Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 79: Turn 74 - Snowing Season ------------------------------------ Turn 74 – Snowing Season     Vorsichtig schloss Zanthe die Tür hinter sich. Das Hotelzimmer war stockfinster, sämtliche Rollos der Fensterfront heruntergelassen, sodass nur winzige Spalten des Lichts der Werbeanzeigen in den Raum drangen. Aber selbst wenn es hell gewesen wäre, könnte der Werwolf nichts sehen, da er fest die Augen zusammenkniff. Er hatte Kopfschmerzen und zwar gewaltige. Den ganzen Vormittag hatte er mit Exa gejagt und Junge, war das ein Anblick, diesen Typen jagen zu sehen. Selten waren Erinnerungen an eine Jagd so klar wie dieses Mal. Nachdem Zanthe danach eine Weile geruht hatte, waren sie nach Ephemeria City zurückgekehrt, was Stunden gedauert hatte.   Müde schlurfte der junge Mann zu seinem Bett, das der Zimmertür von den dreien am nächsten war. Dabei stieg ihm ein süßer Geruch von Lavendel in die Nase. Hatte Anya sich etwa gebadet oder gar Parfüm aufgetragen? Das war ja was ganz Neues! Falls er morgen aufwachte, bevor sie ihn mit einem Kissen erstickt hatte, würde er sich darüber lustig machen, nahm sich Zanthe vor. Er ließ sich auf die Bettkante nieder und legte sich der Seite lang hin. Dieser Trottel Exa, er würd-   Etwas stieß gegen seinen Rücken. Sofort schreckte Zanthe auf, betätigte in der Bewegung den Lichtschalter über dem Kopfende, um die Seitenbeleuchtung des Zimmers zu aktivieren. Kaum war er auf den Beinen und hatte die Augen aufgerissen, da sah er vor sich eine Schwarzhaarige in einem schwarzen Totenkopf-Nachthemd liegen. Jene öffnete die Augen benommen. „Valerie!?“, platzte es aus Zanthe heraus. „Oh“, nuschelte die verschlafen, „tut mir leid, ich wusste nicht, dass du …“ „Du bist zurück!“, stellte da noch jemand fest. Matt im mittleren Bett war aufgestanden und betrachtete den Werwolf erstaunt, trug dabei nur ein schwarzes T-Shirt und Boxershorts. „Wo warst du die ganze Zeit?“ „Werwolfangelegenheiten regeln“, antwortete jener wahrheitsgemäß. Sein Blick richtete sich wieder auf Valerie, die sich jetzt an die Bettkante setzte. „Was machst du hier?“ „Das ist etwas kompliziert“, antwortete Matt für sie, „Anya hat entschieden, dass sie heute bei uns bleibt. Wir erklären dir alles morgen, wenn dir das reicht.“ „Meinet-!“   Wenn man vom Teufel sprach, so kam er sprichwörtlich und holte einen. Jene Erfahrung machte in diesem Moment auch Zanthe, als hinter Matt ein Schatten aus dem Bett in der Ecke über jene gesprungen kam. Instinktiv und das trotz Migräne wich Zanthe nach hinten aus, als eine Speerspitze auf seine Kehle zielte. Da stand sie. Klein, grimmig und schlechter gelaunt denn je: Anya, in Boxershorts und Totenkopf-Shirt mit Angel Wing in seiner Speerform in den Händen. „Wie willst du sterben, Flohzirkus!?“ „Wie wär's mit gar nicht?“, erwiderte der gallig. „Steht nicht zur Auswahl!“ Demonstrativ ließ Anya den Speer ein Stück nach vorne schnellen, was Zanthe in etwa so beeindruckte wie die sekundären Geschlechtsmerkmale einer Frau. Sprich gar nicht. „Sag bloß, er hat schon gepetzt“, schnarrte Zanthe daraufhin entnervt. „Was hast du dir dabei gedacht, den Zwerg zu vermöbeln!?“, fuhr Anya ihren Freund verständnislos an und zog den Speer zurück, um ihn mit dem Ende des Schafts auf den Boden zu setzen. Matt murmelte im Hintergrund an Valerie gewandt: „Fragt diejenige, die ihn in der Notaufnahme hat sitzen lassen …“ „Ich habe mich schon dafür entschuldigt!“, schnauzte Anya zurück. Nur um den Werwolf im Anschluss wieder blutdurstig zu betrachten. „Was hat er dir getan, huh?“ „Mir hinterher geschnüffelt. Hast du ihn darum gebeten?“ Bevor Anya verblüfft verneinen konnte, seufzte Zanthe jedoch einsichtig: „Es tut mir leid. Ich werde mich morgen bei ihm entschuldigen, sofern er mich sehen will. Es ist mit mir durchgegangen …“ Der Dämonenjäger umrundete inzwischen Zanthes Bett und stellte sich neben Anya, gestikulierte mit der rechten Hand, als er meinte: „Ich habe dir ja gesagt, dass er überfällig war.“ „Hmpf“, schnaubte Anya, wandte sich ab und ließ Angel Wing verschwinden. „Was auch immer, ist mir egal. Wenn du hier bleiben willst, musst du wohl oder übel auf dem Boden pennen …“   Ohne es zugeben zu wollen, versetzte Anyas desinteressierte Art Zanthe einen Stich. Aber wen wunderte es, wenn man bedenkt, wie stiefmütterlich er sie und Matt in den letzten Tagen behandelt hatte. War es nun so weit, war er ihnen egal?   „Tut mir leid“, brachte er schweren Herzens an Anya gewandt hervor, „für das Verhalten, das ich seit Kurzem an den Tage lege. Aber dafür gibt es einen guten Grund.“ Anya, die vor ihrem Bett angelangt war, zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Was nützt mir das, wenn ich nicht mal weiß, was für ein Grund das sein soll.“ „Ich erzähl's dir, irgendwann. Versprochen.“ „Tch. Was auch immer …“ Damit legte sie sich wieder ins Bett und drehte ihm den Rücken zu.   ~-~-~   Am nächsten Tag saßen sie zu viert in einem kleinen Café um die Ecke. Zanthe sog jedes Wort in sich auf, das Matt neben ihm über Marcs Verrat verlor. Sie alle saßen über ihren Spiegeleiern, Toast Hawaii und anderen Speisen. In der Ecke des rustikalen Gebäudes, dessen Wände im Backstein-Look gehalten wurden, befand sich ein Fernseher, wo gerade auf einem der lokalen Duel Monsters-Channel über das Turnier berichtet wurde. „… und dann ist Anya ihr hinterher“, schloss Matt die Geschichte ab. „Yeah. Redfield wollte nicht zurück in ihr Zimmer, da hab ich sie mitgenommen. Konnte ja nicht ahnen, dass du nochmal auftauchst“, übertrieb Anya es wie gewohnt. Valerie schob ihren noch halb vollen Teller von sich. „Können wir bitte über etwas anderes reden?“ „Tut mir leid, dass dir das widerfahren ist“, sagte Zanthe, dem vom auf den Boden schlafen noch immer der Kopf schmerzte. „So etwas tut man nicht, egal wie nobel die Intention dahinter ist. Trotzdem solltest du mit ihm reden-“ „Bitte“, wurde Valerie deutlicher. „Das Letzte, worüber ich im Moment nachdenken möchte, ist Marc.“   Mit diesen Worten zog sich einen Schleier des Schweigens um den Tisch in der Ecke. Im Fernsehen wurde über Othellos gestrigen Sieg gesprochen. „Der ist ein harter Brocken“, kommentierte Zanthe das Ganze mit Schulterblick auf den Bildschirm gerichtet, da die Jungs mit dem Rücken zum Fernseher saßen. „Ich habe keine Ahnung, wie ich den Krüppel besiegen soll“, gestand Anya ungewohnt selbstkritisch und tunkte lustlos eine Fritte in den Ketchup auf ihrem Teller. „Pendelmonster sind scheiße. Wer hat diesen Mist doch gleich erfunden?“ „Melinda“, beantwortete Valerie die Frage tonlos. „Zur Hölle sollst du fahren, verdammte Schnöselschwester!“ Das sah Zanthe als die Gelegenheit, mit aufmunternden Worten bei Anya Boden wieder gutzumachen. „Ach, sei doch nicht so negativ. Was dir an Intelligenz fehlt, machst du mit unverschämt viel Glück wieder wett. Wenn du nicht weiter weißt, wird Levrier dir schon helfen.“ Selbst er musste allerdings erkennen, dass aufmunternde Worte anders klangen, als Anyas Spiegelei in sein Gesicht klatschte.   Während Zanthe grimmig damit beschäftigt war, sich das Ganze mit einer Serviette aus dem Gesicht zu wischen, sagte Matt: „Du hast noch einen Tag Zeit, dich vorzubereiten. Das Finale findest erst morgen statt.“ „Yeah“, brummte Anya, „aber was soll ich noch tun? Ich hatte mein Rematch mit Melinda schon, aber obwohl ich gegen sie gewonnen habe, konnte ich die Pendel an sich nicht besiegen.“ „Hast du keine Karten in deinem Deck, die seine Monster mit anderen Methoden als Zerstörung entsorgen?“, fragte Valerie, jedoch ohne wirklichen Elan dahinter. Sie verfolgte nebenbei die Berichterstattung. „Ne. Ich dachte, es reicht, die Monster in den Pendelzonen zu zerstören, um ihn daran zu hindern, seinen Pendelbereich aufzubauen.“ Anya schnaufte wütend. „Aber Othello hat in seinem Duell mit Kakyo bewiesen, was ich vermutet habe. Selbst wenn beide Pendelkarten zerstört werden, kann er trotzdem im nächsten Zug einen neuen Pendelbereich aufbauen und eine ganze Armee an Monstern aus dem Extradeck beschwören, weil die zerstörten Pendelkarten ebenfalls dort landen.“ „Vielleicht fällt dir noch was ein“, zeigte sich Matt optimistisch, „ich finde es gut, dass die Termine der ganzen Duelle so nah beieinander lagen. Dadurch hast du nicht allzu viel Zeit verloren. Ich meine, in der Profiliga musst du teils eine ganze Woche warten, bis das Finale der Saison stattfindet.“ Die Schwarzhaarige neben Anya überlegte: „Vermutlich haben die Fords das bewusst arrangiert, um dich nicht zu lange an diesen Ort zu binden. Du hast wirklich Glück, Anya …“   Zanthe, der endlich fertig damit war, sein Gesicht zu säubern, warf ein: „Also ich kenne mindestens eine Karte, die dir helfen könnte. Die hast du selber schon gegen mich eingesetzt.