Das Teehaus am Ende der Straße: Der Weg zum Epilog von Seelenfinsternis ================================================================================ Kapitel 1: Es ist nichts, auch kein Prolog! ------------------------------------------- Die Hitze hatte sich schwer über der ganzen Stadt ausgebreitet in diesem Sommer. Zäh kroch sie zwischen den Häuserschluchten entlang und entzog den Menschen fast jede Energie. Matt schleppten sich die einen die Straßen entlang, voller Vorfreude auf das hoffentlich klimatisierte Ziel ihres Wegs. Die anderen lungerten träge auf den Terrassen der zahllosen Cafés in ihren Stühlen und versuchten durch möglichst viel Eiskaffee und möglichst wenig Bewegung die klebrige Schwüle zu ertragen. Auch der Schrein, der seit Generationen von der Familie Higurashi gehütet wurde, bewahrte seine Bewohner nicht vor diesem drückenden Tag. Da er majestätisch auf einem Hügel über den Dächern thronte, ging zwar ab und an eine leichte Brise, die es aber dennoch nicht schaffte Erleichterung zu verschaffen. Sie transportierte einfach heiße Luft von einem Ort zum anderen und blies wie ein Fön in das Gesicht einer jungen Frau. Diese hatte es sich hinter dem kleinen Haus, das etwas abseits von den altehrwürdigen Tempelhallen lag, auf einem Liegestuhl gemütlich gemacht und beschlossen, dass ihr ihre Würde als geweihte Miko des Schreins bei deutlich über dreißig Grad gestohlen bleiben konnte. Faul lag sie im Schatten eines Magnolienbaumes und fächelte sich gerade mit einer Zeitschrift Luft zu. Das traditionelle Gewand einer Priesterin hing ordentlich in ihrem Schrank; schwerer Stoff, in mehreren Lagen auf dem ohnehin überhitzten Körper war einfach unerträglich. Sie bevorzugte heute weltlichere Kleidung, eine kurze Leinenbermuda und ein helles Top. Nachlässig hatte sie es am Bauch aufgerollt, damit ihr Körper auch wirklich jeden Quadratzentimeter Haut dazu nutzen konnte abzukühlen. Auf einem kleinen Tisch zu ihrer Rechten stand ein Glas mit einem Strohhalm; die Eiswürfel sorgten dafür, dass feine Wasserperlen an den Seiten heruntertropften. Kagome hatte die Augen geschlossen. Es war bereits später Nachmittag und die langsam sinkende Sonne brannte sich dennoch weiter erbarmungslos in ihre Augen. Die flirrende Hitze machte keinerlei Anstalten sich zu verziehen und entzog der jungen Frau weiter jede Energie. Es war aber durchaus möglich, dass die gemütliche Trägheit nicht nur ein Resultat der Witterung war; wieder führte sie den Strohhalm an ihre Lippen und nahm einen Schluck des kühlen Nass; Gin Tonic auf Eis, das beste nach einem schweißtreibenden Arbeitstag in Kagomes Augen. Das Glas war bereits zur Hälfte leer und ließ sie die vielen kleinen Widrigkeiten des Lebens vergessen. Sie hatte im Grunde keinen Anlass sich zu beschweren. Es war ein weiter Weg gewesen, aber sie lebte nun bereits seit drei Jahren glücklich zusammen mit ihrem Daiyoukai in etwas, was unter Menschen Beziehung genannt wurde. Sesshoumarus Maßstäbe kannten dafür kein Wort, er hatte einfach beschlossen, dass sie sein war und sprach ansonsten nicht darüber. Nicht seit jenem schicksalhaften Tag im November. Wenn seine Miko ihn nach außen hin als ihren Freund oder ähnliches bezeichnete, nahm er es zwar zur Kenntnis, aber es berührte ihn nicht. Das Wort hatte keinerlei Bedeutung für ihn, er nahm es einfach als notwendiges Übel hin. Überhaupt war er kein Mann vieler Worte, aber er ließ Kagome durch sein Handeln keinen Zweifel, welchen Platz sie in seinem Leben hatte. Sie wusste, was er war und nahm ihn als solches, ohne ihn zu einem zahmen Schoßhund zu machen. Doch auch Kagome war im Grunde ihres Herzens nur eine Frau; und wie alle wünschte sie es sich, die drei magischen Worte zu hören, gezeigt zu bekommen wie wichtig sie ihm war. Ihr Verstand hatte schon lange akzeptiert, dass er einfach nicht der Typ für so etwas war, aber in stillen Momenten sehnte sich ihr Herz klammheimlich danach. Jetzt war wieder einer dieser Momente. Allein in der Gluthitze zu liegen, nichts, das die Gedanken in ihrem Kopf bremsen wollte…. Und ihre verdrängten Sehnsüchte bahnten sich gerade ginbeschleunigt einen Weg in ihr Bewusstsein. War es ein zu großer Wunsch nicht nur geliebt zu werden, sondern sich auch wahrhaft geliebt zu fühlen? Ihr Verstand wusste natürlich, dass Sesshoumaru in vielem vollkommen anders tickte als jeder andere Mann – jeder andere menschliche Mann, der in ihrer Zeit aufwuchs und lebte. Eigentlich war sie auch genau deshalb dem Daiyoukai so verfallen, eben weil er anders war und dadurch die Lücke in ihrem Innern auszufüllen vermochte, die das jähe Verlassen des Mittelalters in ihr hinterlassen hatte. Klammheimlich aber wünschte sich ihr dummes Herz auch manchmal den Prinzen, der die Prinzessin rettet; sie lebten glücklich ans Ende aller Tage in ihrer Zuckerwattewelt. Verdammt, manchmal war sie eben auch nur ein Mädchen! Ab und zu brauchte sogar sie ihre Dosis Romantik, auch wenn sie wusste, dass sie sich dazu den falschen Mann geangelt hatte. Diese Sehnsüchte hatten gestern neue Nahrung bekommen und dazu geführt, dass sie sich nun schon nachmittags sich einen Drink genehmigte. Yuka und Toshi, das Powerpaar schlechthin seit ihrem Schulabschluss, hatten gestern bei einer Grillparty ihren Freunden glückstrunken ihre Verlobung bekannt gegeben. Selig und dümmlich lächelnd stand Yuka neben dem ehemaligen Frauenhelden, der einen langen, schmalzigen Monolog darüber hielt, dass Yuka all sein Lebensglück war, wie perfekt sie war und hatte dabei noch einige überaus kitschige und unbeholfene Zitate aus Filmen eingestreut. Am Ende hatten alle Frauen außer Kagome Tränen der Rührung in den Augen, blickten neidisch auf die so gepriesene Braut in spe, die mit stolz geschwellter Brust einen üppigen Diamanten an ihrem Ringfinger präsentierte. Kagome verschluckte sich bei dieser Präsentation an einer Gabel Kartoffelsalat und konnte so nicht in das allgemeine Seufzen einstimmen; sie hustete ihre Glückwünsche und rang dabei um Atem. Doch trotz ihrer Abscheu gegenüber dieser Inszenierung von Liebe konnte die Miko ein Leuchten in ihren Augen nicht verhindern. Sesshoumaru, den sie durch ausdauerndes Bitten und Drängen dazu gebracht hatte sie zu dieser Party zu begleiten, saß wie immer etwas abseits und rauchte vollkommen unbeeindruckt von dieser Bekanntmachung Kette. Er bedachte das Paar nicht einmal mit einem seiner zynischen Kommentare, für die er unter ihren Freundinnen inzwischen gefürchtet war, sondern ignorierte das Ganze konzentriert und ausdauernd. Sollte er aus dem Augenwinkel das Leuchten in den Augen seiner Gefährtin bemerkt haben, dann tat er auch dabei sein Bestes es zu ignorieren. Der Rest des Abends hatte eine seltsame Stimmung. Sämtliche Pärchen saßen innig beieinander, auffällig viele Hände hielten sich verschämt unter den Tischen. Doch Zwei Liebende ließen sich nicht anstecken von der romantischen Atmosphäre: Kagome saß etwas verloren und einsam am Tisch und kompensierte mangelnde Zweisamkeit mit den Resten des Buffets. Sesshoumaru ließ seinen Blick in die Ferne schweifen und war mit einen Gedanken an einem ganz anderen Ort – und wahrscheinlich auch in einer ganz anderen Zeit. Schweigend gingen sie schließlich nach Hause, wie immer brachte Sesshoumaru sie bis zu ihrem Haus auf dem Hügel des Schreins und ging dann weiter die Straße entlang bis zu seinem Teehaus. Heute wieder waren all die Gedanken in Kagomes Kopf präsent. Warum beschäftigte sie das nur so? Es war nie ein Thema für sie gewesen, sie führten schließlich auch keine klassische Beziehung und es funktionierte doch prima nach ihren eigenen Regeln. Was wollte sie mit so einem Plunder am Finger, wenn in ihrer Schmuckschatulle das Amulett der Herrin der westlichen Länder versteckt lag, das Sesshoumaru ihr am Tag ihrer Abschlussfeier geschenkt hatte und sie damit quasi vor allen Youkai zu seiner Gefährtin erhob, wenn er noch Herr der westlichen Länder wäre. Das war doch etwas viel Wertvolleres, statt mit einem Massenschmuckstück eine Ehe einzugehen, die wahrscheinlich irgendwann sowieso wieder geschieden wurde. Warum zum Kuckuck beschäftigte es sie dann so? Weil Sesshoumaru die Spielregeln ihrer Beziehung vorgab. Sein größtes Zugeständnis an ihre menschlichen Erwartungen an eine Beziehung war, dass er sie ab und an begleitete und sich als ihren Freund bezeichnen ließ. Das war für ihn schon ein großer Schritt, warf ihre Ratio in die innere Generaldebatte ein und versuchte sich gegenüber ihres gerade etwas von geschmackloser Romantik besoffenem Herzen Gehör zu verschaffen. Er hasste menschliche Gesellschaft noch immer, ausgenommen Kagomes Familie, die er akzeptierte. Das ehemalige Hühnerspezialkommando war ihm seit dem ersten Aufeinandertreffen ein steter Dorn im Auge und dennoch überwand er sich immer wieder das Geschnatter und die deplatzierten Fragen an seine Person zu ertragen. Dafür war Kagome ihm jedes Mal unendlich dankbar und in diesen Momenten liebte sie ihn abgöttisch; er erduldete die Peinlichkeiten und Beleidigungen seines Stolzes stoisch, nur damit sie glücklich war. Durch den Diskussionsbeitrag ihres Verstandes war sie nun völlig verwirrt und das nun zur über der Hälfte leere Glas Gin Tonic behinderte etwas das Sortieren ihrer Gedanken und Gefühle. Ein Schatten verdunkelte plötzlich den letzten Rest der Sonne und sah neugierig auf sie herab. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Sesshoumaru erstaunt. „Gar… Gar nichts“, murmelte Kagome ertappt. Langsam hob sich seine linke Augenbraue. „Achja, du genehmigst dir schon mittags einen Drink und sitzt völlig verheult im Garten. Es muss also nichts sein.“ „Es ist nichts!“, wiederholte Kagome nun deutlich trotziger. Gelassen nahm Sesshoumaru am Fußende des Liegestuhls Platz und griff sich Kagomes Glas. Nach einem tiefen Schluck fragte er schließlich: „Was ist denn dann nicht?“ Schwüle Sommerhitze und Gin hatten Kagome einen zarten Rotschimmer auf die Wangen gezaubert. Schmollend sah sie nach unten auf ihre Hände, die an einem ihrer Hosenbeine nestelten. Warum musste er jetzt nachbohren? Es war nichts, sie wollte nicht darüber reden! Warum interessierte er sich eigentlich immer nur dann für ihre Gefühle, wenn sie das gerade gar nicht gebrauchen konnte? „Es ist nichts. Es ist auch nicht nichts“, fügte Kagome noch hastig hinzu, bevor der Daiyoukai seine Spitzfindigkeit weiter ausspielen konnte. Sesshoumaru kannte seine Gefährtin inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er so nicht weiterkommen würde. Mittlerweile wusste er auch, dass bei schlechter Laune auch nur eine geringe Menge Alkohol ausreichte, um die erhabene Miko in ein quengeliges Kind zu verwandeln. Ruhig stellte er fest: „Du bist seit gestern so. Seit deine Freundin dir gesagt hat, dass sie mit diesem Idioten verlobt ist.“ Innerlich erschrak Kagome etwas darüber, dass er es schon längst bemerkt hatte und schämte sich ein klein wenig für ihre närrischen Gefühle. Aber die Blöße würde sie sich jetzt sicher nicht geben. Außerdem fürchtete sie sich etwas vor seiner Antwort. „Bist du neidisch auf sie?“, fragte nach einer Pause ganz direkt, aber vollkommen sachlich. Kagome zog es vor weiter zu schweigen. Wenn sie dieses Gespräch jetzt weiter führen würden, nähme es keinen glücklichen Ausgang. Sesshoumaru saß weiter zu ihren Füßen und sah sie mit undurchdringlichem Blick an. Seine goldenen Augen verrieten nicht einen seiner Gedanken. Plötzlich stand er auf, hob Kagome mit ein und derselben Bewegung hoch und legte sie sich über die Schulter. „Hey, lass das!“, protestierte Kagome laut, doch der Herr des Westens gab nichts auf ihren Widerstand. „Du musst auf andere Gedanken kommen“, erklärte er lapidar und ging mit ihr ins Haus, ohne jedoch das Glas mit dem übrigen köstlichen Inhalt zu vergessen. Auf der Treppe im Flur begann Kagome mit ihren Fäusten auf seinen Rücken zu trommeln. „Ich bin kein Sack Reis, hör auf mich durch die Gegend zu schleppen!“ „Das habe ich auch nie von dir gedacht“, antwortete der Gescholtene weiterhin stoisch und amüsierte sich innerlich über ihre lächerlichen Versuche sich gegen ihn zu wehren. Fest packte seine Hand ihren Po, als er die letzten Stufen bis zu ihrem Zimmer erklomm – natürlich nur, damit sie nicht herunter fiel bei ihrem Gezappel. Kaum spürte sie seine Hand auf sich, zuckte Kagome zusammen und stellte jeden Widerstand ein. Noch bevor sie Gelegenheit hatte über die Situation nachzudenken, waren sie in ihrem Schlafzimmer und die Tür war fest geschlossen. Er ließ sie schweigend aufs Bett fallen und kniete sich über sie. „So, und jetzt hören diese Kindereien auf. Es ist mir durchaus aufgefallen, dass du gestern mit glasigen Augen diese Seifenoper verfolgt hast. Es ist mir auch bewusst, dass ich nicht so ein süßholzraspelnder Rosenkavalier wie dieser Schwachkopf bin. Du hast das aber vergessen, fürchte ich. Also werde ich jetzt wohl einige Dinge klarstellen müssen.“ Mit den letzten Worten hob er ihren Kopf und küsste sie gierig und verlangend. Küssen war seiner Meinung nach die angenehmste Methode Widerworte im Keim zu ersticken und auch die Einzige, die seine Liebste in jedem Fall überleben würde. Fest umfassten seine Hände ihren Kopf und zogen sie fest an ihn heran. Schließlich befreite sich Kagome aus der Umklammerung um zu Atem zu kommen. „Woher weißt du...?“, japste sie, doch kam nicht dazu den Satz zu beenden, da Sesshoumaru wieder hungrig an ihren Lippen hing. „Ich bin kein Idiot“, murmelte er, als sie wieder nach Luft schnappte. Er ließ sie wieder in die Kissen gleiten und sah über ihr kniend auf sie herab. „Hast du wirklich gedacht, dass ich nicht wüsste, was in dir vorgeht?“ Kagome wurde noch eine Nuance röter und brachte kein Wort heraus. Aber ihre Verlegenheit war ihm Antwort genug. Konzentriert begann er sein schwarzes Hemd aufzuknöpfen ohne sie jedoch aus dem Blick zu lassen. Gebannt verfolgten ihre Augen sein Tun und weiteten sich voller Vorfreude, als der letzte Knopf geöffnet wurde. Sesshoumarus feinen Sinnen war ihr plötzlicher Stimmungswechsel nicht verborgen geblieben. „Ich denke, ich muss dir wieder einmal vor Augen führen, was der Unterschied ist zwischen mir und diesem Schwächling“, sprach er und zog sich das hölzerne Amulett, das seine wahre Gestalt verbarg, über den Kopf. Ein kurzes Leuchten erhellte den Raum, dann sah sie den Daiyoukai des Westens. Die magentafarbenen Zeichen auf seinen Wangen waren wieder präsent und rankten sich um seine Arme und seine Hüften. Der Mond des Westens stand stolz auf seiner Stirn und er gab sich nicht die kleinste Mühe sein Youki zu unterdrücken. Es war nicht allein der verlockende Anblick, der Kagomes Sinne berauschte. Das wilde und rohe Youki fegte durch ihre Sinne, sie spürte es mit beinah jeder Faser ihres Körpers und sie ließ sich gerne mittragen von dem beeindruckendem Gefühl der absoluten Macht, das er ausstrahlte. In der Tat, er war nicht zu vergleichen mit jedem anderen Mann auf dieser Erde. Er war definitiv kein Mensch, das demonstrierte er ihr gerade einmal wieder mit Nachdruck. „Ich kenne diese Geschichten, die du und scheinbar alle Menschenfrauen so lieben. Ich bin eher das, was diese Prinzen töten um die Prinzessin zu retten als der strahlende Held.