Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 47: Alltägliche Gelegenheiten ------------------------------------- ♥ Taichi ♥ „Yagami! Das geht doch auch schneller! Du wirst nicht fürs rumstehen bezahlt“, fluchte sein Chef Herr Itori lauthals, was ihn augenblicklich zusammenfahren ließ. Er war gerade im Begriff die Kisten auf den Stapler zu räumen, doch scheinbar arbeitete er mal wieder zu langsam. Frustriert biss er die Zähne zusammen und hievte Kiste um Kiste, auch wenn sich die erste Erschöpfungswelle bereits bei ihm bemerkbar machte. Schließlich war er schon seit fünf Uhr am Ackern und hatte immer noch eineinhalb Stunden vor sich. In der Regel arbeite er jedoch immer länger als neun, da die Kisten einfach kein Ende nahmen und sie zusätzlich noch in den passenden LKW geladen werden mussten. Das dauerte meist den ganzen Vormittag, aber heute musste er pünktlich Schluss machen, um seinen Vorbereitungskurs für die Uni nicht zu verpassen. Auch wenn fast sein komplettes Geld für den Kurs draufging hatte Taichi trotzdem das Gefühl, dass es ihn weiterbrachte. Mit seinem Tutor wollte er heute nach Möglichkeiten suchen, sich die Uni trotz finanzieller Engpässe dennoch finanzieren zu können. Es würde sicher nicht leicht werden, aber es war eben sein Traum. Ein Traum für den es sich zu Kämpfen lohnte. „Man, jetzt träum gefälligst nicht herum! Mach hinne!“, kam es erneut von Herrn Itori, dessen Zornesfalte bereits sichtbar seine Stirn zierte. Taichi seufzte nur und versuchte seine aufkommenden Rückenschmerzen zu ignorieren, die ihn seit er diese Arbeit angefangen hatte, fast täglich quälten. Aber was machte man nicht alles für ein bisschen Geld? In manchen Momenten fragte er sich wirklich, warum er nach der Schule keine Ausbildung wie Yamato begonnen hatte? Er arbeitete seit Anfang April als Elektriker und schien sich in seinem Umfeld mehr als nur wohlzufühlen. Er hatte nette Kollegen und einen verständnisvollen Chef, der ihm ohne weiteres sofort frei geben würde, falls das Baby früher kommen sollte. Vielleicht wäre es einfacherer einen festen Job zu haben und sich auf ein geregeltes Einkommen zu freuen als, als Lagerarbeiter förmlich zu versauern. Doch er hatte nicht die gleichen Möglichkeiten gehabt wie sein bester Freund. Seit er von Soras Schwangerschaft erfahren hatte, bemühte er sich um einen Ausbildungsplatz, während Taichi immer noch seinen unrealistischen Träumen hinterhergejagt war. Das Sportstipendium, dass er als seine einzige Möglichkeit sah, war ein Hirngespinst, dass sich in seinem Kopf festgesetzt hatte. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, wusste er, dass Profisportler nie als Berufsoption zur Debatte stand, auch wenn die meisten Stipendien genau an diese Option gebunden waren. In seltenen Fällen konnte man sich das Studienfach tatsächlich frei wählen. Auch wenn er Fußball nach wie vor über alles liebte, war es nur ein Hobby für ihn – nicht mehr und nicht weniger. Als Berufung würde er es niemals bezeichnen, weshalb er sich möglicherweise auch nicht sonderlich angestrengt hatte. Allerdings stand er jetzt ohne jegliche Entscheidungsvielfalt dar. Er hatte nicht viele Möglichkeiten, das war ihm deutlich bewusst, weshalb sämtliche Wünsche und Träume vor seinem inneren Auge zerschmettert wurden. Wenn er ehrlich war, ging es größtenteils am Geld. Geld, dass seine Familie nicht besaß und er niemals ohne Hilfe aufbringen konnte. Er packte die letzte Kiste auf den Stapler und gab seinem Kollegen ein Zeichen, dass er losfahren konnte. Erschöpft fuhr er sich mit dem Ärmel seines Overalls übers Gesicht und schnaufte herzlich. Er brauchte dringend eine Pause, doch die strengen Blicke seines Chefs lagen bereits in seinem Nacken. „Gut, jetzt gleich die nächste Ladung! Und diesmal geht das sicher schneller, Yagami!“, hörte er ihn rufen, während Taichi wütend die Lippen aufeinanderpresste. War er etwa ein Packesel, den man einfach so herumkommandieren konnte? Sei Chef rührte selbst keinen Finger, sondern scheuchte einfach nur seine Mitarbeiter rum, die Angst hatten, dass er ihnen das Gehalt kürzen könnte, wenn sie nicht in der vorgeschriebenen Zeit arbeiteten. Es war also ein Spiel mit der Angst und Taichi ahnte schon, dass er den Kürzeren ziehen würde, wenn er jetzt den Mund aufmachte. Herr Itori saß einfach am längeren Hebel, weshalb Taichi sich nur zu einem stummen Nicken abrang und stur weiterarbeitete. - Prüfend blickte sein Tutor Hideyoshi über seine Schulter, während sie gemeinsam am Computer saßen und seine letzten Testergebnisse auswerteten. In den Vorbereitungskursen schrieb man des Öfteren Test und füllte Orientierungsbögen aus, um die Interessen und Kompetenzen herausfiltern zu können. Er konnte