In the spider's web von Mizuki18 ================================================================================ Kapitel 6: A spark of light in the dark --------------------------------------- "So, wir sind allein. Zeit zum spielen, nur für uns zwei.", jauchzte Alois, stand vom Tisch auf und legte mir ganz unverfroren eine Hand auf den Hintern. Ich versuchte es zu ignorieren. "Komm. Ich will ein Bad nehmen, bevor ich ins Bett gehe. Du hilfst mir doch oder?" Alois stellte sich auf die Zehenspitzen, sodass er mich um ein paar Zentimeter überragte. "Natürlich helfe ich Euch, Euer Hoheit.", sagte ich und hätte nur einmal kräftig nicken brauchen und Alois hätte aufgrund der Kopfnuss das Bewusstsein verloren und endlich mal seine vorlaute Klappe gehalten. Aber so etwas ziemte sich für ein Dienstmädchen leider ganz und gar nicht. "Los komm, lass mir das Badewasser ein. Und wehe es ist zu heiß.", zischte Alois, hob drohend den Zeigefinger und ging davon. Ich atmete geräuschvoll aus. Wenn er so weiter machte würde ich das Wasser zum kochen bringen und in darin ertränken. Bester Laune und total motiviert, machte ich mich auf den Weg ins Badezimmer, breitete ein weißes Handtuch vor der Badewanne aus und begann Wasser einzulassen. Nein, nicht so heiß, dass es einem das Fleisch von den Knochen lösen würde, sondern angenehm. Ich wollte nicht riskieren von Alois später mit dem Bettlaken erdrosselt zu werden. "Bist du soweit, kleine Rose?", ertönte es hinter mir. Ich saß am Wannenrand und wenn ich nicht damit gerechnet hätte, dass Alois irgendwann wie aus dem Nichts hinter mir auftauchte, wäre ich jetzt mit dem Gesicht voran im Badewasser gelandet. "Ja, ich hoffe es ist alles wie gewünscht, Euer Hoheit.", murmelte ich, trat beiseite und senkte demütig den Kopf. "Nah, das war's doch noch nicht. Hophop, zieh mich aus." Alois schnippte mit den Finger und streckte die Arme vom Körper weg. Kleines Miststück. Ich zog Alois den pflaumenfarbenen Mantel aus, löste die schwarze Schleife und knöpfte die dunkelgrüne Nadelstreifenweste auf. "Gefällt es dir?", fragte Alois plötzlich, als ich mich kniete und seine Stiefel aufschnürte. "Wie bitte?" Ich schaute hoch und wurde vom Licht der Deckenlampe geblendet. "Hm, ich hab die Frage falsch formuliert.", überlegte Alois. "Lass es mich anders sagen. Gefalle ich dir?" "Ähm..." Ich schluckte. Entweder war das jetzt ein Test und Alois wollte herausfinden, ob ich die Rolle des unterwürfigen Hausmädchens perfekt beherrschte und meine Zunge zu beherrschen wusste oder er wollte tatsächlich die Wahrheit hören. Gott, warum war es so schwer herauszufinden was dieser Junge tatsächlich dachte? "Das hier, gefällt es dir?" Alois riss die Knöpfe des weißen Hemdes auf und entblößte seinen Oberkörper. Ich zerrte an den Schnüren seiner Stiefel. "Wollt ihr die Wahrheit oder eine Lüge?", flüsterte ich und machte weiter. "Die Wahrheit...selbstverständlich." Alois riss das Knie hoch, sodass es voll gegen mein Kinn prallte und ich mir auf die Zunge biss. Sofort schmeckte ich Blut, schluckte es aber herunter und erwiderte Alois' stechenden Blick, mit dem er mich fixierte. "Na schön, wenn Ihr die Wahrheit wollt." Ich rupfte meinem Herrn unsanft den Stiefel vom Fuß. "Es lässt sich nicht abstreiten, dass ihr hübsch seid. Die blauen Augen, kalt wie Eis. Das blonde Engelshaar. Und euer Körper..." Ich schaute flüchtig auf Alois' nackte Brust, bevor ich fortfuhr. "Aber innerlich...seid ihr hässlich. Entstellt, verbrannt, verunstaltet. Ihr seid nicht besser als all die anderen Menschen. Ihr seid grausam, egoistisch, wahnsinnig. Ihr seid kein netter Mensch. Aber das kann ja keiner sehen, nicht wahr? Alles was man sieht ist Euer unschuldiges, hübsches Gesicht. Nicht die Wunden, an denen Ihr leidet. Nicht den Schmerz, mit dem ihr zu kämpfen habt." Alois starrte mich an, fassungslos. Ich hatte soeben vermutlich mein Todesurteil unterschrieben, aber das war mir egal. Er hatte die Wahrheit verlangt und ich hatte sie ihm gegeben. Nicht mehr und nicht weniger. Weshalb es mich auf nicht überraschte, dass Alois mich im nächsten Moment bei den Haaren packte und mein Kopf mit voller Wucht gegen den Rand der Badewanne schlug. Ein stechender Schmerz zuckte durch meine Stirn und kaum war dieser abgeflaut, verspürte ich ein unangenehmes