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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 64 - Lee And Lie

Turn 64 – Lee And Lie

 

 

Der Bus war unangenehm voll. Matt hätte sich in den Allerwertesten beißen können, ausgerechnet dieses öffentliche Verkehrsmittel gewählt zu haben, um zu seinem Ziel, Greenville, zu gelangen. Es gab keinen freien Sitzplatz mehr, mit Ausnahme einiger weniger, die von den Handtaschen und Rucksäcken egoistischer Jugendlicher und junger Erwachsener belegt waren. Matt, der neben einer alten Frau saß, seufzte. Hätte er sich doch lieber irgendwo ein Auto geschnappt …

 

Dazu musste man wissen, dass Matt eine leichte klaustrophobische Veranlagung besaß. Spätestens seit dem Tag, als er während einer Mission mit Alastair für mehrere Tage hinweg in einer dunklen Höhle eingeschlossen war, mied er enge Räume so gut es ging. Nicht nur die Enge selbst und die Dunkelheit hatten ihn an seine Grenzen getrieben, sondern vor allem der Geruch und die nicht mehr ganz so frische Luft. So wurde Matt hin und wieder übel, wenn jene Erinnerungen aufkeimten.

Natürlich bedauerte er es, dass er Anya während ihres Duells gegen ihren Bruder nicht anfeuern konnte, andererseits vermisste er das Stadion kein bisschen. Wie er aus der Zeitung von heute Morgen jedoch erfahren hatte, war sie siegreich aus der Begegnung hervor gegangen, auch wenn dabei unschöne Details aus ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit gelangt waren. Aber so brauchte er kein schlechtes Gewissen zu haben, sie hatte es geschafft und war eine Runde weiter.

Und es war ja nicht so, als wäre er hier zum privaten Vergnügen unterwegs.
 

Einen Blick auf das deaktivierte D-Pad werfend, verriet es ihm, dass es kurz vor 16 Uhr war. Seit vorgestern hieß es von einer Bushaltestelle in die nächste umzusteigen. Er war teilweise sogar etwas trampen gewesen, dort, wo kein direkter Anschluss herrschte. Ein Zugticket hatte er sich nicht leisten können und Nick um finanzielle Unterstützung zu bitten kam für ihn seit der Sache mit dem Messer nicht mehr infrage.

So war er nun unterwegs mit dutzenden Menschen, die sich im Gang des Busses auf Kuschelkurs befanden. Allein der Gedanke, vielleicht noch zwischen ihnen stehen zu müssen, ließ Matt erschaudern. Lieber nahm er es mit mehreren Dämonen gleichzeitig auf, als das!

 

Je näher der Bus an den Stadtrand gelangte, desto mehr Leute stiegen aus. An der Endstation, vor einem großen Busbahnhof, verließ ihn letztlich auch Matt. Von hier aus musste er nur unter einer Brücke zu seiner Rechten hindurch, um aus der Stadt zu gelangen.

Als er sie passierte, rauschte ein Zug über ihn hinweg. Sein Ziel lag etwas außerhalb der Stadt, im Wald. Dort hatte der reiche Mr. Carrington vor einigen Jahren eine Villa erbauen lassen. Vom Highway nach Westen aus führte eine kleine, gepflasterte Nebenstraße zum nahegelegenen Greenville Forest. Zu Fuß war es sicher eine dreiviertel Stunde bis dorthin, aber das störte Matt nicht. Er hatte ohnehin vor, erst im Schutze der Dunkelheit aktiv zu werden.

 

Daher ließ er sich auch Zeit und schlenderte seelenruhig am Wegesrand entlang. Zu seiner Linken erstreckte sich eine endlose, triste Graslandschaft, die durch den Highway geteilt wurde. Doch die enge Straße führte von diesem weg, am Waldrand vorbei. Dort sollte sich auch das Anwesen der Carringtons befinden.

Matt hatte zwar nicht allzu viel Recherche anstellen müssen, um herauszufinden, wo der nächste Hüter lebte, doch die Hintergründe durchzuchecken hatte ein paar Tage und einige Gespräche mit ehemaligen Angestellten gekostet. Letztlich wusste er aber immer noch nicht, mit wem genau er es am Ende zu tun bekommen würde. Aber der junge Mann fühlte sich der Aufgabe gewachsen.

 

Wie er die Straße entlang lief, seinen Rucksack geschultert, merkte er zunehmend, dass es keine gute Idee war, in einem schwarzen Ledermantel unterwegs zu sein, wenn einem die Sonne nur so im Nacken brannte. So zog er diesen schließlich aus, klemmte ihn unter den Arm und setzte seinen Weg nur im weißen Hemd fort.

Nebenbei überlegte er, was wohl geschah, wenn er erst auf Mr. Carrington traf. Ein Duell war ohnehin unausweichlich, die Frage war, was danach geschah. Der Gedanke an Drazens Schicksal bereitete ihm Unbehagen.

 

Die Zeit verstrich und Matt hatte das Ende der Straße erreicht, welches in einer Auffahrt mündete, die hinter einem zwei Meter großen Eisentor verschwand. Matt hielt sich hinter einem Baum verborgen, da er nicht von den Kameras gefilmt werden wollte. Jene befanden sich direkt über der großen Flügeltür der Villa, aber auch an anderen Schlüsselpunkten. Er hatte überlegt, einfach zu klingeln, aber da eine Konfrontation unvermeidlich erschien, wollte er das Überraschungsmoment auf seiner Seite wissen.

Passend zum Tor zog sich ein Zaun im gleichen Stil um das Grundstück, das sowohl eine mehrstöckige, weiße Villa beherbergte, als auch einen kleinen Schuppen und eine Garage im hinteren Teil. Jenen wollte sich Matt genauer ansehen. Ein Blick gen Himmel verriet ihm, dass es schon dämmerte.

 

Um nicht entdeckt zu werden, machte der Schwarzhaarige einen großen Bogen um das Anwesen. Schlussendlich war Matt an der hinteren Seite des Grundstücks angelangt, dort wo der Wald erst richtig begann. Sich hinter einem der massiven Nadelholzbäume verbergend, spähte er herüber zu dem Flügel, welcher wohl das Esszimmer darstellte. In regelmäßigen Abständen gewährten hohe Bogenfenster den Blick ins Innere, auf eine lange, hölzerne Tafel. Jeder der Stühle dahinter war mit rotem Saum bezogen und verlieh dem ansonsten auch mit roten, gemusterten Teppichen versehenem Zimmer ein klassisches Auftreten.

Aber auch hier, so stellte Matt fest, gab es Kameras. Befestigt an der weißen Fassade der Villa, würde man ihn sofort entdecken, wenn er sich dem Gebäude näherte. Mit Sicherheit wäre es kein Problem, diese zu umgehen, allerdings waren die Kameras nur der Anfang. Das wahre Problem war die Alarmanlage. Matt hatte keinen Anhaltspunkt zu dieser bei seinem Rundgang entdecken können, bezweifelte jedoch nicht, dass es eine gab. Ohne Verteilerkasten, den es lahmzulegen galt, würde es schwierig werden, unbemerkt das Anwesen zu betreten.

Und das Letzte, was er brauchte, war die Polizei an seinen Fersen. Nach wie vor wurde Matt wegen Mordes an seinem Vater gesucht, auch wenn tatsächlich seine Schwester Sophie diesen begangen hatte.

Auf seinem Weg hierher hatte er weder besagten Verteilerkasten, noch Strommäste entdecken können, die in den Wald führten. Vermutlich liefen die Leitungen unterirdisch, wodurch es ihm unmöglich war, auf herkömmlichem Wege für einen Stromausfall zu sorgen.

 

Matt seufzte und holte aus der Innentasche seines schwarzen Mantels ein Handy.

„Hilft wohl alles nichts“, murmelte er und wählte eine Nummer.

Kaum hatte er den Apparat ans Ohr gelegt, zischte es genervt aus dem Hörer: „Ich bin beschäftigt.“

„Guten Abend, Nick. Nach Feierabend noch so umtriebig?“, stichelte Matt.

„Mein 'Boss' besteht darauf. Was willst du?“

„Ich bin gerade in Sachen Anya unterwegs.“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger hoffte, damit wenigstens ein Minimum an Kooperation herausschlagen zu können. „Allerdings stehe ich sozusagen vor verschlossenen Türen. Ich muss da-“

„Du musst in dieses Anwesen, nahe Greenville? Lass mich raten, du machst dir wegen der Alarmanlage in die Hosen. Ist doch so, oder?“

Matt verstummte erschrocken. Er hatte noch gar nichts weiter gesagt, woher wusste Nick dann, wo er sich befand!? Umgehend spürte er, wie ihn die Antwort darauf das Blut in den Adern gefrieren ließ.

„Beobachtest du mich etwa?“

„Ja“, kam die schonungslos trockene Antwort, „ich will kein Risiko eingehen.“

Matt schnaubte bei dieser eindeutigen Implikation. Und mahnte sich, gar nicht erst darauf einzugehen, sondern einfach bei der Sache zu bleiben. „Kannst du's?“

Sein Gesprächspartner rümpfte hörbar die Nase. „Willst du mich beleidigen? Wenn ich nur die Alarmanlage ausschalten soll, bist du in fünf Minuten drin. Allerdings könnte ich dir auch anbieten, das ganze Stromnetz der Region lahmzulegen, aber das dauert etwas länger.“

„Damit kann ich leben.“ So wäre es möglich im Dunklen zu agieren, zumal es ohnehin noch dämmerte. „Er ist da drin, also gib dir Mühe.“

„Um etwaige Probleme wirst du dich selbst kümmern müssen“, meinte Nick provokant angehaucht. „Kriegst du es hin, notfalls mit Gewalt zu arbeiten? Doch sicher, oder?“

Die Antwort blieb ihm Matt jedoch schuldig, da er einfach auflegte. Um den Baum auf das Grundstück schauend, konzentrierte er sich lieber darauf, nach Anhaltspunkten zu suchen, wo dieser Hüter sich aufhalten könnte. Die Schlafzimmer waren garantiert in einem der oberen beiden Stockwerke.

Was nichts daran änderte, dass er innerlich trotzdem brodelte und Nick am liebsten eine reinpfeffern würde. Verdammt, Anya färbte zunehmend auf ihn ab!

 

Matt staunte wirklich nicht schlecht, als nicht einmal zwanzig Minuten später sämtliche Lichtquellen des Anwesens versiegten. Mit einem Schlag war es stockdunkel, passend zum Tageszeitenwechsel.

„Nicht schlecht“, lobte Matt Nick leise. Und nahm darüber hinaus zur Kenntnis, wie gefährlich doch jemand mit seinen Fähigkeiten war. Das Telefon würde er definitiv früher oder später entsorgen und sein D-Pad austauschen.

 

Bevor Matt sich ins Abenteuer stürzte, lauschte er aufmerksam. Er hörte keine Geräusche, wenn man das gelegentliche Knarzen der Bäume oder den Ruf eines Tieres außen vor ließ. Scheinbar war niemand der Belegschaft nach draußen gegangen. Gute Voraussetzungen für eine Infiltration.

