Humanity von hYdro_ ================================================================================ Kapitel 13: Dämonen der Vergangenheit ------------------------------------- «Also, was ist denn nun hinter dieser Tür, un?» Es sollte Sasori nicht verwundern, dass er Deidara nicht hatte loswerden können. Denn dieser war hartnäckig geblieben, hatte ihn einfach übergangen und war ihm in den Keller gefolgt. Nun stand er da, vor der massiven Eisentür, hinter welcher sich Sasoris Sammlung, sein größter Schatz, befand. Ein metallenes Geräusch erklang, als der neugierige Blonde einmal gegen die Tür klopfte. Als würde sie sich dadurch für ihn öffnen. «Warum sollte ich dir das erzählen?», stellte er die Gegenfrage, konnte nicht begreifen wie Deidara ein solches Interesse daran hegte. «Warum nicht?» Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf die feinen Züge des Jüngeren, als er sich leicht von der Tür abstieß, sich eine störende Strähne aus dem Gesicht pustete. Wie flüssiges Gold fiel ihm sein Haar über seine Schultern, schmiegte sich beinahe schon um sein hübsches Gesicht, umrahmte es, als wäre es ein Kunstwerk, das es hervorzuheben galt. Deidaras geschmeidige Bewegungen, seine furchtlose Attitude, seine Spontanität und seine doch so kindliche und naive Art, sein Wesen, einfach seine ganze Existenz, war für Sasori mehr als nur faszinierend. Der Jüngere war wie ein Geheimnis, welches man um jeden Preis ergründen wollte. Warum war er so, wie er war? Er wirkte stets so unbeschwert, unbekümmert, als würde es nichts geben, das ihn aus der Bahn werfen könnte. Hätte es in Sasoris Leben nicht dieses einschneidende Ereignis gegeben oder würde er nur etwas mehr diese Stärke Deidaras besitzen, würde er dann genau so sein wie er? Der Blonde sah herausfordernd zu ihm und für einen Moment hielt er den Blickkontakt aufrecht, ehe er sich schnaubend wieder auf den Stuhl seiner Werkbank setzte und nach der Feile griff. Schweigend nahm er seine Arbeit wieder auf, merkte dennoch, wie der Jüngere neben ihn trat und ihm über die Schulter hinweg zusah. «Sie sind unglaublich stur, wissen Sie das, un? Gibt es denn nichts, dass ich tun könnte um Sie umzustimmen, no Danna?» «Warum nennst du mich eigentlich so? In welchem Zusammenhang soll ich dein Meister sein?» Es war etwas, das er sich schon länger fragte. Er hatte bisher einfach noch nie danach gefragt, weil es ihm im Grunde egal gewesen war, wie der Jüngere ihn nannte. Verwendete Deidara diese Bezeichnung um ihm zu imponieren, ihm seinen Respekt zu zollen? Oder doch nur um ihn zu verspotten? Deidara wollte eben zum Sprechen ansetzen, als er kurz stockte und schließlich neu ansetzte. «Warum sollte ich Ihnen das erzählen, un? Wenn Sie doch auch nichts von sich preisgeben wollen?» Sasori brauchte sich nicht zu ihm zu drehen, um zu wissen, dass der Blonde gerade breit grinste. War es doch deutlich aus seiner Stimme herauszuhören, ebenso trieften die Worte vor Selbstgefälligkeit. «Ich hab’s! Quid pro quo, un. Ich erzähle Ihnen warum ich Sie no Danna nenne, im Gegenzug zeigen Sie mir, was Sie hinter dieser Tür verbergen.» Sagte der Jüngere, als er einige Kunststoffteile auf der Werkbank nach hinten schob, um sich auf den nun freien Platz zu setzen, seine Beine von der Arbeitsplatte baumelnd. Sasori schnalzte missbilligend mit der Zunge über diesen Vorschlag, der für ihn mehr als nur nachteilig war. Dachte Deidara ernsthaft, dass er darauf eingehen würde? «Das ist mir zu wenig. Dafür, dass ich dir mein Geheimnis offenbaren soll, will ich schon etwas mehr, als eine simple Erklärung dieser Betitelung für mich.» «Dann suchen Sie sich eben etwas anderes aus, un. Fragen Sie mich