Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 72: Turn 67 - Ordeals ----------------------------- Turn 67 – Ordeals     Mittlerweile war es vier Tage her, dass Anya in das Viertelfinale des Legacy Cups eingezogen war. Zusammen mit Matt und Zanthe lagen sie der Länge nach auf Anyas Bett am rechten Ende des Hotelzimmers, das Mädchen zwischen den beiden. Vor ihnen war Matts Laptop aufgeklappt. „Live Streams sind schon was Tolles“, meinte Zanthe vergnügt. Einen solchen verfolgten sie in diesem Moment: Das sechste Spiel des Achtelfinales. „Yeah“, bestätigte Matt und kratzte sich nebenbei am Hinterkopf, „hier ist es wenigstens nicht so laut.“ „Und es gibt keine Reporter“, fügte Anya mürrisch hinzu. Den Schock von neulich hatte sie immer noch nicht ganz verdaut, zumal sie seitdem ständig den Eindruck hatte, beobachtet zu werden. „Tja“, gluckste Zanthe belustigt, „für morgen sind die letzten beiden Spiele angesetzt. Das heißt, Montag musst du wohl oder übel wieder ran. Denk dran, immer lächeln.“ Anya schnaubte wütend. Heute war Samstag, also blieb ihr noch genug Zeit, sich ausgiebig vorzubereiten. Auch wenn sie das sowieso nicht tun würde, so ehrlich war sie zu sich selbst. Und doch, wer hatte diesen beschissen engen Zeitplan des Turniers ausgearbeitet, doch bestimmt Melinda, die blöde Schnepfe! Kein Tag ohne Duellübertragungen war wohl deren Leitmotto! Um daran keinen Gedanken verschwenden zu müssen, zischte sie: „Pscht, es geht weiter!“   Dort, auf dem Bildschirm, standen sich zwei Duellanten gegenüber. Der brünette Kakyo Sangon, in einen violetten Pullover gekleidet und ein Chinese namens Jiang, einer der Bestplatzierten in den Vorrunden. Gerade zog Kakyo auf. „Mal sehen, ob er das noch drehen kann“, murmelte Zanthe verschwörerisch. Die anderen beiden waren erstaunt darüber, dass der Werwolf sich so sehr für das Duell interessierte. Schließlich war er es gewesen, der erst den Vorschlag gemacht hatte, es sich anzusehen. Warum er so neugierig war, verriet er ihnen jedoch nicht. Wie konnten sie auch ahnen, dass Zanthe mehr über Kakyo wusste und ihnen dies absichtlich vorenthielt? Aber für ihn spielte das keine Rolle, solange er damit Exa schützte.   Kakyo kontrollierte sein Assmonster [Dark Magician] und befahl den Angriff, obwohl sein Gegner das wesentlich stärkere Fusionsmonster [Gaia Drake, The Universal Force] kontrollierte, einen Lanzenträger, der auf einem Pegasus ritt. Der violette Magier lud Energie an der Spitze seines Zauberstabs auf. „Den Rest kann man sich schenken“, meinte Zanthe urplötzlich förmlich desinteressiert und rollte sich seitwärts vom Bett. „Ist klar, wie das ausgehen wird.“ Matt und Anya sahen ihn verwirrt an. Letztere fragte: „Sag bloß, du gehst schon wieder alleine weg?“   Es gab praktisch keinen Tag mehr, seit sie hier waren, an dem er nicht über Stunden hinweg irgendetwas unternahm. Anya hegte den Verdacht, dass er sich heimlich mit diesem Typen traf, den er nach eigener Behauptung erst zappeln lassen wollte. Ohne es zugeben zu wollen, störte sie das zunehmend mehr. „Ich hab jemandem versprochen, ihm ein wenig in Sachen Duel Monsters auszuhelfen“, antwortete Zanthe fröhlich und schlenderte an den Betten vorbei. Matt sah ihm hinterher. „Wir könnten ja mitkommen und Anya gleich mittrainieren.“ „Hey!“, empörte die sich beleidigt und stieß ihm sogleich den Ellbogen in die Seite. An der Tür angelangt, winkte der junge Mann, dieses Mal ein quietschgelbes Kopftuch tragend, wenig begeistert ab. „Nein danke. Ich glaube kaum, dass ich ihm das zumuten kann.“ „Pah! Wenn du mich fragst, solltest du lieber mit uns abhängen, als mit deinem Lover!“ „Er ist nicht mein Lover“, erwiderte Zanthe trocken auf den Einwand seiner Freundin, „und abgesehen davon fragt dich keiner.“ „Schon mal was von Meinungsfreiheit gehört!?“ Zanthe blinzelte genau einmal. „Anya … das Gesetz der Meinungsfreiheit sieht vor, dass dich der Staat nicht politisch für deine Meinungsäußerung verfolgen darf. Es heißt aber nicht automatisch, dass dir irgendein Arsch zuhören muss. In dem Sinne: Bis nachher.“ Schon war die Tür auf und der Werwolf weg. „Autsch, der hat gesessen“, gluckste Matt. Denn tatsächlich war Anya so still, dass es schon glatt unheimlich war. Als sich das aber immer weiter hinzog und Kakyo nebenbei im Stream das Duell gewann, fragte der Dämonenjäger vorsichtig: „Anya? Ist alles in Ordnung?“ „Tch! Sicher …“, brummte sie und ruckte demonstrativ den Kopf von ihm weg. „Sag bloß, du bist eifersüchtig?“ Matt klang beim Aussprechen des letzten Wortes geradezu fasziniert. „Als ob!“, wurde er sofort angefaucht. „Soll der sich doch 'rumtreiben, wo und wie er will! Mir doch egal!“ Damit sprang auch sie auf und stampfte durchs Zimmer. „Ich gehe jetzt auch frische Luft schnappen. Und du mach dich lieber an die Arbeit!“ „Ich bin an dem Fall dran“, erwiderte Matt ärgerlich und setzte sich dabei an den Rand des Bettes, „aber die Aussagen von Mrs. Carrington und ein paar Mitarbeitern reichen nicht, um denjenigen zu finden, der die Rolle des Hüters von Mr. Carrington übernommen hat. Wenn es überhaupt so war.“ „Du machst das schon“, blieb das Mädchen stur und riss die Tür auf. Als sie zurück zu ihm sah, gewann ihr Blick etwas Trauriges. „Und … yeah, vielleicht bin ich doch eifersüchtig …“ „Dann wäre es eine gute Idee, ihm zu zeigen, dass du gerne mit ihm zusammen bist“, schlug Matt vor. Das Mädchen verzog eine grimmige Fratze: „Wie denn, wenn er kaum noch hier ist? Ist ja schön, dass er neue Freunde gefunden hat, aber ...“ Sie wollte einfach nicht, dass er -sie- dabei vergaß. Denn er war ihr ans Herz gewachsen, dieser altkluge, freche, arrogante, Sprüche klopfende, nervige, zickige Volltrottel. Warum auch immer … „Ich brauch frische Luft“, beendete sie das Gespräch, bevor Matt einsetzen konnte. Und knallte die Tür hinter sich zu. Der ärgerte sich leise vor sich hin: „Toll … wie wäre es, wenn du auch mal etwas für -deine- Rettung tun würdest? Immer bleibt der Dreck an mir stecken …“   ~-~-~   Indes befand sich Nick auf der Interstate 30 Richtung Garland. Entgegen seiner Absichten, unmittelbar nach seinem Treffen mit Xiphos die Verfolgung der diebischen Elster aufzunehmen, hatte ein Motorschaden an dem weißen Chrysler Neon ihn in seinem Zeitplan arg zurückgeworfen. Glücklicherweise war es Nick nun möglich, das Miststück jederzeit zu orten, wodurch er wusste, dass sie sich noch in der Gegend befand. Andernfalls hätte er sich um einen Leihwagen bemühen müssen. Und seinem Vater zu erklären, warum sein geliebtes Baby in einem anderen Bundesstaat zusammengeflickt wurde, dem wollte Nick lieber aus dem Weg gehen.   Während er nur mäßig auf den mittelstark ausgeprägten Verkehr achtete, gingen ihm immer wieder allerlei Dinge durch den Kopf. Wurde er nicht im Endeffekt genauso beobachtet wie jene junge Frau? Zwar waren sie nicht hier, doch Nick spürte die Anwesenheit der beiden Schattengeister Snuggly und Sparkly. Es fühlte sich anders an als damals mit Orion. Denn mit der kleinen Knolle war er auf einer Wellenlänge gewesen, zumindest im Ansatz, anders als bei den beiden Krähen. Andererseits, wenn er jetzt so darüber nachdachte, war es wohl kein Zufall, dass Orion bei ihm gelandet war. So hatte der Sammler ihn ausspionieren können, wusste vermutlich schon seither um Nicks wahre Natur. „Geschichte wiederholt sich, huh?“, murmelte er in Gedanken versunken. „Nicht immer, rawww!“ „Scheiße!“, stieß Nick einen erschrockenen Aufschrei aus, als die beiden Biester unvermittelt auf seiner Schulter erschienen. Durch die heftige Reaktion verriss er das Lenkrad, der Wagen scherte in Schlangenlinien aus. Jedoch konnte Nick ihn wieder unter Kontrolle bringen, allerdings nicht ohne von zwei anderen PKWs ausgehupt zu werden. „Was sollte das!? Ihr hättet mich umbringen können!“, schrie er aufgebracht. „An so etwas denkt Snuggly nicht“, sagte offensichtlich Sparkly, die auf seinem linken Schulterblatt hockte. Nick lief zunehmend rot an. „Ist mir egal! Verschwindet!“ „Erst willst du uns, dann verscheuchst du uns. Snuggly versteht das nicht“, krähte das Federvieh zu seiner Rechten enttäuscht und löste sich wieder auf. „Ich wollte vieles, aber definitiv nicht -euch-!“, stellte Nick verärgert klar. „Wir sind nicht deine Feinde, kraw!“ Und schon war auch Sparkly wieder verschwunden. Aber der zerzauste, junge Mann schnaubte bloß. „Das wage ich langsam zu bezweifeln.“   In dem Moment gab das alte Handy, welches auf dem Beifahrersitz lag, ein doppeltes Piepen von sich. Erstaunt griff Nick mit der rechten Hand danach, ohne den Verkehr aus den Augen zu lassen. „Ausgehender Anruf“, las er vom dunkelgrünen Display vor. Aber es war nicht er, der jemanden anrief. Sondern das Mobiltelefon derjenigen, in das sich der Apparat mit der leicht verschmorten Außenhülle infiltriert hatte. Die Diebin nahm mit irgendjemandem Kontakt auf. „Interessant“, murmelte Nick und drückte die Abnehmen-Taste.   ~-~-~   Zeitgleich in einem Lagerhaus in Garland watete eine junge Frau vor einem schmalen Tisch auf und ab. Um sie herum standen bergeweise Kisten gestapelt. Durch die Dachfenster fiel das Sonnenlicht sanft neben die kleine Sitzecke, die sich Alexandra Russo hier eingerichtet hatte. „Gehst du wohl endlich ran?