Misunderstood von Linchen-86 ================================================================================ Kapitel 11: Elf --------------- Eine neue Woche begann. Mittlerweile hatten Hikari und Kyoshi schon sehr viele Aufnahmen im Kasten. Beim ersten Mal hatten sie ein paar Müllwerker fotografieren dürfen. In der zweiten Woche waren sie in einem Altersheim und durften Pflegefachkräfte bei ihrer Arbeit begleiten. Dies fand die junge Yagami äußerst spannend und sie hatte die höchste Achtung vor diesen Menschen gehabt. Physisch und psychisch war es eine enorme Belastung und dennoch blieben sie stets freundlich und mitfühlend. Das fand sie einfach beeindruckend und inspirierend. Sie konnte gar nicht soviel fotografieren, wie sie festhalten wollte. Nun war die dritte Woche angebrochen und in dieser Woche nahmen sich Hikari und Kyoshi vor Fischer und Bäckerein abzuklappern. Dies würde allerdings auch bedeuten, dass sie sehr früh aufstehen müssten. Genauso wie ihre Alltagshelden eben, die auch tagtäglich früh aufstehen mussten, um die Kunden mit frischen Brot - sowie Fischwaren und bester Qualität zu überzeugen. Doch bevor sie neue Motive fotografieren würden, wollte sie erst einmal ihre Fotos von der letzten Woche entwickeln. So stand sie im Fotolabor der Schule und betrachtete im roten Schimmerlicht die Wasserbehälter mit den chemischen Flüssigkeiten. Sie nahm sich die Abstreiferzange, holte ein Foto heraus und schwang es vorsichtig hin und her. Sie konzentrierte sich, das war wichtig, damit sie das Foto nicht noch wegschmeißen musste, weil es zu viele Wasserflecken enthielt. Im Labor hing sie das noch nasse Foto mit Filmklammern senkrecht auf, ging zurück zu den Wasserbehältern um das nächste Bild reinzulegen. Dies wiederholte sie solange bis alle Fotos auf der Leine hingen. Zufrieden sah sich Hikari die Bilder an. Es machte ihr unendlich großen Spaß dieses Projekt zu betreuen. Diese Menschen kennenzulernen und sie in einem so schönen Licht zu präsentieren. Alle sollten sehen, wie wichtig diese Arbeit war. Jetzt konnte sie allerdings nichts tun – außer zu warten. Da es zu lange dauern würde, bis alle Fotos trocken sein würde, wollte sie die ganzen Fotos über Nacht trocknen lassen und sie am nächsten Tag nach der Schule abhängen, mitnehmen und mit Kiyoshi eine nähere Auswahl treffen, die sie in wenigen Wochen für die Ausstellung verwenden konnten. Vorsichtig räumte sie das Labor auf, nahm sich ihre Schultasche, sowie ihre Jacke und verließ das Fotolabor. Es war schon spät. Die meisten AGs waren bereits zuende und die Schüler auf dem Weg nach Hause. Kari hingegen wollte nicht nach Hause. Sie wollte etwas tun – irgendetwas tun. Hauptsache sie müsste nicht zuviel nachdenken, denn wenn sie anfing zu denken, schlich sich automatisch ein blonder Junge in ihre Gedanken und alles fing von vorne an. Die Frage, warum Takeru sie so verraten hatte, sein Geständnis inklusive Liebesgeständnis brannten sich in ihr Herz und sie fragte sich warum alles in so einem Desaster geendet hatte. Hatte sie nicht immer davon geträumt, dass er zu ihr kommen würde? Hatte sie nicht immer gehofft, dass er sich in sie verlieben würde? War es nicht immer schon ihr sehnlichster Wunsch, dass sie mehr als nur seine beste Freundin war? All diese Fragen konnte sie mit einem klaren ja beantworten. Dazu kam das sie ihn wahnsinnig vermisste und selbst, wenn sie sich in ihrem neuen Projekt verkroch, schaffte sie es nicht, ihn ganz aus ihren Gedanken zu verbannen. Er war immer da. Warum musste er immer da sein? Und warum tat das was er gemacht hatte, noch immer so weh? Warum konnte sie nicht über ihren Schatten springen, zu ihm gehen und sagen; Ach, ich bin dir nicht mehr böse? Warum? All diese Fragen konnte sie sich nicht beantworten und sie hatte Angst, dass sie – obwohl sie ihn vermisste - jetzt doch für immer verloren hatte. Versunken in ihren Gedanken merkte sie gar nicht wie sie sich dem Sportbereich