was, irgendwas. Meinetwegen alles, was Sie wollen.» Der Blonde lehnte sich an die Wand zurück, die Arme lässig vor der Brust verschränkt und mit einer solchen Gelassenheit im Körper, als würde es nichts geben, das es schaffte, seine Selbstsicherheit ins Wanken zu bringen. Sasoris Mundwinkel zuckten kurz, als er von dem nachgebildeten Fingerknöchel abließ. Zum einen, weil er es beinahe geschafft hatte, ihn so zu modellieren, dass er seiner Vorstellung von Perfektion schon sehr nahe kam, zum anderen, da er nun seine Chance sah Deidara an die Substanz zu führen. «Na schön, meinetwegen. Ich werde dir gestatten hinter diese Tür zu blicken.» Gemächlich lehnte auch er sich zurück, ruhig suchte er mit seinen braunen Augen Blickkontakt zu Deidara, dessen Miene sich durch Sasoris Einwilligung sofort aufhellte, die Aufregung sich erkennbar in seinen azurblauen Irden abzeichnete. Doch wie lange würde es noch dauern bis Deidaras Stimmung kippte? «Doch dafür, will ich den Grund für deine emotionale Reaktion darauf wissen, als Hidan damals diese unsittlichen Bemerkungen über dieses Kind gemacht hat.» Stoisch blickte Sasori seinen Gegenüber an, beobachtete jede Veränderung, die sich in Deidaras Gesicht abzeichnete. Und lange musste er nicht darauf warten, war der Jüngere doch wie ein offenes Buch für ihn und er selbst, begabt darin Menschen zu lesen. Die feinen Züge verhärteten sich, jede Weichheit wich einer Ernsthaftigkeit, die man dem Jüngeren gar nicht zugesprochen hätte, die hellen Brauen zogen sich ein wenig zusammen. Er wirkte unwohl, ertappt, seine ganzen Muskeln spannten sich kaum merklich an, seine Haltung versteifte. Vielleicht würde jeder andere diese feinen Reaktionen nicht bemerken, doch Sasori sah es. Er sah es. Ebenso, wie Deidara versuchte es zu überspielen, ein täuschend echtes Lächeln aufsetzte, welches Sasori jedoch nicht blenden konnte. Und bevor der Jüngere dazu kam sich aus der Affäre zu ziehen, ihn mit einer kecken Antwort abspeisen konnte, setzte Sasori schnell noch einen nach. «Dir ist etwas ähnliches passiert, nicht wahr?», ruhig und kalt ließ er die Worte über seine Lippen gleiten und er wußte einfach, dass er damit recht hatte. Fasziniert beobachtete er, wie sich daraufhin ein nie da gewesener Ausdruck in Deidaras Züge breit machte, seine Irden wirkten traurig, verletzt und von Schuldgefühlen eingenommen, die Sasori noch nicht richtig zuzuordnen wußte. Und doch reichte es Sasori noch nicht. Er wollte mehr. Mehr von Deidaras Dämonen, die ihn augenscheinlich noch immer quälten, er wollte sie ergründen, wo er sie bisher doch nur oberflächlich angekratzt hatte. Er wollte den Schmerz dahinter sehen, die Qual in seinem Innersten spüren, ihn mitfühlen. Nicht, um sich daran zu ergötzen, dass Deidara litt, sondern um sich mit dem eigenen Schmerz nicht mehr alleine fühlen zu müssen, den er selbst litt, Tag für Tag, versteckt hinter seiner ewig anhaltenden Maske der Gefühllosigkeit. Und als Deidara, betrübt aber ergeben, nach langem Zögern und gesenktem Blick, ruhig anfing zu erzählen, pochte Sasoris Herz hart gegen das Gefängnis aus Eis, welches er sich vor so langer Zeit darum erbaut hatte. Der kleine Junge zog sich seine Decke enger um seinen Körper, als er die schweren Schritte draußen auf dem Flur vernahm, die sich seinem Zimmer stetig näherten. Das Geräusch des knarrenden Holzes des Fußbodens hallte ohrenbetäubend laut in seinen Ohren wider, die schleppenden Schritte seines Vaters verursachten bei ihm Herzrasen und veranlassten ihn dazu, sich in die Decke zu krallen, diese schützend ein wenig über seinen Kopf zu ziehen. Und er wußte… er wußte, dass es wieder einer dieser Nächte werden