 

Vorsichtig stahl sich Matt hinter dem Baum hervor und huschte vorbei zu dem kleinsten der drei Gebäude, das vermutlich ein Geräteschuppen oder dergleichen war. Zum Zaun hin gab es dort keine Fenster, aus denen jemand schauen und ihn zufällig entdecken konnte.

Dort angelangt, schaffte es Matt in erstaunlich leisen und agilen Bewegungen, sich über den Zaun zu ziehen und mit einem Satz auf dem Grundstück zu landen. Er war jetzt auf der Ostseite, nicht weit befand sich ein Seiteneingang für die Bediensteten. Direkt neben dem Schuppen lag die Garage, deren weißes Tor heruntergefahren war.

„Dann mal los“, flüsterte Matt sich selbst ermutigend zu.

 

~-~-~

 

Anyas Augen hatten Schwierigkeiten, sich an die schlechten Lichtverhältnisse zu gewöhnen. Die Kneipe oder was auch immer war größtenteils in rötliches Licht getaucht, ausgehend von der Bar, die sich direkt gegenüber dem Eingang befand.

„Da drüben“, meinte Logan an ihrer Seite und deutete auf die hintere Ecke, „hab sozusagen die VIP-Lounge gebucht.“

„Das ist 'n Ecksofa, mehr nicht“, brummte Anya, die der schwarzen Ledercouch auf den ersten Blick nicht viel abgewinnen konnte.

 

Hier sollte also ihr Sieg gefeiert werden? In einer lausigen Bar, in der sie garantiert nicht einmal ein Bier bekommen würde, weil sie noch nicht volljährig war?

Es fiel der Blonden äußerst schwer, ihr Missfallen für sich zu behalten. Was auch nur daran lag, dass sie immer noch müde war. Immerhin war es nicht ihre Schuld, dass sie bis zum späten Nachmittag durchgeschlafen hatte. So erschöpft war sie noch nie gewesen, das Duell gegen Zach hatte ihr alles abverlangt.

Als Zanthe sie dann irgendwann gegen 15 Uhr weckte und das mit einer Laune, die sie sonst nur von sich kannte, da ahnte Anya schon, dass der Tag beschissen werden würde. Aber als dann ein halbes Dutzend Reporter vor ihrer Zimmertür auf sie lauerte, da -wusste- sie es. Und die loszuwerden war erstaunlich schwierig gewesen.

 

Und jetzt war sie also hier. Zusammen mit dem Zwerg, einem unberechenbaren Werwolf, Redfield und Marc.

„Anya …“, sprach Valerie das Mädchen von hinten an und legte ihre Hand auf deren Schulter.

Jene drehte sich zu ihrer Erzrivalin um und musste den wenig begeisterten Ausdruck gar nicht deuten. „Ich weiß Redfield. Aber da musst du jetzt durch.“

Ohne es zugeben zu wollen, brachte Anya es nicht übers Herz, Logans Wahl der Location zu kritisieren. Wie auch, wenn er bereits vorging und sie in Richtung der Sitzecke winkte. Der Laden war außer ihnen komplett leer, was vielleicht noch daran liegen konnte, dass die Kernzeit eines solchen Etablissements noch nicht angebrochen war.

„Sieht doch ordentlich aus“, kommentierte Marc, der an den beiden Mädchen vorbei zog und sich dabei umschaute.

Sich auf die leeren Barhocker fixierend, zuckte Anya mit den Schultern. „Yeah.“

„Ich dachte eigentlich, wir würden essen gehen“, murmelte Valerie noch immer leicht unterwältigt.

„Und plötzlich ist das hier gar nicht so schlecht“, erwiderte die Blonde, welcher allein beim Gedanken an ein Candlelight Dinner zu fünft schlecht wurde. Womit sie ihre Freundin auch stehen ließ.

 

~-~-~

 

Vorsichtig schlich sich Matt am Schuppen vorbei, Richtung der Garage. Dabei fixierte er seinen Blick auf den Bediensteteneingang quer gegenüber, welchen er nehmen würde, um in die Villa zu gelangen. Sich an der weißen Fassade der Garage anlehnend, blickte er um die Ecke. Niemand war zu sehen. Auch die Fenster nahm er ins Visier, doch er konnte nirgendwo die Silhouette eines ungewollten Zeugen entdecken.

Dann war es soweit, eine dunkle Wolke zog vor den jungen Mond.

 

Tief durchatmend, ließ Matt sein Versteck hinter sich und rannte auf die Tür zu. Er ahnte nicht, dass auf dem Dach der Garage unlängst jemand Notiz von ihm genommen hatte. Ebenso wenig ahnte er, dass dieser jemand bereits mit ausgestreckten Gliedmaßen in seine Richtung flog. Und ihn letztlich in den Boden rammte. Etwas knackte laut, aber da war kein unmittelbarer Schmerz.

„Argh!“

Der Schwarzhaarige fackelte nicht lange. Obschon sein Gesicht in das Gras gepresst wurde, verpasste er seinem Angreifer eine Kopfnuss, rammte dann seinen Ellbogen in dessen Bauch. Der Mann keuchte und ließ von ihm ab, sodass Matt die Gelegenheit nutzte, sich in die andere Richtung wegzurollen. In einer wirbelnden Umdrehung gelangte er auf die Beine. Wesentlich unbeholfener versuchte dies auch sein Gegenüber, was jedoch erst beim zweiten Versuch eher schlecht als recht gelang.

 

Matt traute seinen Augen kaum, als sein Angreifer sich vor ihm aufbaute. In diesem Moment zog die graue Wolke schon wieder am Vollmond vorbei, sodass der Dämonenjäger sein Gegenüber gut erkennen konnte.

Kurzes, schwarzes Haar, das hinten erstaunlich lang war. Eine Rotzbremse vom Feinsten. Eine Lederweste über einem weißen Muskelshirt, nur dass es kaum erkennbare Muskeln an dem schlanken, langen Körper gab. Dazu eine Sonnenbrille.

Der junge Mann musste ein Grinsen unterdrücken. Vor ihm stand ein waschechtes Relikt der 90er.

„Hab' ich dich, Einbrecher!“, zeigte der schon etwas ältere Mann mit dem Finger auf ihn. „Sprich dein letztes Gebet, bevor ich deinen Arsch eigenhändig in den Knast katapultiere.“

„Was bist du denn für einer?“, kratzte sich Matt am Kopf. Soviel dazu, hier unbemerkt hineinzukommen.

Breit grinsend mit dem Daumen auf sich zeigend, antwortete der Kerl tatsächlich so stolz, als hätte er nur auf diese Frage gewartet. „Ich bin Lee Anderson, der Wachhund der Carrington-Familie. Der Krieger im Dunkeln, der Streiter für Gerechtigkeit, der beste Dämonenjäger des Planeten. Ein Prototyp, der nie in Serie ging! Und ich habe ganz gewiss nicht die ganze Nacht vor der Alarmanlage gesessen und gewartet, dass irgendetwas passiert, nein, habe ich nicht!“

„Hast du doch“, entfleuchte es Matt, welchem es schwerfiel, diesen Lee ernst zu nehmen.

Jener stampfte überführt auf den Boden. „Dammit! Das bleibt unter uns, verstanden!?“

„Hör mal … Lee.“ Der Schwarzhaarige hob beschwichtigend die Hände. „Ich will keinen Ärger machen. Genau wie du bin ich ein Dämonenjäger und-“

„Du Grünschnabel nennst dich Dämonenjäger!? Haaah!“ Der Typ rotzte vor ihm auf den Boden.

Matt dachte ärgerlich, dass er genau dasselbe über ihn sagen könnte.
 

Unvermittelt begann sich der Typ in Bewegung zu setzen. Wie ein Raubtier zog er seinen Kreis um Matt, ihn nicht aus den Augen lassend. „Worauf hast du es abgesehen, häh? Den Schmuck meiner Herrin? Oder gar-!?“

„Was?“, hakte Matt missmutig nach, Lees Bewegungen aus den Augenwinkeln folgend.

Ahnte er, weshalb es ihn wirklich hierher verschlagen hatte?

„Nie im Leben!“, keuchte Vokuhila-Lee aufgebracht. „Du kannst unmöglich davon wissen!“

Matt schmunzelte und erwiderte leise, als der Größere sich direkt hinter ihm befand: „Was, wenn doch?“

„Ihre Unterwäsche wirst du nicht entweihen!“

Ohne Vorwarnung stürzte sich Lee auf den Dämonenjäger … und stürzte nur noch, als jener ihn mit einem Griff und einer flinken Drehung aufs Kreuz legte.

Auf den verdutzten Kerl herabblickend, murmelte Matt: „So einer bin ich nicht …“

Sofort sprang Lee wieder auf und torkelte erst einmal rückwärts, spuckte Gras und Erde, dabei die Arme kämpferisch in Kung-Fu-Haltung erhoben.

„Noch bin ich nicht besiegt, Tiger!“, raunte er dabei atemlos.

 

Matt biss sich auf die Lippe, dabei aus den Augenwinkeln das Grundstück musternd. Niemand schien diesem Verrückten zu Hilfe zu kommen. Vielleicht hatte noch niemand im Anwesen bemerkt, dass es einen 'Einbrecher' gab.

Sein Fokus richtete sich wieder auf Vokuhila-Lee. Es erschien ihm sinnlos, dem noch weiter irgendwelche Informationen entlocken zu wollen. Der war das fleischgewordene Gegenstück zu Anya. Wenn er ihn ohne Aufmerksamkeit zu erregen ausschalten könnte …

Ohne lange darüber nachzudenken, griff Matt in die Innentasche seines Mantels. Wie gut, dass er sich vorbereitet hatte. Denn kaum hatte er die weiße Karte gezückt, schoss aus ihr ein silbernes Licht. Nur einen Moment später befanden die beiden sich in einer quadratischen Barriere, die gerade groß genug war, um das Grundstück samt Villa einzuschließen. Danach sah man nur noch die Unendlichkeit. In Schweinchenrosa. Man musste Abstriche machen, das hatte Al ihn früh gelehrt, dachte Matt und gluckste in sich hinein.

„Was hast du getan!?“, kreischte Lee mehr, als dass er sprach.

„Das, was richtige Dämonenjäger tun, wenn sie ungestört sein wollen. Ich habe einen Bannkreis errichtet.“ Matt musste ein Auflachen unterdrücken. Wieso überraschte es ihn nicht, dass sein Gegenüber scheinbar keine Ahnung hatte, was gerade geschehen war?

 

Entscheidender war allerdings, ob Mr. Carrington den Zauber bemerken würde. Diese Art Bannkreis war für viele übernatürliche Wesen unsichtbar und präsenzlos, aber wie verhielt es sich mit Hütern? So oder so, er hatte jeden der hier Anwesenden eingesperrt, wenn der alte Mann also nicht schon im Bett war und schlief, würde er auf Kurz oder Lang etwas bemerken müssen. Spätestens wenn er aus dem Fenster sah …

 

„Du hast jetzt-“

„Ich duelliere mich mit dir!“, stotterte Lee, bevor Matt aussprechen konnte.

