Vampire Kiss von Laito-Sakamaki ================================================================================ Kapitel 36: Yuris Offenbarung ----------------------------- 36. Yuris Offenbarung Michiru starrte ins Leere. Bruder Takumi saß noch immer direkt vor ihr, doch sie nahm ihn immer weniger wahr. Sie selbst, Haruka und auch Yuri waren allesamt ein Experiment der großen Alten. Sie waren alle mit denselben Eigenschaften ausgestattet von Geburt an, hatten vielleicht sogar denselben Ursprung. Sie waren allesamt Nachkommen eines Ur-Vampirs und alle drei keine wirklichen Menschen mehr. Haruka war bereits seit Jahrhunderten zu dem geworden, was in ihr schlummerte und auch Yuri existierte mehr auf einer vampirischen Ebene, als in der menschlichen. Für sie gab es nur noch ein Bleiben wie sie war oder ein Voran. Zurück konnte sie nicht mehr, denn ihr menschlicher Körper war bereits tot. Michiru hatte diese Chance noch. Sie war noch menschlich genug, wieder vollkommen geheilt werden zu können, doch plötzlich war sie sich sicher, dass es so weit nie wieder kommen würde. Selbst, wenn sie hier sicher war und gesund werden konnte – jenes, was in ihr verborgen gewesen war, dass geruht hatte und dadurch unentdeckt blieb, war erwacht durch den ersten Biss. Es würde nie wieder schlafen, sondern für immer da sein und sie an alles erinnern, was sie in den letzten Wochen erlebt hatte. „Sie haben Angst, was verständlich ist“, riss Takumi sie aus ihren Gedanken, „Doch ich kann mich nur wiederholen – sie sind hier absolut sicher!“ „Ich liebe sie“, brachte Michiru plötzlich hervor, „Verstehen sie Bruder Takumi. Ich habe mich in Haruka verliebt, habe ihr Menschen geopfert, bei ihr gelebt…mit ihr gelebt…“ Der Mönch blickte sie sprachlos an. Er hatte gewusst, dass Michiru noch etwas verbarg und gehofft, sie würde sich ihm noch anvertrauen, doch was er gerade zu hören bekommen hatte, überforderte ihn völlig. Er schnappte nach Luft, wollte etwas sagen, tat es aber dann doch nicht. Stattdessen stand er auf und lief wie angeschossen herum. Immer wieder blieb er stehen, sah Michiru an, wollte etwas sagen, lief dann aber kopfschüttelnd weiter. „Ich bin nicht besser als ein Vampir, nicht wahr?“ brachte Michiru irgendwann vorsichtig hervor, „Ich habe ihr geholfen und mich freiwillig auf sie eingelassen.“ Sie klang sehr schuldbewusst und fast schon verzweifelt. Das schien dem Mönch seine Fassung zurück zu geben. Er kam wieder zu ihr und lehnte sich etwas zu ihr herunter. „Es ist nicht ihre Schuld“, sagte er mitfühlend, Dieser Orden hat bereits zwei Mal einen solch bösen Keim in Gutes gewendet. Auch wenn sie keine Jägerin mehr werden können, sie können lernen diese Kraft in sich zu beherrschen.“ „Glauben sie das wirklich?“ blickte sie ihn mit tränennassen Augen an. „Ich bin sicher, dass sie es können“, lächelte er, „Und dann werden sie feststellen, dass es keine Liebe war, was dieser Vampir in ihnen geweckt hat. Sie hat sie nur getäuscht und das in ihnen kontrolliert, was sie selbst nicht kontrollieren konnten.“ „Alles war nicht echt?“ hauchte Michiru brüchig. Sie dachte an die Nacht am Strand und spürte einen Stich im Herzen. „Sie hat mich von Anfang an manipuliert und benutzt?