würde. Seine hellblauen Irden suchten die seiner älteren Schwester, die ihm von anderen Bett aus genauso ängstlich entgegen blickten. Ihre Lippen bebten, er vernahm ihre hektischen Atemzüge, er sah die Panik in ihren Augen und es schmerzte Deidara unermesslich, seine Schwester so zu sehen. War sie doch stets die Starke von ihnen beiden, war sie doch stets die Person, die ihn beschützte und sich von nichts unterkriegen ließ und doch war sie ebenso wie er machtlos, wenn gleich ihr Vater hereinkommen und diese unaussprechlichen Dinge mit ihr tun würde, von der sogar er, als Zwölfjähriger wußte, dass es Dinge sind, die ein Vater nicht mit seinem Kind tun sollte. Er konnte nichts tun, als ihr stumm beizustehen. Die Schritte stoppten, die Tür ging knarrend auf, während der Junge sich schnell auf die andere Seite drehte. Es war schon schlimm genug, dass er es mit anhören musste, da wollte er wenigstens nicht hinsehen. Er roch die Fahne seines Vaters bis hierher und als sich sein Erzeuger ihren Betten näherten, konnte er nichts anderes tun, als sich zu versteifen, mit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit zu starren und zu hoffen, dass es seiner Schwester zuliebe nicht allzu lange dauern würde. Er zuckte abrupt zusammen, als er seinen Vater plötzlich neben seinem Bett wahrnahm. Eine Hand legte sich auf seinen blonden Haarschopf, sachte wurde ihm durch die Haare gestrichen, die Decke langsam von seinem bebenden Leib gezogen. Sein Herz raste, ihm wurde speiübel und er hielt die Luft an, vergas weiter zu atmen. Nein! Das lief alles falsch ab, das sollte nicht sein! War nach seiner Schwester nun er es, auf den es sein Vater abgesehen hatte? Eine Gänsehaut bildete sich auf seiner Haut, als die Decke weggezogen war, sein Körper schutzlos dalag. Er kniff die Augen zusammen, fing am ganzen Leib an unkontrolliert zu zittern. Starr vor Angst bemerkte er, wie seine Matratze leicht nachgab, der schwere Atem seines Erzeuger irgendwo über ihm. Viel zu nah. «Vater! Bitte…» Das Flehen seiner Schwester ließ den Mann innehalten. Deidara wußte nicht genau, was danach geschah, zu sehr war er von der Angst eingenommen. Er hörte bloß das Rascheln von Stoff, das aus der Richtung seiner Schwester kam und dann, wie seine Decke wieder über ihm ausgebreitet wurde. Sein Vater entfernte sich von ihm, wandte sich stattdessen seiner Schwester zu, die ein ersticktes Wimmern von sich gab, als er sich zu ihr ins Bett legte. Und dann vernahm er die Geräusche, die er schon viel zu oft hatte mit anhören müssen. Das Rascheln von Stoff, widerliche Schmatzgeräusche, das leise Wimmern und Schluchzen seiner Schwester, gepaart mit dem gelegentlichen Stöhnen seines Vaters, das ihn bis ins Innerste übel werden ließ. Wie jedes mal flammte der Hass gegen seinen Erzeuger von neuem in ihm auf, nahm ihn völlig ein, während sein Verstand schrie, dass er das nicht so einfach zulassen konnte, dass er seiner Schwester helfen musste. Und doch machte sein Körper keinen Wank, er blieb starr liegen und fühlte sich machtlos und einfach nur elend. Doch was sollte er denn auch gegen seinen Vater unternehmen? Was konnte schon ein Zwölfjähriger tun, der körperlich so sehr unterlegen war, was hätte er für eine Chance? Er würde höchstens einen Schlag austeilen können, bevor er unzählige einstecken müsste. Nein, das hatte er zu oft erlebt und ändern tat es auch nichts. Er wußte, dass er ein Feigling war und genau deswegen zwang er sich, hinzuhören. Er durfte sich dem, was da ein paar Meter weiter geschah, nicht verschließen, er musste es mitbekommen. So lange, bis sein Hass stark genug war und er den Mut fand, endgültig etwas dagegen zu unternehmen. Die