Unter den Schwingen des Horusfalken von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 4: Abtasten ------------------- Merit war nur selten an dem Haupthafen gewesen, und wenn, dann im Gefolge des Königs, wenn alle Wege frei von Menschen gehalten wurden und nur die königlichen Schiffe dort lagen. Darum sah sie jetzt ein wenig erstaunt auf die dicht an dicht an den Kaimauern liegenden hölzernen Schiffe, die mit Krügen der verschiedensten Größen, Körben und Säcken beladen wurden. Die Dinge wurden aus den nur wenig entfernt liegenden Speicherhäusern und Stapelplätzen geholt. Meruka hatte ihre Überraschung bemerkt. „Ja, sehr viele Menschen, nicht wahr?“ „Äh, ja, ich wundere mich nur gerade. Die Schiffe werden beladen?“ „Ja, es ist vormittags, sie werden bald ablegen und bis Sonnenuntergang fahren.“ Er verstand nicht. „Ich meine, ich dachte, die Steuern werden hierher gebracht um im Schatzhaus oder den Speichern de mächtigen Horus zu landen?“ „Ja, das passierte gestern Abend. Da wurden sie nach ihrer Ankunft hier ausgeladen. Jetzt werden die Dinge umverteilt, denn kein Schiff fährt leer. - Was meinst du?“ Natürlich, dachte sie, etwas ärgerlich über sich selbst. Die Domänen und Orte lieferten die Steuern an den Herrn der beiden Länder, aber dieser gab auch einiges zurück an sie: so gelangte der Wein vom Delta auch tief in den Süden, Weihrauch in jeden Tempel und Fisch, wenngleich getrocknet, bis in die Oasen. Die Hand des mächtigen Horus verteilte die Ernten. Um ihren Denkfehler nicht zuzugeben, war sie hastig eine andere Erklärung aus, nachdem sie sich rasch umgesehen hatte. Aber sie standen an einer Hauswand. „Äh, wenn jemand vermisst würde, suchen sie ihn doch jetzt schon, oder?“ „Ja. Aber die jeweiligen Kapitäne warteten eben nur, sie vernachlässigten nicht ihre Pflichten. Hm. Du meinst, das müsste jemand wissen, und ging das Risiko ein bereits jetzt gesucht zu werden? Möglich. Das würde aber voraussetzen ...Moment.“ Meruka dachte nach. Eine seiner Eigenschaften, die ihn zu einem guten Anführer und sehr erfolgreichen Ermittler machte, war, dass er stets andere Meinungen anhörte und berücksichtigte. Natürlich ohne je zu vergessen, wer das Sagen hatte. Die Nachforschungen des Büros des tjati hatten ergeben, dass sich die Kapitäne nach den bürokratischen Erledigungen von den vermissten Domänenvorstehern getrennt hatten. Sie waren zu ihren Leuten hier am Hafen zurückgekehrt und hatten dort hinten in den Herbergen des Hafens gegessen und geschlafen. Die Beamten waren in eine andere Herberge gegangen und hatten dort genächtigt. Das war überprüft worden, ebenso, dass sie wieder abgereist waren. Irgendetwas musste zwischen dort und dem Hafen passiert sein. Nur, was und wie? Merit hatte Recht. Jeder, der sie auch nur entführen wollte, oder gar Ärgeres plante, musste doch annehmen, dass ihr Fehlen bald auffallen würde, ja, sie gesucht werden würden. Kannte der Entführer den Ablauf nicht? Oder hatte er nicht gewusst, dass sie mit einem Schiff gekommen waren? Oder war genau das der Denkfehler der sab-Beamten gewesen und er war ihnen darin gefolgt? Denn die jungen Domänenvorsteher WAREN zwar vermisst worden – aber das Schiff hatte nur gewartet, ja, keiner der Kapitäne hatte eine Eigeninitiative ergriffen, gar seine Männer