„Nei-“

„Doch!“

„Ne-“

„Doch!“

„N-“

„Doch!“

Matt öffnete den Mund fasziniert. Dann seufzte er. „Und warum?“

„Warum nicht? Oder bist du nicht nur ein Einbrecher, sondern auch ein Feigling!?“ Dass der Typ dabei noch den Zeigefinger erhob, zerrte bedrohlich am immer dünner werdenden Geduldsfaden des Schwarzhaarigen.

 

Aber wieso eigentlich nicht?

Könnte sich hinter dieser Masche vielleicht mehr verbergen, als es den Anschein hatte, so fragte sich Matt? Vielleicht war dieser Lee derjenige, nach dem er wirklich suchte? Wer würde in ihm schon den neunten Marquise Exeters, bürgerlich William Theodore James Cecil, auch Marquise James Carrington genannt, vermuten?

Es wäre so perfide, dass Matt es fast für denkbar hielt. Und sich sogleich die weißen, fingerlosen Handschuhe aus seiner Manteltasche zog und überstreifte. Einen Versuch war es allemal wert!

 

Als Matt jedoch einen Blick auf sein D-Pad am linken Arm warf, weitete er erschrocken seine Augen. Nicht nur auf auf dem Display ein tiefer Sprung zu sehen, nein, genau dort war eine deutliche Delle zu sehen.

„Verdammt!“, fluchte der junge Mann und aktivierte das Gerät, das jedoch nicht reagierte. „Sag bloß nicht-!“

Er versuchte es wieder, allerdings ohne Erfolg. Der Apparat fuhr nicht einmal hoch.

„Wegen dir ist mein D-Pad jetzt im Eimer“, fuhr Matt Lee an. So viel dazu, dass er sich bald ein neues besorgen müsse. Der junge Mann verfluchte das Pech, das ihn Zeit seines Lebens zu verfolgen schien.

Der nicht ganz so clevere Vorschlag Lees lautete: „Dann schmeißen wir mit Karten um uns!“

„Nein. Das geht auch anders! Zeit für einen alten Klassiker!“ Matt zückte grimmig dreinblickend eine weitere weiße Karte und fuhr in einer geraden Linie direkt auf Brusthöhe vor sich mit dem Arm nach rechts. Dabei zog er eine schwarze Schliere nach sich. „Gott, wie lange ist das her, dass ich das das letzte Mal benutzt habe …“

Schwarzer Staub wirbelte genau auf der Stelle, wo das dunkle Licht von seiner Hand entlang geglitten war. In wahnsinniger Geschwindigkeit setzten sich jene Partikel zu einem Duel Monsters-Spielplan zusammen, gemacht aus einer festen Marmorplatte.

Matt grinste frech. „Etwas gewöhnungsbedürftig. Normalerweise wird die für … andere Zwecke eingesetzt. Aber das weißt du sicher.“

Wusste Lee nicht, wie man anhand seines weit offenen Mundwerks und den bis zum Anschlag aufgerissenen Augen ablesen konnte. So starr wie er da stand, machte er glatt den Eindruck einer Statue. Vielleicht war er doch nur ein Holzkopf …

„Da der Strom ausgefallen ist, musste ich hierauf zurückgreifen“, erklärte Matt, „aber du kannst deine Duel Disk oder was auch immer trotzdem benutzen. Es reicht, wenn der Zauber von einer Spielfeldseite wirkt.“

Keine Reaktion von Statuen-Lee. Auch nicht nach einer Minute. Matt lehnte leicht den Kopf zur Seite und wollte gerade fragen, ob sein Gegenüber noch am Leben sei, da schnellte dessen Zeigefinger derart unerwartet nach vorn, dass es den Dämonenjäger glatt erschrak.

„Jetzt hab ich's!“ Lees Blick war geradezu fixiert auf den marmornen Spielplan vor Matt. „Ich weiß, was du bist!“

„Ein Dä-!“

„Ein Dämon! Du willst mich in die Hölle zerren!“ Unter einem Wutschrei streckte Lee den Arm aus. An dem wohlgemerkt keine Duel Disk befestigt war. „Aber da bist du an der falschen Adresse! Diesen Kampf verlierst du, dich schicke ich in die Hölle zurück, denn -ich- bin ein Dämonenjäger! Der beste!“

Sich an der Wange kratzend, fragte sich Matt, ob sein Gegner auch nur ein Wort von dem verstanden hatte, was er gesagt hatte. Seufzend redete er sich ein, dass es ohnehin egal war, solange er erstmal diesen Typen nur loswurde, ob nun Hüter oder nicht …

„Dann zeig mir, was du drauf hast“, forderte Matt und winkte demonstrativ mit der Hand zu sich, dabei ein gehässiges Grinsen nicht unterdrücken könnend. Denn unabhängig von seinem Status würde Lee sein blaues Wunder erleben.

„Duell!“, schrien beide schließlich synchron.

 

[Matt: 4000LP / Lee: 4000LP]

 

„Ich fange an!“, entschied Lee kurzerhand.

Matt schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, als sein Gegner tatsächlich sein Startblatt direkt aus der Deckbox an seinem Gürtel zog. Wo wollte er überhaupt die Karten platzieren, wenn er keine Duel Disk dabei hatte!?

Die Antwort kam prompt, als sich Idioten-Lee kurzerhand in den Schneidersitz begab und den Rasen als Spielfläche nutzte.

„Ich setze zwei Karten, Monster und Falle! War'n nettes Spiel, Dämon! Und jetzt geh sterben!“

Er legte die Karten vor sich in den entsprechenden Positionen hin, in vergrößerter Form tauchten sie weiter vor ihm auf, wie bei einem normalen Duell.

 

Matt kratzte sich am Kopf. „Oh man …“

Es war wirklich nicht seine Art, seine Gegner beleidigen zu wollen, aber seit der ersten Sekunde war es schier unerträglich, dem Drang in Lees Fall zu widerstehen. Verdammt, Anya färbte -wirklich- auf ihn ab!

Sich möglichst rasch durch das Schütteln des Kopfes von diesen wenig erheiternden Gedanken befreiend, griff er nach dem Deck auf seinem Spielplan und zog. Nein, er würde Lee respektieren, auch wenn er etwas … seltsam war! Außerdem durfte er nicht vergessen, dass dies vielleicht nur eine Fassade war, wenngleich ein nicht geringer Teil in ihm dies immer mehr bezweifelte.

„Draw!“, rief er in der Bewegung und sah die Karte an. „Cool, die spiele ich gleich aus! Erscheine, [Evilswarm Zahak]!“

Unter lautem Gebrüll stieg über Matt ein schwarzer, dreiköpfiger Drache auf. Zwar nicht so eindrucksvoll wie sein Ourorobos, hatte jener dennoch etwas für sich – die messerscharfen Klingen auf jedem seiner Häupter.

 

Evilswarm Zahak [ATK/1850 DEF/850 (4)]

 

„Es ist wirklich erschienen!“ Lee sprang auf und machte Augen wie ein Politiker nach seiner Wiederwahl. Was Matt mehr als verwunderte, hatte der Typ nicht reagiert, als seine eigenen Karten erschienen waren. Dessen Staunen hielt jedoch nur kurz an, denn wieder zeigte er ungeniert mit dem Finger auf den Dämonenjäger. „Okay, was für ein Dämon bist du genau!? Eine Hexe!?“

„Eine ... was!?“

„Oder ein Vampir!?“

„N-nein! Verdammt, ich bin kein-!“

Lee hielt beide Arme über Kreuz. „Nein, mich kannst du nicht täuschen, dreckige Brut!“

Genervt durchatmend, schluckte Matt den zunehmend wachsenden Kloß an Beleidigungen in seinem Hals herunter. Schon jetzt wusste er, dass er seine Beherrschung irgendwann in diesem Duell verlieren würde. Was für Lee schmerzhaft enden würde.

Vielleicht gelang es ihm aber auch, das Duell schnell zu beenden. Den Arm ausstreckend, zeigte er auf das gesetzte Monster. „Los Zahak, schauen wir mal, was sich da drunter versteckt!“

Einem Dreizack gleich, flog der Drache mit den Köpfen voran Richtung Lees Spielfeldseite. Zeitgleich wirbelte die Karte des gesetzten Monsters um die eigene Achse und die angekündigte Falle sprang auf. Zahak bekam es mit einem weißen, schlangenhaften Drachen zu tun, der eindeutig chinesisch angehaucht war. Solche Wesen sah man oft auf Paraden, aber nur als Puppen oder Seidenhüllen. Besonders an diesem hier war zudem sein leicht durchscheinender Körper, als wäre er nur ein Trugbild. Was nichts daran änderte, dass er von Zahak durchbohrt wurde und sein Schmerzschrei hörte sich durchaus real an.

 

Chiwen, Light Of The Yang Zing [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

Gerade stemmte Matt zufrieden eine Hand in die Hüfte, da verging ihm sein Grinsen. Zwei leuchtende Funken, Sternen gleich, stiegen aus Lees Deck auf. Jener hatte von Matt unbemerkt zwei Karten von dort aufgenommen und legte sie nun vor sich auf den Boden. Keine Sekunde später tauchten über ihm ein roter, vierbeiniger Drache mit wallender, schwarzer Mähne und ein finsteres, ebenfalls auf vier Beinen gehendes Biest auf. Während ersterer sich dank seiner Schwingen in der Luft hielt, landete der zweite auf dem Boden, streckte die beiden Arme, die er im Gegenzug besaß, weit aus und stieß einen schrillen Schrei aus. Beiden mangelte es ebenfalls an einer festen Gestalt.
 

Suanni, Fire Of The Yang Zing [ATK/1900 DEF/0 (4)]

Taotie, Shadow Of The Yang Zing [ATK/2200 DEF/0 (5)]

 

„Na, verschlägt es dir die Sprache? Huh!?“, bellte Lee, welcher es sich inzwischen wieder im Schneidersitz bequem gemacht hatte. „Du hast Chiwen auf dem Gewissen, du Schwein! Aber zumindest konnte er mit seinem letztem Atemzug ein anderes Yang Zing beschwören.“

Gerade wollte Matt Lee darauf hinweisen, dass er noch einmal nachzählen sollte, da sprang ihm die Falle ins Auge, die zu dessen Linken offen stand.

„[Yang Zing Creation] …“, las Matt den Namen vor.

„Ahja, und die auch. Die macht dasselbe nochmal, halt einmal pro Zug, weißte“, fasste sein Gegner den Effekt äußerst knapp zusammen.

Matt stöhnte. „Großartig, die Hydra in Drachengestalt also. Irgendwie habe ich keine Lust, da irgendwelche Köpfe abzuhacken …“

Was sich wohl leider nicht vermeiden ließ, wie Matt befürchtete. Er nahm eine Karte aus seinem Blatt und positionierte sie direkt unter Zahaks. „Die hier setze ich. Du bist am Zug.“

Zischend tauchte sie vor seinen Füßen auf.