“ „Ach ja?“, fragte Anya skeptisch. „Welche soll das sein?“ Ihr in Ungnade gefallener Freund hob belehrend den Zeigefinger. „Erinnerst du dich noch an die Nacht, als du mich nach Livington mitgenommen hast?“ „Leider …“ „Wir haben uns mindestens zehnmal in deinem Zimmer duelliert“, ignorierte er ihren galligen Kommentar gekonnt und erklärte: „Du hast jedes Mal den gleichen Fehler begangen. Mindestens dreimal habe ich [Constellar Omega] beschworen, du hast deine Karte gespielt und siehe da: Mein Omega war plötzlich immun.“ Die Blonde richtete sich kerzengerade auf. „Sag nicht … An -die- hatte ich gar nicht mehr gedacht!“ Selbstherrlich grinste Zanthe das Mädchen an. „Wenn du die im richtigen Moment benutzt, kannst du seine Strategie vielleicht komplett lahmlegen.“   Gerade als er dem interessiert dreinblickenden Matt erklären wollte, worum es sich bei dieser Karte handelte, stellte irgendjemand den Fernseher lauter. Eine weibliche Stimme erklärte: „Wir unterbrechen unsere Berichterstattung über Othello Nikoloudis für eine Eilmeldung! Gerade wurde ein Interview von der AFC mit Marc Butcher veröffentlicht, seines Zeichens einer der letzten acht Teilnehmer des Legacy Cups.“ Sofort wandten sich alle vier in ihrer Ecke erschrocken dem Bildschirm zu, der noch für eine Sekunde das Bild einer adretten, brünetten Frau hinter einem Tresen zeigte, ehe in einen dunklen Raum mit zwei Sesseln gewechselt wurde. In einem davon saß Marc, gekleidet in weißem Hemd und schwarzer Hose. Im anderen ein älterer Mann, noch feiner angezogen. Doch was wirklich für erstaunte Blicke sorgte war die Schlagzeile, die unter den beiden durchscrollte. „Marc Butcher gesteht Betrugsversuch an Valerie Redfield!“   Die Augen der Schwarzhaarigen neben Anya weiteten sich, ihre Hände umklammerten das Ende der Tischdecke und wurden zu Fäusten geballt. Gleichzeitig begann der grauhaarige Reporter zu fragen: „Mr. Butcher, Sie sind sicher, damit an die Öffentlichkeit gehen zu wollen?“ „Ja“, erwiderte der junge Mann entschlossen. „Was haben Sie getan?“ „Meine Verlobte betrogen und damit ihren Ruf vielleicht unwiderruflich zerstört. Deshalb gehe ich jetzt an die Öffentlichkeit.“ „Um Ihre Verlobte zu entlasten? Man wirft ihr vor, im Halbfinalspiel des Legacy Cups gegen Anya Bauer betrogen zu haben.“ Die Worte des Mannes ließen Valerie sichtbar verkrampfen. „Sie hatte eine verbotene Karte in ihr Deck integriert.“ „Ich war es gewesen“, gestand Marc ohne große Umschweife. Große Schweißperlen standen auf seiner Stirn. „Ich habe die Karte heimlich hinzugefügt.“ „Warum haben Sie das getan, Mr. Butcher?“ Der senkte sein Haupt. „Wir hatten uns am Tag davor gestritten. Ich war neidisch, weil sie weitergekommen ist und ich nicht. Also habe ich dafür gesorgt, dass sie ausscheidet. Hätte ich gewusst …“   „Das ist doch eine glatte Lüge“, schoss es aus einem erstaunten Matt heraus, der ruckartig aufsprang, „was macht er da!?“ „Er versucht, ihren Ruf wiederherzustellen. Siehst du doch“, gab Zanthe trocken zurück. In diesem Moment sprang auch Valerie auf und eilte von dannen. Die Tür des Cafés fiel ins Schloss, da hatten die drei anderen aufgrund des Interviews noch gar nicht begriffen, was hier geschah. „Anya, du musst ihr hinterher“, meinte Matt sofort. Die erhob sich, doch als sie ihn ansah, war ihr Blick düster: „Nein, du übernimmst das diesmal. Mir ist gerade eingefallen, dass ich meinem 'eigenen Marc' noch Hallo sagen muss.“ „Du meinst“, fragte Matt erstaunt und sprach Nicks Namen nicht aus, nickte dann aber. „Na gut, vielleicht hole ich sie noch ein.“ Das Interview lief im Hintergrund weiter und sorgte im Café für großes Getuschel. Anya aber interessierte das herzlich wenig, denn wenn das Marcs Art war, Valerie um Vergebung bitten zu wollen, hatte er kläglich versagt. Was für ein Idiot, dachte er wirklich, ihr würde es besser gehen, wenn die Leute sie jetzt bemitleideten!? Sofern überhaupt einer diesen Bullshit glaubte!?   Anya schob sich aus der Ecke am Tisch vorbei, da rief Zanthe ihr hinterher: „Hey! Und was soll ich jetzt machen!?“ „Bezahlen“, erwiderte Anya tonlos, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Sie fügte noch eisig hinzu: „Und dich bei Logan entschuldigen.“ Zanthe erwiderte etwas darauf, doch Anya hörte es nicht mehr, denn ihre Gedanken waren bereits darauf ausgerichtet, Nick zur Rede zu stellen …   ~-~-~   „Hallo Sonnenschein“, strahlte Nick ihr etwa eine Dreiviertelstunde später vom Bildschirm des Laptops nichts ahnend entgegen. Seine freudige Mimik wich einer ernsten, als Anya ihrerseits keine Regung zeigte. „Ist etwas passiert?“, fragte er angespannt. „Ist Kali wieder aufgetaucht? Sag etwas, Anya!“ „Hast du Redfield in ihrem eigenen Haus angegriffen?“, fragte diese nach fast einer Minute Stille tonlos. „Und stimmt es, dass du Summers ein Messer an die Kehle gedrückt hast?“ Nick schloss die Augen. Er stützte sich mit den Ellbogen auf seinem gläsernen Tisch ab und faltete die Hände ineinander. „Ja, beides ist korrekt. Hat man dir gesagt, warum ich das getan habe?“ „Marc hat erzählt, du wärst von einem Redfield-Lookalike in eine Falle gelockt worden.“ „So ist es. Und ich habe genau den Fehler begangen, den unser Feind herbeigesehnt hat: Ich habe die echte Valerie verdächtigt.“ Nick öffnete die Augen. „Ich wollte dir nichts davon erzählen, solange ich nicht weiß, wer uns da hat auflaufen lassen. Du hattest und hast immer noch genug Probleme, als dich auch noch um so etwas zu kümmern.“ Anya verzog noch immer keine Miene. „Und das mit Matt?“ „Ich traue ihm nicht. Er ist irgendwie anders, seit er wieder in Livington ist.“ „Du bist auch anders, seit du nicht mehr so tust, als wärst du ein Idiot“, erwiderte Anya grimmig. „Nein, ich war schon immer so, habe es nur nie gezeigt. Matt dagegen … ich weiß nicht, ob er dich beschützen kann, wenn es drauf ankommt. Ob er es überhaupt wird.“ Trotzig zog Anya die Nase nach oben. „Niemand muss mich beschützen, ich kann auf mich selbst aufpassen!“ Zed würde da gerne ein Wörtchen mitreden.   Anya hörte Levriers Spitze gar nicht. Sie beugte sich nach vorne über den kleinen, runden Tisch in ihrem Zimmer und starrte Nick herausfordernd an.   „Kannst du nicht“, widersprach der ihr ebenso und ließ die Arme sinken, „aber ich kann es auch nicht. Matt verheimlicht uns etwas und ich wollte herausfinden was. Eins hat zum anderen geführt. Ich bin nicht stolz darauf, bereue es aber auch nicht.“ Seine Freundin schnaubte verärgert. „Ist ja kein Wunder, dass keiner meiner Freunde dich leiden kann, wenn du jedem bei der kleinsten Gelegenheit an die Gurgel gehst.“ Ein freches Grinsen huschte über ihre Lippen. „Wüsst' ich es nicht besser, würde ich glatt sagen, wir wären verwandt.“ Nick lachte düster auf. „Sag bloß, du glaubst den Mist, den Zachariah verbreiten wollte?“ „Nö.“ „Gut so.“ Der zerzauste, junge Mann lächelte zufrieden. „Dass sie mich nicht mögen ist verständlich, aber leider nicht zu ändern. Wenn sich die Wogen geglättet haben, werde ich Abby darum bitten, ein wenig ihren Charme spielen zu lassen.“ Anyas Grinsen verlor sich. „Der Flohpelz misstraut Summers auch und du hast Recht, irgendwie ist er … anders. Kann ich mich wirklich auf ihn verlassen?“ „Ich weiß es nicht, Anya“, gestand Nick, „aber im Moment brauchen wir jede Hilfe, die wir kriegen können. Behalte ihn einfach im Auge. So, ich muss Schluss machen. Meinen Arbeitgeber dürstet es nach meiner ungeteilten Aufmerksamkeit.“ Die Blonde nickte knapp. „Ist gut. Ich muss sowieso nach Summers und Redfield suchen.“ „Das Interview habe ich gesehen, kurz bevor du mich angeschrieben hast. Ich weiß nicht, ob ich ihn für seinen Mut, ein öffentliches Geständnis abzulegen, bewundern oder für diesen erbärmlichen Wiedergutmachungsversuch bemitleiden soll. Kümmere dich um Valerie, sie braucht dich jetzt“, riet Nick abschließend. „Yeah. Aber erstmal muss ich sie finden. Also gut, man sieht sich, Harper.“ „Meld' dich ruhig, sobald du sie gefunden hast.“ „Ah, und noch etwas“, fiel es dem Mädchen ein. Ihr Blick verdüsterte sich noch einmal merklich, als sie sich erhob, „beim nächsten Verdacht meldest du dich erst bei mir, ehe du handelst. Klar?“ Emotionslos erwiderte ihr Freund. „Verstanden."   Nachdem die beiden sich voneinander verabschiedet hatten, beendete Nick sein Skype-Programm. Wieder einmal hatte er seine Schwester angelogen. Aiden war gar nicht in seinem Büro und wartete auf ihn. Stattdessen lehnte Alexandra hinter ihm an der Wand, wohl gemerkt außerhalb des Winkels der eingebauten Kamera seines Laptops und hatte das Skype-Gespräch still mitverfolgt. Die Blonde war in einen braunen Trenchcoat gehüllt. Regentropfen prasselten gegen die Fensterfront von Nicks Büro. Es stürmte regelrecht in Livington. „Erstaunlich, wie eiskalt du sie anlügen kannst“, kicherte seine Partnerin, „zu mir hast du gesagt, dass dir ihre Freunde gleichgültig sind.