losgeschickt, geschweige denn die Hafenbehörden oder die Stadtverwaltung informiert. Kurz, wusste der Entführer, dass eben nichts passieren würde, da die Schiffer nur ihre Pflicht taten und nicht mehr? Wie viele Domänenvorsteher gab es, die noch so verschwunden waren, und die nur noch nicht bis an die höchsten Stellen gemeldet worden waren? Er sah zu seiner Begleiterin. „Ja, ich muss nachdenken. - Gehen wir zurück. Und erzähle mir mal, woran man einen Domänenvorsteher erkennt. Es gibt genug Beamte hier in Ibenu-hedj. Warum diese Beiden?“ „Nun ja, sie waren neu hier, vielleicht unsicher und fragten nach dem Weg?“ schlug Merit vor, die keine Ahnung hatte, was er wollte. „Möglich, ja, Weiter.“ „Sie nahmen eine Abkürzung, die … schlecht war?“ Sie wusste nicht so genau was in den Gassen der Stadt geschehen konnte, war jedoch immer gewarnt worden sich dort herum zu treiben. „Das Eine schließt das Andere nicht aus.“ Meruka nahm ihre Hand und spürte ihr instinktives Zusammenzucken, hütete sich jedoch sein Amüsement zu zeigen. Sie kam aus einer anderen Welt. „Bleib nahe bei mir. Dort kommen Lastenträger“ Und so breit war die Straße auch wieder nicht. In den Seitengassen kamen kaum zwei Menschen aneinander vorbei, aber auf diese Weise blieben sie selbst jetzt im Hochsommer schattig. „Überdies: so hält man uns für verheiratet. Da musst du dich dran gewöhnen.“ „Ja.“ Immerhin war das ungewohnt, aber nicht weiter tragisch, beruhigte sie sich. So erkundigte sie sich nur: „Ich sehe dich und die anderen Männer gerade an – das ist doch die einfache Kleidung … also, auch von einfachen Schreibern oder einfachen Beamten,“ versuchte sie zu verdeutlichen, was sie meinte. „Ja. Ah, du meinst, kaum Schmuck. Domänenverwalter tragen sicher welchen, ja. Aber es gäbe auch höhere Beamte, die mehr als nur Kupfer tragen.“ Ja, aber die schritten kaum allein durch die Stadt. Da waren dann ihre eigenen Schreiber dabei, Träger oder sonst wer. War genau das der Grund für diese beiden Opfer – reich genug, um doch bemerkt zu werden, aber allein? Und bestimmt unerfahren? „Sieh dich um“, forderte er sie auf. „Was würde dir auffallen in dieser Stadt?“ „Die vielen Menschen. Sie fallen mir jetzt schon auf, weil ich so noch nie durch eine Stadt ging, so … direkt.“ „Nun, sie waren wohl in der Schule in Iunu. Das ist auch eine Stadt. Allerdings deutlich kleiner.“ Die Residenzstadt war die größte Stadt des gesamten Landes – und es gab nicht all zu viele Städte. Die meisten Menschen lebten in den Dörfern und Domänen, die sich wie Perlen entlang des Flusses im Fruchtland aufreihten, dahinter lag bereits die Wüste. „Ja, ich weiß.“ Sie lächelte ihn rasch an. „Sieh nicht auf dieses Mädchen herab, Meruka. Früher, ehe die Seuche vor zehn Jahren so viel Unheil anrichtete und auch meine Eltern tötete, lebte ich bei ihnen. Und mein Vater besaß sowohl Land in Ober- als auch in Unterägypten. Wir reisten immer, nach Ibenu-hedj oder nach Hause nach Per-Bastet.“ Er entsann sich eilig an das, was ihm der semer über sie erzählt hatte. „Entschuldige. - Dein Vater war ein hoher Beamter, oder? Besaß er das Land als Amtsbesitz oder privat?“ „Sowohl als auch.“ „Dann hast du jetzt auch Güter?