Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 21: Turn 21 - A Glimpse Of Hope --------------------------------------- Turn 21 – A Glimpse Of Hope     Halloween. Anya hasste Halloween. Und sie liebte es. Überall waren Kinder, die tatsächlich so dreist waren, anderer Leute Süßigkeiten zu verlangen. Sobald es dunkel wurde, waren die Straßen voll von dieser Pest. Aber wann sonst hatte man die offizielle Erlaubnis, anderen Leuten den Schreck ihres Lebens zu verpassen? Unnötig zu erwähnen, dass Anyas Verständnis von Halloween sich grundlegend von dem anderer Menschen unterschied. Zumal sie gewiss kein Kostüm brauchte, um Schrecken zu verbreiten. Doch ihr war an diesem Abend des 31. Oktobers überhaupt nicht danach, auch nur irgendeinem dahergelaufenen Vollidioten mit Barbie Angst einzujagen. Zumal sie wegen dem verbrannten Rasen im Garten ohnehin Ausgehverbot hatte – auch wenn jeder wusste, dass eine Anya Bauer sich nicht daran halten würde, wenn es darauf ankam. Schon seit Tagen hatten diese verdammten Dämonenjäger sich nicht mehr gemeldet, obwohl Matt es versprochen hatte. Schlimmer noch, von Nick und Abby hatte sie ebenfalls nichts mehr gehört. Wobei sie doch mit Letzterer noch ein Hühnchen zu rupfen hatte bezüglich der Tatsache, dass jene ihr fundamentale Geheimnisse vorenthalten hatte. Noch vor kurzem wäre Abby selbst dieses Hühnchen gewesen, doch Levrier hatte Anya dazu geraten, ihre Freundin zunächst anzuhören. Wäre sie eine Verräterin, hätte sie genug Möglichkeiten, der Blondine das Leben schwer zu machen, so seine Worte. Und zähneknirschend musste Anya daraufhin eingestehen, dass ihr Paktpartner damit ein gutes Argument lieferte. Außerdem hieß es doch 'in dubios Porree', demnach würde sie Abby vorerst verschonen.   Dennoch saß Anya schlechter gelaunt denn je in ihrem Zimmer und zählte die letzten Stunden des Monats. Waren diese erst verstrichen, hatte sie noch elf Tage Zeit, sich bezüglich Eden etwas einfallen zu lassen. Bloß was sollte sie tun? Selbst mit den neuen Informationen von Matt und Levrier war sie im Endeffekt genauso schlau wie vorher. Die Orte, an denen Pakte geschlossen wurden, hatten laut Levrier eine Bedeutung. Und Opfer waren nötig, um Eden zu erwecken. Die Opfer und die Orte standen irgendwie in Zusammenhang, vermutlich über das Elysion. Aber für Anya ergab das keinen Sinn. Zumal sie nicht wusste, wie viele Zeugen der Konzeption überhaupt benötigt wurden. Mit Matt, Alastair und Redfield hatte sie drei. Was, wenn das zu wenig war? Und falls dem so war, woher bekam sie dann noch mehr Leute, die einen Pakt geformt haben? Die wuchsen schließlich nicht auf Bäumen.   Solltest du nicht in der Schule sein?   „Pff, die können sich ruhig ohne mich amüsieren“, raunte Anya und legte ihren Kopf gelangweilt auf ihre ausgebreiteten Arme an ihrem Schreibtisch. „Ist sowieso nicht übel, Hausarrest zu haben. Hab ich ne gute Ausrede.“ Während sie zuhause grübelte, fanden überall in Livington kleine oder größere Halloweenpartys statt. So auch in ihrer Schule. Vermutlich waren Abby und Nick gerade dort und hatten Spaß. Wahrscheinlich noch mit Beautyqueen Valerie. Sofern die sich gerade nicht in Selbstmitleid ertränkte. „Ich war noch nie beim Homecoming oder bei den Weihnachtsfesten dabei, dann werd' ich bei der scheiß Party auch nicht aufkreuzen. Ich hasse Bälle und Partys!“   Denn das würde ja bedeuten, Spaß zu haben, ohne Leuten weh zu tun.   „Verdammt richtig! Wenigstens einer, der mich versteht!“ Dass Anya dabei Levriers Sarkasmus wie so oft nicht bemerkte, tat ihrer schlechten Laune jedoch auch nichts ab. „Ich glaub, ich geh raus. Vielleicht kann ich ein paar Knilchen ihre Fressalien abnehmen.“   Bist du dir wirklich sicher, dass du nicht zu der Party willst? Anya Bauer, du hast nicht mehr viel Zeit. Auch wenn die Nachforschungen bezüglich Eden wichtig sind, solltest du deine letzten Tage gut nutzen. Das könnte das letzte Mal sein, dass-   „Halt einfach die Klappe …“ Anya sprang schnaufend von ihrem Schreibtischstuhl auf und schnappte sich ihren Rucksack, der an einem Haken an ihrer Zimmertür hing. Und während sie vom Flur aus die Treppe hinab ins Erdgeschoss rannte, rief sie: „Bin mal ne Weile unterwegs, Mom! Versuch gar nicht, mich aufzuhalten!“ Nur um sich dann zu entsinnen, dass jene sich mit ein paar Arbeitskollegen verabredet hatte und schon längst außer Haus war. Am Fuß der Treppe blieb sie kurz mit betrübter Mimik stehen, ehe sie das Haus verließ und die Tür hinter sich abschloss. Warum musste Levrier ihr jedes Mal die Stimmung verhageln!?   ~-~-~   Doch egal wohin Anya auch ging, die innere Unruhe – den wahren Grund dafür, dass sie durch die Straßen zog – schwand nicht aus ihrem Leib. Immer wieder gingen ihr Levriers Worte durch den Kopf. Die letzten Tage gut zu nutzen? Aber wofür? Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was sie alles unbedingt machen musste, bevor sie starb. Klar gab es da Dinge, die sie gerne tun wollte, aber nichts davon war wirklich … wichtig. Nicht mehr. Irgendwie. Während sie im Dunkeln unter der Straßenbeleuchtung entlang zog, fiel ihr Blick auf ein weißes Haus, das mit Toilettenpapier förmlich überzogen war. „Oh.“ Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich in derselben Straße befand, in der die Masters wohnten. „Süßes oder- Ahhhhh!“ Und sie hatte nicht bemerkt, wie sich drei Knirpse vor ihr aufgebaut hatten. Einer im Geisterkostüm, der sie soeben angesprochen hatte, eine Hexe und ein Skelett. „Mist Leute, das ist die freakige Anya Bauer! Die hat mich neulich beim Tag Turnier alle gemacht! Rennt weg, bevor sie euch auffrisst!“ Nur irritiert eine Augenbraue hochziehend, sah sie den Dreien hinterher, wie sie die Beine in die Hand nahmen. Dann ging sie weiter, ohne den Drang zu verspüren, den drei Rotzlöffeln eine schmerzhafte Lektion in Sachen Respekt vor den Älteren zu erteilen. Wobei sie sich fragte, was plötzlich los mit ihr war. So lustlos war sie doch noch nie gewesen. Anschließend setzte sie ihren Weg ins Ungewisse fort. Bis das Ungewisse sich in ein konkretes Ziel verwandelte. Abbys Haus. Vor dem sie wenige Minuten später stand. Nicht wie sonst penetrant, sondern nur recht kurz die Klingel betätigend, verharrte sie ungewohnt geduldig vor der Haustür. Sie brauchte jetzt Rat, dringend. Und wenn jemand klug genug war, ihr zu helfen, dann Abby. Außerdem konnte sie dann gleich die Geschichte mit Matt aus dem Weg räumen.   „Hallo Anya?“, ließen die Worte von Mrs. Masters sie schließlich aufschrecken. Jene Frau war erstaunlich groß, knackte fast die zwei Meter-Marke. Von außen sah man ihr auch nicht an, dass sie einen eher ungewöhnlichen Lebensstil pflegte. In stinknormaler Jeans und grünem Pullover gekleidet, zeugte lediglich ihre bunte Mütze davon, dass in ihr ein waschechter Rebell steckte. Wo andere Mütter mit ihren Kindern einen Zoo besuchten, protestierte Mrs. Masters bereits seit Jahren zusammen mit der ganzen Familie gegen alles mögliche, kettete sich dabei auch gerne mal an das Objekt, welches sie zu schützen gedachte. „Ist Abby da?“, wollte Anya tonlos von der jung gebliebenen, brünetten Frau wissen. „Nein, die ist mit ihrem Freund weg. Ich glaube, sie wollten auf die Party in eurer Schule.“ Doch bei Anya schrillten längst alle Alarmglocken. „Freund!? Abby!?“ Das Grauen in ihrem Kopf nahm langsam Konturen an. Abby kannte nur einen Jungen gut genug, um mit ihm eine Beziehung einzugehen. Und das war … ! „Etwa Nick!?“ „N-nein. Ich war auch ganz überrascht, als sie plötzlich- A-Anya!“ Doch die Blondine war längst auf dem Weg zur Schule.   ~-~-~   „Was machst du denn hier, Bauer?“, fragte irgendein Typ mit Zorromaske und Pappbecher mit Limo in der Hand, als Anya keuchend im Gang ihrer Schule angekommen war. Alles hier war 'geschmückt' mit buntem Firlefanz, Konfetti lag auf dem Boden und ab und zu traf man auf ausgehüllte Kürbisse am Boden oder auf Tischen, die aus den Klassenzimmern in die Gänge gestellt worden waren. Am schlimmsten war aber die dröhnende Musik, denn wie Anya es erwartet hatte, wurde -kein- Death Metal gespielt. Noch beschissener konnte diese 'Party' gar nicht werden! „Hast du Masters gesehen?“, fragte Anya scharf. Und schwor sich, dass wenn er jetzt nein sagte, ein Unglück passieren würde. „Nein“, sprachs und wurde heftig von dem Mädchen angerempelt, sodass die Limo sich auf dem weißen Hemd des jungen Mannes verteilte. Anya zischte durch die Gänge wie eine Dampflok auf Hochtouren. In irgendeinem Klassenzimmer musste Abby sein, denn die Aula wurde gerade renoviert und konnte demnach nicht so wie sonst üblich benutzt werden. Als sie schließlich zehn Minuten erfolglos durch die Schule irrte und immer schlechter werdenden Verkleidungen begegnete, entschied sie sich zu drastischeren Methoden. „Levrier“, schnaufte sie abgehackt, „such-Masters!“   Anscheinend verwechselst du mich jetzt sogar schon mit einem Spürhund.   „Red nicht, tu's einfach. Das kannst du doch, oder!?