Pochen. "Behalt die Wahrheit in Zukunft für dich, verstanden?! Sag so etwas nie wieder oder ich werde dich eigenhändig umbringen, ausweiden und deine sterblichen Überreste den Wölfen zum Fraß vorwerfen, kapiert?!", schrie Alois, schüttelte meinen Kopf hin und her, bis mir davon schwindelig wurde. "Kapiert?!" "Ja, Euer Hoheit.", hauchte ich und wurde losgelassen. "Sehr gut, dann mach jetzt weiter. Bevor das Wasser kalt wird.", wies Alois mich an und gehorsam leistete ich seinem Befehl folge. Allerdings hatten meine Worte ihn nicht einfach nur dazu gebracht mal wieder die Fassung zu verlieren. Er sagte nämlich während des gesamten Bades kein einziges Wort mehr. Nicht, als ich ihm die Hose auszog oder ihn wusch oder ihn abtrocknete. Er war still. Und um ehrlich zu sein, machte mir das noch mehr Angst, als wenn er mich angeschrieen hätte. In ein Handtuch gewickelt, tapste Alois barfuss durch die Flure seines Anwesens. Ich, mit angemessenem Abstand, hinterher. In seinem Zimmer angekommen, kleidete ich ihn in sein Nachthemd, zog die Vorhänge zu und richtete das Bett her. Alois stand schweigend daneben, beobachtete lediglich jede meiner Bewegungen. Es war schlimmer, als nackt von ihm gemustert zu werden. "Es ist alles bereit, Euer Hoheit." Ich klopfte noch einmal das Kissen zurecht und machte dann einen großen Schritt nach rechts, um Alois nicht im Weg zu stehen. "Hm...", machte er, kletterte ins Bett und rollte sich wie eine Katze zusammen. Herrgott, warum wirkte er jetzt auf einmal so zerbrechlich? Das war ja nicht zum aushalten. Ich zog die Bettdecke hoch bis zu Alois' zierlichen Schultern und wollte schon die Kerze auspusten, die auf dem Nachttisch stand, als Alois meine Hand ergriff. "Nicht, lass das Licht an. Bitte." "Habt Ihr Angst im Dunkeln?", fragte ich, einfach weil es die erste logische Begründung war, die mir in den Sinn kam. "Ja, ich fürchte die Dunkelheit.", antwortete Alois, drückte meine Hand fester und warf mich somit komplett aus der Bahn. Er hatte Angst im Dunkeln? Alois Trancy hatte Angst vor der Dunkelheit? Das war das Letzte womit ich gerechnet hatte. Aber der unsichere Ausdruck in den eisblauen Augen log nicht. Dafür klammerte sich der kleine Earl viel zu sehr an mich. "Soll ich..." Ich räusperte mich. "Soll ich bleiben bis Ihr eingeschlafen seid, Euer Hoheit?" Alois sah mich an, als würde er gleich anfangen zu weinen. Mein Herz krampfte sich kurz schmerzhaft zusammen. "Kannst du mir etwas vorsingen, Genevieve?" Ich nickte abgehackt. "S-Sicher, ich...ähm..." Streng dich an Mädchen, du wirst ja wohl ein Schlaflied kennen. Alois schloss die Augen. "Bleib einfach bei mir und lass mich nicht allein.", bat er und verschränkte seine Finger mit meinen. Ich schluckte und spürte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte. Wie war es möglich, dass er von einem auf den anderen Moment eine komplett andere Person wurde? Erst herrisch, aufbrausend und psychopatisch und jetzt? Unschuldig, zerbrechlich, hilflos. Ich würde ihn jetzt liebend gern in den Arm nehmen, hin und her wiegen und ihn vor der Dunkelheit beschützen. Allerdings vergaß ich hier um wen es sich handelte. Es handelte sich um Alois Trancy, der nicht davor zurückscheute mich zu verletzen, damit er seinen Spaß hatte. Der sich jeden Tag etwas neues ausdachte, um mich zu demütigen und mich zu brechen. Doch vielleicht war das nicht alles von ihm. Vielleicht versteckte sich hinter dieser Grausamkeit und diesem Egoismus etwas, das es wert war, dass man ihm seine Aufmerksamkeit schenkte. Gerade so, als würde man dann merken, dass man diesen Funken Licht beschützen musste, damit er nicht von der Dunkelheit ausgelöscht wurde. Womöglich trug Alois diesen Funken in sich, schrie stumm um Hilfe. Ich wusste ja nicht wer er wirklich war. Er kannte nur die Seite seines Selbst, die er mir jeden Tag zeigte. Und die Seite, die er mir jetzt zeigte. Herr im Himmel, dieser Junge würde mich noch mal ins Grab bringen. "Genevieve..." Mir knickten fast die Beine weg, als ich hörte wir Alois meinen Namen aussprach. Oh Gott, ich musste mich setzen. Was ich auch tat und Alois schien es nicht zu stören, als ich auf der Bettkante Platz nahm. Er hielt weiterhin meine Hand fest, ließ die Augen geschlossen und wartete. Wartete geduldig, bis ich mich gedanklich gesammelt und