Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 40: Verletzlichkeiten ----------------------------- ♥ Mimi ♥ „Ich bin einfach ein Idiot“, murmelte sie ihr weiches Kissen und drückte ihr Gesicht hinein. „Ich denke, dass hast du wirklich oft genug gesagt und außerdem dachte ich, dass ihr euch wieder vertragen habt“, antwortete Kaori und setzte sich von ihrem Bett auf. Mimi lag neben ihr auf dem Boden, auf dem sie das Gästefuton ausgebreitet hatten. Sie hatte sich spontan dazu entschieden bei ihr zu übernachten, weil ihr Vater einen Ärztekongress besuchte und sie ungestört miteinander reden konnten. Mittlerweile waren sie bei dem leidigen Thema Beziehung angekommen und Mimi berichtete ihr von der frustrierenden Nacht, die sie letztes Wochenende mit Taichi verbracht hatte – oder wohl eher nicht verbracht hatte. Er war so wütend und enttäuscht gewesen, dass sich Mimi am liebsten selbst in den Hintern gebissen hätte. Wie konnte sie nur so blöd sein und sich an diesem Abend hemmungslos betrinken sowie ihn dann noch regelrecht dazu zu nötigen mit ihr zu schlafen? War sie von allen guten Geistern verlassen…sie wusste doch, dass sein Vater erst aus der Entgiftung zurückgekommen war! Doch sie versuchte ihre eigenen Probleme durch den Alkohol zu verdrängen, was erstaunlich gut funktionierte. „Ja wir haben uns ausgesprochen und ich habe mich auch für mein Verhalten entschuldigt, aber…“ Sie hielt für einen kurzen Moment inne und überlegte, ob sie sowas tatsächlich aussprechen sollte. „Irgendwie hat es sich richtig gut angefühlt alles für den Moment zu vergessen“, sprach sie schließlich doch aus und schämte sich automatisch für diesen Gedanken. Sie hatte noch niemandem von den neusten Entwicklungen erzählt gehabt – nur Kaori war eingeweiht, was sich von selbst erklärte, da sie an jenem Nachmittag, der ihr Leben veränderte, ebenfalls anwesend war. Sie konnte sich noch nicht durchringen mit ihrer Mutter zu sprechen, auch wenn es ihr förmlich auf der Zunge brannte und sie es satt hatte die heile Familie vorzuspielen, die sie nicht waren. Taichi hatte sie von all dem noch nichts erzählt, da sie ihn nicht unnötig belasten wollte. Er hatte genug mit sich zu tun und sie wollte ihm nicht noch mehr Probleme bereiten, auch wenn dieses Geheimnis sie innerlich zerfraß. „Ich weiß, was du meinst. Ich kann meinem Vater im Moment kaum in die Augen schauen und mit Emi habe ich auch noch nicht geredet, weil ich mich nicht getraut habe“, gab Kaori nachdenklich zu und drückte ihr Kissen schützend an ihren Körper. Mimi drehte sich zur Seite und schaute zu ihr hoch. Sie hatten noch nie wirklich über Emi geredet, aber sie wusste, dass die Beziehung der beiden sehr kompliziert war seit sie die Familie verlassen hatte. „Kann ich verstehen, sie hat ja beim letzten Mal sehr genervt darauf reagiert und vielleicht solltet ihr wirklich von Angesicht zu Angesicht reden. Sie kommt doch bald zu Besuch. Über Weihnachten richtig?“ Kaori nickte nur beiläufig und ließ augenblicklich den Kopf hängen. „Ich bin mal gespannt wie das wird, ihre Besuche enden so gut wie immer im Chaos“, erwiderte sie schnaubend. „Ihr versteht euch wohl nicht mehr so gut oder?“, wollte Mimi wissen. „Naja sie war, nachdem meine Mutter gestorben war, alles für mich gewesen. Mein Vater war schon immer oft arbeiten gewesen und sie hat sich immer um mich gekümmert. Bis sie dieses dämliche Stipendium in New York bekommen hat…“, erzählte sie verbittert. „Sie hätte auch hier an der Musikhochschule studieren können, aber ich glaube, dass wollte sie nicht. Wegen mir.“ Mimi setzte sich hastig auf und blickte Kaori verdutzt an. „Was? Das glaubst du doch selbst nicht!“ „Doch“, behauptete sie felsenfest. „Sie ist es leid geworden sich um mich zu kümmern und wollte ihre Freiheit haben, die sie jetzt bekommen hat.