 

„Oh, das bin ich!“ Unter einem kehligen Kampfschrei, oder was auch immer jener schiefe Ton darstellen sollte, zog Amazonen-Lee eine Karte. „Okay, Dämon! Bete schon mal zu Gott!“

Und Matt schüttelte einmal mehr an diesem Tag mit dem Kopf. „Dämonen beten nicht zu Gott …“

„Dann … mach was anderes! Egal! Ich aktiviere eine Zauberkarte, [Yang Zing Prana]!“

Der Vokuhilaträger schmetterte die dauerhafte Zauberkarte in den Boden – wortwörtlich. Und während er sich darüber ärgerte, dass jene dadurch dreckig geworden war, schreckte Matt zurück. Denn überall auf dem Grundstück spaltete sich die Erde und gelb leuchtende Energiekanäle kamen zum Vorschein. Auch das Spielfeld selbst wurde zerteilt, die dadurch entstandenen Plattformen drifteten auseinander. Einzig die Villa sowie der Schuppen und die Garage waren davon nicht betroffen.

„Was ist das für eine Karte!?“, grübelte Matt.

„Nun empfange dein Urteil, Hexe! Ich beschwöre [Bixi, Water Of The Yang Zing]!“ Lee streckte mit viel zu sehr angezogenem Kinn den Finger aus. „Attacke!“

Zunächst bildete sich der Panzer, dann tauchte der Rest der vierbeinigen, bärtigen Drachenkreatur auf, die einer Schildkröte nicht unähnlich war. Das blau leuchtende Wesen öffnete sein Maul.

 

Bixi, Water Of The Yang Zing [ATK/0 DEF/2000 (2)]

 

„Er greift an!? Warte …!“ Matts Blick richtete sich auf Lees Fallenkarte. „Du willst dein Feld mit Monster fluten!“

Die Stirn kraus ziehend, schwang der richtige Dämonenjäger unter ihnen den Arm aus. „Gar nicht so dumm, dafür ein wenig Schaden einzustecken! Aber daraus wird nichts, Falle!“

Seine Karte sprang auf. Von dauerhafter Natur, war auf ihr ein älterer Mann in rot-orangener Robe abgebildet, der über eine Masse an vor ihm niederknienden Menschen gebot. Aus der Karte selbst kam jedoch nicht er, sondern ein ganzes dutzend stählerner Ketten hervorgeschossen.

„[The Regulation Of Tribe] lässt mich einen Monstertypen wählen, welcher, solange diese Karte auf dem Spielfeld liegt, nicht angreifen kann!“, erklärte Matt den Effekt.

Wie Schlangen bewegten sich die Ketten in der Luft und bahnten sich ihren Weg zu den drei Drachen, die sich auf Lees Plattform befanden. Matt grinste. „Da du scheinbar nur einen Typen spielst ist die Wahl nicht weiter schwierig. Drache!“

In Bixis Maul quoll derweil eine regelrechte Flut als die Ketten ihn erreichten – und durch ihn hindurch glitten. Selbiges geschah mit dem dunklen Taotie und dem über ihn fliegenden Suanni.

Dann schoss Bixi eine Fontäne aus seinem Maul in [Evilswarm Zahaks] Richtung. Der dreiköpfige Drache wich der Attacke jedoch problemlos aus, setzte zum Sturzflug an und zerteilte den vermeintlichen Drachen mithilfe der Klingen an seinen Häuptern. Lee kicherte geheimnisvoll dabei.

 

[Matt: 4000LP / Lee: 4000LP → 2150LP]

 

„Besitzen deine Monster einen Effekt, der sie vor Fallen schützt!?“ Matt war fassungslos darüber, dass die seine nicht funktioniert hatte. Wild gestikulierte er mit dem Armen. „Verdammt, antworte!“

Lee grinste breit und erhob sich aus seinem Schneidersitz. „Nein, da liegst du völlig daneben, Dämonenhexe.“

„Uh …!“

Stolz schlug sich sein Gegner auf die Brust. „Meine Monster sind keine -einfachen- Drachen. Sie sind Phantome, mächtiger als es -bloße- Drachen je sein könnten. Sie sind vom Typ Wyrm.“

Matt horchte erstaunt auf. „Typ was? Moment, so einen gibt es nicht!“

„Oh doch!“ Zum Beweis hob Lee Bixis Karte auf und warf sie Matt zu, welcher sie zwischen den Fingern auffing.

Und tatsächlich, als er die Karte betrachtete, war dort definitiv besagter Wyrm-Typ angegeben. Aufgebracht blickte der junge Mann auf. „Das kann nicht sein, ich habe noch nie davon gehört!“

Überheblich verschränkte Lee die Arme. „Natürlich nicht, Amateure wie du werden nie in den Genuss der Wyrm kommen. Jene Karten sind so selten, dass sie nur der absoluten Überelite vorbehalten sind.“

Er setzte sein schmierigstes Grinsen auf. „Wyrm-Monster werden als Preiskarten auf großen Turnieren verteilt. Nur so bekommt man sie, nicht anders! Und ich hab meine bestimmt nicht von einem Profi-Duellanten oder so gestohlen!“

Genervt erwiderte Matt mit zusammengekniffenen Augenlidern: „Hast du wohl.“

„Verdammt!“, schrie Lee ertappt und hielt sich die Hände vor den Mund. Drohend richtete er zum x-ten Male den Finger auf Matt. „Wage es nicht, das irgendwem zu erzählen! Petzen mag ich gar nicht!“

Schlaff entgegnete Matt, als er die Karte zurückwarf, die seinen Gegner nicht völlig unabsichtlich ins Gesicht traft: „Ich … werde es in Erwägung ziehen …“

„Was auch immer!“ Lee nahm zwei Karten von seinem Deck, das er seither auf seinem Handrücken balancierte und schmiss sie mit aller Kraft auf den Boden. „Da Bixi fixi ist, darf ich dank seines Effekts ein Yang Zing in Verteidigung beschwören. Und mithilfe von [Yang Zing Creation] ein weiteres noch dazu!“

Es tauchte ein kreischender, grüner Drache auf, der seine spitzen Zähne aufblitzen ließ. Neben ihm materialisierte sich sein gehörnter Kamerad, länglich wie eine Schlange, mit der Farbgebung eines Tigers.

Doch noch etwas geschah in diesen Moment. Überall innerhalb der aufgerissenen Erde stieg gleißende, gelbliche Energie empor, welche die gesamte Umgebung erleuchtete.

„Pualo, Bi'an, Suanni und Taotie erhalten dank [Yang Zing Prana] endlich den wohlverdienten Angriffsboost von 500, jetzt da zwei Yang Zing unterschiedlichen Attributs unter der Erde liegen.“

Matt fiel aus allen Wolken. „Wie bitte!?“

Jeder der vier Phantomdrachen begann ebenso gelblich aufzuleuchten wie die Energieadern, die das Grundstück durchzogen.

 

Pualo, Wind Of The Yang Zing [ATK/0 → 500 DEF/1800 (1)]

Bi'an, Earth Of The Yang Zing [ATK/1600 → 2100 DEF/0 (3)]

Suanni, Fire Of The Yang Zing [ATK/1900 → 2400 DEF/0 (4)]

Taotie, Shadow Of The Yang Zing [ATK/2200 → 2700 DEF/0 (5)]

 

„Das ist mehr als genug, um dich deines Platzes zu verweisen, Dämonenhexenfinsternismensch!“ Lee streckte den Arm ruckartig nach vorn, wobei die Deckbox auf seinem Handrücken gefährlich hin und her kippte. „Mach dich bereit exkommuniziert zu werden!“

„Du meinst exorziert …“

„Ja! Das! Angriff auf den Loserdrachen, Bi'an!“

Unter einem majestätischem Brüllen tauchte der Tigerdrache kurzerhand unter der Erde ab, nur um wenige Sekunden später direkt unter [Evilswarm Zahak] wieder aufzutauchen. Jener konnte nicht rechtzeitig reagieren und wurde von einem Prankenhieb niedergestreckt.

 

[Matt: 4000LP → 3750LP / Lee: 2150LP]

 

Matt stieß einen leisen Seufzer aus. Zum Glück hatte er nicht mit seinem Finsternisdrachen, Taotie, angegriffen. Denn so erfüllte Zahak zumindest noch einen Zweck …

„Effekt meines Monsters!“, bellte Matt. „Bei seiner Zerstörung reißt er ein anderes Monster mit sich, vorausgesetzt es wurde spezialbeschworen und ist mindestens Stufe 5!“

Besagter Taotie war es schließlich auch, der aus dem Nichts von drei ihn heimsuchenden Klingen aufgeschlitzt wurde und explodierte.

„Dämlicher Hexendämonendepp!“, ereiferte sich Lee wutentbrannt. „Das bringt dir gar nichts, denn Taotie lässt mich ein Yang Zing vom Deck in Verteidigungsposition rufen.“

Zunächst manifestierte sich am Boden ein auf vier Beinen laufender, finsterer Drache, dessen schildkrötenartiger Panzer mit blauer Panzerung versehen war. Doch plötzlich erschien neben ihm noch ein weiterer, weiß leuchtender, der mit seiner Flosse am Ende des Schweifes einem Fisch nicht unähnlich war – Chiwen, der Drache, den Matt ganz am Anfang besiegt hatte.

„Ja, du siehst richtig! Wenn ein Yang Zing ins Gras beißt, kann ich Chiwen zurück aufs Feld bringen! Der andere ist übrigens Jiaotu, nur so zur Info.“

 

Jiaotu, Darkness Of The Yang Zing [ATK/0 → 500 DEF/2000 (2)]

Chiwen, Light Of The Yang Zing [ATK/0 → 500 DEF/0 (1)]

 

Matt traute seinen Augen kaum: Lees ganze Spielfeldseite war voll von diesen Drachen oder Wyrm, was auch immer. Am Boden der finstere Jiatou, in der Luft Chiwen, der rote Suanni, der Windbeherrscher Pualo und Bi'an, der über das Element Erde gebot.

„Direkter Angriff, Suanni!“; befahl Lee aus voller Kehle.

Und Matt musste nicht lange überlegen um zu wissen, welche Suannis Waffe war. Eine fiese Stichflamme, die ihn voll erfasste und sein ganzes Feld in ein einziges Inferno verwandelte.

 

[Matt: 3750LP → 1350LP / Lee: 2150LP]

 

„Lausiger Amateur, nächste Runde bist du erledigt!“ Lee verschränkte selbstbewusst und fest nickend die Arme, fing dabei seine herunterfallende Deckbox auf. „Mach deinen letzten Zug, Xenu!“

„… wer?“

 

Matt hatte andere Probleme, als permanent die seltsamen Bezeichnungen verstehen zu wollen, die ihm sein Gegner an den Kopf knallte.

Eins hatte er begriffen: Der Typ war ein Volltrottel ohne nennenswertes, strategisches Geschick. Aber das brauchte er auch nicht, denn sein Deck war derart mächtig, dass wohl selbst ein Neugeborenes es erfolgreich spielen könnte. Es ließ gar nicht erst zu, dass eine Lücke sowohl in der Offensive, als auch Defensive seines Besitzers entstand.

Wie konnte er diese ewig anhaltende Flut an Monstern bloß stoppen!?

