Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 54: Turn 49 - Declaration Of Superiosity ------------------------------------------------ Turn 49 – Declaration Of Superiosity     Deutlich konnte man an Anyas, Matts und Zanthes irritierten Gesichtern ablesen, dass sie nicht damit gerechnet hatten, einem derartigen Angreifer gegenüber zu stehen. Dieser bewegte sich aus den Schatten der Bäume und betrat die Lichtung. „W-was ist das!?“, stammelte Anya. Matt und Zanthe konnten ihr keine Antwort geben. Sie wussten es einfach nicht. Wie bei einer höflichen Form der Vorstellung legte ihr Gegenüber den unglaublich langen, dürren Arm auf die von einer weißen Panzerung bedeckte Brust. Es war abstrakt. Die Glieder des Wesens waren so lang, dass es jeden normalen Menschen überragte und doch so dürr, was die Vermutung nahelag, die Knochen würden jeden Moment unter ihrer Last brechen. „Dieser ist ein Undying. Stoltz wird er genannt und ist ein unsterblicher Hüter der ewigen Ordnung. Einer Ordnung, die diese beiden Menschlinge durch ihre Verbrechen stören.“ Er zeigte auf Matt und dann auf Anya. Die aber konnte sich gar nicht von seinem Anblick lösen. Um die verschrumpelte, gebräunte Haut waren weiße Bandagen gewickelt, aber nicht sorgfältig genug, um alles zu verdecken. Dasselbe war im Gesicht der Fall, dessen gesamte rechte Hälfte betroffen war inklusive Auge. Über jenem verdeckten Auge lag ein Visier, welches seinerseits an dem dünnen, weißen Helm befestigt war, den dieser Stoltz trug. In Anyas simplen Worten gefasst: er war eine merkwürdige Mischung aus Mumie und Ritter und dabei sicher über zwei Meter groß.   Matt derweil trat vor. „Was soll das heißen!?“ „Die Menschlinge sind Feinde der ewigen Ordnung, die zwei ihrer Siegel gebrochen haben.“ Stoltz hob seinen langen Arm und zeigte direkt auf Anya. „Und das Mädchen weiß es. Es ist der Quell des Chaos.“ Die Blonde zitterte, doch nicht wegen der eisigen Kälte. Der Finger, der auf sie gerichtet war, machte ihr wieder bewusst, was mit Drazen geschehen war. Deswegen war dieses Ding hier, um sie zu bestrafen! Der dichte Nebel waberte derweil geradezu friedlich über den Boden der Lichtung, unscheinbar, als wäre er nur ein Gast auf Durchreise. Keinesfalls war er natürlichen Ursprungs, genau wie diese Kälte. Zanthe stellte sich schützend vor Anya. „Hey, ist ja schön, dass du uns warnen willst, aber leider hören wir nicht sonderlich gern auf so dubiose Gestalten wie dich.“ Ein fieses Grinsen bildete sich auf den vertrockneten Lippen des dürren Mannes. „Ein Werwolf beschützt einen Menschen. Ob er mehr kann, als nur zu reden?“ „Ich kann dir gerne die Kehle aufschlitzen, wenn du möchtest“, bot Zanthe an und drehte sich zu Anya, „der Typ ist nicht zum Spielen hier. Schnappt dir deinen Lover und hau ab!“ Doch die hörte ihm nicht zu. Anyas trüber Blick machte deutlich, dass sie in Gedanken versunken war. Sicherlich keine guten. „Dieser hier ist ein Undying“, meinte Stoltz derweil grinsend und legte wieder eine seiner Hände auf die Brust, „er kann nicht sterben. Anders als der Hüter, den das Mädchen auf dem Gewissen hat.“   „Was hast du gesagt?“ Ehe Zanthe sich versah, hatte Anya sich an ihm vorbei gedrängt. Sie wirkte geradezu manisch, zitterte, aber ballte dennoch entschlossen eine Faust. „Sag das nochmal!“ „Die Mörderin hat offenbar ein schlechtes Gehör?“, giggelte Stoltz. Anya kniff ihre Augen zusammen. „Was weißt du von solchen Dingen … verpiss dich!“ „Dieser süße Zorn. Woher rührt er wohl?“ Der Undying streckte ihr den Arm entgegen. „Er kann nichts als zerstören. Und das ist sie, ein Werkzeug der Zerstörung, das nur den Tod bringen kann.“ Etwas in Anya wurde in diesem Moment entfacht. Ein Inferno, Sinnbild dafür, dass sie sich weigerte, jemandes Werkzeug zu sein. Verantwortung für ihre Taten zu übernehmen. Es übermannte sie, dieses Gefühl, das die Hilflosigkeit wegfegte und in unbändigen Tatendrang umwandelte. Oder konkrete Zerstörungswut. „Dir zeig' ich's!“, schrie sie außer sich und rannte auf ihn zu. Matt wollte sie greifen, doch kam zu spät. „Anya, nicht!“ Doch die streckte bereits ihrerseits im Lauf den rechten Arm aus und rief: „Angel Wing!“ Was sich in ihrer Hand materialisierte, war nicht etwa die Karte des Drachen. Nein, es war die eigentliche Form seines Artefakts. Ein langer, weißer Speer, dessen Spitze aus einem Drachenmaul ragte. „Die bringt uns nur noch mehr in Schwierigkeiten!“, zischte Zanthe genervt und begann, ihr hinterher zu rennen. Matt seinerseits wich zurück und griff in die Innentasche seines schwarzen Mantels. „Ich glaube nicht, dass wir um einen Kampf herum gekommen wären. Sie verkürzt nur das Vorspiel.“ Unter einem gellenden Schrei holte Anya mit ihrer Waffe aus, packte sie mit beiden Händen fest an und rammte sie in Stoltz' Richtung. Dieser bewegte sich nicht einen Millimeter. Seine Rüstung war so dünn, dass das Klingenblatt sie mühelos durchbohrte. Die Spitze schoss aus seinem Rücken heraus, und Anya starrte den Undying hasserfüllt an. Doch der grinste. Ehe Anya reagieren konnte, wurde sie am Hals gepackt und in die Höhe gehievt, wodurch sie den Speer losließ. Daraus resultierend knallte dessen Ende des Schafts auf den Boden. „Ein Undying kann nicht sterben, Kind der Vergänglichkeit.“ Anya krallte sich mit den Fingern in seine Hand fest, ohne aber etwas damit zu erreichen. Im Gegenteil, Stoltz' Griff wurde fester, nahm Anya jegliche Möglichkeit nach Luft zu schnappen. „Lass sie los!“, fauchte Zanthe. Anya sah sie über sich, die wölfischen Pupillen. Dann fiel sie, zusammen mit einem Teil von Stoltz' Arm. In gebückter Haltung landete ihrer Freund vor ihr, hatte mit seinen Klauen einfach den Arm des Undying durchtrennt und schlug ihm in einer Halbdrehung noch eine tiefe Wunde in den Teil der Brust, der nicht von der Rüstung bedeckt war, ehe er sich Anya zu wandte, sie an der Hüfte packte und wegriss. Keine Sekunde zu früh, denn unter ihr schoss bereits eine spitze Steinsäule aus dem Boden. Stoltz' Mundwinkel huschten nach oben, aber nur für einen kleinen Moment. Als an ihm etwas vorbei surrte und in einem Baum hinter ihm stecken blieb, drehte er sich überrascht um. Drei Messer, fein auf engstem Raum untereinander steckend. Der Undying fasste sich an den Hals, der ebenfalls tiefe Schnitte aufwies – direkt an der Halsschlagader. Matt hatte die Klingen geworfen, während das Wesen mit den beiden anderen beschäftigt war.   Zanthe schleppte Anya zurück zu Matt, schon längst wieder völlig zum Mensch geworden. Das Mädchen streckte schnaufend den Arm aus, woraufhin sich der Speer in Stoltz' Abdomen in gleißendes Licht verwandelte, welches sich einfach durch die Steinsäule fraß und in Anyas Hand zur Karte Angel Wings wurde. In dem Moment zerbarst der Stalagmit. „Unmöglich!“, keuchte Zanthe. Stoltz stand da. Mit zwei Armen, unversehrtem Hals, Magen, keinem Kratzer auf der Brust. Anya weitete die Augen, dann brüllte sie: „Mit dir bin ich noch nicht fertig! Heavy T!