“, murmelte sie nervös in ihr Smartphone. Sie sah anders aus als noch auf der Einführungsveranstaltung der Fords. In Wirklichkeit besaß ihr gewelltes Haar einen honigblonden statt hellblonden Ton und reichte ihr bis weit über die Schulter. Von der Eleganz an diesem Abend war nicht viel übrig geblieben. Statt eines aufreizenden Cocktailkleids, verhüllten einfache Jeans und ein pinkfarbenes Tank-Top ihre durchaus ansprechende, schlanke Figur. Doch ohne das Make-Up sah man deutlich die dunklen Ringe um ihre Augen. Gerade als sie herum wirbelte, nahm ihr Gesprächspartner mit leicht gebrochenem Akzent ab. „Ah, Alexandra, Sweetheart.“ „Hören Sie auf, mich anflirten zu wollen, Diego“, erntete er eine unterkühlte Antwort. Die junge Frau lehnte sich rückwärts an den Tisch. Dabei warf sie einen Blick auf die darauf verteilten Karten. „Und, haben Sie noch Interesse?“ „Immer, Teuerste.“ „An den Karten, versteht sich.“ Neben ihr lagen sie. [Angel Wing Dragon], [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T], die Gem-Knights Diamond, Seraphinite und Turquoise sowie Kuriboss und auch [Gem-Knight Zirconia]. Der Rest von Anyas Karten lag abseits auf einem Stapel. „Natürlich.“ Besagter Diego seufzte. „Aber für diesen Preis kann ich sie nicht abnehmen.“ „Darunter sind echte Sammlerstücke, die es nur einmal auf der Welt gibt“, beteuerte Alex aufgebracht und stieß sich wieder vom Tisch ab, „für zehn Millionen gehören Sie Ihnen.“ Der Mann lachte künstlich. „Für das Geld kann ich meine ganz eigenen Karten erschaffen lassen.“ „Die verfügen aber nicht über besondere Kräfte“, erinnerte sie ihn. Dabei drehte sie sich den Karten zu und grinste.   Er würde anbeißen, sie hatte es im Blut. Für Menschen wie Diego de la Rosa spielte Geld eine sehr untergeordnete Rolle, wenn es darum ging, sich mehr Macht anzueignen. Und dieser Mann gierte danach wie kein anderer. All die seltenen Artefakte, Masken, Zauberstäbe, die er ihr in den letzten zehn Jahren abgekauft hatte, ohne überhaupt zu wissen, was er da in seinen Besitz gebracht hatte …   „Süße Alexandra“, hauchte Diego wehmütig, als habe er dies gehört, „du hast so viel für mich getan. Und ich für dich. Aber was ich brauche, sind keine mystischen Karten …“ Die Frau nickte. „Ich weiß, was Sie brauchen. Und ich denke, ich habe es endlich gefunden. Sie müssen sich vor dem Älterwerden nicht mehr fürchten.“ „Das hast du schon oft behauptet.“ „Diesmal bin ich mir sicher.“ „Dann beweise es“, lautete seine Forderung. Wenn es nur das war, dachte sie sich und schloss die Augen. „Okay. Übermorgen um Mitternacht an den Lake Ray-Docks, Pier 15. Aber ich zeige es Ihnen nur, wenn Sie das Geld dabei haben. Sollten Sie den Deal dann nicht eingehen, suche ich mir einen anderen Interessenten. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass es davon reichlich gibt.“ „Abgemacht.“ Ein Knacken in der Leitung folgte.   Für was hielt der Typ sich eigentlich, dachte sich die junge Frau schnaubend und steckte das Smartphone in die Hosentasche. Dabei sah sie noch einmal die Karten an, die ihr endlich ein Leben in Reichtum ermöglichen sollten. Dieser eine Coup noch und sie konnte die vergangenen Jahre voller Abenteuer und Verbrechen hinter sich lassen. „Ich sollte dir wirklich danken, Kleine“, murmelte sie vergnügt vor sich hin. Dass sie jemals in den Besitz von gleich zwei Hüterkarten gelangen würde … Dabei hatte sie sich eigentlich auf die Party geschlichen, um ein bisschen Industriespionage zu betreiben und nebenbei vielleicht das ein oder andere Schmuckstück mitgehen zu lassen. Aber dann hatte diese Anya ihre Monster ausgepackt und damit ohne es zu wissen Alexandras ungeteilte Aufmerksamkeit erregt. Jene ahnte in diesem Moment jedoch nicht, dass auch sie jemandes Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Die eines Racheengels, der nur zu gerne ebenfalls am Treffen im Mondschein teilnehmen wollte …   ~-~-~   Zwei Tage später stand Anya zusammen mit Zanthe im kargen Vorbereitungsraum, welcher direkt ins Stadion führte. Der Werwolf lehnte an einer der rot gestrichenen Wände und blätterte in einer Zeitschrift. Etwas abseits von ihnen stand Logan vor einem Getränkeautomaten, aus dem in diesem Augenblick eine Wasserflasche ausgeworfen wurde. „Und, aufgeregt?“, fragte Matt die Blonde behutsam, welche die Arme verschränkt hielt und stur auf die Tür starrte. Jeden Moment würde ihr Name durch die Lautsprecher in der oberen Ecke neben der Tür verkündet werden und dann hieß es Abmarsch. „Als ob“, schnaubte Anya grimmig. „Hast du dir gemerkt, was ich dir über diesen Jack erzählt habe?“, stieß der Zwerg zur Gruppe in der Ecke. Anya sah ihn verständnislos an. „Nein? Sollte ich etwa?“ Unter lautem Knistern senkte Zanthe seine Zeitschrift und bedachte Anya eines Blickes, der selbst dem sonst so taffen Mädchen eine Gänsehaut bescherte. „Was ist! Wieso guckst du mich so an!?“ „Weil da, wo dein Kopf sein sollte, ein hohler Kürbis sitzt.“ Sofort zuckte er zusammen, als Anyas Fuß nur Millimeter unterhalb seiner primären Fortpflanzungsorgane gegen die Wand stieß. Matt fasste sich kopfschüttelnd an die Stirn. „Ernsthaft, Anya. Jack hatte in den Vorrunden 37 Punkte und war vor Claire Rosenburg Weltmeister.“ Logan nahm einen Schluck aus der Flasche und zeigte auf die Blonde. „Ihr Bruder hatte 40 und wir beide wissen, wie das ausgegangen ist.“ „Genau“, pflichtete Anya ihm nickend bei und ließ den Fuß sinken. „Wie gut kann einer sein, der so tief abgestiegen ist, dass er sogar die Profiliga verlassen musste? Ich sag euch, das war das Jahr der Luschen, als der seinen Titel bekommen hat.“ Matt gab einen tiefen Seufzer von sich. „Na offensichtlich will er zurück ins Rampenlicht. Unterschätze ihn einfach nicht, du weißt, wie er seine Spiele für gewöhnlich zu beenden versucht.“ Diesmal war es Zanthes Bein, das hoch schoss und nur kurz vor Anyas spezieller Zone zum Stoppen kann. Unterkühlt gab er zu verstehen: „So nämlich.“ „Ich hab's kapiert!“, wurde er sofort angefaucht.   „In wenigen Minuten ist es soweit. Das erste Viertelfinale des Legacy Cups beginnt“, hörten sie in diesem Moment aus dem Lautsprechern Mr. Cs Stimme. Logan löste sich von der Gruppe, hob Anya die Hand zum Gruß. „Sieht so aus, als müssten wir jetzt gehen. Viel Erfolg, Kleine!“ „Ja, du schaffst das schon“, sagte Matt und klopfte ihr auf die Schulter. Auch Zanthe löste sich von der Wand. Doch entgegen Anyas Erwartungen, gab es von seiner Seite keinerlei aufmunternde Worte. Er schloss sich einfach den anderen beiden an, die gerade an einem Putzmann und dessen Wagen vorbeiliefen. In einer Mischung von Enttäuschung und Anya Bauer-Premium Wut sah sie ihm offenen Mundes hinterher. Und nur Mr. C war es zu verdanken, dass an diesem Tag kein Unglück ungeahnten Ausmaßes vorfiel. „Heute begegnen sich Anya Bauer und der Weltmeister aus dem Jahre …“ „Das gibt’s doch nicht“, knurrte Anya und stierte ihren Freunden hinterher, wie sie gerade in einen Gang nach rechts abbogen. Der Putzmann sah sie hinter einer dicken Sonnenbrille an. Anya bemerkte das und schenkte dem Typen mit seinem dämlichen Baseball-Cap der New York Yankees einen bösen Blick. Wie sah der überhaupt aus, Schnauzbart und Vokuhila, als ob er gerade von einer Zeitmaschine ausgekotzt worden war. „… Jack Leonhart Jr.!“ In diesem Augenblick öffnete sich die Schiebetür hinter Anya. Das war dann wohl ihr Signal …   ~-~-~   Wie nicht anders erwartet, herrschte an den Docks von Garland eine Menge Lärm. Riesige Frachtschiffe ankerten an den Piers, wurden von blauen Kränen mit Containern beladen. Eine gewaltige Fläche, ähnlich der eines Parkplatzes, wurde allein von diesen zu Nicks Linker eingenommen. Neben Öl, Abgasen und anderem roch es hier auch nach Fisch, denn ebenso legten in diesem Bereich Fischerkähne an. Gelassen schlenderte Nick am Rand des Hafens entlang, nahm die Bilder seiner Umgebung in sich auf. Weiter vor ihm standen drei Lagerhäuser dicht beieinander. Aus einem von diesen war das ausgehende Telefonat dieser Alexandra gekommen. Inzwischen hielt die sich in einem Motel am Stadtrand auf. Nick ging davon aus, dass ihr Kreditkartenschwindel bemerkt worden war, da sie jene seitdem nicht mehr benutzt hat. Zuerst hatte er überlegt, sie noch vor dem Treffen zu stellen. Doch nach etwas Recherche hatte er ihren Geschäftspartner als Diego de la Rosa, einen mexikanischen Millionär entlarvt, welchem Verbindungen mit der La Cosa Nostra nachgesagt wurden. Der Gedanke, dass ein Mafioso indirekt mit Anya in Verbindung stand, missfiel Nick zutiefst und wenn diese auch noch so klein war. Alex zu erledigen würde im schlimmsten Fall nur diesen Mann auf den Plan rufen, deshalb musste er gegen beide vorgehen.   Unwillkürlich griff Nick hinter seiner Windjacke an das Bund seiner Hose, in dem inzwischen eine Pistole steckte. Seine freie Zeit hatte er genutzt, um den Umgang damit zu erlernen, doch das allein würde nicht reichen, so viel wusste Nick. Er musste die Beteiligten des heute stattfindenden Treffens auslöschen. Alle. Und das ging nur mithilfe der Schattengeister. „Snuggly, Sparkly“, murmelte er, sich weiter umsehend. Ihm fiel auf, dass einige der Hafenarbeiter vor oder auf den Schiffen ihn argwöhnisch beobachteten. Beide Krähen tauchten auf seinen Schultern auf. „Was ist?