“   Wenn sie sich in eine Sirene verwandelt, dann könnte ich es. Aber ich glaube, dann wäre die Atomsphäre hier etwas anders. Ich weiß aber auch so, wo sie ist. Hinter dir.   Anya wirbelte verdutzt um und stand tatsächlich Abby gegenüber. „Ich habe gehört, du hast mich gesucht?“, staunte jene nicht schlecht. „Was ist denn los, ist irgendetwas passiert?“ Indes wunderte sich die Blondine eher darüber, warum ihre Freundin nicht verkleidet war, sondern nur eines ihrer Reissackkleider trug. Andererseits spielte das gerade keine Rolle. Immer noch außer Puste, hielt Anya Abby ihren Zeigefinger regelrecht unter der Nase. „Erstens: wieso hast du seit Tagen nichts mehr von dir hören lassen? Zweitens: was zur Hölle gibt dir das Recht, mir die Dinge, die Matt dir erzählt hat, einfach vorzuenthalten!? Und drittens: seit wann gehst du mit Nick aus!?“ Völlig verblüfft von Anyas Offensive stammelte Abby: „Äh Anya, immer schön der Reihe nach.“ „Ich warte!“, fauchte ihr Gegenüber aufgebracht und stampfte mit dem Fuß auf. „Wie wäre es, wenn du etwas Geduld zeigst?“, mischte sich plötzlich jemand hinter Anya ein und zog an dieser vorbei. Und während diese Person sich zu Abby gesellte, erkannte die Blondine den jungen, diesmal viel gepflegter auftretenden Mann als Henry wieder. Der Henry, der sie mit Billigkarten vorgeführt hatte! „Was willst du denn hier, Pennerkind!? Haben sie im Asylantenheim keinen Platz mehr für dich!?“ „Ich glaube, Melinda ist nicht hier“, meinte jener brünette Kerl resignierend an Abby gewandt, „aber danke, dass du mit mir hierher gekommen bist.“ „Kein Problem. Du hilfst uns ja auch.“ „Sie ignorieren mich“, murmelte Anya fassungslos.   Wie ich sie um diese Fähigkeit beneide …   Abby trat schließlich einen Schritt vor. „Komm Anya, lass uns einen Ort suchen, wo wir ungestört reden können. Es gibt da einiges, was du wissen solltest.“ Irgendetwas gefiel Anya nicht am Tonfall ihrer Freundin. Nicht nur, dass er so nachdenklich war, sondern auch auf befremdliche Weise distanziert. Da war doch was im Busch! „Na schön! Aber wehe, mir gefällt nicht, was ihr mir zu sagen habt! Was will der Typ überhaupt hier?“ „Das erkläre ich dir, wenn du mitkommst“, meinte Henry genervt.   ~-~-~   „Ihr verarscht mich“, murmelte Anya mit offenem Mund, nachdem die Drei sich in einem verlassenen Klassenzimmer eingefunden und die Tür hinter sich geschlossen hatten. Sie saß auf einem der Tische, welche allesamt an die hintere Wand gegenüber der Tafel gestellt worden waren und sah abwechselnd die beiden an, wie sie vor ihr standen. „Lasst mich das klarstellen“, murrte sie und deutete mit abfälliger Gestik auf Henry, „der wohnt seit Neuestem bei dir, nachdem er zusammen mit Nick und Redfield plötzlich vor deiner Haustür stand.“ Abby nickte. „Und er will Nick dabei beobachtet haben, wie der sich mit seiner Schwester, duelliert hat? Und Nick hat gewonnen!?“ Wieder nickte das Mädchen mit der getönten Brille. „Meine Schwester ist besessen von einem Dämon“, fügte Henry an, „derselbe Dämon, der schon einen deiner Freunde kontrolliert hat. Sie ist entkommen, aber ich wette, dass sie noch irgendwo in der Stadt ist!“ „Und du“, raunte Anya nun und deutete nicht weniger abfällig auf Abby, „hilfst dem da nun dabei, diese Magdalena zu finden?“ „Ja.“ Das war der Moment, in dem Anya die Hutschnur platzte. Sie sprang vom Tisch und breitete wütend die Arme aus. „Hast du nichts Besseres zu tun!? Was ist mit mir!? Wieso vertrödelst du deine Zeit für den, obwohl ich deine Hilfe viel dringender brauche!?“ „Anya! Hast du nicht zugehört? Isfanel ist zurück! Das betrifft dich genauso wie Henry! Und außerdem bin ich nicht nur deine Freundin, sondern auch Henrys!“ „Seit wann das!?“ „Seit sie weiß, dass ich dir helfen könnte, dein kleines Paktproblem loszuwerden.“ Henry trat nun zwischen die beiden und starrte Anya verächtlich aus eisblauen Augen an. „Du hast richtig gehört. Das ist der Deal zwischen mir und Abby. Wenn sie mir hilft, Melinda zu finden, revanchiere ich mich im Gegenzug dafür und verrate euch, wie ich -meinen- Pakt aufgelöst habe.“ Anya war zu verdutzt, um etwas darauf zu erwidern, zumal die ganze Situation mit einem Schlag über ihren Kopf hinausgewachsen ist. Aber als Henry plötzlich den Ärmel seines schwarzen Pullovers hochkrempelte und ein verblasstes, grünes Symbol zweier ineinander verwobener Schwingen zu sehen war, wusste das Mädchen, dass er nicht log. Es war fast gar nicht zu erkennen, was auch erklärte, warum es ihr bei ihrem ersten Treffen nicht weiter aufgefallen war.   Das nenne ich eine Überraschung. So etwas habe ich nicht kommen sehen.   „Ahja, und bevor du etwas Falsches denkst: ich bin nicht Abbys -Freund-“, stellte Henry klar, „ihre Mutter soll das nur denken, damit ich bei ihr übernachten darf.“ Giftig erwiderte Anya nun: „Ist auch besser so! Wenn du sie antatscht, brech' ich dir jeden Knochen einzeln, klar!?“ „Henry ist ein Gentleman!“, empörte sich Abby. Jener zog sich nun einen Stuhl heran und bedeutete Abby, sich zu setzen, was diese dankend tat. Da Anya ahnte, dass eine längere Geschichte auf sie zukam, nahm sie wieder auf dem Tisch Platz und ließ Henry dabei nicht aus den meeresblauen Augen. Selbstredend bereits darauf vorbereitet, jederzeit den Todesblick zu aktivieren.   „Du bist also mal …“, fing sie nach einer kurzen Zeit des Schweigens an. „Ja. Ich war einmal ein Gefäß für einen Dämon. Das ist mittlerweile ein paar Monate her und seither suche ich meine Schwester Melinda, die ebenfalls in die Sache von damals verwickelt war.“ Abby seufzte schwer. „Anya, der Dämon, der Henry damals in den Pakt gezwungen hat, war ...“ „Isfanel“, beendete Henry den Satz. „Und nachdem ich seinen Pakt gebrochen hatte, hat er meine Schwester als neues Ziel auserkoren.“   Doch Anya verstand die Welt nicht mehr. Isfanel war derjenige, der Marc dazu gebracht hatte, sie töten zu wollen. Was hatte der mit Henry und dieser Melinda zu tun?   „Was Isfanels Ziel ist, solltest du längst wissen“, erklärte Henry weiter, „daran hat sich bis heute nichts geändert. Er will den Gründer vernichten, der dazu bestimmt ist, Eden zu werden. Den Gründer, mit dem du jetzt zusammenarbeitest.“ „Auszeit!“, donnerte Anya aufgebracht und formte mit ihren Händen ein T. „Was soll das heißen, du wurdest in den Pakt gezwungen? Das ist doch freiwillig!“ „Nein. Isfanel kann einen Vertrag erzwingen, wenn die richtigen Konditionen gegeben sind. Wie genau das abläuft weiß ich selber nicht, aber ich denke, es hat mit unserem Blut zu tun. Dass in unseren, Melindas und meinen, Venen dasselbe Blut fließt.“ Henry verschränkte die Arme. „Damals, als er mich kontrolliert hat, wusste er noch nichts von dir, vermutlich weil du damals den Pakt noch nicht geschlossen hattest. Erst als Melinda eines Tages verschwunden war, habe ich begriffen, dass er es auf sie abgesehen hatte, um das fortzuführen, wozu ursprünglich ich vorgesehen war.“ „Dich, beziehungsweise Levrier, zu vernichten.“ Abby seufzte schwer. „Aber er konnte Melinda nicht übernehmen, weil sie sich, warum auch immer, zur Wehr setzen konnte.“ Seine Hand auf Abbys Schulter legend, sah Henry sie dankbar an. Anya verstand die Geste nicht, für sie sah es eher so aus, als wolle er sich an sie heran machen. „Finger weg!“ Das mit einem finsteren Blick quittierend, ließ Henry wieder von Abby ab. Dabei sagte er: „Aber jetzt ergibt alles einen Sinn. Als Melinda untergetaucht ist, hat sie mein Deck mit sich genommen. Und damit auch die Karte des Pakts, [Daigusto Phoenix]. In ihrem Abschiedsbrief hat sie mir erklärt, dass sie um meinetwillen fortging, um mich vor Isfanel zu beschützen.“ Henry schluckte und wandte sich von den beiden ab. „Ich glaube, Isfanel hat sie absichtlich in dem Irrglauben gelassen, dass er mich wieder als Gefäß will.“ „Und ohne es zu merken, hat er sie auf ihrer Flucht in deine Richtung getrieben“, fügte Abby hinzu. „Melinda wollte wahrscheinlich verhindern, dass Henry dich umbringt. Dabei hatte Isfanel es die ganze Zeit auf sie abgesehen.“ „Wir vermuten, dass Marc nur zufällig in die Sache hineingeraten ist, weil Isfanel nicht imstande war, Melinda zu knacken.“ Mit nachdenklicher Mimik wandte sich Henry an Abby. „Aber nachdem der versagt hat, muss Isfanel zurück zu seinem ursprünglichen Plan gesprungen sein, Melinda zu übernehmen.“   Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. „Oh, sorry, falsches Zimmer“, meinte ein dunkelhäutiger Schüler und knallte die Tür wieder zu. Verärgert von der Unterbrechung, schüttelte Abby den Kopf. „Na ja, und nachdem Melinda Nick getroffen hat, muss es Isfanel gelungen sein, die Kontrolle über sie zu übernehmen. Und da Nick unser Freund ist, wollte er ihn natürlich töten.“ „Das macht mir Kopfschmerzen …“, stöhnte Anya, die mit so viel Informationsinput nicht klar kam. „Also in Kurzform: der sucht seine Schwester, die jetzt 'n bisschen gaga ist und mir die Lichter ausknipsen will, weil er seinen Pakt brechen konnte?