Kaiser Hidijo's Katze [Leseprobe] von Futuhiro (eine japanische Dämonensage) ================================================================================ Kapitel 3: O-Takenaga --------------------- Schwarz. Alles hier. Der nächtliche Himmel über ihnen. Die Landschaft ringsherum. Selbst die Kleider, die sie am Leibe trugen. Ein verrotteter Friedhof, Knochen überall auf den Wegen. Hier standen sie und beteten, um den Meister zu rufen. Er würde kommen, keine Frage. Aufgeregt aber wissend begannen sie das Ritual. Sie sprachen die geheimen Worte. Und er würde erwachen. „Lass deine Macht sprießen, damit unter deiner Herrschaft Dunkelheit komme über das ganze Land. Wir sind hier, um dir eine Krone zu geben, und Macht. Deine Gefolgschaft wird dich erwarten. Du regierst das Land. Gib uns Befehl!“ Das Feuer in der gewaltigen Ascheschale brannte, flammte rot wie Blut. Das Mädchen, das sie dahinter an einen Pfahl angekettet hatten, schien im Schein des Feuers fast zu glühen. Sicher tat sie das auch. Die Hitze hatte ihre Haut bereits gerötet und trieb ihr dicke Schweißperlen aus den Poren. „Wir preisen deine Herrlichkeit. Herr, bitte komm zurück.“ Rauch quoll aus der Erde. Das Mädchen schrie schmerzvoll auf, als sie davon eingehüllt wurde. Die Gebete wurden lauter. „Die Zeit ist gekommen. Du sollst unser Führer sein. Dein Königreich soll sich weit ausdehnen. In deine Hände legen wir unser Leben. Gib uns Befehl und wir werden gehorchen. Wir erwarten dein Begehren. Lass jeden vor Furcht erzittern, das Verderben soll regieren. Möge Blut die Flüsse füllen. Lass die Ordnung zu Chaos werden. Zeige der Welt den Tod.“ Etwas abseits stand Gemma, mit der Schulter gegen einen Baum gelehnt, und schaute sich das Spektakel aus sicherer Entfernung an. Er wünschte, die Menschen hätten ihm mal so viel Respekt und Ehrfurcht entgegengebracht. Aber naja, dafür war er einfach ein zu kleines Licht. Da brauchte er nicht neidisch sein. Was die Männer hier trieben, machte ihm allerdings Sorgen. Nun gut, er hatte genug gesehen. Kopfschüttelnd wandte er sich um und löste sich in Rauch auf. Zeit, zu seinem Herrn zurückzukehren. „Und zeige uns all deine Weisheit, versprühe sie über das ganze Land. Du bist unser Meister, der Grund weshalb wir leben. Mache die Flüsse rot, verdunkle die Nacht! Die gesamte Welt soll den Dämonenkönig fürchten. Führe eine grausame Schlacht, deine Armeen werden gehorchen.“ Zuerst war da gar nichts. Das einzige, was er spürte, war Leere. Er war nur ein loser Verstand, der an keinen Körper gebunden war. Entsprechend konnte er nicht hören und nicht sehen. Nicht reden und nicht riechen. Nur diese Leere wahrnehmen. Dann gesellte sich plötzlich ein unbestimmter Schmerz hinzu, der schnell heftiger wurde, als sich an dieses Nichts Substanz anzulagern begann. Wie ein Skelett, an dem sich Muskeln und Gewebe von außen her festsetzten wie eine immer dicker werdende Schmutzschicht. Seine Zunge stieß an Schneidezähne. Seine trüben Augen wurden von heller werdendem Licht gepeinigt, dessen er sich nicht erwehren konnte, bis endlich Lider sich darüber schlossen und es aussperrten. Ein Schrei schnitt krampfartig in seine Ohren. Seine noch halbfertigen Lungen ließen den ersten qualvoll genommenen Atemzug ungehindert durch zahllose Nebenausgänge wieder fahren. Im nächsten Augenblick riss ihn unvermittelt die Schwerkraft zu Boden, er brach haltlos zusammen. Dann Schwärze. Ein tiefer, dröhnender Trommeltakt, hart und gleichmäßig, ließ unter seinem kraftlosen Körper die Erde beben. Er spürte die Vibrationen noch einen Moment. Dann kam zu der Schwärze auch Ruhe. Die Trommeln hatten ausgesetzt. „Herr. .... Herr!!!