Momente von Alaiya ([One-Shots und Drabbles]) ================================================================================ Taucherfreunde -------------- Flé liebte den Moment, in dem sie ins Wasser eintauchte. Es war, als würde sie eine andere Welt besuchen. Eine Welt, die sich anders anfühlte, anders aussah, anders klang, als die Welt an der Oberfläche. Zu sagen, es wäre still, war falsch. Es war nicht still, unter Wasser. Geräusche, die Meilen um Meilen entfernt entstanden waren, wurden hierher getragen: Das Surren entfernter Schiffe, das Rauschen von Wellen, die irgendwo gegen eine Küste schlugen, andere natürliche Geräusche und manchmal – wenn man Glück hatte – auch der pfeifende Gesang eines Wales. Flé hatte einmal gehört, dass die Wale früher tiefer gesungen hatten. Aber sie konnte dahingehend nur den Dokumentationen im Fernsehen vertrauen, da sie es selbst nicht anders kannte. Sie kannte nur diesen hohen, pfeifenden Gesang. Doch sie war nicht wegen der Wale hier. Sie war für einen Freund hergekommen – wie beinahe an jedem anderen Tag des letzten Monats. Sie war hergekommen, für das Geheimnis, das sie herausgefunden hatte. Und so tauchte sie weiter hinab, immer auf eine gleichmäßige Atmung bedacht, und schaltete die Lampe an ihrer Ausrüstung an, als sie gänzlich unter den Felsen verschwand. Denn ihr neuer Freund lebte hier, in den blauen Löchern, wie man sie an der Oberfläche nannte: Ein Höhlennetzwerk, das beinahe das ganze Meeresgebiet rund um Haiti untergrub. Es war gefährlich, hier zu tauchen. Das hatte man ihr eingebläut. Es war gefährlich, da die Strömungen in den Höhlen teilweise unberechenbar waren, man leicht die Orientierung verlieren konnte und zudem im Notfall nicht so leicht wieder an die Oberfläche kam. Doch Flé tauchte hier, da sie sich auf ihren Freund, der hier lebte, verließ. Er musste hier irgendwo sein. Sie sah sich um, da sie nicht rufen konnte, leuchtete mit ihrer Lampe in die Ecken des Tunnels, der sich hier mit einem anderen Tunnel traf. Und dann sah sie die Bewegung im Dunkeln. Einen riesigen Schatten, der beinahe die komplette Höhle ausfüllte, sich dabei jedoch mit unnatürlicher Eleganz bewegte. Das Wesen kam zu ihr geschwommen und streckte ihr vertrauensvoll den gigantischen, weichen Kopf entgegen, so dass sie ihn berühren konnte. Flé lächelte und tätschelte das Wesen. Als sie ein Kind gewesen war, hatte man ihr Gruselgeschichten von dem gigantischen Octopus, der angeblich unter der Insel lebte, erzählt. Doch gruselig war das Wesen nicht, das ihr nun vorsichtig einen Tentakel entgegen streckte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)