“ Nun drängten die Tränen vollends in ihre Augen. Sie wollte nicht weinen vor dem Mönch. Nicht in diesem Augenblick und aus solch einem Grund. Sie schämte sich dafür, dass es ihr auch jetzt noch so weh tat, dass Haruka sie wirklich nie geliebt, sondern immer nur ihr Blut und die Macht in ihr gewollt hatte. Vielleicht hatte die Vampirin es nicht bewusst getan und war einfach nur genauso diesem Sensor füreinander verfallen, wie Michiru auch, doch auch das bedeutete, dass es nie echte Gefühle gegeben hatte. Ob nun Absicht oder nicht – diese Tatsache schmerzte. Was wieder den Gedanken aufbrachte, dass bei ihr vielleicht doch echte Gefühle im Spiel waren, was wiederum die Scham dem Geistlichen gegenüber nochmals erhöhte. Trotzdem konnte sie die Tränen nicht zurück halten und begann zu schluchzen. „Hätte ich doch nur auf Yuri gehört“, wischte sie sich die Tränen weg, „Sie hat gesagt, dass Vampire keine Liebe empfinden.“ „Yuri?“, fragte Bruder Takumi überrascht, „Yuri Hayakawa? Sie ist bei Haruka?“ „Ich kenne ihren Nachnamen nicht“, gab Michiru zur Antwort, „Aber sie hat mir von diesem Kloster erzählt und das sie hier aufgewachsen sei.“ „Yuri Hayakawa“, wiederholte der Mönch, „Sie ist hier aufgewachsen, ja. Sie war die zweite nach Haruka, die alles Jahrhunderte altes Wissen erfahren und zu einer außergewöhnlichen Jägerin werden sollte. Ihre Ausbildung war beinahe abgeschlossen, als sie verschwunden ist.“ „Verschwunden?“ blinzelte Michiru, „Ich dachte, ihr hättet sie geschickt?“ Bruder Takumi machte ein ernstes Gesicht. Michiru sah ihm an, dass er offenbar wichtige Informationen bekommen hatte und Zusammenhänge verstand, die er bisher nicht kannte. Und doch schien er irgendwie damit gerechnet zu haben, denn er blieb erstaunlich gefasst. „So war der ursprüngliche Plan“, setzte er sich wieder zu ihr, „Nach Beendigung ihrer Ausbildung sollte Haruka ihr Ziel sein. Sie weiß alles von dieser Vampirin, was es in diesen Mauern gibt. Jahrhunderte ihrer blutigen Taten lernte sie auswendig, ihren Ursprung, ihre Art und ihr Wesen. Sie war die ultimative Waffe gegen Haruka, denn sie hat ihr Leben lang nichts anderes getan, als den Vampir zu studieren. Doch dann verschwand sie. Ohne ein Wort, ohne jede Spur.“ „Niemand hat sie geschickt“, begriff Michiru in diesem Moment, „Sie ist bei Haruka, weil sie bei ihr sein will…“ „Diesen Anschein hat es leider“, bestätigte Bruder Takumi, „Und ich hoffe der Grund dafür ist nicht, dass sie das Geheimnis entschlüsselt hat.“ Da traf es Michiru wie ein Blitzschlag. Plötzlich verstand sie jegliches Handeln von Yuri und erkannte, was von Anfang an deren Plan gewesen war. „Doch“, flüsterte sie, „Ich fürchte, genau das hat sie...“ Kyosuke starrte Yuri an. Er hatte die Bestätigung, welche er benötigte, um alles zu wissen. Wirklich überrascht war er jedoch nicht. Dennoch angetan genug, dass er sich in eine sitzende Position kämpfte, um seinem Gegenüber seine volle Aufmerksamkeit zu widmen. „Du willst sie also für dich, aber dein Plan wird nicht aufgehen“, sagte er ruhig, fast ein wenig überlegen, „Auch wenn du ihr noch so viel bieten kannst – sie hat nur Augen für Michiru!“ „Sie wird von diesem Mädchen genauso angezogen, wie Michiru von ihr“, grinste Yuri, „Vampire empfinden keine Liebe. Alles was sie fühlt ist, dass ihre kühnsten Träume sich erfüllen, wenn sie dieses Mädchen zu ihrem Opfer macht. Wie eine Motte das Licht, lockt die in Michiru schlummernde Kraft Haruka und nur das verbindet sie mit ihr.“ „Und trotzdem lockt es sie zu Michiru und dich sieht sie nicht“, grinste Kyosuke ebenfalls, „Du bist wertlos für sie. Sogar dein großes Geheimnis wird sie irgendwann ohne deine Hilfe enthüllen. Sie hat alle Zeit der Welt.