der Schule immer weiter näherte. Waren es ihre Beine die sie dorthin trugen oder war es vielleicht doch ihr Herz? Ein gleichmäßiges aufschlagen eines Basketballes erweckte ihre Aufmerksamkeit. Kari hob ihren Kopf und erkannte einen blonden jungen Mann. Takeru. Warum war er hier? War das Training nicht schon seit Stunden vorbei? – Takeru dribbelte den Basketball immer wieder auf den Boden über das Spielfeld. Er warf einen Freiwurf nachdem anderen, übte seine Sprungtechnik und verbesserte seinen Lauf. Sportlich schien er geradezu in Höchstform zu sein, während alles andere gerade auf der Strecke blieb. Er versuchte soviel Zeit wie möglich beim Basketball spielen zu verbringen und wenn er dann doch zuhause war, schnappte er sich ein Buch, las oder schrieb, aber meistens stand da nur ein Name drauf und das brachte ihn nicht weiter. Er befürchtete schon, dass er es diesmal komplett vergeigt hatte. Jetzt war bald ein Monat vergangen und sie hatte noch immer nicht mit ihm geredet. Sie saßen nebeneinander im Klassenzimmer, sahen sich jeden Tag und doch sprachen sie kein Wort miteinander. Es war nicht auszuhalten – diese Funkstille. Warum nur hatte er Kari nicht viel eher gesagt, was er für sie empfand und warum nur hatte er Naoko gebeten, mit ihr auszugehen und ihn dafür bezahlt? Er könnte sich immer noch tagtäglich deswegen ohrfeigen. Lustlos ließ Takeru den Basketball auf dem Boden aufprallen und sah ihm nach wie dieser auf den Boden davon rollte. Der Basketball kam erst zum stehen, als ein andere Fuß ihn davon abhielt, weiter zu rollen. Takeru ließ seinen Blick von ihrem Fuß über ihre Beine bis hin zu ihren Augen gleiten. „Kari...“, murmelte der Blonde und schluckte einen Kloß im Hals herunter. „Hallo...“, erwiderte die Jüngere und sah verlegen zur Seite. „Schön dich zu sehen“, brachte Takeru mit brüchiger Stimme von sich. Hikari ging in die Hocke, hob den Basketball auf und warf ihn Takeru zu. Dieser streckte eine Hand aus und fing den Basketball ohne Problem auf. „Danke.“ „Keine Ursache.“ „Wie geht es dir?“, fragte Takeru nach. Diese Standartfrage, die so förmlich war und eigentlich gar nicht zu ihnen passte. Wusste der Blonde doch sonst immer, wie es der Jüngeren ging, aber derzeit konnte er es höchstens erahnen. „Geht so“, murmelte Hikari. „Ja, mir auch.“ „Bist du jetzt immer so lange hier?“, fragte die Braunhaarige nach und deutete auf den Sportplatz. „In der letzten Zeit schon. Warum bist du noch an der Schule?“ „Fotolabor.“ Takeru nickte. Diese Stimmung zwischen ihnen. Es war nicht auszuhalten. Am liebsten hätte er laut losgebrüllt, aber er blieb ruhig. Er sah einfach nur Hikari an und versuchte jeden Moment – egal wie angespannt er auch war, zu genießen. „Du fehlst mir...“, hauchte die Jüngere und sah betreten zu Boden. Dieses Geständnis hätte er jetzt nicht erwartet. Du fehlst mir. Du fehlst mir. Sie hatte es gesagt. Sie hatte es wirklich zu ihm gesagt. „Du fehlst mir auch. So sehr. Ich vermisse dich so sehr, dass kannst du dir gar nicht vorstellen.“ Hikari nickte und schaute langsam wieder auf. „Aber es tut trotzdem noch weh. Ich will nicht, dass es weh tut, aber ich kann es gerade nicht ändern.“ „Du brauchst noch Zeit“, merkte Takeru an und kam ihr langsam entgegen. „Ich weiß, dass ich dir sehr weh getan habe. Bitte glaube mir, dass ich das niemals wollte und mir unendlich leid tut.“ „Das weiß ich!“ Takeru kam kurz vor ihr zum stehen. Er sah ihr tief in die Augen und fand unendlich viel Traurigkeit darin wieder. „Es tut mir leid, dass du traurig bist und das du es meinetwegen bist. Kann ich das irgendwie wieder gut machen?“ „Ähm...“ Hakari ließ ihren Kopf sinken, Tränen traten in ihre Augen, die über ihre Wange kullerten. „Nicht weinen!“, flüsterte Takeru. Vorsichtig fuhr er seine Hand aus, legte diese an ihrer Wange ab und wischte ihre Tränen mit seinem Daumen weg. „Keru...