“ An ihren Händen materialisierten sich massive Panzerhandschuhe, von sehr schlichter Aufmachung. Das Mädchen kreuze die Arme über die Brust und stieß einen unmenschlichen Schrei aus. Aus dem Boden in ihrem Umfeld wurden dutzende Erdbrocken und Steine gerissen, die um sie herum levitierten. Anya schlug mit der Faust in die Richtung ihres Feindes und schleuderte damit jene Stücke wie einen Bombenhagel auf Stoltz. Dieser wurde voll erfasst und von jedem einzelnen der nicht kleinen Brocken getroffen. Doch wie Regen prasselten sie an ihm ab, während er nur seine gelben Zähne blitzen ließ. Matt griff Anyas Schulter und riss sie zu sich herum. „Hör auf, das bringt nichts!“ „Lass mich, Summers!“ Gegen ihren Willen verschwanden jedoch die Panzerhandschuhe, wodurch es sich für sie zunächst ausgekämpft hatte. „Ich habe eine Idee“, meinte Matt zu seinen Mitstreitern, „wenn wir ihn nicht töten können, dann müssen wir ihn anders loswerden. Aber dazu muss ich mich mit ihm duellieren.“ Zwar wollte Matt gar nicht daran denken, dass er -es- gleich zweimal an einem Tag beschwören musste, aber was für eine Wahl hatte er schon im Angesicht dieser Kreatur? Seinen Plan B wollte er jetzt noch nicht umsetzen, solange sie nicht wussten, womit sie es genau zu tun hatten … Zanthe schüttelte verständnislos den Kopf. „Ein Duell? Jetzt? Hast du dir vorhin den Kopf zu hart gestoßen!?“ „Vertrau mir, ich weiß, was ich tue.“ Anya sah über die Schulter zu den beiden. „Mir ist es egal, wie wir diesen Dreckskerl fertig machen, Hauptsache wir tun es!“ Schulterzuckend resignierte Zanthe. „Na wenn ihr meint … dann wir drei gegen den.“ „Die Verbrecher wünschen ein Duell?“ Stoltz zeigte seine widerlichen, gelben Zähne. „Der Undying ist offen für jede Art von Bestrafung.“   Überrascht von der Kooperationsbereitschaft des Undying, platzierten Anya, Matt und Zanthe sich in genauer jener Reihenfolge am Rande der Lichtung, in einer Linie. Ihnen gegenüber die hagere Gestalt, deren Herkunft sie nicht kannten. „Nun zu eurer Bestrafung“, sagte jene und ließ an ihrem Arm eine goldene, an ihrem Ansatz leicht gekrümmte Duel Disk erscheinen. Dabei drehte er seinen Kopf einmal um 360°, was bei seinen Gegnern ein breites Spektrum an Emotionen, hauptsächlich Ekel und Fassungslosigkeit hervorrief. „Nun werden die ahnungslosen Tölpel den Terror erleben, die sie Feinde der ewigen Ordnung sind!“ „Was willst du überhaupt von uns, du Freak!?“, fauchte Anya und trat vor. „Wenn du glaubst, mir Angst zu machen mit deinen Tricks, bist du schief gewickelt! Und das meine ich wörtlich, du verdammte Mumie!“ Stoltz' unbedecktes Auge begann rot aufzuleuchten. „Was der Undying will, fragst du? Nur eins. Euer Verderben.“ „Duell!“, hallte es anschließend im Chor von der Lichtung.   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP]   „Der erste Zug gehört dem Undying“, verkündete Stoltz und zog sogleich sechs Karten auf einmal. Matt, dessen Kleidung von seinem Duell gegen Drazen übel zugerichtet war, stand nur wackelig auf den Beinen. „Mach jetzt nicht schlapp!“, mahnte ihn Zanthe, allerdings mit einem skeptischen Unterton. „Gegen diesen Typen da war dein Gegner eben nur die Aufwärmrunde.“ Der schwarzhaarige Dämonenjäger biss die Zähne zusammen. „Geht schon.“ Woher sollte Zanthe auch ahnen, dass es nicht physische Strapazen waren, die ihn belasteten? „Was soll der überhaupt darstellen?“, motzte Anya, die ihre düsteren Gedanken offenbar verdrängt zu haben schien. „Ist das ein Mensch, ein Dämon oder eine Maschine?“ Mit den Schultern zuckend, erwiderte Zanthe: „Von jedem ein bisschen würde ich sagen.“ „Er ist ein Undying“, erwiderte der über zwei Meter große Mann, „also zollt ihm Respekt, Feinde der ewigen Ordnung. Und er beendet seinen Zug.“ Eine kalte Brise zog über die Lichtung hinweg, das Laub der Bäume raschelte unheimlich, fast einem Omen gleich. Von dem niemand Notiz zu nehmen schien. Anya legte den Kopf schief. „Huh!?“ „Er spielt keine einzige Karte aus?“, wunderte sich auch der Werwolf der Gruppe. Gleichzeitig beschäftigte Matt etwas anderes. Abwesend murmelte er: „Undying …?“   „Na dann bin ich jetzt eben dran!“, fauchte Anya und zog ebenfalls auf sechs Karten auf. „Ich beschwören [Gem-Knight Amber]!“ Vor ihr tauchte ein Ritter in goldener Rüstung auf. Aus seiner linken Handfläche zog er einen knisternden Dolch, ganz aus Blitzen bestehend, hervor.   Gem-Knight Amber [ATK/1600 DEF/1400 (4)]   Anya grinste bitterböse in sich hinein. Drei gegen einen? Pah! Sie würden die Mumie überrollen, so viel stand schon mal fest. Und zwar mit allem was sie hatten. Der Spinner konnte sich unmöglich um sie alle drei gleichzeitig kümmern, dazu müsste er noch stärker sein als Isfanel. Und wenn man sein Feld so ansah, war er das gewiss nicht! „Amber wird aber nicht lange bleiben!“, rief die Blondine und streckte den Arm aus. „Ich aktiviere den Effekt des [Angel Wing Dragons] in meinem Extradeck. Indem ich ein Licht-Monster von meinem Deck auf den Friedhof schicken, kann ich es als Empfänger für Angel Wings Beschwörung benutzen!“ Die gewählte Karte schob sich aus dem von Logan geliehenen, schwarzen D-Pad hervor. Anya zeigte [Alexandrite Dragon], ein normales Monster der Stufe 4 vor. „Damit komme ich zusammen mit Amber auf Stufe 8!“ Ein goldener Ring materialisierte sich über dem Mädchen. „From the light of a different world, the herald of starlight decends upon the ravaged land! By discarding a single star, I call upon you!“ Ihr Ritter derweil begann in die Höhe zu schweben, zerplatzte in vier grüne Lichtkugeln, die von hinten nach vorne durch den goldenen Ring schossen. „Synchro Summon! Shine forth!“ Ein gleißender Blitz durchdrang den Ring, von dessen Rändern sich vier weiße Schwingen zu strecken begannen. „[Angel Wing Dragon]!“ Durch einen Dimensionsspalt schob sich nach hinten weg der massive Schweif des weißen Drachen, nach vorne hin drang der Kopf des Ungetüms hervor, welcher dank des goldenen Kragens stark einer Kobra ähnelte. Die beiden Körperhälften traten solange aus der wässrigen Oberfläche im Ring hervor, bis sie sich perfekt aneinander schmiegten und den kompletten Körper ergaben.   Angel Wing Dragon [ATK/2700 DEF/2000 (8)]   Ihr hünenhafter Gegner begann plötzlich zu gackern. „Ist das alles, was das Mädchen aus dem Artefakt der Hüter hervorbringen kann? Der Undying kommt nicht umher, sie als erbärmlich zu bezeichnen. Nur ein Schatten der wahren Kraft.“ Anya schnaubte wütend. „Keine Ahnung wovon du redest, Schrumpfhirn! Ich für meinen Teil bin zufrieden!“ Was selten genug vorkam. Sie schnappte sich eine Fallenkarte von ihrer Hand und schob sie in die Duel Disk. „Mit der wirst du noch ganz viel Spaß haben! Zug beendet!“ Die Karte materialisierte sich vor Anyas Füßen, welche stolz die Brust nach vorn streckte. Diesmal würde es kein Desaster geben wie damals im Turm mit Isfanel. Dafür würde sie schon sorgen. Und die anderen beiden Flachzangen würden gefälligst mithelfen. „Los, Summers, gib ihm die volle Ladung!“   „Das geht nicht, wir können erst ab unserem jeweiligen nächsten Zug angreifen“, belehrte Matt sie und zog nebenbei. „Als ob ich das nicht wüsste!