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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Turn 47 - Trial And Error

Turn 47 – Trial And Error

 

 

Anya lehnte den Kopf gegen die Scheibe. Der Anblick der Landschaft, die sich ihr bot, war größtenteils ländlicher Natur, nur etwas Wald in der Ferne lockerte den ansonsten tristen Anblick etwas auf.

„Wie lange noch?“, murrte sie ärgerlich.

„Wir sind erst vor einer halben Stunde losgefahren. Sechs, sieben Stunden wird es bestimmt noch dauern, das Umsteigen mit eingerechnet“, erwiderte Zanthe beiläufig und blätterte weiter in seiner Oldtimer-Zeitschrift herum.

Er saß neben Anya in dem ansonsten leeren Abteil. Die beiden hatten seither nicht viel geredet, was vor allem daran lag, dass Zanthe seiner Begleiterin möglichst wenig Beachtung zu schenken versuchte. Einzig um zu sehen, was sie sich einfallen ließ, wenn ihr langweilig war. Und ihr war -verdammt- langweilig.

„Tch“, zischte sie ärgerlich und zog ein Taschenmesser aus ihrer Hosentasche hervor. Sie schob es unter die Abdichtung des Fensters und versuchte jene aufzuschlitzen, was sich als erstaunlich anstrengend erwies.

Dabei dachte sie an vorgestern, kurz nach der gescheiterten Hochzeit von Valerie.

 

Du wolltest uns sprechen?“, fragte Abby irritiert.

Die ganze Gruppe hatte sich, nachdem die Polizei sie zu dem 'Überfall' in der Kapelle befragt hatte, am Waldrand zusammengefunden. Sie alle, die einen wie Valerie und Marc mehr, die anderen wie Henry oder Melinda weniger, waren gezeichnet von den Geschehnissen. Gerade das Brautpaar sah in seinem zerfetzten, durchtränkten Hochzeitskleid beziehungsweise dreckigen Anzug furchtbar aus.

Nick, der angesprochen worden war, befand sich in der Mitte des kleinen Kreises. Er richtete sich an Anya, die bereits wusste, was sie erwartete und dementsprechend grimmig zur Seite starrte.

Anya hat euch etwas zu sagen“, verkündete er ernst.

„Hab ich das, Harper?“

Anya“, begann Abby gewohnt streng, wenn es um 'so etwas' ging, „hast du. Wenn du es nicht tust, werden wir es tun. Richtig, Nick?“

Der zeigte zwar keine Regung, aber sein steifer Gesichtsausdruck war Antwort genug.

Anya trat trotzig aufstampfend vor. „Das ist nicht fair! … aber ich schätze, 'ne andere Wahl hab ich nicht, oder?“

Die Sirene strich ihr über den Rücken. „Wir sind deine Freunde. Wenn du uns nicht vertrauen kannst, wem dann?“

Valerie, die von Marc gestützt wurde, hob interessiert die Augenbrauen. Dabei murmelte sie unter dem Schatten einer dunklen Ahnung: „Also hast du doch etwas mit dem zu tun, was passiert ist.“

Zanthe, der Anyas Linke flankierte, schüttelte den Kopf. „Das ist noch nicht raus. Lass sie erstmal erzählen.“

Die Blondine atmete tief durch, versuchte besonders die ebenso neugierigen Blicke von Melinda und Henry zu ignorieren, die hinter Valerie und Marc aufgestellt waren.

„Leute … ich stecke ganz tief in der Scheiße.“

Wann tatest du das jemals nicht?“, fragte der Erbe des Ford-Imperiums sofort spitz und bekam unmittelbar den Ellbogen seiner Schwester in die Rippen gerammt. „Ist doch wahr!“

 

So begann Anya nur unter gutem Zureden Abbys langsam zu erzählen, wie der Sammler sie bereits vor Monaten in eine Falle gelockt und nun fest im Griff hatte. Was sie für ihn tun musste, wie weit sie damit bereits gekommen war und was ihr noch bevorstand.
 

Als sie geendet hatte, fühlte sich Anya keineswegs erleichtert. Im Gegenteil, es fühlte sich an, als hätten sich ihre Probleme gerade vervielfacht.

„Anya“, sagte Valerie zögerlich, „… du kannst nichts dafür.“

„Du hättest vorsichtiger sein müssen“, kam es ausgerechnet aus Henrys Mund geduldig, „dieser Dämon ist der gefährlichste von allen. Ihm zu trauen ist Selbstmord.“

Anya schnaufte. „Das weiß ich mittlerweile auch. Verdammte scheiße!“

Er hat mich zurückgebracht. Er wird dich retten können“, meldete sich Marc zu Wort, „fragt sich nur, welchen Preis du dafür zahlen musst.“

„Oder wir alle“, merkte Melinda an, „wer weiß, was der vorhat mit diesen Karten, Artefakten, Waffen oder was auch immer sie sind. Sicher ist es nichts Gutes.“

Die ramponierte Braut schüttelte den Kopf. „Gut und Böse sind Konzepte, die wir auf den Sammler nicht anwenden sollten. Ohne seine Hilfe wären wir im Turm gestorben.“

„Du hast doch gehört, es war alles nur ein Test“, relativierte Henry. „Und jetzt weiß ich auch, warum er mir damals seine Hilfe zu, wie sagte er, günstigen Konditionen angeboten hat …“

Abby horchte auf. „Bist du etwa auch in seine Falle getappt!?“

„Nein. Beziehungsweise, sicher bin ich mir da jetzt nicht mehr. Erinnerst du dich noch an die hier?“

Henry griff in seine Hosentasche und zog drei Karten von dort hervor. Es waren jene drei, die damals im Turm von Neo Babylon dafür gesorgt hatten, dass sie trotz Edens paralysierendem Bann kämpfen konnten. Er reichte sie Anya.

„Nimm sie. Und gib sie ihm zurück, wenn du ihn das nächste Mal siehst. Wer weiß, was passiert, wenn ich sie behalte.“

Die Blondine nahm sie erstaunt entgegen. Dann runzelte sie die Stirn. „Jetzt krieg' ich wieder den Schwarzen Peter, huh? Wie immer!“

Ich glaube, die sind harmlos. Er hat doch längst alles, was er für sein Spiel braucht“, zuckte Melinda mit den Schultern.

Dabei sah sie herüber zur Kirche, die nur so von Reportern umlagert war, die sich einen eher weniger stillen Kampf mit der Polizei lieferten.

 

Nick, der die ganze Zeit über still geblieben war, meldete sich zu Wort. Er drehte sich zu Anya um. „Da gibt es noch etwas, das du wissen solltest. Zanthe …“

Dieser trat in den Kreis neben Nick und sah Anya ebenfalls an. „Sicher hast du es auch bemerkt. Die Schwarze war eine Hüterin. Sprich, eine deiner Zielpersonen.“

Anya klappte die Kinnlade hinunter. Das hatte sie -nicht- bemerkt. Umso lauter wurde sie, als die Erkenntnis folgte, dass Edna ihr durch die Lappen gegangen war. „Und du hast sie entkommen lassen, du Blödian!?“

Ihre Karte muss sie beschützt haben“, rechtfertigte sich Zanthe unbeeindruckt, rückte dabei sein blaues Kopftuch zurecht, das nicht recht zu seinem schwarzen Anzug passen wollte, „ich konnte nichts machen.“

Und jetzt!?“, fauchte Anya. „Die dumme Ziege könnte sonstwo sein!“

In dem Fall“, schritt Nick dazwischen und legte seine Hände beruhigend auf Anyas Schultern, „sollten wir sie einfach machen lassen und warten, bis sie ihr Versprechen einlöst.“

Die einen Kopf kleinere Anya erinnerte sich. Bevor die Dämonenjägerin abgehauen war, hatte sie mehr oder weniger Rache geschworen. „Soll die Bimbo-Buffy ruhig kommen!“

„Anya!“, fauchte Abby sofort brüskiert. „Höre ich noch einmal so einen rassistischen Kommentar von dir, dann ist der Sammler deine geringste Sorge!“

Der unerwartete Ausbruch ließ selbst eine Anya Bauer vor Schreck zurückweichen, auch wenn sie allein aus Trotz so tat, als wäre ihr das völlig gleich, indem sie lautstark die Nase rümpfte.
 

„Diese Edna scheint keine Ahnung zu haben, dass du eigentlich sie jagst und nicht umgekehrt“, setzte Nick nach einer unangenehmen Pause seine Erklärung fort, „dass sie heute hier aufgetaucht ist, ist entweder ein Zufall oder durch irgendjemanden arrangiert worden.“

Henry schnalzte mit der Zunge. „Es gibt keine Zufälle. Nicht für solche wie uns.“

„Richtig. Sie wussten viel zu gut Bescheid über uns, um einfach nur auf Dämonenjagd zu sein“, erwiderte Nick mit dem Blick auf Anya gerichtet, „aber unsere Stunde wird kommen, Anya. Doch solange wir auf ein Lebenszeichen von Edna warten, werden wir uns einem anderen Ziel widmen.“

Melinda fragte: „Und was ist mit ihrem Partner, diesem Harris?“

„Der scheint eher ein Mitläufer zu sein.“ Marc kratzte sich an seinem Kinnbart. „Für einen Dämonenjäger wirkte er ziemlich unreif und mir ist nichts an ihm aufgefallen, was Zanthe bei Edna bemerkt hat.“

Anya sah Nick tief in die Augen. „Und wer steht nun als Nächstes auf meiner Schwarzen Liste?“

Dieser schloss ebenjene plötzlich. „Jemand, den ich nicht ausfindig machen kann. Jemand, dem ich bereits einmal begegnet bin. Der Einzige, der dir vielleicht helfen kann, den Typen zu finden, ist …“

 

„Summers“, brummte Anya nachdenklich und wandte den Blick von der Landschaft ab.

Unglaublich, dass Nick mit seinen Wundern der Technik nicht in der Lage war, ihr nächstes Bauernopfer zu finden. Stattdessen hatte er ihr gestern zwei Zugtickets in die Hand gedrückt und angewiesen, nach San Augustino zu fahren. Wo Matt sie erwartete.

Anya war noch immer baff, dass es Nick immerhin gelungen war, mit dem Dämonenjäger Kontakt aufzunehmen. Etwas, das ihr nicht vergönnt gewesen war. Matt und sein Partner Alastair waren bis vor Kurzem noch wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Aber Nick hatte sie ausfindig gemacht.

Warum er selber nicht mitkam, das verstand Anya beim besten Willen nicht. Fast hatte sie den Eindruck, Nick wollte nicht auf den Mann auf ihrer Liste treffen. Immerhin schienen die beiden sich zu kennen, auch wenn ihr Freund diesbezüglich erstaunlich sparsam mit Erklärungen umging.

Stattdessen wollte er in Livington bleiben und versuchen, Ednas Spur zu finden. Seine bevorzugte Ausrede bezog sich entweder darauf oder auch wahlweise auf seinen Gesundheitszustand, der nach Kalis Angriff immer noch nicht zufriedenstellend war. Laut eigener Aussage verstand sich.

Zudem hatte ausgerechnet Henry den rettenden Vorschlag gemacht. Wenn man jemanden nicht finden konnte, musste man ihn eben heraufbeschwören. Matt konnte das. Henry hatte seine Hilfe diesbezüglich selbst schon in Anspruch genommen und auch noch ausgerechnet um den Sammler zu beschwören, der ihm damals helfen sollte, seine Schwester Melinda zu finden.
 

„Wie ist dieser Matt so?“, fragte Zanthe neugierig und ließ von seiner Zeitschrift ab.

Anya raunte: „Keine Ahnung. Hab ihn ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesprochen. Einfach so unterzutauchen, ohne jemandem was zu sagen. Also ein Idiot, wenn du's wissen willst!“

Ihr Begleiter schüttelte schicksalsergeben den Kopf. „Deswegen heißt es doch untertauchen. Weil man nichts sagt.“

Na und, dachte sich Anya? Sie hatte trotzdem jedes Recht, beleidigt von diesem miesen Zug zu sein. Nach allem, was sie und Matt zusammen durchgestanden hatten! Aber wenn sie ihn erst in die Finger bekam, dann-! Sie würde-!

„Ach, leckt mich doch alle am Arsch!“

„Bedaure, nicht mein Fetisch“, erwiderte Zanthe lakonisch und widmete sich wieder seiner Zeitschrift.

