Unter den Schwingen des Horusfalken von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ----------------- Prolog   Sobeknacht, der oberste Beamte des Herrn der beiden Länder, atmete doch ein wenig auf, als er aus dem Schatten des Palmwedelschirms, den ein Diener über ihn hielt, in die steinerne Kühle seiner Totenkapelle trat. Um die Sommersonnenwende herum war es stets sehr heiß, zumal hier auf dem Wüstenplateau, aber er war nicht mehr jung genug, um das mit Fassung zu tragen. Fast fünfzig Lebensjahre forderten ihren Tribut. So betrachtete er mehr neugierig die Wände seine „Hauses für die Ewigkeit“, als auf den aufgeregten, deutlich jüngeren, Architekten neben sich zu achten.   Dieser, Nianchchepri, war dem tjati empfohlen worden, aber es war doch sein erstes Grab dieser Größe mit solchen Sonderwünschen, und er demgemäß so nervös, dass er ungefragt meinte: „Wie du sehen kannst, liegen wir im Zeitplan. Der nördliche Teil ist bereits vollständig aufgemauert. Und auch hier werden die Reliefs nächste Woche ausgearbeitet.“ Ja, der nördliche Teil. An diesem hing das Herz des Grabherrn mehr als an seinem eigenen Südschacht. In der fast drei Mannshoch in den Stein geschlagenen Grube mit der Grabkammer ruhten bereits die Leinenmumien dessen Frau und dreier Kinder, die nun auch hier, ungewöhnlicherweise, in der Kapelle als buntes Relief an die Wand kommen sollten, versorgt von den Totenopfern, die man einst gewiss Sobeknacht bringen würde. „Ich hätte nur zwei Fragen, edler tjati.“ Tjati, der „Unter dem Kopf des Königs“, Ranghöchster aller Beamten, die rechte Hand des Herrn der beiden Länder, des mächtigen Horus, noch dazu dessen Halbbruder. Nicht gerade der Mann, den man als junger, aufstrebender, Architekt verärgern sollte. „Nun?“ Sobeknacht hatte soeben seine Familie als Vorzeichnungen in Rötel an der Wand entdeckt und musterte genau die Konturen. Nur ein Sohn lebte noch. „Zum einen: wann kann die Opferplatte und die Tür eingebaut werden?“ „Setze dich mit den Werkstätten des Herrn der beiden Länder in Verbindung.“ „Natürlich.“ Das bedeutete, dass der mächtige Horus selbst seinem treuen Diener die Steinplatten nicht nur zur Verfügung stellte, sondern sogar von seinen eigenen Steinmetzen schmücken ließ, eine nicht alltägliche Gunst. Nianchchepri holte ein wenig Atem, ehe er langsam äußerte: „Und, verzeih, wenn der Name deiner Tochter noch nicht erwähnt ist. Du sagtest bislang nur, dass deine geliebte Gemahlin Hathorhotep und deine Söhne Padiptah und Bakenpthah hier ruhen. Diese Namen ließ ich bereits einzeichnen.“ Mehr wagte Nianchchepri nicht zu sagen. Das Auge des Ersten Ministers ruhte auf der Vorzeichnung eines kleinen Mädchens so liebevoll, dass nur ein Narr seine Gedanken weiter gestört hätte. Das Architekt wusste ebenso, dass die kleine Mumie, die im Nordschacht neben ihrer Mutter und ihren Brüdern jetzt ruhte, nur von kundigen Balsamierern so geformt worden war. An sich, zumindest teilweise, nicht unüblich, man versuchte auch verlorengegangene Körperteile wieder zu regenerieren für das ewige Leben in den Schilffeldern des Westens, aber ein kompletter Körper war doch ungewöhnlich. Sobeknacht konnte sich die Neugier durchaus vorstellen. Aber er war sehr zufrieden und hoffte, dass die Seelen seiner Familie, ihre Kas, die Körper dort im Nordschacht finden würden und hier dann Versorgung. Selbst seine Kleine, die er im Leben nicht beschützen konnte. Keine Krankheit hatte die Zweijähige getroffen, wie es nur zu oft geschah. Auf einer Bootsfahrt mit der Familie hatte er Entspannung gesucht, als sie über Bord gefallen war. Noch ehe ihre erschreckten Eltern etwas unternehmen konnten, oder auch einer der Begleiter, hatte ein Krokodil sie fortgezogen. Sobeknacht hoffte nun inständig, das ihre Seele über die nachgeahmte Mumie oder doch die Zeichnung für Wasser und Nahrung zurückgelangen konnte, das ewige Leben genießen konnte, er so seine Schuld bezahlen konnte. Ihre Mutter hatte kurz darauf eine Fehlgeburt erlitten und war mit dem Neugeborenen im Arm gestorben.„Sie hieß Neferhenut“, sagte er leise. „Und, Nianchchepri, sie war wirklich das Schönste aller kleinen Mädchen.“ Der Architekt hielt es für klüger nichts zu sagen, zumal sein Auftraggeber sich umwandte und die Kapelle wieder verließ.   Sobeknacht sah sich um. Seine Begleitung hatte es sich im Schatten eines anderen Grabmals gemütlich gemacht, sprang aber nun auf. Heute herrschte auf den stets lauten Baustellen des Landes der Toten wahrlich Stille. Es war der zehnte Tag der Woche, und es wurde nicht einmal an der Stufenpyramide des lebenden Horus im Norden gearbeitet. Sein Wedelträger war unverzüglich bei ihm. Es war heiß, und während er zu der Sänfte trat, deren zehn Träger ihn aus dem Flusstal hier hinauf auf das Wüstenplateau des Totengottes Sokar getragen hatten, warf er unwillkürlich einen Blick über das untere Fruchtland. Vor zwei Tagen war ein Schnellruderer aus Abu gekommen, dem südlichsten Ort, über dem der göttliche Falke seine Flügel schützend spreizte, um ihm zu melden, dass Sopdet dort am Himmel erschienen war, und nun sicher die Überschwemmung einsetzen würde. Hier, in Ibenu-Hedj, der Residenzstadt, würde man den hellsten Stern folglich in einer Woche sehen, denn er stand im Süden stets zwei Wochen früher sichtbar als hier. Auch das Hochwasser benötigte solange hierher, noch einmal Tage, bis dann auch das gesamte Delta überflutet war. Gut. Einhundert Tage war damit keine Feldarbeit mehr möglich, und er hatte bereits heute Morgen, gleich nach der königlichen Audienz, Boten in seine Landgüter geschickt, die Bauern ausheben sollten, um das Grab hier schneller fertig bauen zu können. Er war stolz auf seinen Einfall mit den bunten Reliefs im Totentempel. Andere hohe Beamte hatten bereits angekündigt ihm darin folgen zu wollen. Er nahm in dem hölzernen Rahmen der Sänfte auf einem Kissen Platz, zog die Beine an und hielt sich fest, als die Träger die Stangen packten. Seine schwarze Perücke rutschte kaum, als die Sänfte hochgehoben wurde, aber die schwere Goldkette um seinen Hals, Ehrengeschenk des Herrn der beiden Länder für seine Dienste, schlug etwas gegen seine weiche Brust und Bauch, Zeichen des Überflusses, den er sein Leben lang als Königssohn und Mitglied des Adels genossen hatte.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)