“ „Ist ja ein Wunder, dass sie es nicht trotzdem probiert hat“, murmelte Zanthe in die Richtung des Dämonenjägers, der aber nicht in Lästerlaune war. Tatsächlich war Matt froh, dass Anya ihre Probleme im Moment mit Bravour verdrängte und sie nicht noch mehr in Schwierigkeiten brachte. Nachdenklich betrachtete er sein Blatt. Wie er Anya allerdings kannte, würde sich das bald ändern und sie nächste Runde wie ein Stier ins Rote rennen. Und Zanthe schätzte er als die Art von Duellant ein, die sich eher auf Technik, statt auf rohe Gewalt verließ. Was dann noch blieb, war ein eher defensiver Stil. Er warf noch einmal einen Blick auf seine Handkarten. Wenn jeder von ihnen diesem Stoltz mit einer anderen Strategie begegnete, konnte dieser unmöglich alle drei auf einmal aushebeln. Also würde er die Rolle der 'Wall' übernehmen. „Ich beschwöre [Evilswarm Castor]!“, rief Matt und legte jenen auf sein schwarzes D-Pad. „Er lässt mich einmal zusätzlich einen Schwärmer als Normalbeschwörung rufen.“ Es materialisierte sich auf seiner Spielfeldseite ein Krieger, dessen linke Hälfte der Rüstung schwarz, die rechte hingegen weiß war. An seinen Schultern hing ein zerfetzter, roter Umhang.   Evilswarm Castor [ATK/1750 DEF/550 (4)]   „Moment mal, den kenne ich doch“, schoss es aus Zanthe heraus, als er auf das Monster mit dem Finger zeigte, „das ist mein [Constellar Pollux]!“ Als Beweis zeigte der junge Mann Matt Pollux' Karte, die er zufällig auf dem Blatt hatte. Und tatsächlich, das Artwork war fast identisch zu Castors Erscheinung. Einzig dass Pollux ganz in Weiß gekleidet und sein Umhang nicht zerschlissen war. „Interessant. Mein Schwärmer-Deck ist das Resultat eines … Zaubers“, erklärte Matt mit skeptischem Blick auf die Karte, die Zanthe daraufhin wieder in sein Blatt nahm, „alle meine Monster sind korrumpierte Versionen von Monstern meiner Bekannten. Was für ein Zufall, dass eines deiner Monster dazugehört, noch bevor wir uns kannten.“ „Ja. Wirklich komisch“, murmelte Zanthe mechanisch. „Egal, zurück zum Duell!“, wandte sich Matt an deren gemeinsamen Gegner. „Ich nutze Castors Effekt und beschwöre jetzt [Evilswarm Heliotrope]!“ Der Dämonenjäger im schwarzen Ledermantel knallte besagte Karte auf sein D-Pad. Und Anya pfiff spöttisch, als neben Pollux ein in dunkelgrüner Rüstung steckender Ritter auftauchte. Ihr [Gem-Knight Emerald], entsprechend generalüberholt durch finstere Kräfte.   Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]   Matt schwang den Arm aus. Seine Monster lösten sich in violette Lichtstrahlen auf, die in die Höhe stiegen. „Ich erschaffe das Overlay Network! Aus meinen beiden Stufe 4-Finsternis-Monstern wird ein Rang 4-Monster! Xyz Summon! Erscheine, manipulative Schattengewalt!“ Über dem jungen Mann öffnete sich ein schwarzer Wirbel, der die beiden Lichtstrahlen in sich aufsog. Anschließend landete mit einem Satz ein dunkler Krieger auf den Knien vor Matt. „[Evilswarm Nightmare]!“, titulierte jener sein neues Monster. Es handelte sich dabei um einen Ritter in dunkler Stahlrüstung, ebenfalls umhüllt von einem roten Umhang. In der Hand hielt er eine Klinge, die sich wand wie die Spitze einer Bohrmaschine. Um diese kreisten zwei Lichtkugeln.   Evilswarm Nightmare [ATK/950 DEF/1950 {4} OLU: 2]   „Das Vieh kenn' ich auch“, maulte Anya, „das ist eines dieser Monster von der dämlichen Lügenbaronin Nina Placatelli. Woher kennst du die denn, Summers?“ „Gar nicht“, erwiderte Matt steif, „aber ihr. Vielleicht besitze ich deshalb eines ihrer Monster?“ „Pft. Ist ja auch egal.“ Der Dämonenjäger nickte. „Völlig richtig. Ich aktiviere jetzt den dauerhaften Zauber [Xyz Wall]!“ Um Matts Teil des Spielfelds herum bildete sich ein bunter Schleier, den Nordlichtern nicht unähnlich. In ihm spiegelte sich das Antlitz von [Evilswarm Nightmare] dutzende Male wieder, als handle es sich um die Scherben eines zerbrochenen Spiegels. „Weiter geht’s mit [Xyz Shift Break]! Für einen Zug tauscht dieser Zauber den Effekt Nightmares mit einem gleichrangigen Xyz-Monster aus meinem Extradeck aus.“ Matt zückte bereits ein Monster namens [Evilswarm Ophion]. „Und jetzt aktiviere ich [Evilswarm Nightmares] neuen Effekt. Indem ich ein Xyz-Material abhänge, füge ich meiner Hand von meinem Deck eine Infestation-Karte hinzu! Expand Infection!“ Schwarze Schwingungen begannen aus allen Richtungen Nightmares Körper zu verlassen. Sie resonierten mit denen, die Matts Deck zeitgleich aussendete, aus welchem im Anschluss eine einzelne Karte schoss. „Ich nehme [Infestation Pandemic]! Und jetzt, da ich ein Xyz-Material von Nightmare durch Aktivierung seines Effekts abgehangen habe, kommt [Xyz Wall] ins Spiel! Diese erhöht jetzt die Verteidigung aller Monster in offener Verteidigungsposition um 1000!“ Der bunte Schleier um Matt herum wurde dichter. So dicht, dass man meinen konnte, es würde sich tatsächlich um eine echte Mauer handeln.   Evilswarm Nightmare [ATK/950 DEF/1950 → 2950 {4} OLU: 2 → 1]   Das getan, schob Matt eine seiner Handkarten in den mittleren Zauber- und Fallenkartenschlitz seines D-Pads. „Diese hier setze ich und gebe an Zanthe weiter. Damit erhält Nightmare seinen ursprünglichen Effekt zurück.“ Perfekt, dachte er dabei noch. Sein Monster würde jedem Versuch, es zu Fall zu bringen, standhalten. [Xyz Wall] beschützte zusätzlich Monster in Verteidigungsposition vor anderen Monstereffekten, während seine gesetzte [Infestation Pandemic] ihn gegen Zauber und Fallen absicherte. Und sollte Stoltz auf die Idee kommen, ein stärkeres Monster spezialbeschwören zu wollen, würde Nightmare es in die verdeckte Verteidigungsposition bringen. So leicht würde man seine Verteidigung nicht knacken! Trotzdem schien Stoltz belustigt, denn er kicherte unentwegt und zeigte mit dem langen, dürren Finger auf Matt. „Der Junge glaubt, sich hinter seinen Karten verstecken zu können. Der Junge irrt.“ „Wir werden sehen“, blieb dieser selbstbewusst. „Der Immaterielle irrt sich auch“, erwiderte Stoltz grinsend und sah abwechselnd von Anya zu Matt herüber. Anya verzog amüsiert die Mundwinkel. „Hast wohl gehört, was Levrier gesagt hat? Dass du keine Chance gegen uns drei hast.“ Hinter ihr erschien [Gem-Knight Pearl], Levriers durchsichtiger Avatar. Um genau zu sein sagte ich, er würde es sehr schwer haben. Deine Interpretation meiner Worte weicht von der Realität ab, Anya Bauer. Wie immer.   „Und trotzdem irrt der Immaterielle“, sagte Stoltz nur frohlockend.   Während das Geplänkel zwischen der 'Mumie' und Anya stattfand, griff Zanthe nach seinem Deck, doch zog er nicht. Etwas beunruhigte ihn. Damals, als er gegen Anya verloren und [Angel Wing Dragon] abgegeben hatte, fand eine Veränderung statt. Mit ihm, mit Angel Wing – und noch mehr, da war eine Kraft gewesen, welche er nicht begreifen konnte. Unscheinbar nur, für normale Menschen wie Anya nicht zu bemerken. Der Fluss der Energien wich im Moment seiner Niederlage von seinem Kurs ab, nur einen kurzen Augenblick. Nur ein flüchtiges Gefühl war es gewesen, dessen er sich selbst erst jetzt vollständig gewahr wurde. Als wäre mit seiner Niederlage etwas aus einem langen Schlaf erwacht. Und nun, da Drazen ebenfalls seinen Hüterstatus und darüber hinaus noch sein Leben verloren hatte, war diese Kraft, deren Repräsentant Stoltz war, endgültig auf sie aufmerksam geworden. Zanthe war sich sicher, noch mehr über Stoltz' Hintergründe zu wissen. Selbst den Namen glaubte er schon einmal gehört zu haben. Doch die Erinnerungen schienen so weit entfernt, dass er sie nicht erfassen konnte.   