“ „'Der' hat auch einen Namen“, tadelte Abby ihre Freundin mit erhobenem Zeigefinger. „Dann eben -Henry-!“   „Da ist noch etwas“, sprach jener nun und räusperte sich, „etwas, das ich euch beiden noch nicht gesagt habe. Es betrifft meinen Namen. Denn eigentlich darf niemand wissen, dass ich hier bin. Wenn die Presse Wind von dieser Geschichte bekommt, wird alles nur noch komplizierter. Was ich euch also jetzt anvertraue bleibt bis auf Weiteres unter uns.“ Anya runzelte die Stirn. „Was hat die Presse damit am Hut? Meinst du Rita Placatelirgendwas? Die Alte wird es nicht wagen, etwas über uns zu schreiben, seit Abby ihr eine Lektion erteilt hat!“ „Die Presse im Allgemeinen. Was denkt ihr, warum ich nie meine eigene Duel Disk verwende? Damit würde man mich sofort finden.“ Henry schritt an eines der Fenster und sah hinaus auf den kreisrunden Campusplatz, wo sich unter Laternenlicht einige Jugendliche unterhielten. Was Abbys Neugier nur umso mehr anheizte. „Mach es nicht so spannend. Sag uns endlich, wer du bist.“ Henry drehte sich zu ihnen um. „Mein voller Name lautet Benjamin Hendrik Ford. Henry ist nur mein Spitzname.“ Abby fiel aus allen Wolken. „D-der Benjamin Ford!? Der, der seit Wochen vermisst wird!?“ Dann schoss es aus ihr heraus: „Jetzt weiß ich, warum du mir so bekannt vorgekommen bist, als wir uns das erste Mal gesehen haben!“ Gleichzeitig entsann sich Anya, dass sie einmal einen Zeitungsartikel über den vermissten Sohn der Abraham Ford Company gelesen hatte. Der Firma, die in den Staaten für den Vertrieb von Duel Monsters verantwortlich war. „Der bin ich. Versteht ihr jetzt, warum ich untertauchen musste? Wenn die Presse erfährt, was mit Melinda geschehen ist, bricht ein Chaos ungeahnten Ausmaßes aus. Da aber außer mir niemand von dieser Sache weiß, musste ich die Dinge selbst in die Hand nehmen.“ Entschlossen sah er die beiden Mädchen an. „Ich muss Melinda finden, bevor ihr etwas zustößt!“   „Mir doch egal“, raunte Anya plötzlich herrisch, „mich interessiert nur eins. Wie ist es dir gelungen, den Pakt zu brechen?“ „Denkst du, das sag ich dir so einfach?“ Henry schüttelte entschieden den Kopf. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich dir vertrauen kann. Aber ich vertraue Abby. Deswegen wollte ich dich aus der Sache heraushalten und mit Abby alleine nach Melinda suchen.“ Provoziert von seiner Aussage zeigte Anya ihm kurzerhand den Stinkefinger. „Pff, Arschloch! Wer sagt denn, dass wir dir vertrauen können?“ „Anya“, versuchte Abby zu schlichten, „er ist kein schlechter Mensch! Er meint es ernst! Aber du musst ihn auch verstehen. Der Dämon, der dich zu töten versucht, benutzt seine Schwester als Mittel dazu. Er hat einfach Angst, dass ihr durch deine Hand etwas passiert!“ „Du halt dich da raus“, fauchte Anya das Mädchen an und sprang nun vom Tisch auf. Auch Abby erhob sich vom Stuhl, wurde aber sofort von der Blondine mit einer Hand weg geschubst. „Hey!“, schritt Henry sofort dazwischen. „Von einem Verräterschwein lass ich mir nichts sagen!“ Getroffen wich Abby zurück. „I-ich-!“ „Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich unsterblich bin, huh!? Dachtest wohl, ich muss das nicht wissen!? Oder dass für Edens Erwachen Opfer gebraucht werden! War alles nicht so wichtig, was!?“ „N-nein“, verteidigte Abby sich eher schlecht als recht, „ich wollte nur nicht, dass du am Ende etwas Dummes anstellst. Nicht, dass dir am Ende etwas passiert, weil du aus Neugier versuchst, dich umzubringen, um zu sehen, ob du wirklich unsterblich bist. Bei Selbstmord funktio-“ „Herrgott, das weiß ich alles längst, Masters!“, herrschte Anya ihre Freundin jedoch weiter aufgebracht an. „Aber ich hätte es gerne von dir erfahren und nicht von Matt!“ „Du hast Matt getroffen!?“ „Verdammt richtig! Und der ist im Moment eine größere Hilfe als du!“ Henry mahnte Anya: „Jetzt werd' mal nicht unfair! Abby hilft mir, um dir zu helfen!“ Wütend stampfte die Blondine auf. „Ich brauche ihre beschissene Hilfe aber nicht mehr! Turtel' ruhig weiter mit dem Pennerkind, Masters, ich hab's satt!“ „Dann-!“   Doch Abby brachte den Satz nicht zu Ende. Stattdessen schluchzte sie plötzlich und stürmte aus dem Klassenzimmer. Noch ehe Henry etwas dagegen tun konnte, war das Mädchen verschwunden. An der Türschwelle stehend, drehte er sich wutentbrannt zu Anya um. „Das hast du wirklich gut gemacht!“ „Tch!“ Anstatt Gedanken an Abby zu verschwenden, nahm Anya nun Henry ins Visier. „Irgendwie habe ich dich netter und respektvoller in Erinnerung. Was ist los, Prince Gossen-Charming, vermisst du Daddys Kohle?“ „Ich bin einfach nur angespannt, das ist alles! Und ich kann dich nicht leiden! Siehst du nicht, was du getan hast? Ist dir ihre Freundschaft überhaupt nichts wert!?“ „Was nützen mir Freunde, wenn ich eh bald krepieren werde!?“ „Du bist egoistisch! Denkst du, Gefühle sind nur einseitig?“ Henry schnaufte wütend. „Als wir uns damals getroffen haben, habe ich mich wirklich zusammengerissen. Anfangs dachte ich, du bist einfach nur mit dem falschen Fuß aufgestanden. Aber dein Charakter ist einfach nur mies. Und als ich dein Mal sah, wusste ich, dass wir beide früher oder später aneinander geraten würden.“ „Ach ja? Dann hilf mich doch, dieses dämliche Teil loszuwerden!“ Anya hob ihren Arm und schob den Ärmel ihrer Lederjacke soweit beiseite, dass er das Mal an ihrem Unterarm sehen konnte. Plötzlich grinste sie hinterhältig. „Hmm, jetzt wo ich darüber nachdenke, ist das gar keine schlechte Idee …“ „Wovon sprichst du?“ Anya legte herausfordernd den Kopf in den Nacken. „Ganz simpel, Milchbubi. Wenn du mir nicht sagst, wie du dein Mal losgeworden bist, -könnte- es passieren, dass ich deiner Schwester Melanie die Lichter ausknipsen muss, wenn sie mich angreift.“ Anya fuhr sich mit dem Daumen über die Kehle. „Du weißt, Blutzoll und so.“ „Du würdest-!?“ „Nur, wenn ich muss.“ Schlagartig verlor sich ihre Gehässigkeit. „Es liegt an dir. Je früher ich das Ding loswerde, desto besser für deine Schwester. Ist in deinem Interesse.“ „Und du denkst, dass ich mich von dir erpressen lasse!?“, brauste Henry außer sich vor Wut auf. „Mein Verstand sagt mir, dass du nicht Unrecht hast, aber mein Herz nimmt das nicht hin! Ich lasse mich nicht erpressen, nicht von dir!“   Immerhin, du lernst dazu, Anya Bauer. Erpressung ist schließlich eine Steigerung zur bloßen Gewaltandrohung. Aber ich fürchte, ein Leben reicht nicht, um bis zur Stufe der Verhandlung aufzusteigen.   „Was mischt du dich jetzt da ein, Levrier!? Solltest du nicht zittern, weil ich auf dem Weg bin, dich loszuwerden?“   Warum sollte ich? Was immer der Junge dort glaubt erreicht zu haben, es ist zu bezweifeln, dass er wirklich von dem Pakt befreit ist. Vielleicht ist das Ganze auch eine Falle? Sonderlich viele Freunde haben wir uns bisher nicht gemacht. Ich für meinen Teil mache mir mehr Sorgen um die Absichten dieses jungen Mannes, als der bloßen Tatsache, dass er einen Weg zu kennen glaubt, einen Pakt zu brechen.   „Das werden wir gleich herausfinden.“ Sie wäre schließlich nicht Anya Bauer, wenn sie nicht einen Plan B hätte. Der war seither zwar immer der gleiche, aber immer noch der effektivste. Anya setzte ihren Rucksack, den sie die ganze Zeit geschultert hatte, ab. Daraus hervor zog sie eine Duel Disk. Ursprünglich hatte sie geplant, nur ein paar Rotzgören um ihre Halloweenbeute zu erleichtern, aber das hier war viel eher ihre Welt. Der Typ würde singen, so viel stand fest. „Eine Revanche für neulich?“, wunderte sich Henry, als Anya den Apparat anlegte. „Tz, als ob! Außerdem besitze ich keine Duel Disk!“ „Kein Problem“, meinte Anya unbekümmert, verließ kurzerhand das Klassenzimmer und kam wenige Minuten später, nach einem lauten Scheppern, mit einer Duel Disk zurück. Dabei wedelte sie mit ihrer freien Hand. „Blöder Spind, seit wann sind die so widerspenstig?“ Henry fing die Duel Disk geschickt auf, als Anya sie ihm zuwarf. „Die Regeln“, sagte jene schließlich und stellte sich vor die Tafel. Als sie sich umdrehte, erklärte sie: „Da du nicht freiwillig mit der Sprache 'rausrückst, müssen wir das so klären.“ „Wer sagt, dass ich mitmache?“ Prompt war es wieder da, dieses kleine, gemeine Grinsen von Anya. „Oh glaub mir, das wirst du. Denn wenn du gewinnst, werde ich dir helfen, deine kleine Prinzessin zu finden. Und ich schwöre, ihr kein Haar zu krümmen, solange sie genug Sicherheitsabstand hält.“ „Und wenn du gewinnst?“ „Wirst du mir dein kleines Geheimnis verraten. Und mir helfen, das Mal loszuwerden. Wenn das klappt und ich frei bin, könnte ich mir sogar überlegen, dir vielleicht trotzdem zu helfen. Geht die Sache jedoch schief, oder du muckst auf …“ Anya fuhr sich nochmals mit dem Daumen über den Hals. „Dann kannst du deiner Schwester schon mal einen Sarg bestellen! Was sagst du? In beiden Fällen profitierst du, bei einem mehr, beim anderen weniger. Aber wir können das Ganze auch lassen, bloß sieht es dann ganz schlecht für Melissa aus!“ „Melinda!