“ Diese Worten bewirkten in Kagome gleich zwei Dinge: Erstens vergegenwärtigte sie sich wieder, dass er sich im Rahmen seiner emotionalen Möglichkeiten wirklich Mühe gab ihre menschlichen Erwartungen zu erfüllen, aber nicht aus seiner Haut herauskam. Er war nun einmal ein Dämon, was er gerade anschaulich demonstrierte. Seine eiserne Sturheit und Abscheu vor jedweden Emotionen, die über Lust hinausgingen, machten das Unterfangen jedoch erheblich schwieriger. Der zweite Gedanke war ihrer leichten Trunkenheit geschuldet und die Bilder nahmen ihren Kopf überfallartig ein. Sie versuchte sich verzweifelt zusammen zu reißen, keine Miene zu verziehen, doch nur Sekunden später passierte es: Sie begann laut und prustend zu lachen. Das schallende Lachen wechselte schnell zu einem kaum unterdrückten Kichern und sie kugelte sich unter der Last ihres sehr verwirrten Gefährtes auf dem Bett vor Heiterkeit. Der Schleier, den die Tränen in ihren Augen hinterlassen hatten, lüftete sich schließlich und sie bemerkte das Missfallen im Blick des Daiyoukais. „Entschuldige“, lachte sie schließlich, als der Schalk sie aus seinen Fesseln entließ, „aber da waren eben Bilder in meinem Kopf.“ Allein dieser Satz brachte sie schon wieder zum Giggeln. Sesshoumaru hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah schweigend mit zu Eis erstarrtem Gold auf sie herab. „Ich hatte sofort diesen Film vor meinen Augen, dass ich in einer Burg bin und am Horizont taucht ein Ritter auf und fordert das Monster auf die Prinzessin freizugeben.“ Während sie ihre etwas sprunghaften Gedanken erklärte, begann sie sich aufzusetzen. „Du würdest einen fabelhaften Drachen abgeben!“ Wieder wurde sie von heftigem Lachen geschüttelt. „Machst du dich gerade über mich lustig?“, knurrte Sesshoumaru schließlich, der nicht verstand, was dieses Märchen bezwecken sollte, außer ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. „Nein“, lächelte Kagome und hauchte ihm einen versöhnlichen Kuss auf die Lippen. „Aber ich finde, diese Geschichte ist ein bisschen dämlich. Es hat niemand die Prinzessin gefragt, ob sie überhaupt gerettet werden möchte. Vielleicht ist sie ja glücklich in der Burg und liebt den Drachen, auch wenn er wie ein griesgrämiges Monster aussieht und sich auch oft genug so benimmt. Und der Ritter ist ein arroganter Idiot, der die Prinzessin niemals glücklich machen könnte. Wer weiß, vielleicht ist er auch in seiner Rüstung festgerostet.“ Die Anspannung wich nun etwas aus dem Gesicht des Dämons. „Und deswegen hast du so gelacht?“, fragte er schließlich skeptisch. „Nein, ich habe dein Gesicht gesehen, das aus dem Rauch der Drachenhöhle kam und wie dabei Rauchkringel aus deiner Nase kamen“, prustete Kagome, die sich schon wieder nicht halten konnte und sich an seine Brust warf. „Du hast vergessen zu erwähnen, dass der Drache ein großartiger Liebhaber ist“, erklärte er nach weiteren Augenblicken des Schweigens und unterstrich seine These sogleich, indem er eine Hand in ihr Oberteil wandern ließ. Gedankenverloren umkreisten seine Finger die sich erhebende Wölbung verborgen unter dem Stoff. „Mhhh, unbedingt“, gurrte Kagome genießerisch, „Aber ich glaube, das ist nicht alles.“ Ohne eine Sekunde von ihr abzulassen, angelte Sesshoumarus freie Hand nach dem Glas, das auf dem Nachttisch wartete. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt so viele Worte zu machen und nun war seine Kehle trocken. Kagome war empört über diesen dreisten Mundraub. Gedankenschnell richtete sie sich auf, presste die Lippen auf seinen Mund, verschaffte sich Zugang und damit den letzten verbliebenen Rest des Getränks. Der herbe Geschmack des Wacholders zusammen mit dem ihres Liebsten verbesserte den Geschmack ihres Lieblingsgetränks erheblich. Sie würde sich das merken. „Das war meins“, schalt sie ihn und lehnte sich wieder an seinen nackten Oberkörper. Beide seiner Hände griffen nach dem Stoff ihres Hemdes und zogen es ihr über den Kopf. Seine nun wieder deutlich sichtbaren Klauen kratzen über die Haut an ihrem Bauch und sandten einen heißen Schauer durch ihren Körper. Sie liebte dieses Gefühl und die Erinnerung daran, zu was er eigentlich mit diesen Krallen fähig war, gab der Sache eine zusätzliche Würze. Fest packte er ihre linke Brust und setzte sein Spiel nahtlos fort. Seine Stimme kitzelte an ihrem Ohr: „Ich denke, du wirst mir verzeihen“. Damit verschwand seine rechte Hand unter dem Bund ihrer Hose und fand den Weg in ihren Schoß. Der Stoff eines Höschens war nichts, das einen Daiyoukai im Wege sein konnte. Geschickt schob er es beiseite und schon fanden seine Fingerkuppen das Zentrum ihrer Lust. Mit sanftem Druck umspielte er die kleine Perle und begann die Herrlichkeiten zu erkunden, die noch vor seinem Auge verborgen waren. Sein Bemühen blieb nicht ohne Wirkung, ungeduldig wand sich seine Geliebte in seinem Griff und schob sich seiner Hand entgegen. Ein wohliges Seufzen entkam ihren Lippen und ihre zierliche Hand lag fest auf seinem Unterarm, damit er ja nicht aufhören würde. Schließlich ließ er zumindest von ihrer Brust ab, was sofort Protest erzeugte. Doch das Leinen ihrer Hose störte ihn, also zog er sie ihr endlich aus und nichts störte mehr seinen Blick auf das Spektakel, das sich ihm bot. Völlig willenlos durch ihr Verlangen und mit geschlossenen Augen lag sie an seine Brust gelehnt, die Schenkel gespreizt und folgte mit ihren Hüften dem Rhythmus, den er vorgab. Immer wieder versuchte sie sich ihm entgegen zu drängen, damit er endlich mit diesem Spiel aufhörte und ihr das gab, nachdem es sie nun schon eine ganze Weile verlangte. Eine Flut zog langsam heran und verriet ihm, dass sie das Spiel nicht mehr lange so duldsam mitspielen würde. Auch ihn kostete es einige Anstrengung nicht sofort seinem Verlangen zu folgen und sich das zu holen, was der Druck in seinen Lenden forderte. Doch der Anblick war einfach zu gut, er konnte nicht genug davon bekommen. Das war pure Macht, er war gerade der uneingeschränkte Herrscher über ihr Verlangen. Das Gefühl berauschte ihn und entschädigte ihn mehr als genug für seine Geduld. Ungelenk tastete eine Hand nach ihm, fand schließlich die Knöpfe seiner Hose und nestelte daran. „Hör endlich mit den verdammten Spielchen auf“, stöhnte seine Liebste heiser und versuchte ihn aus seinen Beinkleidern zu befreien. Geduld gehörte nicht zu ihren Vorlieben. Diese war nun endgültig erschöpft und so entriss sie sich ihm, um ihm endlich diese störende schwarze Hose auszuziehen, die zwischen ihr und ihrer Erlösung stand. Sesshoumaru ließ sie gewähren. Die Vereinigung der beiden war kurz und heftig. Von drängender Lust getrieben überwältigte Kagome ihren Liebsten, setzte sich auf ihn und genoss es seine Härte endlich in sich zu spüren. Das Liebesspiel war stürmischer als gewöhnlich, die Worte zuvor hatten die Gemüter aufgeheizt und Gier fachte das Feuer weiter an. Das war kein zärtlicher Austausch von Nähe, es war die Versicherung, dass sie sich noch immer genau das geben konnten, nachdem der andere verlangte. Sesshoumarus Augen hatten sich bereits rot gefärbt, ein untrügliches Zeichen, dass er seiner animalischen Lust nicht mehr lang standhalten würde und vor Begehren beinah Amok lief. Sie genoss den Anblick, er war mehr Bestätigung für sie als jeder dahingesagter, verschwurbelter Liebesschwur. Es war auch der Grund dafür, dass sie fast immer darauf bestand seine wahre Erscheinung sehen zu dürfen, wenn sie sich liebten. Plötzlich zog er sie zur Seite, drehte sie auf den Bauch und brachte sich in einer fließenden Bewegung hinter sie, um sie packen und sich weiter in sie hineinzutreiben. Das harte Echo seiner Stöße tief in ihr stieß sie vollends über die Schwelle und Sekunden später brach er mit einem kehligen Knurren erschöpft über ihr zusammen. Später lag sie erschöpft in seinen Armen in ihrem Bett und lauschte seinem Atem und den Geräuschen der schwülen Sommernacht. Gedankenverloren spielte sie mit einer Strähne seines Haares. „Weißt du, diese Geschichte hat nur einen Fehler. Du bist ein Hund und kein Drache.“ „Ja und?“, antwortete ihr Liebster erstaunt. „Dann hat die Prinzessin einen Schoßhund.“ Sesshoumaru verzog das Gesicht. „Ich glaube, du weißt ganz genau, dass ich das nicht bin.“ „Hmmm… aber so ist das Märchen lustiger. Der Ritter wird vom Hund der Prinzessin zerfleischt und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.“ Das empörte Schnauben hörte Kagome bereits nicht mehr, da sie in einen erschöpften Schlummer glitt. Kapitel 2: Eisendieb und Seelenräuber! -------------------------------------- 02 – Eisendieb und Seelenräuber! Wildes Kampfgeschrei störte die friedliche Stille der Umgebung des Teehauses zum weißen Hund. Zu dem alten Haus gehörte auch ein von außen nicht einsehbarer Innenhof, in dem gerade einige junge Leute wild aufeinander einschlugen unter der gelangweilten Aufsicht von Sesshoumaru. Er saß in schwarzem Hakama und Keikogi auf einer im Schatten gelegenen Bank, verfolgte mit kundigem Blick die Bewegungen des halben Dutzend Hanyou mit einer Zigarette im Mundwinkel. Jeder von ihnen versuchte seinem Gegner auf die ein oder andere Weise Schaden zuzufügen und zu verhindern selbst getroffen zu werden. Babanuki hatte jedoch bereits Mühe sich mit seinen eigenen unbeholfenen Angriffen nicht zu verletzen und sein Gegenüber, eine relativ junge Panther-Hanyou, machte sich nicht einmal die Mühe auszuweichen. Stattdessen lachte sie ihn höhnisch aus. Hanako war die Einzige, die gerade allein trainierte und konzentriert mit ihren zu Klauen geformten Händen auf einen Baumstamm einschlug. Diese kleine Trainingsgruppe war ursprünglich nicht seine Idee gewesen, aber das Ganze hatte eine inzwischen eine gewisse Eigendynamik entwickelt zu seinem Missfallen. Eigentlich wollte er nur Hanako unterrichten, wie sie ihr für ein Halbblut starkes Youki unter Kontrolle bekommen konnte und ihr einige Dinge zur Selbstverteidigung beibringen. Dann bekam ihre Freundin Cat, das Panthermädchen, Wind davon und lag ihm so lange in den Ohren, bis er entnervt zustimmte, dass auch sie kommen durfte. Nicht weil sie irgendein Talent besaß, einfach nur, damit er wieder seine Ruhe hatte. Doch damit war dann auch gleich wieder Schluss gewesen, denn auch andere Hanyou wollten sich nun nicht die Gelegenheit entgehen lassen vom letzten echten Youkai eine Unterweisung in Youkai-Kampftechniken zu erhalten. Letztlich war es so besser, als das sie ihre überschüssige Kraft ständig in irgendwelchen Straßenkämpfen abbauen zu versuchten; es war ein Weg sie davon abzuhalten sich in Schwierigkeiten zu bringen, was Sesshoumaru nur recht sein konnte. Missmutig verfolgte er das Treiben. Die meisten waren vollkommen talentfrei und nichts von der eigentlichen Kraft der Youkai-Clans, die ihre entfernten Vorfahren waren, hatte in ihnen überdauert. Trotzdem trainierten sie hier, vor neugierigen Blicken geschützt, ohne die Anhänger, die ihre Dämonenkraft unterdrückten. Er bückte sich zu Boden und schmiss einen Kiesel nach Cat, die sich prompt mit schmerzverzerrtem Gesicht den Hinterkopf hielt. „Au, was soll das?“ „Nimm deinen Gegner gefälligst ernst. Du kannst dir deine Überheblichkeit ganz sicher nicht erlauben.“ „Aber das ist Babanuki, die alte Ratte ist ein Schwächling!“, protestierte die Getadelte sofort. „Was soll mir schon passieren?“ „Dass ein anderer, stärkerer Gegner deine Unachtsamkeit ausnutzt und dich von Hinten angreift.“ Genervt verdrehte er die Augen. Das Einzige, was sich konstant durch alle Generationen der Panther vererbt hatte, war ihre verdammte Selbstgefälligkeit. Babanuki war ohne den verhüllenden Zauber noch hässlicher und erbärmlicher. Die Ratte in ihm schlug optisch noch viel deutlicher durch, zu seinen kleinen pechschwarzen Augen kamen nun noch lange, drahtige Barthaare und abstehende, große Ohren. Seinen nun auch längeren Schwanz hatte er wie einen Gürtel um seinen Wanst gewickelt auf Anraten Sesshoumarus, damit er nicht darüber stolpern konnte. Langsam und träge erhob sich der Daiyoukai von seinem Beobachterposten und ging auf die beiden zu. Kalt sahen seine goldenen Augen auf die in Lumpen gekleidete Ratte hinab. „Wenn du zu feige bist, um zu kämpfen, dann lass es gleich und hau ab. Aber wenn du kämpfst, dann kämpfe richtig und vergiss für einen Moment deine erbärmliche Feigheit.“ Betreten schweigend sah der dickliche Hehler auf seine Füße. „Sesshoumaru, warum darf ich nicht mit dir trainieren?“, drängte sich Cat gleich wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit und tänzelte angriffsbereit vor ihm auf und ab. „Weil du es nicht überleben würdest“, entgegnete Sesshoumaru gelangweilt. Doch das übermütige Mädchen ließ nicht locker und versuchte ihm mit ihrer Faust einen Schwinger zu verpassen. Ärger über diese Respektlosigkeit flammte in Sesshoumaru auf. Was erlaubte die Göre sich eigentlich? Er blockte den Schlag mit offener Hand und ließ einen winzig kleinen Hauch seines Youkis in seine Handfläche strömen. Cat prallte daran ab, als sei sie gegen einen fahrenden Zug gelaufen, flog quer durch den Hof und schlug hart mit dem Kopf an der Mauer ein. „Schwach“, spie Sesshoumaru verächtlich und wandte sich von dem Elend ab. Hinter seinem Rücken eilte Babanuki zu der Einschlagstelle, doch es war Sesshoumaru gleich was aus der großmäuligen Pantherhanyou wurde; sie sollte überlebt haben und die Wunden ihr eine Lektion sein. Er erreichte Hanako und beobachtete einige Male, wie sie auf das Holz vor sich einhieb. Sie zuckte kurz mit ihren schwarzen Ohren, die nun wieder sichtbar waren, als sie seine Gegenwart bemerkte, ließ sich aber nicht ablenken. „Du musst das Youki in deinen Fingerkuppen konstant konzentrieren“, kommentierte er schließlich. „Du schwankst zu sehr.“ Hanako unterbrach ihre Übung und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Das ist ganz schön anstrengend“, schnaufte sie, „Besonders bei einem Stück Holz. Ich fühle mein Youki eigentlich nur, wenn ich wütend bin. Aber es ist schwierig auf einen Baumstamm wütend zu sein.“ Nachdenklich betrachtete Sesshoumaru die geschundenen Finger seines Schützlings. Weit war sie nicht mehr davon entfernt… „Schlag mich“, forderte er sie schließlich auf. „Was?