“ „Ich kenne nicht nur das Geheimnis jener Kraft“, kam Yuri ganz dicht zu ihm und lehnte sich vor, „Ich trage sie auch selbst in mir! Genau wie Michiru!“ Jetzt war Kyosuke überrascht. „Du trägst sie auch in dir?“ forschte er neugierig, „Und warum hat Haruka das nicht erkannt? Sie hat dich gebissen und dich zum Halbling gemacht – warum zieht es sie bei Michiru an und bei dir bemerkt sie es nicht einmal?“ „Weil ich mein Leben lang gelernt habe, es zu kontrollieren“, war die klare Antwort, „Und sogar für mich zu nutzen. So hab ich sie finden können. So fand ich Ayame und so fand ich Haruka. Mir war klar, dass Haruka mich nicht einfach so mit offenen Armen empfangen würde, also habe ich ein wenig rumgetrickst und das eine oder andere kleine Schauspiel konstruiert, um an sie heran zu kommen. Das sie dennoch so misstrauisch mir gegenüber sein würde, hatte ich allerdings nicht erwartet.“ „Sie hat nicht mitgespielt, hm?“ konnte er sich ein Lachen nicht verkneifen, „Hast du wirklich geglaubt, du tauchst auf und wickelst sie ein? Haruka? Lachhaft! Dieses Biest ist derart unberechenbar, dass sie sich selbst nicht traut!“ „Für mich ist sie das nicht“, prahlte Yuri schon beinahe, „Ich muss nur den richtigen Moment abwarten, ihr mein Angebot zu unterbreiten. Dann habe ich gewonnen. Ja, es gab einige kleine Lücken in meinem Plan, ich musste ein paar Rückschläge einstecken, aber am Ende bekomme ich doch genau das, was ich einzig und allein wollte!“ „Du bist noch viel schlimmer als Haruka“, raunte Kyosuke, „Ich komme ja beinahe in Versuchung dem Miststück zu gönnen, dass du sie in deine Arme zerren kannst.“ „Und was hast du mit Michiru vor?“ wollte er weiter wissen, „Denkst du wirklich, Blondie wird sie so einfach aufgeben und für immer vergessen?“ „Sie ist doch ein nettes Spielzeug“, entgegnete Yuri lapidar, „Und wenn sie wirklich ein Vampir wird, dann wird sie sich sowieso von Haruka abwenden, weil sie die ganze Wahrheit kennt und dann auch die Macht hat zu gehen.“ „Und natürlich hast du dafür gesorgt, dass Michiru die Wahrheit kennt“, bemerkte Kyosuke, „Du bist wirklich viel schlimmer als Haruka. Sogar sie besitzt Stolz und einen gewissen Stil.“ „Stolz hat noch niemanden ans sein Ziel gebracht“, zuckte Yuri mit den Schultern, „Mir ist jedes Mittel Recht. Sofern es mich nur an mein Ziel bringt!“ „Und was genau hast du jetzt vor?“ wollte er wissen, „Wie willst du Haruka davon abbringen dich zu töten und sich stattdessen in deine Arme zu schmiegen?“ „Es wird sich ergeben“, erklärte Yuri, „Zuerst werde ich Michiru aufsuchen und mit ihr sprechen. Danach weiß ich, ob ich sie noch brauchen kann oder ob ich vielleicht schon am Ziel bin.“ „Du willst jetzt zu ihr gehen?“ fragte Kyosuke, da sie direkt zur Tür ging, „Also bist du nur hier gewesen, um mit deinen Machenschaften zu prahlen! Du brauchst den Beifall, um dir selbst zu bestätigen, wie genial du bist.“ „Ich brauche keinen Beifall von einem sterbenden Werwolf“, brachte Yuri gelangweilt hervor, „Ich hab einfach gern das letzte Wort.“ „Du willst einen Triumph auskosten, den du noch gar nicht bekommen hast“, lachte Kyosuke, „Und das wirst du auch nicht! Denk an meine Worte, wenn es so weit ist, kleine Sklavin!“ Er lachte und sie verließ ohne ein weiteres Wort die Wohnung. Selbst als sie auf die Straße trat, hörte sie ihn immer noch lachen, doch ihrer inneren Zufriedenheit tat das keinen Abbruch. Was wusste dieser Wolf schon? Nur weil er Haruka ein paar Jahrzehnte gejagt hatte, kannte er sie nicht besser als Yuri das tat. „Wenn ich Michiru dazu bringen kann, zurück zu kommen, dann gehört der Sieg mir“, murmelte sie vor sich hin, „Wenn sie nicht mit mir kommt, muss ich es eben riskieren.