“, korrigierte Henry das Mädchen gereizt.   Ich bin begeistert, Anya Bauer. Das ist nicht mehr nur Erpressung, das ist raffinierte Manipulation. Natürlich wird er jetzt anbeißen, da die schlimmste Option für ihn die ist, dein Angebot auszuschlagen. Vielleicht habe ich dich unterschätzt …   Anya lächelte jedoch nur tückisch. „... fein. Was soll ich auch anderes sagen?“ Henry war nur allzu deutlich anzusehen, was er wirklich von Anyas Vorschlag hielt. Sein Gesicht glich einer starren Maske, gezeichnet von Wut. Dennoch schritt er in die Mitte des Klassenraums, um Anya gegenüber zu stehen. Da die Tische nicht im Weg standen, konnte man sich hier duellieren. „Dann ist es abgemacht“, sagte die Blondine. Beide Duel Disks fuhren aus und aktivierten sich mit einem Piepen. „Duell!“   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP]   „Ich mache den ersten Zug“, kündigte Henry an, nachdem er sein Startblatt gezogen hatte. „Von mir aus. Aber denk nicht, dass sich das von damals wiederholen wird! Ich bin um einiges besser geworden, seit wir uns das letzte Mal duelliert haben!“ „Wenn du meinst …“ Henry nahm eine dauerhafte Zauberkarte aus seinem Blatt und zeigte sie Anya. „Dann zeig mir mal, wie gut du bist, wenn du auf deine Keycard verzichten musst! Ich aktiviere [Prohibition]! Damit verbiete ich die Benutzung einer von mir benannten Karte, solange [Prohibition] aktiv ist! Und in dem Fall wäre das [Gem-Knight Fusion]!“ Hinter Henry tauchte plötzlich eine Schriftrolle auf, die sich entfaltete und auf der das Abbild von Anyas wichtigster Zauberkarte abgebildet war. „Tch! Ich brauche die nicht, um dich fertig zu machen!“ Doch ihre gekrümmte Körperhaltung strafte ihrer Worte eindeutig Lügen. „Du wirst dir noch wünschen, das nicht gesagt zu haben. Ich setze zwei Karten verdeckt und gebe ab.“ Vor den Füßen ihres Gegners erschienen zwei gesetzte Karten mit dem Rücken nach oben zeigend.   Anya zog mit einem lauten Ausruf und betrachtete ihre Hand. Dort war unter anderem auch die versiegelte [Gem-Knight Fusion]. Zischend richtete sie ihren Blick auf den brünetten, jungen Mann. Seinen Worten nach zu schließen musste er immer noch das jämmerliche Mülldeck spielen, das er sich irgendwo zusammengeschnorrt hatte, da seine Schwester sein eigentliches Deck besaß. Wenn das so war, würde er vermutlich wieder versuchen, diese absurden Kombos auszuspielen. Kein Monster gerufen zu haben, bedeutete vermutlich nur, dass er etwas in dieser Richtung vor hatte und mit einer Falle ihren Angriff abwehren wollte. Und wenn es ein Angriff war, den er erwartete, sollte er ihn auch bekommen! „Ich beschwöre [Gem-Knight Tourmaline]! Direkter Angriff!“ Vor Anya erschien ein Ritter in goldener Rüstung mit einem Turmalin-Edelstein in der Brust, der in seinen Handflächen einen Blitz entstehen ließ und auf Henry abfeuerte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Henry hob den Arm, um den kanonenartigen Energieschuss abzufangen, doch wurde beim Aufprall geschockt. Da Anya aber keine Anstalten machte, ihre Kräfte einzusetzen – da sie es ohnehin so ohne Weiteres nicht könnte, selbst wenn sie wollte – wurde Henry nicht weiter verletzt.   [Anya: 4000LP / Henry: 4000LP → 2400LP]   Überrascht stellte Anya fest, dass Henry keine seiner Fallen aktiviert hatte. Aber umso besser für sie. Eine Faust in die Luft schlagend, rief sie stolz: „First Blood!“ Dann nahm sie ebenfalls eine Falle aus ihrem Blatt und setzte sie. „Die hier! Damit beende ich den Zug!“   Henry zog schwungvoll und lächelte zufrieden, als er seine neue Karte ansah. „Genau was ich gebraucht habe!“ Dann streckte er seinen Arm aus, mit der er die Karte hielt. „Verdeckte Falle! [Ojama Trio]! Sie erschafft drei Ojama-Spielmarken in Verteidigungsposition, die an dich gehen.“ Jeweils eine grüne, eine schwarze und eine gelbe Koboldgestalt in roten String-Tangas, alle drei nicht größer als eine Hand, tauchten plötzlich um Anyas Kopf auf und grinsten sie an.   Ojama-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/1000 (2)]   „Du gibst mir noch extra Monster!? Wie dämlich!“ Henry verzog die Augen zu Schlitzen. Dabei dachte er, dass wenn Anya sie nicht haben wollte, er ihr schon helfen würde, sie wieder zu entsorgen. „Ich beschwöre von meiner Hand [Marauding Captain]! Und der kann ein Monster bis zu Stufe 4 von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören! Erscheine, [3-Hump Lacooda]!“ Sowohl ein Krieger in eiserner Rüstung mit zwei Schwertern in den Händen, als auch ein erschöpftes Kamel mit dreckigen Bandagen um die Höcker gewickelt materialisierten sich auf Henrys Spielfeldseite. „Und jetzt von meiner Hand der Schnellzauber [Inferno Reckless Summon]! Damit verdreifache ich das eben gerufene [3-Hump Lacooda]! Dafür kannst du ebenfalls eines deiner Monster vervielfachen.“ „Dann rufe ich noch einen [Gem-Knight Tourmaline], aber im Verteidigungsmodus!“ Nachdem alle Monster erschienen waren, kontrollierte Anya die drei Ojamas sowie zwei goldene Ritter des Turmalins, während Henry seinerseits auf drei Kamele und seinen Krieger zurückgreifen konnte.   Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Ojama-Spielmarke x3 [ATK/0 DEF/1000 (2)]   Marauding Captain [ATK/1200 DEF/400 (3)] 3-Hump Lacooda x3 [ATK/500 DEF/1500 (3)]   Er geht wirklich klug vor. Zunächst nimmt er einen direkten Angriff in Kauf, um keines seiner Monster im ersten Zug ausspielen zu müssen, wo er diese Kombo nicht einsetzen konnte. Dann blockiert er deine Monsterzonen mit Spielmarken, damit du das Potential seiner Zauberkarte nicht voll nutzen kannst. Was hat er als Nächstes vor?   Anya ihrerseits hatte eine Ahnung. Aber es kam ganz anders. „Das ist die Zauberkarte, die ich eben gezogen hatte! Sie nennt sich [Flash Of The Forbidden Spell] und kann nur eingesetzt werden, wenn die Monsterzonen meines Gegners alle besetzt sind! Dann zerstört sie alle deine Monster auf einmal!“ „Was zum-!?“ Plötzlich regnete es Blitze auf Anyas Monster, die eines nach dem anderen explodierten. „Und da jeder zerstörte Ojama dich 300 Lebenspunkte kostet, habe ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen“, erklärte Henry zufrieden.   [Anya: 4000LP → 3100LP / Henry: 2400LP]   Nur noch mit einer gesetzten Karte verbleibend, runzelte Anya wütend die Stirn. „Da sieht man es! Hättest du nicht so viel Glück, wäre das Duell damals mein Sieg gewesen, nicht deiner!“ „Ist das deine Ausrede?“, erwiderte Henry unbeirrt. „Glaub, was du glauben willst! Von dir erwarte ich keine Einsicht!“ „Ach ja? Dann greif mich doch an!“ „Worauf du Gift nehmen kannst! Leider besitze ich nur drei Xyz-Monster, von denen zwei nicht mit den Monstern gerufen werden können, die ich besitze. Daher opfere ich zwei [3-Hump Lacooda] durch ihren Effekt, um drei Karten zu ziehen!“ Und kaum hatte Henry sein zuvor leeres Blatt aufgestockt, streckte er den Arm aus. „Die beiden verbleibenden Stufe 3-Monster nutze ich, um das Overlay Network zu erschaffen! Zeig dich, [Grenosaurus]!“ Henrys Monster wurden zu braunen Lichtstrahlen, die in das schwarze Loch gezogen wurden, welches sich inmitten des Spielfelds auftat. Daraus hervor trat ein roter Dinosaurier, der auf zwei Beinen stand und dessen Schopf tatsächlich brannte. Um ihn kreisten zwei Lichtsphären.   Grenosaurus [ATK/2000 DEF/1900 {3}]   „An den erinnere ich mich noch! Mit dem habe ich letztes Mal kurzen Prozess gemacht und heute wird das nicht anders sein“, kündigte Anya selbstsicher an. „Nur zu! Direkter Angriff auf ihre Lebenspunkte! Ancient Fire Burst!“ Aus seinen Nüstern schoss das urzeitliche Ungetüm eine Flammenwolke, die direkt auf Anya zusteuerte. Die schwang den Arm aus. „Ach ja? Dann komm ich dir mit der hier zuvor: [Pyroxene Fusion]! Pah! Dachtest du ernsthaft, [Gem-Knight Fusion] wäre meine einzige Möglichkeit, Fusionsbeschwörungen durchzuführen!? Diese Karte tut dasselbe, sie lässt mich Monster von meiner Hand verschmelzen!“ „Nein, genau damit habe ich gerechnet! Und ich bin vorbereitet! Konterfalle [Seven Tools Of The Bandit]! Sie annulliert deine Falle, kostet mich im Gegenzug aber 1000 Lebenspunkte!“ Anyas Falle zersprang mit einem Klicken. Kurz darauf traf sie die Feuerwolke und deckte sie ein, doch unter den Flammen hörte man nur Anyas gehässiges Gelächter.   [Anya: 3100LP → 1100LP / Henry: 2400LP → 1400LP]   Nachdem der Rauch verschwunden war, verschränkte Anya selbstherrlich die Arme vor die Brust und grinste süffisant. „Genau das ist, womit -ich- gerechnet habe. Schon als du [Prohibition] aktiviert hast, wusste ich, dass ein Teil deiner Strategie darauf abzielt, die guten Karten des Gegners zu blockieren, weil du selber nur Mist besitzt.“ „Und was heißt das?“ Henry runzelte die Stirn. „Deine Fusionsbeschwörungen wurde verhindert!“ „Stimmt … aber wer sagt, dass ich die überhaupt hätte durchführen können?“ „Dein Punkt ist … ?