Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 55: Wohnungssuche in Matsue ----------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Sieht recht geräumig aus“, meinte seine Mutter und wanderte durch die kleine Studentenwohnung, die sich in der Nähe der Shimane Universität befand, die sie im Anschluss besuchen wollten. Auch wenn er von der langen Fahrt noch sehr müde war, konnte er es kaum erwarten, sein Studentenzimmer näher zu inspizieren, dass er bisher nur auf Fotos im Internet gesehen hatte. Der Neubau wurde vor einem guten Monat eingeweiht, weshalb Taichi sich problemlos auf ein Zimmer bewerben konnte. Auch das die Universität eher eine geringere Studentenzahl aufwies, kam ihm letztlich zum Vorteil, da er die Wartelisten von den Studentenwohnheimen in Tokio nur allzu gut kannte. Joe hatte ihm schon einige Horrorgeschichten erzählt und auch sein Tutor Hideyoshi konnte nur bestätigen, dass es gerade in Tokio selbst lange dauern konnte, bis man ein anständiges Zimmer gefunden hatte. Doch hier in Matsue war es doch leichter gewesen als er es erwartet hatte. „Ich hätte nicht gedacht, dass das erste Zimmer schon so toll sein würde“, erwiderte er und ging durch den leeren, sehr hellen Raum. Die Wände waren weiß und das große Fenster schenkte dem Raum eine angenehme Tageslichtquelle. In der Ecke befand sich eine kleine Kochnische, die jedoch alles beinhaltete, was er zum Leben benötigte. Einen Kühlschrank, zwei Herdplatten und eine winzige Arbeitsfläche, um Lebensmittel ausreichend zubereiten zu können. Einzig ein Herd fehlte, doch diesbezüglich hatte seine Mutter schon die perfekte Idee parat. „Wir können dir ja unseren kleinen Backofen mitgeben. Meine Eltern haben ihn uns geschenkt als wir in unsere erste Wohnung gezogen sind. Ich glaube, sie war damals auch nicht viel größer gewesen als diese hier“, sie lächelte verschmitzt und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche. „Klingt echt toll“, antwortete Taichi begeistert und hatte immer noch nicht alle Eindrücke verarbeitet, die auf ihn niederprasselten. Neben dem großzügig geschnittenen Raum, indem auch die kleine Küche integriert war, befand sich direkt neben dem Eingang ein praktisch eingerichtetes Bad mit Dusche, dass er sich zum Glück nicht mit anderen Studenten teilen musste. Auch das seine Mutter ihn heute begleitet hatte, machte ihn sehr glücklich. Es war mitten in der Woche, weshalb er auch schlecht Mimi oder jemand anderen Fragen konnte. Genau genommen hatte er noch nicht mal seine Mutter gefragt, sondern sie kam auf ihn zu und bot an als Beraterin mitzufahren. Sie hatte sich sogar extra frei genommen und ein Auto gemietet, damit sie problemlos hin und zurückfahren konnten, wann sie wollten. Heute Abend würden sie in einem kleinen Bed and Breakfast Hotel übernachten, um sich den Tag über in Ruhe die Stadt anschauen zu können. Tai war schon richtig euphorisch und konnte es kaum erwarten seine Uni-Stadt für die nächsten drei Jahre näher zu erkunden. „Wolltest du nicht noch ein paar Fotos machen?“, fragte seine Mutter auf einmal und erinnerte ihn unweigerlich daran, was er Mimi versprochen hatte. „Stimmt ja, Mimi und die anderen wollten ja auch noch ein paar Bilder sehen“, sagte er und zückte prompt sein Handy. Seine Mutter beobachtete ihn schweigsam dabei, wie er versuchte den leeren Raum in Szene zu setzen. Er knipste mehrere Ecken der kleinen Wohnung und verschwand daraufhin kurz ins Badezimmer, um es ebenfalls abzulichten. Als er wieder zurückkam, blickte seine Mutter nachdenklich zu ihm. „Hast du was?“, erwiderte er irritiert, da er ihren Blick nicht einschätzen konnte. „Nein…nicht wirklich“, druckste sie herum und führte ihren Daumen und Zeigefinger gedankenverloren zu ihrem Kinn. Etwas, dass sie immer tat, wenn sie sich den Kopf über etwas zermarterte. Taichi blickte nur verständnislos zu ihr. „Ich habe mich nur gefragt, wie Mimi mit der ganzen Sache zurechtkommt. Eine Fernbeziehung ist sicherlich nicht einfach. Gerade wenn man so jung ist wie ihr.