“ Sie machte sich auf den Weg zum Kloster. Das Michiru nicht mehr bei Reijka war, wusste sie bereits. Zum einen, war Harukas Massaker ihr nicht verborgen geblieben und zum anderen, hatte Michiru bereits davor klargestellt, dass sie fortgehen würde. In weiser Voraussicht hatte Yuri ihr gegenüber das Kloster erwähnt. Sie war sich sicher gewesen, dass Michiru irgendwann dort Zuflucht suchen würde, sollte es wirklich zu einer Flucht kommen. Und je näher sie ihrem einstigen Zuhause kam, desto sicherer war Yuri sich, das die von ihr Gesuchte auch wirklich dort war. Michiru und Bruder Takumi sahen sich an. Es herrschte eine bedrückende Stille in dem riesigen Kellergewölbe und der Mönch fand als erster den Mut, sie zu unterbrechen. „Sie kennt das Geheimnis?“ fragte er fassungslos, „Hat sie das etwa gesagt? Ich meine…wie können sie so sicher sein?“ „Yuri ist der Grund, warum jetzt alles ist wie es ist“, gab Michiru leise zurück, „Sie war es, die mich davon überzeugt hat, dass ich Haruka verlassen muss. Genau genommen hat sie immer alles beeinflusst, seit sie damals aus dem Nichts aufgetaucht ist.“ Sie sah den Bruder an und der verstand sofort, dass Michiru nun bereit war, frei zu reden. „Yuri hat mich vor einem Werwolf gerettet“, begann sie zu erzählen, „Ich war schockiert, wie furchtlos sie sich dem Ungetüm in den Weg geworfen hat. Nun ist mir natürlich klar, warum sie keine Angst hatte. Sie hat mir das Leben gerettet und ich konnte sie doch nicht einfach so in der Nacht zurück lassen“, machte sie eine kurze Pause und murmelte dann schuldbewusst weiter, „Außerdem war ich unterwegs, ein Opfer für Haruka zu suchen, weil sie schwer verletzt war und…“ Sie brach ab und sah dem Mönch um Vergebung flehend in die Augen. „Ich weiß, ich habe schlimme Dinge getan“, wechselte sie das Thema, „Es wäre besser gewesen, Haruka hätte mich bei unserer ersten Begegnung gleich getötet. Ob ich nun diese, von Vampiren geschaffene, Kraft in mir trage oder nicht – was ich getan habe, ist nicht zu entschuldigen. Ich wusste wer und was Haruka ist und trotzdem habe ich die Augen vor allem verschlossen, was ich nicht sehen wollte.“ „So sind die Menschen“, erklärte Bruder Takumi mitfühlend, „Sie gehen mit offenen Augen durchs Leben und sehen doch nichts. Sie haben sich keines Vergehens schuldig gemacht, dass nicht auch jeder andere Mensch in seinem Leben mehr oder weniger schlimm begeht. Es liegt in der Natur unserer Spezies, Dinge zu übersehen.“ „Etwas zu übersehen ist das Eine“, schüttelte Michiru den Kopf, „Etwas absolut nicht wahrhaben zu wollen und darum standhaft zu leugnen, etwas vollkommen anderes. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Haruka getötet hat. Ich habe gesehen, wie kalt und manchmal schrecklich grausam sie ein Leben beendet und habe ihr doch die einzige Freundin überlassen, die ich noch hatte. Ich habe sogar am eigenen Leib erfahren, wie unberechenbar und gefährlich sie ist und trotzdem habe ich ihr jede Lüge geglaubt, die sie mir erzählt hat. Denn trotz allem was ich wusste, habe ich mich in sie verliebt und ihr damit alle Macht über mich gegeben.