“ Ein verbittertes Lächeln zog sich über ihr Gesicht und sie drückte das Kissen noch dichter an sich heran, so als hätte sie Angst es zu verlieren. „Glaubst du das wirklich? Hast du deswegen mit dem Spielen aufgehört?“ „Was bringt Musik, wenn du durch sie alles verlierst? Meine Mutter war Pianistin in einem großen Orchester und Dozentin an der Musikhochschule gewesen. Während der Heimfahrt von einem Auftritt, ist sie in einen Autounfall geraten und gestorben. Emi hat mich immer ermutigt weiter Musik zu machen, um ihr Andenken zu wahren und dann lässt sie mich wegen der Musik bei der erst besten Gelegenheit alleine, weil sie Sängerin werden will. Was soll ich davon halten?“, erwiderte sie weinerlich und Mimi sah wie ihr die ersten Tränen über die Wangen liefen. Sie schniefte laut als sich Mimi auch schon zu ihr aufs Bett geschafft hatte. Behutsam tätschelte sie ihr die Schulter und sah sie mitleidig an. „Hey, beruhig dich erstmal!“, sagte sie sanft und nahm sie in den Arm. „Ich kann mir vorstellen, dass man da irgendeinen Schuldigen sucht, auch wenn es in dem Fall keine Person ist, aber du spielst so wunderschön und mit so viel Herz. Das kannst du doch nicht wegwerfen!“ „Wow, du hörst dich echt an wie Emi als ich ihr gesagt hatte, dass ich mit dem Spielen aufhöre. Bestimmt würdet ihr euch gut verstehen“, meinte Kaori lächelnd. „Weißt du was, du solltest sie einfach zu unserer Weihnachtsfeier mitbringen!“, schlug Mimi euphorisch vor und wischte ihr die kullernden Tränen aus dem Gesicht. „Weihnachtsfeier?“, wiederholte sie skeptisch. „Ja, da hätten wir auch die Gelegenheit in Ruhe mit ihr zu sprechen. Über unseren Bruder und was wir jetzt genau mit dieser Information machen wollen.“ „Naja, ich glaube, wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir mit unseren Eltern sprechen. Daran kommen wir nicht vorbei“, stellte Kaori nüchtern fest. „Ich glaube es auch, aber jetzt sollten wir uns erstmal beruhigen und vielleicht eine Pizza bestellen“, legte Mimi ihr ans Herz, da sie mal wieder ihren Bauch grummeln hörte. Wenn sie Hunger hatte, konnte sie einfach nicht richtig denken und sie hatten viel zu besprechen. Mimi hatte nämlich bemerkt, dass Kaori deutlichen Redebedarf hatte, auch wenn sie es noch nicht wahrhaben wollte. Es wurde Zeit. Es wurde Zeit einen bedeutenden Schritt in ihrer Freundschaft weiterzugehen. _ „Wow, das habt ihr ja ziemlich…aufgehübscht“, sagte Taichi und betrachtete sich die glitzernden Girlanden und die künstlichen Tannenzweige, die die Mädchen im ganzen Probenraum aufgehängt hatten. Es war wohl die letzte Weihnachtsfeier, die sie hier in Yamatos Probenraum verbringen würden. Sein Vater hatte bereits den Mietvertrag gekündigt, der Ende des Jahres auslaufen würde. Alles ging mittlerweile Schlag auf Schlag, was man auch anhand von Yamatos Stimmung ablesen konnte. Traurig blickte er sich um und konnte nicht verbergen, wie schwer ihm das Ende seiner Musikkarriere fiel, obwohl diese noch nicht mal richtig begonnen hatte. Er lächelte jedoch zaghaft als Sora auf ihn zugesteuert kam und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte. Ihr Babybauch war im Vergleich zum letzten Mal sogar noch ein bisschen gewachsen und kam in dem roten engen Kleid besonders gut zur Geltung. „Wir sollten unbedingt noch den Mistelzweig aufhängen, um unser weihnachtliches Werk zu vollenden“, trällerte Mimi fröhlich und schnappte sich prompt die Leiter, die noch vom Schmücken parat stand. Zügig kletterte sie die Stufen hoch und ließ sich von Taichi den Mistelzweig reichen, den sie an einer günstigen Stelle, direkt über ihren Köpfen befestigte. „So das müsste halten“, informierte Mimi die anderen zufrieden und stieg auch bereits die Leiter wieder hinab als sie jedoch leicht ins Straucheln geriet. Sie fuchtelte wie wird mit