“ „Was soll das denn bitte schön heißen?“, raunzte Taichi verärgert. „Glaubst du wir schaffen sowas nicht? Ich denke wir haben schon viel gemeinsam durchgemacht! Außerdem werde ich an den Wochenenden des Öfteren nach Hause fahren!“ Überzeugend verpackte er diese aussagekräftigen Worte mit Nachdruck, damit seine Mutter den Ernst der Lage aus seiner Stimme raushörte. Natürlich wusste er, dass es nicht einfach werden würde! Aber sagte man nicht immer, dass Liebe Berge versetzen konnte? Warum sollte es also nicht auch bei ihnen funktionieren. Wütend schüttelte er den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum ihn die Worte seiner Mutter so aus der Haut fahren ließen. Vielleicht weil sie einen wunden Punkt traf und mit ihrer Behauptung gar nicht so Unrecht hatte. Nein. So durfte er nicht denken! Auch wenn es schwierig werden würde, sie würden es gemeinsam schaffen. Da war er sich sicher. Dennoch wandte er sich niedergeschlagen von seiner Mutter ab, kramte sein Handy hervor und blickte auf sein Display. Er entsperrte den Bildschirm und sah die MMS, die er an Mimi geschickt hatte. Ganz stolz hatte er ihr die Bilder seiner ersten eigenen Wohnung geschickt! Die Wohnung, die er alleine beziehen würde. Ohne sie. Erst jetzt stieg der bittere Beigeschmack auf, den er die ganze Zeit versucht hatte zu verdrängen. Es war nicht zu verleugnen. Ab September würde sich einiges verändern. _ Nach dem ganzen hin und her, hatte sich Taichi schnell wieder beruhigt. Die Zeit verging wie im Flug, während sie sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt ansahen. Zuerst besuchen sie tatsächlich den Universitätscampus, der im Gegensatz zu den Universitäten in Tokio recht überschaubar war. Knapp 7000 Studenten waren hier eingeschrieben und tummelten sich auf dem Campusgelände. Es herrschte reger Betrieb, weil sie sich immer noch mitten im Semester befanden und zu den ein oder anderen Vorlesungen hetzten. Seine Mutter und er ließen sich hingegen Zeit. Sie sahen sich die einzelnen Gebäude an, in denen die Vorlesungen und Seminare stattfinden sollten. Auch die kleinen Cafeterien wurden genauer unter die Lupe genommen. Nachdem sie den weiteren Nachmittag auf dem Campus verbracht hatten, entschlossen sie sich dazu auch die Sehenswürdigkeiten der Stadt genauer zu betrachten. Auch wenn Matsue eine Großstadt war, herrschte ein ganz anderes Gefühl als in Tokio. Die Passanten wirkten allesamt sehr entspannt und genossen das schöne Wetter. Die Meeresbrise zog durch die Straßen und der Geruch von Salzwasser kribbelte durchgehend in seiner Nase. Im weiteren Verlauf des Tages besuchten sie neben dem traditionellen Tempel auch Matsue-Jo, die als eine der ältesten Burgen Japans gilt. Nach der zweistündigen Besichtigung war Taichi ziemlich erschöpft und war froh das seine Mutter das kleine Café in der Nähe entdeckt hatte. Es war ziemlich gut besucht und sehr viele Studenten tummelten sich an den Tischen, um einen Kaffee zu genießen. Beide ließen sich in einer Ecke nieder und warteten darauf, dass sie bedient wurden. „Das ist ja wirklich sehr schön hier! Alles ist sehr lichtdurchflutet und einen Blick aufs Meer hat man auch“, sagte seine Mutter begeistert. Taichi nickte nur und kramte sein Handy hervor, dass er in den letzten Stunden nicht in der Hand hatte. Ihm zeigten mehrere Nachrichten an, die er gespannt öffnete. Die Erste war von seinem besten Freund Yamato. Na wie ist es in Matsue? Ich hoffe du bringst uns ein Souvenir mit! Grüße Yamato, Sora & Haru-Chan Taichi schmunzelte leicht, während er die Nachricht seines Freundes las. Mittlerweile schickte er immer Grüße von der ganzen Familie, was Taichi wirklich sehr süß von ihm fand, auch wenn er es ihm nie ins Gesicht sagen würde. Sowas machten Männer untereinander dann doch eher nicht. Die nächste Nachricht war von Mimi, die auf seine MMS geantwortete hatte. Wow, sieht echt toll aus! Ein wenig