 

Da Anya aber so derart langweilig war, dass ihr selbst die Lust am Beschädigen von fremdem Eigentum vergangen war, tat sie daraufhin etwas, das man ihr nie zugetraut hätte. Sie zeigte Interesse an ihren Mitmenschen. Und da es derer nur einen in ihrem direkten Umfeld gab …

„Wie bist du eigentlich in der stinkenden Höhle gelandet?“

„Kein Geld für 'ne Wohnung.“

„Und was hast du gemacht, als du noch Geld hattest?“

„Bin herumgereist auf der Suche nach einem Heilmittel für meine Lykantropie.“ Zanthe sah von seiner Zeitschrift auf. „Und davor bin ich mit meinem Rudel unterwegs gewesen. Aber das liegt so lange zurück, dass ich mich kaum noch an etwas aus dieser Zeit erinnern kann.“

Anya gab ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen „Aha“ und „Wie langweilig“ anzusiedeln war. „Und wie war dein Rudel so?“

Zanthe sah zu ihr herüber und zuckte mit den Schultern. „Irgendwie scheiße. Aber irgendwie auch nicht. Ich mein, sie hätten mich damals auch sterben lassen können. Stattdessen haben sie mich in ihren Kreis aufgenommen, nachdem … nicht so wichtig. So sieht's jedenfalls aus.“

„Ist doch … gut?“

„Da fingen die Probleme für mich erst richtig an. Was meinst du, welchen Stand ein vegetarischer, insgeheim homosexueller Werwolf in einem Rudel hat, das nur so vor Testosteron stank?“

Anya kratzte sich am Kopf. „Du warst das Schlusslicht der Nahrungskette, oder?“

„Sozusagen.“ Zanthe sah aus dem Fenster neben Anya. „Als sie erfuhren, dass ich Schwänze lutsche, haben sie mich verstoßen. Die Zeiten waren damals noch anders. Obwohl, wenn man ganz genau hinschaut, sind sie es eigentlich nicht wirklich. Nur die Masken sind andere.“

Anya, die den Kommentar nicht verstand, blinzelte verdutzt.

Der Werwolf winkte ab. „Vergiss es. Das interessiert dich eh nicht wirklich, oder?“

Anya machte ein nachdenkliches Gesicht, ohne aber tatsächlich zu überlegen. „... nö.“

„Na also“, lächelte Zanthe zufrieden, „und jetzt halt bitte die Klappe, du störst mich beim Lesen.“

 

~-~-~

 

Am frühen Abend schließlich und nach mehrmaligem Umsteigen kamen Anya und Zanthe schließlich dort an, wo Matt und Alastair sich laut Nick aufhalten sollten: einem Dorf namens San Augustino.

Die beiden stiegen aus dem Zug. Anya hatte nur einen Koffer dabei, von dem Zanthe jede Wette einging, dass er nur mit schwarzen Klamotten gefüllt war. Ganz anders als er, der gleich zwei Koffer mit sich trug. Er kam farbenfroh in einem grünen Shirt und weiß-blau-karierten Drei-Viertel-Shorts daher, wohin Anya wie immer auf Totenköpfe, diesmal mit Blut verschmiert, und das gewohnte Schwarz setzte.

Die sah sich sofort um. „Wehe, wenn der nicht kommt!“

„Ich würde es ihm nicht verdenken. Wer will dich schon als Besuch?“

„Schnauze!“

 

Aber da, unvermittelt erblickte sie ihn! Er lehnte an der Wand des kleinen Gebäudes, welches sich gegenüber der Gleise befand. An jenem angebaut war ein zweistöckiger Turm samt Uhr, die allerdings eine ganz falsche Zeit wiedergab, nämlich Punkt Mitternacht.

Anya beschleunigte ihren Schritt und warf nebenbei ihren Koffer nach hinten, den Zanthe ungewollt und prustend mehr mit seiner Brust denn seinen Händen auffing und dabei noch seine eigenen Koffer fallen ließ. Als Matt die beiden bemerkte, stieß er sich von der Wand ab und kam Anya entgegen. Die machte, als er in ihrem unmittelbaren Umfeld angekommen war, einen hastigen Schritt nach vorn und umschlang den Schwarzhaarigen mit beiden Armen.

„Summers, altes Haus! Lange nicht mehr gesehen!“, rief sie gelassen.

Sie merkte genau, wie er zusammenzuckte, als sie ihre Umarmung intensivierte. Ein schadenfrohes Grinsen zierte daraufhin ihre Lippen und sie drückte noch fester zu. Um genau zu sein so fest, dass die nächste Stufe ihm definitiv etwas brechen würde.

„Ich freue mich auch dich zu sehen“, gab der junge Mann schicksalsergeben von sich, „kannst du mich jetzt loslassen?“

„Nein“, kam es kühl zurück, „sei froh, dass meine Anya Bauer-Wurstpresse dich noch nicht umgebracht hat. Warum zur Hölle hast du dich nie bei mir gemeldet, huh!?“

 

Jetzt erst löste sie sich von Matt und stieß ihn weg, bemaß ihn dabei mit einem genauen Blick. Sein dunkles Haar war wie immer nach hinten gekämmt und zu spitzen Strähnen gegelt, dazu hatte er ein weißes Hemd unter einer legeren Lederjacke an. So kannte sie ihn gar nicht, sonst rannte er immer in einem schwarzen Mantel herum.

 

Matt rieb sich mit finsterem Blick über den Arm. „Andere Dinge hatten Priorität.“

„Ach ja? Ich dachte wir wären jetzt Freunde!“ Anya stemmte betonend die Hände in die Hüften.

„Sind wir auch. Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass ich dir permanent Gefallen schuldig bin.“

Nebenbei gesellte sich Zanthe zu den beiden. „Wow, du kennst sie also gut genug um zu wissen, dass sie sich nur meldet, wenn sie etwas von einem will.“

Ertappt fauchte Anya ihren Begleiter an: „Halt deine Klappe, du Wannabe-Ginger!“

„Ich was?“, wiederholte Zanthe irritiert, die Anspielung auf Anyas Lieblings-Werwolf-Film nicht verstehend.

„Wer ist das überhaupt?“

Auf Matts Frage hin antwortete Anya: „So eine Art Anhängsel, das eventuell mal nützlich wird.“

Zanthe musste trocken auflachen. „Eventuell sagt sie …“

'Sie' hatte sich längst wieder Matt vorgenommen. „Also, was hast du zu deiner Entschuldigung zu sagen, Summers!?“

Mit den Schultern zuckend, erwiderte Matt desinteressiert: „Nichts. Du wirst es vielleicht verstehen, wenn du -es- siehst. Komm erstmal zum Wagen mit und erklär' mir, wie Nick uns gefunden hat und was so wichtig ist, dass ihr extra dafür hierher nach San Augustino reist.“

 

Das gesagt, drehte er sich um und schritt vorwärts vorbei an den Bänken und der Laterne, die bereits ihr Licht auf den Steig scheinen ließ. Anya rannte ihm hinterher, gefolgt von Zanthe, der mürrisch das ganze Gepäck schleppen musste.

Als Anya Matt eingeholt hatte, sagte sie: „Nick hat eure Duel Disks ausfindig gemacht. Neulich hat sich die Narbenfresse mit irgendwem duelliert, daher wusste Nick, dass es euch in dieses Kaff verschlagen hat.“

„So ist das also. Ich hatte mir immer gedacht, dass der Typ irgendwas verheimlicht. Und er heißt Alastair, klar?“

„Tch, seit wann so empfindlich!?“
 

Dann begann Anya zu erzählen. Sie erreichten den VW-Bus des Dämonenjägers, da war Anya noch nicht einmal zu dem Punkt gekommen, wo sie sich dem Sammler im Duell stellte.

Gelangweilt von ihrem untypischen Redefluss voller vulgärer Wörter betrachtete Zanthe den blauen Himmel, der bereits erste rote Spuren in sich trug. Die sich ganz schön ausgeweitet hatten, als Anya zum Ende kam. Matt hatte die ganze Zeit vor ihr an der Fahrertür gelehnt gestanden und keinen Mucks von sich gegeben.

„Und deswegen müsst ihr diesen Typen für uns beschwören!“

„Woher wisst ihr, dass wir das können?“, lautete seine erste Frage. Er machte sich offensichtlich gar nicht erst die Mühe, sich lang und breit über Anyas Verfehlungen hinsichtlich des Sammlers auszulassen.

„Das Pennerkind hat da sowas erwähnt.“

„Du meinst Henry?“ Matts Ausdruck wurde plötzlich düster. „Hat er euch auch gesagt, wen wir für ihn beschworen haben?“

Anya nickte mit grimmiger Mimik. „Was denkst du denn, von wem er damals diese hier hatte?“

Sie zeigte Matt die drei Karten vor, die damals im Turm von Neo Babylon dafür gesorgt hatten, dass die Gruppe Edens paralysierendem Bann entkommen war und sich gegen Another und Isfanel auflehnen konnte.

„Damals wollte er, dass wir darüber kein Wort verlieren. Aber die Dinge ändern sich anscheinend. Also gut, wir werden versuchen dir zu helfen, diesen Drazen zu finden“, lenkte Matt schließlich ein, „aber dann lässt du uns in Ruhe, okay?“

Damit ließ er eine verdutzte Anya zurück und stieg in den VW-Bus ein. Ehe er die Tür zuknallte, rief er auffordernd: „Los, steigt ein.“

Seine beiden Gäste umrundeten den Wagen halb, da blieb Anya vor den Türen des Laderaums stehen und blockierte Zanthe den Weg: „Vorne ist nur für mich Platz. Du gehst da rein.“

Demonstrativ öffnete sie ihm, beziehungsweise eher noch dem Gepäck, die Tür und präsentierte eine vollkommen leere Ladefläche. Zanthe sagte gar nichts und stieg einfach ein, sodass Anya die Türen hinter ihm zuknallte und sich zum Beifahrersitz bewegte.

 

Nachdem sie sich angeschnallt hatte, begann die Fahrt. Anya fiel auf, dass die ganzen Anhänger und Kruzifixe fehlten, die an dem, dank der fensterlosen Türen, nutzlosen Rückspiegel einst gehangen hatten.

Das veranlasste sie, sich umzudrehen und noch einmal in die Ladefläche zu schauen, wo Zanthe sich im Schneidersitz hingesetzt hatte und sie fragend anstarrte. Die Waffenkiste fehlte.

„Sag mal, hab ich was nicht mitbekommen, oder habt ihr mit eurem ganzen Kram einen Flohmarkt veranstaltet?“

„Wir haben aufgehört.“

Sofort wirbelte Anya verblüfft herum und sah Matt an. „Im Ernst?“

„Ja. Wir haben nach Urilas Angriff auf Livington noch eine Weile weitergemacht“, erwiderte der tonlos, „aber es war nicht mehr dasselbe. Für keinen von uns.“

Er lachte bitter auf. „Um ganz ehrlich zu sein haben wir erkannt, dass wir einfach nicht gut in dem sind was wir tun. Das waren wir noch nie. Uns unterlaufen permanent Fehler, die andere Menschen in Gefahr bringen. Gerade die Sache mit Eden und alles danach. Das hat sich unter den anderen Dämonenjägern herumgesprochen. Wie unprofessionell wir sind.“

Zanthe beugte sich von hinten über die beiden Sitze. „Ach lasst die doch quatschen. So schlecht könnt ihr nicht sein, wenn ihr immer noch lebt.“

„Gerade Alastair hat das zunehmend zu schaffen gemacht. Er hat angefangen, seine Methoden infrage zu stellen.“

Die Blonde auf dem Beifahrersitz rümpfte die Nase. „Zurecht. Dämonen jagen schön und gut, aber die Narbenfre- Big Al ist doch etwas zu krass drauf gewesen.“

„Das hat er mittlerweile auch eingesehen. Deswegen hat er sich entschieden, seine Kräfte auf andere Sachen zu konzentrieren.“ Matt seufzte tief. „Und ich bin mitgezogen, hatte auch Gründe um aufzuhören. Komisch, normalerweise enden Dämonenjägerkarrieren tödlich. Bis auf Alectors halt. Den werdet ihr vielleicht auch kennenlernen, wohnt nämlich auch hier.“

Anya spitzte neugierig die Ohren. „Was waren deine Gründe?“

„Nicht so wichtig“, wiegelte er ab. Doch sie bemerkte sofort diese unterschwellige Kälte, die zwischen den Zeilen stand. Da Anya das Gefühl kannte, über bestimmte Dinge nicht reden zu wollen, beließ sie es dabei.
 