“ Hanako schaute ihn verwirrt an. „Du hast selbst gesagt, dass es mit einem Stück Holz noch zu schwierig sei. Also trainier mit mir“, erklärte der Daiyoukai ruhig und stellte sich gegenüber seiner Schülerin auf. Seine Arme hingen locker am Körper und er stand völlig entspannt. Die anderen Hanyou hatten in der Zwischenzeit bemerkt, dass ihr unwilliger Meister sich als Trainingsobjekt zur Verfügung stellte und bildeten so ein interessiertes Publikum; es würde gewiss gleich etwas Spannendes passieren. Selbst Cat ließ sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen den letzten echten Dämon in Aktion erleben zu können, hielt sich aber immer noch den schmerzenden Kopf. Eine blutige Kruste verfärbte ihre strohblonden Haare und langsam bildete sich eine deutliche Beule. Trotz der nachdrücklichen Zurechtweisung konnte sie nicht ihren Mund halten: „Willst du etwa ohne Deckung kämpfen, Sesshoumaru?“ Er zog es vor den altklugen Kommentar zu überhören und bereute es für einen Moment dem Panthermädchen nicht endgültig seine zu große Klappe zertrümmert zu haben. Dann konzentrierte er sich wieder auf Hanako. „Fang an.“ Konzentriert schlug die junge Frau auf ihren Meister ein, die Hände zu Krallen geformt und die Konzentration trieb ihr feine Schweißperlen auf die Stirn. Aufmerksam verfolgte Sesshoumaru ihr Bemühen, allerdings interessierten ihn weniger ihre ungeschickten Hiebe. Seine Sinne fokussierten sich so sehr auf den Fluss des Youkis in ihren Händen, dass er nicht bemerkte, wie ihre Finger über seinen Oberkörper kratzen. Es konnte ihm auch egal sein, sie war sowieso nicht in der Lage ihm auch nur die kleinste Wunde zuzufügen. Die Übung zog sich nun bereits einige Minuten hin, ohne dass Hanako Fortschritte zu machen schien. Fassungslos starrten die Zuschauer die beiden an. Eben hatte Hanako doch einen Volltreffer gelandet, wieso verzog Sesshoumaru nicht eine Miene, warum sah man nicht einmal einen Kratzer auf seiner Brust, die unter dem etwas verrutschten Gi hervorblitzte? Mit messerscharfem Verstand analysierte er die Situation. Hanako schaffte es einfach nicht ihr Youki zu entfesseln, den schwach glimmende Funken konnte sie gar nicht ausreichend verdichten, um damit anzugreifen. Wut, sie brauchte Wut, die das Feuer in ihr anheizen würde. „Ist das etwa alles?“ Mit spotttriefender Stimme versuchte er sie zu provozieren. Eigentlich war ihm dieses Geplauder in Kämpfen völlig zuwider, daher hatte er keine Übung darin. Er improvisierte also etwas dabei seinen Gegner fachmännisch zu verhöhnen. Seltsam, bei seinem Halbbruder ging es ihm immer leicht von den Lippen und hatte ihm sogar Spaß gemacht. Ein bisschen tat es ihm sogar leid, denn eigentlich mochte er die Urenkelin seiner Ziehtochter. Er war froh, dass sie inzwischen sich ein wenig Selbstbewusstsein aufgebaut hatte und wollte nicht darauf herumtrampeln. Aber es war nur zu ihrem Besten sie jetzt zu triezen. Schließlich gab Hanako resigniert auf. „Ich schaff es einfach nicht“, seufzte sie. Entweder würde sie jetzt brechen oder gestärkt werden, wägte Sesshoumaru in Gedanken ab. Im schlimmsten Fall stand ihm ein unangenehmes Gespräch mit seiner Gefährtin bevor, die dann schon sicher wieder die Scherben des zerbrechlichen Egos zusammenfegen und heilen würde. „Nichtsnutziges Halbblut“, spie er verächtlich. Erschrocken sah Hanako auf und suchte seinen Blick. Doch in den goldenen Augen lag kein Funken Güte mehr, sie waren zu Eis erstarrt und sahen voller Verachtung auf sie herab. Auch die anderen Hanyou waren bis ins Mark erschüttert. „Was ist? Mehr schafft wohl ein Hanyou nicht.“ Hanako schaffte es nicht ihre Paralyse zu überwinden und starrte Sesshoumaru weiter tief erschüttert an. Eine Träne stahl sich unfreiwillig aus ihrem Auge und rann die Wange herab. Hatte sie ihn etwa so sehr enttäuscht? „Greif endlich an oder reicht dazu deine kümmerliche Kraft dazu auch nicht mehr?“ Langsam fing sich die junge Frau wieder und schüttelte den ersten Schock von sich. Wie in Trance griff sie den Mann an, der sie in all den Jahren beschützt hatte und ihr eine Familie geworden war. Doch sie schaffte es nicht einmal mehr ihn zu berühren. Hart schleuderte er ihren Arm weg und schmiss sie zu Boden. „Na los, steh auf“, forderte er sie verächtlich auf. „Warum?“, flüsterte Hanako und kauerte auf dem staubigen Boden. „Warum sagst du plötzlich so etwas?“ Sesshoumaru ignorierte ihre Frage und setzte stattdessen nach: „Ist das alles, was von meiner Linie übriggeblieben ist? Ein schwacher Hanyou, der heulend vor mir im Dreck liegt?“ Entsetzt schlug Cat die Hände vor dem Mund zusammen. Sie wusste um die Abstammung ihrer Freundin, gerade deshalb zerrissen ihr Sesshoumarus Worte nun das Herz. Wie konnte er nur so grausam sein? Weitere Tränen kullerten nun unkontrolliert über Hanakos Gesicht und tropften in den Staub. Sesshoumaru sah sich noch einen Moment das Elend an, dann wandte er sich ab und ging. „Wie kannst du nur so etwas sagen?“, knurrte Hanako plötzlich. Erstaunt drehte sich der Daiyoukai herum. Die Hanyou kauerte immer noch auf dem Boden, allerdings brodelte ihr Youki nun wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Ihre weitaufgerissenen Augen glühten rot, als sie ihn anschrie: „Was glaubst du eigentlich, was du da gerade sagst? Ich zeig dir, wie stark ein Hanyou ist!“ Mit einem wilden Brüllen stürzte sie sich auf Sesshoumaru und schlug blind vor Wut auf ihn ein. Überrascht wich Sesshoumaru ihrem Angriff aus. „Dein Bruder war ein Halbdämon und der hat dich besiegt! Meine Vorfahrin musste dich retten!“, schrie sie ihn weiter an. „Du hast mir selbst die Geschichte unzählige Male erzählt! Und ich bin der nächste Halbdämon, der dich besiegt!“ Wieder holte sie zu Schlag aus. Sesshoumaru schaffte es mühelos ihren Angriff zu parieren. Wie aus Reflex knurrte er: „Halbbruder.“ Hanakos Dämonenblut schien nun völlig außer Kontrolle zu sein. Ihr Äußeres begann sogar sich zu verändern, blaue, gezackte Linien bildeten sich auf ihren Schläfen. Das weckte Erinnerungen… auch die wütenden Worte, die sie ihm entgegenschleuderte. Er wollte sie doch nur etwas wütend machen, aber jetzt war die Lage völlig eskaliert. Das entfesselte Youki wirbelte den Staub durch die Luft und drückte die nun sehr ängstlichen Zuschauer beiseite. Er hielt noch immer ihre Hand fest, seit er ihren Schlag abgewehrt hatte. „Hanako“ begann er versöhnlich auf seinen Schützling einzureden, doch sie fiel ihm sofort ins Wort. „Vergiss es! Wir klären das jetzt ein für alle mal!“ Sie riss sich von dem erstaunten Daiyoukai los und griff ihn erneut berserkergleich an. Rote Funken blitzten an ihren nun messerscharfen Klauen, als sie seinen Unterarm traf, mit dem er abwehrte. Es schien trotz der heiklen Lage zu funktionieren, bemerkte Sesshoumaru gedankenschnell. Konnte sie nur genug Youki aufbauen, wenn sie beinahe Amok lief? Er kam nicht dazu den Gedanken weiter zu verfolgen, denn die nächste Salve Schläge prasselte auf ihn ein. Inzwischen musste er sie tatsächlich ernstnehmen, wenn er nicht verletzt werden wollte. Plötzlich wich sie einen Schritt zurück und verharrte einen Moment regungslos in tiefer Konzentration. Kampfeslustig sah sie ihm direkt in die Augen und lächelte schließlich. Unvermittelt drosch sie mit ihren Pranken in die Luft. „Sankon Tessō!“ Es ging alles furchtbar schnell und Hanako bekam davon recht wenig mit, da sie das Bewusstsein verloren hatte. Als sie wieder bei Sinnen war, lag sie im Schatten des Magnolienbaums im Garten des Teehauses und ihr Kopf war auf den Schoß ihrer Freundin Cat gebettet. „Was… was ist passiert?“, murmelte sie benommen. Sie blinzelte einige Male, um das grelle Sonnenlicht besser ertragen zu können. Als sie sich vorsichtig umsah, bemerkte sie, dass sie allein waren. „Du hast mit einer oberkrassen Attacke Sesshoumaru angegriffen“, erklärte Cat begeistert. „Du warst voll stark, sowas hab ich vorher noch nie gesehen!“ Angestrengt kramte Hanako in ihre Erinnerungen. Sie wusste nur noch, dass er einige ziemlich üble Dinge zu ihr gesagt hatte und sie wütend wurde. Danach versank alles in einem Nebel aus Zorn. „Du hast dich irgendwie verwandelt, das sah richtig böse aus! Du hattest blutrote Augen und auf jeder Backe eine blaue Linie“, begann Cat zu berichten, doch unterbrach sie sich selbst nachdenklich. „Das mit den Linien erinnert mich ein bisschen an das, was du mir von Sesshoumaru erzählt hast. Wie er aussah, als er mit voller Kraft gekämpft hat.“ Hanako war so durcheinander, dass sie kein Wort herausbrachte. „Du hast dann wie eine Irre gekämpft und ihn echt in Bedrängnis gebracht! Er musste sogar abwehren. Dann sind irgendwann Funken von deinen Finger gesprüht bei jedem Angriff.“ War das wirklich sie, grübelte Hanako. Seit wann war sie so stark? „Dann wurde es echt abgefahren“, fuhr Cat fort, „Du hast ihn wie eine Wahnsinnige angegrinst und als du in die Luft geschlagen hast, sind aus deinen Nägeln – ach Quatsch, das waren schon richtige Krallen – Blitze gekommen. Du hast was geschrien, was ich nicht verstanden habe.“ „War das echt alles ich?“ „Ja“, lachte Cat voller Stolz, „Du hast ihn mit dieser letzten Attacke sogar getroffen! Er hat sich völlig verdattert seinen blutenden Arm angesehen und etwas gemurmelt. Dann…“ Hanako unterbrach sie. „Was hat er gesagt?“ „Keine Ahnung, was er damit meinte. Er war richtig neben der Spur und sagte ‚Inuyasha… ‘. Was auch immer das zu bedeuten hatte.“ Langsam setzte sich die immer noch sehr angeschlagene Hanako auf und rieb sich die Augen. „Das ist der Name seines Bruders“, erklärte sie ohne sich bewusst zu sein, was sie da gerade sagte. „Er hat einen Bruder?“, hakte Cat überrascht nach. „Ihr habt euch während eures Kampfes auch wegen ihm gestritten. Du hast gesagt, du würdest ihn genau wie seinen Bruder besiegen. Der Typ muss ziemlich cool sein!“ „Er ist vor allem ziemlich tot“, entgegnete Hanako, der langsam das Ausmaß der Geschehnisse dämmerte. „Er war sein Halbbruder und seit einem halben Jahrtausend oder so tot.“ „Ja, das mit dem Halbbruder hat er auch gesagt“, kommentierte ihre Freundin. „Was ist dann passiert?“ Cat atmete einige Male tief ein und aus, dann berichtete sie noch immer beeindruckt weiter: „Du hattest ihn aus dem Konzept gebracht, aber nur für ne Sekunde oder so. Als er den Namen von seinem Bruder gesagt hat, wurdest du von ihm überwältigt und zu Boden gedrückt. Deswegen ist dein Gesicht auch so dreckig.“ Das war Hanako bisher noch gar nicht aufgefallen vor lauter Aufregung. Gedankenverloren wischte sie sich Dreck von der Stirn und hörte weiter gebannt zu. „Dann war auf einmal seine Aura zu sehen, er hat dich komplett damit eingehüllt. In dem Moment bist du ohnmächtig geworden.“ Beide verfielen in einvernehmliches Schweigen, als das Panthermädchen seinen Bericht beendet hatte und hingen ihren Gedanken nach. „Ich habe ja gehört, dass er stark sei, aber es zu sehen…“, plapperte Cat schließlich los, da sie die Stille nicht mehr ertrug. „Ich werde nie mehr frech zu ihm sein. Jetzt glaube ich auch sofort, dass ich es nicht überleben würde mit ihm zu trainieren.“ Plötzlich musste Hanako kichern. Sie lachte laut, hielt sich den Bauch und all die Anspannung fiel von ihr ab. „Das war noch gar nichts“, erklärte sie schließlich. Irgendwie war sie gerade stolz auf ihn und darauf, seine indirekte Nachfahrin zu sein. „Er hat nicht mal das Siegel abgelegt. Damals, als er die Panther-Gang vernichtet hat, da konnte man sehen, wie stark er ist.“ „Ich habe das immer für Übertreibung gehalten“, sinnierte Cat, „Aber jetzt glaube ich es. Alles.“ Besorgt nahm sie Hanakos Gesicht in ihre Hände und sah sie eindringlich an. „Und dir geht es auch ganz sicher gut? Ich habe schreckliche Angst um dich gehabt, man kann fast froh sein, dass du noch lebst!“ Hanako versuchte so viel Zuversicht, wie ihr im Moment möglich war, in ihr Lächeln zu legen. „Keine Sorge, er würde mich nie ernsthaft verletzen. Eigentlich hat Sesshoumaru mich eben vor mir selbst beschützt. Wenn ich von meinem Dämonenblut übermannt werde, kann nur er mich wieder stoppen. Deswegen hat er mich in sein Youki eingehüllt, nicht weil er mich angreifen wollte.“ Sie stand vorsichtig auf und war dankbar, dass sie sich am Arm ihrer Freundin abstützen durfte. Ihre Beine waren noch immer etwas wackelig. „Der Einzige, um den man sich Sorgen machen muss, ist eigentlich Sesshoumaru“, bedeutete sie der anderen Hanyou. Sie fühlte wirklich nur aufrichtige Besorgnis. All ihren Zorn über seine Worte hatte sie vergessen. Sie verstand, dass er das nur gesagt hatte, um sie wütend zu machen. Und selbst wenn nicht, war ihr das gerade herzlich egal. „Wo ist er?“, fragte sie, als sie im Innern des Teehauses standen und es verlassen vorfanden. Ein prüfender Blick in den Aschenbecher verriet dem kundigen Auge Hanakos, dass er vor einiger Zeit gegangen sein musste. Cat wunderte sich ein wenig darüber, dass man sich um den Daiyoukai sorgen machen musste, aber in einem seltenen Moment des Verständnisses begriff sie, dass es wohl der falsche Zeitpunkt war, danach zu fragen. „Keine Ahnung, er hatte sich seine Zigaretten und was zu Trinken geschnappt und ist ohne ein Wort zu sagen gegangen. Ich glaube aber nicht, dass man sich bei ihm Gedanken machen muss. Der kommt zurecht.“ Hanako entgegnete nichts, aber in Gedanken wusste sie genau, was zu tun war. Wenn sie Kagome nicht Bescheid geben würde, in welcher Verfassung ihr Gefährte war, würde man sich um Hanako selbst Sorgen machen müssen. Die Miko würde ihr so etwas nie verzeihen. Außerdem brannten ihr einige Fragen auf der Seele, Fragen, die nur Kagome beantworten konnte. Was hatte es mit diesem Angriff auf sich, dass Sesshoumaru sofort an seinen ungeliebten Bruder denken musste? Und wie ähnlich waren sich Inuyasha und sie? Die Beziehung der beiden Söhne des großen Hundedämons war ein Rätsel, das verborgen in den Schatten der Vergangenheit lag. Hanako hatte sich soeben vorgenommen Licht in die Sache zu bringen. Kapitel 3: Der Experte für Sankon Tessō --------------------------------------- 03 – Der Experte für Sankon Tessō Es war bereits Abend, als Hanako die Stufen hinauf zum Higurashi-Schrein erklomm. Majestätisch ragte der Hügel über das Viertel und verströmte zusammen mit dem alten Tempel Erhabenheit und Weisheit. „Ich versteh nicht, was du in einem Tempel willst“, schnaufte Cat ein paar Schritte hinter ihr. „Ich dachte, du suchst Sesshoumaru.