enttäuscht blickte er auf ihre knappe Antwort und wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte. Hatte sie nicht mehr zu sagen? Schnaubend klickte er sich zur nächsten und stellte fest, dass auch Hikari die Bilder seiner Einzimmerwohnung erhalten hatte. Das ist ja gar nicht so winzig wie auf den Fotos! Da kann ich dich ja sogar besuchen kommen. Du schläfst dann natürlich auf dem Fußboden :D Taichi verrollte die Augen. Das war typisch seine Schwester. Er hatte sich noch nicht mal eingerichtet und sie dachte schon an den ersten Besuch, der noch in der Zukunft stand. Dennoch wirkte ihre Reaktion freudiger als die von seiner eigenen Freundin, was ihn schon traurig machte. „Tai?“ Ja, es war schwer, aber sie hatten doch darüber gesprochen gehabt! Und dann schreibt sie ihm so eine knappe Nachricht? Enttäuschung machte sich breit, auch wenn er es sich vor seiner Mutter nicht anmerken lassen wollte. Sie hatte mit ihrem Gespräch vorhin genug losgetreten, dass er zurzeit überhaupt nicht hören wollte, auch wenn ein Stückchen Wahrheit dahintersteckte. Doch sie gehörten zu den Paaren, die es schaffen konnten! Da war sich Taichi sicher! „Tai? Der junge Mann würde gerne deine Bestellung aufnehmen!“, ertönte die Stimme seiner Mutter energisch. Er zuckte nur kurz zusammen und blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der ihn freundlich anlächelte. „Ach nur kein Stress. Hier sind alle ziemlich entspannt“, erwiderte er mit ruhiger Stimme. Doch Taichi war auf einmal vollkommen abgelenkt, da seine Arme mit bunten Tattoos geschmückt waren. Auch seiner Mutter fielen die zahlreichen Körperbilder auf, die sie skeptisch musterte. „Sie haben aber ganz schön viele Tattoos“, stellte sie argwöhnisch fest, während Taichi die einzelnen Bilder zu differenzieren versuchte. Es war gar nicht so einfach, weil viele ineinander übergingen und ein Gesamtkunstwerk ergaben. Taichi erkannte einen Kompass, der keine klare Richtung aufwies, mehrere Sprüche, die scheinbar von englischsprachigen Songtexten stammten, die er jedoch nicht kannte und seine Fingerknöchel zeigten den Schriftzug „Pray“, der laut seines Wissens „beten“ heißen musste. „Ist ihr Chef damit einverstanden, dass sie so viele Tattoos haben?“, fragte seine Mutter plötzlich unverblümt und brachte den Kellner unweigerlich zum Lachen, während Taichi ihr sofort einen bösen Blick zuwarf. „Mama“, zischte er. „Sowas kannst du doch nicht fragen!“ „Ach schon gut. Solche Fragen bekomme ich öfter gestellt, als Sie erwarten! Man fällt halt auf, aber zum Glück bin ich mein eigener Chef“, antwortete er gelassen und stand immer noch mit seinem kleinen Notizbuch vor ihnen. „Ach dieser hübsche Laden gehört Ihnen? Wie kommt es denn, dass wir vom Chef höchstpersönlich bedient werden? Welch eine Ehre!“ „Mama“, knurrte Taichi wieder und wurde auf seinem Stuhl immer kleiner. „Die Klausurenphase hat bei einigen meiner Mitarbeiter begonnen und da muss ich dann öfter mal einspringen, aber das ist in Ordnung“, winkte er ab und schnappte sich seinen Stift. „Was kann ich Ihnen denn bringen?“ „Zwei Kaffee bitte“, bestellte seine Mutter für sie, während der Kellner nickend alles notierte, bevor er hinter dem Tresen verschwand. „Manchmal bist du echt peinlich“, kommentierte Taichi angesäuert. „Hier kann ich mich bestimmt nicht mehr blicken lassen!“ „Ach komm schon Taichi, seit wann bist du so eine Drama Queen? Das ist eine normale Konversation gewesen und ich als deine Mutter muss doch wissen, in welchem Café mein Sohn zukünftig Kaffee trinkt.“ Erneut verdrehte Taichi genervt die Augen. „Manchmal bist du unglaublich.“ Seine finstere Miene erhellte sich allerdings wieder als er in das Gesicht seiner Mutter sah, die ihn milde anlächelte. Letztlich war er froh gewesen, diese schönen Momente mit ihr gemeinsam erleben zu dürfen. Diese Mutter-Sohn-Augenblicke würden immer etwas besonders bleiben – da war er sich sicher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)