Stattdessen wechselte sie das Thema. „Und wie ist dieser Alector so?“

„Wie man sich einen pensionierten Dämonenjäger so vorstellen würde“, erwiderte Matt wieder besser gelaunt, mit hellerer Stimme, „misstrauisch, mürrisch, menschenscheu – meistens, aber nicht immer. Bei ihm glaub ich allerdings, dass er schon immer so war.“

Zanthe blinzelte. „Ich glaube der Name sagt mir was. Das war doch der, der ein ganzes Rudel meinesgleichen alleine ausgelöscht hat.“

Dass Zanthe gelegentlich Pelz trug, hatte Anya Matt während ihrer Geschichte ebenfalls erzählt.

„Jap. Das war aber, bevor er angefangen hat uns auszubilden. Beziehungsweise Alastair, er und ich haben uns nur hin und wieder mal gesehen.“

Der Werwolf gab ein nachdenkliches Geräusch von sich. „Hmm. Ich hoffe, er wird mir nicht gleich an die Gurgel gehen.“

„Du bist 'Vegetarier', also stehen die Chancen nur zu 95%, dass er dich umbringen wird.“

„Oh, na dann …“

Matt lachte auf. „Keine Sorge. Als Freund von uns genießt du Immunität. Ich weiß nur noch nicht, wie ich ihm das verklickern soll.“

„Dir fällt sicher etwas ein“, sagte Zanthe darauf optimistisch. „Wäre übrigens nett, wenn ihr dafür sorgen könntet … ihr wisst schon. Ist'n bisschen eilig, hehe.“

Sofort verstand Matt. „Ist die Zeit ran?“

„Ja. Die ersten Symptome zeigen sich schon. Kopfschmerzen, Gereiztheit … aber ich versuch mein Bestes, mir nichts anmerken zu lassen.“

Anya hingegen verstand jedoch nicht, worum es ging. „Huh?“

„Er braucht Fleisch. Viel Fleisch“, erklärte Matt, „und Blut. Weißt du, Werwölfe sind rein körperlich nicht unbedingt von der Jagd abhängig. Sie können ohne das alles existieren. Es geht mehr um den psychologischen Effekt. Wenn sie lange Zeit nichts reißen, beginnt ihr Verstand zunehmend zu verwildern. Je größer und schwerer die Beute zu erlegen ist, desto länger bleiben sie anschließend 'clean'.“

„Menschen sind die besten Opfer, weil sie einen besonderen Effekt erzielen. Bevor man Werwolf war, waren sie tabu, verstehst du? Deswegen werden Werwölfe von Dämonenjägern gejagt.“ Zanthe sah Anya ernst in die Augen, als die sich zu ihm umdrehte. „Weil die meisten die Kontrolle über sich verlieren und dem Drang erliegen, das zu reißen, was sie vorher nie durften. Dann gewöhnen sie sich dran und verfallen sozusagen in Muster. Wer als Werwolf einmal Menschenblut leckt, ist nahezu unmöglich wieder davon wegzubekommen.“

Anya nickte verständig. „Und du brauchst jetzt was zu fressen, Flohzirkus?“

„Bingo. Tote Beute ist leider nicht sehr befriedigend, es muss schon was sein, was wegrennen kann.“

„Ich werde mir was überlegen“, versprach Matt, der bisher noch keine Erfahrungen mit 'vegetarischen' Werwölfen gemacht hatte.

 

Dann begann das große Schweigen. Anya wunderte sich über das seltsam distanzierte Verhalten Matts. Hatte es damit zu tun, was damals vorgefallen war? Ihr Verrat? Vielleicht hatte er ihn schwerer verdaut als sie angenommen hatte. Aber sie hatte sich doch damals entschuldigt, als Urila in Livington eingefallen war und die Anwohner einer Monstertransformation unterzog.

 

Grübelnd beobachtete sie die Gegend.

Es hatte sich herausgestellt, dass der Bahnhof etwas abgelegen vom eigentlichen Ort lag. Sie fuhren auf einer ländlichen Straße Richtung San Augustino. Die saftige Grün der Wiesen um sie herum gab Anya erst recht das Gefühl, in einem Kaff gelandet zu sein. Auf dem Weg fuhren sie an einer weiß gestrichenen, kleinen Kapelle vorbei, wodurch Anya sich an etwas erinnerte.
 

„Hey, Summers, wieso seid ihr nicht mal zu Redfields Hochzeit gekommen?“

„Wir hatten keine Lust auf Geiselnahmen“, erwiderte Matt mürrisch.

Anya schnaubte, da sie vergessen hatte, ihm auch von der missglückten Trauung zu berichten. „Das konnte vorher keiner wissen! Und scheiß auf das, was die Zeitungen schreiben, wie immer ist das eine von Redfields Geschichten. In Wirklichkeit waren das Dämonenjäger, die genauso krass drauf waren wie Big Al, als er noch ein Psycho war.“

„Aha.“ Matt schien kurz zu überlegen, ob er noch etwas hinzufügen sollte, entschied sich schließlich dafür. „Verstehst du nun, warum wir das nicht mehr mitmachen wollen? Irgendwann verliert man seine Menschlichkeit.“

„Die waren noch blutjung, jünger als du“, warf Zanthe nachdenklich ein. „Du hättest sie sehen müssen, gerade das Mädchen …“

Der Schwarzhaarige reagierte geradezu gehässig: „Das geht mich nichts mehr an.“

„Scheiße, Summers. Irgendwie bist du heut' nicht gut drauf“, zischte Anya und legte beleidigt ihren Kopf auf die Handfläche, während sie demonstrativ wegschaute.

Sie rechnete mit einem fetten Seitenhieb, doch der blieb überraschenderweise aus. Obwohl Matts Wortlosigkeit gewiss nicht besser war.

 

San Augustino war ein verschlafenes Nest, wie Anya feststellte, als sie den Ort durchquerten. Kaum Leute auf den Straßen, aber woher auch, sonderlich viele Häuser gab es sowieso nicht. Die standen alle so weit auseinander, dass man glauben wollte, die Einwohner würden sich bewusst meiden. Mehr als einen Supermarkt, eine Arztpraxis und ein kleines Rathaus gab es gar nicht. Und kaum hatten sie das Dorf kennengelernt, da verließen sie es auch schon wieder Richtung eines Waldes.
 

Gut drei Minuten später hielt der VW-Bus und dessen Insassen stiegen aus.

Zanthe sprang von der Ladefläche und ließ das Gepäck zurück, da er es nur als angebracht empfand, dass Anya jetzt mal mit Schleppen dran war. Kräftig genug war sie allemal.

Überrascht betrachtete er das dreistöckige, weiße Gebäude vor sich. Weiter entfernt zur Linken stand ein kleiner Schuppen, in dem sich scheinbar zwei Personen unterhielten.

„Was ist das hier?“, fragte Zanthe, als Matt ausstieg. „Ein Hotel? Hmm, also einladend sieht anders aus. Da geht ja schon teilweise die Farbe vom Holz ab.“

„Das ist ein Waisenhaus. Hier leben ich, Alastair und Alector zusammen mit zwei Erzieherinnen und genug Kindern, um drei Schulkassen zu füllen.“

Anya und Zanthe traten neben Matt. Erstere traute ihren Ohren kaum. „Ein was? Was zum Geier wollt ihr denn hier?“

„Wir sind so etwas wie … Mitarbeiter.“

Anya klappte die Kinnlade herunter. „Nicht dein Ernst! Oh-mein-Gott!“

 

Irritiert wandten die anderen beiden sich zum Schuppen um, wo ein Mann so groß wie ein Baum zusammen mit einem Kind heraustrat. Das Junge hielt ein Kaninchen auf dem Arm und streichelte es liebevoll. Wie ein stolzer Vater sah Alastair ihn an.

Der Hüne hatte langes, schwarzes Haar, das er nicht wie gewohnt zu einem Zopf gebunden hatte, sondern offen trug. Mehr als ein durchgeschwitztes weißes Feinrip-Hemd und eine ebenso schmutzige Hose sowie quietschgelbe Gummistiefel hatte er nicht an. Auffällig waren die vielen Narben, die seinen ganzen Körper zierten.

„Sag mir, dass das nicht dein Ernst ist“, stotterte Anya bei dessen Anblick.

Matt warf ihr einen scharfen Blick zu. „Wie du weißt, ist Alastair selbst mal ein Waisenkind gewesen. Als wir uns entschieden hatten aufzuhören, hatte Alector vorgeschlagen, uns hier nützlich zu machen. Wie dir sicher auffällt, geht es dem Haus nicht besonders gut.“

„Das ist oft so, weil es einfach zu viele Waisen und zu wenig Unterstützung vom Staat gibt“, murmelte Zanthe, „tut mir leid, hätte ich das gewusst, hätte ich nicht so abfällig gesprochen.“

Der Ex-Dämonenjäger winkte ab. „Schon gut. Al arbeitet hart. Er pflanzt Gemüse an, repariert vieles und kümmert sich auch um die Kinder.“

Anya wagte es kaum, etwas Negatives zu sagen. Wahrscheinlich würde Matt sie postwendend zurück nach Livington schicken, was sie sich nicht leisten konnte. Also wählte sie ihre Worte mit Bedacht. „Aber ist das nicht total öde?“

 

„Nein.“

Alastair war auf die Drei zugekommen und sah Anya zunächst missbilligend an, ehe er sich dem Haus zuwandte, geradewegs weg von Zanthe, der gerade mit großen Augen die Hand ausstreckte. „Ein Leben ohne Eltern ist schwer. Vielleicht weißt du, dass ich meine durch Anothers Intrigen verloren habe. Hier kann ich wenigstens anderen Kindern, die ohne Eltern aufwachsen, eine möglichst schöne Kindheit schenken. Es gibt keinen besseren Ort für mich.“

„Alector leitet dieses Waisenhaus, er hat es mit seinen Ersparnissen zu dem gemacht, was es heute ist“, erklärte Matt und Anya wagte es nicht, 'eine Bruchbude?' zu fragen. „Wir sollten ihn treffen.“

„Er ist in seinem Büro“, meinte Alastair und ignorierte die Hand, die Zanthe ihm schon die ganze Zeit zur Begrüßung hinhielt.

Die beiden Möchtegern-Normalos, wie Anya sie jetzt heimlich titulierte, gingen zum Eingang des Hauses, während die Blonde auf der Stelle vor dem VW-Bus verharrte und die Stirn runzelte.

„Scheiße, die sind eiskalt Spießer geworden.“

„So spießig können sie nicht sein, der hat mir nicht mal Tag gesagt“, zeigte sich Zanthe beleidigt.

Anya sah ihn verwirrt an. „Hä? Matt hast du gar nicht die Hand gegeben.“

„Der sieht aber auch nicht zum Anbeißen aus“, rümpfte Zanthe die Nase und folgte den beiden 'Erziehern' ins Innere des Waisenhauses, „aber so leicht geb' ich nicht klein bei. Auf zu Runde 2!“

Anya sah ihm fassungslos hinterher. „Mal ehrlich, sieh ihn dir an! In den haben schon viel zu viele hineingebissen!“

Sag bloß, der Flohzirkus stand auf die Narbenfresse? Ihr wurde regelrecht übel bei der Vorstellung, wie diese beiden sich näher kamen. Levrier erschien in seiner allseits von Anya ungeliebten [Gem-Knight Pearl]-Form und klatschte in die Hände.
 

Immer wenn ich denke, mich kann nichts mehr überraschen, kommen du oder deine Freunde und bringen Schwung in mein tristes Kartenleben.

 

„Für einen Tag sind das echt ziemlich viele Sachen, die ich verdauen muss …“

Levrier hörte auf zu klatschen und schlug einen ernsteren Ton an.

 

Ich fürchte, auf dich kommt noch mehr zu, Anya Bauer.

 

„Du meinst Matt? Er ist komisch drauf …“
 

Ihn auch. Etwas steht zwischen euch beiden, das dürftest du sicher bemerkt haben. Aber mehr Sorgen mache ich mir um diesen Alector. Ich hoffe, er wird sich nicht in unsere Angelegenheiten einmischen.

 

Anya pfiff verächtlich und machte sich nun auch auf, diese Bruchbude von Innen kennenzulernen. „Wenn er das tut, lernt er mich kennen.“

 

Sofern er nicht schon mehr über dich weiß, als dir lieb ist …

 

Levrier verschwand. Als Anya im Flur ankam, wurde sie von einem kleinen Jungen angerempelt, der jauchzend von einem etwas älteren Mädchen verfolgt wurde.