 

Als Matt nach seinem Deck griff, kam er zu der Erkenntnis, dass er womöglich mit härteren Bandagen als eigentlich beabsichtigt kämpfen musste. Und das, obwohl es in diesem Duell mit immer größerer Wahrscheinlichkeit um nichts ging. Keiner würde verletzt werden, auch wenn ein Bannkreis die beiden im Moment einschloss. Darum ging es auch gar nicht. Es ging um Matts Ehre, seinen Stolz.

Wenn er schon an einem von Lees Sorte scheiterte, wo würde das Ganze am Ende hinführen? Seine eigentlichen Gegner waren die Undying, Kali und nur Gott wusste wer sonst noch auf dem Plan stand. Außerdem musste er sich noch um Mr. Carrington kümmern. Er durfte nicht verlieren. Nicht gegen Lee!

 

„Draw!“, schrie Matt angestachelt von der drückenden Vorstellung, womöglich ganz unten am Ende der Duel Monsters-Nahrungskette zu stehen. Mit Schwung riss er die Karte von seinem Deck und sah sie hoffnungsfroh an. Nur um sie wieder umzudrehen und den Kopf hängen zu lassen. „Wieso immer ich … vollkommen nutzlos.“

In der Zwischenzeit zersprang seine dauerhafte Falle [The Regulation Of Tribe], da Matt kein Monster zu ihrer Erhaltung opfern konnte und es auch nicht tun würde, da sie ohnehin den falschen Monstertypen unterdrücken würde.

Trotz der Enttäuschung war Matt noch lange nicht bereit das Handtuch hinzuwerfen. Energisch klatschte er eine Karte auf den marmornen Spielplan. „Normalbeschwörung! [Evilswarm Castor]!“

Ein Krieger, halb weiß, halb schwarz, manifestierte sich vor dem jungen Mann.

 

Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)]

 

„Sein Effekt ermöglicht es mir, noch einen Schwärmer als Normalbeschwörung aufs Spielfeld zu bringen“, erklärte Matt und legte neben sein Monster ein weiteres mit gelbem Rahmen. „Los, [Evilswarm Heliotrope]!“

Schwarze Partikel sammelten sich neben Castor und bildeten einen grünlichen Ritter mit Schwert in der Hand und eingesetztem Smaragd in der Mitte seiner Rüstung.

 

Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]

 

Matt griff gerade in sein Blatt, da geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Lee bückte sich, schnappte sich drei seiner Monster auf dem Feld und zeigte sie vor. „Jetzt hat dein letztes Stündlein geschlagen, Dracula!“

Hinter ihm stieg sein Chiwen in die Höhe und zersprang in einen grünen Lichtring. Der Feuerdrache Suanni und Bi'an mit den Tigerstreifen folgten ihrem Lichtgegenstück.

Und Matt wollte nicht wahrhaben, was er dort sah: „Synchro!? In meinem Zug!?“

„Hast du gut erkannt! Jedes Yang Zing kann das und es nennt sich … keine Ahnung wie das heißt!“

Die beiden Nicht-Empfänger passierten den Ring und wurden zu in der Summe sieben Lichtkugeln.

„Stufe 1-Chiwen plus Stufe 4-Suanni und Stufe 3-Bi'an ergibt …!“

Ein greller Lichtblitz schoss durch den Ring. Das schrille Gebrüll eines Drachen erklang, während Matt noch gar nicht begriff, was ihm da gerade widerfuhr.

„Synchro Summon! Beiß' ihn, [Baxia, Brightness Of The Yang Zing]!“

Ein schier unendlich lang erscheinender, schlangenhafter Drache breitete sich auf Lees Spielfeldseite aus. Sein Körper war gezeichnet vom Tigermuster Bi'ans und endete in einem flossenartigen Schweif, dem von Chiwen nicht unähnlich. Auch der schwarze Schopf und der dazugehörige Bart waren Matt nicht ganz unbekannt, gehörten sie doch zu Suanni.

 

Baxia, Brightness Of The Yang Zing [ATK/2300 DEF/2600 (8)]

 

„Wie du siehst hat er das gute Aussehen seiner Synchromaterialien geerbt“, grinste Lee breit wie ein Nilpferd. „Aber nicht nur das. Auch ein paar ihrer Effekte, gewissermaßen. Doch erst …“

Es passierte so schnell, dass Matt nicht darauf reagieren konnte. Und selbst wenn, hätte er in diesem Moment nicht gewusst, was er dagegen unternehmen sollte.

Baxias Augen leuchtenden gleißend weiß auf und schossen Lichtstrahlen auf seine Spielfeldseite. Die Monster des Dämonenjägers wurden in die Brust getroffen und lösten sich unvermittelt in glänzenden Partikeln auf.

„Gut, was!?“, feixte Lee. „Baxias Synchrobeschwörung führt dazu, dass ich für jedes verwendete Wyrm-Monster mit unterschiedlichem Attribut eine deiner Karten ins Deck schicken darf!“

„Wie bitte!?“ Matt wich zurück. „Verdammt, dann-!?“

Während Lee Chiwens Karte in die Hosentasche schob, scheinbar ein negativer Effekt der einsetzte, wenn er vom Friedhof aufs Spielfeld geholt wurde, rief er: „Ach das war doch noch lange nicht alles! Suannis Kraft geht auf Baxia über, wodurch er 500 Angriffs- und Verteidigungspunkte erhält! Und vergiss nicht, dass Baxia auch durch [Yang Zing Prana] noch stärker wird!“

Eine feurige Aura schlug um den weißen Drachen, der hysterisch brüllte. Matt lief bei seinem Anblick der Schweiß von der Stirn.

 

Baxia, Brightness Of The Yang Zing [ATK/2300 → 2800 → 3300 DEF/2600 → 3100 (8)]

 

Mehr mit sich selbst redend, grübelte er: „Das kam völlig unvorbereitet. Was tun …?“

Seine übrigen drei Handkarten ansehend, schien eigentlich nur noch eine Vorgehensweise sinnvoll und zwar ausgerechnet die, die er eigentlich hatte vermeiden wollen. Andererseits konnte eine kleine Lektion für Lee sicherlich nicht schaden, zumal sie niemand von Bedeutung beobachte. Nicht einmal Nick konnte in seinen Bannkreis spähen. Zumindest hoffte Matt das …

„So wird’s gemacht!“, entschied er sich mit einem unterstreichenden Nicken. „Ich aktiviere die Zauberkarte [Monster Reborn]! Sie ruft [Evilswarm Zahak] zurück auf mein Feld!“

 

Evilswarm Zahak [ATK/1850 DEF/850 (4)]

 

Noch während der dreiköpfige Drache seinem Grabe entsprang, tönte Vokuhila-Lee: „Renn' ruhig in Baxia rein, Hexe, wirst doch nur verlieren! Meinetwegen beschwör' sogar ein stärkeres Monster, dank Bi'an kriegst du Baxia sowieso nicht durch reines Angreifen klein!“

Matt blinzelte mehrmals hintereinander. „Danke für die Warnung.“

„Scheiße!“, fluchte Lee und schlug die Hand vor den Mund.

„Völlig egal, ich habe sowieso etwas anderes vor! Da ich einen Schwärmer mit mindestens 1500 Angriffspunkten besitze, kann ich diesen hier von meiner Hand rufen: [Evilswarm Dullahan]!“

Matt pfefferte dessen Karte auf die Marmorplatte und ließ damit eine kopf- wie beinlose, düstere Kreatur erscheinen, deren massive Goldarme in noch kräftigeren Fäusten endeten.

 

Evilswarm Dullahan [ATK/1150 DEF/1550 (4)]

 

Matt nahm die Karten seiner beiden Monster vom Spielplan, legte sie übereinander und platzierte sie sogleich wieder in die mittlere Zone. „Ich erschaffe das Overlay Network!“

Inmitten des Spielfelds öffnete sich ein schwarzer Galaxienwirbel, der seine Kreaturen als violette Lichtstrahlen absorbierte.

„Aus zwei Stufe 4-Schwärmern wird ein Rang 4-Monster!“

Eine finstere Explosion erschütterte das Überlagerungsnetzwerk und darüber hinaus das gesamte Spielfeld. Aus dem Loch inmitten des Stroms spreizten sich zwei von Eis durchzogene Schwingen.

„Xyz-Summon!“, brüllte Matt nun. „Steige empor, [Evilswarm Ophion]!“

Ein pechschwarzer Drache erhob sich, wild mit seinem langen Schweif peitschend. Mit einem Satz vor Matt landend, stieß er ein verächtliches Gebrüll aus, blickte gierig nach den beiden Lichtkugeln, die ihn wie kleine Monde umkreisten.

 

Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 2]

 

Mit ihm als einzige Karte auf dem Feld und einer weiteren auf der Hand sagte Matt: „Du bist dran.“

Und ließ dabei ein geheimnisvolles Schmunzeln aufblitzen.

 

Lee, der dies nicht bemerkte, zog ruckartig auf. Wieder warf er eine Karte zu Boden. „Dich mach ich fertig, [Burial From A Different Dimension]!“

In durchsichtiger Form stieg sein Lichtdrache Chiwen aus einem Dimensionsspalt empor und verschwand sogleich im Erdboden. Matt kannte den Effekt von Lees Zauberkarte, welcher es ihm ermöglichte, verbannte Monster zurück auf den Friedhof zu legen. Zweifelsohne würde er Chiwen erneut vom Friedhof rufen, sollte Matt ein Yang Zing zerstören.

Statt sich darüber jedoch den Kopf zu zerbrechen, blieb Matt unerwartet gelassen. Er stemmte eine Hand in die Hüfte, als Lee rief: „Jetzt kannst du einpacken!“

Unter den riesigen Rissen im Erdboden, die das Grundstück in nahezu ein Dutzend Teile spalteten, begann plötzlich die gelbliche Aura zu schwinden. Matt wurde nun doch etwas unruhig. „Was ist das?“

Sein Gegner kicherte böse. Unvermittelt schossen ganze Lavafontänen an allen möglichen Ecken und Enden aus den Spalten. „Das Ende von allem!“

Die Erde begann zu erzittern, sodass Matt auf seiner Plattform ungewollt hin und her stolperte.

„Ich aktiviere [Yang Zing Pranas] Effekt, der nur funktioniert, wenn fünf verschiedene Attribute der Yang Zing auf dem Friedhof liegen.“ Lee bückte sich nach der Karte, nahm sie zwischen Zeige- und Mittelfinger auf und präsentierte sie prahlerisch. „Das ganze Feld wird damit zerstört!“

Matt weitete die Augen: „Was!?“

„Ganz recht! Zwar kostet mich das Baxia, aber du weißt ja, die anderen Yang Zing stört das überhaupt nicht!“

Womit er Jiaotu und Pualo meinte, die nur andere dieser Wyrm-Monster an ihre Stelle rufen würden. So ungern Matt es auch zugab: Dagegen war er machtlos. Zumindest unter normalen Umständen. Doch dies waren keine normalen Umstände …

„Ich werde“, murmelte er und ballte vor sich eine Faust, nur um sie wieder zu öffnen, „dich nicht verletzen. Versprochen.“

Langsam streckte er die Hand nach oben und schloss die Augen. „Ich rekonstruiere das Overlay Network …“

Statt etwa in der Mitte der Duellzone, öffnete sich der schwarze Wirbel weit über dem Dämonenjäger. Ophion zersprang in drei violette Lichtkugeln, die quer nach oben schossen.