den Armen hin und her, während auch die Leiter langsam etwas kippelte. Mimi hörte, wie Sora verzweifelt ihren Namen rief und sie sich schon auf das Schlimmste einstellte. Doch plötzlich spürte sie seine Arme, die ihr den nötigen Halt spendeten, um nicht zu fallen. Ihr Herz klopfte wie wild gegen ihre Brust als sie sich krampfhaft an Taichi festhielt und Yamato reflexartig zur Leiter griff und diese am Umfallen hinderte. „Puh, das war aber knapp gewesen“, meinte Matt schnaufend als Taichi sie von der Leiter runter hob und sie wieder auf ihren eigenen Füßen stand. „Unsere Prinzessin wollte wohl zu hoch hinaus! Gut, dass ich hier war, um sie mal wieder zu retten“, grinste Taichi breit und hielt sie immer noch fest in seinen Armen. „Was heißt hier mal wieder? Hört sich ja an als wäre ich ständig irgendwelchen Gefahren ausgesetzt“, schnaubte sie. „Naja ohne mich wäre dir auch sicher schon der ein oder andere Nagel abgebrochen“, knauserte er und erinnerte sie daran, dass er ihre Cola Dose geöffnet hatte, da sie sich ihre frischlackierten Fingernägel nicht ruinieren wollte. „Du bist so ein Idiot“, knurrte Mimi spielerisch aber zog ihn dann doch noch näher an sich heran, um ihn einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. Er erwiderte ihn sinnlich, sodass Mimi ihn gar nicht enden lassen wollte, doch sie waren ja schließlich nicht allein. Bestimmt würden… „Hey, ihr könnt später euren Liebesbekundungen nachgehen! Wir haben noch einiges zu tun“, warf Yamato ein und deutete auf die Tische, die sie noch für die Snacks aufstellen wollten. Seufzend beendet Mimi den Kuss und blickte den Freund ihrer besten Freundin mürrisch an. „Du bist so ein Spielverderber“, murrte sie aber ließ es sich nicht nehmen sich noch etwas an ihren Freund zu kuscheln. Sora kicherte nur, während Yamato bereits die nächsten Anweisungen verteilte. Sie hatten auch nicht mehr allzu viel Zeit, da Joe und Izzy in einer halben Stunde das Essen und die Getränke vorbeibringen wollten. Doch Mimi wollte sich erst gar nicht von Taichi trennen. Nach ihrem Streit war sie wie geläutert. Sie hatte verstanden, dass sie sich so ganz sicher nicht näherkommen würden. Ihr Verhalten hatte sie eher entzweit, weshalb sie in nächster Zeit auch keinen Alkohol trinken wollte. Es war ein sensibles Thema für ihn und das letzte was sie wollte, war einen erneuten Streit vom Zaun zu brechen, den sie durchaus vermeiden konnte! Sie wollte Taichi die Freundin sein, die er auch verdiente. Und heute würde sie ihm beweisen, dass sie sich sehr wohl benehmen konnte. _ Nach und nach füllte sich der Probenraum und eine entspannte Atmosphäre legte sich über die immer größer werdende Gruppe. Mimi stand direkt neben Sora, die sich angeregt mit Joe unterhielt und beobachtete die Menschen um sich herum. Ihr Freund und Yamato waren natürlich wieder beim Essen zu finden und schaufelten sich gemeinsam mit Daisuke den Teller voll. Auch Juro und Ryota waren da und hatten sich gemeinsam mit Akane auf der Couch niedergelassen, die sie an die Wand geschoben hatten, damit sie niemand störte. „Hier wird es ja immer voller“, meinte Izzy auf einmal zu ihr und reichte ihr die Cola weiter, die er für sie besorgt hatte. Auch er nippte an seinem Getränk und schweifte mit seinem Blick über die kleine Runde. Mimi blieb an der jüngeren Generation hängen, die sich angeregt unterhielten. Yolei stand direkt neben Ken und lachte herzlich, während Mimi zugeben musste, dass die beiden schon ein schönes Paar abgeben würden. Sie wusste bereits, dass Yolei in Sachen Jungs sehr viel Pech hatte. Bisher hatte sie noch nicht mal einen geküsst, was Mimi absolut nicht verstehen konnte! Yolei war ein sehr hübsches und vor allem aufgewecktes Mädchen, das ursprünglich keine Probleme hatte auf Menschen zuzugehen. Allerdings fehlte ihr in