Geräusche endeten und doch war sein Körper noch immer angespannt, seine Muskeln zum Zerreissen gespannt. Und dann war es für eine Weile still, bevor Deidara das Klackern einer Gürtelschnalle hören konnte, als sich sein Erzeuger wieder anzog. «Du weißt, dass ich dich liebe, oder? Euch beide?» Die Worte, mehr gelallt, als gesprochen und doch ehrlich gemeint. Doch war der Mann, der sie sprach, so völlig gepeinigt durch den Verlust seiner Frau, dass er nicht merkte, dass die Liebe, die er für seine Kinder empfand, ein krankhaftes Ausmaß angenommen hatte. «Du siehst deiner Mutter so ähnlich. Ihr beide seid alles, was mir von ihr noch geblieben ist.» Der Mann strich seiner Tochter, die regungslos und fast apathisch in die Dunkelheit starrend in ihrem Bett lag, zärtlich über die Wange, wischte eine Träne aus ihrem hübschen Gesicht. Um ihrem Vater keinen Grund zu geben, handgreiflich zu werden und da sie sich davor fürchtete, seinen unvorhersehbaren Zorn heraufzubeschwören und auf sich zu ziehen, falls sie nicht reagierte, nickte sie zögerlich. «Braves Mädchen.» Zufrieden stand er auf, entfernte sich von ihr, um schließlich die Tür hinter sich zu schließen, den Raum wieder in vollkommene Finsternis zu hüllen. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, war auch der blonde Junge wieder aus seiner Starre erwacht. Vorsichtig drehte er sich auf die andere Seite, schlüpfte unter seiner Decke hervor, um sich tapsend zu dem Bett seiner Schwester zu begeben. «Kurotsuchi», flüsterte Deidara, als er sich zu ihr setzte, vorsichtig nach ihrer Hand tastete, um sie in seine zu nehmen. «Hat er dir sehr weg getan, un?», fragte er in die Stille, konnte sie in der Dunkelheit kaum erkennen und doch merkte er, wie sie seine Hand drückte. «Nicht mehr als sonst.» Ihre Stimme klang dünn, gebrochen, ihr Blick leer gegen die Zimmerdecke gerichtet. «Warum hast du das getan, un? Warum hast du ihn abgehalten… dieses mal wollte er doch… ich…», er brach ab, wollte die aufkommenden Tränen runterschlucken, doch es gelang ihm nicht. Beißend traten sie ihm in die Augen, rollten seinen Wangen hinab, um ungesehen in die Tiefe zu stürzen. «Dieses mal… hatte er es doch nicht auf dich abgesehen, un», brachte er schwer hervor, während er ein Schluchzen unterdrückte. Seine Schwester zog ihn näher zu sich, so dass er sich neben sie legen konnte und legte ihre Arme schützend um ihn. «Es reicht, wenn er sich an einem von uns vergreift. Und ich lasse nicht zu, dass er dasselbe was er mit mir macht, auch dir antut. Niemals, hörst du mich? Wir müssen doch zusammenhalten.» Ihre Stimme klang mit einem mal entschlossen, von einer Stärke erfüllt, die Deidara wünschte auch zu besitzen. Ihm war es schleierhaft, wo sie die Kraft hernahm ihn zu trösten, wo es doch vielmehr sie war, die Trost benötigte. Fahrig wische er sich die Tränen wag, vergrub sein Gesicht in ihrer Halsbeuge, drückte sich halt suchend an sie. «Wir müssen etwas gegen ihn unternehmen, un. Wir müssen zur Polizei gehen, es melden und ihnen sagen, was er mit dir macht. Die werden uns bestimmt helfen und dann–» «Nein!», unterbrach sie ihn leicht panisch, drückte ihn etwas von sich weg, um ihm in die Augen sehen zu können. «Das machen wir nicht, das können wir nicht, versteht doch… ich kann nicht. Ich kann niemandem erzählen was er mit mir macht… ich kann einfach nicht. Bitte versprich mir, dass du nicht zur Polizei gehst. Versprich es mir, Deidara!» Eindringlich blickte sie ihn an, ihr Griff wurde etwas fester, als er nicht sofort antwortete. Und dann nickte er bloß, obwohl er wußte, dass es das Richtige gewesen wäre, es der Polizei zu melden. Doch sie war seine Schwester. Seine