Lee klappte die Kinnlade hinunter.

„Du bist nicht der Einzige, der im gegnerischen Zug vom Extradeck beschwören kann“, murmelte Matt vor sich hin. „Aus meinem Rang 4-Schwärmer wird die erste Saat geboren. Rank Up-Incarnation!“

Die drei herrenlosen Overlay Units zerschmetterten das Schwarze Loch förmlich, als sie auf seinen Sog trafen. Finstere Blitze begannen um sich zu schlagen. Und dann erhob sie sich hinter Matt, riesig, absolut.

Der schwarzhaarige Vokuhila-Träger nahm Schritt für Schritt rückwärts, als der oder besser gesagt die Schatten, die jene Kreatur warf, zunehmend seine Spielfeldseite einnahmen, oder nein, gar verschlangen. Besagte Schatten bewegten sich in ihren scheinbar unberechenbaren Bahnen wie lange, massive Schlangen, bis sie Lees Feld völlig verdeckten.

„… Scheiße“, lauteten die erstickten Worte des Hofhüters.

„Dominiere, [Primalswarm Yggdrasil]!“, schrie Matt im selben Augenblick. Und eine sämtliche Farben ins Negative umkehrende Schockwelle erfasste Lee, welcher als Einziger in seinem direkten Umfeld von diesem Effekt verschont blieb. „Inkarnationseffekt: Chain Annihilator!“

Jener schwang den Arm aufgebracht aus. „Toller Trick, Dämonenhexe, aber trotzdem wird dein Fe-!“

Doch blieben Lees Worte in seinem Halse stecken, als er bemerkte, dass seine dauerhafte Karte die einzige war, die zersprang. In jenem Moment fand das Innere des Bannkreises zu seiner alten Form zurück.

„Chain Annihilator negiert alle Effekte in derselben Kette, in der [Primalswarm Yggdrasil] beschworen wurde, beendet die Kette und zerstört alle anderen Karten darin“, erklärte Matt mit einem verschmitzten Grinsen.

Die Kreatur über ihm brüllte mit verschiedenen Stimmen, teils sehr hohe hin bis extrem niedriger Natur. Plötzlich begann alles im Bannkreis zu vibrieren. Matt stolperte rückwärts und sah mit aufgerissenen Augen, wie die schlangenhaften Auswüchse Yggdrasils wild um sich schlugen.

Das konnte doch nicht-!

 

Es passierte jedoch bereits. Einen letzten, unsäglichen Schrei ausstoßend, sendete die Inkarnation eine Schockwelle in alle Richtungen aus. Matt hielt die Arme über Kreuz, sein Mantel flatterte im immer stärker werdenden Wind. Im Gegensatz zu ihm konnte Lee seine Position nicht halten und wurde von den Füßen gerissen, flog direkt in Richtung des Speisesaals der Villa. Eine Erschütterung suchte den Bannkreis anheim und ließ ihn wie eine Seifenblase zerplatzen.

Binnen eines Herzschlags zog sich die gesamte Umgebung wieder zu ihrer ursprünglichen Gestalt zusammen. Es gab ein dumpfes Geräusch, als würde ein Ballon platzen. Matt, der über seinen Arm lugte, sah es. Sah, wie sein schwarzer Marmorspielplan zu Staub zersprang.

 

[Matt: 1350LP → 0LP / Lee: 2150LP]

 

Der immer noch anhaltende Wind wirbelte die Karten darauf in seine Richtung, welche er auffing. Im gleichen Moment schepperten lautstark Glasscherben, sodass Matt erschrocken aufsah.

„Das kann doch nicht wahr sein!“, schrie er entsetzt und rannte auf das Gebäude zu.

Gleichzeitig rutschte der Körper des nicht ganz so taffen, selbsternannten Dämonenjägers über den Teppich neben der langen Tafel und rollte diesen unter einem ekelhaft klingenden Schleifen auf. Als Lee auf dem Rücken liegend zum Stehen kam, streckte er die Hand in die Höhe.

„Mir … geht’s prächtig …“ Der Arm kippte zur Seite, ebenso sein Kopf. „Wirklich … uh!“

 

Keine Sekunde später bahnte sich Matt seinen Weg durch den Scherbenhaufen des zertrümmerten Fensters, mit dem Ausdruck tiefster Erschütterung im Gesicht. Das hatte er nicht erwartet!

Er sah den Mann in einiger Entfernung liegen, vor der offen stehenden Flügeltür. War er tot!?

Matt sah an sich herab. Sein Hemd und der Mantel waren weißgrau vom Staub, den die explodierende Marmortafel aufgewirbelt hatte. Dass Yggdrasils Macht so enorm war, dass es einen Standard-Bannkreis mit seiner bloßen Anwesenheit vernichten konnte und ihm dadurch automatisch eine Niederlage einbrachte, weil es theoretisch er war, der das Duell abgebrochen hatte …

Matt fühlte sich einmal mehr von seinem Schicksal auf die Schippe genommen.
 

Bevor er sich Lee überhaupt nähern konnte, kam unvermittelt ein grelles Licht um die Ecke in den Speisesaal gebogen. Eine Person trat an Lee heran, mit einem Kerzenständer in der Hand.

„Oh je …“, murmelte die Frau bei seinem Anblick.

Matt verharrte erstarrt auf der Stelle. Ohne Zweifel war sie von dem Lärm wach geworden. Um ihren dunklen Schopf lag ein Haarnetz, die Dame trug über ihrem Nachthemd einen violetten Bademantel.

Und als sie aufblickte entdeckte sie Matt.

Sofort schoss es aus ihm heraus: „Das wollte ich nicht! Er-! Ich-!“

„Wieso bist du hier?“, hauchte sie unterkühlt.

„Ich bin kein Einbrecher oder dergleichen!“, beteuerte Matt aufgeregt. „Ich wollte nur jemand Bestimmtes treffen.“

Hinter ihren dick umrahmten Brillengläsern funkelte etwas für einen kurzen Moment auf. „Wen?“

„Einen Mann namens James Carrington.“

„Du bist zu spät“, erwiderte sie nun weniger eisig als zuvor, „mein Mann ist bereits vor etwa einem Jahr verstorben.“
 

Matt verschlug es die Sprache. Wieso hatte er das nicht gewusst!? War dies das Geheimnis, das diese Familie hütete? Tausende Fragen schossen ihm in diesem Moment durch den Kopf.

„Es … es tut mir leid“, stammelte er. „I-ich wollte nur mit ihm reden, unter vier Augen, aber- und dann ist …“

„Du musst jemand sein, der James kannte, wenn du nicht weißt wie man eine Türklingel benutzt.“ Es klang wie ein missglückter Witz, der an der steifen Darbietung seiner Erzählerin scheiterte.

„Nein, ich kannte ihn nicht persönlich. Aber ich habe von ihm gehört. Dass er … anders ist. Ich wollte keine Aufmerksamkeit erregen, deshalb … das hier.“ Er schwenkte die Hand zum Fenster.

„Gute Arbeit bisher“, erwiderte die Dame des Hauses scharf. Dann machte sie ihrerseits eine einladende Geste. „Setz' dich. Wir werden reden.“

Den immer größer werdenden Kloß in seinem Hals hinunterschluckend, nickte Matt. Die Frau trat an die Spitze der Tafel und stellte dort den Kerzenständer ab. Zögerlich näherte sich der Schwarzhaarige der Frau.

„Und er?“, fragte er dabei und deutete auf den regungslos daliegenden Lee.

„Ihm geht’s gut“, versicherte Mrs. Carrington in resoluter Zuversichtlichkeit. „Unkraut vergeht nicht.“

 

Als Matt das Ende des Tisches erreicht hatte, zog er den ersten Stuhl zu sich und nahm Platz. Sein Gegenüber tat es ihm an der Spitze der Tafel gleich.

„Ist er Ihr Sohn?“, fragte Matt vorsichtig.

Er hatte mit vielem gerechnet aber nicht mit dem schallenden Gelächter, das ihm entgegenschlug. Äußerst amüsiert fragte Mrs. Carrington: „Erst brichst du in mein Haus ein und jetzt beleidigst du mich noch?“

„Ah nein!“ Matt hob beschwichtigend die Hände. „Ich wollte nicht unhöflich sein, ich dachte nur-!“

„Tu uns beiden einen Gefallen und lass das Denken zu so später Stunde.“ Die Frau schürzte die Lippen. „Lee ist nicht mein Sohn, obwohl er einem solchen in gewisser Hinsicht sicherlich gleichkommt. Offiziell ist er jedoch mein Hausmädchen, Koch, Gärtner und Wachmann in Personalunion.“

In diesem Moment konnte sich Matt einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen. „Dann hat er bisher ja einen guten Job geleistet.“

Im Kerzenschein erkannte er, wie sich die Krähenfüße um die Augen der Frau daraufhin zusammenzogen. Sie schmunzelte. „Tja, leider bin ich nicht so reich wie es den Anschein hat.“

Matt wurde leiser. „Im Ernst. Es tut mir leid dass ich einfach so hier eingedrungen bin. Ich wusste nicht, womit ich es zu tun bekomme und wollte auf Nummer Sicher gehen. Sie wissen, dass ihr Mann besonders war?“

„Das war er in der Tat, in vielerlei Hinsicht.“ Mrs. Carrington sah Matt fest in die Augen. „Was ist der Grund warum du ihn sprechen wolltest?“

„Seine Kräfte. Ich brauche sie. Hätte sie gebraucht …“

„Warum?“

„Um einer Freundin von mir das Leben zu retten. Doch um das zu erreichen hätte ich sie ihm abnehmen müssen, notfalls mit Nachdruck.“ Matt erschien es wichtig, von Anfang an ehrlich an die Sache heran zu gehen. „Es tut mir leid.“

Die Frau legte ihre Ellbogen auf den Tisch und faltete die Hände ineinander. „Das ist seltsam. Du bist nicht der Erste, der genau dasselbe Anliegen hat.“

„Jemand war vor mir hier!?“ Matt beugte sich ruckartig vor. „Wer!?“

„Eins nach dem anderen“, gebot sie seiner Wissbegierde Einhalt. „Vorher erzählst du mir, wer genau du eigentlich bist und warum deine Freundin Hilfe benötigt.“

 

Was Matt auch im Großen und Ganzen wahrheitsgemäß tat. Einige Details ließ er aus, insbesondere die Tatsache, dass es der Sammler war, der Anyas Lebenskraft an sich gerissen hatte. Es wäre nicht gut für alle Beteiligten, wenn sich dieses Wissen verbreitete.