Unsicher, ob er die anderen beiden darauf hinweisen sollte, zog Zanthe auf sechs Karten auf. Er betrachtete sie. Vielleicht irrte er sich aber auch. Nein … Stoltz schien zu wissen, was Angel Wing war – und dass er offenbar nicht sein volles Potential entfaltete. Eines, um das selbst Zanthe bisher nicht wusste. „Ich beschwöre [Constellar Algiedi]“, rief er gedankenversunken und legte gleich zwei Karten in seinen Duellhandschuh ein, „und kann durch deren Effekt ein Stufe 4-Constellar spezialbeschwören. Also folgt [Constellar Kaus].“ Dabei war er derart mit Grübeln beschäftigt, dass er die beiden Schlüssel, die in seiner offen gehaltenen Handfläche erschienen, einfach zur Seite warf. Dort bildeten sich zwei Runentore, aus denen die beiden weißen Krieger brachen. Die linke, Algiedi, war eine Hexe in blauem Umhang, die einen Zauberstab schwang. Ihr Helm mit den nach hinten gebogenen Hörnern zeichnete sie zum Stern des Steinbocks aus. Ihr Partner, Kaus, war ein bogenschießender Zentaur, der Schütze. Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1000 (4)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4)]   „Stoltz“, grübelte Zanthe leise, „wo habe ich den Namen bloß schon einmal gehört?“ „Der verräterische Werwolf hat seine Pflicht vergessen“, gackerte Stoltz belustigt, „oder kennt er diese gar nicht? Wurde er nicht aufgeklärt darüber, was die Hüter beschützen?“ Zanthe sah ruckartig auf. „... nein. Ich glaube nicht. Ich habe Angel Wing noch nicht lange besessen und ich weiß nur, dass ich ihn niemals hergeben durfte. Mehr nicht.“ „Lügt der Werwolf? Oder will er wirklich nichts wissen?“ Stoltz legte seinen Kopf wortwörtlich auf die Schulter, da sein Hals bei der Bewegung einknickte. „Nun, es ist einerlei. Einem toten Wolf nützt das Wissen der Lebenden nicht.“ Jener zuckte unbedarft mit den Schultern. „Nicht so voreilig, noch lebe ich. Also sprich schon.“ „Der Wolf, der lebt, ist ein Fehlschlag. Die Undying teilen ihr Wissen nur mit denen, die ihnen ergeben dienen.“ Stoltz rückte seinen Kopf mit den Händen wieder in die richtige Position. Es war, als wäre sein Hals innerhalb einer Sekunde wieder stabil. „So einer ist der Werwolf nicht.“ „Dann kann ich dir auch nicht helfen“, wies Zanthe ihn ab, „also werde ich, der unwürdige Werwolf und Feind der ewigen Was-auch-immer, einfach meinen Zug fortsetzen!“ Dabei streckte er den Arm aus. „Bis zu zweimal pro Zug kann [Constellar Kaus] seine Stufe oder die seiner Mitstreiter um eins erhöhen. Los, bring euch beide aufs nächste Level!“ Kaus spannte seinen goldenen Bogen und schoss zwei gleißende Pfeile kerzengerade gen Himmel. Es verstrichen einige Sekunden, bis sie direkt auf ihn und Algiedi niedergeschossen kamen und beide bei Kontakt in goldene Auren hüllten.   Constellar Algiedi [ATK/1600 DEF/1000 (4 → 5)] Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/700 (4 → 5)]   Der jung gebliebene Mann streckte den Arm aus. Seine Finger umschlossen den Griff eines langen, goldenen Schlüssels, der noch während der Bewegung entstanden war. Dabei sprach Zanthe, als er sich das seltsame Gebilde an die Stirn hielt: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network! Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein scheinender Stern! Rang 5! Xyz Summon!“ Mit einer flinken Bewegung rammte er den Schlüssel in den Boden. Genau an der Stelle, in der jener versank, entstand ein sich weit ausbreitender Runenzirkel. Als dieser auch Algiedi und Kaus einschloss, versanken jene in ihm. Und als sie gänzlich verschwunden waren, trat vor Zanthe ein stolzer, weißer Krieger aus dem Kreis, der sein massives Goldschwert nicht etwa aufrecht führte, sondern falsch herum mit sich trug. „[Constellar Pleiades]!“, rief Zanthe seinen Namen. Um jenen rotierten seine beiden Xyz-Materialien.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]   Matt sah fragend herüber zu Zanthe, der den Blick bemerkte und unter stillem Verständnis nickte. Dann schob er zwei Fallenkarten in seinen Duellhandschuh. „Damit dir auch nicht langweilig wird, setze ich diese beiden Schätzchen verdeckt.“ Zu beiden Füßen materialisierten sich die Karten vergrößert vor Zanthe. „Dein Zug, oh Undying Stoltz, hoher Herr von was auch immer und Verfechter von irgendwas, was du uns aber nicht so recht verraten willst! Mein Respekt ist dir gewiss!“ Zanthe macht noch einen damenhaften Knicks.   „Der verräterische Wolf mag Späße“, sagte Stoltz und zog schwungvoll auf, „der Undying auch. Deswegen soll der Wolf nicht der Erste sein, der stirbt.“ Den Kopf wieder bedrohlich schief legend, sah die groteske Gestalt ihr Blatt an. Dann zupfte sie mit ihren dürren Fingern eine Karte heraus und legte diese auf die goldene Apparatur an seinem Arm. „Der Undying beschwört [Centurion Atlas]!“ Ein kalter Wind fegte durch die Lichtung. Diesmal wurde er bemerkt, war sein Ursprung doch nicht zu übersehen. Hinter Stoltz baute sich eine mehrere Meter hohe Kreatur auf. Vier massive Beine aus Stahl stützten den Zentaur, dessen Körper aus unzähligen Würfeln bestand, die sich hin und her bewegten. In seiner Brustmitte war eine blaue Kugel eingelassen, die grell leuchtete. Sein Kopf war von einem Helm bedeckt, unter dem ein rotes Auge hervor stach. Centurion Atlas [ATK/2500 DEF/2500 (10)]   „Nicht im Ernst.“ Anya stand mit offenem Mund da. „Krasses Teil.“ Stoltz lachte bitterböse. „Der Centurion ist harmlos, da es ihm an einer geeigneten Energiequelle mangelt. So kann er auch ohne Tribute das Schlachtfeld betreten, doch verliert er in dem Fall ohne andere Monster der Stufe 10 mit genau 0 Angriffskraft die seine.“ Und so verdunkelte sich erst der Kern des riesigen Zentaurs, dann auch sein Auge. Die Bewegungen der Würfel stoppten augenblicklich.   Centurion Atlas [ATK/2500 → 0 DEF/2500 (10)]   Die gewaltige Kreatur sank auf die Vorderbeine, ließ leblos die Arme hängen und drohte in diesem Zustand, Stoltz unter ihrem massiven Gewicht zu begraben. „Der Undying setzt eine Karte verdeckt“, verkündete jener und ließ sie vor sich erscheinen. „Doch das markiert nicht das Ende seines Zuges, im Gegenteil. Der Undying aktiviert [Age Of Termination].“ Nichts tat sich um ihn und sein Monster herum, außer dass ein leises Klappern aus Atlas' Innerem zu vernehmen war.   [Anya: 4000LP Matt: 4000LP Zanthe: 4000LP //// Stoltz: 4000LP → 2000LP] „Ahja? Und was macht die?“, hakte Anya der Form halber nach. „Ein Centurion vermag nun jeden Feind anzugreifen, wenn er dafür im Austausch ein Leben mal 2000 erhält.“ Zanthe sah sofort herüber zu Matt. „Dann wird es sicher nicht bei 0 Angriffspunkten bleiben.“ „Nie im Leben“, erwiderte der aus Erfahrung, „mach dich bereit.“ „Der Werwolf hält sich für schlau“, kommentierte Stoltz dies und zückte eine weitere Zauberkarte, „vielleicht ist er es sogar? Der Undying aktiviert [Age Of Change]. Sie stellt vollkommen verbrauchte Energie wieder her und verdoppelt sie obendrein. Mit dem Zusatz, nun jede Verteidigung mit Durchschlagschaden zu strafen.“ Anya, Zanthe und Matt gaben überraschte Laute von sich, als [Centurion Atlas] sich mit einem Ruck wieder aufrichtete. Dabei glühte sein Kern nun nicht mehr blau, sondern rot auf, im Einklang mit seinem Auge.   