“ Das Panther-Mädchen hatte darauf bestanden ihre Freundin zu begleiten; zum einen aus ehrlicher Sorge, zum anderen aber auch aus purer Neugier. Die Vorfreude versetzte sie in helle Aufregung endlich etwas über den mysteriösen letzten Dämon zu erfahren. Außerdem schien ihr Hanako auch einiges zu verschweigen. Sie war zwar die Einzige, die Hanako ins Vertrauen gezogen hatte bezüglich ihrer Abstammung und Verbindung zu Sesshoumaru, doch hatten die spärlichen Erklärungen die unersättliche Neugier in Cat nicht auch nur ansatzweise befriedigen können. Sesshoumaru hatte es vorgezogen auch nach seiner unfreiwilligen Enttarnung so wenig wie möglich über seine Person preis zu geben. Die wenigsten Youkai wussten von seiner Beziehung zu Kagome, in welchem Verhältnis er zu Hanako stand und wer er eigentlich war. Die Gerüchteküche brodelte ein paar Monate nach dem Vorfall mit den Panthern, doch irgendwann ebbte das Gerede ab, da er ihm keine neue Nahrung gab. Einzig der Fakt, dass er der letzte überlebende, echte Youkai war blieb übrig und damit konnte er leben. Wenn man bedachte, dass er sogar seine wahre Gestalt und die Macht seines Schwertes offenbart hatte, kam er eigentlich ziemlich billig aus der Geschichte heraus. Hanako hatte ihn zwar vorgewarnt, als sie ihre Herkunft gegenüber ihrer besten Freundin schließlich verriet, aber trotzdem war er nicht glücklich darüber, dass nun diese vorwitzige, neunmalkluge Göre darüber Bescheid wusste, die ihre Nase bevorzugt in Dinge steckte, die sie nichts angingen. Er nahm es schließlich murrend hin, es blieb ihm auch nichts anderes übrig, wenn er Hanako nicht verletzen wollte. „Ich hab doch gesagt, dass du keine Fragen stellen darfst, wenn du mitkommen willst“, zischte Hanako ärgerlich über ihre Schulter. „Außerdem suche ich ihn gar nicht.“ „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. Dieser Tag ist echt zu viel für mich. Erst rastest du vollkommen aus, Sesshoumaru wird komisch und verschwindet einfach und jetzt gehen wir in einen Menschentempel. Was kommt als nächstes?“ Cat war gerade dabei vollständig in ihrem theatralischen Selbstmitleid aufzugehen, als Hanako sich zu ihr umdrehte, sie an den Schultern packte und ihr mit schmalem Blick eindringlich in die Augen sah. „Du musst das alles nicht verstehen, zumindest jetzt nicht. Ich hab dich mitgenommen, weil du meine beste Freundin bist und ich wirklich etwas Unterstützung gebrauchen kann. Aber wenn du nicht aufhörst ständig Fragen zu stellen und deine Klappe nicht halten kannst, dann geh jetzt nachhause. Ich bin jetzt schon in Schwierigkeiten, weil ich dich mit hierher genommen habe, also mach es nicht schlimmer.“ Große, grüne Augen sahen Hanako nach diesem Appell ungläubig an. Es dauerte einen Moment, bis die Pantherhanyou ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Ich wusste nicht…“ begann sie zu stammeln, wurde aber von Hanako unterbrochen. „Ja, konntest du auch nicht. Aber ich bitte dich als meine Freundin, reiß dich jetzt endlich zusammen! Das ist kein Spiel und auch nicht lustig.“ Cat war immer noch nicht in der Lage zu sprechen, nickte aber stumm. Sie schien die Ernsthaftigkeit der Situation endlich zu begreifen, dachte Hanako erleichtert. Sie erreichten endlich den Platz am Ende der Treppe. Der Tempel hatte bereits für Besucher geschlossen, daher waren sie allein. Hanako zog ihre Freundin nun ein Stück mehr ins Vertrauen, die aber gerade staunend den Schrein betrachtete. „Wir sind hier, weil das das Zuhause von Sesshoumarus Gefährtin ist.“ „Waaaaas?! Der alte Griesgram hat eine Freundin?“, entfuhr es Cat sofort, doch geistesgegenwärtig hielt sie sich die Hände vor den Mund; sie hatte ihrer Freundin Zurückhaltung versprochen und wollte sie nicht enttäuschen. Hanako honorierte ihr Bemühen, indem sie den Kommentar einfach überhörte. „Ihr und ihrer Familie gehört dieser Schrein, sie ist eine Miko. Ich muss ihr Bescheid geben, was passiert ist und außerdem habe ich noch ein paar Fragen an sie.“ „Deswegen gibst du ihr Bescheid, dass er verschwunden ist“, führte Cat den Gedanken weiter. Sie machte ein seltsames Gesicht dabei, denn die ganze Situation verwirrte sie immer noch mehr, als für ihren blonden Lockenkopf gut war. Kurz nachdem sie geklingelt hatten, öffnete sich die Tür. „Huch, Hanako, was willst du denn hier?“, sagte Kagome erstaunt. „Ist was passiert?“ „Dürfen wir reinkommen?“, fragte Hanako stattdessen. Sie bemerkte die unausgesprochene Frage in Kagomes Blick. „Das ist Cat, eine Freundin von mir.“ Diese besann sich augenblicklich auf ihre Manieren und verbeugte sich. „Es freut mich sehr.“ „Na dann kommt.“ Kagome verschwand in der Küche, um Tee aufzusetzen und rief den beiden Mädchen zu, dass sie im Wohnzimmer am Tisch warten sollten. Kurz darauf kehrte sie mit drei Tassen Tee zurück und setzte sich zu den beiden an den Tisch. „Dann beeilt euch mal, ich muss gleich weg, weil ich mit Yuka und den anderen wieder ein Restaurant ausprobieren muss.“ Hanako kicherte. „Das wievielte ist das? Das Fünfte?“ „Das Siebte. Du weißt doch, dass sie diese Hochzeit generalstabsmäßig planen. Es wird sicher nicht das Letzte sein“, antwortete Kagome resigniert und fuhr sich mit den Fingern niedergeschlagen durch den Pony. „Also, was ist passiert?“ Kurz schilderte Hanako, was Stunden zuvor passiert war; ihr Ausbruch, den Kampf und ihre neue Fertigkeit. Sie gab zu, dass sie ab diesem Punkt bewusstlos war und sich an nichts erinnern konnte und verwies auf ihre Freundin, die sie deshalb mitgebracht hatte. Doch Cat saß stocksteif auf ihrem Platz und hielt sich verzweifelt an ihrem Tee fest. Das war zu viel für sie. Da saß diese nette Frau und plauderte unbefangen mit Hanako. Diese Frau war Sesshoumarus Gefährtin? Kaum vorzustellen, sie war das genaue Gegenteil von ihm! Hanako hatte Recht. Wenn sie beide nicht aufpassten, würde Sesshoumaru furchtbar wütend werden. Er war heute Morgen schon wütend auf sie gewesen, Cat strich sich über den Kopf und ertastete die Wunde. Was würde er erst mit ihr tun, wenn er herausfand, dass sie nun Tee mit seiner Gefährtin trank und in seinem Leben rumschnüffelte? Langsam breitete sich Panik in ihr aus und ihre Finger umschlossen immer fester den heißen Becher vor ihr. „Cat?“ Hanako sprach nun zum wiederholten Mal ihre Freundin an, aber ihre Stimme erreichte sie nicht. Sie saß starr da, war ganz blass und starrte auf den Tee in ihren Händen. Hanako war völlig verwirrt, so kannte sie ihre Freundin gar nicht. Rat suchend sah sie zu Kagome. „Du hast sie vor Sesshoumaru gewarnt, stimmt‘s?“, sagte die Miko schließlich. „Schau, sie hat Angst. Angst, dass sie etwas Falsches sagen könnte.“ „Sie hat sonst eine sehr große Klappe, da dachte ich, dass es besser wäre“, gab Hanako geknickt zu. Das wollte sie doch nicht, dass ihre Freundin Angst hatte. Sie sollte die Lage nur ernst nehmen. Fürsorglich legte Kagome ihre Hand auf Cats Unterarm. „Hör zu, du musst keine Angst haben. Es ist alles in Ordnung.“ Doch das Mädchen zuckte sofort zusammen, kaum dass sie berührt wurde. Manchmal fragte sich Kagome wirklich, was Sesshoumaru alles tat um sein Leben geheim zu halten. Was hatte er für Drohungen ausgesprochen, dass diese Hanyou nun völlig panisch war, nur weil sie nun von Kagome wusste? „Sie ist heute Morgen mit ihm beim Training aneinander geraten. Ich glaube, sie realisiert gerade erst, wer er ist und was passieren kann, wenn sie ihn verärgert. Dann hab ich ihr gesagt, dass wir Ärger kriegen können, weil wir hier sind. Eben habe ich nochmal von heute Morgen erzählt, das war wohl dann alles zu viel.“ Kagome nahm schließlich beide Hände Cats in die ihren und versuchte etwas Trost zu spenden. „Es passiert dir wirklich nichts, du hast nichts Falsches gesagt oder getan. Ich werde auch nicht verraten, dass du hier gewesen bist, okay?“ Verschämt sah das Mädchen auf und suchte Augenkontakt zu der Miko. „Ich weiß, wie er sein kann. Glaub mir, ich verstehe gut, dass du Angst hast. Aber bitte erzähl mir, was heute passiert ist, nachdem Hanako ohnmächtig geworden ist. Das ist wirklich wichtig.“ Langsam begann Cat wieder zu atmen, aber ihr Blick klammerte sich immer noch an Kagomes braune Augen. „Sag einfach, ich hätte es erlaubt, wenn er böse wird“, fügte Kagome mit einem Zwinkern hinzu. „Hanako hat ihn mit dieser Technik angegriffen, Sankon Tessō. Dann hat er leise ‚Inuyasha‘ geflüstert, hat Hanako mit seiner Aura eingehüllt und ist verschwunden.“ Leise und monoton verließen die Worte den Mund der Pantherhanyou. „Seitdem ist er nicht mehr aufgetaucht“, fügte Hanako hinzu. „Oh, verstehe.“ Kagome ließ sich zurück in ihren Stuhl fallen. „Ihr müsst euch keine Sorgen machen. Hanako hat unbeabsichtigt einige Erinnerungen in ihm an die Oberfläche geholt. Im Moment will er wahrscheinlich allein sein, was auch besser so ist, da er in solchen Momenten unausstehlich ist. Spätestens morgen wird er wieder auftauchen.“ Kagome versuchte gelassen zu wirken, um die beiden Mädchen nicht weiter zu verunsichern. Wie sie ihn kannte, würde er sich gerade in seinem Weltschmerz häuslich einrichten und sich bemühen jede Erinnerung zu ertränken, jedes Gefühl auszuräuchern. Sollte er morgen nicht wieder auftauchen, würde sie ihn suchen gehen, dann konnte mehr dahinter stecken als einer seiner üblichen depressiven Momente. „Inuyasha war sein Bruder, nicht wahr?“, fragte Hanako nach einigen Augenblicken der Stille schließlich. „Halbbruder“, entgegnete Kagome reflexhaft mit einem Lächeln. Sie wusste, wie enorm wichtig ihrem Gefährten diese Differenzierung war. „Er war doch auch ein Hanyou. Kannst du mir bitte ein bisschen etwas von ihm erzählen? Bin ich ihm ähnlich, dass ich diese Erinnerungen in Sesshoumaru geweckt habe?“ Diese Frage beschäftigte Hanako schon den ganzen Tag. Vielleicht konnte sie etwas aus dem Leben Inuyashas lernen, der sich mit ihr das Schicksal teilte ein Halbdämon zu sein. Kagome jedoch schaute auf die Uhr. „Ich muss eigentlich längst los. Wenn du etwas über Inuyasha wissen willst, kannst du aber auch Sota fragen. Mein Bruder kannte ihn auch und ist so eine Art Experte für Sankon Tessō.“ Sie musste kichern, als sie sich an diese Geschichte erinnerte. Es war die gerechte Strafe für Sota all das erzählen zu müssen, nachdem er ihren Süßigkeitenvorrat geplündert hatte. „Wartet kurz, ich hole ihn.“ Einige Minuten später saß ein schüchterner, junger Mann den beiden Hanyou gegenüber am Tisch. Sota besuchte inzwischen die Oberschule und trug seine schwarze Schuluniform. Sein Gesicht konnte nicht verleugnen, dass Kagome seine Schwester war, sie sahen sich ziemlich ähnlich. Auch das dicke schwarze Haar war das gleiche, nur trug Sota es kurz wie fast alle Jungs seines Alters. Gutgelaunt klopfte Kagome ihm aufmunternd auf den Rücken. „Das ist euer Experte für Sankon Tessō. Erzähl den beiden, was du über Inuyasha weißt. Lass nichts aus, Hanako weiß ja Bescheid. Viel Spaß euch allen!“ Damit war sie zur Tür hinaus verschwunden und hinterließ einen vor Scham knallroten Sota. Sesshoumaru lag auf einer Wiese hoch oben in den Bergen und genoss die Ruhe. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und beobachtete die Wolken, die vorüberzogen. Im Gras an seiner Seite lagen eine leere Flasche und ein Päckchen Zigaretten. Seit Stunden schon war er hier und langsam färbte die Ruhe dieses Ortes auf sein aufgewühltes Inneres ab. Er hatte heute seit Jahren wieder das erste Mal an seinen verdammten Halbbruder denken müssen. Hanako… das war das gleiche großmäulige Geschrei, das gleiche Betteln nach Anerkennung. Und dann dieser Angriff… Das heute war wie eine Zeitreise für ihn gewesen. Jetzt, wo sich der angenehme Dunst in seinem Geist ausgebreitet hatte, konnte er es sich eingestehen. Er vermisste die ständigen Kämpfe mit Inuyasha. Er würde nicht so weit gehen, dass er den Hanyou ernsthaft vermissen würde. Nur weil sie nach der Zerstörung des Juwels aufgehört hatten zu versuchen sich gegenseitig umzubringen, bedeutete das nicht, dass sie sich als Brüder akzeptierten. Sie hatten eben den gleichen Vater, das war alles, was sie verband. Sesshoumaru sah Inuyasha immer als nerviges Großmaul und schwächlichen Emporkömmling. Irgendwann hatte er ihm Tessaiga zwar überlassen, aber er würde ihrem Vater niemals verzeihen, dass er Inuyasha das legendäre Schwert vermacht hatte. Immerhin hatte es der Schwachkopf irgendwann verstanden mit dem Schwert umzugehen. Sesshoumaru nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette und blies den Rauch in den Wind. Umgekehrt hatte Inuyasha Sesshoumaru immer als eiskalten und machtgierigen Tyrannen gesehen, womit dieser aber leben konnte. Der Bastard hatte nie verstanden, was es bedeutete ein Daiyoukai zu sein und Vaters Erbe anzutreten. Am Tag seiner Geburt starb der große Hundedämon und hinterließ dann seinem Erstgborenen plötzlich den gesamten Westen. Das vergaß Inuyasha gerne. Und dann, als er die Hilfe seines Halbbruders wirklich einmal gebrauchen konnte, hatte der nichts Besseres zu tun, als sich von dieser Priesterin an einen Baum bannen zu lassen. Erbärmlich, einfach erbärmlich. Ein Heer aus dem Osten stand an der Grenze, er hatte sogar extra Jaken geschickt, seinen Halbbruder zur Hilfe zu holen und dann fand sein krötiger Berater Inuyasha selig schlafend an einem Baum. Inzwischen konnte er sogar die Gedanken nachvollziehen, die seinen Vater leiteten, als er seinen ungleichen Söhnen die beiden Fangzähne hinterließ. Tessaiga sollte Inuyasha beschützen, sowohl vor anderen Youkai als auch vor sich selbst. Tenseiga sollte ihm selbst Demut vor dem Leben und den Wert von Bindungen zu anderen lehren. Wahrscheinlich wusste der Alte auch, dass Sesshoumaru in der Lage sein würde sein eigenes, mächtiges Schwert zu erschaffen und nicht auf das Erbe seines Vaters angewiesen war. Aber nur weil er es verstand, bedeutete es nicht, dass er das guthieß. Auch wenn diese Entscheidung ihm im Laufe seines Lebens eine Ziehtochter und schließlich eine Gefährtin beschert hatte; er war nach wie vor wütend auf seinen Vater. Er zündete sich eine neue Zigarette an und begann damit auch einen neuen Gedanken. Was würde er heute dafür geben, seinen Halbbruder mal wieder zusammenzuschlagen und ihm zu erklären, was er für ein unwürdiges Stück Abschaum war. Irgendwie fehlte ihm das in letzter Zeit. Auch war Inuyasha der Letzte gewesen, mit dem ein Kampf wirklich Spaß gemacht hatte, ihn ein bisschen gefordert hatte. Und dann war er irgendwann einfach tot gewesen, erschlagen vom Daiyoukai des Ostens. Der riesige Panther hatte ihn mit seinen Klauen völlig zerfetzt. Sesshoumaru erinnerte sich noch genau daran, wie der Hanyou im schlammigen Boden inmitten seines eigenen Blutes lag. Er war dabei, als er seinen letzten Atemzug tat, er hörte seine letzten Worte. „Jetzt gehört Tessaiga dir, du Idiot.“ Für diese letzte Frechheit wollte Sesshoumaru seinem Halbbruder bis heute die Hölle heiß machen. Der Gedanke, es nicht tun zu können, hinterließ ein seltsames Gefühl in ihm. Aber er vermisste Inuyasha nicht. Ganz sicher nicht. Sota brachte keinen Ton heraus, sondern starrte nur auf die Tischplatte. Neugierig beobachteten sowohl Hanako als auch Cat die Farbwechsel in seinem Gesicht. „Ich wusste gar nicht, dass auch Menschen das lernen können. Man braucht doch eine ganze Menge Youki dafür“, dachte Hanako schließlich laut nach. „Können sie ja auch nicht!“, platzte es aus Sota heraus, „Meine Schwester will mich aufziehen mit einer Geschichte, als ich noch ein kleines Kind war. Das ist so peinlich.