“ Die junge Yagami konnte in dem Moment nicht mehr abweisend sein. Ein Monat keinen Kontakt. Kein Gespräch, kein liebes Wort. Keine Witze, Scherze. Kein Lachen. Einen Monat ohne die Wärme die ihr bester Freund ihr jeden Tag gegeben hatte. Gefühle hin und her sie vermisste ihren besten Freund. Sie vermisste den wichtigsten Menschen in ihren Leben. Sofort umarmte der blonde junge Mann die Jüngere und konnte es fast nicht glauben, das er sie umarmen durfte. „Es tut mit leid“, wisperte er ihr immer wieder ins Ohr und strich dabei über ihr dunkelbraunes Haar. Er wiederholte es solange bis sich Hikari einigermaßen beruhigt hatte. Etwas beschämt fuhr sich Hikari durch die Haare, wischte sich die Tränen weg und drückte den Basketballspieler von sich. „Entschuldigung.“ „Du musst dich niemals entschuldigen, wenn es dir nicht gut geht und ich dich trösten darf. Vor allem wenn es meine Schuld ist. Kari, bitte sag mir; was kann ich tun, um meinen Fehler wieder gut zu machen? Ich werde alles tun, was nötig ist.“ Hikari ließ ihre Arme sinken und ging einen Schritt zurück. Sie war weder darauf vorbereitet gewesen, heute mit ihm zu reden, geschweige denn ihn zu umarmen und jetzt stand sie hier und tat genau das. „Ich weiß es nicht. Vielleicht brauche ich einfach wirklich noch etwas Zeit. Gibst du mir die?“ „Ich würde immer auf dich warten, Hika. Du bist es wert.“ Kari versuchte zu Lächeln, aber sie bemerkte wie schwer es ihr noch fiel. Sie war noch nicht bereit, Takeru alles zu verzeihen, aber ihr war klar, dass sie ohne ihn niemals leben könnte. „Es ist so seltsam, nicht immer gleich zu dir zu kommen, wenn gerade etwas in meinem Leben passiert. Normalweise bist du immer der erste, der alles erfährt und dem ich alles erzählen will und ich will nicht, dass wir das verlieren werden. Was, wenn du keine Lust dazu hast, solange zu warten, bis ich bereit bin, dir alles zu verzeihen und nichts nachzutragen?“ Ein bisschen hatte Hikari auch Angst, dass dies vielleicht schon geschehen war. „Darüber musst du dir keine Gedanken machen. Auch wenn du bis zu unserem Schulabschluss nicht mehr mit ihr sprichst, was wir haben ist einmalig und nicht mal wir zwei können das zerstören. Nicht mal ich, der ein Talent hat, alles zu vermasseln könnte dieses Band zwischen uns kaputt schneiden. Es ist unzerstörbar.“ „Hoffentlich hast du recht.“ „Bestimmt sogar.“ „Ich sollte langsam mal nach Hause. Meine Mutter macht sich bestimmt schon sorgen um mich, weil ich immer noch hier bin und sie nicht mal angerufen habe.“ Takeru nickte und obwohl er lieber noch viel länger hier mit ihr hier stehen wollte, würde er nichts tun, was sie unter Druck setzte oder sie bedrängte. „Okay, melde dich. Jederzeit. Egal wann.“ „Mach ich. Wir sehen uns.“ Hikari drehte sich um und ging langsam nach Hause. Einmal drehte sie ihren Kopf und sah wie Takeru ihr nachsah. Sie lächelte leicht, sah wieder nach vorne und ging weiter. Eine Zeitlang blieb der blonde Basketballspieler noch auf dem Spielfeld stehen und starrte auf den Ball. Er hatte einen Entschluss gefasst. Er hatte gewartet, bis Kari auf ihn zukam. Er hatte gewartet, wie er es von seinem Bruder geraten bekommen hatte. Jetzt wollte er nicht mehr warten. Jetzt wollte er kämpfen. Er wollte Hikari zeigen, ihr beweisen wie wichtig sie für ihn war. Sie sollte merken, fühlen und spüren, dass sie alles für ihn war. Heute kam sie einen kleinen Schritt auf ihn zu. Es war nicht viel, aber sie kam zu ihm, redete mit ihm und er wusste nun, dass nicht nur er sie vermisste, sondern sie ihn auch und das war seit Wochen das Beste was er zu hören bekommen hatte. Kari war bereit ihm nochmal eine Chance zu geben. Vielleicht nicht heute, aber die Hoffnung war größer denn je. Darauf musste er aufbauen. Er schnappte sich seine Trainingstasche, schulterte diese und machte sich auf den Weg. Er hatte ein klares Ziel vor Augen und diesmal wollte er es richtig machen und er hoffte, dass die Hilfe die er sich nun holte, die richtige war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)