 

„Verstehe“, sagte Mrs. Carrington und nickte. „Ich bin mir sicher, mein Mann hätte dir geholfen. Er war gütig vom Grunde seines Herzens. Aber wie gesagt, du kommst zu spät.“

Matt seufzte. „Ich weiß nicht ob ich das fragen sollte, aber wann ist Ihr Mann gestorben? Und … wie?“

Unvermittelt ließ die Dame ihre Hand über die Flammen der einzelnen Kerzen gleiten. „Schon vor einigen Jahren. Er wurde nicht ermordet sondern ist seinem Krebsleiden erlegen.“

„Das tut mir leid.“

„Braucht es nicht.“ Da Matt von sich aus nichts erwiderte, fragte sie: „Gibt es sonst noch etwas, das du wissen möchtest?“

Der Schwarzhaarige nickte. „Hat ihr Mann jemals über seine Kräfte gesprochen?“

„Nicht viel. Ich weiß nicht einmal, wie genau sie ausgesehen haben. Aber ich wusste, dass er sie besaß. Du siehst aus wie ein Kämpfer.“ Sie musterte Matt eindringlich, wandte dann aber den Blick ab. „James war keiner. Er hat mir hin und wieder ein wenig von den verborgenen Konflikten dieser Welt erzählt, sich jedoch stets aus ihnen herausgehalten. Er sagte, als Hüter wäre es wichtig, sich nicht in fremde Angelegenheiten einzumischen.“

Matt rieb sich angespannt über die Stirn. Er hatte Kopfschmerzen. „Erwähnte er, was genau die Aufgaben eines Hüters sind? Oder vielleicht … wie man zu einem wird?“

„Nein. Und ich habe auch nicht danach gefragt.“

 

Deprimiert ließ Matt den Kopf hängen. Dann gab es wohl keine Möglichkeit herauszufinden, wer nach James Carrington den Platz des Hüters eingenommen hatte. Es sei denn …

„Sie haben erwähnt, dass es noch jemand anderes gab, der nach ihrem Mann und seinen Kräften gefragt hatte.“

Jetzt sah sie ihn wieder an und wenn auch nur für einen kurzen Moment, so glaubte Matt doch ein von Hass erfülltes Funkeln in ihren Augen zu erkennen.

„Ja, das war etwa zwei Jahre vor seinem Tod. Also vor drei Jahren.“

„Erzählen Sie mir die Geschichte“, bat Matt.

 

Die Frau atmete tief durch. Ihr verbitterter Gesichtsausdruck sprach Bände. Sie starrte in die Flamme der mittleren Kerze und begann zu erzählen. „Zu diesem Zeitpunkt lebten wir noch in London.“

Matt erinnerte sich, davon hatte ihm auch einer der ehemaligen Angestellten erzählt, welcher ebenfalls mit der Familie Carrington in die Staaten ausgewandert war.

„Es war mitten in der Nacht als es an der Tür klingelte. Ich persönlich habe geöffnet.“ Die Frau schürzte die Lippen. „Da stand er, draußen im Regen. In einen gelben Regenmantel gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.“

„Was wollte er?“

„Dasselbe wie du. Ohne Umschweife bat er darum, mit meinem Mann zu sprechen. Ich … versuchte ihn abzuwimmeln, aber er blieb hartnäckig.“ Sie seufzte. „Er fiel sogar auf die Knie. Und als er sagte, er wisse wer James wirklich ist, da konnte ich ihn nicht länger fortschicken.“

Der Schwarzhaarige gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Weshalb?“

„Weil mein Mann … so etwas erwartet hatte. Ich weiß nicht, ob es dieser Bursche oder jemand anderes war, aber er sagte, er würde jeden Gast empfangen, der um sein Geheimnis wusste.“

Es war ein verrückter Gedanke, doch Matt sprach ihn aus. „Vielleicht wusste er, dass es unvermeidbar war.“

Die Frau nickte. „Das denke ich auch. James war kein Kämpfer, aber auch kein Feigling.“

„Gab es denn einen Kampf?“

„Nein. Nicht dass ich wüsste.“

Matt lehnte sich zurück. „Was ist dann geschehen?“

„Ich weiß es nicht. Sie haben die ganze Nacht durch geredet, schätze ich. Der junge Mann ist kurz nach Tagesanbruch gegangen. Er schien … zufrieden.“

Die Lider schließend, fragte Matt: „Hat sich Ihr Mann danach verändert? In irgendeiner Form?“

„Nein. Obwohl … auch er schien danach erleichtert. Als ich ihn jedoch danach fragte, hat er abgeblockt. Und ich habe seitdem nie wieder den Versuch unternommen, mehr über dieses Treffen herauszufinden.“

„Können Sie sich noch an seinen Namen erinnern?“

Mrs. Carrington lachte spitz auf. „Hast du mir deinen genannt als du hier eingebrochen bist?“

„N-nein.“ Matt verneigte sich vor ihr. „Es tut mir leid!“

Amüsiert kicherte sie plötzlich. „Du bist ziemlich höflich für einen Dämonenjäger. Wie gesagt, einen Namen hat er nicht fallen gelassen.“

Als Matt sich aufrichtete, fragte er: „Wissen Sie wenigstens noch wie er aussah?“

„Nein … ich kann mir Gesichter nicht sehr gut merken. Er wirkte recht erwachsen, aber ich glaube, er war etwas jünger als du. Ich erinnere mich nur an ein paar rote Haarsträhnen, die ihm im Gesicht hingen, nass vom Regen.“

 

Alarmiert schreckte Matt auf. „Rotes Haar?“

„Ja.“

Könnte das der Sammler gewesen sein!? Die Idee war nicht abwegig. Der Sammler war hinter den Hütern her, wieso sie also nicht persönlich aufsuchen? Vielleicht hat er während des Gesprächs erkannt, dass er selbst nicht dazu in der Lage war, die Artefakte zu versammeln?

„Sonst noch irgendetwas, das außergewöhnlich an ihm war?“

„Er wirkte wie ein normaler Mensch. Nicht übernatürlich. Aber ich bin die Falsche um das zu beurteilen“, antwortete Mrs. Carrington. „Ich weiß nur, dass mein Mann nach seinem Auftauchen umziehen wollte.“

Matt, der ihr ansah, dass sie selber nicht zufrieden mit James' Entscheidung gewesen war, fragte: „Anders als Sie.“

„All meine Freunde, Bekannten und Familienmitglieder im Vereinten Königreich zurücklassen? Was glaubst du wohl?“

 

Wollte Mr. Carrington vor etwas fliehen? Auch das passte, wenn es der Collector war, der James damals besucht hatte. Andererseits: Wie sehr war Mr. Carrington mit dem Übersinnlichen vertraut gewesen? Jemand wie dem Sammler entkam man nicht durch bloßes Wechseln des Wohnorts. Das hätte er wissen müssen. Und vielleicht hat er dies auch. Was wiederum gegen seine Vermutung sprach, generell gegen einen feindlich gesinnten Besucher. Und nicht zuletzt hatte jener auch um Hilfe gebeten, sie nicht eingefordert – und Mr. Carrington schien in irgendeiner Form geholfen zu haben, machte er doch nach dem Treffen einen erleichterten Eindruck.

 

Plötzlich hatte Matt eine seltsame Eingebung. „Haben Sie einen Sohn?“

Mrs. Carrington sah ihn fragend an.

„Heißt er Strife Carrington?“, hakte Matt nach, ohne zu wissen, wie er auf diesen Namen kam oder warum er überhaupt fragte.

„Nein. James und ich führten eine kinderlose Ehe.“

Doch Matt gab nicht nach. „Haben Sie unter Um-“

Ihr Ton wurde merkbar schärfer. „Ich bin unfruchtbar, Mr. Summers.“

Matt verschlug es zum wiederholten Male an diesem Tag die Sprache. „Es tut mir leid …“
 

Er stampfte munter von einem Fettnäpfchen ins nächste. Was war eben überhaupt in ihn gefahren!? Verdammt, nie hätte er sich vorgestellt, dass es so laufen würde.

Aber doch war es seltsam, diese ganze Geschichte. Matt wusste nur eins: Es war jetzt ein anderer an James Carringtons Stelle als Hüter getreten. Womöglich dieser ominöse Besucher. Vielleicht aber auch nicht. Dies ließ den jungen Mann erkennen, dass sie unbedingt herausfinden mussten wie man zu einem Hüter wurde.

 

„Deswegen bin ich ihr einziger Sohn, Hexe!“

Matt fiel fast vom Stuhl als Lees angeschlagene Fratze unter dem Tisch, direkt zwischen seinem Schritt hervorlugte und ihn feindselig anstarrte. Derart erschrocken von seinem unerwarteten Auftauchen kippte der Schwarzhaarige samt Stuhl schreiend hintenüber.

Über den Dämonenjäger krabbelnd, funkelte Lee jenen böse an. „Am besten du gehst jetzt!“

Matt drängte ihn mit dem Arm beiseite und erhob sich. Da der Klügere jedoch nachgab, sah er Mrs. Carrington tief in die Augen und nickte. „Ich denke, das wäre wohl das Beste. Aber erlauben Sie mir noch eine Frage.“

„Frag“, erwiderte diese mit einer ausschweifenden Bewegung ihrer Hand.

„Erinnern Sie sich, ob Ihr Mann jemals davon gesprochen hat, wer nach ihm den Platz des Hüters einnimmt?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Auch das ist etwas, das ich nicht beantworten kann. Wie so vieles was -das- angeht, haben wir nie darüber gesprochen.“

Resignierend rieb sich Matt über die Stirn. „Schade …“
 

Den Stuhl aufstellend, neben dem Lee noch auf dem Rücken lag und ihn voller feindseliger Inbrunst anstarrte, streckte Matt Mrs. Carrington die Hand entgegen. „Ich bedanke mich für das Gespräch und möchte mich noch einmal für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die ich verursacht habe.“

Statt ihn zu verabschieden, erwiderte sie unterkühlt: „Ich fürchte, eine Entschuldigung reicht mir nicht.“

Verdutzt zog Matt die Hand zurück. Hinter seinem Rücken schnellte Lee hervor und flüsterte in sein Ohr: „Du wirst den Schaden bezahlen, den du angerichtet hast, Hexe!“

Entgeistert drehte sich Matt zu ihm um, wurde sogleich von Lees überlegener Körpergröße gegen den Tisch gedrängt. „W-warte mal, das-!“

Mrs. Carrington fügte hinzu: „Ich denke, wir sind uns einig, dass das das Mindeste ist.“

Matt drehte sich panisch zu ihr um. „Aber das kann ich mir gar nicht leisten!“

„Dann hoffe ich für dich, dass dein handwerkliches Geschick deinem 'magischen' in Nichts nachsteht.“ Dass sie sich bei diesen Worten keinen Millimeter rührte war Beweis genug, dass sie es ernst meinte.
 

Schicksalsergeben ließ Matt den Kopf hängen. Alastair wäre so etwas gewiss nicht passiert. Was hatte er sich da nur eingebrockt!?

 

~-~-~

 

Mit zunehmender Stunde lockerte sich die Stimmung unter Anyas 'Partygästen'. Inzwischen hatte sich die schwach beleuchtete Bar gefüllt und auch, wenn die Blonde sich nicht an alkoholischen Getränken erfreuen durfte, machten das die von Logan empfohlenen Mixgetränke wett.

„Und, wie findest du es nun?“, fragte er, der neben ihr am Rand der Eckcouch saß und sich eben noch ausgelassen mit Marc am anderen Ende der Couch über Football unterhalten hatte.