“ Sie war die einzige Überlebende der Familie gewesen, seit die Boten der Sachmet das Land mit schwerer Krankheit geschlagen hatten. Auch, und gerade, in Ibenu-hedj waren viele Menschen der Seuche zum Opfer gefallen, darunter sein Vater und viele, die er kannte. Nicht einmal die königliche Familie war nicht verschont geblieben. Erst, als der lebende Horus der erzürnten Göttin einen Schrein im Haus des Ptah errichtet hatte, war die Krankheit verschwunden. „Nein.“ Merit lächelte etwas, ehe sie leise meinte: „Ich habe es verkauft. Nun ja, was hätte ich als achtjähriges Kind auch verwalten sollen. Der mächtige Horus gab mir dafür einen Vertrag, dass ich bis an mein Lebensende wie ein Mitglied seiner Familie versorgt würde, und überschrieb mir auch eine Totenstiftung.“ Dann hatte es sich sicher kaum um nur eine Arure Land gehandelt. Ahja. Meruka entsann sich jetzt, wenngleich etwas spät, dass ihr Vater ein Milchbruder des Herrn der beiden Länder gewesen war – und der sich darum wohl der verwaisten Tochter seines Freundes angenommen hatte. Das erklärte im Endergebnis ihre Ausbildung nochmals. Sie wurde wie ein Mitglied der königlichen Familie behandelt – wenngleich natürlich eines niederen Ranges, da kein göttliches Blut in ihren Adern floss. Im Hofrang stand sie damit weit über ihm. Das konnte noch Probleme geben, wenngleich sie sich dessen nicht bewusst schien.   Ptahnacht und Nefer waren am folgenden Morgen zum Königssee gegangen, der vor Jahrzehnten durch einen Kanal mit dem Nil gebaut worden war, um oben auf dem Wüstenplateau die Stufenpyramiden der damaligen Herrscher bauen zu können. Heute wurde das Dorf der Arbeiter am westlichen Ufer noch immer mit Ziegeln und Grabbeigaben versorgt, das dann in den Gräber der hohen Beamten Verwendung fand. Der jetzige Horus auf dem Thron der Lebenden hatte sich sein Pyramidenfeld etwas weiter im Norden gesucht, wo nun sein Denkmal errichtet wurde. Wie es üblich war, entstanden dort auch viele Gräber seiner Beamten – nun, von hier bis dort, denn die Sichtweite war gewahrt worden, zumal doch einige bereits unter seinem Vater hier ihre Wohnungen für die Ewigkeit zugewiesen bekommen hatten. Nefer seufzte ein wenig. „Ich weiß, dass Meruka sie wohl ausbilden will.“ „Sag nicht, du bist eifersüchtig, weil er mit ihr geht und du mit mir vorlieb nehmen musst.“ „So würde ich das nicht sagen.“ Sie lächelte rasch. „Entschuldige.“ „Macht dir eine zweite Frau so viel aus? Dann solltest du mit ihm reden.“ „Nein, es liegt an mir. Es ist ungewohnt, ja, aber du weißt ja, woher ich komme. Und dann ausgerechnet sie ...“ „Ich kann auch nicht lesen und schreiben, aber das macht nichts, wir haben eben unsere anderen Fähigkeiten.“ „Ach, das ... das ist die Dreingabe. Ich glaube, als ich sie gestern in den ipet begleitete, wurde es mir so richtig bewusst. Es war nicht nur, dass sie da lebt und bisher gearbeitet hat – ich kenne keine Dienerinnen, die sich vor mir verneigen, oder eine Königstochter, die vorbeikommt und: Schwester sagt.“ Ptahnacht berührte leicht ihren Arm. „Ach du je. Ich habe nur gehört, dass sie die Schreiberin der Königinmutter war, vielleicht kommt das daher? Ich meine, sie hat sich für uns entschieden, vielleicht gefällt ihr das nicht so ganz da drin? Übrigens, ich sage zu dir auch Schwester. Das ist einfach eine nette, sehr freundliche, Anrede für Leute, die einem nahe stehen. Oder einem das Leben gerettet haben.