“ Er öffnete mühsam die Augen, als er sich geschüttelt fühlte. Mit all seinen Sinnen versuchte er zu erfassen, was hier gerade Sache war. Auf seiner nackten Haut spürte er eine Decke, in die man ihn gewickelt hatte, um seine Blöße zu verbergen. Seine Ohren sagten ihm, daß etliche Leute um ihn herum standen, und er konnte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich regelrecht spüren, noch ehe er den Blick hob um nachzusehen. Er fand sich auf dem Boden liegend wieder, also versuchte er sich mit einem Arm ächzend hochzuwuchten. Lange, tiefblaue Haare fielen ihm ins Gesicht. Das waren seine eigenen, okay. Die weiße Haut, die sich über seine Hände spannte, war makellos, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie schlank er war. Er hatte schon kräftigere, stärkere Körper gehabt, erinnerte er sich. Sich aufzurichten fiel ihm schwer. Er war noch furchtbar schwach und zittrig und bei der kleinsten Anstrengung begannen alle seine Muskeln zu krampfen. Er räusperte sich kurz ausdrucksvoll, um zu testen, in welchem Zustand seine Stimme war. Dann erst wandte er seine Beachtung all den Menschen zu, die um ihn herum standen und ihn mit großen Augen angafften. Viele waren sichtlich sprachlos. Und nicht unbedingt im positiven Sinne, wie ihm auffiel. „Herr!“, redete wieder jemand auf ihn ein. Fragend drehte er seinen Kopf der Stimme zu. „Seid ihr wohlauf?“ „Ich lebe.“, gab er nur trocken zurück – seine Stimme klang unangenehm hell und jung in seinen eigenen Ohren – richtete sein Augenmerk wieder auf den Boden und versuchte irgendwie ungeschickt aufzustehen, da alles unter ihm und um ihn her zu schwanken schien und die Erdanziehungskraft ihm noch extrem zu schaffen machte. Er bezweifelte, daß er länger als ein paar Sekunden lang würde stehen können. „Herr. Mein Name ist Sono. Wir sind eure Diener! Wir haben euch in diese Welt zurückgeholt, damit ihr sie regiert. Bitte, gebt uns Befehl!“ Ach ja, richtig, O-Takenaga war sein Name, erinnerte er sich. O-Takenaga schaute ihn erneut fragend an. „Befehl? Welchen Befehl denn?“ Nun war es der bärtige Mann mit dem stählernen Helm, der blöd schaute. „Äh ... egal! Irgendeinen!“ Was war das denn? Sie hatten einen Akuma beschworen und der hatte keine Befehle für Sie? Nichtmal Wünsche? „Leute, lasst mir doch erstmal einen Moment Zeit, mich wieder zurechtzufinden und herauszufinden, was hier eigentlich Phase ist. Wie lange war ich überhaupt weg?“, gab der junge Mann etwas überfordert zurück, kämpfte sich mit einer gewaltigen Kraftanstrengung auf die Füße und strauchelte sofort wieder. Sono griff erschrocken zu, um ihn zu stützen und nebenbei noch die Decke aufzufangen, die von seinem ansonsten splitterfasernackten Körper zu rutschen drohte. „Ihr habt diese Welt zuletzt vor 200 Jahren verlassen, Herr.“, nuschelte er dabei. „Ich werde euch in mein Zelt bringen, wo ihr ... ähm ... zur Ruhe kommen könnt.“ „Das ist gut, danke.“ ... Danke? ... Danke!!!!!???? ... Was zur Hölle war das hier für ein Teufel? Fürst Sono war fassungslos. Aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als er sich einen Arm des aus Rauch und Magie geborenen sogenannten Herrschers um den Hals legte und ihn bei jedem Schritt Richtung Kommandozelt schwer stützte. Es war so ein ganz gewöhnlicher Abend, wie alle Abende im Hause des Schwertmeisters zu sein pflegten. Die untergehende Sonne tauchte den Innenhof in lyrisches Orange. Und es war so seltsam ruhig hier. Meister Suruga liebte die Ruhe und den Frieden. Wenn er nicht gerade Schwertschüler unterrichtete, war hier nichts los. Von ihrer letzten Bleibe waren sie mehr Trubel gewohnt. „Gemma, was tun wir hier?“, wollte Hanya und Ponya lustlos wissen, als der Kopf der Dämonenbande sich dazugesellte und sich schwerfällig setzte. Er verstand bis jetzt nicht, warum Gemma sich an die Fersen dieses alten Schwertmeisters geheftet hatte. „Der Kerl hat doch keine Arbeit für uns, oder?“ „Würde ich so nicht sagen.“, gab Gemma zurück. Auch wenn sein Tonfall selbst nicht übertrieben euphorisch klang, schien er doch zumindest zufriedener zu sein als seine beiden Mitstreiter. „Der Alte wird von ein paar Witzbolden behelligt, die seinen Nachtfrieden stören, seine Schüler behelligen und teilweise sogar Schäden an seinem Haus anrichten. Ein paar Mal wurde hier sogar schon eingebrochen und seine Trainingshalle verwüstet. Er würde es gern sehen, wenn wir rauskriegen, wer die sind, und die zum Schweigen bringen.“ Und außerdem mochte er den Meister und seine harmonieliebenden Ansichten ganz gern. Der Meister war immer darum bemüht, den Dämonen möglichst keinen Anlass zur Unzufriedenheit zu bieten und sie nicht gegen sich aufzubringen. Aber das fügte er nur in Gedanken an und sprach es nicht laut aus. Das war für seine Kameraden kein Kriterium. „Klingt nach Leuten von einer rivalisierenden Waffenschule.