“ „So ist es auch, aber das muss sie nicht wissen.“ Nick klappte den Laptop zu, erhob sich und wandte sich Alex zu. „Ich hoffe, du konntest deinen Informanten erreichen.“ „Ja, aber er kann sich erst morgen mit uns treffen.“ „Wann?“ Ein herausforderndes Lächeln zierte die roten Lippen der Schatzsucherin. „11 Uhr.“ „Also kann ich Anyas Duell nicht mitverfolgen?“ Nick funkelte sein Gegenüber finster an. „Gut eingefädelt.“ „Sei froh, dass ich dir helfe.“ „Sei froh, dass du noch dazu in der Lage bist.“ Schlagartig lachte die zierliche Frau mit dem leicht gewellten, dunkelblonden Haar vergnügt auf und stieß sich von der Wand ab. Sanft legte sie ihre Hand an Nicks Wange und küsste ihn auf die andere. „Bin ich.“ Sie zog an ihm vorbei und sagte: „Wir sehen uns nachher. Lass dich nicht von Reid ärgern.“   ~-~-~   Verspielt tänzelte das schwarze Haar um Valeries Gesicht. Sie stand über das Geländer gelehnt, das den gepflasterten Gehweg vom Fluss trennte. Nicht weit von ihnen spannte sich eine riesige Brücke von einer Hälfte Ephemeria Citys zur anderen. „Ganz schön windig. Zu windig für meinen Geschmack“, beklagte sich Matt außer Atem, als er das Mädchen endlich erreicht hatte.   Sie befanden sich am äußersten Rand einer der sechs Parkanlagen der Stadt, direkt unter dem Schatten einer der Bäume der Allee. Tatsächlich war die Erschöpfung des Dämonenjägers nur gespielt. Matt hätte Valerie schon viel früher einholen können, doch wollte er ihr zunächst ein bisschen Zeit mit sich selbst einräumen. Nachdenklich verharrte sie nun schon eine Weile dort. Erwiderte: „Ein Sturm zieht auf.“ „Wirklich? Ich höre nur selten den Wetterbericht.“ „Es ist nett, dass du mich aufmuntern möchtest, aber das ist nicht nötig.“ Er gesellte sich zu ihr. Entgegen seiner Erwartungen war ihr Gesicht nicht nass von Tränen, wie es gestern der Fall war, als er ins Hotelzimmer zurückgekehrt war und sie dort mit Anya vorfand, die Schwarzhaarige in den Armen der Blonden. Wie hilflos und unbeholfen Anya dabei ausgesehen hatte, fast zum Schießen, wäre der Anlass nicht so bedrückend gewesen. Doch dieses Mal strahlte Valerie eine seltsame Form von Ruhe aus. Hatte sie Marc vergeben? „Wir sind alle Freunde, das ist selbstverständlich“, erwiderte er gutmütig. „Danke. Richte bitte auch Anya aus, dass ich froh war, die Nacht bei euch im Hotel verbringen zu dürfen. Aber ich suche mir nachher ein eigenes.“ „Du willst nicht zu Marc zurück?“ „Ich“, sagte Valerie und ihre Stimme senkte sich, „werde nie wieder zu Marc zurückkehren. Sobald ich den Scherbenhaufen zusammengesammelt habe, der mal mein Herz war, werde ich die Verlobung lösen.“ Matt stand der Mund offen. „Was!? Aber er hat doch-!“ Das Mädchen senkte den Kopf. „Ich fühle gar nichts mehr, Matt. Gar nichts. Weder Schmerz noch Hass noch irgendetwas anderes. Es ist beängstigend, aber ich bin froh, dass es so ist, auch wenn ich es nicht verstehe.“ „Als wäre er gestorben und du durchläufst noch den Prozess des Begreifens?“ „Marc ist schon lange tot.“ Valerie drehte sich ihm zu, ihre Mimik war frei von irgendwelchen Emotionen, als ihr Haar das Gesicht verschleierte. „Er ist nur hier, weil ich ihn nicht gehen lassen konnte. Versteh' mich bitte nicht falsch, ich bereue es nicht, ihn ins Leben zurückgeholt zu haben. Aber für mich ist er jetzt wirklich … tot.“ Der Dämonenjäger drehte sich weg und lehnte sich nun seinerseits über das Geländer. „Sag so etwas nicht. Du bereust es später, glaub' mir. Das sind nur die ersten Tage, in denen du so viel fühlst, dass es dir vorkommt, als würdest du gar nichts empfinden.“ „Mag sein. Es ist noch etwas Zeit, ehe ich Marc ein letztes Mal gegenüber stehe. Wenn du Recht hast, werde ich meine Worte bis dahin überdenken.“ Valerie entfernte sich von ihm. „Danke, Matt.“ Betrübt sah er dem Mädchen hinterher, wie es alleine im Wind durch die Allee zog. Leise flüsterte er: „Wie kann man für so etwas dankbar sein?“   ~-~-~   Zum wiederholten Male klopfte Zanthe gegen die grüne Holztür. Dank Anya wusste er, dass Logan in einem kleinen Motel etwas abseits von Ephemeria City übernachtete. Draußen auf dem Parkplatz stand sein schwarzes Motorrad neben einigen, wenigen Fahrzeugen. Das gelbe, längliche Gebäude wirkte etwas heruntergekommen, da der Putz schon an einigen Stellen abgeplatzt war. „Ich weiß, dass du da bist, also hör' auf, dich unter dem Bett zu verstecken“, schnarrte der Werwolf ungeduldig. Er wollte das jetzt hinter sich bringen! Genervt nahm er einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. In regelmäßigen Abständen gab es Türen, genau wie diese, bis zu seiner Linken ein Knick folgte, von wo aus es nach hinten noch weiterging. Der Parkplatz befand sich in der Innenseite des L-Schenkels.   „Dann eben nicht.“ Der Werwolf rollte mit den Augen und wollte schon abdrehen, da schwang die Tür auf und Logans demoliertes Haupt lugte durch den Schlitz. Zerzaustes, schwarzes Haar und Augen voller Schlaf sagten genug aus. „Was willste?“, brummte der Mann. Wie der größere, aber optisch jüngere Zanthe ihn betrachtete, mit den Pflastern an der linken Wange und Bandage um den Kopf, kam das schlechte Gewissen hoch. So ungern er es zugab, hatte Anya Recht, er schuldete Logan eine Entschuldigung. „Dich um Verzeihung bitten wegen dem, was vorgestern geschehen ist“, gestand er daher aufrichtig, „darf ich kurz reinkommen?“ „Nein.“ Als Logan den getroffenen Gesichtsausdruck des jungen Mannes sah, fügte er hinzu: „Sieht dort drinnen gerade wie auf einem Schlachtfeld aus. Ist besser, wenn du das nicht siehst. Nichts gegen dich.“ „Also wirst du keine Anzeige erstatten?“, fragte Zanthe vorsichtig. „Nein. Schnee von gestern.“   Dem Kopftuchträger in seiner blauen Jacke entfuhr ein erleichterter Laut, denn ein wenig hatte er sich doch davor gefürchtet. Aber es war erstaunlich. Er hätte Logan nicht als jemanden eingestuft, der so locker drauf war. Zumindest von dem zu urteilen, wie Anya ihn beschrieben hatte.   Allerdings war Zanthe ein Skeptiker, der lieber zweimal nachfragte. „Wirklich?“ „Ja.“ „Danke.“ „Kein Ding.“ Er traute es sich gar nicht, danach zu fragen, aber etwas ging ihm seit dem Weg hierher nicht aus dem Kopf. „Sag mal, war das Angebot ernst gemeint?“ „Welches?“ „Als wir abgehauen sind, da hast du gesagt, Exa könnte in deiner Werkstatt anfangen, sobald wir wieder in Livington sind. Oder habe ich mir das nur eingebildet?“ „Hast du nicht“, erwiderte Logan und trat nun vor die Tür. Sein unbekleideter Oberkörper war haarig, sehr haarig. Nicht Zanthes Geschmack, wie dieser insgeheim feststellte. Aber schön durchtrainiert, das musste man ihm lassen. Davon musste er Anya unbedingt erzählen, sofern die sich überhaupt etwas daraus machte. Manchmal glaubte er wirklich, sie war asexuell. Logan bemerkte die musternden Blicke, während er sprach. „Wenn er ein bisschen von Maschinen versteht, können wir es gerne versuchen. … wieso starrste mich so an?“ „N-nichts. Gegenfrage: Wieso bist du so nett zu uns? Du vergibst mir, obwohl ich dich krankenhausreif geschlagen habe, würdest Exa einstellen, obwohl du ihn nicht einmal kennst …“ „Weiß halt, wie es ist, ganz unten zu sein.“ Dem Schwarzhaarigen entfuhr ein betrübtes. „Oh“, gefolgt von: „Ich würde gerne mehr darüber erfahren. Anya redet nicht viel über dich und das, was sie sagt, naja …“ … war meist nur wütendes Gebrabbel, das eigentlich verliebtes Getuschel sein sollte. Wäre doch zu interessant zu erfahren, wie der Mann, der ihr Herz zu erobern schien, so drauf war. „Willst dir ein eigenes Bild machen, was?“ Er nickte und lachte dann bissig: „Warte kurz hier, ziehe mir nur schnell was über.“   ~-~-~   Als Zanthe ein paar Stunden später gut gelaunt, das Hotelzimmer der Drei betrat, war er nicht alleine. Anya saß an dem kleinen Tisch und sah aus dem Fenster eine Werbung Claire Rosenburgs am Wolkenkratzer gegenüber an, in der es um Motorradanzüge ging. „Na, denkste, die stellen solche auch in deiner Größe her?“, neckte der Werwolf sie und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. „Mir doch egal“, murmelte Anya grimmig. „Du quillst ja mal wieder förmlich vor guter Laune über.“ Mit der Zunge schnalzend stellte sich der gebürtige Italiener neben seine Freundin. „Ich habe mich bei Logan entschuldigt, wie du es wolltest. Könntest du jetzt bitte aufhören 'rumzuschmollen und wieder damit anfangen, von mir genervt zu sein?“ „Hmpf.