„Hey, ihr kleinen Kröten, macht das nochmal und hier werden ganz schnell zwei Betten frei!“, fluchte Anya ihnen wütend hinterher.

Dass sie dadurch Matts und Alastairs böse Blicke erntete war ihr dabei ziemlich egal. Die beiden führten sie und Zanthe eine Treppe hinauf ins zweite Stockwerk, wo es einmal um die Ecke ging, ehe sie vor Alectors Büro standen.

Matt klopfte zweimal an, ehe er sich unaufgefordert Einlass schenkte.

„Ich bin wieder da“, sagte er im Hineingehen, gefolgt von den anderen.

 

Das Büro von Alastairs ehemaligem Lehrmeister war klein. Neben einem Schreibtisch, einem Schrank mit Aktenordnern und einer großen Stehlampe gab es hier nur ein altes, schimmelgrünes Sofa.

Alector sah gerade auf den uralten, riesigen Bildschirm seines PCs und tippte etwas auf der Tastatur herum. Er würdigte seine Gäste keines Blickes.

Und Anya musste zugeben, ihn sich anders vorgestellt zu haben. Wenn man sich Alastair so ansah, vermutete man, dass alte Dämonenjäger kaum noch als Menschen zu erkennen waren, doch Alector besaß bis auf eine Narbe, die quer über seiner rechten Augenbraue verlief, keinerlei sichtbare Kampfspuren. Sein Haar war bereits zu einem ärmlichen, grauen Kranz verkommen, was er durch einen gut gepflegten, kurz geschnittenen Vollbart kompensierte.

„Ihr seid also die beiden, die meine Jungs in Gefahr bringen wollen“, sagte er dann endlich und sah Anya ruckartig scharf in die Augen.

Die stierte unverfroren zurück. „Bingo, Opa!“

„Sie sind alt genug um selbst zu entscheiden und wenn sie dir helfen wollen, wird das seine Gründe haben“, reagierte er kratzbürstig, „aber gutheißen tue ich das nicht. Beeilt euch mit dem, was auch immer ihr vorhabt und verschwindet dann. Und wenn es zu einem Kampf kommt, dann gefälligst weit weg von hier.“

Damit richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Arbeit.

„Ich muss noch etwas mit dir besprechen“, sagte Matt und warf Zanthe aus den Augenwinkeln einen undeutbaren Blick zu, „ihr könnt schon mal in die Küche gehen, es gibt gleich Abendbrot. Al wird euch alles zeigen.“

 

~-~-~

 

Wenig später hockten Anya und Zanthe an einem kleinen Tisch in der zu einem großen Saal ausgebauten Küche des Waisenhauses. Die Blonde und der Werwolf saßen Alastair und Matt gegenüber, an den beiden Spitzen die Erzieherinnen, eine im mittleren und eine im gehobenen Alter. Sie machten einen freundlichen Eindruck und fragten die Neuankömmlinge über alles Mögliche aus, insbesondere ihre Verbindung zu Matt.

 

Anya warf einen Blick herüber zu den anderen Tischen, wo die lärmenden, für sie furchtbar nervigen Gören saßen. Drei jener langen Tafeln gab es für die Brut und wenn Anya bedachte, dass dieser Speisesaal nur halb so groß wie die Kantine der ehemaligen Livington High war, dafür aber randvoll, mussten hier doch bestimmt 60 bis 70 Kinder leben.

„Ich habe dein Problem mit Alector besprochen“, sagte Matt an Zanthe gerichtet.

Der saß vor seiner dünnen Gemüse-Suppe und bemühte sich, ein wenig davon hinunter zu würgen. Anya verstand, warum ihm das so schwer fiel, der Fraß war scheußlich. Zanthe legte den Löffel in den Teller und fasste sich an die Stirn, rieb sie sich, als habe er Kopfschmerzen. „Was sagt Daddy?“

„Du lebst noch“, merkte Matt spitz an, „heute Nacht wird er dich in den Wald begleiten. Hier gibt es viel Wild.“

Zanthe nickte verständig, wissend, dass Matt nicht zu viel wegen der beiden Damen am Tisch sagen durfte. Auch Anya kapierte es. Alector würde sozusagen mit dem Flohpelz Gassi gehen.

„Benimm' dich“, riet der jüngere Ex-Dämonenjäger seinem Gegenüber. Dann wandte er sich an Anya. „Du solltest morgen nicht mit ihm rechnen, wenn es los geht. Ich werde heute noch ein paar Sachen vorbereiten. Das Ganze wird am Nachmittag stattfinden, in einer verfallenen Holzfällerhütte in der Nähe.“

„Was denn?“, fragte die ältere Erzieherin sofort neugierig, woraufhin Anya genervt aufstöhnte und sich unter dem lauten Gequassel der Kinder wieder ihrer Suppe widmete.
 

Wenig später hatte Alastair den beiden ihr Schlafquartier gezeigt, welches sich als der Dachboden des Hauses entpuppte. Dieser war entsprechend eng und statt Betten, mussten die beiden mit Schlafsäcken auskommen, da schon die Kinder zu zweit oder gar zu dritt in Ersteren nächtigen mussten, weil es nicht genug für alle gab.

Anya hatte sich bereits umgezogen und lag in ihrem Schlafsack, hielt die Hand vor die Augen, da sie direkt in die über ihr hängende Glühbirne starrte, die sie strahlend 'anlächelte'.

„Wir sind echt nicht willkommen, huh?“

„Was erwartest du?“, fragte Zanthe, der sich wegen der bevorstehenden Jagd nicht umzog. Er hockte auf einer der herumstehenden Kisten, in denen er kaputtes Spielzeug entdeckt hatte. „Ich bin ein Werwolf und die drei sind Aussteiger. Den roten Teppich rollen sie für diejenigen aus, die Kinder adoptieren.“

Was wohl nicht sehr oft vorkam, wie Anya aus den Gesprächen während des Abendbrots entnommen hatte.

„Nein, von der ersten Minute an“, meinte sie ärgerlich, „Summers hat sich verändert. Als ich ihn kennenlernte, war er naiv und gutmütig.“

„Vielleicht hast du ihn einfach zu oft ausgenutzt?“, stichelte Zanthe.

Die Blonde drehte sich zur Seite, weg vom Nervtöter. Sie legte die Hände unter ihren Kopf und rümpfte die Nase. „Hmpf, dann soll er mir das ins Gesicht sagen. Und jetzt will ich schlafen, Nacht!“

Der junge Mann mit dem Kopftuch auf seinem Haupt seufzte theatralisch. „Wenigstens ist deiner nicht total blind.“

„Meiner!?“ Anya wirbelte alarmiert wieder herum und sah herüber zu Zanthe. „Wer?“

„Na Matt. Ach gib doch zu, dass du auf ihn stehst. Wie du ihn die ganze Zeit ansiehst und tatsächlich verletzt von seinem Verhalten bist, wo gibt es das bei dir schon? Der muss was Besonderes für dich sein.“

Was der junge Mann in diesem Augenblick beobachten konnte, war ein Schauspiel, für das jeder andere mit dem Leben bezahlt hätte. Anya lief knallrot an und brachte vor Schreck kein Schimpfwort heraus.

„Bei dir hackt's wohl!“, stotterte sie und zeigte unverhohlen mit dem Zeigefinger auf ihn. „Schieß' nicht von mir auf andere! Du bist scharf auf die Narbenfresse, nicht ich auf Matt!“

Zanthe korrigierte sie spitzzüngig: „Es heißt 'schließ nicht von dir auf andere', werte Anya. Und ja, bin ich. Aber bis der bemerkt, dass ich mich mit ihm unterhalten will, sind die Kinder hier Rentner. Ich sag dir, der ist garantiert noch Jungfrau!“

Anya wirbelte sofort wieder herum und zog die Decke über den Kopf. Denn jetzt war der Punkt erreicht, wo jedes weitere Wort die Sache nur noch schlimmer machen könnte. Allein der Gedanke, dass Big Al … brrr!

„Bist du noch Jungfrau?“

Shit!

 

~-~-~

 

Anya stöhnte und streckte sich erstmal ausgiebig in ihrem Schlafsack, ehe sie ihren Oberkörper aufraffte. Irgendwas hatte sie geweckt, wahrscheinlich dieses ätzende Kindergelächter draußen. Es war schon hell, wie ein Blick aus dem Fenster des Dachbodens verriet.

Sie erinnerte sich. Zanthe war kurz nach dem peinlichen Gespräch von Alector abgeholt worden. Neugierig drehte sie sich um, doch er lag nicht in seinem Schlafsack. Ob er schon zurück war?

 

Nachdem sie sich umgezogen und im von Kindern überfüllten Bad frisch gemacht hatte, schlenderte sie die Treppe hinunter in das große Wohnzimmer, wo sich die Waisen am Tage über hauptsächlich aufhielten. Matt spielte mit dreien ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Match, ließ dann aber einen anderen Knirps für sich einspringen, als er Anya bemerkte.

„Komm mal mit“, meinte er und manövrierte sie etwas abseits der allgegenwärtigen Ohren des Hauses in eine Ecke hinter einem Schrank voller Bücher.

„Hör mal“, fing er an und packte sie dabei am Oberarm, was Anya als äußerst unangenehm empfand. „Wir werden diesen Drazen nur für dich beschwören, wenn du versprichst, dass er nicht stirbt, nachdem wir ihm die Karte abnehmen.”

Anya schlug überrumpelt von der Forderung seinen Arm weg. „Hey, mach mal halblang! Der Flohzirkus lebt doch auch noch, oder nicht?“

Matt nickte, hatte ihre Aussage ihm den Wind aus den Segeln genommen. „Schätze schon.“

„Hier.“ Anya holte aus der Innentasche ihrer schwarzen Weste – eine noch recht neue Errungenschaft, die sie heute zum ersten Mal trug – eines der Ersatzpaare dieser Handschuhe, die der Sammler ihr gegeben hatte. „Die wirste brauchen.“

„Was ist das?“, fragte Matt und nahm das Paar entgegen.

„Mit denen kannst du die Karte für mich krallen. Irgendwie sind die mit den Originalen verbunden, also denen, die ich benutze. Für den Fall, dass ich nicht dazu komme mich mit diesem Spinner anzulegen, kannst du damit einspringen.“

„Also bleibt es an mir kleben?“ Matt runzelte die Stirn.

„Nur, wenn du ihn vor mir in die Finger kriegst! Aber Nick meinte, du wärst besser dafür geeignet als ich“, erwiderte Anya grimmig. „Frag mich nicht, was im Kopf dieses Spinners manchmal vor sich geht.“

Nachdenklich betrachtete er die weißen, fingerlosen Handschuhe mit den goldenen Nähten. „Wenn du meinst. Irgendwann nach dem Mittagessen geht es los. Wir fahren beide zur Hütte. Al ist bereits dort und bereitet schon mal alles vor, damit wir nachher nur noch die Verse sprechen müssen.“

„Zwei Fragen. Erstens: sind Alector und der Trottel schon zurück? Und Nummer zwei: Mittagessen? Was ist mit Frühstück!?“

Ein schelmisches Grinsen zierte Matts Lippen, als er sich ihrer Ahnungslosigkeit bewusst wurde. „Sorry Anya, aber das Frühstück gab's schon vor zwei Stunden. Wenn du nicht aus den Federn kommst, hast du Pech gehabt.“

Sich still und heimlich an ihrer entgeisterten Miene ergötzend, fügte er noch hinzu: „Alector ist schon zurück. Dein Freund schläft im Schuppen und kuriert sich aus.“

Die Blondine sah ihn schräg an. „Kuriert was aus?“

„Wenn Werwölfe jagen und sich verwandeln, haben sie hinterher etwas, das einem Kater gleicht. Ihnen ist übel und dergleichen.“ Matt seufzte. „In dem Zustand sollte man sie in Ruhe lassen, da es passieren kann, dass sie die Kontrolle verlieren, wenn sie bestimmten Reizen ausgesetzt werden.“

„Wird der Flohzirkus denn fit sein, wenn wir los wollen?“

„Vielleicht. Das sehen wir später.“

 

~-~-~

 

Nach dem Mittagessen, das für Anya vor allem darin bestand, fliegenden Kartoffeln auszuweichen, fuhren sie, Matt und Zanthe los. Letzter hatte sich in letzter Minute zurückgemeldet, erschien aber immer noch blass um die Nase und dazu chronisch abwesend.