diesem Punkt scheinbar der nötige Mut, den Mimi ihr unbedingt beschaffen wollte! Sie sah nach oben und grinste als sie den Mistelzweig entdeckte, den sie vor der Feier aufgehängt hatte. „Halt das mal kurz“, sagte sie abrupt zu Izzy und reichte ihm ihren Becher. Ein verschwörerisches Grinsen legte sich über ihre Lippen als sie sich Yolei langsam nähere. Sie tippte sie an und Yolei wandte überrascht den Blick zu ihrer Freundin. Fragend betrachtete sie sie und schien nicht zu verstehen, warum Mimi so plötzlich zu ihr gekommen war. „Ich hoffe du hast gemerkt, worunter du stehst“, flötete sie fröhlich und zeigte ungeniert nach oben. Yolei folgte ihrer Geste und wurde auf einmal ganz blass. „Was?! Mimi!“, zischte sie und krallte ihre Finger um ihren Becher, bevor sie feuerrot anlief. „Du weißt, was das bedeutet, also spitz‘ ruhig schon mal die Lippen“, trällerte sie amüsiert und wandte sich direkt an Ken, ehe Yolei reagieren konnte. „Hast du gesehen, worunter ihr beide steht?“, fragte sie mit einem süffisanten Unterton und schielte nach oben. „Nanu, wie ist der denn da hingekommen?“, fragte Ken nervös und sah unsicher zu Yolei, die am liebsten im Erdboden versunken wäre. Doch Mimi wollte sie diesmal nicht davonkommen lassen! Es wurde Zeit, dass die Kussjungfrau endlich erlöst wurde. „Das spielt keine Rolle, aber du schuldest dieser entzückenden Dame eindeutig einen Kuss“, entgegnete Mimi felsenfest und stemmte die Hände in die Hüfte. „Mimi…hör auf!“, knurrte Yolei peinlich berührt, doch Mimi tat so als würde sie sie nicht hören. Scheinbar schien niemand ihr Gespräch näher mitzubekommen, da die Musik eindeutig zu laut war. Der Bass hämmerte sogar in ihrem Bauch, doch das störte sie kaum. Sie liebte dieses Gefühl sogar, da die Musik dadurch spürbar wurde. „Ich kann nichts dafür, dass ihr euch darunter gestellt habt“, antwortete Mimi unschuldig und wandte sich Ken wieder zu. „Also musst du auch deiner Pflicht als Mann nachkommen!“ „Du bist unmöglich“, zischte Yolei und warf Ken einen entschuldigenden Augenaufschlag zu. „Ach kommt schon, das ist doch nur Spaß!“ „Mimi…“, begann Yolei bedrohlich als sie von Ken jedoch abrupt unterbrochen wurde. „Gut, dann geben wir ihr eben, dass was sie will“, murmelte Ken einsichtig, zog Yolei reflexartig an sich heran und legte die Lippen einfach auf ihre. Zufrieden beobachtete Mimi den Kuss, der noch nicht mal zehn Sekunden dauerte. Völlig perplex lösten sich die beiden voneinander, während Mimi sich in einem unbemerkten Augenblick prompt aus dem Staub machte. Yolei konnte sich später bei ihr bedanken, auch wenn sie nicht gerade glücklich aussah. Aber manchmal musste man Freunden einfach weiterhelfen! Jedenfalls war das Mimis Devise. „Was zum Teufel hast du gemacht?“, hinterfragte Izzy, der scheinbar als einziger das Szenario mitbekommen hatte. „Ach ich habe die beiden nur zu ihrem Glück gezwungen mehr nicht“, winkte sie ab. „Zu ihrem Glück gezwungen?“ „Ja! Ich finde die beiden wären ein schönes Paar“, antwortete Mimi unbeschwert und sah zu den beiden, doch Yolei war bereits verschwunden, was sie wunderte. „Man Mimi, lass doch so einen Mist!“, grummelte Izzy genervt. „Warum denn? Die beiden standen doch unter dem Mistelzweig!“, erwiderte sie verständnislos. „Und weiter? Du musst dich doch nicht überall einmischen“, murrte er grantig und Mimi verstand nicht, was auf einmal mit ihrem besten Freund los war. „Bist du etwa mit dem falschen Fuß aufgestanden?