“ In der Zwischenzeit hatte Cat die Anspannung etwas verlassen und sie war nun wieder mehr sie selbst. „Woher kennst du Inuyasha überhaupt? Ich dachte, er wäre seit Jahrhunderten tot.“ Dankbar für den Themenwechsel atmete Sota tief durch und begann zu erzählen: „Inuyasha konnte auch durch den Brunnen reisen und war uns einige Male besuchen. Deswegen kannte ich ihn. Ich war damals noch ein Kind, ich fand ihn total cool und stark. Wenn meine Schwester nicht da war, weil sie noch in der Schule war, haben wir ab und zu zusammen gespielt.“ „Moment mal!“, ging Cat verwirrt dazwischen, „durch den Brunnen reisen? Was heißt das?“ Erstaunt sah Sota Hanako an. „Ich dachte, sie wüsste es? Meine Schwester hat doch gesagt, dass ihr Bescheid wüsstet.“ Verlegen kratzte die Angesprochene sich am Kopf und lachte unsicher. „Ehrlich gesagt, nur ich kenne die Geschichte. Ich hatte noch keine Gelegenheit Cat alles zu erzählen, sie hat Kagome heute zum ersten Mal getroffen.“ „Und du bist sicher, dass ich alles erzählen soll?“, hakte Sota nach. Hanako nickte. „Wirklich alles?“ Hanako nickte erneut. „Und das ist abgesprochen mit…?“ „Kagome hat es erlaubt!“, unterbrach ihn Hanako sofort. Sie wollte nicht, dass Cat eine erneute Panikattacke erlitt beim Gedanken daran, dass Sesshoumaru wahrscheinlich nicht damit einverstanden wäre sie einzuweihen. Sota sah Cat an und setzte seine Erzählung fort: „Früher gab es hier einen Brunnen, mit dem konnte Kagome 500 Jahre in die Vergangenheit reisen. Sie ist die Wiedergeburt der Miko, die das Juwel der vier Seelen beschützt hat. Im Mittelalter wurde das Juwel zerstört, ein böser Youkai wollte alle Splitter haben… du siehst, es ist eine sehr lange Geschichte. Auf jeden Fall hat sie dort Inuyasha getroffen und zusammen haben sie die Splitter gesucht. Als das Juwel wieder komplett war, hat sie den richtigen Wunsch geäußert und das Juwel, das immer viel Ärger verursacht hatte, verschwand. Seitdem ist der Brunnen verschlossen.“ Cat sah Hanako ungläubig an. „Die Geschichte von dem Juwel hab ich als Kind von meiner Mutter vorgelesen bekommen. Ich dachte, das sei ein Märchen.“ Hanako zuckte mit den Schultern. „In jeder Legende steckt ein Körnchen Wahrheit.“ „Damals hat Sesshoumaru ja dann wohl auch schon gelebt“, überlegte Cat. „Also haben sich er und Kagome damals kennengelernt?“ Sowohl Hanako als auch Sota wussten nicht, was sie darauf antworten sollten. Verlegen lächelten beide und drucksten herum. Schließlich versuchte Sota sich diplomatisch auszudrücken: „Weißt du, der Sesshoumaru von damals war, glaube ich, ganz anders als der von heute. Ich weiß nur das, was mir Kagome und sein Bruder erzählt haben, aber da liegen Welten dazwischen.“ „Häh, wie meinst du das?“ Hanako wand sich um jedes Wort, als sie versuchte eine Erklärung zu finden: „Weißt du…. Im Vergleich zu damals…. Also heute…. Kagome wundert sich oft wie nett und geduldig er ist. Bei ihrer ersten Begegnung hatte er noch versucht sie umzubringen.“ „Ich glaube, wir kommen so nicht weiter“, sagte Sota schließlich, als die Stille drückend wurde. „Erklär deiner Freundin das alles mal in Ruhe, das ist sonst zu verwirrend. Du wolltest etwas über Inuyasha wissen?“ „Ja, wie war er? Wie sah er aus? Was hat es mit diesem Sankon Tessō auf sich?“, platze es ungeduldig aus Hanako heraus. „Inuyasha war der Halbbruder von Sesshoumaru. Die beiden sind Söhne des großen Hundedämons, der vor Sesshoumaru Herrscher der westlichen Ländereien war. Es ist nirgends überliefert, wie er hieß; Sesshoumaru ist der Einzige, der das weiß. Aber ich würde euch davon abraten ihn nach seinem Vater zu fragen.“ Fasziniert hingen die beiden Hanyou an seinen Lippen. „Woher weißt du das alles?“, fragte Hanako beeindruckt. „Großvater versucht die ganzen alten Geschichten zusammenzutragen und so etwas wie eine Chronik daraus zu machen. Ich helfe ihm oft dabei, das ist ziemlich spannend.“ „Und Sesshoumaru hilft euch?“, hakte Cat nach. „Naja, er redet nicht gerne über die Vergangenheit. Manchmal beantwortet er Großvater ein paar Detailfragen.“ Sota fuhr fort: „Inuyasha hatte eine menschliche Mutter, sein Vater starb am Tag seiner Geburt. Als Hanyou unter Menschen hatte er es damals auch nicht leicht und die anderen Youkai haben Mischlinge verachtet. Beide hatten jeweils ein Schwert von ihrem Vater vererbt bekommen.“ Nachdenklich sah Sota zur Decke. „Da gibt es so viel, was ich erzählen könnte, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Aber wartet kurz, ich habe ein Foto von ihm.“ Sota stand auf und kehrte kurze Zeit später mit einem Bilderrahmen zurück an den Tisch. „Die Bilder hatte ich bei einem seiner ersten Besuche gemacht.“ In dem Rahmen waren zwei Bilder. Auf dem einen sah man einen kleinen Jungen zusammen mit einem Hundehanyou, auf dem anderen den Hanyou allein mit einem monströsen Schwert. Hanakos Auge nahm begierig jedes Detail auf. „Auf der einen Seite sieht er seinem Bruder sehr ähnlich, auf der anderen hat eine ganz andere Ausstrahlung“, fasste Hanako schließlich ihre Eindrücke zusammen. „Er hat so ähnliche Ohren wie du“, stellte Cat vergnügt fest, „Also da seid ihr euch schon mal ähnlich.“ „Inuyasha war wirklich das Gegenteil von Sesshoumaru“, bestätigte Sota lächelnd. Das waren schöne Erinnerungen, in denen er gerade grub. „Er war ziemlich vorlaut, hat oft gehandelt oder gesprochen ohne darüber nachzudenken. Das Herz hatte er am rechten Fleck, er hat immer versucht Kagome zu beschützen oder uns zu helfen. Auch wenn er das Leben in der Neuzeit nicht verstanden hat. Am Anfang hat er Autos für Dämonen gehalten und wollte gegen sie kämpfen. Bei ihm hat man auch gemerkt, dass er zur Hälfte ein Hundeyoukai ist.“ „Wie meinst du das?“, fragte Hanako. Dabei schaute sie erneut auf das Foto. Bis auf die Ohren konnte sie darauf nichts entdecken, das sie an einen Hund erinnert hätte. Sota lachte, als er es erklärte: „Wenn er irgendwo gesessen hat und sich am Kopf kratzen musste… das hat er immer mit seinem Fuß getan. Wie ein Hund, der sich kratzt. Wir hatten damals auch einen Kater, mit dem hat er auch gespielt.“ Hanako war fasziniert von Inuyasha. Er war wirklich ganz anders als sein Bruder und gerade fand sie es sehr schade, dass er schon so lange tot war. Zu gerne hätte sie ihn einmal getroffen. „War er stark?“ „Ja“, bestätigte Sota, „Das bringt mich auch gleich zu der anderen Frage von dir. Sankon Tessō war ein Angriff von ihm, damit konnte er ganze Bäume mit einem Schlag zerstören.“ „Und wieso bist du der Experte dafür?“, bohrte Cat gnadenlos nach. Sie hatte Kagomes Hinweis nicht vergessen. Sofort wurde Sota wieder rot. „Das ist so eine alberne Geschichte, da war ich nicht mal zehn“, stöhnte er. „Egal, wir wollen sie hören“, flötete Cat zuckersüß. „Ich war damals in ein Mädchen aus meiner Klasse verliebt, aber ich hab mich nicht getraut ihr das zu sagen.“ Sota ergab sich mannhaft der sich anbahnenden Schmach. „Inuyasha war für mich damals der coolste Typ überhaupt, also hab ich ihn um Rat gefragt. Damit ich selbstbewusster werden würde, hat er mir die Technik gezeigt und gesagt, dass ich fleißig trainieren soll. Dann würde das schon alles klappen. Als verzweifelter Zehnjähriger glaubst du sowas. Ich hab das fleißig trainiert und stand ewig vor einem Baum.“ Er schlug zur Anschauung mit gespreizten Fingern durch die Luft. „Seht ihr? Ich hab trainiert, aber ich kann es nicht. Immer noch nicht.“ „Hat es funktioniert?“, fragte Hanako mit einem Lächeln. „Du hast es doch gerade gesehen“, entgegnete Sota verlegen. „Nein, ich meinte, hat es dich mutiger gemacht? Hast du dem Mädchen deine Gefühle gestanden?“ „Ach so, ja, das hat irgendwie geklappt. Ich hab das später noch oft gemacht, immer wenn ich Angst hatte, habe ich Sankon Tessō geübt. Bis ich 14 war oder so.“ Cat lachte Tränen bei der Geschichte, aber Hanako fand sie gar nicht so albern. Inuyasha hatte, so gut er eben konnte, versucht einem Kind Mut zu machen. Sie deutete auf das Schwert. „Was hat es damit auf sich?“ „Das ist Tessaiga, das Schwert, das er von seinem Vater geerbt hat. Ziemlich stark, er konnte damit die Windnarbe entfesseln und alles in Schutt und Asche legen.“ „Windnarbe?“, wiederholte Cat verwirrt. „Was ist das?“ „So hieß dieser Angriff. Kagome hatte mir erzählt, dass er mit der Zeit noch mehr entdeckte. Die Windnarbe ist aber die einzige seiner Techniken, die ich gesehen habe.“ Hanako starrte nachdenklich auf das Foto. Darauf war ein Hanyou zu sehen, der das riesige Schwert stolz auf die Schultern gelegt hatte und frech in die Kamera grinste. „Das Schwert sah aber nicht immer so aus, oder? Und wegen des Schwerts hatte er auch immer Streit mit seinem Bruder, hab ich recht?“ Sota konnte seine Verblüffung nicht verbergen. „Woher weißt du das alles? Du hast Recht, im Ruhezustand sieht das Schwert alt und schartig aus. Er hat oft mit Sesshoumaru darum gekämpft, der wollte es auch haben. Bei ihrem ersten Kampf hat Inuyasha ihm sogar den linken Arm abgeschlagen, das muss damals echt heftig gewesen sein zwischen den beiden.“ Fassungsloses Entsetzen spiegelte sich in den Augen der Mädchen. „Aber er hat doch jetzt wieder beide Arme?“, fragte Cat vorsichtig nach. „Das hat mir meine Schwester mal erklärt, aber ich hab es nie verstanden. Irgendwie weil er später sein eigenes Schwert bekommen hat, dabei kam auch der Arm wieder. Fragt Kagome danach, sie war sogar dabei, als das passierte.“ „Unglaublich, dass die beiden sich so gehasst haben“, kommentierte Cat traurig die Geschehnisse. „Sie waren doch Brüder und trotzdem haben sie sich versucht umzubringen.“ „Das beruhte auf Gegenseitigkeit“, versuchte Sota zu beschwichtigen, „Inuyasha hatte Sesshoumaru genauso verabscheut wie umgekehrt. Jedenfalls hat er es mir so erzählt. Kagome hatte später, als sie mir ihre Abenteuer berichtete, erwähnt, dass die beiden aufeinander los sind, kaum dass sie sich begegnet sind.“ „Wie ist das zwischen ihnen ausgegangen?“, erkundigte sich Cat. „Hat Sesshoumaru etwa seinen Bruder umgebracht?“ „Nein“, entgegnete Hanako noch vor Sota. „Irgendwann hatte er das Schwert aufgegeben. Sein Bruder ist viel später erst in einem Krieg gestorben, das hat er mir jedenfalls erzählt.“ „Kagome hat mir auch erzählt, dass er irgendwann das Schwert nicht mehr versucht hat zu erobern. Er konnte es ja nicht einmal halten, sagte sie, weil es sich gegen ihn gewehrt hat. Weil er ein richtiger Dämon ist, glaube ich.“ Hanako verschränkte die Arme und überlegte. Als sie sich in ihren Gedanken zu verheddern drohte, sprach sie sie schließlich aus. „Er hat das Schwert aber inzwischen, ich habe es gesehen. Es hängt neben seinen anderen Schwertern in seinem privaten Raum. Wie hat er das nur geschafft, wenn er es nicht anfassen kann?“ „Es hat mir das Fleisch von den Händen bis auf den Knochen verbrannt, als ich es nach seinem Tod an mich genommen habe.“ Aus dem Nichts stand plötzlich Sesshoumaru in der Tür und hatte noch immer den Schlüssel in der Hand. Mit kaltem, undurchdringlichem Blick sah er auf die drei jungen Leute am Tisch herab. Hanakos Herz klopfte wild vor Aufregung, Cat wurde sofort von ihrer Panik gelähmt und erstarrte mit weit aufgerissenen Augen. Wie viel hatte er von ihrem Gespräch gehört? Kalte Wut glänzte im Gold seiner Augen, voller Verachtung ließ er noch einmal den Blick durch die Runde schweifen. Sein Schweigen war schlimmer als jeder Wutausbruch, dachte Hanako erschüttert. „Wo ist Kagome?“, fragte er schließlich emotionslos in den Raum hinein. „Mit ihren Freundinnen essen“, presste Sota heraus. Er hatte vergessen, wie furchteinflößend der Daiyoukai sein konnte. Ohne ein weiteres Wort drehte Sesshoumaru ihnen den Rücken zu und verließ das Haus der Familie Higurashi. Kapitel 4: Schwelbrand ---------------------- 04 – Schwelbrand Der Abend war bereits weit voran geschritten, als Kagome schließlich nach Hause kam. Im Wohnzimmer empfing sie eine unheimliche Stimmung; Hanako, Sota und Cat saßen am Esstisch und starrten stumm ins Nichts. Furcht waberte wie eine Wolke über ihren Köpfen und die Anspannung war zu greifen. „Huch, was ist denn hier los? Ist etwas passiert?“, fragte sie erstaunt in die Runde. Sota war der Erste, der seine Sprache wiederfand: „Sesshoumaru war hier.“ „Das ist doch gut, dass er sich wieder gefangen hat“, entgegnete Kagome unbedarft. „Dann müssen wir uns keine Sorgen mehr machen.“ „Nein, du verstehst nicht!“, platzte nun Hanako aufgebracht dazwischen, „Er hat gehört, wie wir uns unterhalten haben. Was Sota uns erzählt hat über seinen Bruder und ihn.“ „Oh…“ Mehr konnte Kagome dazu nicht sagen. Ihr schwante Fürchterliches. „War er wütend?“ Hanako schauderte bei der Erinnerung an diesen Moment, der höchstens eine Stunde zurück lag. „Ich denke es. Schwer zu sagen… Er war ganz ruhig. Plötzlich stand er einfach da und erzählte, wie er Tessaiga an sich genommen hatte. Er fragte ganz gleichgültig nach dir und ist dann gegangen.“ „Es war so unheimlich“, stöhnte Cat verzweifelt, „Wenn er doch wütend gewesen wäre oder uns wenigstens beschimpft hätte… das wäre einfacher zu ertragen. Aber diese kalte Gleichgültigkeit, die ist viel schlimmer als jeder seiner Wutanfälle.“ Blankes Entsetzen stand der jungen Hanyou ins Gesicht geschrieben, starr sahen ihre Augen auf die Tischplatte und sie hielt sich mit den Händen den Kopf, als würde sonst das bevorstehende Grauen, das in ihrer Vorstellung immer weiter wuchs, entkommen können. Kraftlos setzte sich Kagome auf den letzten freien Stuhl. „So sollte das doch nicht ablaufen“, seufzte sie, „Wer kann denn auch ahnen, dass er ausgerechnet in diesem Moment aus seiner Schmollecke wieder auftaucht. Wenn es euch beruhigt, er ist wahrscheinlich nur wütend auf mich.“ Wieder breitete sich Schweigen im Raum aus. Irgendwann konnte Cat ihre Neugier nicht mehr bändigen. „Warum will Sesshoumaru eigentlich nicht, dass irgendjemand etwas über sein Leben weiß?“ Nachdenklich starrte Kagome mit verschränkten Armen die Decke an. Schließlich versuchte sie ihre verworrenen Gedanken in Worte zu kleiden: „Schwierig zu sagen, ich weiß nicht genau. Er spricht auch mit mir fast nie darüber und auch über seine Gründe nichts zu erzählen schweigt er sich aus. Ich vermute einfach, dass er heute auf einige Dinge nicht mehr wirklich stolz ist und es gibt sicherlich genügend Dinge, die er einfach vergessen möchte. Bevor wir uns wiedergetroffen haben, hat er sogar verdrängt, wer er eigentlich ist und wollte, dass auch die Welt vergisst, wer er ist.“ „Aber warum?“ Cat ließ nicht locker. „Wir kennen ihn doch, wir würden ihn doch nicht einfach hassen, wenn er davon erzählen würde. Hat er etwa so schreckliche Dinge getan?“ Energisch legte Hanako die Hand auf den Unterarm ihrer Freundin und bemühte sich ein möglichst verständnisvolles Gesicht zu machen. „Cat, ich denke für heute ist es genug.