 

Matt fuhr sie über eine schmale Straße ein ganzes Stück weit in den Wald, ehe er schließlich vor der verlassenen Holzfällerhütte Halt machte. Die Drei stiegen aus dem VW-Bus und wurden bereits von Alastair empfangen, der sich extra zur Feier des Tages in seinen roten Mantel geworfen hatte, genau wie es Matt mit seinem schwarzen tat.

„Ich hoffe du weißt, was du da tust“, knurrte er, wobei die unterschwellige Drohung durchaus von Anya nicht unbemerkt blieb. Nur zeigte sie sich davon herzlich wenig beeindruckt. Äußerlich.

Sie betrachtete stattdessen lieber die Stämme, aus denen die Hütte gemacht war, als ihm ins Gesicht zu sehen. Wie konnte sie ihm auch ihre Zweifel äußern ohne zu riskieren, dass er und Matt einen Rückzieher machten? Natürlich war sie unsicher. Wer half schon gerne dem Sammler und dann auch noch in einer so umfangreichen Art und Weise?

„Na sicher tu ich das“, erwiderte Anya schließlich gespielt selbstbewusst.

„Mir ist übel“, jammerte Zanthe derweil und stützte sich mit einer Hand am Wagen ab.

„Du hättest nicht mitkommen brauchen“, rügte Matt ihn, „bleib lieber zurück, die Schwingungen der Beschwörung könnten es noch schlimmer machen.“

Der junge Mann mit dem blauen Kopftuch winkte ab. „Ne, schon gut. Ich bin hart im Nehmen.“

„Dann jammere gefälligst nicht 'rum“, motzte Anya und betrat als Erste die Holzfällerhütte.

 

Das Innere war komplett leergeräumt. Das war auch gut so, in Anbetracht der Tatsache, dass Alastairs mit weißer Kreide auf die Dielen gezeichneter Bannkreis den Großteil des verfügbaren Platzes beanspruchte. Um den Kreis herum hatte er fünf noch nicht angezündete Kerzen aufgestellt, von denen ausgehend er mit roter Kreide ein Pentagramm gezeichnet hatte, dessen Inneres den weißen Kreis beherbergte. In jedem der Zacken hatte er mehrere Runen eingefasst.

„Was ist das?“, fragte Zanthe.

„Nun, das wirst du vielleicht noch sehen.“ Matt wandte sich an Alastair. „Wie lief der Test?“

Alastair verzog seinen Mund zu einem, dank der Narben, schiefen Grinsen. „Funktioniert selbst jetzt noch.“

„Sehr gut“, nickte sein Partner. „Denselben Fehler wie beim Sammler damals machen wir nicht nochmal.“

Anya trat neben ihn. „Welchen?“

„Ihn zu unterschätzen …“

 

Damit schritt Matt in die andere Ecke des Raumes, wo ein dicker Wälzer lag. Anya erinnerte sich, das war vermutlich das Grimoire, welches Urila einst für ihre Zwecke gestohlen und missbraucht hatte. Im Grunde genommen konnte man es als eine Art Wikipedia für Dämoneninfos und Zaubersprüche bezeichnen. Selbst über den Turm von Neo Babylon standen ein paar Sachen drin, wenn auch viel zu wenig, um aufschlussreiche Einblicke zu liefern. Aber wer weiß, vielleicht hatte einer der beiden dazu etwas nachgetragen?

Matt bückte sich nach dem aufgeschlagen Grimoire und drehte sich zu den anderen um.

„Ich werde jetzt den Beschwörungstext rezitieren. Danach sollte Drazen auftauchen. Nick hat mir mitgeteilt, dass dieser Mann wohl in der Lage ist, sich nach Belieben überall hin zu teleportieren.“

„Und wie kriegen wir ihn dann?“, fragte Anya skeptisch. „Ich mein, der haut doch sofort ab.“

Der junge Dämonenjäger lachte leise auf. „Wer weiß, vielleicht gar nicht? Das kommt auf einen Versuch an.“

„Dazu muss er aber erstmal den 'Anruf' annehmen, richtig?“, fragte Zanthe an Alastair gerichtet, doch zu seiner Enttäuschung nickte der bloß unter einem zustimmenden Brummen, während er die Kerzen mit einem Feuerzeug anzündete, statt lobende Worte zu spendieren.

„Das ist die größte Hürde“, sagte Matt, „also dann, nehmen wir sie.“
 

Er drehte sich zu dem Bannkreis um und begann einen Text zu rezitieren, von dem Anya vermutete, dass er auf Latein verfasst sein musste. Ein Fach, das sie in der High School wohlweislich gemieden hatte und wenn sie ihn so anhörte, wusste sie auch wieso.

Abwartend starrte sie mal in den Bannkreis, mal aus dem eingeschlagenen Fenster zu ihrer Rechten hinaus in den dichten Wald. Gott, wenn das nicht funktionierte, war sie sowas von am Arsch. Sollte der Typ nicht kommen, war er sicher vorgewarnt und ihn dann zu finden … Anya konnte sich nicht vorstellen, wie das gehen sollte.
 

„Okay“, sagte Matt und schlug den Wälzer zu, „jetzt müssen wir warten.“

„Tch, und wie lange?“

„Das letzte Mal hat es einen Moment gedauert“, erwiderte er auf Anyas hibbelige Frage.

Alastair, im Gegensatz zur Beschwörung des Sammlers dieses Mal unbewaffnet, lehnte sich an die Wand und schnaubte verächtlich. „Ich kann nicht glauben, dass ich dir helfe, Mädchen.“

„Immerhin bin ich nicht mehr die Schlangenzunge, huh?“, erwiderte die giftig.

„Nein.“ Der Hüne sah sie aus den Augenwinkeln aufmerksam an. „Ich denke, ich muss mich bei dir entschuldigen.“

Das machte die Blonde hellhörig. Sie kratzte sich am Hinterkopf und fragte: „Wofür?“

„Dafür, dich ins Unheil gestürzt zu haben. Matt hat mir erzählt, was der Collector dir angetan hat. Wäre ich nicht gewesen und hätte damals versucht, dich umzubringen, hättest du nie einen Pakt mit Levrier geschlossen und wärst nun der Spielball dieses Teufels.“

Anya sah plötzlich betreten zur Seite. „Entschuldigung angenommen. Stimmt, du bist schuld, aber ich hab dich damals im Turm verarscht und wollte dich opfern. Dann sind wir quitt, okay?“

Ein Nicken der anderen Seite zusammen mit einem zustimmenden Raunen bezeugte den nun endgültig beigelegten Krieg der beiden, was Matt mit einem zufriedenen Lächeln hinnahm. Was Anya nicht unentdeckt blieb, woraufhin sie die Vermutung anstellte, dass der Schwarzhaarige seinem Kumpel wohl gestern ordentlich ins Gewissen geredet haben musste.

Und ganz ungewollt verließ ein Gedanke ihre Lippen. „Aber eigentlich ist es okay. Wenn es nicht mich getroffen hätte, dann bestimmt jemand anderes. Levrier hätte sich einen anderen gesucht. Bei mir weiß man wenigstens, dass ich am Ende heil rauskomme. Hat einmal geklappt, wird wieder klappen.“

„Das wirst du“, sagte Matt, „dafür sorgen wi-“

 

Grelles Licht begann von dem Bannkreis auszugehen und unterbrach ihn. Stattdessen rief er nun aufgeregt: „Er hat geantwortet!“

„Kommt er!?“, wollte Anya wissen und hielt sich wie die anderen einen Arm vors Gesicht.

„Na wonach sieht's denn aus?“, fragte Zanthe bissig. Dann begann er unvermittelt zu würgen und tat etwas, bei dem die anderen sich bewusst abwandten.

„Nicht nach dem, was ich erwartet hatte …“

Die Vier senkten die Arme, als das Licht verblasste. Im Bannkreis stand er, ein in die Jahre gekommener, hoch gewachsener Mann, der diese Worte gesprochen hatte. Weißes, langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug er einen orange-roten Poncho und sah seine Gegenüber neugierig aus seinen Brillengläsern an.

„Eine merkwürdige Gruppe“, schien er ganz in einem Selbstgespräch versunken, „zwei Grünschnäbel, ein Werwolf und … oh, du gefällst mir.“

Anya klappte die Kinnlade hinunter, als er sie direkt ansprach. Dann knirschte sie entnervt mit den Zähnen. „Oh na großartig, ein notgeiler Opa! Dir werd' ich den Arsch bis zum Nacken aufreißen, du-!“

„Sind Sie Drazen?“, übertönte Matt Anya, obwohl er die Antwort kannte.

Mit der brüstete der Alte sich auch. „Der einzig wahre.“

„Wir wollen-!“

 

Puff. Er war verschwunden, ehe Matt auch nur seinen Satz hatte zu Ende bringen können. Einfach weg, als wäre er nie da gewesen.

„Scheinbar interessiert ihn nicht, was wir wollen“, erhob sich Zanthe aus seiner gebückten Haltung und wischte sich über den Mund.

„Das wird es“, knurrte der Schwarzhaarige nun gereizt und zog aus der Brusttasche seines Mantels eine weiße Karte hervor – und war einen Moment später ebenfalls wie vom Erdboden verschluckt.

Und Anya stand da und glotzte wie eine Kuh wenn's donnert. „Was zum Geier geht denn hier ab!?“

Das Lachen des Hünen reizte sie dabei nur noch mehr. Er sagte: „Matts Plan …“

 

~-~-~

 

Eine Lichtung, sie war nur wenige Schritte von ihm entfernt. Wie weit die Holzfällerhütte jetzt weg war, wusste Matt nicht. Was er aber wusste war, dass der Mann, welcher mit dem Rücken zu ihm gewandt seelenruhig auf der Stelle verharrte, diesen Wald nicht so schnell verlassen würde wie ihm lieb war.

„Oh, ich hätte schwören können, dass ich nach Madrid wollte“, wunderte sich Drazen lauthals.

„Hier ist Endstation“, erklärte Matt, „als Sie der Beschwörung geantwortet haben und erschienen sind, haben Sie automatisch einen Zauber aktiviert, der Sie in einem Umkreis von zwei Kilometern festhält.“

„Und du hast mich sofort gefunden?“

Matt trat aus dem Schatten eines Baums hervor. „Natürlich wurde dabei gleichzeitig ein Markierungszauber freigesetzt. Selbst wenn Sie sich jetzt hin und her teleportieren würden, ich könnte Ihnen problemlos überall hin folgen.“

Es hatte ihn die ganze Nacht gekostet, die dafür nötigen Zauber herzustellen, aber scheinbar hatte es sich bezahlt gemacht. Alastair hatte gute Arbeit geleistet, die Siegelkarten innerhalb des ganzen Waldes an den Knotenpunkten anzubringen, was ein notwendiges Übel war, da diese Art von Zauber nur großflächig funktionierte und eigentlich für ganz andere Zwecke gebraucht wurde.

Matt hoffte nun, dass keine bösen Überraschungen auf ihn warteten.

 

Der weißhaarige Mann im Poncho drehte sich langsam um. Als er Matt aus der Ferne der Lichtung gegenüber stand, wirkte er keinesfalls beunruhigt oder angespannt, im Gegenteil, er lächelte vergnügt.

„Für dein Alter bist du ziemlich gewitzt“, lobte er den Ex-Dämonenjäger, „das alles auf die Beine zu stellen. Du weißt scheinbar ziemlich gut über mich und meine Fähigkeiten Bescheid.“

Matt verharrte verkrampft auf der Stelle. „Wir hatten einen guten Informanten.“

„Ich möchte wetten, das war der junge Mann von damals. Rick? Nein, nein, Nick!“

 

Matt zog erstaunt die Augenbrauen an. Nick und dieser Drazen kannten sich? Das hatte Anya ihm nicht erzählt. Aber jetzt, wo er darüber nachdachte, natürlich! Diese ganzen Daten, die hatte Nick ihnen bereit gestellt.

Langsam ergaben die Puzzlestücke ein großes Ganzes. Nick musste ihn von früher kennen und daher um seine Kräfte wissen. Deshalb schien Anya auch keine andere Wahl gehabt zu haben, als sich an ihn und Alastair zu wenden, denn jemanden wie Drazen konnte niemand so einfach aufspüren, auch Nick nicht.

Bloß woher kannten sich die beiden? Wollte Nick womöglich nicht, dass ihre Verbindung entlarvt wurde und war deshalb zuhause geblieben?