Centurion Atlas [ATK/0 → 5000 DEF/2500 (10)]   „Okay, genug davon!“, polterte Zanthe. „Hier ist Endstation für dich und deine Schrottkiste! Ich aktiviere [Constellar Pleiades'] Effekt! Indem ich ein Xyz-Material abhänge, gebe ich eine deiner Karten auf die Hand zurück!“ Der weiße Krieger absorbierte eine der Lichtsphären um ihn herum mit dem verkehrt gehaltenen Schwert, welches er nun mit beiden Händen anpackte und in einer 360°-Drehung ausschwang.   Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]   Dabei schickte er eine Schockwelle los, die direkt auf die Brust des Titans zusteuerte – und an einem unsichtbaren Schild abprallte. „[Age Of Termination] verhindert im Zug der Aktivierung die Auswirkungen aller zielenden Karteneffekte“, erklärte Stoltz und kicherte böse, „vielleicht ist der Werwolf doch nicht so klug wie er dachte.“ Alarmiert drehte sich Zanthe zu Matt um und machte mit den Händen eine ausholende Bewegung, die ausdrücken sollte: „Was nun!?“ Matt nickte herüber zu Anya, die auch noch eine verdeckte Karte besaß. Zanthe schüttelte wiederum skeptisch den Kopf, woraufhin der Dämonenjäger zustimmend seufzte. Stoltz indes schwang den dürren Arm aus. „Damit ein Centurion angreifen kann, muss zuvor eine verdeckte Nicht-Monsterkarte geopfert werden. So geschehe es mit [Age Of Wonders], die sich durch ihren eigenen Effekt zurück auf das Feld setzt.“ Die Karte vor seinen Füßen löste sich in bunten Partikeln auf, die vom Kern des Maschinenwesens absorbiert wurden. Gleichzeitig dazu entstand sie wieder vor Stoltz' Füßen. Dieser war aber längst damit beschäftigt, sich seiner übrigen drei Handkarten zu entledigen. „Und der Effekt von [Centurion Atlas] erhöht seine eigene Stärke um 500 für jede Karte, die sein Herr abwirft.“ Nun begann dessen 'Herz' regelrecht zu pulsieren.   Centurion Atlas [ATK/5000 → 6500 DEF/2500 (10)]   Der Blondine stand der Mund weit offen. „Alter … und das Vieh kann uns alle angreifen! Scheiße!“ „Und das wird der Centurion auch!“, versprach Stoltz düster. Anya weitete die Augen beim Anblick des riesigen, vierbeinigen Zentaurwesens, das sich wie ein Turm über der Lichtung erstreckte und die Bäume um sie herum winzig erschienen ließ. Langsam hob es seine Vorderläufe an. „Seht die Macht eines Undying! [Centurion Atlas], dreifacher Angriff!“, befahl der Bandagierte, der vor seinem Monster stand und brach in hysterisches Gelächter aus. „Sterbt! Sterbt, sterbt, sterbt, sterbt, sterbt!“ „Nein!“, schrie Anya aufgeregt. „Verdeckte Falle! [Negate Attack]!“ „[Draining Shield]!“, fauchte Zanthe in derselben Sekunde. „Falsch, falsch, falsch! Während eines Kampfes ist ein Centurion unantastbar!“, gackerte Stoltz und sah gen Himmel. „Die Feinde der ewigen Ordnung sollen den Schmerz spüren!“ Anyas und Zanthes aufgesprungene Fallenkarten klappten sich wieder zu. Letzterer weitete die Augen, denn er würde den Angriff nicht überstehen, wenn dieser jetzt durchkam! So aktivierte er seine zweite Karte, die sofort aufsprang. „Dann [Reinforced Space]! Wenn ich dieses Ding nicht beeinflussen kann, dann wenigstens andere! Xyz-Monster erhalten 300 Angriffspunkte für jedes ihrer Materialien, bis zum Ende des Zuges!“ Sein Monster und auch Matts [Evilswarm Nightmare] schrien stolz auf.   Evilswarm Nightmare [ATK/950 → 1250 DEF/2950 {4} OLU: 1] Constellar Pleiades [ATK/2500 → 2800 DEF/1500 {5} OLU: 1]   „Der Werwolf wird das Unvermeidliche nur hinauszögern! Leide!“ „Nur damit du's weißt, Angel Wing-“ „Wird den Kampfschaden nicht verhindern, da ein unter dem Einfluss von [Age Of Termination] stehendes Centurion dies unterbindet! Ihr werdet“, sagte Stoltz, „alle leiden! Und sterben! Sterben, sterben, sterben!“ Damit ließ Atlas seine Vorderläufe hinunter sausen. Aus der Vogelperspektive sah man, wie die Erde vom Monster ausgehend in Form eines Dreiecks tiefe Risse bekam, ehe das gesamte erfasste Gebiet unter lautem Getöse einfach in sich zusammenbrach. Dabei erklang der Schrei eines Mädchens und zweier Männer.   [Anya: 4000LP → 200LP Matt: 4000LP → 450LP Zanthe: 4000LP → 300LP //// Stoltz: 2000LP] Eine dichte Wolke aus aufgewirbeltem Staub überzog die gesamte Lichtung, die kaum noch als solche zu identifizieren war. Alles lag in Trümmern. Das finstere Gelächter des Undying durchdrang die Stille und als sich der Schleier lichtete, erblickte er vor sich zwei junge Menschen, die auf den eingebrochenen Stücken der Erde lagen und sich nicht regten. Aber Anyas Augen waren offen, obwohl sie drohte, in ihrer schrägen Lage auf dem angewinkelten Stück Boden in ein metertiefes Loch zu rutschen. Was für eine Macht! Sie hatte noch gesehen, wie der Angriff Angel Wing zerfetzt hatte, ohne dass dieser sie hätte vor dem Kampfschaden bewahren können. Gut, dass Levrier es nicht gewesen war, der diesen Angriff entgegen genommen hatte! Sie schielte in ihrem mitgenommenen Zustand herüber zu Matt, der auf dem Rücken lag und gen Himmel sah. Auf seinem blutverschmierten Gesicht stand das pure Entsetzen geschrieben. Nur Zanthe neben ihm war es gelungen, sich nicht der schieren Macht [Centurion Atlas'] zu beugen. Er hockte auf einem großen Stein, der durch den Angriff aus der Erde gehoben worden war und sah herüber zu Stoltz. Allerdings war auch seine Kleidung zerschlissen und an einigen Stellen rot getränkt. „Der hat's drauf, das muss man ihm lassen“, staunte er leise vor sich hin. „Wir müssen hier verschwinden, sofort!“ Zanthe blickte herüber zu Matt, der sich langsam aufrappelte. „Glaubst du nicht, dafür ist es etwas zu spät?“ Der Dämonenjäger kam schwankend auf die Beine und rannte herüber zu Anya. „Komm her, ehe er seinen Zug beendet! Höchste Zeit für Plan B!“ „Wa-“ „Mach schon!“ Widerwillig sprang Zanthe von seiner erhöhten Position und hüpfte von den Steinen und aufgerissenen Bodenplatten herüber zu Matt, der die völlig planlose Anya am Handgelenk packte. „Gib mir deine Hand!“, wandte jener sich zu Zanthe um und streckte die seine nach ihm aus. „Zug-“ Die beiden berührten sich schließlich. Ein grelles Licht begann von Matt auszugehen. „-beendet.“ Und die ganze Lichtung ging in einer heftigen Explosion unter. Stoltz legte den Kopf schief, als ihn die Schockwelle erfasste, aber nicht mitriss. Als jene vorbei war, betrachtete er sein Werk der Zerstörung grinsend. Nun war die Lichtung vor ihm zu nichts weiter als einem riesigen Krater verkommen. „Die Vögelchen sind entkommen. Aber nicht für lange. Ein Undying hat Zeit und weiß Rat. Wir werden uns wiedersehen, wenn das nächste Siegel gebrochen wird. Und vielleicht sogar schon davor.“   ~-~-~   Matt lehnte sich keuchend an einen Baum, am Straßenrand vor dem Waisenhaus. Plan B – die Flucht durch Teleportation, sie war geglückt. Er hatte es gesehen, während sie angegriffen worden waren. Stoltz' Friedhof hatte aufgeleuchtet. Irgendetwas darin, etwas dass er mit [Centurion Atlas'] Effekt abgeworfen hatte, wäre ihnen zum Verhängnis geworden. „… gut geschaltet“, murmelte er leise vor sich hin.   Nicht weit von ihm lagen Anya und Zanthe mit ausgestreckten Gliedmaßen mitten auf der Straße, völlig erschöpft. „Ich kann's nicht glauben“, murmelte die Blondine, „was war das für ein Freak?