“   Zanthe zog hinter Anya vorbei, schnappte sich den anderen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber. Abgewandt wie sie da saß, so nachdenklich drein blickend, wirkte sie irgendwie verloren. Der Schwarzhaarige ahnte warum. „Hast wohl Schiss, morgen zu verlieren, was?“ „Geht dich 'nen Feuchten an.“ „Du hast deinen Bruder, einen ehemaligen Weltmeister und beinahe auch Valerie besiegt.“ Zanthe seufzte. „Räum' dir ruhig bessere Chancen ein, so schlecht bist du nicht. Vielleicht etwas unbeholfen, aber du hast dich verbessert.“ „Nein, mein Deck hat sich verbessert, weil ich jetzt Hüterkarten besitze.“ „Oh man.“ Seufzend stützte Zanthe seinen Ellbogen auf den Tisch und seine Wange an der Handfläche ab, dabei Anya mitleidig betrachtend. „Dein Ego-Airbag ist tatsächlich geplatzt. Wer war's, Matt, Levrier oder gar Nick? Hast du ihn deshalb zur Rede stellen wollen?“ „Wenn ich morgen verliere, war alles umsonst. All das Leid, das dadurch entstanden ist, weil ich an diesem beschissenen Turnier teilnehmen muss.“ Anya betrachtete Zanthe kritisch aus dem Augenwinkel. „Und mein Traum, Duel Queen zu werden, wird mit mir sterben, wenn ich verliere.“   Sprachen da etwa Schuldgefühle aus ihr, fragte Zanthe sich erstaunt. So erlebte man das Mädchen äußerst selten. Aber anscheinend wurde selbst ihr der Druck mal zu viel. Wenn man bedachte, dass es wohl nie zum Zerwürfnis zwischen Valerie und Marc gekommen wäre, müssten sie nicht an Claire Rosenburg herankommen, war Anyas Aussage durchaus korrekt. Ohne das Turnier hätte er, Zanthe, vielleicht auch nie Exa kennengelernt und sich von seinen Freunden entfernt. Sie dachte wohl wirklich, alles wäre ihre Schuld …   Gerade wollte Zanthe ihr mit tröstenden Worten versichern, dass dem nicht so war, da flog die Tür auf. Matt schlurfte erschöpft atmend ins Zimmer. „Hey, Summers“, rief Anya ihm träge zu, stand auf und ließ Zanthe links liegen, „wie ist es gelaufen? Wo ist Redfield?“ „Valerie kommt nicht wieder.“ Im Anschluss erklärte er den beiden, was Anyas Erzrivalin gesagt hatte. Zumindest waren sich die Drei diesbezüglich einig: Valerie sollte sich Zeit nehmen, ehe sie entschied, wie es mit Marc weitergehen sollte. Zwar boten Zanthe und Matt Anya danach an, sich noch ein wenig mit ihr auf den morgigen Tag vorzubereiten, doch die lehnte ab, nahm ihr Deck mit ins Bad und schloss sich eine ganze Stunde darin ein. Man hörte sie ab und zu mit Levrier reden, aber es ging lediglich um Strategien. Als sie wiederkam, wollte sie nur noch eins: Ins Bett.   ~-~-~   Gähnend richtete sich Anya langsam auf. Sich den Schlaf aus den Augen reibend, schwang sie die Beine über die Bettkante und setzte sich an den Rand ebenjener. Obwohl sie nur zur Hälfte wach war, kreiste bereits ein grundlegender Gedanke in ihren noch lahmen Gehirnwindungen: Gewinnen. Das Gesicht in ihren beiden Händen begrabend, dachte sie über das nach, was sie in wenigen Stunden erwartete: Der womöglich härteste Kampf ihres Lebens. Sie musste der Welt beweisen, dass sie imstande war, jene Person zu besiegen. Ganz egal was es sie kostete, und das obwohl Anya bereits entschieden hatte, Levrier heute auf der Ersatzbank zu lassen. Das war ein Kampf, den sie aus eigener Kraft gewinnen musste. Nein, einer, den sie ohne sein Zutun gewinnen -konnte-! Einziges Problem daran war, dass sie sich davor fürchtete. Pendelmonster … Sie hatte nur einen Versuch, diese Dinger zu besiegen. Wenn der misslang, wenn sie nicht die richtige Karte im richtigen Moment zog, könnte ihr Traum für immer ein solcher bleiben.   Während sie bereits diverse Szenarien durchging, wie das Duell verlaufen könnte, schob sich von ihr unbemerkt ganz langsam ein Kopf unter dem Rand des Bettes hervor, direkt zwischen ihren Beinen. Die braunen Augen blinzelten neugierig, von unten das Mädchen ansehend. Dann nieste der Mann ungewollt. Anya riss die Hände überrascht von ihrem Gesicht und sah herab auf einen Mittdreißiger mit Oberlippenbart und Vokuhila. Sich gegenseitig einige Sekunden lang nur anstarrend, sagte keiner der beiden einen Ton. Bis Anya das Einzige tat, das eine Anya Bauer in dieser Situation tun würde: Den Eindringling mit dem nackten Fuß ins Gesicht stampfen! Unter einem lauten Aufschrei beiderseits huschte der Fremde zurück unter das Bett, nur um auf der anderen Seite stehend wieder aufzutauchen, mit blutender Nase. Während Anya von der Bettkante aufsprang und herumwirbelte, waren von dem Lärm auch Matt und Zanthe wach geworden, kerzengerade hochgefahren und starrten den 'Besucher' verblüfft an. „Wer zur Hölle bist du denn!?“, spie Anya Gift und Galle. Der Schwarzhaarige, der die beiden Jungs bemerkte, schluckte. „Ouh, nicht gut. Ich verschwinde! Und danke hierfür!“ Sprachs und winkte mit einem schwarzen Tanga, ehe er schnurstracks an den Betten vorbei rannte und durch die Zimmertür verschwand. „Was ist denn hier los?“, staunte Zanthe nicht schlecht und stieg aus dem seinen. Anya eilte bis zur Tür und wandte sich an Matt. „Was war das für ein Typ!?“ Der aber schien sich auf etwas anderes zu konzentrieren. „Die bessere Frage lautet: Wieso stiehlt er deine Unterwäsche?“ „Das war nicht meine!“ „Moment … hey!“ Noch ehe Anya überhaupt Zanthes wutentbrannten Schrei vernommen hatte, war der schon an ihr vorbei geflitzt. Schnell schaltend, haftete sich die Blonde an dessen Fersen. „Hey, der gehört mir! Also der Typ!“ Und während Matt im Bett sitzend nur dumm aus der Wäsche guckte, jagten die beiden ihrem Opfer über den Flur nach. Jenes erwies sich als erstaunlich schnell und erreichte vor den beiden den Fahrstuhl am Ende des Ganges. Schnell herumwirbelnd, hämmerte er gegen die Taste, die die Türen des Lifts schloss. Zwar sah er noch Zanthes Hand auf sich zuschnellen, doch zu spät. Zwei massive Metallplatten schoben sich schützend vor Lee Anderson. „Puh!“, wischte der sich den Schweiß von der Stirn und sackte langsam an der Wand hinab, dabei stolz das schwarze Stück Stoff in seiner Hand betrachtend. Dann wurde der Fahrstuhl von einer leichten Erschütterung getroffen. Es knirschte. Entgeistert starrte der selbsternannte Dämonenjäger der Tür entgegen, die sich vor ihm unter deutlichem Einfluss von Gewalt Millimeter für Millimeter wieder öffnete. Dann sah er die schwarzen Klauen, die sie auseinander schoben. „Schneller, Flohzirkus!“, forderte Anya auf der anderen Seite herrisch. „Den kauf ich mir!“, schwor Zanthe davon angestachelt, dessen beide Arme komplett verwandelt waren. Leichenblass sackte Lee nur noch an dem kalten Stahl auf den Hosenboden herab, als ihm zwei zornesrote Fratzen, kaum menschlicher Natur, mit weit aufgerissenen Augen entgegen blickten.   ~-~-~   „Gnade! Gnade!“, kreischte er zwanzig Minuten später weibisch. Wie ein kleines Kind hockte er in der Ecke von Anyas Hotelzimmer, umzingelt von der Herrin der Schmerzen persönlich, dem trotz Rückverwandlung nicht weniger dämonisch anmutendem Zanthe und Matt, der kommentarlos zusah. Allesamt inzwischen angezogen, verstand sich. „Sprich!“, forderte Anya und schlug abermals mit dem Gürtel in ihrer Hand gegen Lees nackten Oberarm. Generell gab es außer seiner Boxershorts nicht mehr viel, was der Gute noch am Leibe trug, dafür hatte Zanthe gesorgt. „Gnade!“, winselte der Mann nur. „Falsche Antwort!“ Anya ließ den Gürtel fallen und zückte aus dem Nichts einen Pin. Mehr als genug, um Lee ängstlich nach Luft schnappen zu lassen. „Wer zur Hölle bist du und warum stiehlst du Fuzzys Unterwäsche!?“ In sich hinein murmelnd, gluckste Matt: „Die bessere Frage ist doch, wieso seine Unterwäsche unter deinem Bett liegt.“ „Sprich, oder sie wird den Pin benutzen. Und Gott, sie weiß, wie man den Pin benutzt!“, drohte Zanthe derweil und hielt Anya die flache Handfläche hin, in die jene nickend abklatschte. Matt stellte belustigt fest, wie schnell ein gemeinsamer 'Feind' die beiden doch zusammenführen konnte. In einem plötzlichen Schub von Courage – oder purer Verzweiflung – sprang Lee auf und stellte sich in seiner typisch überheblichen Art vor. „Ich bin Lee Anderson, bester Dämonenjäger der Vereinigten Staaten und-“ Anya stierte ihn feindselig an. „Sitz!“ „Ja, Herrin!“, quiekte ihr neues Haustier sofort verschreckt und schrumpfte wieder in sich zu dem kümmerlichen Haufen Elend zusammen, den er eben noch abgegeben hatte. Endlich Erbarmen zeigend, stellte sich Matt beschwichtigend vor den Älteren. „Leute, der ist harmlos. Das ist der Kerl, mit dem ich mich neulich duelliert habe, als ich den Hüter besuchen wollte.“ Die Blonde stemmte skeptisch eine Hand in die Hüfte. „Scheiße, Summers, wo gabelst du nur immer diese Freaks auf!?“ Etwas, das jemand ganz Bestimmtes natürlich nicht unkommentiert lassen konnte. Fürwahr, dabei dachte er bestimmt, nach dir könne es nicht mehr schlimmer kommen.   „Schnauze, Levrier!“ „Wir fragen nicht nochmal, was willst du von uns?“, fragte Zanthe bitterböse. „Denk an den Pin!“ Welchen Anya zur Verdeutlichung mit düsterer Miene hoch hielt. Die Spitze spiegelte sich in Lees Augen wieder, der rückwärts gegen das Fenster krabbelte und zitterte wie Espenlaub. „Er sagt, er wäre ein Dämonjäger“, wandte sich Zanthe aufgrund mangelnder Kooperation an den aus ihrer Gruppe, „muss man ihn kennen?“ Matt grübelte einen Moment. „Nein. Der hat bestimmt noch nie einen echten Dämon gesehen.“ „Jetzt schon“, knurrte Anya und rückte Lee mit erhobenem Folterinstrument näher und näher. Der quiekte panisch. Sehr panisch. Wie ein Schwein beim Schlächter. Nur dass das Schwein sein trauriges, aber in diesem Fall auch erlösendes Ende gefunden hätte. Lee hingegen … nicht wirklich, denn auch wenn Anya etwas außer Übung war, kannte sie noch mindestens 31 verschiedene Arten, jemanden mit einem Pin zu foltern. Und von denen hatte sie bisher nur 19 ausprobieren können!   Sie würde mit dem Auge anfangen, entschied Anya, als sie sich mit dämonischer Fratze zu ihm herunter beugte. Lee konnte schon ihren stoßweise gehenden Atem auf seiner nackten Haut spüren. Das Auge, ein echter Klassiker. Man, die Leute ahnten ja nicht, wie gruselig es war, wenn man eine Spitze auf sich zukommen sah. Verdammt, wer immer der Typ auch war, wegen ihm hatte sie jetzt gute Laune. Dafür würde sie ihn nachher auch nur ein wenig mit dem Tanga vom Flohzirkus würgen! Moment … ! Anya schreckte auf. „Verdammt, wir müssen bald los!“ „Wie schön, dass dir das auch endlich auffällt“, schnarrte Zanthe spitz hinter ihr, „es sind noch zwei Stunden. Denk dran, wir haben noch nicht gefrühstückt und ich sehe schwarz für dich, wenn dein Magen so leer wie dein Kopf ist.“ „Dafür brech' ich dir nachher was, du Allergien auslösende Misttöle! Okay!“ Anya wirbelte wieder mit leuchtenden Augen zu Lee herum. „Sprich, du hast zehn Sekunden, sonst bist du der erste Kaktus, dessen Spitzen nach innen wachsen!“ „Gnade!“, schrie das schwarzhaarige Auslaufmodell der 90er abermals panisch und plapperte zusammenhangslos: „Meine Herrin hat mich beauftragt, euch zu helfen, aber ich helfe keinen Dämonenhexen und schon gar nicht, wenn sie so irre sind wie ihr. Ich habe euch genau beobachtet, ihr seid nicht nur ein bisschen gefährlich, sondern extrem hyper-gefährlich und solchen Leuten helfe ich bestimmumpf.“ Anyas Schuh unterbrach ihn erbarmungslos. „Die zehn Sekunden sind um.“ „Sind sie nicht“, lachte Zanthe trotz allem schadenfroh. „Ich würde sagen, wir verhören ihn später weiter.“ Matt watete zu seinem Bett in der Mitte, besser gesagt zu dem Koffer, der davor stand. „Wir fesseln und knebeln ihn, bis wir wieder zurück sind.“   Tatsächlich zückte er ein Seil aus dem Koffer, das er den anderen grinsend präsentierte. „Wieso hast du so etwas mit?“, fragte Anya baff, doch ihre Mundwinkel zuckten nach oben. „Yeah, machen wir es so!“ Und Zanthe murmelte: „Stell keine Fragen, deren Antworten du nicht hören willst …“ Denn seiner Meinung nach hatte Matt das Ding nur mitgenommen, um jemand ganz Bestimmtes im Raum ruhig zu stellen, sollte sie mal zu sehr über die Stränge schlagen.   Schon zum zweiten Mal innerhalb eines kurzen Zeitraums waren die Drei sich jedoch einig, was dazu führte, dass, als sie das Hotelzimmer verließen, ein halbnackter Lee gefesselt und geknebelt in der Badewanne lag. Und er weinte. Denn Anya hatte trotz allem noch ein paar Minuten Zeit gefunden, den Pin zu benutzen …   ~-~-~   Es war das letzte Mal, dass sie durch einen Gang wie diesen gehen würde, schoss es Anya durch den Kopf. Anders als im Stadion, in dem die vorherigen Spiele ausgetragen wurden, war dieser recht hell erleuchtet. In regelmäßigen Abständen standen Minipalmen in blauen Töpfen an den Wänden, um den schweren Weg nach vorn freundlicher zu gestalten. „Levrier?“, fragte Anya nachdenklich.   Immer noch nervös?   „Wenn ich keine andere Wahl habe, denkst du, ich sollte deine Kräfte benutzen?“ Die Blonde senkte das Haupt. „Ich meine, bisher habe ich im gesamten Turnier darauf verzichtet. Aber ich bin so nah dran, mich mit Claire Rosenburg zu duellieren.“   Das musst du entscheiden. Ich bezweifle, dass man den Betrugsversuch bemerken würde, immerhin wurde noch nie ein Duell deswegen vom System beendet: Die Frage ist, ob es das ist, was du willst? Besonders nach dem, was mit Valerie Redfield vorgefallen ist.   Anya verzog grimmig das Gesicht. „Sie sitzt im Publikum. Wenn ich das mache, denkt sie, ich hätte nichts dazugelernt. … nicht, dass mich das irgendwie juckt, klar?“   Natürlich und in der Sahara bauen sie Iglus. Du hattest in diesem Duell die Niederlage bereits vor Augen und akzeptiert. Kannst du das noch einmal? Wie dem auch sei, ich hatte genug Zeit mich zu erholen, insofern kannst du dich auf mich verlassen.   „Tch“, zischte das Mädchen, dem Licht entgegen laufend. Es würde gegen ihren Kodex verstoßen, den Cheat Draw zu benutzen. Sie wollte ihren Traum erfüllen, aber auf faire Art und Weise. Anders konnte man nicht Duel Queen werden. Jedoch ging es nicht nur darum, sie musste auch an ihre Zukunft denken, die ohne Claire und ihr Artefakt düster aussah. Othello war nicht wie ihre vorherigen Gegner, er benutzte eine neue Beschwörungsart, der sie nicht gewachsen war. Vielleicht musste sie wirklich …   Mit sich hadernd blieb Anya vor dem Ausgang stehen. Hoffentlich zwang er sie nicht dazu, so weit zu gehen. Von Valerie wusste sie, dass Othello ebenfalls den Traum hatte, Claire zu besiegen und, wenn auch nur kurz, als stärkster Duellant gefeiert zu werden. Ihre Situationen waren so ähnlich, dass es glatt unheimlich war. Darauf konnte Anya jedoch keine Rücksicht nehmen. Nur einer konnte gewinnen. Und das würde, nein, das musste sie sein!   Entschlossen trat sie ins Innere des Stadions. Und wurde überwältigt von den Eindrücken, die sich ihr boten. Überall an der Decke des kreisrunden Stadions befanden sich Scheinwerfer, fast doppelt so viele wie im alten. An dem Duellfeld in der Mitte hatte sich nichts geändert, es war ebenfalls eine kreisrunde Plattform, wenngleich der Weg dahin auch viel weiter war. Aber die Zuschauerränge! Im alten hatten vielleicht 20.000 Leute hineingepasst, wenn überhaupt. Hier waren es doppelt so viele und mehr. Reihe über Reihe ging es wie in einem Kolosseum nach oben, es war so unübersichtlich. Dazu kam noch ein kleiner Turm zu ihrer Linken, in dem sich diesmal die VIP-Lounge und der Kommentatorenplatz befanden. Anya schluckte ihre Nervosität herunter und schritt voran. Da hörte sie jemanden ihren Namen rufen und bemerkte ihre Freunde, wie sie in der ersten Reihe zu ihrer Linken saßen. Vorne Zanthe, Valerie und Logan, dahinter in der zweiten Matt, welcher wieder sein Plakat mitgebracht hatte. „Heh“, grinste Anya und zeigte ihnen einen Daumen nach oben. Ihren Weg stolz fortsetzend, sah sie nach oben und hielt erstaunt an. Das Dach bestand komplett aus Glas, auf das dicke Regentropfen prasselten. Der Himmel war grau, ganz anders, als sie mit dem Taxi losgefahren waren. „Schlechtes Wetter, huh? Dann ist man da oben wohl für mich“, schloss Anya und ging weiter. Von der anderen Seite sah sie schon Othello in seinem Rollstuhl näher rücken. Er trug ein weißes Hemd und eine weiße Hose, wirkte blass, vermutlich war er genauso nervös wie sie. Wenigstens musste er nicht dieses dämliche T-Shirt mit der Werbung von Mr. Palmers Shop tragen, dachte Anya ärgerlich.   Entschlossen nahm Anya die drei Stufen hinauf zur Plattform. Auf Othellos Seite war extra eine Rampe angebracht worden, welche dieser mit emotionsloser Mimik hochfuhr. „Was für ein Anblick!“, hallte in dem Moment Mr. Cs Stimme durch den Saal. Die insgesamt zwei Dutzend Bildschirme über den Tribünen zeigten sein Gesicht. Der schwarzhaarige Bartträger mit der Elvistolle grinste in seinem türkisen Anzug das Publikum hinter seinem Pult an. „Das sind sie, unsere beiden Finalisten. Das Mädchen, das niemand auf dem Plan hatte, der Underdog in diesem Turnier: Anya Bauer!“ Das Bild des Kommentators wich einem Portrait Anyas. Das Publikum jubelte und rief ihren Namen, viel lauter und intensiver als in den vorherigen Spielen. Es fühlte sich seltsam an, so gefeiert zu werden, ging es Anya dabei durch den Kopf. „Ihr Gegner ist jemand, der von Anfang an als einer der großen Favoriten galt: Othello Nikoloudis!“ Dachte Anya gerade noch, ihr Applaus war laut, so wirkte er gegen den, den der Junge im Rollstuhl erhielt, geradezu lächerlich. Sie schrien seinen Namen in regelmäßigen Abständen, klatschten, salutierten, ganze Blöcke bestanden nur aus seinen Fans, die Fahnen, Transparente und Banner in die Luft hielten. „Doch bevor dieses letzte, einzigartige Duell beginnt, noch kurz ein paar Worte unserer Organisatorin, Melinda Ford!