“ Anya klatschte sich eine Hand an die Stirn. „Alter, bist du schwer von Begriff? Ich habe eine Fehlaktivierung ausgelöst, um zu sehen, ob ich recht mit meiner Vermutung habe! Tatsächlich habe ich nur ein Monster auf der Hand, was nicht reicht, um zu fusionieren.“ „Du hast-! Du hast mich gelinkt!?“ Zufrieden nickte Anya. „Endlich hat er's geschnallt. Zu dumm, deine Konterfalle hast du ganz umsonst aktiviert. Oh, und du hast noch Lebenspunkte dafür verloren.“ Den letzten Satz hatte sie besonders betont, um Henry zu zeigen, dass das die Rache für das [Ojama Trio] war. „Linke Bazille! Wenn du auf so etwas zurückgreifen musst, bist du echt armselig! Und ich dachte, du könntest nicht tiefer sinken! Aber das sind wohl die Mittel, auf die ein Amateur zurückgreifen muss!“   Das war ein brillanter Zug, Anya Bauer. Seit wann denkst du so strategisch?   Seit sie diesen Knilch nach allen Regeln der Kunst abservieren wollte, dachte Anya, sprach es aber nicht aus. Das war der Unterschied zwischen ihnen beiden. Er hielt sie immer noch für dieselbe Amateurin, gegen die er vor knapp zwei Monaten gespielt hatte. Sie hingegen hatte begriffen, dass keiner ihrer Gegner unterschätzt werden durfte. Und da sie nun wusste, wie er spielte, hatte sie sich darauf einstellen können. Manchmal reichte es nicht aus, sich nur innerhalb der Grenzen von Karteneffekten zu bewegen. Auch Dinge wie Fehlaktivierungen konnten als Strategie eingesetzt werden. Es war so simpel … aber es fühlte sich gut an. Vielleicht war es gar nicht so schlimm, manchmal nachzudenken? Nur manchmal! Aufgebracht darüber, dass Anya ihn hereingelegt hatte, nahm Henry zwei Fallen und schob sie in die dazugehörigen Slots seiner Duel Disk. „Mit zwei gesetzten Karten gebe ich an dich ab! Was kommt als Nächstes? Willst du dieses Mal richtig schummeln? Nur zu, mir egal! Ich besiege dich auch so!“ „Als ob ich das nötig hätte!“ „Hast du aber! Abby hat mir viel über deine Duellweise erzählt! Wie oft hast du aus eigener Kraft gewonnen? Gab es nicht immer irgendeinen Umstand, der dir geholfen hat, deine Spiele doch noch zu drehen?“ Henry hatte sich regelrecht in Rage geredet. „Sieh es ein, alleine kriegst du nichts gebacken! Du wirst immer der Gnade deiner Gegner und deines Dämons ausgeliefert sein!“ „Stimmt … meine Quote ist lausig“, gab Anya offen zu. „Aber höre ich da Neid heraus? Schließlich muss man sich Hilfe auch verdienen!“ Henry stampfte mit dem Fuß auf. „Du wagst es von Neid zu reden? Wo du es doch offensichtlich nicht ertragen kannst, dass Abby andere Freunde außer dich hat? Mit deiner Eifersucht hast du kein Recht, so mit mir zu reden!“ „Volltreffer“, streute Anya jedoch nur Salz in die Wunde, „muss kacke sein, wenn man selber keine Freunde hat, weil man als reicher Schnösel nur ausgenutzt wird. Deswegen denkst du wohl, du kannst dich einfach in anderer Leute Freundschaften einmischen, was?“ „Darum geht es dir also? Du denkst, ich will dir Abby wegnehmen? Lächerlich!“ Henry lachte fassungslos auf. „Verwechsel' deine größte Angst nicht mit der Realität! Wenn dir Abby etwas bedeutet, dann behandle sie nicht nur wie ein nützliches, aber im Notfall entbehrliches Anhängsel! Deine Feindseligkeit mir gegenüber basiert auf nichts, du lässt dich von deinen Gefühlen täuschen! Weil du es auch gar nicht ertragen kannst, dass sie dir vielleicht um etwas voraus ist …“   Das war es, dachte Anya. Dieser Typ verstand überhaupt nichts! Nein, wollte sie schon vorher Levriers Fähigkeit der Schicksalsbeeinflussung nicht einsetzen, wollte sie es jetzt erst recht nicht. Aus eigener Kraft würde sie diesem Typen das Maul stopfen, so viel war sicher! „Draw!“, rief sie und bemühte sich um Fassung. Gar nichts verstand er! Als sie das Gezogene ansah, wusste sie, dass ihre Entscheidung nicht falsch gewesen war. Sie nahm eine Zauberkarte aus ihrem Blatt hervor und rief: „[Silent Doom]! Damit wird ein normales Monster, wie [Gem-Knight Tourmaline] in Verteidigungsposition von meinem Friedhof beschworen! Außerdem rufe ich [Gem-Knight Garnet] als Normalbeschwörung!“ Vor Anya tauchten der goldene Ritter sowie ein Krieger in bronzener Rüstung auf. Letzter entfachte eine Flamme in seinen Händen, wobei der Granat in seiner Brust grell schimmerte. Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)] Gem-Knight Garnet [ATK/1900 DEF/0 (4)]   „Und jetzt beginnt der Spaß! Ich erschaffe das Overlay Network und überlagere meine beiden Stufe 4-Monster! Xyz-Summon!“ Wieder öffnete sich inmitten des Klassenzimmers der klaffende, schwarze Wirbel, in den die braunen Lebensessenzen von Anyas Monstern gezogen wurden. „Hier kommt es“, murmelte Henry, „[Gem-Knight Pearl], dein Paktmonster!“ „... Fehlanzeige! Hier kommt meine wahre Perle und neue, alte Geheimwaffe, um überheblichen Pennerkindern eine Lektion zu erteilen! Erscheine, [Kachi Kochi Dragon]!“ Ja, dachte Anya zufrieden, damit hatte er sicher nicht gerechnet. Als sie damals ihr Deck umstellen wollte, hatte sie diesen alten Bekannten wiederentdeckt. Levrier hatte ihn letztlich in das von ihm erstellte Deck übernommen und Anya wusste nun zu schätzen, was ihr Dämon für sie getan hatte. Denn jetzt konnte sie ordentlich austeilen! Aus dem Boden brach unter lautem Getöse ein Drache, dessen gesamter Körper von einer schützenden Kristallschicht überzogen war. Auf allen Vieren stand er, streckte seine mächtigen Schwingen aus und brüllte stolz, als um ihn zwei Lichtsphären zu kreisen begannen.   Kachi Kochi Dragon [ATK/2100 DEF/1300 {4}]   „Damit hast du nicht gerechnet, was!?“, flötete Anya. „Erinnerst du dich an damals, als du mit deinem [Black Ray Lancer] Pearls Effekt negieren wolltest, obwohl er keinen hatte? Du wirst dir noch wünschen, dass du das jetzt könntest! [Kachi Kochi Dragon], greif ihn an! Primo Sciopero!“ Der Drache flog pfeilschnell auf Henrys Dinosaurier zu und zerteilte ihn mit einem Klauenschlag wie ein Messer die Butter. Die Explosion ließ Henry aufschrecken.   [Anya: 1100LP / Henry: 1400LP → 1300LP]   „Mit Pearl hättest du mehr Schaden angerichtet“, sagte er, hatte aber das ungute Gefühl, dass ihm noch etwas bevorstand. Und er sollte Recht behalten. „Irrtum, [Kachi Kochi Dragon] hat einen Effekt, von dem Pearl nur träumen kann! Wenn er ein Monster zerstört hat, kann er für ein Xyz-Material einmal pro Zug direkt nochmal angreifen! Also los!“ Anyas Monster fraß eine der Lichtkugeln um es herum und brüllte. „Secondo Sciopero! Beende es!“ „Niemals! Falle! [Damage Diet]! Sie halbiert den Schaden, den ich für diesen Zug erleide!“ Die Falle sprang vor ihrem Besitzer auf und stellte sich wie eine Mauer schützend vor ihn. Dennoch traf der Schlag des Drachens, als jener Henry angriff. Nämlich genau in die Brust und ließ ihn zurückweichen, da die Pranke einfach durch die Karte hindurch geglitten war. „Verdammter Kackmist“, fluchte Anya enttäuscht. Um eine Haaresbreite war sie am Sieg vorbei geschlittert!   [Anya: 1100LP / Henry: 1300LP → 250LP]   Aber sie war noch längst nicht am Ende ihrer Kräfte. Sie sah ihre Hand an, welche aus zwei Fallen und [Gem-Knight Fusion] bestand. „Ich setze drei Karten verdeckt. Du bist dran, Schnöselkind!“ Völlig gleich, ob er ein Penner oder Multimilliardär war, dieser Typ hatte sie mit seinen Worten beleidigt. Dafür würde er bluten müssen! Und dafür, dass er einen Keil zwischen sie und Abby geschlagen hatte. Dafür … erst recht! Kaum hatte Anya das gesagt, riss Henry förmlich die nächste Karte von seiner Hand. Er wusste, dass jetzt etwas Gutes kommen musste, wenn er dieses Spiel noch für sich entscheiden wollte. Ohne Isfanels Kräfte konnte er dies jedoch nicht beeinflussen. Was er aber ohnehin nicht wollte, denn um diesem egoistischen Mädchen eine Lektion zu erteilen, durfte er sich nicht auf ihr Niveau herablassen. „Das ist es“, sprach er leise, als er seine gezogene Zauberkarte betrachtete. „Ich aktiviere den Ausrüstungszauber [Symbol Of Heritage]! Wenn drei Monster desselben Namens auf meinem Friedhof liegen, kann ich eines davon reanimieren und mit dieser Karte ausrüsten! Also erscheine, [3-Hump Lacooda]!“ Eines von Henrys Kamelen tauchte wieder vor ihm auf. Um den Hals hatte es eine Kette mit einem Amulett hängen, in das ein gelber, ein roter und ein blauer Edelstein eingesetzt waren.   3-Hump Lacooda [ATK/500 DEF/1500 (3)]   „Und jetzt als Normalbeschwörung: [Grass Phantom]!“ Henry knallte förmlich seine letzte Karte auf die Duel Disk, woraufhin vor ihm eine grüne Kohlrübe auftauchte, aus deren Mund rosafarbene Tentakel lugten.   Grass Phantom [ATK/1000 DEF/1000 (3)]   „Ich habe noch einen Trumpf!“, rief Henry und schwang den Arm aus. „Ich erschaffe das Overlay Network!“ Seine beiden Monster wurden zu brauner und blauer Energie, die von dem sich öffnenden schwarzen Loch absorbiert wurde. „Land und Meer, Erde und Wasser, werdet eins! Steh mir bei, [Circulating Flow – The Gaia Cleaver]!