“ „Aber sie sind nun hier“, sprach Takumi beruhigend auf sie ein, „Sie haben das Böse, das sie bereits so stark infiziert hat, besiegt und sind hierher geflohen, um noch Schlimmeres zu verhindern. Das ist beinahe mehr wert, denn es zeigt wie stark das Gute in ihnen ist.“ „Aber ohne Yuri wäre ich gar nicht hier“, gab Michiru zu, „Nur weil sie immer wieder Zweifel in mir geweckt hat, bin ich ins Wanken gekommen. Ich wollte Haruka gar nicht verlassen. Ich wollte bei ihr sein und werden wie sie!“ Ihre Stimme klang verzweifelt und war geschwängert von Schmerz. „Selbst jetzt, nachdem ich schon Tage fort bin von ihr und mich heute endlich wieder wie ein Mensch fühle, spüre ich noch immer ihre Nähe. Jede Berührung von ihr ist so präsent, dass ich sie beinahe fühlen kann. Ich höre ihre Stimme und sehe ihr Gesicht, als stünde sie direkt vor mir. Und ich wünsche mir, sie käme mich holen und alles wäre wieder wie früher.“ „Vielleicht wird sie sie holen kommen“, wurde Bruder Takumi jetzt todernst, „Sehr wahrscheinlich sogar wird sie das tun. Doch solange sie das Kloster nicht verlassen, kann sie sie nicht bekommen. Letzten Endes liegt es an ihnen, wie sie sich entscheiden. Einen großen Schritt in Richtung Licht haben sie getan, also zweifeln sie nicht an ihrem nächsten Schritt, sondern gehen sie ihn!“ Er ging um den Schreibtisch und holte das Buch von dort. Nachdem er es an seinen Platz zurück gestellt hatte, löschte er die Kerzen und stellte einige davon wieder in die Regale, aus denen er sie vorher genommen hatte. Wortlos beobachtete Michiru ihn die ganze Zeit dabei. Als er wieder auf sie zukam, sah sie ihn fragend an. „Es ist egal aus welchem Grund sie hier sind“, erklärte er nochmals, „Sie sind es, also tun sie, was sie tun müssen. Lesen sie jedes Buch hier, wenn sie glauben, es bringt ihnen einen Nutzen. Nur seien sie vor Einbruch der Dunkelheit im Hauptgebäude!“ Die letzten Worte waren eine Warnung und guter Rat gleichermaßen. Bruder Takumi stieg die Treppen zum Garten hinauf und verabschiedete sich, oben angekommen, noch mal freundlich von Michiru. Dieses hätte noch so viele Fragen gehabt, doch gleichzeitig wusste sie, dass sie längst alle Antworten hatte, welche sie brauchte. Langsam erhob sie sich und schaute sich genau um. Sicherlich Tausende Bücher gab es hier, wenn nicht Zehntausende und Michiru wurde sich darüber bewusst, das Wissen zwar die größte Macht war, aber das mit großer Macht auch immer große Verantwortung einherging. Sie wusste eigentlich sowieso schon viel zu viel für einen normalen Menschen, der sie noch vor so kurzer Zeit gewesen war. Außerdem machte dieses Gewölbe ihr irgendwie Angst. Sie stellte sich vor, wie Yuri hier Tag und Nacht verbracht hatte und stellte fest, dass diese nicht nur stärker, sondern auch viel mutiger war, als Michiru selbst. Als eine Gänsehaut sich ihres Körpers bemächtigte und einen kalten Schauer über ihren Rücken laufen ließ, hatte sie es plötzlich furchtbar eilig, die steinerne Treppe hinauf zu kommen. Die Fackeln hatten bereits gebrannt, als sie mit Bruder Takumi das Gewölbe betreten hatte, doch selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte Michiru sie jetzt nicht wieder gelöscht. Sie wollte nur so schnell wie möglich diesen Keller verlassen, alle seine finsteren Offenbarungen hinter der hölzernen Tür verriegeln und zurück ins Klostergebäude. Erst dort würde sie sich wieder richtig sicher fühlen. Sie verschloss die kleine Tür und schlug sich über den schmalen Weg durch das Gestrüpp zurück Richtung Hauptgebäude. Obwohl die Sonne noch schien, hatte Michiru ein ungutes