Das Mädchen musste grinsen. Hier wurde Metal aufgelegt. „Ich liebe es!“

„Ich nicht“, schmollte Valerie neben ihr mit verschränkten Armen.

Marc neben ihr tätschelte seiner Verlobten die Schulter. „Komm schon, seit wann bist du die Spaßbremse?“

„Schon immer“, stand für Anya sofort fest. „Hör' auf dich zu beklagen, Redfield.“

„Noch eine Runde Billard ertrag ich nicht!“

Mit vorgehaltener Hand flüsterte Logan ins Ohr der Blonden: „Ich auch nicht …“
 

Was wollte die eigentlich, fragte sich Anya grimmig!? Bisher hatte sie jedes Spiel mit Ausnahme des ersten gewonnen! Anfangs hatte es der Ziege auch ansatzweise Spaß gemacht, aber scheinbar war es ziemlich schwierig, Redfield dauerhaft bei Laune zu halten.

Blöde Kuh!

 

Anya schlürfte bewusst laut an ihrem grünen, alkoholfreien Cocktail, weil sie genau wusste, wie sehr dies ihrer Erzrivalin auf die Nerven ging. Die verkrampfte augenblicklich und warf Anya einen Noch-einmal-und-ich-gehe!-Blick zu, den Anya grinsend mit einem Na-endlich!-Blick konterte.

Inzwischen war sie etwas munterer geworden, auch wenn der typische, verrauchte Kneipengeruch sie etwas benommen machte. Als Logan und Marc jedoch zum wiederholten Male mit Football anfingen und die beiden Mädchen komplett ausblendeten, dämmerte es Anya, warum Valerie so schlecht gelaunt war.

Warum unterhielt sich der Zwerg nicht mit ihr!? Also, in Redfields Fall nicht der Zwerg und auch nicht mit ihr, also Anya! Langsam ging ihr das auch auf den Zeiger!

 

Gerade wollte Anya das Gespräch unterbrechen, da bemerkte sie aus den Augenwinkeln Zanthe, der einsam vor der Jukebox in der Ecke des Ladens stand. Der hatte sich den ganzen Abend schon abgekapselt und kaum ein Wort mit den anderen gewechselt.

„Geh mal zu ihm“, sagte Valerie, die Anyas Blick bemerkte und nickte in seine Richtung.

Jene rollte mit den Augen. „Wieso sollte ich?“

„Meinst du nicht, ihn bedrückt irgendetwas? Ich würde ja selbst gehen, aber ich kenne Zanthe nicht besonders gut“, erwiderte die Schwarzhaarige mit klagendem Unterton, fügte noch grimmig und ganz leise hinzu: „Dann hätte ich wenigstens was zu tun …“

Den beiden lautstark lachenden Kerlen an den jeweiligen Enden der Sitzecke sich einen genervten Blick zuwerfend, kam Anya zu der traurigen Erkenntnis, dass die auch für einen Moment ohne sie auskommen würden. So stöhnte sie leidig: „Also schön, ich schau mal nach dem Flohpelz.“

 

Sprachs und schob sich am Tisch vorbei, auf dem kaum mehr Platz war, so wild wie Marc und Logan das Getränke-Angebot der Bar durchprobierten. Schlendernden Ganges näherte sich Anya dem Kopftuchträger, der immer noch mit der Jukebox beschäftigt war.

„Hey“, rief sie ihm dabei zu.

„Hey“, kam es träge zurück, „weißt du, ich versuche die ganze Zeit herauszufinden, wer diese bekloppte Musik aufgelegt hat. Bis ich festgestellt hab, dass dieses Ding nur zur Deko rumsteht.“

Ein kurzes Lachen konnte Anya sich nicht verkneifen. „Diese Teile sind schon seit Jahren out.“

Zanthe beugte sich vor und stützte seine Hände dabei an den Kanten der Jukebox ab. „Schade.“

„Ist alles in Ordnung?“, fragte das Mädchen schließlich ernst.

„Was hat sie gemacht, dass du dich tatsächlich danach erkundigst?“ Er gluckste. „Ich hab alles gehört, Anya …“

Grimmig warf sich jene an die Wand neben der Jukebox, um ihren Freund ins Gesicht sehen zu können. Er wirkte müde, lächelte aber. Sie schnalzte genervt mit der Zunge. „Gar nichts, mir ist auch aufgefallen, dass dir irgendwas quer sitzt.“

„Gestern war ein langer, anstrengender Tag. Nicht nur für dich.“

„Hab ich gemerkt. Irgendwann warst du nicht mehr im Publikum“, erwiderte Anya plötzlich ungewöhnlich streng für ihre Person, „wo warst du? Und wenn du jetzt sagst, du hast dich mit irgendeinem Kerl getroffen, muss ich dich leider eines qualvollen Todes sterben lassen.“

„Das schaffst du ni-“

 

Weiter kam Zanthe nicht, denn in diesem Moment drangen Schimpfworte und Geschrei zu ihnen. Er drehte sich um und zusammen mit Anya sah er, wie der Türsteher von zwei Männern ins Innere der Bar zurückgedrängt wurde. Der glatzköpfige Schrank hatte seine lieben Mühen, die anderen beiden im Zaun zu halten. Beide hatten Kameras um ihren Hals hängen. Und noch mehr Fotografen verschafften sich Einlass, wie sie schnell feststellen mussten.

Eine weibliche Journalistin mit Hornbrille auf der Nase erspähte Anya. Und zeigte konsequent mit dem Finger auf sie: „Da ist sie!“

 

Es passierte so schnell, dass das Mädchen kaum Zeit zum Reagieren hatte. Binnen weniger Sekunden hatte sich eine ganze Wand an Fotografen, kniend, hockend, stehend aufgebaut, die sie ablichteten und wild durcheinander mit Fragen bombardierten.

„Was ist das denn!?“, beklagte sich Zanthe, der sich die Hand vor das Gesicht hielt.

Anya tat dasselbe. „Was wollen die hier!?“

„Miss Bauer, stimmt es, dass Ihr Vater wegen … vor Gericht stand und …“

„Uns ist zu Ohren gekommen, dass Ihnen Ihr Deck während der …“

„... Sie uns kurz schildern, was Sie dazu bewogen hat …“

Das Mädchen traute ihren Ohren kaum, wie sie nur Wortfetzen und unvollständige Sätze verstand, die aber allesamt nicht gerade zu Dingen gehörten, über die sie gerne redete. Manche davon auch noch komplett unwahr! Wo kamen diese Spinner plötzlich her!?

„Haut ab!“, fauchte das Mädchen wütend, aber als sie in die Masse an Fotografen sah, vom Blitzlichtgewitter geblendet, fühlte sie sich plötzlich hilflos. Denen durfte sie kein Haar krümmen, sonst stand das morgen überall in den Zeitungen!

„Wurden Sie als Kind vernachlässigt?“

„Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrem Bruder beschreiben?“

Panisch wich das Mädchen zurück und stieß gegen die Wand, hektisch von einem Journalisten zum anderen blickend. Was sollte sie jetzt tun!? Sie saß in der Falle! Die würden sie nicht eher gehen lassen, bis-!

 

„Schluss mit der Autogrammstunde!“, donnerte Logan, der unvermittelt neben ihr auftauchte und Anya unsanft am Arm packte. „Sie hat euch nichts zu sagen.“

Auch Marc und Valerie gelangten neben sie, schirmten die Blonde ab, als Logan sie kurzerhand durch die Gruppe der Reporter Richtung Ausgang schleifte, mit Zanthe als Nachhut. Ihre Freunde verstanden es, und Anya wusste in der Hektik beim besten Willen nicht wie, diese Typen in Schach zu halten.

 

Kaum waren sie an der frischen Luft, eilte Valerie zum Straßenrand und hob auffällig die Hand.

„W-was war das!?“, stammelte Anya panisch, als sich ein Taxi nährte, gerufen von der Schwarzhaarigen.

„Die Schattenseiten des Ruhms, wie man so schön sagt“, meinte Marc, der sich dann aber von der Gruppe löste, um zusammen mit Zanthe zwei Fotografen aufzuhalten, die gerade den Laden verlassen wollten.

Logan legte seinen Arm um Anyas Schulter. „Komm.“

Zusammen mit Valerie stiegen sie in das Taxi, Letztere gab dem Fahrer konkrete Anweisungen, sie zu Anyas Hotel zu bringen. Zanthe und Marc wehrten derweil konsequent die Reporter ab. Erst jetzt merkte das blonde Mädchen, wie schnell ihr Herz klopfte.

Und sie begriff es nicht. Vorhin hatten die Typen ihr auch schon aufgelauert, aber da war sie spielend leicht mit ihnen fertig geworden, es waren nur drei oder vier gewesen. Aber das eben …

„Die sind jetzt natürlich scharf drauf, alles Mögliche aus dir herauszukitzeln, nach deinem Duell gegen deinen Bruder“, erklärte Logan der in der Mitte sitzenden Anya.

Die stand völlig neben sich. Murmelte: „Woher wissen die das mit Dad …“

„Du glaubst gar nicht, was die alles so ausgraben können“, sagte Valerie ärgerlich.

„Was ist, wenn die wegen dem Tu-“, schoss Anya da ein erschreckender Gedanke durch den Kopf, den sie aber unterbrach, als sie Logan ansah. Nein, das Thema war in seinem Beisein tabu! Hoffentlich kapierte Redfield auch so, worauf sie hinaus wollte.

„Ich glaube, die Einzige, die jemals auf diesen Zug aufspringen wird, ist Nina Placatelli.“

„Hör zu, Kleine, in Zukunft musst du wohl vorsichtiger sein“, redete Logan gleich darauf auf sie ein. „Wenn du was reißen willst als Duellantin, musst du dich darauf gefasst machen, dass so etwas zu deinem Alltag dazugehören wird.“

Anya versank tiefer und tiefer im Sitz, als sie das hörte. Denn so sehr er auch Recht hatte, war dies nichts, worüber sie sich je Gedanken gemacht hatte. Was es bedeutete, Duel Queen zu sein, eine Person des öffentlichen Interesses. Solche Verhöre sollten nicht Teil ihres Traums sein!

 

 

Turn 65 – Xiphos

Völlig unerwartet tappt die Diebin von Anyas Deck in Nicks Falle, sodass es ihm endlich gelingt, ihren Standort ausfindig zu machen. Jedoch wird er unvermittelt von einer anderen Entdeckung abgelenkt, die sich ihm im Zuge seiner Recherchen bezüglich der Undying eröffnet. Zusammen mit einer alten Feindin nimmt er einen nicht ganz risikofreien Umweg in Kauf, um …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-09-27T19:32:26+00:00 27.09.2017 21:32
Hey
Super Kapitel, da hat sich Matt ja ganz schön in die Scheiße geritten und seine Incarnation ist wohl nicht so leicht unter Kontrolle zu halten. Mal sehen wie er sich als Hausmann so schlägt.
Reporter können echt schlimm sein aber zum Glück ist Anya nicht alleine.
Bin mal gespannt wie das weitergeht.
LG fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
05.10.2017 17:24
Hey,
danke. Matts Markenzeichen ist sein Pech. Bleibt zu hoffen, dass er die Bude nicht komplett demoliert. ^^


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