“, krähte die kluge Sparkly auf seiner linken. „Ich möchte, dass ihr das Gebiet aus der Luft analysiert. Heute Nacht werdet ihr Patrouille fliegen und jeden ausschalten, der zu Diegos Stab gehört.“ Verwirrt fragte Snuggly: „Nick will töten, raw?“ Der junge Mann blieb abrupt stehen. „Diese Schweine haben nichts anderes verdient. Wenn es darum geht, zukünftige Verbrechen zu verhindern, nehme ich in Kauf, selbst solche zu begehen.“ Er musste diese Menschen von Anya fern halten. Seine Finger ließen von der Waffe ab. Solange er unentdeckt blieb, würde er die Krähen die Drecksarbeit machen lassen. „Verschont niemanden, außer diese Alexandra und De la Rosa.“ „Das ist nicht, was Xiphos wollen würde, kraw!“, protestierte Sparkly, als Nick sich wieder in Bewegung setzte. Der lachte kaltherzig. „Nein. Es ist, was ich will. Wenn euch das stört, könnt ihr gerne zu eurem Meister zurückkehren.“ Woraufhin sich die beiden Krähen auf Nicks Schulterblättern hinter dessen Rücken ansahen. Sparkly zuckte mit den Flügeln. Keine der beiden sagte etwas.   ~-~-~   Erhobenen Kinns schritt Anya direkt auf die Mitte des kreisrunden Stadions zu. Dabei bemüht, dem Kameramann, welcher ihr unauffällig folgte, keine Beachtung zu schenken. Ihr Gegner wartete bereits auf sie. Ein recht großer Mann, vielleicht 25 Jahre alt. Seine Züge waren sehr fein, kein einziges Barthaar zierte das spitze Kinn. Sein hellblonder Pony verdeckte alles bis zu den Augenbrauen, obschon er den unteren Teil des Haars auf wenige Millimeter kurz geschoren trug. „Oh Gott“, stöhnte Anya jedoch, als sie bemerkte, dass er in einem grauen Anzug gekommen war. Mit Krawatte! Das Publikum johlte bereits regelrecht. Als Mr. C dann auch noch das Wort übernahm, brach endgültig ein lautes Durcheinander aus. „Hier sind sie, die beiden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Anya Bauer, die durch ihren ungewöhnlichen Einstieg ins Turnier und ihr gefürchtetes Mundwerk bekannt geworden ist.“ Einige klatschten sogar für sie, bemerkte Anya, wenn auch kaum einer es wagte, ihren Namen laut auszurufen. Statt den wenigen Fans zuzuwinken, die sie hatte, starrte sie bewusst Jack an, welcher sie interessiert musterte. Und dabei grinste. Sie hasste ihn jetzt schon! „Mit beinahe voller Punktzahl hat er den Einzug in die Hauptrunde geschafft! Allison Slater war keine Herausforderung für ihn“, rief Mr. C plötzlich wesentlich begeisterter ins Mikrophon, „der Duellant, der dieses Jahr sein großes Comeback feiern will: Jack Leonhart Jr.!“ Sofort streckte ebendieser beide Hände in die Luft und winkte scheinbar -wirklich jedem- auf den Zuschauerrängen freudestrahlend zu. Was Anya dazu brachte, etwas zu tun, das noch nie jemand in diesem Stadion getan hatte. Sie rülpste. Die nachfolgende Stille, die entgleiste Mimik ihres Gegenüber und ein Gefühl der endlosen Erleichterung zauberten ein friedliches Lächeln auf Anyas Lippen. „Nun, also“, haderte Mr. C von seiner Lounge am oberen Ende der Tribüne peinlich berührt, „dann gebt euch die Hand, Duellanten.“ Der Ex-Weltmeister gewann sein aufgesetztes, charmantes Lächeln zurück und reichte Anya die Hand. „Viel Spaß. Übrigens, ich muss dieses Duell gewinnen, wenn du also so freundlich wärst und schnell verlieren würdest? Aber gib dir ruhig Mühe, die Leute wollen trotzdem eine gute Show.“ „Was du nicht sagst“, schlug die Blonde angriffslustig ein, „immerhin hast du die letzten zwei Jahre eine solche nicht mehr geboten, Milchgesicht.“ „Wenn es danach geht, müssen wir die Zuschauer wohl auf ein besonders enttäuschendes Viertelfinale vorbereiten“, erwiderte Jack auf Anyas Aussage hin mit einem müden Lächeln, doch sein Griff um ihre Finger wurde unangenehm fest, „denn wie wir seit den Vorrunden wissen, wird Talentlosigkeit in Bauer gemessen.“   Ein Teil der Zuschauer brach daraufhin in tosendes Gelächter aus. Etwas, das Anyas ohnehin schon leicht reizbare Natur praktisch genügend Nährboden für ihre in letzter Zeit abgeflachten Fantasien gab. „Was!?“ Der Speichel flog ihr nur so um die Ohren. „Wiederhol' das!“ „Du solltest nicht hier stehen und das weißt du. Sicher, du bist nachgerutscht, aber nur weil einer der anderen Teilnehmer nicht wusste, was er überhaupt wollte. Wie man das nennt? Zweite Wahl.“ Als er das sagte, zischten jedoch auch einige Leute aus dem Publikum oder buhten ihn sogar aus, während andere dies lautstark unterstützten. Letztlich löste er auch den Handschlag, aber nur aus einem Grund: So konnte er eine verscheuchende Handbewegung ausführen. „Also mach husch, ich habe andere Probleme als dich.“   Beruhige dich. Tätliche Angriffe werden mit Disqualifikation geahndet. Nimm ein paar Schritte zurück, zähle bis zehn und wenn du ihn dann immer noch umbringen willst … tu's einfach nicht.   Mit geweiteten Augen wirbelte Anya um die eigene Achse und stampfte davon. Eins! Ja, mit einem Ei würde es sich schlecht leben! Zwei! Genau so viele Rippen würde sie ihm brechen. Nein, mach drei draus! Vier? War im Japanischen mit dem Tod gleichzusetzen! Fünf!? Wenn er mehr als fünf Minuten mit ihr alleine in einem dunklen Raum aushielt, würde sie ihm eine Medaille schenken. Was wahrscheinlich der letzte Preis war, den dieser Typ jemals gewinnen würde, sobald sie erst mit ihm fertig war. Und fuck auf die anderen Zahlen, denn jetzt würde sie-!   Sich umdrehen, ihm auf dem Feld gegenüberstehen und für den Rest des Duells auf eine Weise anstarren, die sehr deutlich machte, dass sie für die restlichen Zahlen mehr als genug Ideen parat hatte! „Lasset das Spiel beginnen!“, rief Mr. C inbrünstig aus. Und die Kontrahenten riefen unter lautstarkem Jubel: „Duell!“   [Anya: 4000LP / Jack: 4000LP]   „Ich mache den ersten Zug“, entschied Anya herrisch. Ihr fein gekleideter Gegner sah sie gar nicht an, sondern winkte lieber irgendwelchen Schnepfen aus dem Publikum zu. Plötzlich aber wandte er sich an das Mädchen. „Hör zu, ich muss dieses Duell -unbedingt- gewinnen, verstehst du? Deine kleinen, süßen Träume von Berühmtheit berühren mich zutiefst …“ Wie er auch verdeutlichte, als er seine Hände aufs Herz legte. „ … aber ich werde sie gnadenlos zertrampeln müssen. Außer, du kommst mir entgegen und machst das selbst. Ist weniger schmerzvoll, glaub mir.“ Das passende Zwinkern dazu gab seiner Gegnerin den Rest. Kurz drohten ihre Augen aus den Höhlen zu ploppen, sodass sie schnell nach unten starrte, um sie zur Not aufzufangen.   Stell dir einfach vor-!   „Schon dabei!“, knurrte Anya abgelenkt. Voller Inbrunst starrte sie in ihr Blatt, gewillt, es diesem Idioten mit aller Macht heimzuzahlen. Was war das überhaupt für ein abgehobener Dreckskerl!? Allein der Spruch mit ihrem Nachnamen qualifizierte ihn für einen Dauerplatz in einem Pflegeheim für Schwerbehinderte. Und Gott, würde er schwerbehindert sein, sobald sie erst mit ihm fertig war. Womit -nicht- das Duell gemeint war. „Was denn, Blondie? Ich warte hier“, drängelte Jack sie, ihren Zug auszuführen. Binnen Sekundenbruchteilen lief Anya gefährlich rot an. Wenn doch bloß nicht diese beschissenen Kameramänner wären. Sonst würde sie jetzt da rüber gehen und ihn … aber sie konnte nicht! Korrektur, durfte nicht. Selbst vor Schimpfwörtern hatte Logan sie eindringlich gewarnt. Aber was zum Teufel waren seines Verständnisses nach unangebrachte Wörter!? Wenn es nach Anyas ging gab es keine! „Tch. Das ist doch zum Heulen!“, ereiferte sie sich aufgebracht. Was natürlich sofort den Kommentator Mr. C in seiner am oberen Ende der Arena befindenden VIP.-Lounge auf den Plan rief. „Es sieht ganz danach aus, als hätte Anya Bauer Probleme, eine Strategie zu finden.“ Sofort fingen auch erste Leute aus dem Publikum an, ihr zuzurufen, sie möge doch irgendetwas machen … oder gleich aufgeben. Hatten die eins an der Waffel!? In ihrem letzten Duell hatte sie teilweise mehr mit Zach gestritten, als sich duelliert! „Hmpf, na schön“, entschied sie schließlich. „Ich beschwöre [Battlin' Boxer Headgeared]!“ Unvermittelt materialisierte sich vor ihr ein durchtrainierter, dunkelblauer Kämpfer mit rotem Kopfschutz, dessen Hände in gleichfarbigen Handschuhen steckten.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   Sie nahm das Deck aus ihrem D-Pad und erklärte: „Er schickt einen Trainingspartner auf den Friedhof.“ Ein solcher Battlin' Boxer war es auch, den sie anschließend in den Friedhofsschacht schob. „Wie schön für dich“, spottete Jack ungehemmt weiter, „und weiter?“ „Das wirst du gleich sehen! Da ich einen Boxer kontrolliere, kann ich [Battlin' Boxer Sparrer] von meiner Hand spezialbeschwören, dafür aber nicht in diesem Zug angreifen.“ Neben Headgeared erschien ein weiterer Boxer in Grau, an dessen Armen dicke Schienen angebracht waren.   Battlin' Boxer Sparrer [ATK/1200 DEF/1400 (4)]   „Wow, und das im ersten Zug!?“, schauspielerte ihr Gegner hämisch mit einer ausschweifenden Handbewegung sein nicht vorhandenes Erstaunen. Die Hände sinken lassend, fügte er sarkastisch hinzu: „Kombos für Dreijährige. Fortschrittlich!“ Die Zornesfalte auf Anyas Stirn pulsierte bereits gefährlich. Was bildete sich dieser schmierige Wichskopf eigentlich ein!? Da schon ihre verkrampfte Haltung jedem mit einem Fünkchen Verstand verriet, dass ein Verbrechen im Begriff war zu entstehen, tauchte Levrier neben Anya auf.   