“ Aus dem schwarzen Wirbel erhob sich eine eindrucksvolle Gestalt. Zwar hatte der Riese einen menschlichen Körperbau, doch bestand sein Körper aus purem, hellbraunem Gestein. Wie Venen flossen kleine Flüsse an seinen Armen und Beinen und in einer seiner Hände hielt der Gigant, der mit dem Kopf an die Decke des Klassenzimmers stieß, eine riesige Axt. Zwei Lichtsphären kreisten um ihn. „Fett“, staunte selbst Anya beim Anblick dieses Monsters. Oder eher seiner Angriffspunkte.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/3500 → 2000 DEF/2000 {3}]   „Huh!?“ Plötzlich gingen von den beiden Sphären Blitze aus. Der Riese schrie auf und rollte sich zusammen. Binnen eines Herzschlags hatte er eine kugelrunde Form angenommen, sah aus wie ein Planet. Beinahe wie die Erde! Anya blinzelte verdutzt. „Wieso hat das Teil Angriffspunkte verloren!?“ „Der Gaia Cleaver wird von seinem Xyz-Material versiegelt, wodurch seine Angriffskraft um deren Stärke sinkt.“   Verstehe. Da seine Materialien zusammen 1500 Angriffspunkte besitzen, hat dieses Wesen genauso viele Punkte verloren. Anya Bauer, das bedeutet aber auch, dass er nur seinen Effekt einsetzen und die Materialien wieder abkoppeln muss, um wieder stärker zu werden.   „So weit war ich auch schon“, zischte Anya leise. Unruhig starrte sie auf die mittlere ihrer drei gesetzten Karten. „Effekt des Gaia Cleavers aktivieren!“, rief Henry und zog das [Grass Phantom] unter seinem Xyz-Monster hervor. „Wenn du mindestens vier Karten kontrollierst, kann ich pro Zug eine davon zerstören!“ Plötzlich brach die Erdkugel, als eines der Xyz-Materialien in ihr verschwand, auf und verformte sich wieder zu dem Axt schwingenden Gesteinsriesen.   Circulating Flow – The Gaia Cleaver [ATK/2000 → 3000 DEF/2000 {3}]   Anya schnaufte nur. Nichts, womit sie nicht gerechnet hatte. Wieder fiel ihr Blick unauffällig auf die mittlere gesetzte Karte. Dann sah sie abwartend zu Henry auf. „Ein Monster und drei gesetzte Fallen. Wenn ich [Kachi Kochi Dragon] vernichte, würde ein direkter Treffer reichen, um zu gewinnen“, meinte Henry, „aber täte ich das, würde ich Gefahr laufen, das Opfer einer deiner Fallen zu werden. Den Drachen kann ich auch so beseitigen, auch wenn ich dann noch eine Runde warten muss, ehe ich dich besiegt habe. Aber anders als du überstürze ich nichts!“ „Was ist also deine Lösung, Einstein?“, fragte Anya herausfordernd. „Die Karte zu zerstören, die du die ganze Zeit anstarrst! Die in der Mitte!“ „Oh shit!“, stieß Anya erschrocken hervor. Der Riese warf seine Axt nach Anyas gesetzter Karte, welche durch einen geraden Schnitt in zwei Teile geteilt wurde und explodierte. Das Mädchen nahm sie daraufhin aus ihrer Duel Disk und grinste hämisch. Dabei nahm sie einen gespielten, weinerlichen Tonfall an. „Was soll ich denn jetzt ohne meine [Gem-Knight Fusion] machen!?“ „Noch ein Bluff!?“ „... bingo! Damit hast du nicht gerechnet, was? Meine Karten nützen mir selbst dann noch, wenn ich sie gar nicht aktivieren kann!“ Henry starrte das Mädchen ungläubig an. „Wieder so ein Trick? Du kannst wohl nicht anders … aber deinen [Kachi Kochi Dragon] wird das auch nicht retten! Gaia Cleaver, greife ihr Monster an! Earth Glaive!“ Der Riese musste nur einmal mit dem Fuß aufstampfen, um mehrere Felsspitzen aus dem Boden schießen zu lassen, die alle zusammen Anyas Drachen aufspießten. Brüllend explodierte das Monster, wobei dessen Besitzerin genervt aufschrie.   [Anya: 1100LP → 200LP / Henry: 250LP]   „Zug beendet“, sprach Henry trotz allem halbwegs zufrieden, „nun sind wir wieder fast gleichauf. Wenn nicht ausgerechnet du meine Gegnerin wärst, würde das sogar Spaß machen …“ „Tch! Denk nicht, dass ich so leicht aufgebe!“ Nebenbei nahm der Riese wieder seine Planetenform an. Die Arme verschränkend, schüttelte Henry den Kopf. „Tu ich nicht. Aber du solltest wissen, dass der Gaia Cleaver nicht von Monstereffekten zerstört werden kann, solange er Xyz-Material besitzt. Also versuch es gar nicht erst. Und denk gar nicht erst an einen Angriff, denn Gaia Cleaver kann bis zu 5000 Angriffspunkte einmalig abwehren. Sieh es ein, einen ganzen Planten kannst du nicht besiegen!“ „Was!? … pff, was auch immer.“   Damit war ihr Plan, das Ding sowohl mit [Gem-Knight Prismaura], als auch [Gem-Knight Ruby] zu zerstören gerade gestorben, dachte Anya genervt. Ihre einzigen Möglichkeiten, an dieses Ding heran zu kommen! Jetzt musste sie wirklich etwas Gutes ziehen, wenn sie noch eine Chance haben wollte. Außer den zwei Fallen besaß sie keine Karten mehr. Sie griff unschlüssig nach ihrem Deck.   Brauchst du meine Hilfe?   „... Hell no! Das werde ich alleine regeln! Draw!“ Nein, wenn sie dem Kerl beweisen wollte, dass sie auch ohne Hilfe gewinnen konnte, musste sie auf Levriers Fähigkeiten verzichten! „Nur ein Monster, mehr brauch ich nicht“, murmelte Anya leise und drehte die Karte langsam in ihrer Hand um. Nur um dann die Augen zu schließen. Und in die Luft zu springen. „Hell yeah!“ Dann widmete sie sich wieder ihrem Gegner. „Sorry Kumpel, sieht nicht so aus, als ob du hier noch mal Land gewinnst! Ich beschwöre von meiner Hand [Gem-Knight Sapphire]! Zusätzlich reanimiere ich durch meine Falle [Birthright] ein normales Monster von meinem Friedhof, nämlich [Gem-Knight Tourmaline]! Erscheint!“ Und das taten sie. Sowohl ein Ritter in blauer Rüstung samt darin eingebettetem Saphir, der einen Schwall aus gefrorenem Wasser erzeugte, als auch der Krieger des Turmalins in goldener Rüstung. Letzterer war aus einem Loch im Boden aufgetaucht, nachdem Anyas Falle aufgeklappt war.   Gem-Knight Sapphire [ATK/0 DEF/2100 (4)] Gem-Knight Tourmaline [ATK/1600 DEF/1800 (4)]   Es bedarf keiner Worte um zu wissen, was Anya vorhatte. Das Overlay Network öffnete sich abermals und absorbierte die Lebensessenzen ihrer Krieger. Kämpferisch rief Anya: „Erscheine, [Gem-Knight Pearl]!“ Aus dem schwarzen Wirbel trat ihr weißer Ritter hervor, dessen Waffen – seine sieben rosafarbenen Riesenperlen – ihm wie ein Rattenschwanz folgten, als er knapp bis an die Decke des Klassenzimmers stieg.   Gem-Knight Pearl [ATK/2600 DEF/1900 {4}]   „Das ist nicht einmal annähernd genug, um Gaia Cleaver gefährlich zu werden!“, protestierte Henry. „Mit deinem effektlosen Paktmonster erreichst du gar nichts!“ „Sagt wer?“ Anya hatte genug von diesem arroganten Mistkerl. Der würde jetzt sein blaues Wunder erleben! „Wenn du dachtest, ich würde nur einen Weg kennen, um ohne [Gem-Knight Fusion] zu fusionieren, hast du dich aber so was von geschnitten! Sieh her, meine letzte Fallenkarte! [Fragment Fusion]!“ Anyas Falle sprang auf und zeigte den weißen Ritter [Gem-Knight Crystal] in unendliche Leere fallend, wobei ein Wirbel aus Edelsteinen ihm folgte. „Hiermit kann ich von meinem Friedhof Monster verschmelzen, indem ich sie aus dem Spiel verbanne!“, erklärte Anya hitzig, griff nach ihrer Duel Disk und zog zwei Karten aus ihrem Friedhof, die sie in ihre Hosentasche steckte. „Der einzige Nachteil ist, dass das beschworene Monster am Ende des Zuges das Zeitliche segnet! Aber mehr brauche ich auch nicht! Mach dich bereit, ich entferne Garnet und den zweiten Tourmaline von meinem Friedhof! Garnet, du bist das Herz, Tourmaline, du die Rüstung! Vereint euch!“ Plötzlich tauchten überall im Raum die verschiedensten Edelsteine auf. Weiße Energielinien bildeten sich überall zwischen ihnen und boten eine spektakuläre Show. Doch vor Anya geschah etwas Besonderes, denn dort wurde ein regelrechtes Netz gebildet. Fast wie ein Loch mutete es an und das war es auch, als mit einem Mal ein Krieger in roter Rüstung daraus vor dem Mädchen auftauchte. „Endlich bist du hier, [Gem-Knight Ruby]!“ Mit wehendem, blauen Umhang und Lanze in der Hand, stand der Rubinritter direkt unter Pearl.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 DEF/1300 (6)]   „Und jetzt sieh zu und lerne! Ich opfere durch Rubys Effekt meinen Pearl, um Rubys Angriffspunkte um die von Pearl zu erhöhen! Zu mehr ist das nutzlose Ding eh nicht gut!“ Henry schreckte zurück. „Im Ernst!?“ „Aber so was von!“ Anyas Xyz-Monster löste sich in weißem Licht auf, welches von Rubys Lanze absorbiert wurde. Schließlich erglühte um den Ritter eine rosafarbene Aura.   Gem-Knight Ruby [ATK/2500 → 5100 DEF/1300 (6)]   Fassungslos starrte Henry den gestärkten Ritter an. „Das ist nicht wahr …“ „Tja, so ein Pech, was!? Dein dämliches Monster kann nur Angriffe blocken, die mit maximal 5000 Angriffspunkten ausgeführt werden! Sieht wohl so aus, als ob mein Ruby jetzt stark genug ist, um einen ganzen Planeten zu vernichten!“ Anya streckte zufrieden den Arm aus. Plötzlich wurde ihre Stimme ernst. „Du irrst dich. Abby ist für mich kein Anhängsel, sie ist die Einzige, die sich vorstellen kann, wie ich mich fühle! Und ja, verdammter Kackmist, ich bin eifersüchtig! Wie würdest du dich fühlen, wenn die einzige Person, der du vertraust, dir lauter Dinge verheimlicht!? Also hör gefälligst auf, dir einzubilden zu wissen, was andere Menschen fühlen! Kein Mensch kann jemals wissen, was der andere fühlt!“ Sie atmete ein letztes Mal tief durch, ehe sie befahl: „Los Ruby, Attacke! Sparkling Lance Thrust!