“ Verärgert verschränkte Mimi die Arme vor der Brust und richtete einen vernichtenden Blick zu Izzy, den er jedoch kaum beachtete. Er hatte seine Augen zur Tür gerichtet, wandte jedoch das Gesicht sofort wieder zu Boden. „Ich geh‘ mal schnell aufs Klo“, informierte er sie nur, stellte sein Becher bei Joe ab und verschwand schneller als Mimi reagieren konnte. Irritiert blickte sie ihm nach als sie auf einmal ihren Namen hörte. Ruckartig drehte sie sich herum und blickte in das freudige Gesicht von Kaori, die sie herzlich begrüßte. „Schön, dass du hier bist“, sagte Mimi und sah hinter sie. Sie war also tatsächlich gekommen, schoss Mimi durch den Kopf und betrachtete die junge Frau hinter Kaori genau. Es gab keinen Zweifel, dass die beiden Schwestern waren. Sie hatten die gleichen haselnussbraunen Haare und grünblauen Augen, die auf Ihren lagen und sie neugierig musterten. „Hallo, ich bin Mimi“, stellte sie sich vor und streckte Emi die Hand entgegen, die sie sofort entgegennahm. „Emi. Freut mich dich kennenzulernen“, antwortete sie starr und wirkte auf Mimi sogar etwas unterkühlt. Ihr Gesichtsausdruck war angestrengt und ihre Augen wanderten durch die kleine Runde. Sie rümpfte die Nase und ließ die Schultern hängen. „Ist ja wie auf einem Kindergeburtstag“, flüsterte sie Kaori zu, sodass es Mimi ebenfalls hören konnte. Kaori sah sie entsetzt an und zog wütend die Augenbrauen zusammen. „Deine schlechte Laune hättest du wirklich mal zuhause lassen können!“ „Was auch immer“, erwiderte sie nur und zog ihre Winterjacke aus. Darunter trug sie ein hautenges schwarzes Kleid, dass ihre Kurven unverschämt gut betonte. Ihre langen Haare fielen locker über ihre Schulter, sodass Mimi ganz neidisch auf ihre volle Haarpracht wurde. „Ich hole mir mal was zu trinken“, informierte sie Kaori und drückte ihr die Jacke in die Hand. Kaum hatte sie sie angekommen, war sie auch in der Menge verschwunden. Kaori seufzte nur. „Tut mir leid. Anscheinend ist sie schon so miesgelaunt aus dem Flieger gestiegen“, entschuldigte sie sich direkt. Doch Mimi schüttelte nur den Kopf und nahm ihr die Jacke ab. „Mach dir keine Sorgen! Sie wird sich sicher schnell einleben und ihren Spaß haben. In einer Stunde sieht es vielleicht schon ganz anders aus“, beruhigte Mimi sie und hängte die Jacken auf, bevor sich beide ins Getümmel stürzten. _ „Warum versteckst du dich denn da in der Ecke?“, fragte sie Izzy, der seit Kaoris und Emis Ankunft nicht mehr aufgetaucht war. Nachdem Kaori sich zu Akane, Ryota und Juro gesellt hatte, machte sich Mimi auf die Suche nach Izzy, der aus irgendeinem Grund schlecht gelaunt war. „Ich verstecke mich überhaupt nicht! Du solltest dir nicht so komische Sachen einreden“, antwortete er unwirsch und wandte sich wieder dem Essen zu. Mimi grummelte nur leise, doch sie wusste auch, dass es sinnlos war mit Izzy in diesem Augenblick zu sprechen, weshalb sie sich auch dem Getränketisch zuwandte und sich eine kühle Cola gönnte. „Habt ihr nur Softdrinks da?“, fragte sie eine unbekannte Stimme, die sie herumschnellen ließ. Plötzlich blickte sie in das Gesicht von Kaoris Schwester Emi, die mit einem genervten Blick über den Tisch huschte. „Naja, das ist eine Weihnachtsfeier unter Freunden. Außerdem sind wir alle nicht volljährig“, antwortete Mimi, obwohl sie früher schon Bier und Glühwein parat stehen hatten. Doch dieses Jahr wurde besonders auf Taichi und Hikari Rücksicht genommen, die in diesem Jahr sicherlich die Schnauze voll von Alkohol hatten. Mimi hatte sich sogar extra dafür eingesetzt, doch das schien Emi gar nicht zu gefallen. „Anscheinend bin ich ja wirklich auf einem Kindergeburtstag gelandet“, murrte sie augenverdrehend und schnappte sich ebenfalls einen Becher Cola. „Sorry, wenn wir deine Erwartungen leider nicht erfüllen, aber das hier sind auch Freunde von deiner Schwester“, untermauerte Mimi und konnte die schlechte Laune mancher Gäste einfach nicht verstehen. Erst Izzy und dann Kaoris Schwester? War irgendwas ins Essen gemischt geworden? „Sie scheint ja wirklich tolle Freunde zu haben. Freunde, die sie regelrecht kirremachen und ihr komische Flausen in den Kopf setzen.“ „Was soll das denn bedeuten?