“ „Lass gut sein, jetzt ist es auch egal“, winkte Kagome ab. „Ich bin zu müde mich heute mit ihm zu streiten, das mache ich morgen. Da kann ich euch auch noch ein bisschen was erzählen, das macht die Sache jetzt auch nicht schlimmer als sie ohnehin schon ist. Außerdem bin ich sowieso der Meinung, dass er aufhören sollte sich einzumauern.“ Sie stand auf, ging in die Küche und kam mit einem Glas Wein zurück. „Ich denke, er will nicht, dass irgendwer und ganz besonders einer von euch, von seinem Leben erfährt, weil er an der jetzigen Situation der Youkai nicht ganz unschuldig ist.“ Sie nahm einen tiefen Schluck. Wenn sie sich schon ihr eigenes Grab schaufelte, dann durfte sie sich jetzt ihr Henkersglas gönnen. „Hat er alle umgebracht?“, entfuhr es Cat schockiert. „Nein. Ich glaube, ich muss ganz von vorne anfangen, damit du es verstehst“, begann Kagome. „Die Youkai waren damals in vier Länder geteilt, die jeweils von einem Daiyoukai angeführt wurden. Du weißt, was ein Daiyoukai ist?“ „In den Geschichten sind es immer super starke Dämonen, die sowas wie Könige sind“, antwortete das Mädchen nicht ohne einen gewissen Stolz. Endlich wusste sie einmal etwas! „So ungefähr“, lachte Kagome und fuhr fort. „Es gab immer vier, den des Nordens, den des Ostens, den des Südens und den Daiyoukai des Westens. Diese vier Reiche waren ständig im Krieg miteinander und auch die Daiyoukai mochten sich untereinander nicht wirklich. Sesshoumaru ist der Herr der westlichen Länder. Naja, er wäre es, wenn es den Westen noch gäbe.“ Sie nahm einen weiteren Schluck Richtung Abgrund und musterte dabei Cat. „Du bist eine Pantherhanyou, oder?“ „Ja, aber woher weißt du das?“ „Dein Youki, ich spüre es. Das ist die typische Aura der Panther“, dozierte die Miko vergnügt. „Du gehörst damit quasi zum Volk des Herrn des Ostens, der war auch ein Panther. Er und Sesshoumaru haben des Öfteren Krieg gegeneinander geführt.“ „Deswegen macht er immer so komische Kommentare über mich und meinen Clan.“ Cat ging gerade ein Licht auf. „Ich will jetzt wissen, was mit den Youkai passiert ist!“, mischte sich Hanako schließlich wieder ein. Ungeduldig fixierte sie Kagome mit ihrem Blick. „Woher weißt du das eigentlich alles?“, fragte Sota, noch bevor seine Schwester antworten konnte. „Er hat selbst Großvater und mir nie etwas darüber erzählen wollen.“ Die Erinnerung machte sie innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde verlegen. „Tjaaaa…. Er war ziemlich betrunken. Dann gerät er immer ein bisschen in eine nostalgische Erzähllaune.“ Hanakos scharfem Blick und noch schärferem Verstand entging dieses Detail nicht. Wissend grinste sie Kagome an, sie hatte genau verstanden, wann die Priesterin von der Geschichte des letzten Daiyoukai erfahren haben musste. Die Tatsache, dass Kagome im Gegenzug versuchte sie mit Blicken zum Schweigen zu bringen, bestätigte diese Annahme nur. Kagome trat die Flucht nach vorne an. „Die Vier haben eigentlich ständig nach einem Grund gesucht miteinander Streit anzufangen. Das waren sowieso kriegerische Zeiten. Schließlich haben die Menschen die Rivalität und Animositäten zwischen den Youkai ausgenutzt und alle vier Daiyoukai in einen furchtbaren Krieg getrieben. Dabei haben sie sich gegenseitig vernichtet. Nur ganz wenige Youkai haben diesen Krieg vereinzelt überlebt, das waren eure Vorfahren.“ Betroffen schwiegen die drei Zuhörer. Wer hätte gedacht, dass der seltsame Teehauswirt eine solch düstere Vergangenheit hatte? Cat erlag erneut ihrer Neugier und fragte ohne darüber nachzudenken: „Wer hat denn den Krieg gewonnen?“ Kagome konnte es sich nicht verkneifen laut zu lachen. Oh, diese Frage weckte Erinnerungen! „Ich zitiere an dieser Stelle Sesshoumaru: ‚Wer als Letzter tot ist, hat gewonnen‘.“ Kagome wollte diese Geschichte so nicht stehen lassen. Sie verstand beim Erzählen, warum Sesshoumaru nicht wollte, dass alle davon wussten. Er wirkte wie der kaltherzige Totengräber der gesamten Youkai, was er definitiv nicht war. „Vielleicht versteht ihr ja jetzt, warum er darüber schweigt. Es ist alles schwer zu verstehen, besonders wenn man nicht weiß, wie das Leben im Zeitalter der kriegerischen Staaten so war. Ich kann euch aber versichern, dass er alles andere als stolz darauf ist. Ich glaube, er fühlt sich bis heute schuldig für das Schicksal der Youkai und tut unbewusst Buße dafür. Jedenfalls kommt daher sein Wunsch euch zu beschützen und seine Eigenart ausschließlich schwarz zu tragen, das hatte er einmal so angedeutet.“ „Das verstehe ich nicht“, erwiderte Hanako, „Was hat die Farbe seiner Kleidung damit zu tun?“ „Schwarz ist die Farbe der Trauer bei Menschen“, warf Sota ein. „Auf Beerdigungen trägt man deswegen nur schwarz.“ „Ich hatte ihn für eine Feier darum gebeten kein Schwarz zu tragen“, erinnerte sich Kagome. „Er sagte nur, dass solange die Lage so beschissen sei, würde niemand ihn in etwas anderem als Schwarz zu Gesicht bekommen. Ich habe keine Ahnung, was er damit genau meinte oder wie lange er das schon tut, denn er hat kein weiteres Wort mehr darüber verloren. Aber dass er Trauer für die unzähligen toten Youkai trägt, ist die einzige halbwegs plausible Erklärung.“ „Was hat er denn früher getragen?“, fragte Hanako interessiert nach. „Damals vor 500 Jahren als ihr euch zum ersten Mal getroffen habt.“ „Weiß mit rot war sein Haori. Ein Muster aus Chrysanthemen war in das Rot eingearbeitet.“ Diesmal war es Cat, die begann laut zu lachen. „Sesshoumaru und Blumen? Das passt überhaupt nicht!“ „Das passt sehr wohl“, entgegnete Hanako etwas säuerlich. Egal wie die Lage gerade war, aber dass man ihren quasi Urgroßvater auslachte, ließ sie nicht zu. „Die Chrysantheme hat eine Bedeutung. Sie steht für Vollkommenheit und Unsterblichkeit, das passt sehr wohl zu Sesshoumaru.“ Sota war tief beeindruckt von ihrer Kenntnis und wunderte sich, woher sie so viel über Blumen und deren Bedeutung wusste. „Es liegt mir quasi im Blut“, sagte Hanako und zwinkerte Kagome zu. Schließlich löste sich die Runde auf, es war inzwischen fast Mitternacht. Am nächsten Morgen erwachte Kagome aus einem unruhigen Schlaf und brauchte zunächst einen Moment, bis sie wieder die Kontrolle über ihre Glieder gewonnen hatte. Irgendwie fühlte sich alles in ihr heute morgen so unordentlich an. Das Chaos machte sich auch umgehend bemerkbar, ein widerwärtiges Gefühl kroch ihre Kehle hinauf und raubte ihr den Atem. Ihr Magen begann zu pulsieren wie das Herz eines verknallten Teenagers, kalter Schweiß floss wie nach einem Dammbruch über ihre blasse Stirn. Raus aus dem Bett, das war ihr letzter klarer Gedanke. Auf weichen Knien schaffte sie es in knapper Not ins Bad und fiel vor der Toilette demütig auf die Knie. Die kalte Keramik spendete ihr Halt, physisch wie psychisch, während sie sich daran festklammerte. Das Unheil brach sich sofort freie Bahn, ergoss sich Schwall um Schwall. Obwohl sie nichts gegessen oder getrunken hatte, wollte ihr Martyrium nicht enden. Bis auf den letzten Tropfen Magensäure hatte sie ihr Innerstes offenbart und kauerte sich nun ihrem Elend ergeben auf den Boden. In ihrem Mund war in jedem Fall soeben etwas gestorben, der Geschmack der Fäulnis raubte ihr fast die Sinne. Mit letzter Kraft schaffte sie es die Spülung zu betätigen und das Zeugnis ihrer misslichen Lage in die Tiefen der Kanalisation zu verbannen. Warum waren immer Karotten dabei, auch wenn man keine gegessen hatte? Ihr Unglück blieb natürlich nicht unbemerkt. Kaum hatte Kagome sich wieder etwas gefangen, stand ihre Mutter in der Tür. „Kind, alles in Ordnung?“ Dankbar nahm Kagome das angebotene Glas Wasser an und spülte sich den ekelhaften Geschmack aus dem Mund. „Das Restaurant, in dem wir gestern essen waren…. Das kommt auf keinen Fall in die engere Auswahl für Yukas Hochzeit!“, stöhnte Kagome erschöpft. Nachdem sie sich ausgiebig die Zähne geputzt hatte und auch sonst wieder gesellschaftsfähig war, beschloss sie, dass es nichts brachte, wenn sie sich weiter vor dem Unausweichlichen drückte. Es würde nicht besser oder einfacher werden, egal wie lang sie wartete. Kagome öffnete die Tür des Teehauses, schob den Vorhang beiseite und sofort erschien ihr das vertraute Bild. An den alten Tischen saßen versprengt einige Youkai, unterhielten sich oder spielten Karten. Das Licht war gedämpft, wie zu jeder Tageszeit. Die Sonne stand zwar hoch im Zenit, es war Mittag, doch durch die schmalen Fenster unter der Decke kroch nur wenig Licht in den Raum. Die spärliche Beleuchtung verstärkte nur die Tristesse, die dieser Ort ausstrahlte; die manifestierte Trostlosigkeit. Nach wie vor hingen an den vergilbten Wänden unzählige alte Fotos, Plakate bewarben Getränke, die seit Jahrzehnten nicht mehr hergestellt wurden. Die Wand hinter der schweren, dunklen Theke war vollständig mit einem hölzernen Regal verbaut, in dem Flaschen, Geschirr und alle möglichen verstaubten Gegenstände darauf warteten eines Tages wieder gebraucht werden zu können. Auf einem der Regalböden in der Ecke des Raums stand seit kurzer Zeit ein altes Fernsehgerät. Es empfing lediglich eine Handvoll Sender, gerade flimmerte eins der belanglosen mittäglichen Magazine für Hausfrauen über die Mattscheibe. Wenigstens wurde so die erdrückende Stille durch ein unwichtiges Gerede im Hintergrund ersetzt. Ein älterer Mann, der verdächtig nach einem Dachs aussah, verfolgte gebannt die neusten Nachrichten aus der Welt des Klatsch und Tratsch. Das Epizentrum dieser gedrückten Stimmung stand hinter der Theke in einer Wolke aus Tabakrauch und las mit mürrischem Blick eine Zeitung. Zwischen seinen Fingern balancierte er wie fast zu jeder wachen Sekunde eine Zigarette, neben ihm standen ein überbordender Aschenbecher und eine große Kanne Tee. Das bauchige Gefäß fügte sich nahtlos in den Eindruck des übrigen Raumes ein; eine alte, verbeulte Teekanne aus Kupfer, die so sehr dunkel angelaufen war, dass der metallische Glanz des Kupfers nur zu erahnen war. An diesem Ort glänzte einfach nichts mehr. Nicht zum ersten Mal fragte Kagome sich, wie Sesshoumaru den Großteil seiner Zeit hier in dieser Trostlosigkeit verbringen konnte, ohne selbst endgültig des Lebens überdrüssig zu werden. Aber ganz offensichtlich schien er sich hier wohlzufühlen und mochte den nostalgischen Hauch, der durch den Raum wehte und die Patina, die überall klebte. Alles hier war alt, leicht beschädigt, vollkommen aus der Mode und kurz vor dem Verfall. Sesshoumaru war ein Teil des Ganzen. Er würdigte das Erscheinen seiner Gefährtin mit keinem Wort und keiner Geste. In dieser Welt war Kagome quasi nicht existent, kaum jemand wusste, wer sie war. Es war bekannt, dass Sesshoumaru die Gegenwart dieser Miko an diesem Ort duldete, aber keiner der Gäste wusste, dass sie Teil dieses Ortes war und nicht nur ein Schatten in einer der Ecken. Sesshoumaru tat grundsätzlich in der Gegenwart anderer Youkai so, als würde er sie nicht kennen. Jedenfalls, wenn er gezwungen wurde sie nicht mehr zu ignorieren. Kagomes Herz versetzte es jedes Mal einen Stich. Er sollte sie nicht mit Küssen überhäufen oder auf einem der Tische flachlegen, nicht schon wieder. Aber ein nettes Wort und zu zeigen, dass man zusammengehörte, das war doch nicht zu viel verlangt! Er diktierte die Regeln an diesem Ort und ein Sesshoumaru hatte keine menschliche Gefährtin dort. Auch vor keinem anderen Youkai außer Hanako. Es war wohl noch immer unter der offiziellen Würde eines Daiyoukais sich zu ihr zu bekennen, das war wohl eins der wenigen Dinge, die sich in den vergangenen fünfhundert Jahren nicht geändert hatte. Für gewöhnlich verletzte sie diese Tatsache, aber sie nahm sie hin und wartete dann, bis alle anderen Gäste gegangen waren. Auch deshalb mied sie diesen Ort so gut es eben ging. Heute aber hatte sie keine Geduld für diese Spielchen, dafür war die Sache zu wichtig. Sie würde ihm nicht vor versammelter Mannschaft eine Szene machen, aber sie hatte gerade dringenden Redebedarf. „Ich muss mit dir reden“, sagte sie so ruhig, wie es ihr gerade möglich war, als sie sich ihm gegenüber an die Theke stellte. „Schön. Ich aber nicht mit dir“, knurrte er leicht säuerlich und spießte sie mit seinem Blick über den Zeitungsrand hinweg auf. „Ist mir egal“, erklärte sie weiter gelassen. Sie kannte ihn gut genug, seine Antwort war so vorhersehbar gewesen, das brachte sie nicht aus der Fassung. „Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du bist kooperativ oder ich sage einfach gleich hier und jetzt, was ich zu sagen habe. Such es dir aus.“ Einen Moment lang starrte er sie finster an, als wollte er testen, ob ihre Courage seiner Ablehnung standhalten konnte. Doch Kagome ließ sich nicht einschüchtern und erwiderte entschlossen seinen Blick. Schließlich gab er es auf und schloss für einen Atemzug seine Augen. Dann sah er sie noch einmal prüfend an und gab ihr zu verstehen, wie wenig er von ihrer Beharrlichkeit hielt. „Raus, alle miteinander!“, hallte seine Stimme durch die gespannte Atmosphäre in Richtung des interessierten Publikums ihrer Auseinandersetzung. Keiner der anderen Gäste ließ sich das zweimal sagen, zügig verließen alle das Teehaus. Im Gehen warf der alte Mann Kagome einen mitleidigen Blick zu, dann waren sie allein in dem großen Raum. Das war nun nicht mehr nur seine übliche schlechte Laune, die Teil des morbiden Charmes des Teehauses war. Diese schlechte Laune war ihr ganz persönlich gewidmet, er war wirklich wütend auf sie. „So, was kommt als nächstes?“, fragte Sesshoumaru höhnisch und griff nach der verknitterten Schachtel Zigaretten. „Willst du mein Leben jetzt auch noch verfilmen, weil es ja ach so spannend ist und damit sich jeder ein Urteil bilden kann?“ „Das Drehbuch wäre ziemlich bruchstückhaft, du schweigst dich ja die meiste Zeit darüber aus“, entgegnete Kagome dieser Provokation trocken. Für eine Sekunde war er überrascht von ihrer Waghalsigkeit, aber schnell hatte er sich wieder gefangen. „Überlass doch bitte den Sarkasmus den Profis, du tust dir noch weh.“ Er drehte sich kurz zu dem Regal in seinem Rücken und griff zielstrebig nach einer der vielen Flaschen. Dann goss er sich etwas Tee in den Rum und nahm einen tiefen Schluck. „Was sollte das mit dieser verdammten Panthergöre eigentlich werden?“, fragte er schließlich lauernd. „Du meinst das Mädchen, dem du versucht hast den Schädel zu zertrümmern, das bei deinem Erinnerungsausbruch deinen Bruder betreffend Zeuge war und dann völlig verstört an meinem Esstisch gesessen hat?“ „Halbbruder“, knurrte er verstimmt, „Wenn ich es tatsächlich versucht hätte, wäre mir dieser ganze Zirkus erspart geblieben.“ „Hast du außerdem gedacht, dass es Hanako kalt lassen würde, wenn du sie unvermittelt mit Inuyasha vergleichst? Über den sie so gut wie nichts wusste?