“, ließ Mr. C verlauten. Das Portrait Othellos, das eben noch eingeblendet worden war, schwand. Stattdessen sah man den Rotschopf Melinda, dieses Mal mit Turmfrisur, knalligem Lippenstift und langen Ohrringen. Sie hielt ein Mikrofon in der Hand. „Hallo Leute, schön, dass ihr euch so zahlreich im Stadion eingefunden habt beziehungsweise den Fernseher eingeschaltet habt.“ Die Leute pfiffen fröhlich und klatschten, sodass die junge Frau glücklich strahlte. „Ha ha, keine Sorge, es geht gleich los. Aber davor möchte ich noch einmal allen danken, die dieses Turnier ermöglicht haben. Und das sind allen voran die Teilnehmer. Vielen Dank, ihr wart ohne Ausnahme Spitzenklasse!“ Noch lauterer Jubel entstand, doch auch Pfiffe waren vereinzelt zu vernehmen. Es stand außer Frage, gegen wen die gerichtet waren. Unglücklicherweise nicht gegen sie selbst, wusste Anya. „Wie ihr alle wisst“, fuhr Melinda fort, „erhält der Sieger dieses Turniers ein Preisgeld von 500.000 Dollar, ein Ticket in die erste Profiliga sowie die einmalige Chance, sich mit der amtierenden Weltmeisterin Claire Rosenburg zu duellieren.“   Plötzlich schwenkte die Kamera zur Seite, sodass man eine Person neben Melinda erkennen konnte: Es war tatsächlich die blonde, junge Frau mit dem kurzen, knapp bis über die Ohren reichendem Haar. Ihre zwei grünen, langen Strähnen lagen ihr im Gesicht, sie trug offenbar einen weiß-blauen Motorradanzug, wie in einer ihrer Werbungen. Anya gefror das Blut in den Adern bei ihrem Anblick, denn sie blickte stur geradeaus, kalt und berechnend, als würde sie sie – und nur sie – anstarren. „Ein paar kurze Worte für unsere Zuschauer und natürlich auch die beiden Finalisten, Claire?“, fragte Melinda mit einem aufgesetzten Grinsen. „Vielen Dank, dass ihr alle den Legacy Cup unterstützt habt“, sagte die Profiduellantin nahezu emotionslos, ohne der geringsten Form eines Lächelns auf den Lippen, „ich hoffe auf ein spannendes Finale und freue mich darauf, dem Sieger entgegentreten zu dürfen.“ Obwohl sie dabei nicht sehr überzeugend klang, jubelten die Leute trotzdem und brüllten den Namen der amtierenden Duel Queen. Jene wurde auch schon wieder ausgeblendet, sodass nun Melindas Antlitz im Vollbild zu sehen war. „Ihr habt es gehört“, rief diese wieder euphorisch wie eh und je, „damit ist das Finale des Legacy Cups eröffnet!“ „Lasst das Duell beginnen!“, überblendete sie kurz darauf Mr. C, bevor die Bildschirme aus verschiedenen Perspektiven die Duellplattform zeigten. Anya mahnte sich zur Konzentration, obwohl es hier inzwischen von Kameramännern nur so wimmelte. Jetzt gab es kein Zurück mehr! Sie aktivierte ihr rotes D-Pad, wohingegen die Duel Disk an der Seite von Othellos Rollstuhl hoch- und über seinen Schoß fuhr.   [Anya: 4000LP / Othello: 4000LP]   Statt wie üblich den berühmten Ausruf zu tätigen, schwiegen die beiden Finalisten, was das energetische Publikum etwas aus dem Konzept brachte. Anya fühlte sich unwohl wie nie in ihrer Haut. Einerseits war da die Aufregung. Ihr Herz schien förmlich aus ihrer Brust platzen zu wollen, denn nicht nur hatte sie es zu ihrer eigenen Überraschung bis hierher geschafft, nein, es ging nun um wirklich alles. Sie musste gewinnen, ansonsten könnte dies ihren Tod bedeuten, sollte kein anderer Weg gefunden werden, Claire herauszufordern. Aber dann war da dieser Junge, Othello. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet dieser Knirps so gut war? Dieser todkranke Knirps … „Ich muss gewinnen“, murmelte dieser plötzlich leise. „Ich auch!“, erwiderte Anya, doch zitterte ihre Stimme dabei kaum merklich. „Das hier ist jetzt nur noch etwas zwischen uns beiden. Und selbst wenn du am Abkratzen bist, werde ich keine Rücksicht nehmen und nichts zurückhalten!“ Othello nickte mit leblosem Blick. „Ebenso wenig werde ich das tun.“ „Dann fange ich jetzt an!“, schrie Anya und riss fünf Karten von ihrem Deck. Dasselbe tat auch der junge Mann im Rollstuhl. Sogleich begann der überdrehte Kommentator damit, seinen Job zu machen. „Wie wird dieses Duell wohl eröffnet werden? Die Wild Card, Anya Bauer, hat uns alle mit ihrer Performance überrascht! Wird sie heute den Sieg mit nachhause tragen, zusammen mit 500.000 Dollar Preisgeld, einem Platz in der Profiliga und der einmaligen Gelegenheit, sich mit der unbesiegten Weltmeisterin, Claire Rosenburg, zu duellieren!?“ Das Publikum jubelte, aber ebenso waren auch Buhrufe zu vernehmen. Trotzdem wiederholten so einige Anyas Vornamen im regelmäßigen Takt. „Oder wird es Othello Nikoloudis sein, der dieses alles entscheidende Duell gewinnt und somit seinen großen Traum erfüllt!?“ Wieder wesentlich lauter waren das Gekreische und die anfeuernden Ausrufe für den jungen Mann, als sie es bei Anya waren. Die Blonde schnalzte mit der Zunge. Als ob er der Einzige war, der Träume hatte! Sie würde nicht verlieren, niemals!   Sofort griff sie in ihr Blatt und legte eines ihrer Monster auf die Duel Disk. „Los, du beginnst das Duell, [Gem-Knight Alexandrite]!“ Vor ihr baute sich ein Krieger in silberner Rüstung auf, welche mit diversen Edelsteinen in verschiedenen Farben verziert war.   Gem-Knight Alexandrite [ATK/1800 DEF/1200 (4)]   Unerwartet aber löste er sich in gleißendes Licht auf, als Anya rief: „Ich biete ihn durch seinen Effekt als Tribut an. Dadurch kann ich einen normalen Gem-Knight direkt vom Deck beschwören und ich entscheide mich für [Gem-Knight Crystal]!“ An die Stelle des verschwundenen Ritters trat ein größerer, in weißer Rüstung gekleideter Krieger, an dessen Schulterplatten durchsichtige Kristalle angebracht waren. Stolz stemmte er die Hände in die Hüften.   Gem-Knight Crystal [ATK/2450 DEF/1950 (7)]   Anya nahm zwei Handkarten und betrachtete sie mit scharfem Blick, ehe sie Othello ins Visier nahm. Wenn der Typ meinte, sich blind auf die neue Beschwörungsart verlassen zu müssen, würde sie ihn nicht daran hindern. Na ja, doch, genau das hatte sie vor, denn sie hatte -die- Karte gezogen, zu der Zanthe ihr geraten hatte. Fuck yes! „Diese zwei verdeckt! Zug beendet!“ Zischend materialisierten sich die Karten vor ihr. Während der Kommentator von seinem Turm zu ihrer Rechten wieder zu labern begann, keuchte sie. Verdammt, sie bekam kaum Luft! Und ihre Brust schmerzte auch! Alles, bloß nicht auch noch -das- jetzt! Oder war es am Ende nur die Aufregung? „… gönnt ihrem Gegner nichts. Unter diesen Voraussetzungen wird er es schwer haben, sie anzugreifen. Oder etwa nicht?“   Mit trägem Blick sah der junge Mann auf den Spielplan vor sich herab und griff mit zittriger Hand nach seinem Deck. Er zog und betrachtete die Karte in seiner Hand. Dann sah er wesentlich lebendiger auf, in seinen Augen stand die pure Entschlossenheit. „Ich aktiviere den Magier, der die Sterne liest, [Stargazer Magician] mit dem Pendelbereich 1. Und den Magier, der die Zeit versteht, [Timegazer Magician] mit dem Pendelbereich 8!“ Neben ihm schossen zwei Lichtsäulen in hellem Blau aus dem Boden. Aus ihnen empor gen Himmel stiegen ein Magier ganz in Weiß mit einer Stabwaffe in der Hand und ein schwarzer Magier, an dessen Arm eine um ihn herum verlaufende Klinge befestigt war, die entfernt an ein Zahnrad erinnerte. „Pendulum Scale set!“, rief Othello.   <1> Othellos Pendelbereich <8>   Unter dem weißen [Stargazer Magician] leuchtete eine verzerrte 1 auf, als er etwa auf der Höhe der Kommentatorenlounge stehen blieb. Dem entgegen eine 8 unter seinem Partner. Der junge Mann hielt eine Karte in die Höhe. „Damit kann ich Monster rufen, deren Stufe zwischen den Werten meines Pendelbereichs liegen! Schwinge bis in alle Ewigkeit, Pendulum! Stufe 7-[Odd-Eyes Dragon] von meiner Hand, erscheine! Pendulum Summon!“ Zwischen den beiden Magiern begann sich plötzlich ein riesiges Portal zu öffnen, um welches sich aberdutzende Ellipsen aus glänzendem Licht bildeten. Ein roter Lichtstrahl schoss aus jenem Loch heraus und schlug wie ein Blitz vor Othello ein. Anya weitete die Augen. „Da ist er!“ Der rote Drache, sein Assmonster! Weiße Auswüchse gingen von seinem Rücken hervor, dort wo normalerweise Flügel zu erwarten waren. In seiner ebenso weißen Brustpanzerung waren blaue Kugeln eingelassen, wild peitschte sein langer Schweif.   Odd-Eyes Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7)]   Anya grinste breit. „Darauf habe ich gewartet! Der ist Geschichte!“ Sie schwang ihren Arm über die linke verdeckte Karte. „Jetzt lernst du meine Anti-Pendel-Karte kennen! [Bottomless Trap Hole]!