Lass dich nicht von seinen Sprüchen ablenken. Er muss dein Duell mit deinem Bruder gesehen haben und versucht nun, dich auf die gleiche Weise zu verunsichern wie Zachariah Bauer.   Die Blonde aber schnaubte nur stoßartig hintereinander weg.   Konzentriere dich! Anders als dein Bruder, ist Jack Leonhart Jr. ein erfahrener Duel Monsters-Spieler. Du darfst dir keine Fehler erlauben, Anya Bauer!   Um sie zu beruhigen, legte Levrier ihr seine durchsichtige Hand auf die Schulter. Anya atmete ein letztes Mal tief durch, ehe sie nickte. Dann setzte sie ein freches Grinsen auf. „Bessere Sprüche hast du nicht auf Lager?“ „Doch, aber die spare ich mir für deine Niederlage auf.“ „Ich wette, das hast du zu Claire Rosenburg auch gesagt, bevor sie mit deiner Fresse die Riding Duel-Strecke geputzt hat“, konterte Anya und spielte auf die Niederlage an, die sie ihm im Kampf um den Weltmeistertitel einst zugefügt hatte. Sofort vereiste sich die Miene ihres Gegners. Anya gluckste bösartig. „Jackpot! Got it?“ „Nein.“ Niemand, um genau zu sein, so still wie das Publikum war. Davon ließ Anya sich aber nicht beirren und streckte den Arm nach vorne aus. „Mir doch egal. Ich bin übrigens noch nicht fertig. Ich habe noch eine kleine Überraschung für dich. Ich erschaffe das Overlay Network!“ Vor ihr öffnete sich ein Schwarzes Loch, umgeben von einem leuchtenden Sternenwirbel. In jenes wurden ihre beiden Boxer als rote Lichtstrahlen hineingezogen. „Aus meinen beiden Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster“, rief das Mädchen. Oh ja, damit rechnete bestimmt niemand. „Xyz Summon!“ Eine Explosion erfolgte aus dem Überlagerungsnetzwerk. Und empor stieg eine amphibische Gestalt, dürr und von dunkler Natur. Die Haut glühte an manchen Stellen rot, was kein Wunder war, brannte die Kreatur vom Schopf an bis zum langen Schweif lichterloh. Zwei Leuchtsphären umkreisten diese wie kleine Monde einen Planeten. „Zeig dich, [Lavalval Chain]!“, röhrte dessen Besitzerin. Und der sogenannte Anya-Block sprang jubelnd auf. Zu dumm, dass er im Vergleich zum Rest des Publikums im kreisrunden Stadion geradezu winzig wirkte. Genauer gesagt, bestand er nur aus Matt, Logan, Valerie und Marc. Letztere hatten sich bereits vor dem Stadion von ihr getrennt gehabt. Alle anderen Zuschauer, inklusive Zanthe, blieben beharrlich still.   Lavalval Chain [ATK/1800 DEF/1000 {4} OLU: 2]   Anya sah stolz zu ihren Freunden herüber. Besonders Marc und Valerie hatte sie dabei im Visier, denn diese Karte hatte der Sammler einst auf Basis ihrer Liebe erschaffen. Ohne die magischen Kräfte dieses Monsters wären sie alle im Turm von Neo Babylon drauf gegangen. Du solltest dich nicht zu sehr auf diese Karte verlassen. Denk daran, dass der, der sie erschaffen hat, dein Schicksal in den Händen hält.   Auf Levriers Warnung hin verhärtete sich Anyas Gesichtsausdruck. „Yeah …“ Dasselbe galt dann wohl für [Daigusto Emeral], der ihr gegen Zach gute Dienste geleistet hatte. Sich ihrem Gegner zuwendend, riss sie in der Drehung ein Xyz-Material unter [Lavalval Chain] hervor. „Pass gut auf! Ich kann eine Overlay Unit abhängen, um ein Monster von meinem Deck nach oben auf ebenjenes zu legen, damit ich es beim nächsten Mal ziehen kann.“ Seit sie ihm den Seitenhieb mit Claire verpasst hatte, stand Jack nur noch mit verschränkten Armen da und sagte gar nichts. Aber umso besser. Derweil schnappte ihr Monster nach einer der beiden Lichtkugeln und verschlang sie, nur um dann eine Stichflamme in die Luft auszustoßen.   Lavalval Chain [ATK/1800 DEF/1000 {4} OLU: 2 → 1] Als Anya gewählt hatte, schob sie die Karte oben auf ihren Stapel. Im Anschluss daran nahm sie noch zwei Karten aus ihrem Blatt und schob sie unter Chains Karte in das D-Pad. „Die setze ich. Zug beendet!“ Zischend tauchten sie zu ihren Füßen auf.   Anyas Block sprang auf und spendete dem bereits jetzt bis zum Anschlag gereizten Mädchen Applaus. Alle bis auf Zanthe, welcher lieber den Zeigefinger an die Zunge legte und seine Zeitschrift umblätterte. Als Matt dies bemerkte, stieß er den Werwolf mit dem Fuß an. „Hmm?“ Zwar hatte das Nicken in Anyas Richtung eine eindeutige Botschaft, die Zanthe jedoch geflissentlich ignorierte. „Gibt es ein Problem?“, beugte sich Logan hinter Matt hervor. Auch Marc und Valerie neben ihm schauten schon fragend herüber. Betont abweisend antwortete der Werwolf: „Nein. Sollte es?“ „Du könntest wenigstens so tun, als wärst du auf ihrer Seite“, brummte Matt. „Reg' dich ab, sie guckt sowieso nicht hierher.“ „Trotzdem gehört sich das so!“ Mit einem Ruck stand Zanthe und sah Matt strahlend in die Augen, welcher die Geste mit einem Lächeln honorierte. Welches alsbald in sich zusammenfiel, als der Kopftuchträger sich durch die Reihe an Zuschauern bahnte, um sich zu entfernen. „Wo willst du hin!?“, rief der Dämonenjäger ihm fassungslos hinterher. „Weg hier, siehst du doch. Sie wird das auch ohne meine 'Ahs' und 'Ohs' schaffen, ganz bestimmt.“ Als Zanthe die Treppen erreichte, rannte er sie hinab zum weiter unten liegenden Ausgang. „Langsam verstehe ich, warum die Kleine so ist wie sie ist“, gluckste Logan. Matt ließ sich in den Sitz zurückfallen. „Das kann doch nicht wahr sein …“ „Ich geh ihm mal nach“, schlug Logan vor und marschierte hinter dem Schwarzhaarigen im Ledermantel vorbei. „Bring' ihm ein paar Manieren bei.“ Doch der Jüngere winkte bloß ab. „Dafür kommst du ein Jahrhundert zu spät …“ „Hm?“ „Nichts. Red' ruhig mit ihm, aber beeil' dich, denn wenn Anya merkt, dass ihr beide fehlt, bin garantiert ich der Leidtragende …“   Doch der fiel überhaupt nicht auf, dass nun auch Logan sich durch die Zuschauerreihen hin zur nächstgelegenen Treppe bewegte. Sie fixierte sich allein auf Jacks Stirn, in der Hoffnung, eine Neuauflage des Todesblicks zu starten. Und verdammt, sie glaubte, da tatsächlich schon einen winzigen, roten Punkt zu sehen!   In einer geradezu formvollendeten Bewegung zog Jack die Karte, was überspitztes Gekreische von seinen Fangirls in den ersten Reihen mit sich brachte. Er hatte Fangirls, stellte Anya fest. Als ob es nicht schon genug Gründe gab, ihn zu hassen! Wie sie aus den Augenwinkeln bemerkte, hielten einige sogar Banner mit Bildern von ihm hoch. „Ich bin in der Hölle gelandet“, stellte sie ernüchtert fest. „Schön, dass wir uns endlich in etwas einig sind“, schenkte Jack ihr sein Strahlemannlächeln. Dabei sprang das Fach für Spielfeldzauber an seinem roten D-Pad auf. „Sie nennt sich übrigens [Dragon Ravine].“ Überall innerhalb der Duellfläche schoben sich massive, durchsichtige Felswände aus dem Boden. Die Dachkuppel verfärbte sich in einen gelben Sonnenuntergang, welcher durch umher kreisende, schattenhafte Drachensilhouetten noch betont wurde. „Gleich zu Beginn spielt Jack seine Schlüsselkarte aus!“, kommentierte Mr. C dies begeistert unter dem Jubel des Großteils der Zuschauer. Ein leichter Nebel waberte inzwischen bis etwa auf Kniehöhe innerhalb des Spielfelds. Der blonde Duellant im Anzug schob eine Handkarte in den Friedhofsschlitz. „Genau. Und jeder, der mich schon einmal hat spielen sehen, weiß, dass ich durch das Abwerfen einer Karte zwischen zwei Effekten wählen kann: Entweder schicke ich einen Drachen von meinem Deck auf den Friedhof oder ich erhalte ein Dragunity-Monster von meinem Deck.“ Anya erinnerte sich, dass Zanthe vor dieser Karte gewarnt hatte. War sie erst im Spiel, würde es nicht lange dauern, bis Jack das Duell gewann. Außer seine Gegnerin hieß Claire Rosenburg und verdammt, Anya war in diesem Moment -so- kurz davor, sich umzubenennen! „Ich wähle letzteren Effekt“, verkündete ihr Gegner, „und bekomme [Dragunity Dux].“ Die Karte schoss aus seinem Deck hervor und wurde sofort auf den Spielplan gelegt. „Erscheine!“ Was die humanoide Gestalt auch tat. Verhüllt in einer weißen Tunika mit Schulterplatten, machte der Mann dank der Flügel an seinem Rücken und der Haube samt Schnabel daran tatsächlich den Eindruck, als wäre er ein Vogel.   Dragunity Dux [ATK/1500 DEF/1000 (4)]   Dank des siegessicheren Lächelns auf den Lippen fiel es Jack nicht schwer, vielen weiblichen Besuchern ein Seufzen zu entlocken, als er erklärte: „Mein Freund hat auch einen Effekt, den ich dir nicht vorenthalten will, liebe Anya. Er rüstet sich bei seiner Beschwörung mit einem Dragunity-Drachenmonster von meinem Friedhof aus. Woher das wohl kommt?`“ Anya überhörte den gespielt verwunderten Tonfall des letzten Satzes gekonnt. „Du hast es eben abgeworfen, Schwachkopf.“ „Natürlich habe ich das.“ An das Publikum gewandt, sagte er: „Es handelt sich um [Dragunity Phalanx]!“ Ein kleinwüchsiger, dunkelblauer Drache, der in einer goldenen Ganzkörperrüstung steckte, stieg aus dem Nebel empor, direkt unter Dux, welcher befehlend die Geißel in seiner Hand nach vorne streckte. „Nicht umsonst habe ich mich für ihn entschieden“, schwärmte Jack weiter, „Phalanx hat einen Effekt, der ihn jetzt sofort von der hinteren in die erste Reihe befördert.“ Der Ex-Weltmeister grinste, als Anya ihn nur skeptisch anstarrte. „Das heißt, dass Phalanx aus der Zauberkartenzone spezialbeschworen wird.“ „Erzähl mir was Neues“, zischte das Mädchen zurück, als der Reiter wieder von seinem Drachen sprang und sich neben ihm positionierte.   