“ „Wenn ich das wüsste“, erhielt sie eine wenig hilfreiche Antwort. Einen Moment ruhten sie sich still von den Strapazen aus, bis Matt schließlich an sie heran trat. In seinem Gesicht stand die Anspannung geschrieben. „Wir müssen Alector von dem in Kenntnis setzen, was eben passiert ist.“ Mit einem Ruck hatte Anya sich kerzengerade aufgerichtet. „Spinnst du!? Der wird mir die Schuld dafür geben!“ „Und, ist das etwa nicht die Wahrheit?“ Die Blondine verstummte. Dann drehte sie den Kopf weg. „Yeah … Tch, meinetwegen, sagen wir's ihm. Hab eh keine Wahl, was?“ „Wird schon halb so wild.“ Zanthe raffte sich auf und half Anya dabei, es ihm gleich zu tun. „Bisschen Geschleime und vielleicht lässt er uns leben.“ Matt drehte sich in Richtung des Waisenhauses. Im Dunkel der noch jungen Nacht leuchtete es aus allen Fenstern hell wie eine Sonne. „Bin gespannt, was Alastair dazu bewegt hat, uns zurückzulassen …“ Mit diesen Worten ging er die Straße entlang, gefolgt von den beiden anderen. „Stimmt, da war ja auch noch was“, grummelte Anya, „der Tag ist schon so scheiße genug, ich hab keine Lust auf noch mehr schlechte Nachrichten.“ Zanthe neben ihr schnalzte mit der Zunge. „Schlimmer geht immer, liebe Anya. Gewöhn' dich dran, dann kannst du nicht enttäuscht werden.“   Als sie das Waisenhaus betraten, wurden sie auf dem Weg in Alectors Büro von dutzenden großer Augen beobachtet. Einige der Kinder steckten bereits in Schlafanzügen. Die Stufen ins nächste Stockwerk nehmend, sah Anya betrübt zu ihnen herunter. Es war Alectors gutes Recht zu erfahren, was passiert war. Von diesem Stoltz ging eine ernsthafte Gefahr aus, über die er informiert werden musste. Was, wenn dieses Monster zurückkehrte? Anya wollte nicht wissen, was dieser Undying den Kindern antun könnte. Sie folgten dem Gang, bogen dann um die Ecke und wenig später klopfte Matt schon an Alectors Tür. Als er sie zu öffnen versuchte, bemerkte er jedoch, dass sie abgeschlossen war. „Nanu …?“ „Bist du das, Matt?“, hörte er Als Stimme durch das Holz dringen. Irritiert davon, dass sein Freund in Alectors Büro eingeschlossen war, erwiderte er: „Ja. Warum ist-!?“ Das Klicken eines sich öffnenden Schlosses ertönte. Schon schwang die Tür auf. Alastair, immer noch in seinem roten Mantel, sah kurz auf den Gang und stellte fest, dass außer den Dreien niemand sonst hier war. Mit einem Kopfnicken nach rechts forderte er sie auf, das Büro zu betreten und als sie alle drin waren, schloss er hinter ihnen wieder ab.   Anya verstand sofort, was das alles sollte. Vor seinem Schreibtisch stand der erstaunlich kleine Alector und neben ihm ein alter Bekannter, eingekerkert in ein schmales, gelbes Kraftfeld. Langes, schwarzes Haar, eine Butleruniform. „Kyon …“, brummte sie. „Ich habe ihn dabei erwischt, wie er hier herumgeschnüffelt hat“, bellte Alector sofort, „aber er will mir nicht sagen, was er sucht.“ Der Blondine entglitt ein erleichtertes Stöhnen. „Und ich dacht' schon, jemand wie der Sam-“ Matt stieß das Mädchen von hinten an, sodass es jäh unterbrochen wurde. Die kapierte erst jetzt, dass sie Alector lieber nicht sagen sollte, wessen Vasallen er da gefangen hielt. Sofort richtete sie sich erschrocken auf. „Alter, lass den sofort frei!“ „Ich danke dir, Anya Bauer. Endlich jemand mit etwas Verstand“, sagte Kyon, der wie immer seine Sonnenbrille trug und nickte ihr anerkennend zu. Anya wurde kreidebleich beim bloßen Gedanken daran, was der Sammler mit ihr anstellen würde wenn er erfuhr, dass sein Handlanger wegen ihr festgehalten wurde. Was natürlich die Frage aufwarf, warum der überhaupt hier war. Die beschäftigte scheinbar auch Alector brennend. „Ihr kennt euch? Dann erklärt's mir! Der Drecksack tut geradezu so, als hätte er seine Zunge verschluckt!“ „Wie ich bereits sagte, mich zu foltern erzielt nicht den gewünschten Effekt“, sprach Kyon derart unbeeindruckt, als wären die garantiert unangenehmen Stunden mit Alector spurlos an ihm vorbei gezogen. „Keine Ahnung, so gut kenn' ich ihn auch nicht.“ Aber Anya fiel dabei etwas ein. Da gab es doch jemanden, der eine Karte von Kyons Deckthema spielte. Schelmisch schielte sie herüber zu Zanthe, der den direkten Blickkontakt mit dem Gefangenen mied. Zufall? „Warum sagst du nicht etwas dazu, Flohpelz?“   Überrascht zuckte Zanthe zusammen. Nur sehr widerwillig trat er unter den strengen Blicken der anderen Anwesenden vor und kratzte sich nervös am Kopf. „Ich? Wieso ich?“ „Tu doch nicht so“, schnarrte Anya. „Ich wette, ihr kennt euch!“ „Nein.“ „Aber natürlich.“ Der Werwolf weitete seine Augen, als ausgerechnet Kyons gleichzeitiger Ausruf den seinen übertönte und ihm darüber hinaus noch in den Rücken fiel. Die Unruhestifterin höchstpersönlich verschränkte triumphierend die Arme. „So so, sieh an. Und?“ Zanthe drehte den Kopf zur Seite. „Ist kompliziert und geht euch nichts an.“ „Eigentlich kennt er nicht mich, sondern mein Gefäß. Oder was mal mein Gefäß war, denn die Seele, die sich in diesem befand, ist bereits lange vor meiner Ankunft in diesem Waisenhaus fort“, erklärte der Immaterielle Kyon bereitwillig, „ihr müsst wissen, ich habe den Pakt geschlossen, weil in diesem Körper kein Bewusstsein mehr steckte. Ich denke, das ist besser, als ein denkendes Wesen zu bedräng-“   Plötzlich brach es aus Zanthe heraus. Er stürmte auf Kyon zu und schlug mit seinen Fäusten gegen den gelblichen Energieschirm, der den Butler umgab. „Und da musstest du dir ausgerechnet diesen Körper aussuchen!? Huh!?“ „Vorsicht!“, schrie Alector. Dampf stieg unter Zanthes Fäusten auf, die von der Energie versengt wurden. Jener ließ sich erst mit Gewalt von Alastair wegzerren. Zischend riss der Werwolf sich los und wandte sich von der ganzen Gruppe ab. Es brauchte einen Moment, ehe er seine Stimme wieder fand. „... er ist ungefährlich, soweit ich das beurteilen kann. Lassen Sie ihn bitte gehen.“ Alector sah mit misstrauischem Blick herüber zu Zanthe. Matt ergriff das Wort. „Tu was er sagt. Er ist zwar kein Freund, aber auch kein Feind.“ „Nein“, knurrte Alector, „der geht nirgendwo hin.“ Sofort stampfte Anya auf den pensionierten Dämonenjäger zu. „Besorg' dir'n Hörgerät, Opa! Wir sind uns alle einig! Also mach hinne!“ Gänzlich unbeeindruckt von der Blonden, sah Alector zu Matt und Alastair herüber. Während Letzterer keinen Hehl daraus machte, dass er die Meinung seines Mentors teilte, nickte Matt entschlossen. „Wenn wir ihn hier behalten, haben wir am Ende nur denjenigen an der Backe, der hinter ihm steht. Ich weiß, wie gerne du ihn umbringen möchtest, aber … lass es, okay? Das sorgt nur für mehr Probleme.“ Alector zischte wütend, lenkte aber trotz wegwischender Handbewegung ein. „Ich hoffe, du weißt, was du da tust …“ Er schnippte mit dem Finger und schon verschwand Kyons Käfig. Dieser verneigte sich höflich. „Ich bedanke mich, Matt Summers und entschuldige mich für den Ärger, den mein unbedachtes Handeln verursacht hat. Ich bürge dafür, dass es keine Konsequenzen bezüglich meiner Gefangenschaft für euch geben wird. Damit empfehle ich mich.“ „Hau bloß ab“, raunte Anya gallig. Das tat Kyon auch. Vor ihm öffnete sich ein ovales, schwarzes Portal mit spiegelnder Oberfläche, welches er durchschritt und das schließlich mit ihm verschwand.   