“ Er grinste, als er sich dieser Aktion erinnerte. Sie hatte da einiges riskiert um ihn aus der Klemme zu holen. Nefer holte tief Atem, ehe sie das Lächeln zurück gab. „Ja, natürlich. Sag nur nichts unserem verehrten Vorgesetzten davon, dass ich mich so anstelle. Er würde ja denken, ich hätte meine nüchterne Überlegung verloren.“ „Keine Sorge, Schwester. Ich schweige wie ein Grab. - Apropos. Wir gehen jetzt schon geraume Zeit zurück. Was, bitte, soll uns hier auffallen?“ „Nichts. Es ist aber der Weg den alle gehen.“ Sie war froh, das Gespräch wieder in sachlichen Bahnen zu haben. „Aber genau das ist es vielleicht. Du kennst unsere Aufgabe.“ „Ja. Aber, soweit ich sehe, ist hier nichts, was ungewöhnlich zu nennen wäre.“ „Vielleicht auch nur heute nicht. Oder zumindest nur heute morgen. Die Schiffe legen ja am Nachmittag an.“ Ptahnacht zog ein wenig die Augen zusammen, ehe er meinte: „Natürlich. Und womöglich war es auch genau zielgerichtet auf unsere zwei Unglücksraben. Wir werden sehen. Meruka ist unser Genie und wozu hat man solche Leute.“   Auf dem Platz vor den Büros der Schreiber der Doppelscheunen und des Schatzhauses herrschte lebhaftes Treiben, da noch einige Leute darauf warteten vorgelassen zu werden, andere gingen, manche nur zufällig auf ihren Wegen vorbeikamen. Im Schatten eines gegenüberliegenden Hauses entdeckte Ptahnacht seinen Vorgesetzten und die neue Kollegin und stupste seine Partnerin an, die ihm eilig folgte, nicht überrascht, dass er bemerkte, was sie nicht hatte. Er war in solchen Dingen der Gründlichste der Gruppe – was er übersah, hätten alle übersehen. „Nichts?“ fragte Meruka auch nur, nicht enttäuscht. Das Wichtigste bei solchen Aufträgen waren Erfindungsreichtum und viel Geduld. „Nichts“, bestätigte Nefer. „Bei euch auch nicht.“ „Nein, aber ich habe auch nicht viel erwartet. Eine Falle sollte nicht zu einladend sein. - Gehen wir in den Palast um uns zu besprechen.“ Es war zwar nicht davon auszugehen, dass sich Leute allzu sehr für ein Gespräch zweier Ehepaare interessierten, aber es war besser vorsichtig zu sein, das wusste er nach Jahren in dieser Branche.   So fuhr der Leiter erst fort, als sie zu fünf in dem Gästezimmer neben dem tjati-Trakt saßen: „Schön, dass du so rasch gekommen bist, Rahotep.“ Der Arzt hatte war von einem Diener unter einem Vorwand hergeholt worden und sah jetzt von Einem zum Anderen. „Nichts,“ schloss er. „Nun ja.“ Meruka schloss kurz die Augen. „Wir wissen, dass die Aussagen aller durch die jeweiligen Ermittler überprüft wurden. Wir wissen, dass beide Vermissten am Abend sich von dem Kapitän trennten und zu der Beamtenherberge gingen. Wir wissen, dass gesagt wurde, sie seien dort abgereist, weil das so in den Büchern steht. Aber niemand hat sie seither gesehen. Ich halte diese Herberge für einen Ansatzpunkt, den man genauer überprüfen sollte. Ich werde mir die Unterlagen über die Familie, die sie betreibt, ansehen. Sie arbeitet im Auftrag des Königs, also gibt es da etwas. - Rahotep, du bist ein reicher, junger, Mann aus dem Delta, der wegen des Testamentes seines Vaters einen wichtigen Termin im Büro des tjati hat und deswegen vor Aufregung und Neugier fast platzt. Du gehst in diese Herberge und gibst … man müsste sehen, was sie verlangen, wenn jemand so kommt, aber