Dragunity Phalanx [ATK/500 DEF/1100 (2)]   Währenddessen eilte Logan durch den verlassenen Gang und erreichte eine Gabelung. Gerade wollte er dem Pfeil folgen, der da sagte 'Exit', da bemerkte er Zanthe alleine stehen. Zumindest für einen Moment, bis direkt vor diesem ein etwas größerer, junger Mann auftauchte. „Was …?“, staunte der knapp 162 cm große Mann und zog sich hinter der Wand zurück. „Warum bist du abgehauen?“, fragte Exa derweil überrascht. „Ich dachte, sie wäre deine Freundin?“ Zanthe zog an ihm vorbei, sodass der junge Mann mit dem blonden, zu Braids verknüpften Haupthaar mit den Schultern zuckte und ihm nacheilte. Logan hörte die Unterhaltung interessiert durch den Korridor mit an. Frustriert aufstöhnend, erwiderte Zanthe seinem Freund: „Ich habe keine Lust, verstehst du? Seit heute morgen versuche ich ihr zu erklären, wie dieser Jack kämpft. Glaubst du, sie merkt sich etwas davon?“ „Klingt nicht danach.“ „Eben. Und ich hab's satt. Wenn sie meint, das Ganze verhauen zu müssen, dann ohne mich.“ Vorsichtig spähte Logan um die Ecke, sah die zwei jungen Männer nebeneinander her laufen. Sein Blick verfinsterte sich zunehmend. Nichts davon ahnend, zuckte Exa mit den Schultern. „Erwartest du denn, dass sie die Botschaft versteht, wenn sie dich nicht unter ihren Freunden entdeckt?“ „Sie wird es nicht einmal bemerken. Es ist schließlich Anya. Und es ist mir inzwischen egal, ich bin nicht dazu da, sie zu erziehen.“ Erst als die beiden den in einer Kurve verlaufenen Gang soweit passiert hatten, dass sie sich nicht mehr im Blickfeld des Mechanikers befanden, trat dieser aus seiner Deckung hervor. „Sieh einer an“, murmelte er düster. Und begann ihnen langsamen Schrittes zu folgen.   Anderenorts stiegen der geflügelte Dux und sein Drachenpartner nebeneinander in die Luft auf, als Jack mir dem Finger schnippte. „Jetzt, meine verehrten Zuschauer, stimme ich den Stufe 2-Empfänger [Dragunity Phalanx] auf [Dragunity Dux] ein.“ Statt in zwei grüne Synchroringe zu zerspringen, veränderte Phalanx stattdessen seine Form, wurde zu einem langen, schlangenhaften Drachen von weißer Farbe, der seine Schwingen weit ausspannte. „Filled with pride and blessed with victory to become the next in line of divinity!“ Der Drachenreiter Dux stieg mitten in der Luft auf dem wachsenden Drachen auf. „Synchro Summon! Soar, [Dragunity Knight – Gae Bulg]!“ Von dem Gespann ging ein greller, grüner Blitz aus. Und die Menge tobte. Was auch der Grund war, warum Anya betont eine Hand vor den Mund hielt und gähnte, als Gae Bulg hinab stieg und sich vor Jack positionierte. Dragunity Knight – Gae Bulg [ATK/2000 DEF/1100 (6)]   „Du siehst nicht gerade beeindruckt aus. Ein ziemlich schwaches Monster, nicht wahr?“ Anya gelang es zunehmend besser, ihren Gegner einfach nur wortlos anzustarren. „Nun, nicht mehr lange“, räusperte sich Jack, als kein abfälliger Kommentar folgte, „ich habe noch die hier: [Dragon Mastery], ein dauerhafter Zauber.“ Jene stellte sich vor ihm auf und bildete [Dragunity Phalanx] ab, an dessen Horn sich ein grüner Vogelmann festhielt. „Sie lässt mich von meiner Hand ein Dragunity-Monster an eines vom Feld ausrüsten und solange das der Fall ist, erhält Letzteres 500 Angriffspunkte.“ „[Dragunity Brandistock], hab ich Recht?“, fragte Anya nach, noch bevor ihr die Karte gezeigt wurde. Für den Bruchteil einer Sekunde fror Jacks Mimik ein, ehe er genau diese Karte in sein D-Pad schob. „Gut geraten.“ Die durchsichtige Gestalt eines dunkelblauen Babydachens in himmelblauer Rüstung verschwand im Drachenreiter, welcher daraufhin eine silberne Aura auszustrahlen begann.   Dragunity Knight – Gae Bulg [ATK/2000 → 2500 DEF/1100 (6)]   „Könnte das etwa das Ende bedeuten!?“, überschlug sich Mr. C bereits völlig. Anya hörte, wie das Publikum wild zu tuscheln begann. „Was regen sich alle so auf, so viel stärker ist es doch gar nicht geworden?“ „Anya“, sprach Jack sie mitleidig an, „du hast ja keine Ahnung.“ „Ach ja? Und wenn schon, ich hab zwei gesetzte Karten, das reicht locker!“ Geradezu abfällig war das schwache Lächeln, das der blonde Mann seiner Gegnerin daraufhin schenkte. „Nein, das wird es nicht. Versuch' ruhig, mein Monster zu zerstören, nur zu.“ Er blickte dabei siegesgewiss in sein aus zwei Karten bestehendes Blatt, von der die obere Karte [My Body As A Shield] war. Dann widmete er sich wieder Anya in aller Eiseskälte. „Ansonsten tu mir endlich den Gefallen und zieh dich in das Loch zurück, aus dem du gekrochen bist. Gae Bulg, Angriff auf … das Ding da. Dragunity Majestic Lance!“ Dux, dessen Geißel zwischenzeitlich durch einen dünnen, langen Speer ausgetauscht worden war, schwang diesen über den Kopf, ehe sein Drache den Sturm nach vorn antrat. „Eins solltest du wissen“, rief Jack dabei entschlossen, „Brandistock verleiht dem ausgerüsteten Monster zwei Angriffe. Und …“ Er griff gerade nach seinem Friedhof, als Anya den Arm ausschwang und ihren Gegner damit unterbrach. „Falle!“ Sofort huschte dessen Hand daraufhin zum Blatt, griff bereits die angedachte Zauberkarte. „[Half Unbreak]!“ Doch etwas überrascht davon, verfolgte Jack mit, wie aus Anyas aufrecht stehender Karte eine riesige Seifenblase stieg, die ihre brennende Amphibie in sich einschloss. Und selbst ein Stich mit Gae Bulgs Lanze brachte diese nicht zum Platzen, geschweige denn [Lavalval Chain] ins Grab.   [Anya: 4000LP → 3650LP / Jack: 4000LP]   „[Half Unbreak] macht eines meiner Monster für den Zug unzerstörbar und halbiert sämtliche Schäden, die ich im Kampf mit ihm erleide!“ Jack klatschte sich vor die Stirn. Wie in Zeitlupe zog er die Hand übers Gesicht hinab und sah dann auf. „Ist das dein Ernst? Ist das wirklich dein Ernst?“ Dagegen war Mr. C vollkommen aus dem Häuschen. „Da ist sie gerade noch einmal davon gekommen! Aber ihre Hartnäckigkeit hat Anya Bauer bereits zuvor oft genug bewiesen!“ Den Kopf schüttelnd, schwang Jack den Arm aus. „Danke für meine gestohlene Lebenszeit. Noch ein Angriff, Gae Bulg …“ Auch der zweite Stich nach [Lavalval Chain] führte zu nichts.   [Anya: 3650LP → 3300LP / Jack: 4000LP]   „Was weißt du von gestohlener Lebenszeit?“, schnaubte Anya. „Bist du jetzt fertig oder was?“ Jack nahm seine Schnellzauberkarte und legte sie in sein D-Pad ein, woraufhin sie zischend zu seinen Füßen auftauchte. „Ja.“ Und die Seifenblase platzte endlich.   Als Anya sich mit einem verstohlenen Grinsen zur Seite drehte und ihren Freunden zuwinken wollte, stellte sie fest, dass zwei davon fehlten. Die Plätze rechts neben und hinter Matt waren unbesetzt. Das Mädchen legte den Kopf schief, woraufhin der Dämonenjäger nur entschuldigend mit den Schultern zuckte. Das Ganze wurde auch dadurch nicht besser, dass Redfield den Kopf schüttelte. Okay, sagte sich Anya, dass der blöde Flohpelz mit Abwesenheit glänzte, war ein Problem. Aber der Zwerg auch!? Vielleicht waren sie nur zusammen auf Toilette, wenn Mädchen das so machten, warum auch nicht Jungs … Oh Gott, hoffentlich nicht! Anya war noch dabei, den Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, da drang Jacks Stimme an ihr Ohr. „Was ist los, vermisst du zwei deiner Fans? Wie traurig, das sind ja 40% Verlust innerhalb von wenigen Minuten. Das hat bisher keiner geschafft, Glückwunsch.“   In Zeitlupe drehte sich Anyas Kopf in Jacks Richtung. Und sie hauchte: „Draw …“ Oh ja, sie brodelte innerlich. Es gab allerdings nur eine Person in ihrem unmittelbaren Umfeld, die in diesem Augenblick den Geschmack der Anya Bauer-Premium Wut auskosten konnte. Und sie würde, entschied das Mädchen kurzerhand. „[Battlin' Boxer Switchitter]!“, rief sie grimmig und knallte die gezogene Karte auf das D-Pad. Ein Umhang flog und da stand er, ein metallischer Cyborg-Boxer, der seinen Kopf unter einer beigefarbenen Kapuze versteckt hielt.   Battlin' Boxer Switchitter [ATK/1500 DEF/1400 (4)]   Anya legte ein fieses Grinsen auf. „Der trainiert nicht gern alleine, deswegen ruft er einen Boxer vom Friedhof aufs Feld!“ Neben ihrem Kämpfer öffnete sich ein Runenzirkel auf dem Boden, aus dem der blaue [Battlin' Boxer Headgeared] aufstieg.   Battlin' Boxer Headgeared [ATK/1000 DEF/1800 (4)]   „Ich errichte das Overlay Network!“ Ein schwarzer Galaxienwirbel öffnete sich vor Anya, als diese den Arm nach vorne streckte. Beide Boxer verwandelten sich in rote Lichtstrahlen, die absorbiert wurden. „Aus meinen beiden Stufe 4-Battlin' Boxern wird ein Rang 4-Brocken!“ Eine Explosion erfolgte aus dem Schwarzen Loch, aus dem im Anschluss eine gar furchteinflößende Gestalt entsprang. „Xyz Summon! Mach ihn alle, [Battlin' Boxer Lead Yoke].“ Anyas Hüne hielt sich gebeugt, was an den Stahlpfeilern lag, die auf seinem Kreuz befestigt waren und in denen sich seine beiden Xyz-Materialien befanden, die man nur schwach durchleuchten sah.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Die noch immer ausgestreckte Hand ließ Anya zur Seite schwenken, hin zu ihrem brennenden Ungeheuer. „Ich nutze den zweiten Effekt von [Lavalval Chain]! Damit kann ich direkt eine Karte von meinem Deck auf den Friedhof schicken!