mich linken willst, dann mach dich schon mal frisch.“

„Mitnichten.“

Damit trat sie in das Portal ein, gefolgt von Kyon.

 

 

Turn 38 – Faces And Facades

Konfrontiert mit einem der mächtigsten Dämonen überhaupt, erfährt Anya, was es mit den geheimnisvollen Worten Kyons auf sich hat. Nicht gewillt, auf die Forderungen seines Meisters einzugehen, verwickelt sie ihn in einen Kampf, der jedoch von Anfang an unter keinem guten Stern zu stehen scheint …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-07-01T11:34:00+00:00 01.07.2017 13:34
Hi
Cool Season 2 geht los. Anya geht arbeiten? Naja wenigstens versucht sie es, aber sie ist nun mal wie sie ist.
Ich bin gespannt was es mit den Schmerzen von Anya auf sich hat und wer dieser Dämon ist.
Freue mich schon drauf wie es weiter geht.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
07.07.2017 16:48
Hi,
ups, ganz vergessen hier auch drauf zu antworten. Also, ja, Anya arbeitet. Oder tut das, was sie darunter versteht.
Ansonsten nachträglich danke für deinen Kommi. ^^


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