“ Da Sesshoumaru es vorzog zu schweigen, machte Kagome weiter. Plötzlich waren da so viele Dinge in ihrem Kopf, die sie ihrem starrsinnigen Gefährten schon immer einmal sagen wollte. „Sie hätte dich ja fragen können, dann hättest du weiter bestimmen können darüber, wer was aus deinem Leben weiß. Aber du warst ja nicht da, bist einfach spurlos verschwunden. Also ist sie zu mir gekommen, auch um mir zu sagen, dass du weg bist. Ich schicke ganz sicher nicht zwei verstörte Mädchen ohne Antwort nach Hause. Gib mir also nicht die Schuld dafür, dass du dich nicht im Griff hattest.“ „Das rechtfertigt trotzdem nicht, dass du einen Themenabend zusammen mit deinem Bruder über mein Leben veranstaltest! Es haben nur noch Dias gefehlt!“ Seine Stimme war nun nicht mehr so ruhig wie zu Beginn, kaum verhohlener Zorn schwang darin mit. „Oh, da kann ich dich beruhigen“, giftete Kagome zurück, „Sota hat den beiden ein Foto von Inuyasha gezeigt.“ „Du hast ein Foto von meinem räudigen Bastardbruder?“ Sesshoumaru schnappte erschrocken nach Luft, seine Augen offenbarten weit aufgerissen sein Entsetzen. „Warum hast du mir nie etwas davon gesagt?“ „Warum hätte ich? Du machst dir nichts aus ihm, außerdem dachte ich, das Thema sei für dich mit ihm gestorben“, entgegnete Kagome ruhig. „Warum geht es jetzt eigentlich um deinen Bruder, ich dachte, du willst nicht über deine Vergangenheit sprechen?“ Klammheimlich genoss sie die Freude darüber, ihn so vorzuführen. Das Wort Bruder hatte sie in voller Absicht benutzt und betont. Ihr Manöver blieb nicht ohne Wirkung. Sein Youki entflammte mit jedem ihrer Worte weiter, es tobte im ganzen Raum und in seinen Augen zuckten die ersten roten Flammen. „Es geht hier ausnahmsweise einmal nicht um meinen verdammten Halbbruder! Nicht er ist das Problem, sondern du!“, entfuhr es Sesshoumaru. „Ich weiß nicht, was du damit bezwecken willst ungefragt jedem Anekdoten aus meinem Leben zu erzählen. Was versprichst du dir davon? Ich habe dir schon einmal erklärt, dass ich keine einsame, gequälte Seele bin, die nur jemanden zum Reden braucht, damit alles wieder gut ist. Nichts ist gut und nichts wird besser dadurch, dass alle davon wissen. Ich muss nicht gerettet werden. Was erwartest du eigentlich? Dass ich ein sonnigeres Wesen entwickele, wenn ich mich nur mal richtig ausheule?“ Er wurde etwas ruhiger, jetzt wo er seinem Ärger so wortreich Luft gemacht hatte. Das Gold seiner Augen schien nun wieder klar und kalt. Der Einschlag hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Kagome musste darum kämpfen ihre Tränen herunterzuschlucken. Für einen Moment sah sie ihn einfach nur aus großen, traurigen Augen erwartungsvoll an; in Erwartung von Irgendetwas. Sein Schweigen nun war unerträglich und verletzte sie noch mehr als die Worte davor. Als schließlich klar war, dass er dem Gesagten nichts mehr hinzuzufügen hatte, begann sie leise mit brechender Stimme zu sprechen: „Ich will dich doch gar nicht retten. Ich will auch nicht, dass du ein sonnigeres Gemüt hast, ich will doch einfach nur verstehen wer du bist und was in dir vorgeht… bei dir sein einfach. Du schließt mich aus dem Großteil deines Lebens aus, ich will doch nur ein Teil davon sein.“ Sesshoumaru hielt den Kopf gesenkt und stütze ihn mit einer Hand. Er schien seine nächsten Worte abzuwägen. „Was hoffst du, in meinen Gedanken zu sehen? Da ist Nichts, außer Geister der Vergangenheit, Verbitterung und hässliche Erinnerungen. Ich bin selbst schon froh, wenn ich das nicht sehen muss. Kannst du nicht endlich begreifen, dass ich nicht ständig daran erinnert werden will, was ich alles verloren habe?“ „Aber vielleicht…“, begann Kagome zaghaft, doch sie kam nicht dazu ihre Gedanken auszusprechen. „Nein! Meine Erinnerungen sind kein schöner Ort, du hast da nichts drin verloren! Niemand hat das!“ In einem letzten Akt des Aufbäumens sah Kagome ihm in die Augen und sah dort alles, nur keinen Verhandlungsspielraum. Schweigend saßen sie beieinander, sie auf einem abgewetzten Barhocker, er auf seinem noch Kaputterem hinter der Theke. Sesshoumaru hielt noch immer den Kopf gestützt, nun aber auf seinem Handballen. Kagome hatte sich auf ihre Unterarme gekuschelt und suchte verzweifelt etwas Trost. Da war noch etwas, das ihr auf der Seele brannte. Es war sowieso gerade alles ein Scherbenhaufen, da konnte sie die Frage nun auch getrost stellen. „Warum willst du eigentlich nicht, dass irgendjemand weiß, dass wir zusammen sind? Und warum weigerst du dich auch nur eine Nacht bei mir zu schlafen? Immer wenn du bei mir bist, bin ich am nächsten Morgen allein.“ „Gewohnheit“, brummte er beiläufig. Er schien zu hoffen, dass das Thema damit erledigt sei. „Tolle Gewohnheit“, murmelte sie enttäuscht. „Dir scheint ja egal zu sein, wie es mir mit deinen Gewohnheiten geht.“ Sie bettete ihren Kopf auf ihren Armen etwas anders und drehte ihn zur Seite. Wenn er schon ihrem Herz den Gnadenstoß versetzen würde, wollte sie ihn dabei nicht anschauen müssen. Doch nun gelangte etwas in ihr Blickfeld, das sie in die hinterste Ecke ihres Geistes geräumt hatte. An der Wand hing ein altes schwarz-weiß Foto, das eine Frau und ein kleines Mädchen zeigte. Plötzlich überschwemmten unzählige Gefühle ihr Inneres, sie kam gar nicht hinterher diese überhaupt auseinander zu halten und zu ordnen. Wie von selbst übernahmen sie die Kontrolle und ließen sie sagen: „Aber es war einmal anders gewesen. Da war dir jemand wichtiger als deine Gewohnheit. Da hast du unter Menschen gelebt, dich nicht versteckt und hast nicht wie ein Diktator die Regeln bestimmt.“ Verwirrt sah Sesshoumaru seine Gefährtin an. Kagome wandte sich ihm wieder zu und stellte mit fester Stimme die für sie alles entscheidende Frage: „Warum durfte Kazuko ein Teil von deinem Leben sein und ich nicht?“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stand Sesshoumaru auf und verschwand hinter dem Bambusvorhang, der seine Wohnung vom Gastraum trennte. Jetzt, da sie so vollkommen allein war, ließ Kagome ihren Tränen endlich freien Lauf. Es schien ihr Schicksal zu sein, dass jedes Mal eine bereits tote Frau ihrem Glück im Wege stand. Kapitel 5: Das Erbe des großen Hundedämons ------------------------------------------ 05 – Das Erbe des großen Hundedämons Frustriert knüllte Hanako einen Schwamm zusammen und warf ihn in die Spüle. „Wie lange soll das noch so gehen? Hier geht’s drunter und drüber!“ Eine Woche war inzwischen vergangen, seit Sesshoumaru spurlos verschwunden war. Hanako gab ihr Bestes das Teehaus am Leben zu erhalten, während sein eigentlicher Besitzer abwesend war. In der Vergangenheit hatte sie das schon öfters getan, aber noch nie in diesem Ausmaß. Nun versuchte sie mit Kagomes und Cats Hilfe den Status quo aufrecht zu erhalten und zu verhindern, dass Sesshoumarus Abwesenheit Unruhe unter den Youkai stiften würde; offiziell war er verreist. Die Ausrede erregte allerdings einiges Misstrauen, weil sie jedem, der den mürrischen Wirt kannte, unplausibel erschien. Der Gedanke daran, dass er in Badehose am Strand liegen könnte mit einem Cocktail in der Hand, war einfach zu absurd. Trotzdem beharrte Hanako darauf und versicherte Babanuki wiederholt, dass Sesshoumaru bald erholt und gutgelaunt heimkehren würde. Im Stillen zweifelte sie jedoch daran, ob er je wieder zurückkäme. Zusammen mit Kagome hatte sie seine privaten Räume inspiziert, nachdem er den zweiten Tag vermisst wurde. Erschreckt stellten die beiden fest, dass zwei der Schwerter fehlten. Sesshoumaru hatte Bakusaiga und Tenseiga mit sich genommen, nur Tessaiga ruhte seelenruhig in seiner Halterung. Wahrscheinlich war es ihm zu mühselig gewesen es mit sich zu nehmen, da das Schwert sich noch immer beharrlich weigerte von ihm berührt zu werden. Kagome war in Tränen ausgebrochen, als sie die zwei verwaisten Plätze in dem Schwertständer sah. Wenn Sesshoumaru sein Allerheiligstes mit sich genommen hatte, dann war es ihm ernst. Sie wusste, was diese beiden Klingen für eine Bedeutung für ihren Gefährten hatten. Ihr Verschwinden war der endgültige Beweis dafür, wie es in Sesshoumarus Herzen aussah. Verzweifelt suchte die Miko die gesamte Stadt nach Sesshoumaru ab, ließ ihre spirituellen Antennen den Äther nach einem Hauch des geliebten Youki absuchen. Nachdem klar war, dass er nicht in der Stadt geblieben war, dehnte sie die Suche auf die unbewohnten Gebiete der näheren Umgebung aus. Sie wusste, dass er von Zeit zu Zeit dem Moloch und der Last der vielen Menschen entfloh und zum Nachdenken einige Lieblingsplätze in der unberührten Natur hatte. Vorzugsweise dort, wo die Zeit stehengeblieben schien. Doch auch dieses Unterfangen war vergebens, nirgends stieß sie auf seine Spur. Wahrscheinlich gab er auch sein Bestes seine Aura vollständig zu unterdrücken, überlegte Kagome. Er wollte einfach nicht gefunden werden und konnte sich wohl denken, an welchen Orten nach ihm gesucht werden würde. Auch an diesem siebten Tag seines Untertauchens kam sie spät am Abend erschöpft ins Teehaus zu Hanako – sowohl körperlich als auch emotional ausgelaugt. Cat war gerade dabei, die letzten Tassen und Gläser von den Tischen zu räumen, die Gäste hatten dem Teehaus für heute den Rücken zugekehrt. Sie trug eine Schürze um die Taille und versuchte Hanako die Arbeit etwas zu erleichtern, indem sie als eine Art Kellnerin fungierte. In der rechten Hand hielt sie einen Lappen; traurig sah sie auf den abgewetzten Lack der Tischplatte vor sich. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann drehte sie sich herum und brachte unverrichteter Dinge das Tablett mit dem Geschirr zu Hanako an den Tresen. So ein Ort war das Teehaus einfach nicht und Sesshoumaru würde es sicher nicht gutheißen, wenn bei seiner Rückkehr alles sauber und glänzend sein würde. „So, das war’s. Ich bin völlig kaputt, ich mach Schluss für heute“, stöhnte sie und verabschiedete sich von ihrer Freundin und Kagome. Hanako hatte gar nicht bemerkt, wie Cat sich verabschiedete und die Tür hinter sich schloss. Vollkommen in Gedanken versunken trocknete sie die frisch gespülten Tassen ab. Seit Tagen schon verfolgte sie dieser Gedanke, aber sie hatte noch nicht gewagt mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Er würde sie nicht loslassen, egal wie sehr sie sich dagegen wehrte. Natürlich war es gefährlich, aber für alle Fälle war ja Kagome in der Nähe. Nie wieder würde sie eine so günstige Gelegenheit bekommen. „Kagome, komm bitte mit“, sagte sie plötzlich entschlossen und verschwand ohne ein weiteres Wort der Erklärung hinter dem Bambusvorhang. Die Angesprochene war so überrascht, dass sie Mühe hatte Schritt zu halten. Als sie den Flur erreichte, sah sie, wie Hanako in Sesshoumarus Schlafzimmer verschwand. Er hatte es ihr immer wieder verboten, weil er der Ansicht war, dass es viel zu gefährlich sei. Seine mahnende Stimme hallte auch jetzt in ihren Ohren und verursachte ein schlechtes Gewissen. Doch seit dem Zwischenfall beim Training und dem darauffolgendem Gespräch mit Sota ließ sie der Gedanke nicht mehr los. Sie war schließlich auch eine Hanyou, sogar eine starke Hanyou. Wenn etwas schiefging, war Kagome bestimmt zur Stelle. Entschlossen stellte sie sich auf das Bett und streckte ihre Hand nach Tessaiga. „Hanako, was hast du vor? Oh mein Gott, nein!“, verfolgte sie die aufgeregte Stimme von Kagome. Doch sie ließ sich nicht beirren. Kurz schwebte ihre zierliche Hand über dem Griff des berühmten Schwertes, sie wartete kurz eine Reaktion ab. Doch da war nichts, sie spürte nichts; Kein Prickeln, kein Brennen, nicht einmal eine kleinste dämonische Aura. Beherzt schloss sie ihre Finger um den Knauf und hob den legendären Fangzahn aus seiner Schlafstätte. Hanako verlor das Gleichgewicht auf der weichen Matratze und fiel rücklings in das Bett. Das Schwert hielt sie noch immer fest in ihrer Hand. Vor Schreck hatte Kagome die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen, das Herz raste in ihrer Brust. Doch noch immer geschah nichts. Das Schwert schlief noch immer. Fragend sah die Hanyou zur Priesterin, die genauso verwundert war. Tessaiga wehrte sich weder gegen Hanako noch fuhr seine dämonische Energie in den Körper des Mädchens. Ein kleiner Kiesel fiel Kagome vom Herzen, ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich endlich einmal nicht bewahrheitet. Als Hanako nach dem Schwert gegriffen hatte, zogen Horrorvisionen durch ihren Kopf. Hanako, wie sie von Tessaiga abgelehnt wurde. Hanako mit verbrannten Händen. Hanako überwältigt von der Kraft des großen Hundedämons. Hanako, die Amok lief unter dem Einfluss von Tessaigas dämonischer Energie. Hanako, die tot vor ihr lag. Hanako saß verblüfft auf dem Bett des Daiyoukais und untersuchte neugierig das Schwert in ihrer Hand. Sie pustete zunächst eine Staubschicht von der Scheide, um sie genauer ansehen zu können. Die Fäden des Griffbandes waren an vielen Stellen gerissen und standen struppig ab. Der intakte Rest war ebenfalls nicht in bester Verfassung, der Stoff war völlig abgegriffen und die Jahrhunderte hatten sich darauf abgelagert. Die eins sicherlich prachtvolle, hölzerne Schwertscheide war vollkommen matt, die edle Lackierung hatte in Laufe der Zeit unzählige Kratzer und Scharten bekommen. Tessaiga wirkte einfach nur wie ein beliebiges, altes Schwert. Was war so besonders daran? Sie hielt sich nicht mit langen Überlegungen auf. Kagome stieß einen entsetzen Schrei aus, als Hanako sich wieder auf den Boden stellte und die Klinge aus ihrer Scheide zog. Einer Amazone gleich stand sie im Raum und hielt mit beiden Händen fest das berühmte Schwert. Wieder geschah nichts. Tessaiga ignorierte Hanako völlig, es war nach wie vor eine verrostete, alte Klinge. Von Enttäuschung überwältigt starrte sie auf den alten Stahl. Das war nicht das, was sie erwartet hatte. Sie war doch auch ein Hanyou, warum war das Schwert nun so anders? Auf dem Foto, das sie gesehen hatte, war es mächtig und erhaben, strahlte Gefahr aus. War sie so unwürdig, dass das legendäre Schwert es nicht einmal für nötig befand sich gegen sie zu wehren? Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, da Kagome ihre Schockstarre überwunden hatte und auf sie zu gestürmt kam. Sie nahm dem Mädchen kurzentschlossen die Waffe aus den Händen und warf sie achtlos zur Seite. „Bist du wahnsinnig geworden?“, schimpfte Kagome sie aus, „Tessaiga ist kein Spielzeug! Hast du nur für einen Moment daran gedacht, was alles hätte passieren können?“ Kleinlaut antwortete Hanako: „Deswegen solltest du ja dabei sein.“ Vollkommen erschöpft ließ sich Kagome auf das Bett sinken. Der Tag forderte seinen Tribut. Das schlechte Gewissen begann Hanako nun immer heftiger zu plagen. Sie wusste, wie belastend alles zurzeit für ihre Freundin war, wie sehr die Situation an ihren Nerven zog. Und dann kam sie und machte es noch schlimmer mit ihrer fixen Idee Tessaiga ausprobieren zu wollen. Sie setzte sich nun ebenfalls auf das Bett neben Kagome und schaute verlegen zu Boden. „Es tut mir leid. Aber ich konnte einfach nicht anders.“ „Wie bist du eigentlich auf die bescheuerte Idee gekommen?