“ Was sie nur zu gerne tat. Statt aber den Namen zu nennen, zog sie bewusst provozierend ihr Deck aus dem Schacht und überlegte. So lange, dass Jack ungeduldig mit der Fußspitze auf dem metallischen Boden zu tippen begann. Und Anya überlegte weiter, wodurch die ersten Leute schon zu tuschelnd begannen. „Anscheinend ist die Gute etwas unentschlossen“, stammelte Mr. C verloren. „Wird das bald was!?“, fauchte Jack das Mädchen letztlich an, nachdem sie es endlich geschafft hatte, seinen Geduldsfaden zum Reißen zu bringen. Unschuldig mit den Schultern zuckend, nahm Anya eine Karte aus dem aufgefächerten Deck. Nur um sie dann zurückzustecken. „Nein.“ Sie genoss den Anblick der Faust, die ihr Gegner daraufhin ballte. Und entschied sich, dass sie ihn noch ein paar Minuten zappeln lassen würde. Aber als das Geraune der Zuschauer zunehmend penetranter und nerviger wurde, entschloss Anya, dass es Zeit für den nächsten Schritt auf dem Weg zu Jacks persönlicher Bestrafung war. „Die hier“, murrte sie, zeigte das Monster kurz vor und schob es in den Friedhofsschacht. Ihr Gegner atmete sichtbar erleichtert auf. „Na endlich …“ „Angriff auf seinen [Dragunity Knight – Gae Bulg]“, befahl die Blonde völlig unerwartet und löste damit erstaunte Reaktionen aus. „Du hast [Battlin' Boxer Counterpunch] abgeworfen“, schlussfolgerte Jack. Genau dieser schob sich in diesem Moment aus Anyas Friedhof, sodass sie ihn wieder aufnehmen und diesmal überall herumzeigen konnte. Ihr Boxer ging in eine geduckte Haltung, aus der er auf den Drachenreiter vor Jack zu sprintete. „Gut erkannt, Einstein!“, rief Anya. „Den muss ich nur verbannen, damit mein Lead Yoke ein nettes Punkte-Upgrade bekommt, nämlich ganze 1000 für diesen Zug!“ Im Lauf hob der Hüne seine Rechte, die in lodernden Flammen aufging.   Battlin' Boxer Lead Yoke [ATK/2200 → 3200 DEF/2000 {4} OLU: 2]   Stille. Alle sahen Jack an, der unbedarft mit den Schultern zuckte. „Wenn du meinst? Immerhin spielst du mir damit genau in die Hände. Dank des Effekts von Gae Bulg.“ Ebenjener ließ die Lanze wieder über seinem Kopf kreisen, richtete sie jedoch diesmal gen Sonnenuntergang. Wo sie plötzlich golden aufzuleuchten begann. Jack zog eine Karte aus seinem Friedhof hervor, die von [Dragunity Dux]. „Pech für dich, du hättest dich informieren sollen. [Dragunity Knight – Gae Bulg] kann sich genau wie dein Lead Yoke stärken, aber anders als der, bekommt er gleich den kompletten Wert des Geflügelten Ungeheuers gutgeschrieben, das ich für den Effekt vom Friedhof verbanne. Du rennst gerade in dein Verderben.“ Entschlossen richtete der Vogelritter seine Lanze nach vorn und befahl seinem Reittier, ebenfalls in die Offensive zu gehen.   Dragunity Knight – Gae Bulg [ATK/2500 → 4000 DEF/1100 (6)]   Anya weitete die Augen. Die beiden Monster rasten aufeinander im nebligen Tal zu und tauschten die Angriffe aus. Die flammende Faust wurde ins Gesicht des Vogelmanns gerammt, wohingegen die Lanze ihr Ziel verfehlte und gegen einen der Pfeiler stieß. Eine gewaltige Explosion erfolgte und wirbelte sowohl Rauch als auch Nebel auf. „Ich weiß natürlich bestens Bescheid darüber, dass Lead Yoke sich durch das Entfernen einer Overlay Unit schützen kann“, meinte Jack nebenbei, „aber nächste Runde bringt ihm das auch nichts mehr.“ Die Blonde senkte das Haupt. „Sicher?“ „Hm?“ „So wie ich das sehe“, murmelte Anya leise und ließ genau das Grinsen aufblitzen, das einst Patricia Kinsky dazu gebracht hatte, aus dem zweiten Stock der Livington Middle School in einen Busch zu springen. Nur dass das Grinsen von damals lediglich einen gebrochenen Arm bezweckt hatte. -Dieses- hingegen war für so viel mehr bestimmt, wie sich zeigen sollte, als Anya mit funkelnden Augen aufblickte, „gibt es keine nächste Runde mehr.“ In genau diesem Augenblick entflammte der Rauch auf dem Spielfeld. Lead Yoke schoss aus der Wolke auf einen erschrockenen Jack zu, der die volle Dröhnung abbekam. Die Faust wurde in sein Gesicht geschlagen und trotzdem es sich um ein Hologramm handelte, kippte der blonde Schönling aus den Latschen und landete über einen Meter weit entfernt auf dem Bauch.   [Anya: 3300LP / Jack: 4000LP → 800LP]   „Ich weiß nicht, wie sie das angestellt hat, liebe Damen und Herren, aber sie hat Jack Leonhart Jr zu Fall gebracht!“, überschlug sich Mr. Cs Stimme. Die Antwort stand aufrecht vor Anya in Form einer Fallenkarte. Das Mädchen genoss den entsetzten Blick, den ihr Gegner ihr vom Boden zuwarf. „Du dachtest, ich wäre zu blöd, um über dich Bescheid zu wissen, huh?“, spottete sie bitterböse und sah auf ihn herab. „Dachtest, du wärst mir von Hause aus überlegen. Aber nicht ich bin es, der dich unterschätzt hat, sondern du mich. Das da ist [Jolt Counter].“ Der flammende Rauch verzog sich vom Spielfeld und von Gae Bulg war keine Spur mehr zu sehen. „Mit dieser Konterfalle hebelt ein Boxer jeden Effekt aus, der in der Battle Phase aktiviert wird und zerstört dessen Auslöser.“ „Oh …“, brach es aus Jack hervor. „Ich habe mir alles gemerkt. Wie du versuchst, die Angriffskraft deines Gae Bulgs zu erhöhen, um dann mit Brandistock zweimal für einen One Turn Kill anzugreifen“, erklärte Anya stolz. „Und was du versuchst, wenn das scheitert. So ein Pech bloß, dass ich dich das gar nicht erst ausprobieren lassen werde, nicht?“ Erbarmungslos hob sie den Zeigefinger und deutete auf ihren am Boden liegenden Gegner. Keine Ahnung, wie er überhaupt dort gelandet war, aber umso besser. Das war sozusagen das Sahnehäubchen auf dem Kuchen seiner Bestrafung! „Direkter Angriff, [Lavalval Chain]! Burning Vision!“ Einen Arm nach dem anderen schwang das Reptil aus und schleuderte damit Wogen puren Feuers in Jacks Richtung, der den Arm über den Kopf hielt und in den Explosionen unterging, die um ihn herum stattfanden.   [Anya: 3300LP / Jack: 800LP → 0LP]   Es dauerte einen Augenblick, bis der erste Zuschauer klatschte. Nach und nach folgte mehr Applaus für Anya, die stolz die Brust nach vorne reckte. Die Hologramme verschwanden, sodass sie sich wieder in der kreisrunden Arena befanden. „Das gibt es nicht!“, flötete Mr. C begeistert. „Anya Bauer hat den ehemaligen Weltmeister Jack Leonhart Jr. eiskalt abserviert. Sollte es noch eine Person im Stadion geben, die an den Fähigkeiten dieses Mädchens zweifelt, so möge sie ihn bitte umgehend verlassen.“ Die Blonde konnte kaum glauben, was sie da hörte. Dieser dämliche Kommentator lobte sie, sie, Anya Bauer, die Quereinsteigerin, die Niete, die Lachnummer des Turniers, der niemand etwas zutraute! Während Jack sich aufrichtete, blickte Anya zu den Zuschauertribünen. Viele Leute waren für sie aufgesprungen, darunter auch ihre Freunde. Doch ihr Lächeln verlor sich, als die Plätze neben Matt immer noch leer waren und er sowie Redfield und Butcher die einzigen aus ihrem Kreis waren, die ihren Sieg live miterlebt hatten. Von der Ernüchterung zurückgeworfen, bemerkte sie Jack erst, als er direkt vor ihr stand. „Habe“, begann er heiser, aber hörbar aggressiv, „ich dir nicht gesagt … dass ich … unbedingt gewinnen muss?“ Das Mädchen pfiff abfällig. „Hast du aber nicht. Zieh Leine.“ „So kommst du mir nicht davon“, presste er hervor und hob die Faust, die auf Anyas Gesicht zu schnellte. Es gab einen Aufschrei unter den Zuschauern.   Entgegen ihrer heimlichen Hoffnung, der Treffer würde sie zu einer entsprechenden Antwort berechtigen, blieb der Schmerz aus. Stattdessen starrte Anya die Knöchel an, die ruckartig von ihrem Gesicht weggezogen und stattdessen leicht gegen ihre Schulter getippt wurden. Dann reichte Jack ihr strahlend die Hand. „Nur Spaß. Glückwunsch für den Einzug ins Halbfinale.“ Grimmig nahm Anya an. Weil sie ihm selbst diesen letzten Triumph nicht gönnen würde, den, dass sie aus Stolz nicht einschlug. Gerade weil sie aber letztlich seine Hand nahm, konnte Jack sie für einen kurzen Augenblick zu sich ziehen. Und ins Ohr flüstern. „Denk nicht, dass ich das vergessen werde. Wir sehen uns wieder.“ Sofort riss sich Anya von ihm los. Er starrte sie an, aufgesetzt freundlich, aber aus seinen Worten war der pure Hass gequollen. „Anya Bauer ist damit unsere erste Halbfinalistin!“, schrie Mr. C aufgeregt. Die Blonde machte auf dem Absatz Kehrt und ließ Jack hinter sich zurück. Der Spinner war nur einer von vielen, die heute bestraft werden mussten.   ~-~-~   Zu viert schlenderten sie den Gehweg entlang, an den verschiedensten Geschäften vorbei. Das Abendrot schien bereits auf Ephemeria City hinab, als Anya, Matt, Valerie und Marc sich auf den Weg zurück zum Hotel der beiden Erstgenannten machten. Denn von der Ephemeria Duel Arena war es nur ein Fußweg von zwanzig Minuten bis dorthin. „Du hast ihn ziemlich vorgeführt“, meinte Matt, dessen Hände in seinen Manteltaschen steckten. Seit sie zusammen losgegangen waren, hatte Anyas miese Stimmung jedes Gespräch sofort im Keim erstickt. Valerie hatte sogar noch kein Wort außer einer knappen Beglückwünschung von sich gegeben. Sie und Marc liefen stumm hinter den beiden her. „Sag mir was, das ich noch nicht weiß“, schnaubte Anya, „zum Beispiel wieso sich die dumme Töle und der Zwerg verpisst haben?“ „Keine Ahnung, was in Zanthe gefahren ist“, beteuerte Matt zum wiederholten Male, „Logan wollte nur kurz hinterher. Vielleicht sind sie raus und danach nicht mehr ins Stadion reingekommen?