sich kaum noch auf dem Stuhl halten, weil er einfach so unfassbar müde war. Letztlich hatte er doch bis halb elf gearbeitet und schaffte es gerade noch rechtzeitig zur Uni, da er zuhause noch duschen wollte. Hideyoshi kannte allerdings seine Situation, weshalb er auch keine Vorwürfe zu erwarten hatte. Er nahm sich immer sehr viel Zeit für ihn und versuchte ihm neue Möglichkeiten aufzuzeigen, um aus seinem eintönigen Alltag entfliehen zu können. Auch wenn es privat bei ihm gut lief, musste er zugeben, dass ihn seine triste Zukunft sehr unglücklich machte. Während des Umzugs hatte er sogar seine miese Laune an seiner Freundin ausgelassen, was ihm hinterher sehr leidtat. Doch er befand sich in einem tiefen Loch, aus dem er alleine einfach nicht mehr rauskam, selbst wenn sich das Rettungsseil direkt neben ihm befand. Nach der Sache mit seinem Vater hatte er einfach keine Kraft mehr es zu ergreifen und sich hochziehen zu lassen. Er brauchte jemanden, der ihm die Hand reichte und ihn so festhielt, dass er gar nicht mehr abstürzen konnte. Und dieser jemand war in seinem Fall Hideyoshi gewesen. „Also das sieht ja schon mal nicht schlecht aus“, informierte er ihn stolz. „In den Test schneidest du eigentlich ziemlich gut ab, gerade im Bereich Politik bist du im überdurchschnittlichen Bereich!“ „Wirklich?“, fragte Taichi ungläubig. Zwar hatte er sich in der Schule schon immer für Politik interessiert gehabt und auch in Bürgerkunde immer gute Noten geschrieben, aber mit diesem Ergebnis hatte er dennoch nicht gerechnet gehabt. „In deinem Abschlusszeugnis hattest du ja auch in Politik und Wirtschaft eine glatte eins, das schafft in diesen Fächern auch nicht jeder“, meinte Hideyoshi beeindruckt. Geschmeichelt blickte Taichi ihn an und hörte weiterhin aufmerksam zu. „Hast du schon mal über ein Stipendium nachgedacht?“, fragte er auf einmal. Verblüfft runzelte Taichi die Stirn. „Ich habe dir doch erzählt, dass ich mich für ein Sportstipendium beworben hatte.“ „Ja, das weiß ich doch, aber es gibt viele unterschiedliche Arten von Stipendien. Du musst nicht ein talentierter Sportler sein, um eins zu bekommen.“ „Ach echt nicht? Aber ein Stipendium fördert doch nur die besonders Begabten oder?“ „Das denken die meisten, aber du brauchst eigentlich nur eine gute Abschlussnote, die du ja hast und eine gute Motivation“, erklärte er ausführlich. „Also warum du ausgerechnet dieses Fach studieren willst und was du in Zukunft erreichen möchtest.“ „Aber das weiß ich doch gar nicht. Eigentlich bin ich völlig planlos“, gab Taichi frustriert zu. Hideyoshi legte nur den Kopf schräg und blickte erneut auf den flimmernden Bildschirm des PCs. Plötzlich deutete er auf das Ergebnis seines letztens Tests im Bereich Politik. „Du hast dort 97 Prozent erreicht! Ich denke du weißt genau, was dir liegt und was nicht. Wovor hast du also Angst?“ Stumm betrachtete er ihn und senkte betroffen den Kopf. Hatte er wirklich Angst? War das der Grund, warum er sich nicht ausreichend genug über weitere Stipendien informiert hatte? Stand er etwa seinem eigenen Glück im Wege, nur weil so vieles in dem letzten Jahr einfach nur schiefgelaufen war? „Ich weiß es nicht…“, antwortete er verunsichert. „Du siehst gar nicht, was du alles auf dem Kasten hast! Ich glaube, du brauchst viel mehr Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten. Und genau deswegen solltest du es auf jeden Fall versuchen! Ich helfe dir auch“, bestärkte Hideyoshi ihn standhaft. „Okay, aber was muss ich bei so einem Stipendium beachten?“ „Naja, du musst dich gut verkaufen können und dem Gremium vor Augen führen, warum ausgerechnet du dieses Stipendium verdient hast. Deine Tests und deine Abschlussnote könnten da wirklich hilfreich sein.“ „Aha u-und wo bewerbe ich mich dann?“, hakte er unbeholfen nach, da er von sowas überhaupt keine Ahnung hatte. „Also wir werden einfach aufs Ganze gehen und uns überall, wo die Chance auf ein Stipendium besteht bewerben. Meist hat man bei kleineren, etwas ländlich gelegeneren Unis mehr Glück, da dort die Bewerberzahl eher überschaubar ist. Aber ich schätze deine Aussichten generell als sehr gut ein, wenn wir uns im Politikbereich bewegen“, informierte er ihn euphorisch. Seine grünen Augen glänzten richtig und sein positiver Gemütszustand färbte auf Taichi ab. Auf einmal schien wieder alles möglich zu sein. Er konnte der tristen Eintönigkeit seines Lebens entfliehen, wenn er sich jetzt ins Zeug legte und sich ernsthaft bemühte. Oftmals kannte man den Umfang seiner Möglichkeiten überhaupt nicht und ließ viele Potenziale unerforscht, die einem im Leben sicher weiterbringen könnten. Und allein deswegen wollte er es versuchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)