hochwertiges, parfümiertes, Öl sollte sich gut transportieren lassen. Den Papyrus mit dem Termin bekommst du noch, Merit spielt deine Ehefrau. Ihr geht in diese Herberge und seht euch einfach nur um, ob irgendetwas Auffälliges dort ist. Und seien es auch nur Männer, die dort sitzen und keine Beamten oder Landbesitzer sind. Am folgenden Tag, nach der angeblichen Audienz, reist ihr wieder ab. - Merit kann das nicht wissen, aber Rahotep, du wirst auf Verfolger achten. Ptahnacht wird euch ebenfalls überwachen, zur Sicherheit.“ „Du glaubst, in der Herberge stimmt etwas nicht?“ fragte Merit prompt, etwas unangenehm überrascht, dass sie eine Rolle spielen sollte, noch dazu mit einem ihr vollkommen Unbekannten. Und zu allem Überfluss als Ehemann. Andererseits war sie nüchtern genug, um zu wissen, dass man ihr Unannehmlichkeiten bei dieser Art Arbeit vorhergesagt hatte. „Ja.“ Ihr Vorgesetzter hätte um ein Haar vergessen, dass sie Neuling war, und ergänzte, um seinen scharfen Ton etwas zu kaschieren: „Du kannst wohl so bleiben, wie du heute angezogen warst. - Trefft euch am Besten morgen Vormittag am Brunnen des ipet, im Hof der Webereien.“ Dort würde weder ein Arzt noch Merit auffallen. Allerdings würde die Arzttasche rasch verschwinden und auch die Amulette der Selket und der Neith, ersetzt durch andere aus dem Delta. „Nach dem Frühstück,“ ergänzte Rahotep. „Das nehme ich mit den anderen Ärzten ein. „Du wirst es ja auch gemeinsam bekommen, oder, Merit?“ „Ja.“ Sie erkannte das Bemühen an sie einzuweisen. „Danke. Soll ich noch etwas mitnehmen? Einen Reisebeutel oder ähnliches? Wenn wir aus dem Delta kommen, würde ich doch immer ein Ersatzkleid dabei haben.“ Sie blickte fragend zu der anderen Frau der Gruppe. „Da hast du Recht.“ Nefer klang überrascht, da sie eigentlich weder mit brauchbaren Ideen der Neuen noch mit deren Unterordnung unter ihr eigenes Fachwissen gerechnet hatte. „Ja, und auch ein Armband mehr als heute. Aber ja nicht deinen Ehrengoldhalsschmuck.“ Meruka nickte nur, angetan, dass dieses Mädchen mitdachte. Diese Rolle sollte sie einfach spielen können, weder Sprache noch Bewegungen mussten sich verändern. Das würde er ihr erst zumuten, wenn sie mehr Erfahrung hätte in diesem Spiel. Er hatte mit Anchka erst einen Mitarbeiter verloren, wenngleich nur schwer verletzt, aber er hätte gern, dass es dabei bliebe. „Gut. - Nefer, geh dann nach Hause und bleibe in deinem gewöhnlichen Leben. Womöglich, wenn tatsächlich etwas in der Herberge nicht stimmen sollte, brauche ich dich da. - Dann sehen wir uns übermorgen Vormittag wieder hier. - Raotep, Anchnefer wird dir den Brief aus dem Büro des tjati bringen, oder bringen lassen.“ Einer der Vorteile, die sie besaßen war, dass ihre bürokratischen Briefe, Siegel und anderes, stets nicht nur echt aussahen - sondern es waren. Anchnefer, der Büroleiter des tjati, war da Gold wert.   