“ „Dann hätten sie wenigstens auf uns warten können“, warf Marc hinter ihnen ein. Anyas Nasenflügel zitterten. „Ganz genau …“ „Du solltest wirklich mit ihm reden“, schlug der Dämonenjäger neben ihr vor. Marc pflichtete ihm bei. „Scheinbar gibt es ja ein Problem zwischen euch.“ „Mal sehen …“ Als sie danach wieder in kollektives Schweigen zu verfallen drohten, drehte Matt sich um und lief rückwärts. „Was ist eigentlich mit dir, Valerie? Du bist so still, geht es dir nicht gut?“ Die Schwarzhaarige blieb abrupt stehen, genau wie Marc und ein erstaunter Matt. Nur Anya lief abwesend weiter und musste durch ein Schnalzen des Dämonenjägers zum Halten gebracht werden. Als auch sie sich dann mit düsterem Gesichtsausdruck Valerie zuwendete, krallte die sich fester in den Gurt ihre weiße Handtasche, die sie über der linken Schulter trug. „Scheinbar ist es euch noch nicht aufgefallen, aber das nächste Viertelfinale findet morgen statt. Mit mir und Valmiro Guerri.“ „Oh“, gab Matt betroffen von sich. Anya hingegen rollte mit den Augen. „Und was ist daran so schlimm, Redfield? Der hat in den Vorrunden schlechter abgeschnitten als du und nur mit Ach und Krach das Achtelfinale überstanden.“ Valerie hielt ihren Blick gesenkt, starrte auf die weißen Pumps, die zu ihrer Hose passten. „Vor Valmiro habe ich keine Angst, wenn du darauf anspielst. Ich bin mir ziemlich sicher, ihn besiegen zu können.“ „Was Valerie damit sagen will ist“, meinte Marc und kratzte sich am Kinnbart, „dass sie dann im Halbfinale auf dich treffen wird.“ „Oh“, machte jetzt auch Anya, jedoch in einer wesentlich weniger mitfühlenden Tonlage. „Danach kämpft Marc gegen Kakyo Sangon. Die letzte Paarung ist Othello Nikoloudis versus irgendeinen Typen mit Walker als Nachnamen“, verdeutlichte Matt seiner Freundin die Situation. Valeries Verlobter ließ die Schultern hängen und blickte betreten zur Seite. „Es war doch klar, dass wir früher oder später gegeneinander ran müssen.“ „Was auch immer“, brummte Anya und nahm Valerie fest ins Visier, die nun ihrerseits den Blick von ihren Schuhen löste, „mir ist egal, gegen wen ich mich duellieren muss. Claire gehört mir.“ Ihre Erzrivalin atmete tief durch. „Anya … ich möchte dich eins wissen lassen. Sollte ich gegen Valmiro gewinnen, und das werde ich, wirst du im Halbfinale gegen mich ausscheiden.“ Das gesagt, stürmte sie plötzlich geradeaus zwischen Anya und Matt vorbei. Leicht aus dem Konzept gebracht, entschuldigte sich Marc und eilte seiner Verlobten hinterher.   Da sich ihre Wege sowieso trennen würden, da Valerie und Marc in einem anderen Hotel untergebracht waren, machte sich Anya gar nicht erst die Mühe, den beiden zu folgen. Matt sah die Blonde nachdenklich an. „Willst du wissen, was ich denke?“ „Schieß' los, Summers …“ „Sie hat gehofft, dass du heute verlierst. Damit sie nicht mit dem Gefühl leben muss, eventuell diejenige zu sein, die dich aus dem Turnier kickt.“ „Wird sie nicht.“ Anya wandte sich ihm zu. „Ich habe mehr als einmal gegen sie gekämpft. Das Halbfinale wird der ultimative Test sein, der entscheidet, wer von uns beiden besser ist. Und den werde ich bestehen, nicht sie.“ Der Schwarzhaarige konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als sie wieder begannen, nebeneinander her zu laufen. „Vielleicht sollte sie dann nicht so große Töne spucken. Der Letzte, der das getan hat, hat es bereut …“ Auch Anya gluckste. „Yeah. Ich hatte so gehofft, dass er mir zum Schluss eine reinhaut.“ „Damit du auf Notwehr plädieren kannst?“ „Bingo!“ Zusammen liefen sie immer weiter die Straße hinab, zunehmend munterer über die Teilnehmer des Turniers herziehend. Anya war froh, dass sich wenigstens die Lage zwischen ihr und Matt ein wenig beruhigt hatte. Die letzten Tage war er wieder etwas besser drauf. Zu schade, dass es jetzt Zanthe war, der scheinbar alle um sich herum herunterziehen musste. Als die beiden an einer Polizeiwache vorbeikamen und Anya davor ein Münztelefon entdeckte, hielt sie an. „Sag mal Summers, könntest du schon vor gehen? Ich will mal eben Abby anrufen.“ „Das kannst du doch auch im Hotel?“, wunderte der sich. „Weiß ich. Aber es muss jetzt sofort sein. Sonst vergesse ich noch, was mir gerade eingefallen ist.“ Sie konnte ihm ja schlecht erzählen, dass sie beabsichtigte, sich bei ihrer besten Freundin auszuheulen. Allein der Gedanke daran war ihr so unbehaglich, dass sie ihn am liebsten sofort verwerfen wollte „Ganz ehrlich“, sagte Matt und hielt auch an, „ich hatte schon im Nachhinein ein schlechtes Gewissen, dich vorgestern alleine gehen zu lassen. Nach dem, was Zed dir neulich versucht hat anzutun.“ „Ich kann auf mich alleine aufpassen, Summers“, versicherte Anya ihm grimmig. „Aber trotzdem danke.“ Plötzlich grinste er. „Man, seit wann bedankst du dich eigentlich?“ „Gar nicht. Und jetzt zisch ab, das hier ist eilig!“ „Okay“, seufzte er mit einer Spur Sorge in der Stimme, „aber halte dich von Ärger fern.“ „Es ist nur ein Telefonat, keine Kriegserklärung an die Undying!“ Nachdem sie ihm das versichert hatte, ließ Matt endlich locker und zog von dannen. Von hier waren es sowieso nur noch ein paar Minuten bis zum Hotel. Allerdings wandte sich Anya erst dem Telefon etwas abseits des Präsidiums zu, als Matt außer Sichtweite war. Ein paar Münzen aus der Hosentasche ihrer Jeans suchend, warf sie diese ein und tippte Abbys Handynummer in die Tasten. Kaum erklang das erste Freizeichen, hallte schon aus dem Hörer: „Abby hier.“ „Hi Masters“, nuschelte Anya nahezu unhörbar. „Anya! Oh mein Gott, herzlichen Glückwunsch, das war fantastisch!“ Die Blonde war erstaunt. „Du weißt schon Bescheid?“ „Natürlich! Ich habe es im Fernsehen mitverfolgt.“ „Aber hast du keine Vorlesungen?“ Ihre Freundin kicherte. „Es ist etwas knapp geworden, aber ich habe es rechtzeitig in meine WG geschafft. Übrigens ist Amanda, meine Mitmieterin, jetzt dein Fan!“ „Oh toll, dann bin ich ja wieder bei vier angelangt“, grummelte Anya und drehte sich um. Gerade lief eine alte Frau mit ihrem Hund an der Leine an ihr vorbei. Mit einem Zischen und einer verscheuchenden Handgeste machte Anya klar, dass es nichts zu lauschen gab. „F-freust du dich nicht über deinen Sieg?“ Man konnte förmlich Abbys Alarmglocken hören, so dachte Anya insgeheim. „Deine Leistung wurde nicht schlecht gemacht, falls du …“ Das Mädchen am anderen Ende der Leitung rollte mit den Augen. War ihr doch egal, was die jetzt im Fernsehen über sich brachten. „Darum geht es nicht. Es ist nur …“   Anya haderte. Wie sollte sie Abby bloß verständlich machen, was genau das Problem war? Wenn sie direkt aussprach, dass Zanthes Verhalten ihr in letzter Zeit auf die Nerven ging, dachte Abby am Ende bloß, sie käme damit nicht zurecht. Aber das tat sie! Auch wenn es sie wirklich getroffen hatte, dass er weggegangen war. Das hatte er schon in den Vorrunden gemacht! Und er war in letzter Zeit so … Und natürlich war das sowieso ihr einziges Problem, denn eine gewisse andere Person würde sie definitiv mit keinem Wort erwähnen!   Als Anya den Satz nicht beendete, hakte Abby selbst nach: „Was?“ „Stell dir einfach vor“, versuchte Anya eine geeignete Parallele zu finden, damit keine garantiert falschen Vermutungen angestellt wurden, „Greenpeace beschützt … Bäume. Liebend gern. Aber auf einmal kommt keiner mehr zu den Greenpeace-Treffen. Und die armen Bäume …“ „Ich kann dir nicht ganz folgen.“ „Verdammter Kackmist, stell' dich nicht so an, Masters! Bäume, Greenpeace, klingelt's da nicht!?“ Abby schluckte deutlich. „Nein? Oh, warte! Sag bloß, du spielst auf den Mitgliederschwund an und du willst jetzt beitreten, um-!“ Da Anya schon einen Zug sah, der vor ihrem geistigen Auge mit 200 km/h auf sie zuraste, entschied sie sich kurzerhand, von den Gleisen zu springen, solange noch die Zeit dazu war. Indem sie einfach aussprach, was anlag. „Zanthe hasst mich und ich weiß nicht, wie ich das ändern soll. Ist ja toll, dass ich immer mehr Freunde finde, aber könnte mir bitte jemand verraten, wie ich die auch behalte?“ „Ah-ach so.“ Täuschte sich Anya oder klang die Chefsirene ein bisschen enttäuscht? „A-also das ist nicht so leicht zu erklären, Anya.“ „Du hast noch zwei Minuten und ich keine Vierteldollarstücke mehr. Mach hinne!“ „Moment. Bist du etwa in ihn verliebt!?“ „Und du!? Bist du auf Drogen!?“ Anya spürte bereits, wie ihre Gehirnzellen bei dem Gedanken daran ins vorzeitige Grab hüpften. „Lieber ertränke mich in einem Sumpf aus Scheiße! Und falls du es nicht weißt, ich stand schon mal kurz davor!“ Abby kicherte künstlich. „Darüber sollten wir vielleicht auch mal reden … Also willst du einfach die Freundschaft erhalten? Dann … musst du ihm zeigen, dass sie dir auch etwas bedeutet.“ „Und wie?“ „Unternehmt ihr nichts zusammen?“ „In letzter Zeit nur die notwendigen Sachen. Er ist ja in unserer Freizeit immer weg“, schnaufte Anya wütend. „Ich glaube, er hat einen Freund …“ „Dann frag ihn, ob du ihn kennenlernen darfst. Macht alle etwas zusammen, du kannst ja Matt mitnehmen. Zeig Interesse an Zanthes Gefühlen. Fluche vielleicht etwas weniger und beleidige ihn nicht bei jeder Gelegenheit. Ansonsten folge einfach deinem Herzen.“   Frustriert trat Anya gegen den Metallpfeiler, an dem die offene Telefonkabine befestigt war. Das hatte sie doch schon probiert, aber die Dreckstöle war lieber für sich. „Noch andere Vorschläge?