Matt atmete tief durch. Die Frage, was der Kerl hier wollte, musste jetzt hinten anstehen. Zum Glück hatte sich Alector erstaunlich kooperativ gezeigt, ein Zeichen, dass er Matts Urteil vertraute, was bei dem alten Kauz selten genug vorkam. Aber es gab noch einen anderen Grund, warum Matt Kyon gehen ließ. Er wollte nicht, dass jener womöglich etwas von dem mithörte, was sie zu berichten hatten. Schließlich war es nicht auszuschließen, dass dieses Wissen über welchem Weg auch immer an den Sammler geriet, selbst wenn sie Kyon töteten. Bekanntlich konnte der Sammler Tote wiederauferstehen lassen. Es war das Beste so, zumindest hoffte Matt das. „Alector, wir haben ein Problem“, begann er dann. „Ich weiß. Etwas ist im Wald … war im Wald.“ Der pensionierte Dämonenjäger strich sich über den grauen, kurz geschnittenen Bart. „Die Resonanzchronosphären, die ich überall in der Gegend verteilt habe, sind mir durchgebrannt.“ „Das ist ein Werkzeug um Dämonenaktivitäten zu messen“, erklärte Alastair der unwissend dreinblickenden Anya. Daraufhin schilderte Matt, wie es zu der Begegnung mit Stoltz gekommen war. Zu Anyas Erleichterung änderte er die Geschehnisse so ab, dass nicht offensichtlich wurde, wessen Tun den neuen Feind auf den Plan gerufen hatte. Stattdessen ließ er Stoltz eher wie ein Monster wirken, dass von Anyas bloßer Existenz angezogen wurde. Und von seiner. Als er geendet hatte, saß Alector an seinem Schreibtisch. Der Lichtpunkt der Lampe im Zimmer spiegelte sich auf seiner Glatze zwischen dem Haarkranz. Über diese strich er nachdenklich. „Undying. Nein, das ist kein Begriff, den ich in meiner Laufbahn jemals gehört habe“, sagte er schließlich. „Kind, was für einen Stein hast du da ins Rollen gebracht?“ „Ich weiß es nicht“, seufzte Matt. „Aber ich glaube, wir haben ihn nicht zum letzten Mal gesehen. Er ist hinter mir und Anya her. Also sollten wir diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.“ Umgehend stürzte sich Alastair dazwischen und riss Matt an den Schultern zu sich. „Das kann nicht dein Ernst sein, Matt!“ Jener drehte den Kopf zu Alector. „Du weißt, dass es nicht anders geht, oder?“ Der alte Mann legte seinen Kopf auf den Handrücken, während er seine Arme mit den Ellbogen vom Tisch abstützte. Er sagte nichts, doch in seinen Augen stand es auch so geschrieben: er sah ebenfalls keine andere Möglichkeit. „Al“, richtete sich Matt an seinen Freund, „wir müssen an die Kinder denken. Bleibe ich hier, riskiere ich nur, dass ihnen etwas geschieht.“ Langsam ließ Alastair ihn los. „Lass uns das alles in Ruhe bereden, Matt …“ Und das taten sie auch. Lange und ausführlich, während ihre Wunden von Alector versorgt wurden.   ~-~-~   Als sie kurz vor Mitternacht geendet hatten, waren Anya und Zanthe auf ihr 'Zimmer' zurückgekehrt – den Dachboden. Nebeneinander saßen sie auf den Kisten, die in der Ecke des engen Raumes standen und schwiegen sich gegenseitig an.   Die Gruppe hatte sich nach langer Diskussion geeinigt, wenigstens noch die Nacht hier zu verbringen. Am Morgen würden sie dann mit dem Zug wieder Richtung Anyas Heimat fahren, mit Matt im Gepäck. Jener war zwar alles andere als glücklich darüber, zeigte sich aber dennoch gefasst, Alastair, Alector und die anderen für eine Weile verlassen zu müssen. Denn jene würden hier bleiben, da sie die Kinder nicht alleine lassen konnten. Anya hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Sie hatte zwar das Artefakt, Heavy Ts Karte, aber zu welchem Preis? Drazen war tot, einen neuen Feind gab es auch und zu allem Überfluss hasste Matt sie jetzt wahrscheinlich dafür, dass er wieder in ihre Probleme hineingezogen worden war.   „Ist echt alles scheiße gelaufen, seit wir angekommen sind, huh?“, wandte sie sich an Zanthe. Der hatte ein Bein angezogen und legte sein Kinn auf dessen Knie, während er auf der Kiste hockte und ins Leere starrte. „Ist dir das auch schon aufgefallen, ja?“ „Tch, wenn du jetzt Schiss hast und nicht mehr mit mir reisen willst, kannst du gerne gehen“, erwiderte Anya trotzig. Zanthe zuckte lustlos mit den Schultern. „Vielleicht, mal sehen.“ Diese Antwort erschrak Anya mehr, als ihr lieb war. Er erwog tatsächlich zu gehen? Was würde dann aus seinem Heilmittel werden!? Und ihr? Immerhin wusste er eine Menge, was sie nicht wusste, besonders da er einer der Hüter gewesen war. Ganz zu schweigen davon, dass es dann niemanden gab, mit dem sie sich ordentlich zanken konnte! In dem Moment wurde ihr klar, dass sie Zanthe nicht ausschließlich als Nervensäge betrachtete. Eigentlich war sie recht froh, dass er sie begleitete, vielleicht weil er ihr irgendwie ähnelte und deswegen mit ihr mithalten konnte. „Hab ich nicht ernst gemeint“, brummte sie deswegen versöhnlich. „Ahja.“ Nicht gerade, was sie sich als Reaktion erhofft hatte. Schnaufend blickte sie weg und überlegte, ob sie es für heute nicht gut sein lassen sollte. Womöglich sagte er das auch nur, weil er ebenso erschöpft von dem Kampf war wie sie, so ging es ihr durch den Kopf.   Nein! Sie wollte es nicht dabei belassen. Ihre eigene Vergangenheit hatte sie gelehrt, dass es unendlich gut tat, wenn andere einem aufmunternd die Hand reichten. Nun war sie wirklich nicht die Art von Mensch, die so etwas sonderlich gut konnte. Um ehrlich zu sein, verschwendete sie an solche Gesten normalerweise keinen müden Gedanken. Aber so, wie sie sich Trost wegen ihres Fehlers wünschte, könnte das auch gerade bei Zanthe der Fall sein. Denn ja … Anya wünschte sich gerade nichts mehr, als dass jemand zu ihr sagte, dass es nicht ihre Schuld war, was mit Drazen geschehen war. Natürlich wäre das gelogen, darüber war sie sich im Klaren. Doch allein die Geste und das Gefühl, nicht verurteilt zu werden, waren, wonach sie sich sehnte. Gleichzeitig erkannte sie auch, dass sie niemals mit der Schuld hätte leben können, wenn sie damals im Turm von Neo Babylon ihre Freunde geopfert hätte. Auch wenn ein solches Leben ihr nie in Aussicht gestellt worden war. Dennoch … sie war froh, es nicht getan zu haben.   Sie schwang sich von der Kiste und drehte sich zu Zanthe um, der nur mit einer Augenbewegung zu ihr aufsah. „Hey, Flohzirkus … was ist los?“, fragte sie frei heraus. „Du bist sonst nie so depri und ich glaube kaum, dass das mit der Gruselmumie zusammenhängt.“ „Ich möcht' nicht drüber reden“, kam eine lasche Antwort. Anya fasste sich genervt an die Stirn. „Mir doch egal, ich will drüber reden! Glaubst du, es wird besser, wenn du vor dich hin schmollst? Wohl kaum!“ Zanthe ließ sein Bein sinken, saß jetzt aufrecht vor ihr. „Ich weiß es zu schätzen, dass du dir Sorgen um mich machst. Um ehrlich zu sein wusste ich gar nicht, dass du das überhaupt kannst. Aber diese Sache ist etwas, worüber ich nicht reden möchte, okay?“   Etwas Dunkles flackerte in Anyas Augen auf. Eine Art von Überlegenheit, die selbst Zanthe unheimlich war. Und er sollte auch wissen warum, als sie sagte: „Kyons Körper. Du bist schuld an dem Zustand desjenigen, der da vor ihm drin gesteckt hat, richtig?“ Zwar war Zanthe immer etwas blass um die Nase gewesen, doch Anya glaubte zu erkennen, wie sich der Farbton um noch ein paar Nuancen aufhellte. Der Mund des jungen Werwolfs stand offen, aber kein Ton kam über seine Kehle. Anya setzte sich daraufhin wieder neben ihn. „Hab ich den Jackpot geknackt?