“ Wie aus dem Nichts verschwand der Boden unter den Füßen des Odd-Eyes. Sogleich begann er unter Anyas geradezu hysterischem Gekicher von finsteren Händen in die Tiefe gezogen zu werden. „Sorry, aber da er über 1500 Angriffspunkte besitzt, wird er sofort verbannt! Also kannst du ihn auch nicht aus dem Extradeck beschwören!“ „Unfassbar!“, rief der MC aufgeregt, während es seltsam wenig Reaktionen aus dem Publikum gab. Selbst Othello sah Anya nur ungläubig an, nachdem sein Drache verschwunden war.   Zur selben Zeit stand Valerie Redfields Mund offen, wie sie neben Logan in der ersten Reihe der Tribüne saß und Anyas Leistungen auf einem der dutzenden Bildschirme mitverfolgte, die über der Arena aufgebaut waren. Es donnerte, denn nachdem der Regen eingesetzt hatte und das gläserne Dach des Doms benetzte, begann nun auch ein Gewitter das Szenario zu unterlegen. Und genau so wie es draußen gelegentlich blitzte, glaube auch Valerie, vom Blitz getroffen worden zu sein. „Anya … was machst du da!?“, fauchte sie förmlich erbost, sprang von ihrem Sitz auf und rannte zum Geländer. Die Blonde hörte den Ausruf selbst aus der Entfernung zu den Zuschauerrängen und sah perplex zu ihr herüber. „Was willst du jetzt, Redfield!? Ich muss mich konzen-!“ „Bitte keine Konversationen mit den Zuschauern, ansonsten müssen wir Sie disqualifizieren, Miss Bauer“, unterbrach sie prompt die Durchsage einer jungen Frau. Valerie schüttelte nur den Kopf. Murmelte: „Das war der falsche …“ „Schade. Die Kleine hat's vergeigt“, hörte sie Logan im Hintergrund seufzen.   Othello indes nahm eine Karte aus seinem Blatt und legte sie auf eine der entsprechenden Zonen seines Spielplans. „Mein Zug ist beendet.“ Während er dies verkündete, materialisierte sich die Falle vor dem Rollstuhl. „Er hat kein Monster mehr beschworen, obwohl seine Normalbeschwörung noch nicht verbraucht war. Könnte dieses Duell schneller enden als erwartet!?“ Dieser Kommentar wurde vom Publikum mit lautem Gejohle und Buhrufen aufgenommen, wollten sie doch ein actionlastiges Finale erleben.   Etwas, das ihnen, wenn es nach Anya ging, verwehrt bleiben würde. Diese griff nach ihrem Deck im roten D-Pad und riss schwungvoll die oberste Karte von dannen. Jene drehte sie noch in der Bewegung zu sich und grinste, ehe sie das Monster auf die Duel Disk knallte. „Perfektes Timing, erscheine, [Gem-Knight Amber]!“ Es tauchte ein in goldener Rüstung steckender Ritter auf, in dessen Brust in Bernstein eingelassen war. Aus seiner Handfläche zog er einen Dolch aus purer, elektrischer Energie.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   „Unglaublich! Das könnte reichen! Sie könnte Othello bereits in dieser Runde besiegen!“ Anya runzelte verärgert die Stirn. Dieser Kommentator ging ihr wie immer massiv auf die Eierstöcke! Als ob es so einfach wäre! Bei der wandelnden Krankenstation da drüben doch nicht! Trotzdem würde sie ihr Glück versuchen, dementsprechend energisch streckte sie die Hand aus und rief: „Direkter Angriff! Amber! Crystal!“ Zunächst stürmte ihr goldener Ritter auf den Feind los. Währenddessen schlug Crystal seine Faust in den Boden und ließ eine Schneise entstehen, die auf Othellos Rollstuhl zu schnellte und dabei immer wieder spitze Kristalldornen aus sich hervorschießen ließ. Lass es klappen, lass es klappen, lass es klappen! Immer wieder betete Anya diese Worte still hinunter. Vielleicht bestand ja Hoffnung darauf, dass er schlecht gezogen hatte. Aber wie von Anya ursprünglich erwartet, drehte der stetig müde wirkende Bursche seine gesetzte Karte auf dem Spielplan um. „[Waboku] schützt meine Lebenspunkte.“ Um ihn herum tauchten drei in Blau gewandte Priesterinnen auf, die durch ihren Gesang ein kuppelförmiges Kraftfeld erschufen, an der sowohl die Kristalldornen als auch Ambers Dolch scheiterten. „Um ein Haar! Aber es bleibt spannend, werte Zuschauer!“ Jene feixten und jubelten, nachdem Othello unbeschadet aus der Sache herausgekommen war. „Zug beendet“, verkündete Anya leise. „Fuck …“ Für einen Moment hatte sie wirklich gehofft, jetzt schon gewinnen zu können.   Othello zog auf und betrachtete die Karte kurz, ehe er herüber zu Anya sah. „Ich bin froh, dich als Gegnerin zu haben.“ „Huh? Wieso?“, verlangte Anya im schroffen Tonfall zu wissen. „Verzeih mir bitte wenn ich das so sage, aber von allen potentiellen Gegnern bist du diejenige, die ich am wahrscheinlichsten besiegen werde.“ Ein lautes Raunen ging durch Publikum. Anya stand für einen Moment der Mund weit offen, doch bevor sie ihn schließen beziehungsweise als Instrument verbalen Terrors einsetzen konnte, fügte Othello noch an: „Das soll nicht heißen, dass du schlecht bist. Aber vor dir muss ich keine Angst haben, verstehst du?“ „Wieso Angst!?“, platzte es aus Anya heraus, die ihre Arme ausbreitete. „Brauchst du das Geld, um 'ne Operation zu bezahlen oder was!?“ „Nein. Ich habe nicht mehr lange zu leben, daran ist nichts zu ändern. Doch bevor ich sterbe, möchte ich die stärkste Duellantin auf diesem Planeten besiegen. Duel Queen Claire Rosenburg. Denn wenn ich das schaffe …“ Anya schnaufte wütend. „Dann?“ „Wird man sich an mich erinnern. Selbst Menschen die ich gar nicht kenne.“ Aus den blauen Augen seiner Gegnerin blitzte es nur so, als sie ihn scharf anstarrte. „Wie tragisch! Erwarte bloß kein Mitleid deswegen, denn zurückhalten werde ich mich trotzdem nicht!“ Othello schloss die Augen. „Mitleid brauche ich nicht.“ „Umso besser, denn im Grunde ist heute dein Glückstag. Du stehst nämlich bereits vor der besten Duellantin überhaupt, der wahren, noch ungekrönten Duel Queen. Nur mit dem Besiegen sieht's ein bisschen schlecht aus.“ Fast das gesamte Publikum begann zu lachen. Selbst Othello musste kichern, als er das vernahm und sah Anya freundlich lächelnd in die Augen. „Nett, dass du das sagst, aber ich fürchte das bist du nicht.“ „Ach ja!?“ „Ja. Soll ich es dir beweisen? Sieh her!“ Er streckte seinen Arm in die Höhe. „Zwischen den Pendulum Scales 1 und 8 liegt die Stufe 7!“ Das blaue Pendelportal öffnete sich erneut zwischen seinen beiden Magiern. „Ich rufe den gefährlichsten aller Drachen! Pendulum Summon!“ Unzählige Ellipsen entstanden um das Loch im Raum-Zeit-Gefüge. Aus diesem schoss ein roter Lichtstrahl, der vor Othello im Boden einschlug und zu einem roten, flügellosen Drachen wurde. Weiß war seine Brustpanzerung und die Auswüchse aus seinem Rücken, an denen zur Rechten eine grüne Kugel und zur Linken eine rote befestigt war. Wütend peitschte er mit seinem Schweif und schrie schrill. Sein Besitzer rief stolz: „[Odd-Eyes Pendulum Dragon]! Das ist sein voller Name!“   Odd-Eyes Pendulum Dragon [ATK/2500 DEF/2000 (7) PSC: <4/4>]   „The fuck!?“, schoss es aus einer entsetzten Anya. „Aber ich habe ihn doch verbannt, der dürfte gar nicht zurückbeschworen werden!?“ Othello schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn auch nicht aus dem Extradeck, sondern von meiner Hand beschworen. Was du eben vernichtet hast, war ein völlig anderes Monster.“ „Willst du mich verarschen!?“ Während das Publikum sich förmlich mit Zurufen für den jungen Mann überschlug, lächelte der nun verschmitzt. „Nein, Anya. Du hast dich selbst verarscht. Du hast schlichtweg nicht gut genug aufgepasst. Siehst du? Du bist nicht die beste Duellantin, denn Claire wäre dieser kleine Namensunterschied der beiden Odd-Eyes aufgefallen.“ Anya knirschte mit den Zähnen. „Claire-Schmär, ich bin aber nicht Claire!“ „Eben. Wie dem auch sei“, verkündete ihr Gegner und streckte die Hand nach vorn. „Odd-Eyes greift deinen [Gem-Knight Crystal] an! Spiral Strike Burst!“ Sein Drache schrie noch einmal, ehe er einen roten Lichtstrahl ausstieß. Dieser war umgeben von schwarzen Entladungen und steuerte geradewegs auf Anyas Ritter zu. Dessen Besitzerin schnaubte wütend, ehe sie per Knopfdruck ihre Fallenkarte aufspringen ließ. „Falle, [Justi-Break]! Sie-“ „[Timegazer Magician], Inverse Gears!“ Bevor überhaupt etwas geschah, klappte Anyas Karte nach Othellos Ausruf auf halbem Wege nach oben wieder zu. Gleichzeitig tauchte der in Schwarz gekleidete Magier über Odd-Eyes auf. Die goldene Klinge an seinem Arm fuhr aus und bildete um ihn einen Kreis, das Ticken einer Uhr war im Hintergrund zu vernehmen. „[Timegazer Magician] beschützt Pendelmonster vor Fallenkarten solange sie angreifen“, erklärte Othello dazu. „Er dreht die Zeit zurück und verhindert die Aktivierung. Deshalb geht der Angriff auch durch!“ Der Magier teleportierte sich zurück zu seiner ursprünglichen Position in der Lichtsäule. In dem Moment schlug der Angriff in Crystals Brust ein und brachte diesen zum Explodieren. „Jetzt wirkt die Reaction Force von 'Odd-Eyes' und verdoppelt den Kampfschaden!