“ fragte Mimi etwas gereizt, konnte sich aber bereits denken, auf was sie hinauswollte. Bestimmt gefiel es ihr nicht, dass sie Kaori mit ihrem Verdacht unterstützt hatte. Jedoch war sie sehr wohl auf dem richtigen Weg gewesen, denn hier stimmte etwas gewaltig nicht! Mimi wusste nicht, ob Emi bereits von ihrem Bruder wusste, aber sie würde sich sicher auch umsehen, wenn sie ihr die Geburtsurkunde unter die Nase hielt, weshalb sie sich auch nicht von ihr unnötig provozieren lassen wollte. „Du weißt genau was ich meine! Meine Schwester braucht keine Freunde, die sie gegen ihre Familie aufhetzen!“ Mimi biss sich augenblicklich auf die Zunge und presste die Lippen wutentbrannt aufeinander. Wenn sie doch bloß die Wahrheit wüsste… Sie musste sich wirklich zusammenreißen, ihr nicht augenblicklich vor die Füße zu kotzen, aber sie wollte Kaori nicht diese Möglichkeit nehmen, weshalb sie einfach ihre Wortkotze unterschluckte. „Bald wirst du es auch noch verstehen“, antwortete sie nur und wollte sich eigentlich von ihr abwenden als Taichi direkt auf sie zugesteuert kam. Er lächelte verschmitzt und erst jetzt fiel Mimi auf, dass sie den ganzen Abend kaum Zeit miteinander verbracht hatten. Und das wollte sie dringend nachholen und sich den Abend nicht länger von so einem Miesepeter verderben lassen! „Hey, holst du dir auch gerade was?“, fragte er sie und bemerkte Emi im ersten Moment gar nicht. „Ja und ich habe mich gerade ein bisschen mit Kaoris Schwester unterhalten! Sie studiert in New York und ist über Weihnachten hier“, stellte sie sie höflichkeitshalber vor. Sie lächelte gestellt, was Emi genauso erwiderte. Taichi wandte sich ihr zu und Mimi erkannte, dass sich sein Gesicht augenblicklich versteinerte. Er begutachtete sie von oben bis unten, so als würde er einen Geist sehen, was Mimi ziemlich wunderte. Kannte er sie etwa? Und warum sah er so geschockt aus? Emi hingegen lächelte nur wissend. „Ach ist das etwa dein Freund? Ist ja interessant.“ „Wieso? Kennt ihr euch etwa?“, fragte Mimi verunsichert. Emi schüttelte nur den Kopf. „Kennen zu viel gesagt, aber ich glaube wir waren mal zusammen feiern oder? Wie war dein Name gleich nochmal?“ „T-Taichi“, stotterte er und wurde auf einmal ganz steif neben Mimi. „Stimmt, Taichi. Ich wusste doch, dass es irgendwas mit T war.“ Sie reichte ihm die Hand und stellte sich noch einmal vor, während er sie immer noch ungläubig betrachtete. Mimi hingegen erfasste plötzlich ein merkwürdiges Gefühl. Sie waren zusammen feiern gewesen? Wie lange war das denn schon her? Emi studierte doch mindestens zwei Jahre schon in New York… „So ich lasse euch Turteltauben mal lieber allein. Zweisamkeit ist wichtig“, sagte sie in einem seltsamen Unterton und zwinkerte Taichi zu, was Mimi noch stutziger machte. „Was war das denn?“, hakte Mimi nach, doch Taichi hatte sich sofort dem Getränketisch zugewandt. „Kennst du sie etwa näher?“, fragte sie deutlicher nach. Doch Taichi wich ihrem fragenden Blick gekonnt aus. „Was heißt näher, wir waren wohl mal feiern. Ich wusste noch nicht mal ihren Namen! Wundert mich, dass sie sich an mich erinnern konnte“, antwortete er unwirsch und zuckte mit den Schultern. „Okay, aber das muss doch schon lange her sein oder?“ „Ich weiß es nicht mehr, Mimi“, erwiderte er etwas bissig und schenkte sich etwas Sprite in seinen Becher. „Aber sie konnte sich ja sehr wohl noch an dich erinnern.