“, vermutete Intetsu ruhig. „Schätze ich auch.“ „Womit will der Kerl uns denn bezahlen? Hat er uns irgendwas zu bieten?“ „Das weiß ich noch nicht. Das ist im Moment auch nicht unser größtes Problem. Aber wir haben erstmal wieder ein Dach über dem Kopf.“, stellte Gemma klar und deutete mit dem Daumen über die Schulter. Es war klar, daß er damit die Gästezimmer im Gebäude hinter sich meinte. „Weitersuchen können wir immer noch.“ Intetsu und Hanya und Ponya nickten einsichtig. Seit sie ihren alten Herrn verlassen hatten, waren sie wie Vagabunden durch die Lande gezogen. Sie waren in jedem Dorf nur ein paar Tage geblieben. Leider konnten sie als Dämonen nicht einfach irgendwo klopfen und selber nach Arbeit fragen. Sie mussten angesprochen und angeheuert werden. Es blieb ihnen nur, möglichst viel im Dorf herumzuspazieren, sich unter das Volk zu mischen und sich zu zeigen, damit vielleicht irgendein kundiger Mensch sie bemerkte und ansprach. Dämonen fielen mit ihrem Aussehen zwar durchaus auf, aber die meisten Menschen hatten keine Ahnung von Dämonen und erkannten sie deshalb nicht als solche. Und wenn doch, flohen sie von Grauen gepackt. Gemma hatte sich das einfacher vorgestellt, als er beschlossen hatte, seine bisherige Bleibe zu verlassen und dem Familienclan, dem sie so lange zu Diensten gewesen waren, den Rücken zu kehren. In den Dörfern würde er wohl auch wenig Erfolg haben. Fischer und Bauern hatten kaum Verwendung für die Dienste von Dämonen, überlegte Gemma. Bestenfalls im Monat der großen Steuereintreibung. Und bei den Samurai gebot es die Ehre, selber zu kämpfen. Er musste seine Herangehensweise überdenken, wenn er mit seinen beiden Weggefährten wieder irgendwo Fuß fassen wollte. Herrenlos bleiben und frei durch die Welt ziehen wollte er schließlich auch nicht. Es klang zwar nach einem bequemen Leben, frei zu sein, aber er wollte den Luxus der Zivilisation nicht missen. Wenn er nicht in den Diensten eines Herrn stand, der ihn versorgte, hatte er nur die Wahl, alles zu rauben was er zum Leben brauchte – und dann würde er sehr schnell von einem Mob wütender Menschen umgebracht werden, damit hatte er oben auf der alten Handelsstraße in den Bergen ja schon Erfahrung machen müssen – oder die von Menschen besiedelten Gebiete zu verlassen. Und er hatte ehrlich gesagt keine Lust, wie ein Bergtroll in Höhlen zu hausen und sein Essen auf steinzeitlichste Art selber erlegen zu müssen. Intetsu und Hanya und Ponya sahen das genauso. „Gemma!?“, holte ihn Intetsu aus seinen gedankenverlorenen Überlegungen zurück. „Hm?“ Der Yokai mit den hellen Haaren warf ihm einen fragenden Seitenblick aus dem Augenwinkel zu. „Was ist los mit dir?“ „Was soll sein?“ „Du bist in letzter Zeit so anders. So komisch.“, pflichtete auch Hanya und Ponya ihm sofort bei. „Du bist mal lebhafter gewesen, bevor wir hier gestrandet sind. Hat der Alte irgendwas mit dir angestellt, daß du plötzlich so still bist? Oder färbt seine meditative Art bloß auf dich ab?“ Gemma schüttelte den Kopf und ließ den Blick wieder über die Wolken schweifen. „Ich mache mir Sorgen um das, was sein wird. Die Welt befindet sich im Wandel. Der Umstand, daß wir aus unserer alten Heimat fortgegangen sind, war nur der Anfang von etwas viel, viel weitreichenderem.“ Ja, was er vor ein paar Tagen auf dem verwitterten Friedhof mit angesehen hatte, machte ihm Sorgen. Mit seinem Herrn, Meister Suruga, hatte er schon darüber gesprochen und auch ihm machte es Sorgen. Gegenüber seinen beiden Mitstreitern hatte er es noch nicht erwähnt. Die würden noch früh genug in diesen Strudel mit hineingezogen werden. Gegenüber, auf der anderen Seite des Innenhofes, ging eine Schiebetür auf und eine junge Frau kam heraus. Sie warf einen interessierten Blick herüber, schien aber nicht ganz schlüssig, wie sie auf die Besucher reagieren sollte. Wohl weil sie beim besten Willen nicht einordnen konnte, wer sie waren. In ihrer eigenwilligen Kleidung, die keine Rückschlüsse auf irgendeinen Gesellschaftsstand zuließ, hätten sie von Bediensteten bis hochrangigen Persönlichkeiten alles sein können. Schließlich grüßte sie die drei mit einer ehrfürchtigen Verbeugung, ging weiter und verschwand zur nächsten Tür hinein wieder im Haus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)