“ Anya hob den Arm mit ihrem D-Pad, um sich unsinnigerweise vor dem Angriff zu schützen. „Verdammter Kackmist!“   [Anya: 4000LP → 3900LP / Othello: 4000LP]   „Der erste Treffer, liebe Zuschauer! Aber wieso hat Othello das stärkere Monster angegriffen!? Hat er Angst, seine Gegnerin könnte es stärken und zurückschlagen!?“ „Du bist dran, Anya“, meinte der junge Mann freundlich. Jene schnaufte nur wütend. „Kaum zu glauben! So'n Knirps hat mich verarscht! Dafür allein gibt’s jetzt was aufs Maul!“   Zanthe, Matt, Valerie und Logan waren indes nicht mehr alleine. Neben Letzteren hatte sich niemand Geringeres als Kakyo Sangon gesetzt, seines Zeichens Drittplatzierter des Turniers, da Valerie durch ihre Disqualifikation trotz Marcs Geständnis nicht um Platz 3 hatte spielen dürfen. Nicht, dass sie dies je wirklich gewollt hätte. „Wieso hat sie nicht besser darauf geachtet?“, verstand Valerie es einfach nicht. „Das hätte ihre Chance sein können, ihn nachhaltig zu schwächen.“ „Das ist die Aufregung. Selbst eine Anya Bauer ist vor so etwas nicht gefeit, schon gar nicht, wenn es sprichwörtlich um alles oder nichts ging.“ Matt hinter ihr sah aus den Augenwinkeln skeptisch herüber zu Kakyo. Valerie seufzte bitter. „Vielleicht war es keine gute Idee, dass ich mir das Duell ansehe …“ „Doch, ist es“, widersprach der Dämonenjäger und legte unerwartet seine Hand auf ihre Schulter, was jene zusammenzucken ließ, „glaub mir.“ „J-ja.“ „Er hat sie einfach überlistet“, wandte sich Kakyo an Valerie. „Vom ersten Augenblick an hat er begriffen, wie Anya tickt und deshalb [Odd-Eyes Dragon] als Köder benutzt, die evolutionäre Vorstufe seines Assmonsters.“ Die Schwarzhaarige nickte und sah endgültig ein, dass ihre Freundin unschuldig an ihrer Misere war. „Anya hat Othellos Duellen auf dieser Ebene keine Beachtung geschenkt. Dieser kleine Unterschied im Namen und im Aussehen ist ihr gar nicht aufgefallen …“ „Genau das hat er beabsichtigt“, erklärte Kakyo. „Ich kenne Othello persönlich. Obwohl er nicht den Eindruck erweckt, spielt er sehr strategisch und bezieht auch die persönlichen Schwächen seiner Gegner in seine Duelle mit ein. Die Meisten wären wohl darauf reingefallen, weil er den [Odd-Eyes Dragon] nicht einmal während des Turniers ausgespielt hat.“ Valerie sah wieder herunter zum Duellfeld. „Anya ist aber auch nicht ohne. Und er weiß nicht, dass sie …“ „… noch dämlicher ist, als sie ohnehin schon den Eindruck erweckt“, schnarrte Zanthe dazwischen. … Levrier an ihrer Seite hatte, beendete Valerie den eigentlichen Satz im Gedanken. Der Schwarzhaarigen blieb nur zu hoffen, dass das ungleiche Gespann das Beste aus ihrer Lage machte. Wo Levrier anscheinend selbst nichts von der kleinen Täuschungsaktion mitbekommen hatte.   Anya schnaubte und friemelte dabei an ihrem dunklen T-Shirt mit dem Mikrophon daran herum, legte kurz die Finger darauf, als würde sie es zurecht rücken wollen. „Warum hast du mich nicht gewarnt!?“, knurrte sie dabei so leise es ging aus dem Mundwinkel, während sie nebenbei auf eine dritte Handkarte aufzog. Zwar konnte sie nicht mit Redfield kommunizieren, mit Levrier dagegen allemal. Und der hatte sich mal wieder als erstaunlich nutzlos erwiesen. So erschien er neben Anya in seiner altbekannten Form und verschränkte die Arme.   Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich ebenfalls darauf hereingefallen bin. Abgesehen davon hätte ich ohnehin keine Zeit zum Reagieren gehabt, so schnell wie du deine Falle aktiviert hast, Anya Bauer. Außerdem hattest du dich nicht mehr dazu geäußert, ob ich dir helfen soll oder nicht.   Das Mikrofon vermeintlich gerichtet, konnte Anya nicht mehr darauf antworten. Stattdessen sah sie herüber zu Levrier, der in seiner weißen Rüstung neben ihr schwebte. Dabei zog sie demonstrativ eine Karte aus ihrem Blatt hervor, den Stufe 4-[Gem-Knight Emerald].   Du willst eine Xyz-Beschwörung durchführen? Nun, dir fehlt deine wichtigste Karte, [Gem-Knight Fusion]. Ich würde dir aber eher dazu raten, [Angel Wing Dragon] zu beschwören. Er ist die perfekte Waffe gegen [Odd-Eyes Pendulum Dragon] und seinen Effekt.   Zu Levriers Erstaunen schüttelte Anya aber kaum merklich den Kopf. Denn sofort hatte sie wieder Valeries warnende Worte im Hinterkopf. Dass sie sich zu sehr auf die Karten verließ, die sie den Hütern abnahm und sich nicht von ihnen abhängig machen sollte. „Ich muss auf meinen eigenen Beinen stehen“, murmelte sie und knallte dann Emeralds Karte auf ihr rotes D-Pad. „Deshalb rufe ich dich, [Gem-Knight Emerald]!“ Neben ihrem Ritter des Bernsteins tauchte sein in hellgrüner Rüstung gekleideter Kamerad auf, an dessen Arm ein mit einem Smaragd besetzter Rundschild befestigt war.   Gem-Knight Emerald [ATK/1800 DEF/800 (4)]   Geradezu herrschaftlich schwang Anya ihren Arm nach oben, mit den Karten ihrer beiden Monster auf dem Feld zwischen den Fingern. „Du rufst dein Assmonster? Dann kommt jetzt als Antwort meins! Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“ Inmitten des Spielfelds öffnete sich am Boden ein schwarzer Galaxienwirbel. Anyas Ritter verwandelten sich in hellbraune Lichtstrahlen, die in jenem Loch verschwanden, welches im Anschluss förmlich explodierte. „Zeig's ihm, [Gem-Knight Pearl]!“ Aus dem Überlagerungsnetzwerk schwebte die nun sichtbare Gestalt des weißen Ritters, um den nicht nur sieben hellrosafarbene Perlen kreisten, sondern auch zwei Lichtsphären. Selbst jetzt hielt er noch die Arme verschränkt, während er vor Anya Stellung bezog. Das durchsichtige Abbild Levriers neben ihr verschwand daraufhin.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4} OLU: 2]   Ich hoffe, du hast keinen Fehler damit begangen, mich zu beschwören …   Anya ignorierte den Einwand, ballte eine Faust und hob diese demonstrativ vor Othellos Augen. „Ich werde dieses beschissene Finale gewinnen, darauf kannst du deine überfällige Lebensversicherung verwetten!“ Sie drehte ihren Kopf herum zur VIP-Lounge, die sich in der Spitze des Turms des Kommentators befand. Ihr Blick brachte die gläserne Fassade geradezu zum Zerbersten. „Hörst du mich, Rosenburg? Ich bin deine Gegnerin und werde dir in den Arsch treten!“ Tatsächlich saß sie dort oben auf einem Sofa neben ihrem rothaarigen, bärtigen Manager sowie Melinda und starrte mit ausdrucksloser Mimik zurück. Das Publikum brach in schieres Gelächter aus. Die Blonde aber störte dies nicht, sie wandte sich wieder an Othello und seinen Drachen. „Ich habe auch einen Grund, warum ich mich unbedingt mit ihr duellieren muss. Du wirst dich hinten anstellen müssen!“ „Manchmal fahre ich den Menschen, hinter denen ich mich anstellen muss, in die Hacken“, erwiderte der sonst so träge Bursche schlagfertig. „Denn ich mag es nicht, mich anstellen zu müssen.“ „Dein Pech!“ Anya ließ die Hand nach vorne schnellen. „Dein Odd-Eyes kriegt jetzt ordentlich aufs Maul! Pearl, greif ihn an, Blessed Spheres of Purity!“   Ha!   Levrier schwang seinen Arm gebieterisch aus und kommandierte seine Riesenperlen, die wie ein Kugelhagel auf Odd-Eyes niedergingen. Wie Bomben schlugen sie in und um den roten Drachen herum ein und lösten Explosionen aus, in denen er schließlich unterging.   [Anya: 3900LP / Othello: 4000LP → 3900LP] Othello lachte leise, als sich über ihm das Pendelportal öffnete und die Überreste seines Drachens als einen roten Lichtstrahl absorbierten. „Der kommt schneller wieder als dir lieb ist.“ Ohne Vorwarnung jedoch begann er plötzlich zu husten. Obwohl er sich die Hand vor den Mund hielt, sickerte ein Rinnsal Blut zwischen seine Finger. „Das sieht nicht gut aus! Sollen-“ Bevor Mr. C jedoch mehr sagen konnte, hob Othello die andere Hand und richtete sich auf. „Mir geht es gut.“ „Kratz bloß nicht ab“, knurrte Anya. Erst rutschte sie nur durch die Vorrunden, weil einer der Endrunden-Teilnehmer absprang, dann wurde Redfield wegen Betrugs disqualifiziert. Wenn der Typ jetzt mitten im Duell abkratzte, würde sie -wirklich- in arge Erklärungsnöte geraten, ohne überhaupt etwas dafür zu können. Während der junge Mann ein Taschentuch zückte und seine Finger säuberte, sah er bewusst nicht zu dem Mädchen auf und versprach: „Werde ich nicht. Nicht heute.“ Und irgendwie fühlte das Mädchen sich ihm in diesem Moment verbunden. Ahnte er doch nicht, dass auch sie womöglich bald ins Gras beißen musste und sich aus diesem Grund duellierte.     Turn 75 – Memento Mori Der Schlagabtausch zwischen Anya und Othello wird zunehmend intensiver, keiner der beiden lässt sich von dem anderen in eine Ecke drängen. Othello erzählt Anya davon, weshalb er im Rollstuhl sitzt, was das Mädchen in ihrer Entschlossenheit schwanken lässt, doch … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)