Gefühl und kam sich beobachtet vor. Immer wieder sah sie sich um und verfluchte den Umstand, dass es auf der Rückseite des Klosters keine Gemüsebeete gab. Dort arbeiteten immer irgendwelche Mönche und Michiru würde sich nicht vorkommen, wie eine Maus in der Falle. Nicht eine Menschenseele befand sich in diesem verwilderten Stück Klostergarten und doch fühlte es sich an, als wäre sie nicht allein. Wie oft sie sich aber auch umsah, sie konnte niemals irgendetwas Ungewöhnliches entdecken. Gerade jedoch, als Michiru anfing sich sicherer zu fühlen, trat Yuri hinter einem alten Baum hervor und schnitt ihr damit den Weg ab. Ein leiser Aufschrei entwich Michiru, dann biss sie sich auf die Lippen. Die Fronten waren geklärt, Geheimnisse gab es nicht mehr, das war beiden bewusst. „Ich hoffe du verzeihst mir, dass ich dir nicht alles erzählt habe“, begann Yuri als erste zu sprechen, „Doch hätte ich dir gesagt, die Mönche, die mich aufzogen und ausbildeten, verraten zu haben, dann hättest du mir wohl kaum vertraut. Und ich konnte einfach nicht zulassen, dass du bekommst was immer mir bestimmt war!“ Sie lachte leise und sah Michiru genau in die Augen. „Versteh das nicht falsch. Es ist wirklich nichts persönliches, Chiru. Aber während ich mein ganzes Leben Vampiren und anderen Dämonen opfern musste, nur wegen meiner Erbsünde, konntest du deine Kindheit genießen und bis zu deiner ersten Begegnung mit diesen Mächten ein ganz normales Leben führen. Findest du nicht auch, mir steht ebenfalls etwas von diesem Glück zu, dass immer nur deines war? Du tauchst aus dem Nichts auf und nimmst dir, wofür ich mein ganzes Leben lang gearbeitet habe. Das ist nicht fair und darum konnte ich es nicht zulassen!“ „Du…bist nur meinetwegen aufgetaucht“, verstand Michiru in diesem Moment, „Es ging dir einzig und allein darum, die Macht in mir nicht Haruka zu überlassen, sondern für dich selbst zu bekommen.“ „Richtig und falsch“, grinste Yuri, „Es ging mir um dich, aber nicht darum deine Kraft Haruka vorzuenthalten. Wie du sicher erfahren hast, schlummert jene Kraft auch in mir. Und im Gegensatz zu dir kenne und beherrsche ich diese Kraft. Mein ganzes Leben habe ich damit verbracht, sie zu entschlüsseln und das Geheimnis zu ergründen, was genau für eine Kraft es ist und wie sie geweckt wird. Und gerade als ich endlich den Durchbruch erzielt habe und erkenne, dass ich nun den Lohn für alles bekommen würde, da erscheinst du auf der Bildfläche und erweckst die Kraft, ohne auch nur zu wissen, dass du sie überhaupt hast. In mich hätte sie sich verlieben sollen, verstehst du? Haruka ist mir bestimmt und keinem sonst auf der Welt. Nicht in der Vergangenheit und auch in Zukunft nicht! Sie und ich zusammen ergibt die ultimative Kraft. Nichts und Niemand hat uns etwas entgegen zu setzen oder könnte uns etwas anhaben.“ „Es war also nichts weiter als Eifersucht?“ war Michiru überrascht, „Du willst Haruka für dich? Dann nimm sie dir – ich will sie nicht mehr!