Die Stirn runzelnd, atmete Matt tief durch. Dieser Kerl war ihm wirklich ein Rätsel. So zu tun, als wäre er minderbemittelt und insgeheim mit Leuten von Drazens Schlag verkehren? Andererseits, stille Wasser waren tief und schmutzig …
 

Aber erst einmal hatten andere Dinge Priorität. Nebenbei streifte er sich die Handschuhe über, die er von Anya erhalten hatte. Dabei begriff er auch, dass Nick diesen Ausgang offenbar vorgesehen oder gar beabsichtigt hatte. Es war einerseits nur nachvollziehbar, denn Anya war nicht dazu imstande, Drazen überhaupt zu folgen. Und dennoch vermutete Matt noch einen anderen Hintergedanken dabei, ohne jedoch die genaue Richtung benennen zu können, in die jener gehen könnte.

 

„Also“, begann Matt und hob den Arm, an dem sein D-Pad befestigt war, ließ das Gerät leise zischend ausfahren, „Sie wissen bestimmt, was ich von Ihnen will.“

„Natürlich“, erwiderte Drazen freundlich und hob den rechten Arm unter dem Poncho hervor, an dem eine Duel Disk im Stil der Duellakademien befestigt war, „jetzt, wo ich nicht mehr wegrennen kann, habe ich wohl keine Wahl, als mich hierauf einzulassen. Ihr Kids werdet immer verrückter, was eure Sucht nach Duellen angeht.“

Matt verengte die Augen zu Schlitzen. „Tun Sie nicht so.“

„Was meinst du?“, kam es unbeschwert als Antwort.

„Beschwörungszauber funktionieren bloß, wenn das Ziel einwilligt.“

„Ist das so? Das wusste ich gar nicht. Ha ha, selbst im Alter lernt man noch dazu.“ Der Alte rieb sich den Kopf verlegen. „Wie peinlich. Hätte ich das gewusst …“

Derweil seufzte Matt leise. Von wegen! Jemand von seinem Kaliber wusste ganz genau von solchen wichtigen Details, dessen war er sich sicher. Er hatte bewusst auf den Ruf geantwortet. Natürlich konnte er vorher nicht wissen, wer ihn gerufen hatte. Aber als jemand, der nie lange an einem Ort verweilt und Kontakte mit anderen meidet, auf so etwas zu antworten? Das musste einen Grund haben. Matt gefiel das alles nicht.

 

Im Wald war es unter dem Mantel des unsichtbaren Bannkreises mucksmäuschenstill. Diese Stille wurde gestört, als Drazen seine Duel Disk ausfahren ließ. „Nun denn, es ist nicht mehr zu ändern. Duellieren wir uns, in Ordnung? Wenn du gewinnst, erhältst du, was du so sehr begehrst.“

„Ich tue das nicht für mich“, stellte Matt klar, „sondern weil ich es jemandem versprochen habe.“

„Meinst du damit das freche Huhn? Oder etwa … du weißt schon, das Geheimnis, das du vor allen zu verbergen versuchst.“

Matt zeigte keine Regung.

„Keine Sorge, meine Lippen sind versiegelt. Aber du weißt, dass dir -das- nichts Gutes bringen wird, oder? Dass das ein sehr gefährlicher Pfad ist.“

Der junge Mann hielt dem Blick seines Gegners fest stand. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

Obschon sie einander nicht kannten, spürte Matt die Besorgnis förmlich, die ihm entgegen gebracht wurde, ging dennoch nicht weiter auf Drazens Worte ein.

„Beginnen wir doch einfach“, schlug dieser letztlich vor, „vielleicht ergibt sich noch die Chance, uns gegenseitig auszutauschen.“

Matt löste seine Fixierung auf sein Gegenüber und so riefen beide im Chor: „Duell!“

 

[Matt: 4000LP / Drazen: 4000LP]

 

Beide zogen fünf Karten von ihren Decks.

„Möchten Sie den ersten Zug machen?“, bot Matt an.

Die Geste erstaunte seinen Gegner. „Oh? Das ist sehr zuvorkommend von dir. Da nehme ich doch gerne an.“

Sogleich zog Drazen auf. Es erstaunte Matt, dass jener gar nicht erst irgendwelche Hintergedanken vermutete. Welche es im Übrigen tatsächlich nicht gab. Der junge Mann wusste selbst nicht genau, warum er diese Offerte gemacht hatte. Etwa um Drazens Worte zu entkräften?

„Dann setze ich dieses Monster und dazu eine Karte verdeckt“, meinte dieser und legte beide auf beziehungsweise in seine Duel Disk ein. Surrend materialisierte sich vor seinen Füßen in vergrößerter Form eine vertikal nach unten gerichtete Karte und direkt vor jener noch eine horizontal liegende, ebenfalls mit dem Bild nach unten zeigend.

 

Matt griff nach seinem Deck und zog. Ein kalter Schauder überkam ihn, als er die Karten in seiner Hand ansah.

„Stimmt“, murmelte er.

Seit damals auf dem Hinterhof jenes Bestattungsunternehmens hatte er sich nicht mehr duelliert. Sein altes Deck war fast vollständig fort, jetzt besaß er nur noch diese Karten – die Evilswarm. Es bereitete ihm großes Unbehagen, sich jetzt wieder mit diesen bösartigen Karten duellieren zu müssen. Trotzdem, er hatte es versprochen. Also würde er das hier durchziehen. Zumal er sich ohnehin immer bewusst gewesen war, dass er früher oder später zu diesen Karten greifen würde müssen. Nun war der Tag gekommen.

„Ich beschwöre [Evilswarm Heliotrope]!“, rief er laut aus und knallte jenen auf das D-Pad.

Vor ihm tauchte ein finsterer Krieger in dunkelgrüner Rüstung auf, mit einem Schwert bewaffnet. In seiner Brust war ein unreiner Smaragd eingelassen – er war die vom Verz-Virus infizierte Version von Anyas [Gem-Knight Emerald]. Alle Monster in seinem Deck waren korrumpierte Kreaturen aus anderen Themendecks …

 

Evilswarm Heliotrope [ATK/1950 DEF/650 (4)]

 

Da Heliotrope ein normales Monster war, blieb Matt nur eins zu tun. „Greif sein verdecktes Monster an!“

Sofort stürmte der Krieger los. Doch mitten auf seinem Weg schnellte etwas unter dem Boden hervor, mit dem der düstere Ritter zusammenstieß. Torkelnd wich er zurück, wobei Matt leise erschrak.

„[Scrap-Iron Scarecrow]!“, benannte Drazen die Falle, die sich vor ihm erhoben hatte.

Tatsächlich, das Ding, in das Heliotrope gerannt war, glich einer Vogelscheuche aus Müll. Zusammengesetzt aus einem Rohrgestell, einem Pilotenhelm und anderen Teilen.

„Sie annulliert einen Angriff. Danach wird sie aber nicht auf den Friedhof geschickt, sondern setzt sich zurück auf mein Feld, wodurch ich sie in deinem nächsten Zug erneut aktivieren kann“, erklärte Drazen mit erhobenem Zeigefinger und grinste verschmitzt, „so hält man sich Feinde vom Leib.“

Die Falle glitt zurück in ihre verdeckte Position.

„Oh“, murmelte Matt verblüfft. Das versprach schwierig zu werden, wenn er dieses Teil immer wieder aktivieren konnte. „Ich gebe ab.“

 

Drazen zog auf und runzelte argwöhnisch die Stirn. „Ich mag ja alt sein, aber nicht senil. Wieso hältst du dich zurück, Junge?“

„Ich halte mich nicht zurück, ich warte nur ab“, erwiderte Matt.

Der skeptische Blick seines Gegners sprach Bände. „Wenn du meinst. Es wäre wirklich schön, wenn dies ein spannendes Duell wird. Aber vielleicht müssen wir dich erst auftauen. Probieren wir es hiermit!“

Er nahm sein gesetztes Monster von der Duel Disk und ersetzte es durch ein anderes, das er diesmal offen spielte. „Ich führe eine Tributbeschwörung durch und rufe [Scrap Golem] aufs Feld.“

Überrascht verfolgte Matt mit, wie diverse, in ihrer Größe stark abweichende Schrottteile durch die Luft flogen und einen zwei Meter großen Golem bildeten. Dessen Körper bestand aus einem alten Kühlschrank, die Arme wiederum aus Schläuchen mit darin mündenden Ventilatoren. Der Kopf schließlich war nichts weiter als eine alte Mikrowelle.
 

Scrap Golem [ATK/2300 DEF/1400 (5)]

 

„[Scrap Golem] besitzt einen interessanten Effekt, den ich dir nicht vorenthalten möchte“, verkündete Drazen fröhlich, „einmal pro Zug kann er ein kleinstufiges Scrap-Monster reparieren. Dabei kann ich wählen, auf welche Spielfeldseite es beschworen wird.“

Er griff nach seinem Friedhofsschlitz und zog das geopferte Monster von dort hervor, [Scrap Searcher]. Und ehe Matt sich versah, wurde es in seine Richtung geworfen, sodass der junge Mann es zwischen Mittel- und Zeigefinger auffing. In der Zwischenzeit begann es im Inneren des Golemkühlschranks mächtig zu rumoren.

„Ich bekomme es?“

„Ja“, nickte Drazen und grinste schelmisch, „im Angriffsmodus.“

Mit Unbehagen legte der Ex-Dämonenjäger die Karte auf sein D-Pad. In dem Moment klappte die Tür des Golems auf und ein aus Schrott bestehender Vogel mit mehreren Scheinwerfern am ganzen Leib flog auf Matt zu, wobei er mit ihnen die Gegend absuchte – und [Evilswarm Heliotrope] entdeckte.

 

Scrap Searcher [ATK/100 DEF/300 (1)]

 

„Oh, eins solltest du wissen. [Scrap Searcher] zerstört, wenn er spezialbeschworen wird, alle Monster seines Besitzers, die nicht wie er aus Abfällen bestehen.“

Matt erschrak, als der Vogel seine Flügel spreizte und von dort in alle Richtungen scharfe Metallstücke abfeuerte, die nicht nur [Evilswarm Heliotrope] zerfetzten, sondern auch in den umstehenden Bäumen und im Moos stecken blieben.

„Verdammt!“

„Das ist doch gut geworden“, meinte Drazen im Kontrast dazu zufrieden, „dann kann ich ja jetzt unbekümmert angreifen. [Scrap Golem], vernichte deinen Kumpel!“

Stampfend kam das Müllmonster auf Matt und dessen unfreiwilligen neuen Freund zu. Ein Schlag mit der Ventilatorenfaust reichte aus, damit der Vogel in alle Einzelteile zersprang. Einige davon zischten an Matt vorbei, der überall am Körper getroffen wurde.

„Argh!“, schrie er und wurde zurückgeworfen, landete auf dem Rücken.

 

[Matt: 4000LP → 1800LP / Drazen: 4000LP]

 

Seine ganze Kleidung war zerfetzt, durchtränkt von dem Blut der Schnittwunden, die sich auch in seinem Gesicht wiederfanden.

Drazen seufzte. „Tut mir ja leid für dich, aber du hättest wissen müssen, dass ich mich wehren werde.“

Sein Gegner raffte sich auf und wischte sich etwas Blut direkt unter seinem linken Auge mit dem Handrücken ab. „Kein Problem. Um ehrlich zu sein werde ich das Gefühl nicht los, dass wir die Bösen sind.“

„Das … liegt wohl, wie so vieles, im Auge des Betrachters.“ Der weißhaarige Mann schloss die seinen. „Zu wissen, was irgendwann geschehen muss, reicht leider nicht. Ich wüsste gern, was -er- vorhat. Du bist am Zug, Junge.“

 

Matt riss förmlich die nächste Karte von seinem Deck und hielt inne. Dieser Kerl, der da so mitten auf der Lichtung stand, fast schon schicksalsergeben … hatte er gewusst, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem man ihn wegen seinem Artefakt stellen würde?

„Haben Sie absichtlich auf den Ruf reagiert, weil Sie wussten, wohinter wir her sind?“

Drazen öffnete die Augen und lächelte mild. „Vielleicht?“

„Warum?“

„Warum nicht?“ Der alte Mann gluckste. „Hätte ja sein können, dass eine hübsche Dame die Jägerin ist.“

Matt schüttelte den Kopf. Er sah schon, das führte wohl zu nichts. Offenbar hatte Drazen zwar seine Gründe, war aber nicht bereit sie zu teilen. Noch nicht.
 

„Dann werde ich mal meinen Zug durchführen“, kündigte Matt an und betrachtete die Falle, die er nachgezogen hatte.