“ „Und weiter? Liegt sicher an meiner unverschämt guten Frisur“, er lächelte gezwungen und fuhr sich demonstrativ mit der anderen Hand durch seine wilde Mähne. Doch diese Antwort beruhigte Mimi nicht im Geringsten. Warum schien heute jeder nur Geheimnisse vor ihr zu haben? Was durfte sie nicht wissen und vor allem warum? Sie seufzte nur, schnappte sich ihre Cola und gesellte sich wieder zu den anderen. _ „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mich Kaoris Schwester nicht leiden kann“, klagte Mimi und sah mürrisch zu Sora, die gemeinsam mit ihr an einem Stehtisch stand. „Mich hat sie auch ganz merkwürdig angeguckt, besonders auf meinen Bauch“, stellte sie nachdenklich fest und bewegte ihre Beine unruhig hin und her. Mimi beobachtete sie dabei und sah wie sie ihr Gesicht immer mehr verzog. Scheinbar taten ihr allmählich die Füße weh, weshalb sie auch wohl nicht mehr allzu lange bleiben würde. Doch auch Mimi hatte langsam keine Lust mehr, wenn sehr ehrlich war. Zwar hatte sie sich ziemlich gut mit Ryota und Kaori unterhalten, aber Taichi war seit zehn Minuten unauffindbar, was sie wunderte. Yolei war wohl auch nicht sonderlich gut auf sie zu sprechen, weil sie ihr seit der Mistelzweigaktion aus dem Weg ging und auch Izzy versuchte seine schlechte Laune an ihr auszulassen! „Ich glaube ich verschwinde mal aufs Klo“, informierte sie Sora, die sich gegen den Stehtisch lehnte. Sie brachte nur ein müdes Nicken zu Stande und Mimi verschwand zur Toilette. Als sie fertig war, wusch sie sich gedankenverloren die Hände und überlegte, ob sie sich nicht allmählich auf den Nachhauseweg machen sollte. Zwar würde ihre Mutter sie sicher fragen, warum sie so zeitig zu Hause war, aber das war ihr egal. Vielleicht würde Taichi sie auch begleiten und ihre Mutter würde sie dann in Ruhe lassen, da es Mimi zurzeit sehr schwerfiel, unbeschwert mit ihr zu reden. Seit sie von ihrem potentiellen Bruder wusste konnte nicht gar nicht mehr klar denken. Sie hatte bisher noch niemandem davon erzählt gehabt. Nur Kaori und sie wussten Bescheid, was in ihr eine unbändige Unruhe auslöste. Sollte sie mit ihrer Mutter darüber sprechen? Oder sogar mit ihrem Vater? Bestimmt wusste er nichts von dem Kind und wenn sie darüber ein Wort verlieren würde, könnte das einen riesigen Streit vom Zaun brechen, den Mimi eigentlich nicht beschwören wollte. Dennoch hatte sie sie all die Jahre belogen gehabt… Und vor allem wo war ihr Bruder? Hatte sie ihn zur Adoption freigegeben? War er vielleicht sogar gestorben? War deswegen das Verhältnis zu ihrer Großmutter so angespannt? Mimi biss sich auf die Unterlippe. Ihr Kopf begann wehtun und sie stellte das Wasser ab, um sich die Hände zu trocknen. Vielleicht machte sie sich zu viele Gedanken und in Wirklichkeit gab es eine Erklärung, die nur halb so schlimm war. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto weniger glaubte sie daran. Sie stöhnte auf und verschwand auf den Flur. Gerade als sie zu den anderen zurückgehen wollte, um sich zu verabschieden, sprang ihr der Abstellraum ins Auge, aus dem plötzlich Licht brannte. Langsam schritt sie heran, da sie sicher war, dass zuvor alles dunkel gewesen sein musste. Leise schlich sie sich näher heran und schaute durch den schmalen Türschlitz. Sie konnte niemanden sehen, aber sie konnte zwei Stimmen hören, die ihr sehr bekannt vorkamen und ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagten. Warum befanden sich die beiden in der Abstellkammer und über was redeten sie nur? Mimi spitzte die Ohren und hörte jedes einzelne Wort, das sie lieber nicht hören wollte. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns nochmal wiedersehen werden. Ist schon eine lange Zeit her. Zwei Jahre oder?“, fragte sie ihn, doch er antwortete ihr nicht. „Du hast deiner Freundin scheinbar nichts von uns erzählt, richtig?“, stichelte sie weiter. „Da gibt es nichts zu erzählen“, brummte er und seine Stimme hörte sich sehr unruhig an. „Sicher? Das hat sich damals aber anders angehört“, raunte sie und Mimi sah sie durch den Türschlitz, wie sie sich auf etwas setzte. „Ich denke manchmal noch gerne daran zurück.