Schwester, die ihn immer beschützt hatte, die immer für ihn da gewesen war, die alles war, das er noch hatte. Und dann erkannte er den Teufelskreis. Es würde sich nie etwas ändern, sein Vater würde ewig so weitermachen, so lange, bis er an einer Alkoholvergiftung starb, an seinem eigenen Erbrochenen erstickte oder sie beide alt genug wären und eine Möglichkeit fänden von hier fortzulaufen. Doch das konnte noch Jahre dauern und er wußte nicht, wie lange es seine Schwester unter diesen Umständen noch aushielt. «Dann finden wir einen anderen Ausweg. Das verspreche ich dir, un.» Mit vollkommener Genugtuung sah er den Flammen dabei zu, wie sie sich weiter ausbreiteten, das Haus dabei völlig einhüllte, als wäre es ein Nichts. Zügelnd schossen die Flammen in die Höhe, sprühten Funken in die bitter kalte Nacht hinaus und er genoss die Wärme, die das Feuer auf seiner Haut verursachte. Genauso wie die Flammen sein Elternhaus verschlang, genauso sollte sein Erzeuger und all die verabscheuungswürdigen Dinge, die dieser getan hatte, aus seinen Erinnerungen gelöscht werden. Doch aus erster Linie hatte er es für sie getan. Auch wenn es lange gedauert hatte, bis er einen Weg gefunden hatte, sie beide von ihrem Vater zu befreien. Fast ein Jahr hatte es gedauert, bis die Idee des Feuers ausgereift war, er seine chemischen Kenntnisse in der Schule so weit hatte erweitern können, um zu wissen wie alles funktionierte. In diesem Bereich war er schon immer talentiert gewesen und sein Interesse daran hatte es nur noch gefördert. Aber er hatte keine Fehler machen wollen. Deswegen hatte er auch einige male auf dem verlassenen Schrottplatz die Straße runter geübt, so lange, bis er es gewagt hatte seinen Plan in die Tat umzusetzen. Und er verspürte keine Reue. Als er von der Schule nach Hause gekommen war, hatte er seinen Vater stark alkoholisiert, schlafend auf der Couch vorgefunden. Die Chemikalien waren schnell im Haus verteilt gewesen und er hatte einmal auflachen müssen, als er daran dachte, dass sein Erzeuger dank des Alkohols, welcher er im Blut hatte, nun noch schneller Feuer fangen und verbrennen würde. Deidara blickte mit einem Lächeln auf die beiden Rucksäcke hinab, die zu seinen Füßen lagen. Ab heute würden sie beide frei sein. Wohin sie gingen, darüber hatte er noch nicht nachgedacht, aber er hatte keine Bedenken diesbezüglich. Solange sie zusammen waren, würde es keine Rolle spielen und irgendwie würden sie es schon schaffen, sich durchs Leben zu schlagen. Wieder huschte sein Blick in die Richtung, aus der er seine Schwester erwartete. Sie hatte von seinem Vorhaben nichts gewusst. Zum einen sollte es eine Überraschung werden, zum anderen hatte er nicht gewollt, dass sie zu sehr in die Sache involviert wurde. Schließlich war es Mord, das er eben begangen hatte. Und womöglich hätte sie ihn davon abgehalten einen Menschen zu töten. Auch wenn es seinetwillen gewesen wäre und nicht ihres verhassten Vaters wegen. Doch hätte sie schon vor Minuten auftauchen sollen, hatte sie doch schon eine Weile Schulschluss und der Weg nach Hause dauerte nicht lange. Ein wenig ungeduldig wippte er mit seinen Füßen, blickte aus seinem Versteck hinter einer Mülltonne nochmal zu dem Geschehen vor dem Haus, welches nun zur Gänze hinabgebrannt war. Nur noch das verkohlte Gerüst stand, Polizei und Feuerwehrwagen standen zur genüge davor, aufgeregt huschten die Leute umher. Einige Schaulustige waren noch da, doch auch die verloren langsam ihr Interesse und gingen wieder ihres Weges. «Sieht nach Brandstiftung aus. Ich habe selten ein Haus so schnell abbrennen sehen.» «Überlebende?» Deidara blickte zu den beiden Männern – der eine Polizist, der