Er wusste, dass er in der Klemme steckte. Drazens Golem würde nächste Runde wieder diese Kombo benutzen und ihm [Scrap Searcher] unterjubeln. Noch so einen Angriff würde er nicht überstehen. Also musste er das Monster loswerden. Dummerweise war da noch Drazens Vogelscheuche, mit der er seine Angriffe verpuffen lassen konnte.

„Sie duellieren sich ziemlich gut“, musste Matt anerkennen, „vorausschauend und wenige Ressourcen verbrauchend. Das sieht man selten.“

„Ich tue, was ich kann, immerhin willst du mir ans Leder“, lachte Drazen bärbeißig und schlug sich dazu auf die leicht hervorstehende Wampe.

Der Jüngere grinste schlagartig. „Aber ich bin auch nicht ohne! Sehen Sie her! Ich beschwöre von meiner Hand [Evilswarm Mandragora] als Spezialbeschwörung, da Sie mehr Monster kontrollieren als ich. Und hinterher kommt [Evilswarm Thunderbird] als Normalbeschwörung!“

Zunächst wuchs vor ihm eine kleine, braune Gestalt mit weißem Haar und Blattarmen aus dem Boden, anschließend gesellte sich neben dieser ein majestätischer, schwarzer Vogel, von dessen Schopf lange, tentakelartige Auswüchse abgingen.
 

Evilswarm Mandragora [ATK/1550 DEF/1450 (4)]

Evilswarm Thunderbird [ATK/1650 DEF/1050 (4)]

 

Doch Matts Grinsen verging recht schnell. Stattdessen stand plötzlich Anspannung in seinem Gesicht geschrieben. Seine restlichen vier Handkarten ansehend, überlegte er, ob es noch einen anderen Weg gab. Aber dem war nicht so. Er musste es tun.

„Ich erschaffe das Overlay Network!“ Damit streckte er den Arm in die Höhe. Ein schwarzer Wirbel tauchte inmitten des Feldes am Rand der Lichtung auf und sog seine beiden Monster als violette Energiestrahlen ein. „Aus meinen beiden Stufe 4-Schwärmern wird ein Rang 4-Monster! Erhebe dich, mächtiger Drache! [Evilswarm Ophion]!“

Lautes Gebrüll trat aus dem Loch, aus dem ein pechschwarzer Drache geflogen kam. Einzig die Zwischenhäute seiner Flügel waren von eisigem Blau, was allerdings am Ansatz der Schwingen in blutiges Rot überging. Der lange Schweif des Ungetüms peitschte wild, als es vor Matt landete und gierig nach den beiden Lichtsphären schaute, die es umkreisten.

„Oh, das ist ja …“, staunte Drazen.
 

Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 2]

 

„... stärker als Ihr Monster“, beendete Matt den Satz, obwohl er genau wusste, dass dies nicht war, was sein Gegner gemeint hatte.

Der spürte es auch. Die lauernde Finsternis, die in jener Kreatur verborgen lag. Aber Matt wusste, dass sie harmlos war. Kontrollierbar. Alles war gut, solange er -es- nicht beschwor.

„Effekt von Ophion“, rief der junge Mann und streckte den Arm passend dazu aus, „ich kann ein Xyz-Material abhängen und mir dafür eine Infestation-Karte vom Deck auf die Hand suchen. Expand Infection!“

Eine der Sphären hinunterschluckend, spreizte der ehemals als Gungnir bekannte Drache seine Schwingen und ließ sie schwarze Wellen ausstrahlen. Matt zog eine aus seinem D-Pad hervorstehende Karte und zeigte sie sogleich vor.

„Die gewählte Karte nennt sich [Infestation Pandemic] und ist ein Schnellzauber, der meine Schwärmer für diesen Zug immun vor Zauber- und Falleneinwirkungen macht!“

Schwarze Partikel bildeten sich um seinen Drachen und schlossen ihn ein, als Matt die Karte aktivierte, sodass Ophion aussah, als wäre er ein riesiges Gebilde aus Asche.

Drazen klatschte in die Hände. „Gute Arbeit!“

„Danke!“, erwiderte Matt und schwang den Arm aus. „Jetzt kann Ihre [Scrap-Iron Scarecrow] den Angriff Ophions nicht blocken! Los, Absolute Infestation!“

Der vollkommen verhüllte Drache öffnete sein Maul und schoss einen schwarzen, partikelartigen Strahl auf den Schrottgolem. In Wirklichkeit war dies aber kein Feuer, sondern Milliarden winziger Insekten, die nun die Oberfläche von Drazens Monster überzogen und es in Windeseile zerfraßen, bis die letzten Teile in sich zusammenfielen. Auch der alte Mann bekam einen Teil des Strahls ab und stöhnte, als er zur Seite auswich.

 

[Matt: 1800LP / Drazen: 4000LP → 3750LP]

 

„Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“, sprach Matt zufrieden mit seinem Manöver und setzte die in diesem Zug nachgezogene Falle, „die hier verdeckt.“

Nachdem sie sich vor seinen Füßen materialisiert hatte, merkte er noch an: „Sie sollten übrigens nicht versuchen, Ihren Golem zu reanimieren oder ähnliches. Denn solange Ophion Xyz-Material besitzt, können keine Monster der Stufe 5 oder höher spezialbeschworen werden. Das sollte Ihre Synchromonster vollkommen blockieren. Damit bin ich erstmal fertig.“

Seine drei verbliebenen Karten festhaltend, atmete Matt tief durch. Gleichzeitig fielen die schwarzen Partikel von Ophion ab, der somit wieder normal war.

„Das ist sehr ehrenhaft von dir, mich vorzuwarnen.“ Drazen schaute hinter seinen kugelrunden Brillengläsern freundlich hervor, doch es lag auch etwas Scharfes in seinem Blick. „Von dir könnte man sich glatt eine Scheibe abschneiden. Jemand, der seine Tugenden so offen trägt, als hätte er geradezu Angst, sie sonst zu verlieren …“

Matt zuckte ob der spitzen Worte zusammen, sagte aber nichts dazu. Dachte sein Gegner etwa, das alles wäre nur Show, um vorbildlich zu wirken? Der junge Mann schnaubte. Er musste sich nicht rechtfertigen, für gar nichts!

 

Drazen zog und betrachtete die neue Karte. Dann schmunzelte er und legte sie in seine Duel Disk ein, sodass sie verdeckt vor seinen Füßen neben der gesetzten [Scrap-Iron Scarecrow] erschien, womit er nun zwei verdeckte Karten besaß.

„Dann rufen wir mal diesen Racker in den Ring. [Scrap Goblin]!“

Aus umherfliegenden Schrottteilen bildete sich ein kleiner, maulwurfähnlicher Gefährte, welcher aus einer Kamera als Körper, einer Gabel als Arm, einem Wasserhahn als Kopf und vielen weiteren Gegenständen gemacht war.
 

Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]

 

„Nach dir“, sagte Drazen und fügte verschmitzt hinzu: „Oh, keine Sorge, ich will dich nicht zwangsläufig in eine Falle locken. Wenn du angreifst, wird deinem Monster nichts passieren, selbst wenn du meine Vogelscheuche umgehen kannst wie eben.“

„Was soll das denn?“

„Ich wollte mich nur für deine Ehrlichkeit revanchieren.“

Matt wusste nicht, ob er dafür dankbar sein sollte oder nicht. Zwar glaubte er nicht, dass Drazen log, aber trotzdem fühlte er sich wie ein kleines Kind behandelt. Wenn dieser Kerl angeblich so gut Bescheid wusste, warum verhielt er sich nicht so? Es machte ihn wütend.

 

„Draw“, nuschelte der Schwarzhaarige entsprechend gelaunt und ließ sogleich den Arm ausschwingen. „Falle aktivieren, [Infestation Infection]. Damit mische ich einen Schwärmer von meiner Hand oder Spielfeldseite in mein Deck und erhalte dafür einen anderen von dort.“

Matt nahm eine seiner vier Handkarten, die auf den Namen [Evilswarm Obliviwisp] hörte und schob sie in sein Deck zurück, welches er anschließend aus der Halterung heraus zog und nach einer ganz bestimmten Karte absuchte. Diese zeigte er schlussendlich vor, nachdem alles erledigt war.

„[Evilswarm Ketos], mach deine Arbeit …“

Aus einer schwarzen Lache, die sich vor Matt ausbreitete, entstieg ein amphibisches Wesen auf zwei Beinen. Gekleidet in einer Mischung aus schwarzer Robe und Rüstung, schwang die Kreatur ihren Zauberstab.
 

Evilswarm Ketos [ATK/1750 DEF/1050 (4)]

 

„Bevor dieses Monster der Infektion anheim gefallen ist, hieß es [Gishki Shadow]“, erklärte Matt völlig zusammenhangslos, „wenn Sie also jemals einer jungen Frau namens Valerie Redfield begegnen, grüßen Sie sie von mir.“

Drazen strahlte vergnügt. „Das war doch die Gastgeberin von diesem Abschlussball. Die war eine wahre Schönheit, mein Junge!“

„Und sie würde Sie eiskalt abblitzen lassen“, erwiderte Matt gallig. „Genau wie [Evilswarm Ketos]. Den kann ich opfern, um eine Zauber- oder Fallenkarte auf dem Feld zu vernichten. Sorry, aber die Erntezeit ist vorbei, weg mit der Vogelscheuche …“

Ketos versank wieder in seiner dunklen Teerlache. Diese huschte wie ein Schatten über den Boden, hin zu Drazens [Scrap-Iron Scarecrow]. Direkt unter ihr schnellten aus der Lache die Hände Ketos' hervor, von denen die Falle ins Schwarze gezogen wurde, welches sich damit auflöste.

„Oh“, jammerte Drazen und fasste sich an die Stirn, „zu dumm aber auch.“

Matt schwieg und funkelte seinen Gegner böse an.

„Nicht sehr glaubwürdig, oder?“, ließ der die Scharade daraufhin sein. Durch seine Finger sah er den jungen Mann neckisch an. „Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob du eine Herausforderung bist oder nicht. Irgendwie hat mir dieser Nick besser gefallen. Der war … härter und mehr bei der Sache.“

„Seit wann ist das was Gutes?“, erwiderte Matt spöttisch. „Außerdem bin ich sehr wohl bei der Sache.“

„Natürlich. Du legst gute Züge hin. Aber du tust es mit der Motivation eines altersschwachen Faultiers. Da fehlt eine gehörige Portion Pepp!“ Drazen ließ den Arm sinken. „Ist es die Angst?“

„Nein. Es ist, weil ich keine Angst habe. Nicht vor Ihnen.“

So sehr Matt hoffte, sich damit herausgewunden zu haben, so dumm kam er sich vor. Weil es stimmte. Ihm fehlte der Eifer, den er sonst immer an den Tag legte. Was nicht hieß, dass er das Duell nicht ernst nahm, aber …

Er schüttelte den Kopf. Das konnte er noch später auswerten! So griff er nach seinem D-Pad und riss unter [Evilswarm Ophion] das letzte Xyz-Material hervor. „Effekt Ophions! Expand Infection!“

Sein Drache schnappte nach der verbliebenen Lichtsphäre und schlang sie herunter. Was darin resultierte, dass er erneut dunkle Schwingungen aussende. Er würde den alten Mann beim Wort nehmen, dachte Matt und zeigte die vom Deck gesuchte Infestation-Karte vor. „[Mutual Infestation]! Sie verdoppelt die Angriffskraft eines Schwärmers bis zur End Phase!“

Daraufhin begann der schwarze Drache violett aufzuleuchten. Seine neue Aura pulsierte regelrecht, als er sich vom Boden in die Lüfte abstieß.

 

Evilswarm Ophion [ATK/2550 → 5100 DEF/1650 {4} OLU: 1 → 0]

 

Matt schwang den Arm aus. „Dann los! Greife [Scrap Goblin] an und bringe mir den Sieg! Absolute Infestation!“

Ophion lud in seinem Maul schwarze Energie auf, die er in gebündelter Form auf seinen winzigen Widersacher abfeuerte. Doch noch ehe der überhaupt getroffen wurde, zersprang er plötzlich in tausend Einzelteile – Drazen hatte seine gesetzte Karte, einen Schnellzauber namens [Scrapstorm] aktiviert.