So wartete Merit nach dem Frühstück in der gewünschten Kleidung am Brunnen des ipet. Dieser lag in dem großen Hof, auf dessen einer Seite sich der eigentliche Palastteil der königlichen Frauen und Kinder befand, auf dessen anderer Seite einige Werkstätten und vor allem die herausragenden Webereien lagen. Das Wasser wurde stets von hier geholt. Sie sah zu dem Tor, das zu dem anderen großen Hof des Palastes führte, in dem Handwerker, wie Drechsler, Schneider und auch Bildhauer nur für den mächtigen Horus arbeiteten. Jeder Beamte besaß solch einen Hof. Handwerker wurden schon in der Berufsbezeichnung unterschieden, ob sie Handwerker des Königs, eines Tempels oder eines Beamten waren. Nur in einer so großen Stadt wie Ibenu-hedj und vielleicht einigen anderen, genau wusste es Merit nicht, gab es auch andere Handwerker, die sich selbst Aufträge suchen mussten. Da sie auf das große Tor achtete, hätte sie fast übersehen, dass sich auf der linken Seite ein weitaus kleineres öffnete, das in die Palastgärten, und hier logischerweise dem des daran angrenzenden ipet führte. Natürlich war dieser Weg kürzer und ebenso natürlich hatte ein Hofarzt da Zutritt. Hastig lächelte sie, um Rahotep nicht merken zu lassen, dass sie nicht mitgedacht hatte. „Guten Morgen.“ Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass auf seiner Brust heute nicht die Amulette seiner Schutzgöttinnen lagen, sondern gewöhnlicher Schmuck, wie ihn eben jeder wohlhabende Mann trug. „Guten Morgen, ,Merit“, sagte er. „Du bist pünktlich. Ja, sie war nervös, aber er wusste nur zu gut, dass auch er das bei seinem ersten Rollenspiel gewesen war. So lächelte er. „Du siehst gut aus, meine Schwester. - Gehen wir. Draußen werde ich dir kurz noch etwas erklären können, wenn du Fragen hast. Oh, du behältst übrigens deinen Namen. Nenne mich Bruder – und ich werde mich Neithhotep nennen, das passt zu Sau.“ „War nicht auch einer der Vermissten aus dieser Stadt? Sennefer?“ „Ja. Aber obwohl ich wirklich aus Sau stamme, habe ich nie von ihm gehört.“ Sie gingen bereits zu dem großen Tor, wo ein Wachtposten stand, der öffnete. „Das besagt natürlich nichts,“ fuhr Rahotep daher leise fort. „Seit meinem fünften Lebensjahr bin ich hier in der Stadt. Zunächst Schreiberschule, dann Arztlehre und Studium.“ „Ja.“ Er wollte sie beruhigen, erkannte sie mit gewisser Dankbarkeit. „Was sollte ich noch wissen? Du bist momentan also ein Beamter aus Sau?“ „Umgebung, genauer legen wir uns da nicht fest. Ja. Ich habe einiges Land von meinem Vater und meiner Mutter geerbt und will das jetzt im Büro des tjati bestätigen lassen und die Testamente hier ablegen. Morgen früh habe ich den für mich, uns, so wichtigen Termin, danach reisen wir wieder ab. Jetzt sind wir gerade angekommen und fragen nach einem Raum für die Nacht, ehe wir für dich Schmuck einkaufen gehen, oder so. Wir sind jung verheiratet ...“ Er sah, wie sie errötete. „Merit, das ist Spiel, vergiss das nicht, wenngleich manchmal auch ein recht gefährliches. Außerdem würde mich Meruka eigenhändig einen Kopf kürzer machen, wenn ich mich nicht an die Regeln halte. Naja, zumindest symbolisch. Jetzt zu etwas anderem. Warst du schon einmal in einer solchen Herberge?“ „Nein, früher, also, mit meinen Eltern, waren wir ja im Haus, das Vater gehörte, hier in der Stadt oder auf den Domänen oder im Haus in Per-Bastet.“ „Ja, was mich doch zu der Frage bringt, warum nicht zumindest Menmire, der ja für Chnummose unterwegs war, nicht in dessen Haus geschlafen hat. Nun ja, wir sollen uns ja nur umsehen. - Und jetzt, vergiss nicht, wir sind hier mit einem für unsere Familie wichtigen Termin. Wir sind nur das.“     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)