“ „Hör auf! Das war nichts Ernstes“, redete er sich heraus und Mimi spürte wie ein Stich durch ihr Herz ging. Könnte es etwa sein…? „Das weiß ich selbst, aber trotzdem hatten wir sehr viel Spaß, oder etwa nicht Taichi?“ „Das war damals“, entgegnete er sofort, „und Mimi darf davon nichts erfahren! Hätte ich gewusst, dass du Kaoris Schwester bist, dann…“ „Dann hättest du mich nicht angefasst?! Hey ich möchte dich nur daran erinnern, dass die Initiative oft von dir ausging. Oder wie oft hast du mir in den sechs Monaten geschrieben, dass du mit mir feiern gehen willst, obwohl es dir nur um das eine ging“, führte sie weiter aus und Mimi schluckte hart. Sechs Monate? Sechs Monate?! Hatte sie sich gerade etwa verhört? Sie wusste ja, dass was mit einem unbekannten Mädchen hatte, aber…ihr ganzer Körper begann zu zittern und ihr Brustkorb wurde auf einmal ganz schwer. In Magen fühlte sich so an als hätte sie einen Stein verschluckt. Ihre Augen brannten schon, doch sie war nicht in der Lage sich zu Bewegen. Sie fühlte sich wie festgeklebt und hörte weiterhin die Worte mit an, die für ihre Ohren nicht bestimmt waren. „Emi, ich meine es ernst! Halt deine…“ „Wow, ist ja schon gut! Reg dich mal ab! Seit wann bist du so empfindlich?“, unterbrach sie ihn leicht gereizt. „Ich bin nicht empfindlich, aber ich hätte nicht erwartet, dass…“ „Dass du mich jemals wiedersiehst? Überraschung, meist sieht man sich immer zweimal im Leben.“ Sie lachte und schlug die Beine provokativ übereinander. Mimi wurde abrupt sehr schlecht, wie sie sie vor ihm sitzen sah. Ihr Blick war lasziv und sie wollte sich nicht vorstellen, dass die beiden sonst was miteinander getrieben hatten. Doch auch Taichi schien über diese Begegnung alles andere als begeistert zu sein. „Du bist eine wahrhaftige Hexe!“ „Ach komm‘ das hast du immer besonders an mir gemocht, aber gut! Ich werde meinen Mund halten, damit dein kleines Porzellanpüppchen nicht vor lauter Kummer auf dem Boden zerschellt.“ Ihre Stimme wirkte herablassend und Mimi fragte sich ernsthaft, was sie ihr getan hatte?! Sie kannten sich noch nicht mal zwei Stunden und aus irgendeinem Grund konnte Emi sie nicht leiden. Und das schlimmste von allem: Sie war das Mädchen, an das Taichi seine Jungfräulichkeit verloren hatte! Eine Welle der Übelkeit überkam sie und sie hielt sich die Hand vor den Mund. Der beißende Geschmack von Erbrochenem breitete sich in ihrem Mund aus und sie fühlte sich auf einmal wieder wie fünfzehn. Hastig rannte sie zurück zur Toilette und riss die Kabinentür auf. Sie kniete sich auf den Boden, riss den Klodeckel nach oben und übergab sich in die Schüssel. Sie würgte erbarmungslos und spürte die heißen Tränen auf ihren Wangen, die ihr signalisierten, dass sie nicht träumte und dieser Alptraum tatsächlich real war. Wieder musste sie würgen und hatte den würzigen Geschmack der gebratenen Nudeln auf ihrer Zunge, der ihre Übelkeit jedoch verstärkte. Zwar dauerte es nicht lange bis sie sich beruhigt hatte, aber danach fühlte sie sich einfach nur noch schwach und lehnte sich schweratmend gegen die Kabinenwand. Ohne darüber nachzudenken, wischte sie mit ihrem Ärmel über ihren Mund und ließ ihre Hand sinken, die sich so schwer wie Blei anfühlte. Ihr Herz schmerzte noch immer und die Tränen liefen immer noch über ihre Wangen, ohne, dass sie es kontrollieren konnte. Sie fühlte sich verascht und war enttäuscht. Von Tai, da er eine längere Affäre mit Emi hatte. Von Emi, die sie grundlos hasste, nur weil sie mit ihrer Schwester befreundet war. Von sich selbst, da sie die Beherrschung verloren und sich in ihrer eigenen Verbundbarkeit wiederfand, die vor Jahren hinter sich gelassen hatte. Doch letztlich war sie immer noch dieses kleine unsichere Mädchen, das zu tiefst verletzt war und nun ihren schlimmsten Befürchtungen gegenübertreten musste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)