“ Keine Antwort. Das Mädchen legte behutsam ihre Hand auf seine Schulter. „Keine Ahnung was da zwischen dir und Pre-Kyon passiert ist, aber … es ist passiert. Ob du schuld bist oder nicht, es ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wenn ich jetzt Abby wäre, würde ich so etwas sagen wie 'man muss lernen, sich selbst zu verzeihen' und solche Kacke. Da ich aber nicht Abby bin, musst du dir diesen Part selbst denken.“ Sie seufzte. „Er war dein erster Freund oder sogar mehr als das, nicht wahr? Du kannst mir ruhig erzählen, was passiert ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie es ist … wenn man Fehler macht.“ Langsam drehte Zanthe seinen Kopf in ihre Richtung und begann unvermittelt zu kichern. Ein kleines Äderchen zuckte an Anyas Schläfe. „Was ist daran so lustig!?“ „Alter, Anya, du-!“ Aber weiter kam er nicht, da er von einem ernsthaften Lachkrampf geschüttelt wurde. Die Blondine, die nicht verstand was jetzt los war, fuhr sich über die Haare und über das Gesicht in der Annahme, dass vielleicht irgendetwas auf ihr herumkrabbelte. Dem war aber nicht so, weshalb sie langsam ungehalten wurde. „Was ist denn!?“ „Du laberst so einen Schwachsinn und glaubst den dann auch noch“, prustete Zanthe und verstellte seine Stimme, so dass sie etwas tiefer klang, „ich habe meinen Freund ins Koma geprügelt, ich böser Junge. Aber jetzt ist Anya da und rettet mich!“ Der platzte der Kragen, sodass sie kurzerhand Zanthe von der Kiste schubste und sich auf ihn schmiss. „Du elende Kackratte, wie kannst du es wagen, dich über mich lustig zu machen!? Sei froh, dass sich überhaupt jemand für deinen kümmerlichen Werwolfarsch interessiert! Alter, wenn ich mit dir fertig bin, gibt’s einen mietbaren Körper mehr für die Immateriellen!“ Dabei drohte sie ihm mit erhobener Faust, doch Zanthe lachte weiter und drückte sie mit den Füßen von sich weg.   „Ist doch nur Spaß“, meinte er im Gerangel versöhnlich, „aber so daneben lagst du noch nie mit dem, was du so vor dich her blubberst!“ Anya aber hörte nichts mehr. Wäre Rot ein Ton, würde jetzt vermutlich eine Melodie namens Blutmarsch in ihrem inneren Ohr dudeln. Doch wenn man ehrlich war, tat sie das eigentlich immer, nur die Lautstärke variierte. „Vielleicht erzähl ich's dir irgendwann.“ Zanthe drehte kurzerhand den Spieß um, umklammerte Anyas Hüfte mit seinen Beinen und wälzte sie zu Boden. „Aber nicht heute. Und sicher auch nicht morgen.“ Ihren Fäusten ausweichend, nahm er an, dass sie ihn schon verstanden haben würde.   Wenig später lagen sie fix und fertig in ihren Schlafsäcken. Die einzelne Glühbirne, die das Zimmer zuvor erhellt hatte, war mittlerweile ausgeknipst. „Flohpelz?“, fragte Anya neugierig. „Meinst du, Summers hasst mich jetzt?“ Zanthe lag auf der Seite und hatte bereits die Augen geschlossen. „Nö, denn wenn er ehrlich mit sich selbst ist, ist er selber schuld, dass er dir geholfen hat.“ „Ich hab nur keinen Bock auf diese griesgrämige Masche, die er neuerdings an den Tag legt, damit das klar ist!“ Unvermittelt richtete Zanthe sich auf. Anya, die auf dem Rücken lag, konnte seine Umrisse dank des durch ein kleines Fenster in den Dachboden einfallenden Mondlichts deutlich sehen. Er trug sein schulterlanges, schwarzes Haar offen, was Anya insofern erstaunte, dass er sein Kopftuch wenigstens zum Schlafen mal abnahm. „Anya“, begann er ernst, „da gibt es noch etwas, was ich dir sagen muss.“   Er berichtete ihr von seiner Beobachtung bezüglich Matts Wunden beziehungsweise dem Fehlen ebenjener. Denn dasselbe war ihm abermals aufgefallen, als sie sich vom Schlachtfeld zurück zum Waisenhaus teleportiert hatten. Matts Kleidung war lädiert gewesen bis zum Geht-nicht-mehr, aber er selber? Kein Tropfen Blut, keine Schramme, nichts. Als Alector ihre Wunden versorgt hatte, war ihm nicht entgangen, dass Matt sich aus dem Zimmer gestohlen hatte unter dem Vorwand, mal eben auf die Toilette zu müssen. Eine halbe Stunde lang wohlgemerkt. Danach kam er in frischen Klamotten wieder und behauptete, ihn habe es nicht so schlimm erwischt, alles sei in Ordnung.   Als er geendet hatte, hatte sich Anya ebenfalls aufgerichtet. „Ne, ist mir nicht aufgefallen.“ „Vielleicht … hat er gelogen.“ „Inwiefern?“ Zanthe brauchte einen Moment, um seine Anschuldigung vor Anya auszusprechen. „Vielleicht ist Drazen nicht zu Staub zerfallen.“ „Du meinst, der hat sich nur verduftet? Aber warum sollte Matt uns deswegen anlügen?“ Der Werwolf klatschte sich die Hand gegen die Stirn, denn so viel Dummheit musste kompensiert werden und das ging nur durch Schmerz. „Anya! Du denkst in die falsche Richtung! Ich meinte, was ist, wenn er Drazen bewusst getötet hat?“ Jetzt, wo er es ausgesprochen hatte, merkte er selbst, wie schwerwiegend sein Vorwurf überhaupt war. So extrem, dass Anya einem Moment gar nichts herausbrachte. „... geh schlafen, Idiot“, zischte sie böse, „hast dich wohl noch nicht ganz von deinem komischen Werwolf-Rausch erholt.“ Zanthe war jedoch niemand, der einmal etwas Gesagtes nachträglich herunterspielte, weshalb er erwiderte: „Ich weiß, es ist verrückt, aber wir waren nicht anwesend. Und irgendwas Schräges ist da vorgegangen. Du hast doch diese schwarzen Blitze selbst gesehen, die waren doch äußerst ungewöhnlich, meinst du nicht?“ Anya schnaubte. „Ahja? Fragen wir Levrier, der kennt sich in so etwas am besten aus! Also los, raus mit der Sprache!“ Vor den beiden materialisierte sich [Gem-Knight Pearl] mit verschränkten Armen, direkt vor dem Fenster. Das Mondlicht drang durch seinen durchsichtigen Körper hindurch.   Ich komme nicht umher, Zanthe Montinari insofern zuzustimmen, dass ich ebenfalls eine merkwürdige Präsenz während des Duells gespürt habe. Diese lässt sich jedoch ganz einfach dadurch erklären, dass Matt Summers Deck von der dunklen Magie der Immateriellen Urila geschaffen wurde und jene immer noch in sich tragen könnte.   Anya warf sich regelrecht in ihren Schlafsack und drehte sich um. „Hörst du? Das hast du vermutlich gesehen. Ich kenne das Deck, ist halt etwas crazy! Matt würde nie jemanden kaltblütig ermorden.“ Seufzend sah Zanthe Levrier an. „Danke. Ich hoffe, du hast Recht.“ Überzeugt klang er dabei nicht.   Das kann ich dir nicht versprechen. Doch wie Anya Bauer sagte, ist Matt Summers ein gewissenhafter, ehrlicher Mensch. Seine derzeitige seelische Verfassung mag zerrissen sein, aber solch dunklen Gedanken ist er erhaben.   „Und die Wunden?“, fragte Zanthe, als wolle er nicht so leicht klein beigeben.   Sprich ihn selbst darauf an. Mehr kann ich dir dazu nicht sagen.   Levrier verschwand. „Können wir gerne morgen machen“, schlug Anya vor, „aber jetzt will ich pennen! Gute Nacht!“ „Nacht“, murmelte Zanthe, der immer noch aufrecht saß. Vielleicht wäre es tatsächlich das Beste, Matt einfach zu fragen? Am Ende sah er wirklich nur Schatten, die ihm einen Streich spielten …     Turn 50 – Mercy Anya, Matt und Zanthe verabschieden sich am nächsten Morgen von Alector und Alastair. Jener fährt sie noch zum Bahnhof, doch als er zurückkehrt, bemerkt er, dass ein Bannkreis um das Waisenhaus gesponnen wurde. Alarmiert betritt er diesen, nur um … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)