“, fragte Kagome immer noch ärgerlich. „Ihr hattet so viel davon erzählt… und die ganzen Parallelen zu Inuyasha. Also hatte ich mich gefragt, ob ich Sesshoumarus Bruder ähnlich genug bin, um sein Schwert führen zu können“, gestand Hanako schließlich und senkte schuldbewusst den Blick. Jetzt, wo sie es aussprach, wurde ihr erst bewusst, wie kindisch und albern diese Idee war. „Sesshoumaru hätte es niemals erlaubt, also dachte ich, dass so eine Chance wie jetzt nie wieder kommen würde.“ „Sesshoumaru hat sehr gute Gründe es dir zu verbieten!“, stellte Kagome mahnend klar. „Das Schwert ist der Fangzahn eines Daiyoukais, dessen Kraft ist darin eingearbeitet. Wäre Tessaiga erwacht, hättest du dem nichts entgegenzusetzen gehabt. Auch ich habe nicht die Kraft dazu.“ Traurig sah das Halbdämonenmädchen nochmals zu der schartigen Klinge, die noch immer auf dem Boden lag. „Ja, das habe ich jetzt auch verstanden.“ Kagome schloss Hanako schließlich fest in die Arme. „Mach das nie wieder, hörst du? Mir ist das Herz vor Angst beinah stehengeblieben.“ Langsam dämmerte Kagome, dass es durchaus gute Gründe gab für die Weigerung ihres Gefährten etwas über sein Leben oder die Geschichte der Youkai zu erzählen. Hätte sie Sota nicht dazu animiert von Inuyasha zu schwärmen, wäre Hanako wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen Tessaiga führen zu wollen. Vielleicht wollte er sie wirklich gar nicht ausschließen und sein Schweigen war nur sein unbeholfener Versuch sie vor den Geistern der Vergangenheit zu beschützen. Hatte sie ihm so unrecht getan? Auch nach drei Jahren schafften sie es immer noch sich in kolossalen Missverständnissen zu verheddern. Sie schaffte es immer noch nicht aus diesem Mann schlau zu werden oder all dem, was ihn bewegte. War sie wieder einmal einem Vorurteil aufgesessen? Mittlerweile bereute sie auch ihre letzten Worte an Sesshoumaru. Sie hatte aus lauter Wut und dem Gefühl der Zurückweisung heraus auf seine empfindlichste Stelle gezielt und einen Volltreffer gelandet. Es war gemein und ungerecht gewesen und nun würde sie alles dafür geben sich dafür entschuldigen zu dürfen. Sie hatte furchtbare Angst davor ihn diesmal endgültig zu verlieren. Ausgerechnet jetzt, da sie begann daran zu zweifeln, dass diese ständigen morgendlichen Brechanfälle nicht mehr nur einem verdorbenen Abendessen geschuldet sein konnten… Das Leben ging einfach weiter und nahm keine Rücksicht auf ein gebrochenes Herz. Hanako war in der Zwischenzeit schon wieder in den Gastraum zurückgekehrt. Wehmütig sah sich Kagome ein letztes Mal in dem kleinen Raum um, sog den Duft der Kissen tief ein. Sie würde das wieder gerade biegen. Sie würde Sesshoumaru finden. Doch zunächst einmal ging ihr Leben weiter. „Hanako, ich fürchte du musst eine Weile allein hier klarkommen“, begann Kagome zu sprechen, als sie durch den Vorhang schritt. „Ich habe in dem ganzen Durcheinander vollkommen vergessen, dass ich ab übermorgen wieder eins dieser Seminare habe.“ „Seminare? Was?“, entfuhr es Hanako überrascht, die beinah eins der Gläser, das sie trocknete, fallen ließ. „Ich bin doch offiziell noch immer eine Miko in Ausbildung“, erklärte Kagome, „Also muss ich von Zeit zu Zeit in andere Tempel und Klöster um zu lernen. Offiziell weiß doch niemand, dass mein Reiki stark genug ist, um mich mit einem Daiyoukai zu streiten.“ Gemeinsam schwiegen sie einen Moment. Der Anblick des leeren Aschenbechers war nicht zu ertragen. „Es ist noch Tee übrig“, beendete Hanako schließlich die unerträglich werdende Stille. „Magst du eine Tasse?“ Stumm nickte Kagome. Schließlich angelte sie nach der Fernbedienung, die unter der Theke versteckt lag und schaltete den Fernseher ein. Irgendwas, nur bitte keine Stille mehr! So saßen die beiden in dem auf einmal viel zu großem Raum, tranken Tee und schauten auf den kleinen Fernseher in der Ecke, aus dem es plötzlich euphorisch quäkte: „Und nach der Werbung entführt uns Ungai-sama in die mystische Welt der Dämonen und Geister! Ihr Haus wird von einem Monster heimgesucht? Ungai-sama weiß Rat! Der Mönch ist die Wiedergeburt eines legendären Dämonenjägers, also bleiben Sie dran!“ Sesshoumaru lag entspannt auf dem Rücken und starrte in den blauen Himmel. Die karge Felslandschaft schenkte seinem aufgewühlten Inneren keine Ruhe, also schaute er wie so oft, wenn er nachdachte, in den Himmel und beobachtete die vorüberziehenden Wolken. Doch immer wieder wurde die Ruhe gestört von markerschütternden Schreien. Hoch am Firmament kreisten die Wächter dieses Ortes. Skelette von Vogelyoukai, die vor Urzeiten gelebt haben mochten. Ihre Existenz trotzte jedem Naturgesetz. Die einzelnen Knochen berührten kaum die langen, geschwungenen Wirbelsäulen und gefiederte Schwingen wuchsen aus dem Nichts, das die einzelnen Wirbel umschloss. Die Geier umkreisten ihn, da sie sich an der Anwesenheit eines Lebenden an diesem Ort störten. „Gib endlich Ruhe“, knurrte Sesshoumaru ärgerlich und ließ seine Giftpeitsche aus den Fingern seiner rechten Hand schnellen. Das grünleuchtende Energieband schoss durch die Luft und trennte den Schädel des toten Geiers über ihm von seinem Körper. Sofort verlor der kopflose Körper an Höhe und zerschellte schließlich an einer der unzähligen Felsnadeln. „Es ist lange her, Vater“, sagte Sesshoumaru und klopfte auf den gigantischen Schädel, auf dem er schon seit Stunden lag. Ohne Ziel war er zunächst umhergewandert. Die Menschen und ihre Städte waren ihm unerträglich, nahmen ihm fast die Luft. Vielleicht waren es auch nur seine verworrenen Empfindungen, die ihm den Atem raubten. Rastlosigkeit erfüllte ihn und so lief er einfach in die Einsamkeit der Wälder und Berge, um dort nach einem klaren Gedanken zu suchen. Auf dem Weg ließ er seine aufgestaute Wut an einigen kleineren Felsformationen aus. Bakusaigas Welle der Zerstörung hatte sie in Schutt verwandelt. Zerstörung war gut; Zerstörung erinnerte ihn daran, wer er war; Zerstörung dämpfte die in ihm kochende Wut. Seine Füße hatten scheinbar einen eigenen Willen entwickelt, denn sie trugen ihn direkt zu einem ihm nur zu bekannten Berg. Dort lag am Ende einer Höhle das Tor zur Grenze zwischen dem Dies- und Jenseits. Den Zugang hatte er bei seinen vorherigen Besuchen sorgfältig verschüttet. Kein Mensch sollte diesen Ort jemals finden. Es war ihm ein Leichtes sich mit seiner dämonischen Kraft Zugang zu verschaffen, die Felsen stoben auseinander, als Bakusaigas Kraft auf sie traf. Er steckte das Schwert wieder in die Scheide, die er in seinen Gürtel geklemmt hatte. Dann betrat er das Dunkel der Höhle und zog dabei Tenseiga. Die beiden Wächter neben dem Tor wagten nicht einmal ihn aufhalten zu wollen. Sie erkannten das Schwert des Himmelreiches sofort, verneigten sich ehrfurchtsvoll und öffneten das Tor. Hier würde ihn niemand stören können, nicht einmal Kagome war in der Lage ihn an diesem Ort zu finden. Er hatte keine Ahnung wie lange er schon so auf dem Schädel seines alten Herrn lag. Zeit war unwichtig an diesem Ort, ihr Lauf war ein anderer als in der Welt der Lebenden. Träge und zäh kroch der Strom der Zeit hier, er sprudelte nicht wie im Diesseits. Dort war Zeit etwas kostbares, sie verging viel zu schnell. Hier war sie egal. Ihm war sie gerade ebenfalls gleichgültig, er war immerhin unsterblich und hatte ohnehin zu viel davon. Für ihn war jeder Besuch der Grabstätte seines Vaters wie eine Reise in die Vergangenheit. Nichts hatte sich verändert, noch immer saß das riesige Skelett seines Vaters in seiner Rüstung hier. Einzig auf einigen der größeren Steinnadeln gab es Veränderungen. Es war nicht mehr nur das Grab des Inu no Taishou, es war im Laufe der Jahrhunderte auch das Grab von Rin und Kazuko geworden und all jener, die in seinem Leben eine Bedeutung hatten. Sogar seinen Halbbruder hatte er hier bestattet. Niemand würde ihre Ruhe stören können an diesem Ort. Wieder holte er einen der lästigen Geier vom Himmel und sah, wie er knapp neben dem Grabhügel von Jaken einschlug. Sesshoumaru hatte Spaß daran gefunden, nach langer Zeit konnte er seiner Kraft ganz selbstverständlich freien Lauf lassen ohne sich zu sorgen, dass es jemand bemerken würde. Das kurze Intermezzo bei den kläglichen Resten der Pantheryoukai zählte für ihn nicht richtig. Wenn sein Vater ihn jetzt sehen könnte, er würde ihn auslachen, dachte Sesshoumaru. Der stolze Sesshoumaru, der sich nichts mehr wünschte als ultimative Macht und Stärke, floh vor einer menschlichen Frau, ihrer naiven Liebe und seinen Gefühlen. Seine Gefährtin konnte er von diesem Ort fernhalten, aber seine Gefühle hatten ihn bis hierher verfolgt und hörten nicht auf ihn zu quälen. Ihre letzte Frage ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, kreiste unaufhörlich in seinen Gedanken. „Warum durfte Kazuko ein Teil von deinem Leben sein und ich nicht?“ Zuerst sträubte sich alles in ihm darüber nachzudenken, es erforderte eine Menge schlechte Erinnerungen aus dem verschlossenen Teil seines Geistes zu holen. Aber es führte kein Weg daran vorbei, wenn er eine Antwort auf diese Frage finden wollte. Seit wann war er eigentlich so ein Feigling? Als er Kazuko zum ersten Mal traf, war er sprichwörtlich wie ein verlorener Welpe, der ein neues Zuhause suchte. Er hatte nichts mehr außer Einsamkeit, sein Leben war ohne jeden Sinn und er wandelte wie ein Toter durch die Länder der Lebenden. Der Westen und die Youkai waren untergegangen, die Menschen verloren das Wissen um die Existenz der Dämonen. Hätte zu dieser Zeit es jemand gewagt seinem Leben ein Ende zu setzen, Sesshoumaru hätte sich nicht gewehrt. Kazuko las ihn im Wald auf und ihre fröhliche und unbeschwerte Art – die ihn schmerzhaft an Rin erinnerte – machte all das erträglich. Sie gab seiner Existenz wieder einen Sinn. Kagome dagegen hatte ihn wieder zu sich selbst geführt. Sie hatte einen depressiven Zyniker daran erinnert, wer er einst war und durch ihre naive Bewunderung überwand er seine Zweifel daran, ob es in dieser Welt noch einen Platz für ihn gab. Sie überzeugte ihn davon, dass er in dieser Welt noch gebraucht wurde, nicht nur von ihr. Die überlebenden Youkai und auch Hanako, die Nachfahrin seiner über alles geliebten Ziehtochter, sie alle mussten beschützt werden. War das die Aufgabe eines Daiyoukai heutzutage in der feindlichen Welt der Menschen? Kagome erinnerte ihn unaufhörlich daran, wer er einst gewesen war und verurteilte ihn dabei nicht einmal. Sie brachte ein unmenschliches Verständnis für ihn auf. Ging sie deswegen so entspannt mit seiner Biographie um und erzählte sie munter weiter? Kam ihr deshalb nie in den Sinn, dass er viele Kapitel aus seinem Leben einfach vergessen und hinter sich lassen wollte? Dass die Geister der Vergangenheit nicht in der Gegenwart spuken sollten? Kazuko hatte ihn als einen Nichtmenschen akzeptiert, Kagome dagegen respektierte ihn als Daiyoukai. Langsam lichtete sich der Nebel in Sesshoumarus Gedanken und er konnte es klar benennen. Kazuko war nur deshalb ein Teil seines Lebens, wie es Kagome genannt hatte, weil es zu diesem Zeitpunkt kein Leben gab. Er hatte nichts mehr und damit auch nichts zu verlieren. Heute sah die Lage ganz anders aus. Gerade durch Kagomes stetes Bemühen ihn aus seinem selbstgemauertem Eisgefängnis zu zerren, hatte er wieder ein Leben. Seit viel zu langer Zeit hatte er endlich wieder etwas zu verlieren. Er fühlte sich schäbig bei dem Gedanken. Er verdankte den beiden Frauen in seinem Leben so viel. Kazuko hatte ihn am Leben gehalten, selbst ihr Tod war nicht vergebens gewesen. Sie starb und der Dämon erwachte wieder zum Leben. Kazuko schien die meiste Zeit ihres Zusammenlebens glücklich gewesen zu sein, sinnierte Sesshoumaru. Er hatte ihre einzige Bitte erfüllt ohne Bedingungen zu stellen und so sah sie ihr Kind unter Menschen leben. Kagome dagegen…. Er seufzte und bereute gerade, dass er nicht mehr Zigaretten mitgebracht hatte. Er fühlte sich gerade äußerst unwohl in seiner Haut. Aus alter Gewohnheit heraus warf er einen Stein nach Jakens Grab, aber auch das brachte ihm keine Erleichterung. Kagome musste ein Leben im Schatten führen. Sie hatte recht, wenn sie ihn im Streit einen sturen Hund schimpfte. Es war undankbar, dass sie darunter litt, dass sie ihm geholfen hatte zu alter Größe zu kommen. Langsam begriff Sesshoumaru, um was es seiner Gefährtin in ihrer letzten Auseinandersetzung ging. War es für seinen Vater auch so schwer gewesen mit einer menschlichen Frau zusammen zu leben? Sein Blick glitt an dem riesigen Skelett nach unten. Manchmal wünschte er sich, der alte Hund wäre nicht tot. Natürlich war er immer noch wütend auf seinen Vater. Aber jetzt, nach über 700 Jahren nach dessen Tod, konnte er endlich richtig mit ihm streiten, er war nicht mehr um Antworten verlegen. Rastlosigkeit erfasste wieder seinen Körper, daher stand er auf. Mit einem Satz sprang er von dem Schädel hinab und kam vor dem Grab seines Halbbruders zu landen. „Du hättest mir sicher gerade einiges zu sagen, was?“, murmelte Sesshoumaru, als er den Grabstein ansah. Doch bevor er diesen Ort verlassen konnte, hatte er noch etwas zu erledigen. Die ganze Zeit schon hatte er ein Bündel Wildblumen bei sich, das während seiner Kontemplation neben ihm gelegen und geduldig gewartet hatte. Mit einem weiteren Sprung erreichte er Kazukos Grab. Ihre gemeinsame Tochter, Sachiko, hatte er neben ihrer Mutter beigesetzt. In Dankbarkeit legte er je eine Blume auf die groben Steine. Dann führte ihn ein verschlungener Weg auf die Spitze dieser Felsnadel. Dort lag Rin begraben, etwas dahinter am Hang Ah-Un, der für das Menschenkind eine Art Haustier war. Zu Lebzeiten hatte sie nichts so sehr geliebt wie Blumen, deswegen sah Sesshoumaru es als seine Pflicht an, ihr bei jedem seiner Besuche einen bunten Strauß mitzubringen. Immer, wenn er an ihrem Grab stand, fühlte er sich wie an jenem Tag, als er ihren toten Körper an diesen Ort gebracht hatte. Das Alter hatte sie ihm irgendwann einfach geraubt. Ihm war der Gedanke unerträglich gewesen sie einfach unter Menschen zurückzulassen. Nie hatte sie sich dort wohlgefühlt, deswegen brachte er sie an diesen Ort, so dass sie im Schatten seines Vaters ewige Ruhe finden konnte. Diesen Platz hatte sie verdient. Eines Tages würde er Kagomes toten Körper an diesen Ort bringen und sie hier bestatten. Verdammt, er war so ein Idiot! Ihre Zeit war kostbar und rann wie Wasser durch seine Finger. Plötzlich kamen ihm wieder seine Worte in den Sinn: „Was sind ein paar Jahre in einem unsterblichen Leben, verglichen mit einem ganzen Leben voll Kummer?“ Es war höchste Zeit zurückzukehren. Zurück in die Welt der Lebenden, zurück in sein Teehaus und zurück zu seiner geliebten Gefährtin. Ein letztes Mal sah er zu seinem Vater hinauf. „Bist du zufrieden, Vater? War es das, was du mir hinterlassen wolltest durch Tenseiga?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)