“ „Pah … ist das ein schlechtes Omen oder was? Du und einen Planeten zerstören?“, fragte Henry plötzlich, als Anyas Monster auf den Gaia Cleaver zuraste und überging dabei bewusst ihren Appell. „Das lasse ich nicht zu! Von dir lasse ich mich nicht besiegen, niemals! Falle aktivieren!“ Erschrocken zuckte Anya zusammen. „Was!? Die habe ich total vergessen!“   Henry war erstaunt, gleichwohl aber auch rasend vor Wut. Dass dieses Mädchen es so weit gebracht hatte kam für ihn völlig überraschend. Vielleicht war sie wirklich nicht so dumm, wie er angenommen hatte? Aber selbst wenn das stimmte, änderte das nichts an ihrem Charakter. Allein ihn damit zu erpressen, Melinda etwas anzutun, war etwas, das er ihr niemals vergeben würde. Nein, sie würde seine Hilfe nicht erhalten, solange sie sich nicht grundlegend änderte! Zwar hatte er ursprünglich geplant, sie mit seiner letzten Fallenkarte unter Hilfe der [Damage Diet] auf seinem Friedhof zu besiegen, doch es war letztlich anders gekommen. Aber zumindest eins konnte er noch tun. „Ich aktiviere [Destruction Ring]! Jener vernichtet eines meiner Monster, um uns beiden 1000 Punkte Schaden zuzufügen!“ Anyas Gesichtszüge entglitten ihr regelrecht, als sie das hörte. Geschieht dir recht, dachte Henry sich dabei schadenfroh.   Noch bevor Ruby mit seiner Lanze den Planeten berührt hatte, explodierte dieser unter lautem Getöse von selbst und schleuderte den Krieger weit zurück. Anya wurde geblendet von dem grellen Licht und konnte nicht begreifen, was soeben geschehen war. Dieser Typ, er-   [Anya: 200LP → 0LP / Henry: 250LP → 0LP]   … hatte aus Verzweiflung tatsächlich ein Unentschieden provoziert. Die Hologramme verschwanden, sodass die beiden sich schließlich im Klassenraum gegenüber standen und in gebeugter, von der Anspannung hervorgerufener Haltung hasserfüllt anstarrten. „Das hast du wirklich gut gemacht!“, fauchte Anya garstig mit Schweiß auf der Stirn. Sie war so kurz davor gewesen, zu erfahren, wie sie den Pakt loswerden konnte. So nah dran!   Du hast gut gekämpft, Anya Bauer. Und damit meine Erwartungen an dich zum ersten Mal bei weitem übertroffen. Du warst deinem Gegner wahrlich ebenbürtig.   „Spar dir das, Levrier, ich habe nicht gewonnen!“, donnerte Anya aufgewühlt. Hätte sie doch nur bessere Karten gehabt, dachte sie dabei frustriert. Dann hätte sie ihn vielleicht besiegen können! Nur daran hatte es gelegen, ihr Spiel war besser denn je gewesen! Plötzlich stand Henry vor ihr und reichte ihr die Hand. „Gutes Spiel“, sagte er dabei steif. Allerdings wurde er dafür nur angeherrscht. „Was soll das jetzt!?“ „So zollt man dem anderen Respekt. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob du den verdient hast.“ Wütend schlug Anya seine Hand beiseite, wie schon beim letzten Mal, als sie sich duelliert hatten. „Deinen Respekt brauche ich aber nicht, Milchbubi!“ Die Hand sinken lassend, schüttelte Henry den Kopf. „Wie ich mir dachte, du hast tatsächlich nichts dazugelernt. Du bist vielleicht besser geworden, aber an deiner Einstellung hat sich nichts geändert.“ „Das ist nicht wahr.“   Die beiden drehten sich überrascht um, als Abby im Türrahmen stand. „Anya hat zum ersten Mal zugeben, dass sie verletzlich ist.“ Das Mädchen schritt auf die beiden zu und lächelte, wischte sich dabei mit einem Taschentuch eine Träne unter der Brille weg. „Ich hab die ganze Zeit alles mit angehört. Und ich finde es toll, dass du dir so viel Mühe gegeben hast, ohne dich von Levriers Fähigkeit abhängig zu machen, Anya.“ „Du bist nicht mehr wütend?“, fragte Anya skeptisch, als Abby vor ihr stand und lächelte. Jene schüttelte den Kopf. „Nein. Weil du recht hattest. Ich hätte dir diese Dinge nicht verschweigen dürfen. Und auch nicht hinter deinem Rücken mit Henry nach seiner Schwester suchen, obwohl du meine Hilfe genauso nötig brauchst.“ „Ich erinnere euch beide an unseren Deal“, mischte sich der brünette Kerl daraufhin ein. „Da Anya weder verloren, noch gewonnen hat, ändert sich nichts. Wenn ich Melinda gefunden habe, sage ich euch, wie ihr den Pakt brechen könnt. Eher nicht.“ Abby sah den jungen Mann daraufhin mit einem bedauernden Gesichtsausdruck an. „Tut mir leid, Henry, aber wir wissen bereits um diese Möglichkeit.“ „Was!?“, schoss es sowohl aus Anyas, als auch aus Henrys Mund. Nickend deutete Abby auf den Spross der Ford-Familie. „Deine Geschichte hat bestätigt, was Nick von Isfanel erfahren hat, als sie sich duelliert haben. Da Isfanel dein Paktdämon war. Er hatte gesagt, dass man den Tod überleben müsste. Und das hast du getan, nicht wahr?“ Henry rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Schätze die Katze ist damit aus dem Sack, was?“ „Stimmt das?“, fragte Anya, die sich nicht sicher war, ob sie überhaupt verstand, was da gerade abging. „Du bist 'ne Leiche?“ „Nein!“, widersprach Henry. „Aber es ist wahr, dass ich an der Schwelle des Todes stand. Es ist ...“ „Du kannst uns die Geschichte später erzählen“, unterbrach Abby ihn freundlich und richtete sich an Anya. „Aber vorher muss ich dir etwas zeigen. Erst dachte ich, es wäre keine gute Idee, bloß hast du schließlich ein Recht darauf, es zu sehen. Keine Geheimnisse mehr zwischen uns, nicht wahr?“ Neugierig kratzte sich Anya am Kopf. Damit war die Sache wohl ein für alle Mal erledigt – endlich! Brummig fragte sie: „Wenn du meinst? Um was geht es denn?“ „Valerie ist zurück“, antwortete Abby geheimnisvoll. „Und … du wirst es sehen, wenn du mitkommst.“ „Redfield? Pff, was interessiert mich Daddys kleine Prinzessin?“ „Sie wartet auf uns bei sich zuhause. Komm einfach mit, okay?“ Henry zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das geht mich nichts an. Ich verschwinde und suche weiter nach Melinda. Abby, wirst du mir trotzdem helfen?“ Das Mädchen nickte freundlich, aber zurückhaltend lächelnd. „Natürlich. Aber Anya ist auch meine Freundin.“ „Ich weiß. Wenn ich irgendetwas Interessantes erfahre, was Eden betrifft, teile ich es euch mit. Aber erwarte nicht, dass ich warm mit ihr werde.“ Anya stemmte wütend die Hände in die Hüften. „Gleichfalls! Und hey, was ist jetzt mit deinem kleinen Geheimnis?“ „Abby wird es dir erklären, da sie wahrscheinlich ohnehin schon alles durchschaut hat. Mehr müsst ihr auch nicht wissen, das ist Privatsache. Also dann, tschüss ihr beiden.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und hob die Hand zum Abschiedsgruß, während er das Klassenzimmer verließ. Als er weg war, seufzte Abby nachdenklich. „Ich ahne, was vorgefallen ist. Kein Wunder, dass er so plötzlich weg wollte. Darüber spricht man bestimmt nicht gern.“ Anya, die keine Ahnung hatte, wovon ihre Freundin da sprach, zuckte mit den Schultern. „Mir egal, der Typ geht mir auf die Eierstöcke.“ „Er ist kein schlechter Kerl, er macht sich nur Sorgen um seine Schwester.“ „Was auch immer. Was ist jetzt mit Redfield?“ „Ja … lass uns gehen.“   ~-~-~   „... und was macht eigentlich Nick?“, fragte Anya, während sie zusammen die letzten Meter Richtung der Villa der Redfields nahmen. „Keine Ahnung, er hat mir zwar zusammen mit Henry und Valerie erzählt, was vorgefallen ist, aber seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht versteckt er sich, weil er Angst hat? Du weißt ja wie Nick ist.“ „Wenn ja, werde ich ihn schon aus seinem Loch holen“, schnaubte Anya. Wenn sie eines hasste, dann waren es Schisser. Es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt noch lebte. Aber dass er sogar das Duell gewonnen hatte? Das zu glauben fiel ihr wirklich schwer. Nick doch nicht!   „Jedes Mal, wenn ich dieses Teil sehe, kommt die Pyromanin in mir hoch“, giftete Anya schließlich, als sie vor dem Grundstück der Redfields standen. Es war sehr farbenfroh gehalten. Überall wuchsen Rosenstöcke und andere Blumen, eine Hecke trennte an beiden Seiten das Grundstück von den Nachbarn. Das dreistöckige Gebäude hingegen war komplett weiß und ähnelte in seiner Form ein wenig jenem berühmten Haus, in dem sich die Präsidenten den Hintern wund saßen. Anya hasste es. Am Tor angelangt, betätigte Abby die Klingel. Kurz darauf meldete sich eine weibliche Stimme über Lautsprecher. „Ja bitte?“ „Hi Val-“ „Redfield? Ich hab gehört, du wolltest mich sehen?“, raunte Anya da schon in den Sprecher. „Anya? Du bist gekommen? Gut. Kommt rein“, antwortete Valeries Stimme tonlos und ein anschließendes Knacken deutete an, dass sie bereits aufgelegt hatte. Die Torflügel schwangen daraufhin auf, sodass die Mädchen über einen kleinen Kiesweg hin zur Haustür gelangten. Jene öffnete sich, noch bevor sie angekommen waren. Valerie schien sie wirklich zu erwarten, trat sie schließlich nach draußen und kam ihnen eilig entgegen. „Ich glaub, ich muss kotzen“, war Anyas erster Kommentar, als sie ihre geschworene Erzfeindin erblickte. „Was ist das da auf deinem Kopf, Redfield? Ein Propeller?“ Damit meinte sie die rosafarbene Schleife, welche das lange, schwarze Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Tadelnd zischte Abby: „Anya! Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für so etwas!“ „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, entgegnete Valerie der Blondine kalt. „Kommt bitte mit.“ Und so folgten sie dem Mädchen in die Villa. Anya hatte ihre lieben Mühen, nicht eine der vielen Antiquitäten, die Valeries Vater sammelte, unauffällig zu demolieren. Das ganze Haus sah von innen viel älter aus, als von außen. Alles war mit Holz ausgearbeitet, wirkte alt und viel eher wie eine überdimensional große Winterhütte, denn wie die Villa eines Bürgermeisters. Zumindest war das Anyas Meinung. „In die Küche“, sagte Valerie stocksteif und führte sie in ebenjene. Und als Anya sie betrat, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Dort, auf dem Tisch sitzend … „Was zur Hölle ist das denn!?“ „Oh, er hat wohl wieder Hunger. Zu dumm, bei Nick wird der Kühlschrank immer abgeschlossen, deswegen kommt er immer wieder hierher zurück.“ Anya wusste nicht, was das Ding dort war, das auf dem Esstisch der Familie Redfield saß und sich ein ganzes Tortenstück auf einmal in den Mund schob. Je länger sie es jedoch betrachtete, desto weniger wollte sie es wissen. „Darf ich vorstellen? Das ist Orion“, kicherte Abby. Der schwarze Schattengeist drehte sich zu den drei Mädchen um und starrte die Blondine mit seinen Kulleraugen an. Kurz musterte er ihre Statur, ehe er flötete: „Heiliger Mambajamba, ich glaub ich bin verliebt.“ Mit vorgehaltener Hand flüsterte Abby amüsiert zu Anya: „Das sagt er zu allen weiblichen Wesen.“ Orion hüpfte vom Tisch und lief auf Anya zu, was sich allerdings als fataler Fehler herausstellte, als diese ihn mit einem gezielten Kick gegen den Kühlschrank schleuderte. „Komm mir nicht zu nahe, du hässliches Ding!“ Von der Kühlschranktür herabrutschend, krächzte Orion. „Oh, eine Tsundere. Die liebe ich ganz besonders … aber diese hier ist irgendwie nur Tsun, kein bisschen Dere … Aua …“ „Redfield, was ist das für ein Ding!? Und was sucht es ausgerechnet bei dir!?“ „Joan hat mich zu ihm geführt. Er soll mich bewachen, wenn sie nicht da ist. Er ist ein Schattengeist, aber im Grunde ein guter Kerl … Hey! Nein Orion, wir machen unser Geschäft nicht in der Küche!“ Staunend sah Anya mit an, wie dieses Ding doch tatsächlich ein Häufchen auf Valeries teurem Parkettboden legte. Was ihm gleich die ersten Sympathiepunkte einbrachte. „Ich kacke dahin, wo's mir passt! Ich bin doch keine Katze, die-“ Doch schon war Valerie auf ihn zugestürmt und hatte ihn gepackt. „Du gehst jetzt schön auf dein Töpfchen!“ Mit dem laut protestierenden Orion verließ sie kurzerhand die Küche. Genervt murmelte sie im Vorbeigehen an die anderen beiden gewandt: „Bin gleich wieder da.“   Und kaum war Valerie um die Ecke verschwunden, wandte sich Anya enttäuscht an ihre Freundin. „Und deswegen hast du mich hierher gebracht?“ „Auch, aber-“ „Hi Anya, hi Abby.“ Anya drehte sich um. Und dieses Mal schien es, als würde ihr Herzschlag einen Moment aussetzen. Sie spürte, wie die Hitze in ihr aufstieg, war jedoch unfähig, etwas zu sagen, geschweige denn auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Das konnte nicht sein. Er war … „Hi Marc“, grüßte Abby den großen, kräftigen Footballspieler zurückhaltend. „Na, hast du Orion schon gesehen?“, fragte Marc Anya amüsiert, die es gerade noch so fertig brachte, zu nicken. „Ist schon ein komisches Kerlchen. Aber irgendwie lustig. Sein Stoffwechsel gibt mir aber zu denken.“ Einen Moment starrte der junge Mann irritiert das leere Kuchenblech auf dem Esstisch an. „Hat er den ganzen Kuchen gefuttert, den Valerie gebacken hat?“ „Ja, sieht so aus“, antwortete Abby ihm weiterhin schüchtern, dabei besorgt auf Anya schielend, die sich keinen Millimeter rührte. „Lass mich endlich runter“, kreischte jemand hinter Marc im Türrahmen. Valerie gesellte sich mit schockiertem Gesichtsausdruck zu ihm und ließ dabei glatt Orion fallen. Es war offensichtlich, dass sie nicht geplant hatte, dass Anya und Marc sich so begegneten. Wie in Trance sagte sie: „Anya, kann ich kurz mit dir unter vier Augen reden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, packte Valerie die Blondine am Handgelenk und zerrte sie davon. Anya ließ es sich kommentarlos gefallen. „Was ist denn mit denen los?“, wunderte sich Marc unbekümmert. „Hat das etwas mit Orion zu tun?“ „Nein“, antwortete Abby ihm betrübt. „Eher mit dir.“ Marc schob den Ärmel seines Pullovers beiseite. Zum Vorschein kam sein verblasstes Paktmal, das Langschwert, das eins mit einer Flamme wurde. „Also hiermit …“ „Unter anderem“, gab sich Abby weiterhin knapp. Tatsächlich machte sie sich große Sorgen, um das, was Anya jetzt bevorstand. Die glaubte schließlich, Marc getötet zu haben. Dass er nun wieder zurück war … Und nicht zuletzt hatten Valerie und sie seit damals nicht mehr miteinander gesprochen. Aber die Anspannung der Schwarzhaarigen hatte sie, seit sie zurück war, die ganze Zeit über gespürt und nun befürchtete Abby, dass jene Anspannung sich gegen Anya entladen würde. „Hoffentlich geht das gut“, murmelte sie nachdenklich.   ~-~-~   Kaum hatte Valerie die Tür ihres Zimmers geschlossen, rammte sie Anya mit voller Wucht gegen ebendiese. „Damit eins klar ist: was du jetzt erfährst, wirst du niemandem erzählen! Nicht Abby, nicht Nick, nicht einmal Marc! Absolut niemandem, verstanden!?“ Anya, die zu verwirrt war, um zu protestieren, nickte. „Gut!“ Valerie ließ jedoch nicht ab von Anya, presste sie eher noch härter gegen die Tür. „Marc lebt, du hast richtig gesehen! Ich habe ihn zurückgeholt!“ „Wie … wie hast du das angestellt!? Ich … dachte er sei …?“ „Ich habe sozusagen meine Seele dem Teufel verkauft, um ihm sein Leben zurückzugeben.“ Ihre Stimme wurde leise, fast kaum mehr hörbar. „Merk dir das hier gut: Marc erinnert sich nicht an die Dinge, die an jenem Tag geschehen sind, als du ihn kaltblütig getötet hast! Alle denken, er hätte deinen Angriff, beziehungsweise den Brand überlebt! Das bleibt auch so, verstanden!?“   Anyas Herz trommelte in ihrer Brust wie niemals zuvor. All die Erinnerungen, die sie verdrängen wollte, kamen zurück. Marc, der sie töten wollte, um Valerie davor zu bewahren, ein Opfer Edens zu werden. Marc, der es am Ende nicht geschafft hatte, das auch durchzuziehen. Marc, der lieber selbst sterben wollte, als sie umzubringen und sie provoziert hat, ihm den Gnadenstoß zu versetzen. Wieso lebte er wieder? Was hatte Valerie da bloß getan?   Jene redete ungehalten weiter: „Marc weiß nicht, dass er tatsächlich versucht hat, dich umzubringen. Für ihn ist jener Tag so verlaufen, als hätte Isfanel ihn verlassen, weil er nutzlos geworden ist. Diese Erinnerungen habe ich ihm einpflanzen lassen, damit er nicht an seinen alten Erinnerungen zerbricht. Er weiß aber sehr wohl, dass er darüber nachgedacht hat, dich zu töten. Deswegen …“ „W-“ „Komm ihm nicht zu nahe, klar!? Du hast ihn mir schon einmal genommen! Ich habe alles von Marc erfahren: von Eden und den Opfern, die erbracht werden müssen! Ich weiß, ich bin eines davon und nur deshalb werde ich dir helfen, diesen Terror zu beenden. Aber lass-ihn-in-Ruhe!“ Valeries Finger bohrten sich tief in Anyas Oberarme. „Sonst wirst du deines Lebens nicht mehr froh werden.“ Anya sagte nichts. Deshalb schüttelte Valerie sie heftig. „Hast du verstanden!?“ „Ja!“   Tief durchatmend ließ Valerie schließlich von Anya ab, fand ihre Fassung wieder. „Gut … ich habe einen großen Preis gezahlt, damit Marc wieder lebt. Mach das nicht kaputt!“ Wie denn, dachte Anya aufgewühlt. Sie verstand nichts von all dem, was heute geschehen war. Es war einfach zu viel! „Orion ist auch nicht Joans Bote, sondern eine Art Wächter, der den von mir gezahlten Preis einfordert, wenn die Zeit gekommen ist“, erklärte Valerie weiter. „Aber all das bleibt unter uns!“ „Warum erzählst du mir das überhaupt!?“ „Damit du dir deiner Verantwortung bewusst bist! Nicht nur Marc hat eine neue Chance bekommen, sondern auch du! Was du getan hast, werde ich dir niemals vergeben! Aber zumindest hast du jetzt die Chance, dir selbst zu vergeben!“ „Aber-“ „Geh jetzt, Anya! Melde dich nur bei mir, wenn es wirklich wichtig ist! Ich kann deinen Anblick nicht länger ertragen!“ Wortlos kam die Blondine der Aufforderung nach und verließ Valeries Zimmer. Unwissend, was sie jetzt tun sollte. Marc war zurück … und mit ihm all die Probleme, denen sie zuvor aus dem Weg gegangen war.     Turn 22 – What I Didn't Dream About Jeannie Zwei Tage sind vergangen, seit Anya die Wahrheit über Valeries Verschwinden erfahren hat. Unverhofft meldet sich Matt bei ihr und scheint einen Weg gefunden zu haben, wie sie den Pakt mit Levrier brechen kann. Durch einen Jinn, demselben Fabelwesen, welches angeblich jedem, der seine Lampe besitzt, drei Wünsche gewährt. Anya, die zunächst skeptisch ist, begleitet Matt auf den Weg zum Aufenthaltsort der Lampe. Doch die Dinge geraten völlig aus dem Ruder, als … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)