„Die hier ist sehr praktisch. Erst schickt sie ein Scrap-Monster vom meinem Deck auf den Friedhof“, sagte er und zeigte demonstrativ [Scrap Chimera] vor, die er entsorgte, „dann ziehe ich eine Karte und wenn alles getan ist, zerstört sie eines meiner Scrap-Monster.“

Drazen hatte längst besagte Karte aufgezogen und der Strahl, der nun auf ihn gerichtet war, hatte ihn beinahe erreicht. „Oh ja und wenn Letzteres geschieht, wird [Scrap Searcher] auf mein Feld gerufen, denn er kommt immer wieder, wenn ein Scrap-Monster durch einen Karteneffekt zerstört wird. Sofern ich das will, versteht sich.“

 

Scrap Searcher [ATK/100 DEF/300 (1)]

 

Gerade noch rechtzeitig tauchte der Vogel vor ihm auf, um die Wucht des Angriffs abzufangen und gleich wieder das Zeitliche zu segnen.

Er hatte nicht gelogen, dachte Matt, der nie wirklich damit gerechnet hatte, schon jetzt siegreich aus dem Duell zu gehen.

Drazen zeigte plötzlich die [Scrap Chimera] vor, die er aus seinem Friedhof geholt hatte. „Darüber hinaus sollten wir auch nicht vergessen, dass [Scrap Goblin] mir einen seiner Brüder zurückgibt, sollte er durch einen Scrap-Karteneffekt zerstört werden.“

Plötzlich stand der alte Mann also nicht mehr mit drei, sondern fünf Karten in der Hand da.

„Jetzt kommen wohl die besseren Kombos, was?“, mutmaßte Matt.

„Das Beste bekanntlich ja immer zum Schluss. Das ist die alte Schule.“

„Wie wahr.“ Der Schwarzhaarige zog eine Falle aus seinen drei Handkarten hervor. Jetzt wurde es höchste Zeit, dass er sie setzte. „Die verdeckt. Damit bin ich durch, was bedeutet, dass alle Schwärmer durch den Nebeneffekt von [Mutual Infestation] in die Verteidigung gewechselt werden.“

Was nicht unbedingt schlecht sein musste, wie sich Matt sagte, als sein Drache vor ihm landete und schützend seine Schwingen über Körper und Kopf legte.

 

Evilswarm Ophion [ATK/5100 → 2550 DEF/1650 {4} OLU: 0]

 

Unmittelbar zog Drazen auf und musterte den jungen Mann. „Nun, da dir offensichtlich immer noch die richtige Portion Ehrgeiz fehlt, werde ich das Tempo wohl etwas anziehen müssen.“

Er legte seine [Scrap Chimera] auf die Duel Disk. Jene setzte sich aus Schrottteilen vor ihm zusammen und präsentierte sich als schwarzer, mechanischer Löwe mit Flügeln.

 

Scrap Chimera [ATK/1700 DEF/500 (4)]

 

„Sobald [Scrap Chimera] als Normalbeschwörung gerufen wird, repariert sie einen Scrap-Empfänger und beschwört ihn auf meine Spielfeldseite.“ Drazen zeigte jenes Monster mit dem Anflug eines Grinsens vor. „Komm, [Scrap Goblin].“

Der zuvor durch Drazens Suizidkommando zerfallene Goblin setzte sich aus den Einzelteilen zusammen, die überall auf der Spielfeldseite seines Besitzers verstreut waren.

 

Scrap Goblin [ATK/0 DEF/500 (3)]

 

„Da dein Ophion kein Xyz-Material mehr besitzt, kann ich [Scrap Breaker] von meiner Hand spezialbeschwören, denn du kontrollierst ja ein Monster“, setzte der Weißhaarige seinen Zug gut gelaunt fort, „aber das heißt auch, dass eines meiner Scrap-Monster im Anschluss zerstört wird.“

Kaum war der Oberkörper eines verfallenen Riesenroboters vor Drazen erschienen, zerplatzte seine Schimäre in alle Einzelteile, ganz wie angekündigt.

 

Scrap Breaker [ATK/2100 DEF/700 (6)]

 

Matt runzelte die Stirn. Was sollte das alles? Sein Gegner hätte längst eine Synchrobeschwörung durchführen können, worauf wartete Drazen also? Vielleicht auf den mit Scheinwerfern bestückten Schrottvogel, der sich über Drazen materialisierte, nun da ein Scrap-Monster zerstört worden war?

 

Scrap Searcher [ATK/100 DEF/300 (1)]

 

Trotzdem leuchtete ihm nicht ein, warum Drazen ein Monster zerstört hatte, bei dessen Ableben er nichts gewann? Immerhin hätte er [Scrap Goblin] loswerden können, um ein Monster auf die Hand zu bekommen.

„Ich fürchte, ich werde noch eines meiner Monster vernichten müssen“, erklärte Drazen derweil und zeigte ein weiteres Monster von seiner Hand vor, „denn ich spezialbeschwöre jetzt [Scrap Orthros], was dann möglich ist, wenn ich ein Monster aus Schrott kontrolliere. Allerdings muss ich im Anschluss ein solches auch zerstören.“

Zwischen seinem Goblin und dem beinlosen, halb zerstörten Roboter erschien ein zweiköpfiger Hund, natürlich ebenfalls ganz aus metallischen Abfällen bestehend. Dieser fiel im Anschluss über den kleineren Goblin her, den er in Stücke riss.

 

Scrap Orthros [ATK/1700 DEF/900 (4)]

 

Matt konnte darüber nur den Kopf schütteln. Drazen beschwor ein Monster nach dem anderen, nur um anschließend welche zu zerstören? Worin lag da der Sinn?

Aber er erkannte es, noch bevor Drazen zu erklären begann. [Scrap Goblin] recycelte seine Artgenossen, aber er hatte gewartet. Gewartet, bis ein attraktives Ziel vorhanden war … und welches Monster würde Drazen lieber wollen als-!?

„Nun, da mein Kleiner durch einen Scrap-Effekt zerstört wurde, darf ich mir die [Scrap Chimera] von meinem Friedhof auf die Hand nehmen.“

Der junge Mann runzelte die Stirn. Natürlich. Solange er die Schimäre besaß, konnte er spielend leicht neue Monster beschwören und weiß Gott was damit anrichten.

Drazen schmunzelte zufrieden, offensichtlich froh, dass Matt von selbst dahinter gestiegen war und steckte seine Schimäre zu den anderen drei Handkarten.

„Dein unzufriedener Blick verrät mir, dass ich dir meine Strategie nicht weiter erklären muss“, sagte er und klang dabei mit einem Schlag gar nicht mehr vergnügt, sondern bitterernst, „leider siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht, Junge. Ich zerstöre nicht nur, ich erschaffe auch.“

Mit einem Ruck streckte er seinen Arm in die Höhe. „Ich stimme den Stufe 4-[Scrap Orthros] auf den Stufe 6-[Scrap Breaker] ein! A heart of iron rests within the void of time and space! One beat, powerful enough to reverse the laws of nature! Synchro Summon! Break loose, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T]!“

Der zweiköpfige Schrotthund nahm Anlauf und sprang in die Luft, dicht gefolgt vom schwebenden Stück Altmetall namens [Scrap Breaker]. Orthros zersprang in vier grüne Ringe, die jedoch mitten in der Luft eine Kehrtwende machten und statt die Synchrobeschwörung vor Drazen durchzuführen, über ihn hinweg flogen. Weit hinter dem alten Mann schaffte der [Scrap Breaker] es schließlich, die Lichtringe zu durchqueren und die Lichtung in ein gleißendes Feuerwerk an Effekten zu tränken.

Als Matt beobachtete, was für eine Kreatur da im Begriff war zu entstehen, wurden seine Beine zunehmend weicher. In dem Moment begriff er, dass er das Duell tatsächlich ernster nehmen musste – denn über Drazen erhob sich ein Wesen epischen Ausmaßes. Bestimmt über fünfzehn Meter groß, strahlte das cyanfarbene Metall des Titans in der Abendsonne. Auf der Brust prangerte ein in Silber gehaltenes T, der Helm war mit vier Hörnern versehen, die so ineinander gewunden waren, dass man ihrem Lauf zunächst nicht folgen konnte, doch sie zeigten alle nach vorn. Doch die Fäuste übertrafen alles, denn sie waren mit elektrischen Entladungen an den Armen gekoppelt – und besaßen die Größe eines Lastwagens.

„Da staunst du, was?“, gluckste Drazen, der allein die Füße seines Mechas um gerade einmal einen Kopf überragte. „Und du musst wissen, Heavy T erhält bis zur End Phase einen Angriffsbonus von 500 für jedes benutzte Synchromaterial.“

Matt torkelte panisch zurück, als der gesamte Boden innerhalb der Lichtung an manchen Stellen aufbrach. Der Titan streckte seine Arme aus und ließ ganze Erdklumpen in die Höhe steigen, selbst einige Bäume im näheren Umfeld wurden entwurzelt. Vor dem Auge des Dämonenjägers schwebte der gefühlte halbe Wald.

 

Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T [ATK/3000 → 4000 DEF/0 (10)]

 

Das musste sie sein, erkannte Matt. Die Karte, die Anya brauchte! Ein Relikt von solch großer Macht, dass es ganz von alleine die Realität beeinflussen konnte – etwas, das Matt am ganzen Leibe spürte, eine Energie, die weit über das hinausging, was Drazen bisher an den Tag gelegt hatte. Aber er konnte sie nicht erfassen, begreifen, denn dafür waren Menschen nicht geschaffen.

Welche Macht war imstande, etwas Derartiges zu kreieren? Matt wollte es sich nicht ausmalen.

„Also bezieht Drazen seine Kraft von diesem Ding …“

„Hast du gerade etwas gesagt?“, fragte jener in einem viel zu wissenden Tonfall, um tatsächlich unsicher bezüglich Matts Worte zu sein.

Und doch schüttelte der den Kopf. „Nein.“

Der weißhaarige Mann rückte seine runde Brille zurecht. „Wie du meinst. Du liegst natürlich vollkommen richtig, denn wie du bin ich nur ein Mensch und verfüge über keine eigenen Kräfte. Stattdessen lasse ich Heavy T die ganze spirituelle Arbeit machen. Oh, und wenn wir schon dabei sind, ich muss ja noch angreifen!“

 

[Matt: 1800LP / Drazen: 3750LP]

 

Als Reaktion darauf verkrampfte Matt und nahm einen Schritt zurück. „Da kommt er!“

„Zeig dem Kleinen was du kannst, Heavy T! Effekt: Gravity Reverse! Zwinge seinen [Evilswarm Ophion] in den Angriffsmodus und zerstöre ihn!“

Matt öffnete vor Schreck den Mund, als er das vernahm. Im selben Zuge streckte Heavy T eine seiner Handflächen aus, in der eine blaue Energiesphäre eingelassen war. Diese änderte ihre Farbe auf rot und ehe der ehemalige Dämonenjäger sich versah, wurde sein Drache regelrecht vor ihm weggerissen, direkt in Richtung des Titans.

 

Evilswarm Ophion [ATK/2550 DEF/1650 {4} OLU: 0]

 

Wie ein Pfeil flog Ophion durch die Luft, als der Stahlkoloss seinen anderen Arm erhob und dem schwarzen Drachen mit geballter Faust entgegen kam.

„Verdammt“, stammelte Matt, „das könnte weh tun.“

„Ich fürchte, das wird es“, versprach Drazen.

Dann erfolgte die unvermeidbare Explosion, als Ophion von der Faust getroffen und vernichtet wurde. Letztere machte aber nicht Halt, sondern steuerte geradewegs, hängend an den Energiesträngen, auf Matt zu. Das Schauspiel spiegelte sich in dessen weit aufgerissenen Augen wieder …

 

 

Turn 48 – Little Lies

Drazens mächtigem Monster gegenüberstehend, muss Matt all sein Können aufbringen, um sich gegen die gnadenlosen Angriffe zu wehren. Obwohl all seine Versuche, [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] aus dem Weg zu räumen scheitern, findet er eine Schwachstelle in Drazens Strategie und …



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2017-08-01T16:24:30+00:00 01.08.2017 18:24
Hi
Super Kapitel, das wiedersehen mit Matt hab ich mir irgendwie so vorgestellt, vor allem der Klammergriff von Anya XD.
Die beiden als Erzieher? Hätte ich nicht erwartet, aber nach der Erklärung irgendwie verständlich.
Zanthe und Allistair, das wird Anya noch Alpträume bereiten.
Bin gespannt ob Matt sich gegen Drazen durchsetzen kann.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
07.08.2017 18:19
Hey,
vielen Dank. Tja, bei ihr geht eben nichts, ohne dass jemand dabei verletzt wird.
Ich weiß, Matt und Big Al passen nicht recht in diese Rolle. Aber nach den schrecklichen Erlebnissen ist das, was besonders Alastair Frieden bringt.

LG,
-Aska-


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