mich an den Text eines Schlafliedes erinnert hatte. "Lege deinen Kopf nieder. Und ich singe dir ein Schlaflied. Zurück in die Jahre von Lu-li-lay-ley. Und ich singe dich in den Schlaf. Und ich werde morgen für dich singen. Dich mit Liebe segnen, für den Weg, den du gehst." Meine Mutter hatte mir dieses Lied früher immer vorgesungen, wenn ich nicht hatte einschlafen können. Es war Jahre her, dass ich es gehört hatte und trotzdem erinnerte ich mich an jedes Wort. Eigenartig, als hätte Alois eine Erinnerung in mir wach gerufen. Nachdem ich das letzte Mal den Refrain gesungen hatte, beugte ich mich prüfend nach vorn. Alois' Atmung war gleichmäßig und ruhig. Er war eingeschlafen, klammerte sich aber immer noch an meine Hand, als wäre ich sein rettender Anker. Das Licht in der Dunkelheit. Oh je, was dachte ich denn da? Ich durfte gar nicht erst anfangen mir so etwas einzureden, das würde in keinem Fall gut ausgehen. Vorsichtig löste ich mich aus Alois' Griff, stand auf und pustete die Kerze aus. Wenn Claude ihn morgen früh wecken würde, wäre es schon hell und er hätte nichts zu befürchten. Außer vielleicht die unheimliche Präsenz, die sein Butler ausstrahlte. Denn ganz ehrlich, Claude konnte unmöglich ein Mensch sein. Wie hätte er es denn bitte sonst schaffen sollen das gesamte Haus innerhalb einer halben Stunde umzugestalten? Das war ein Ding der Unmöglichkeit. Und seine Augen? Ich war mir ganz sicher, dass ich mir das rötliche Aufblitzen in der bernsteinfarbenen Iris nicht eingebildet hatte. Überhaupt war mir das Personal in diesem Haus ziemlich suspekt. Klar, die Drillinge, die sich nur flüsternd unterhielten waren sowieso extrem unheimlich. Aber auch Hannah, die immer so nett zu mir war, obwohl sie dazu keinerlei Verpflichtung hatte. Und natürlich Claude, dem Alois ungewöhnlich zugetan war und der etwas...ja, fast schon Düsteres an sich hatte. Offenbar so düster, dass er auch mühelos mit dem Mobiliar verschmelzen konnte, sodass ich ihn nicht sah und voll in ihn hinein rannte. "Oh Claude! Tut mir leid, ich hab sie nicht gesehen.", sagte ich. Kannst du nicht besser aufpassen, du Volltrottel?! "Ihr solltet besser die Augen aufmachen, Miss Delafontaine.", erwiderte Claude und rückte seine perfekt sitzende Brille zurecht. "Schläft der junge Herr?" Ich nickte. "Ja, er schläft." "Gut, morgen früh werde ich ihn wieder wecken. Sie werden zusammen mit Hannah und den anderen das Frühstück vorbereiten.", erklärte Claude. "Ja.", entgegnete ich. "Gehen sie jetzt zu Bett. Sie brauchen ihren Schlaf, Miss Delafontaine. Augenringe passen nicht zu so einem hübschen Puppengesicht.", meinte Claude, huschte an mir vorbei und war verschwunden. Wie bitte? Hübsches Puppengesicht? Fing er jetzt auch noch an oder was? Ich schüttelte mit einem Seufzen den Kopf. Im Hause Trancy war es offenbar Sitte die neuen Angestellten erstmal gehörig in den Wahnsinn zu treiben, bevor man sie in Ruhe ihre Arbeit machen ließ. Oder eben auch nicht, denn die Arbeit bestand ja daraus sich von der jungen Hoheit fertig machen zu lassen, also war es praktisch egal. Ich schlurfte durch den dunklen Flur, vorbei an Gemälden, denen ich bisher keine Beachtung geschenkt hatte und es auch nicht weiterhin tun würde. Ich war noch immer ganz durcheinander. Alois machte mich verrückt. Ich konnte nicht entscheiden wie ich nun über ihn denken sollte. Morgen früh wäre er bestimmt wieder ganz der Alte, würde mir befehlen unanständige Dinge zu tun und sich wie ein verzogenes Balg aufführen. Ob ich diese zerbrechliche Seite jemals wieder sehen würde? Dieser hilflose kleine Funken Licht, der seine Hand nach mir ausgestreckt hatte und um Rettung flehte. Womöglich war er es wert gerettet zu werden. Auch wenn mich dieser Rettungsversuch wahrscheinlich selbst hinab ins Dunkel ziehen würde, aber was hatte ich denn schon zu verlieren? Und mal abgesehen von dem Ziel am Leben zu bleiben, konnte ich meinem Leben ja auch noch einen anderen sinnvollen Zweck geben. Tja und dieser sinnvolle Zweck würde von jetzt an darin bestehen das kleine Fünkchen Licht namens Alois Trancy vor der nahenden Dunkelheit zu retten. Egal ob ich dabei selbst untergehen würde, ich musste es versuchen. Weil er es wert war, dass man den Versuch unternahm ihn zu retten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)