andere Feuerwehrmann – und trat unbemerkt ein wenig näher, um ihrer Unterhaltung weiter lauschen zu können. «Nein. Der eine, wohl der Vater der Familie, haben wir im Wohnzimmer auf dem Sofa gefunden. Es sah so aus, als ob er geschlafen hätte, als das Feuer ausbrach; er hatte keine Chance. Das Mädchen fanden wir im oberen Stock, sie wurde wohl vom Feuer eingeschlossen und hat sich eine Rauchvergiftung eingefangen; ich denke nicht, dass sie viel gespürt hat. Aber die Nachbarn sagen, es würde noch einen Jungen geben, aber von ihm fehlt jede Spur. Vielleicht hatte er Glück und…» Deidara stockte der Atem, konnte den weiteren Worten gar nicht mehr folgen. Es war, als würde er keine Luft mehr bekommen und doch zwang er sich zur Ruhe. Das konnte nicht sein, redete er sich immer wieder ein, sah sich panisch um, suchte unter den verbliebenen Leuten seine Schwester, die doch so unendlich spät dran war. Doch er sah sie nicht. Sie war nicht da. Er preschte vor, rannte auf den Feuerwehrmann zu, packte ihn grob an seiner Jacke und zog ihn ein Stück zu sich runter. «Hey, was soll–», verärgert wollte der andere sich losreißen, doch Deidaras Griff wurde umso fester. «Was hast du gesagt?! Was ist mit meiner Schwester, un?», brüllte er seinen Gegenüber regelrecht an. Unfähig zu beurteilen, ob es nun die Wut oder die Angst war, die ihn in diesem Moment mehr einnahm, stand er da, mit staubtrockenem Mund, während sein Herz hart gegen seine Brust schlug. Die beruhigenden Worte des Mannes nahm er schon gar nicht wahr, da sein Blick in dem Moment zur Seite schweifte und er mit schockgeweiteten Augen mit ansehen musste, wie die Notfallärzte zwei Bahren mit verschlossenen Leichensäcken durch den Hauseingang nach Draußen rollten. «Nein…», kam es ihm fassungslos über die Lippen, während seine Finger langsam den Griff lockerten, bis sie den Stoff schließlich völlig freigaben. Kraftlos fielen seine Arme hinab, baumelten nutzlos neben seinem Körper und er hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, während er den Blick nicht von diesem Horrorszenario wenden konnte. Kalter Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, eine ungeahnte Übelkeit befiel ihn, ließ seinen Körper beben. Das konnte nicht sein! Sie hätte doch noch in der Schule sein sollen! Wie hatte er denn nicht bemerken können, dass sie bereits Zuhause war? Sie konnte nicht tot sein, das war unmöglich! Seine Welt drehte sich, er spürte seinen Körper nicht mehr, alles was um ihn herum passierte, geschah ohne dass er es mitbekam. Seine Gedanken überschlugen sich, drehten sich im Kreis und er hätte seinen Schmerz am liebsten in die Welt hinausgeschrieen. Was hatte er getan? Doch er blieb stumm, kein Laut verließ seine Kehle. Nur sein eigenes, viel zu schnell schlagendes Herz rauschte in seinen Ohren und als ihn jemand an der Schulter berührte, fuhr er zusammen. Er starrte, ohne wirklich etwas sehen zu können, zu dem Mann vor sich, welcher ihn besorgt musterte. Dessen Lippen formten Worte, die er nicht hören konnte, als wäre er in Watte gehüllt, als würde die Zeit still stehen. Langsam stolperte er rückwärts, wäre beinahe hingefallen, als er sich umdrehte und anfing zu rennen. Seine Beine trugen ihn, als wäre er ein Marathonläufer. Unfähig anzuhalten oder auch nur zu wissen, was für ein Ziel er hatte, rannte er weiter. Er musste diesen Ort hinter sich lassen. Er musste laufen. So lange, bis seine Lungen brennen, seine Muskeln schmerzen würden, so lange, bis er dieses Bild aus seinem Kopf bekam und die Gewissheit, dass er dafür verantwortlich war. So lange, bis er Geschehenes ungeschehen machen könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)