“ „Nur leider will sie dich“, gab Yuri zurück, „Der Prozess hat bereits begonnen und kann nicht mehr gestoppt werden. Das Verlangen nach deinem Blut in ihr wird erst dann wieder aufhören, wenn sie dich verwandelt hat und du für immer ihr Geschöpf sein wirst. In dem Moment, in dem du zu deinem neuen Leben erwachst, erwacht auch die Kraft in dir zu ihrer vollen Stärke und zusammen mit dir besitzt Haruka auch sie. Genauso wird sich die Kraft in dir nie mehr zur Ruhe begeben, ganz gleich, wie lange und wie weit du dich von Haruka fern hältst. Ein Teil von dir und deiner Kraft ist bereits in ihr und der Rest von dir, wird immer nach diesem Teil suchen, um endlich wieder ganz zu werden…“ Dass die Lage im Grunde ausweglos war, hatte Michiru längst begriffen, doch diese klaren Worte von Yuri brachten eine Endgültigkeit, mit der Michiru nicht klar kam. Am liebsten hätte sie sich einfach ergeben und ihrem Schicksal gefügt. Wozu sich wehren, wenn sie nun doch auf ewig mit der Vampirin verbunden war? Doch dann riss sie sich zusammen und nahm eine selbstbewusste Haltung an. „Ich werde hier im Kloster bleiben“, sagte sie fest, „Du liebst Haruka schon viel länger als ich, also sollst du sie haben. Es steht dir frei alles zu tun, was du willst oder dir zutraust. Und wenn ich lange genug fort bin, dann verliebt sie sich vielleicht noch in dich.“ „Und du glaubst wirklich, ihre Liebe reicht mir?“ lachte Yuri, „Ich will nicht nur ihre Liebe! Ich will, dass sie wieder zu dem wird, was sie die ersten Jahrhunderte ihres Daseins war. Ich will, dass sie der unberechenbare Dämon ist, den alle Welt gefürchtet hat und das sie zusammen mit mir die Macht auskostet, die keinem anderen Vampir sonst vergönnt sein wird – es sei denn wir haben ihn geschaffen!“ Michiru wurde flau im Magen. Mit jedem von Yuris Worten fühlte sie sich unwohler, denn sie machten ihr immer deutlicher, dass sie nicht nur ein Schlüssel zum Sieg war, sondern auch der einzige Störfaktor, in Yuris Plan, mit Haruka zusammen eine Art Weltherrschaft aufzubauen. „Du bist also hier, um mich zu beseitigen“, stellte Michiru fest, „Obwohl ich Haruka gar nicht haben will, bin ich ein Hindernis für dich und du willst mich töten.“ „Du bist kein Hindernis“, erklärte Yuri hochmütig, „Und dich zu töten wäre wohl mit Abstand das Dümmste, was ich tun könnte. Ich bin einfach hier, um dich zu warnen. Haruka wird alles versuchen, dich hier heraus zu locken. Doch entscheidest du dich für sie, dann werde ich da sein und mir die Kraft deines Blutes holen, nachdem Haruka dich verwandelt hat. Und dann könnte es passieren, dass ich sogar sie töten muss...“ Michiru schluckte. Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht und sie wusste genau, diese Worte waren ernst gemeint. „Ich bin, wie gesagt, nicht angewiesen auf die Macht in dir“, lächelte Yuri abfällig, „Ich und Haruka zusammen sind auch so stark genug. Aber wenn diese Macht erwacht, dann gehört sie mir und um an dich heran zu kommen, werde ich Haruka töten müssen.“ Michiru nickte zögerlich. „Ich werde das Kloster nicht verlassen“, versicherte sie eingeschüchtert, „Was auch immer Haruka versucht – diese Mauern werden von nun an mein Zuhause sein. Für den Rest meines Lebens.“ „Du nimmst meinen Platz ein und ich deinen“, grinste Yuri kühl, „Das ist nur fair, findest du nicht?“ Außer einem Nicken brachte Michiru nichts mehr zustande. „Gut“, machte Yuri sich zum Aufbruch bereit, „Sie wird kommen heute Nacht, sei dir dessen sicher. Also bereite dich gut vor!“ Dann verschwand sie durch das dicht gewachsene Grünzeug, ohne noch einmal zurück zu sehen. Michiru bekämpfte noch einige Sekunden das Zittern und die Angst, die ihren Körper gefangen hielten, dann rannte sie beinahe zum Klostergebäude. Sie stürzte in die kühlen Gänge, lief direkt in ihr Zimmer und warf sich atemlos aufs Bett. Erst da entspannte ihr Körper sich ausreichend und sie begann zu weinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)