“ Ein Tuten. „Na toll“, schnaubte Anya und hakte den Hörer ein. Nein, falsch! Sie nahm ihn nochmal ab und rammte ihn derart fest in die Halterung zurück, dass das Plastik abbrach und er knapp über den Boden an der Strippe baumelte. Zufrieden nickte sie und spähte von der Kabine zum Eingang des Präsidiums, ob da irgendwelche Bullen herumlungerten.   Da sie keine entdecken konnte, löste sie sich vom Telefon und setzte bereits einen Schritt geradeaus, als sie innehielt. Und umdrehte. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Nicht durch ein Geräusch oder einen Schatten, nein, es war eine innere Eingebung. Anya lief zu der Seitengasse, die sich zwischen dem dreistöckigen Polizeipräsidium und einem zweistöckigen Verwaltungsgebäude befand. Sie endete in einer Sackgasse. Niemand war dort. „Ist klar“, raunte, „die Falle ist älter als Madonna. Und die ist fast so alt wie Jesus.“ Sie spürte es. Da war etwas, irgendwo. Es gab keine Mülltonnen, hinter denen sich ein Angreifer verstecken konnte. Das Aufregendste hier waren ein paar dünne, abgenutzte Rohre, die zusammen mit ein paar Metallblechen am Boden lagen. Eines davon las Anya auf, als sie sich ihren Weg in den Zwischenraum der beiden Gebäude bahnte. Als sie drei Meter von der Sackgasse entfernt stand, meldete sich ihr selbsternanntes Gewissen zu Wort. Nimmst du etwas wahr, das ich nicht bemerke?   Die irritierte Art, wie Levrier das fragte, machte Anya nur umso nervöser. So war es doch auch bei den Undying. Die waren erst bemerkbar, wenn es schon zu spät war. „Mach dich auf einen Kampf-“ Weiter kam sie nicht. Aus der Mauer schnellte sie, wie ein Geist. Eine Kreatur, die Anya noch nie gesehen hatte. Sie holte mit ihrem Katana nach ihr aus. Anya duckte sich rückwärts darunter hinweg, machte einen gebeugten Seitenschritt, um dem nachfolgenden Aufwärtshieb zu entkommen. Instinktiv wusste sie, dass ihr Rohr sie nicht beschützen konnte. Sie hatte keine Zeit, auch nur etwas zu dem Dämon mit der weißen Fratze zu sagen. Seine Angriffe wurden schneller, Anya warf sich von einer Seite zur nächsten, nur um nicht getroffen zu werden. Plötzlich knickte sie bei einem Ausweichmanöver rückwärts um. In ihren Augen spiegelte sich die Klinge, wie sie auf ihre Brust zu schnellte. Metall schepperte auf Metall. Die Blonde stieß gegen etwas Großes, Hartes. Vor ihr hatte ein riesiges Breitschwert das Katana niedergeschlagen. Mit weit geöffneten Augen starrte Anya hoch und sah die silber-goldene Plattenrüstung Ricthers, diesen römisch angehauchten Helm mit den Federn daran. „Halt dich dicht hinter mir!“, sprach er in seinem tiefen Tonfall zu Anya. Nur ihrer mangelnden Fähigkeit, die gegebenen Fakten korrekt zu verarbeiten, war es zu verdanken, dass sie gehorchte und sich regelrecht um ihn herum schwang. Sein roter Umhang löste sich von den Schultern, als der Undying einen Schritt vortrat. „Ich hätte nie gedacht, dich-!“, redete er den Dämon im schwarzen Kimono an. Welcher sein Katana anhob, die flache Hand an den Griff presste und dann zustach. Was sich im Anschluss vor Anyas Augen abspielte, konnte nur als Feuerwerk aus Hieben und Funken bezeichnet werden. Präzise parierte der Hüne jeden Schlag, scheute sich jedoch eines Gegenangriffs. Immer weiter wurde er zurückgedrängt und Anya, die sich völlig perplex hinter ihm verborgen hielt, mit ihm. „Was tust du da!?“, polterte der Undying erschrocken im Angesicht seines Angreifers, doch wurde weiter belagert. Es gelang dem Dämon, zwischen die Armpanzerung und der Hauptrüstung einen Schnitt anzusetzen, der in einer Fontäne Blut aus der Schulter Ricthers spritzen ließ.   Täusche ich mich, oder hat er dir das Leben gerettet!?   Anya starrte das Rohr in ihrer Hand an. Wenn das so weiterging, dann war die Antwort auf die Frage definitiv nein! Immer öfter wurde der massive, aber ungelenke Hüne an scheinbar empfindlichen Stellen wie Gelenken getroffen. Und auch wenn das Blut kurz darauf versiegte, reichte ein Moment der Schwäche aus, um ihn zu überwältigen. Es erstaunte Anya selbst, dass sie zu diesem Schluss kam, aber vielleicht wäre es keine schlechte Idee, ihm etwas zur Hand zu gehen. So hob sie das Rohr über ihren Kopf, drängte sich an dem Undying vorbei und stieß bereits ihren gefürchtetsten Kampfschrei aus, da rief jemand: „Wusste ich doch, dass du das bist, Ricther!“   Die drei Kämpfenden drehten ihre Köpfe zum Dach der Polizeiwache. Ein junger Mann stand dort, wirkte in seiner dunkelblauen Strickjacke, die Anya seltsam bekannt vorkam, geradezu harmlos. Sein blondes Haar war an den Seiten kurz rasiert, während das Haupthaar zu Braids verknüpft und einem Zopf gebunden war. Und er hielt etwas in der Hand, das wie ein hellblauer Cricketschläger aussah, nur etwas voluminöser. „Exa!?“, überschlug sich Ricther förmlich. „Wie kommst du-!?“ Er war noch gar nicht fertig, da schwang sich der Blonde bereits in einer Halbdrehung mindestens sieben Meter in die Tiefe. Während er um die eigene Achse wirbelte, schwang sich seine Waffe von ganz alleine auf und präsentierte sich als eine Art Langschwert mit scharfen Reißzähnen. Oder war es eine Kettensäge, Anya konnte das alles nicht schnell genug erfassen. Ricther stieß sie mit dem ausgestreckten Arm weg und wich ebenfalls aus, als der junge Mann nach ihm schlug und seine Waffe daher in den Boden rammte. Er wirbelte so schnell um die eigene Achse und holte dabei zu einem Schlag aus, dass Anya nicht mehr mitkam und wie angewurzelt stehen blieb. Ricther parierte den Treffer, während das Mädchen erschrocken zurückwich und gegen die Wand des Verwaltungsgebäudes stieß.   Exa bemerkte sie überrascht und ehe Anya sich versah, hatte er ihren Arm gepackt und zu sich gezogen. „Keine Sorge, der tut dir nichts mehr.“ „Ich mache mir mehr Sorgen um den da!“, schrie sie jedoch aufgeregt den einen Kopf Größeren an, denn von der anderen Seite der Sackgasse lauerte noch die Gefahr des Dämons. Welcher scheinbar nach einem Moment der Überraschung wieder bereit war zuzuschlagen. Ein diagonaler Hieb sollte Anya den Tod bringen, jedoch gelang es Exa durch eine präzise Drehung, das Katana aus der Hand seines Besitzers zu schlagen. Gleich darauf trat er so fest in den Bauch des Angreifers, dass dieser zurückgeworfen wurde. „Keine Ahnung wer das ist, aber ich habe Wichtigeres zu tun. Kümmere du dich um den Verrückten in der Maske.“ Schon ließ Exa Anya einfach stehen und schnellte wieder auf Ricther zu. Fassungslos verfolgte Anya mit, wie der junge Mann den Undying angriff und mit heftigen Hieben mit dieser seltsamen Waffe so weit zurückdrängte, dass er glatt auf die Straße geworfen wurde. Noch besser wurde es, als Exas Waffe sich in eine kompaktere Version verformte, ähnlich einer Wurfaxt, nur dass es eher eine Wurfkettensäge war. Von der es Exa sich offenbar nicht nehmen ließ, sie auf Ricther zu schleudern. „Hast du eine Ahnung, was du getan hast!?“, schrie er hasserfüllt, als die Funken auf dem Brustpanzer des getroffenen Undying nur so sprühten. „Du hast alle im Stich gelassen!“ Im hohen Bogen prallte die Klinge schließlich von dessen Rüstung ab, sodass Exa sie gezielt mit einem Rückwärtsschritt auffangen konnte. Anya Bauer, hinter dir!   „Scheiße, stimmt ja!“ Sie hatte diesen Drecksdämon glatt vergessen. Anya wirbelte um und sah bereits, wie jener sich nach dem Katana beugte, welches nahe der Wand zum Polizeipräsidium lag. Ohne lange nachzudenken, sprintete sie auf den Feind zu und schlug nach ihm. Aber leider wich der Bastard aus, wehrte sich sogar noch mit einem Tritt, den Anya mit ihrem Rohr parierte. Unglücklicherweise schleuderte sie das ein ganzes Stück zurück. Das Gleiche geschah im selben Augenblick auch mit Exa, welcher einen zerstörerischen Hieb von Ricther abbekommen hatte. Die beiden Menschen in der Runde stießen mit dem Rücken aneinander. „Was ist hier los, verdammter Kackmist?“, keuchte Anya panisch, als sie den sich bückenden Dämon sah, dessen Schwert sich durch eine unsichtbare Kraft vom Boden löste und förmlich in dessen Hand landete. „Sieht aus wie ein Treffen von alten Freunden“, atmete auch Exa hinter ihr schwer und hielt seine Waffe im Angesicht des nahenden Ricthers aufrecht. „Übrigens, ich bin Exa. Wer bist du, du kommst mir irgendwie bekannt vor?“ „Batgirl“, nahm Anya ihn grimmig auf die Schippe. Was ging ihn das an!? „Keine Sorge, Batgirl, ich werde schon aufpassen, dass einem hüb- … netten Mädchen wie dir nichts geschieht.“ „Ich bin nicht nett“, stellte Anya trotz der misslichen Lage klar. Ricther blieb stehen. „Solltest du das zu jemandem sagen, der die Artefakte der Hüter jagt, Exa?“ Augenblicklich wirbelte der von Anya weg und sah sie perplex an, ließ seine Waffe sinken. „Stimmt das!?“ Sein Gegenüber stöhnte schicksalsergeben. „Wow. Meine neueste Freundschaft hat gerademal ein paar Sekunden gehalten. Whoop-de-fucking-doo!“     Turn 68 – Four Sides Nach einem kurzen Wortgefecht beginnt eine Battle Royal zwischen Anya, Ricther, Exa und dem maskierten Dämon. Anya, die sich um deren Ausgang sorgt, versucht unter ihren Gegnern einen Verbündeten zu finden. Gleichzeitig ist für Nick endlich der Zeitpunkt gekommen, um Anyas Deck zurückzubekommen. Um dies zu erreichen, nutzt er alle Mittel, die ihm zur Verfügung stehen … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)