Zum Inhalt der Seite

Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Turn 10 - Hands Off My Prey

Turn 10 – Hands Off My Prey

 

 

Abby war auf die Knie gefallen und wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Wie lange willst du noch heulen?“, fragte der Dämonenjäger Matt harsch und starrte verächtlich von dem Schrotthügel, auf dem er stand, auf seine Gegnerin herab.

Die erhob sich und blickte zu Anya, die in ihren Käfig aus purem Licht im Schneidersitz saß und dabei etwas murmelte. Da jedoch kein Laut aus ihrem Gefängnis hervor drang, blieben den beiden Duellanten ihre unschönen Flüche erspart – auch wenn Abby sie, zum ersten Mal seit sie denken konnte, vermisste. Dann hätte sie wenigstens das Gefühl, nicht vollkommen allein zu sein.

Neben Matt schwebten an großen Lichtkreuzen genagelt, ein kleiner Junge – Abbys Stiefbruder Michael – und Nick. Und sie musste sich zwischen ihnen entscheiden. Verlor sie, würde Michael sterben, gewann sie, traf es Nick. Eine Wahl, die sie einfach nicht treffen konnte. Und erst recht nicht wollte.

 

[Abby: 2900LP / Matt: 5000LP]

 

Abby kontrollierte nur [Naturia Rosewhip], die kleine Rose vor ihren Füßen.

 

Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]

 

Matts Feld hingegen war, abgesehen von einer verdeckten Karte, sogar komplett leer. Und es war Abbys Zug. Zögerlich fügte sie ihrer Hand eine neue Karte hinzu und schluckte, während sie auf zittrigen Beinen aufstand.

„Was ist? Wie lange willst du noch Maulaffen feil halten? In einem richtigen Kampf wirst du keine Zeit haben, um dich selbst zu bemitleiden!“

Abby zuckte zusammen. „J-ja … ich beschwöre … [Naturia White Oak].“

Neben ihrer Rose wuchs ein großer Baum mit einem lächelnden Gesicht aus dem Boden.
 

Naturia White Oak [ATK/1800 DEF/1400 (4)]

 

Ängstlich kaute Abby an ihren Fingernägeln. Sollte sie -es- tun?

„Worauf wartest du!?“, brüllte Matt sie herzlos an.

Das Mädchen schloss die Augen. „O-okay! I-Ich … ich … ich stimme meine Stufe 3 [Naturia Rosewhip] auf meine Stufe 4 [Naturia White Oak] ein.“ Sie stockte. „Oh great god of the north … Give us shelter within your soul … Synchro Summon … Be born … [Naturia Landoise] …“

Ihre beiden Monster flogen in die Luft, wo Abbys Rose in drei grüne Ringe zersprang, in die ihre Eiche eintauchte. Dann gab es einen Lichtblitz.

Gestein brach aus dem Boden vor Abby hervor. Es formte eine riesige Schildkröte mit moosüberzogenem Panzer, auf welchem sogar ein Baum thronte.

 

Naturia Landoise [ATK/2350 DEF/1600 (7)]

 

Abby streckte den Arm aus. „Und nun greife-“

Aber sie zog ihn wieder zurück. Nein, denn wenn sie jetzt angriff, würde sie Michaels Leben über dem von Nick stellen. Sie war nicht Gott, sie durfte nicht entscheiden, wer leben und sterben durfte! Schon gar nicht, wenn es dabei um die Menschen ging, die ihr wichtig waren.

„Ich beende meine Battle Phase“, murmelte sie kaum verständlich, „und aktiviere [Naturia Forest], einen Spielfeldzauber. Dazu setze ich noch eine Karte verdeckt und beende meinen Zug.“

Überall um sie herum wuchsen Sträucher, Bäume und Gras. Die Müllhalde verwandelte sich in einen grünen Ort voller Leben, überall versteckten sich Naturia-Monster und sahen dem tragischen Schauspiel zu. Abby, die noch zwei weitere Handkarten besaß, fühlte sich anders als sonst nicht geborgen im Refugium ihrer Lieblingsmonster.

Matt, der jetzt auf einem Erdhügel stand, donnerte: „Was soll das!? Du besitzt ein starkes Monster, während meine Lebenspunkte völlig ungeschützt sind, und greifst nicht an!?“

Abby schwieg.

„Wie selbstsüchtig bist du eigentlich!? Du willst wirklich, dass ich entscheide, welcher deiner geliebten Menschen stirbt? Du willst nichts tun, um wenigstens einen zu retten!?“

„Nein!“, begehrte Abby auf. „Hör auf! Lass sie doch bitte gehen! Du weißt, dass ich dir nicht helfen kann!“

„Vergiss es! Das sind die Regeln dieses Spiels! Du kannst doch nicht ernsthaft einen anderen darüber entscheiden lassen, wer es wert ist, gerettet zu werden!“
 

Abby zuckte zusammen. Sie wusste, dass ihr Gegner recht hatte. Und doch! Sie konnte nicht wählen. … oder? Blieb ihr denn überhaupt eine andere Wahl? Was würde geschehen, wenn Matt sich entschied, dass das alles zu nichts führte? Er würde … beide töten! Und das wäre noch hundertmal schlimmer.

Hilflos sah sie die beiden Gefangenen an, die an den Kreuzen hingen. Welcher von ihnen hatte es verdient, weiterzuleben? Beide! Aber … das stand nicht zur Debatte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Michael … war ein kleiner Junge, der noch sein ganzes Leben vor sich hatte. Nick hatte zumindest das erste Viertel seines Lebens glücklich verbracht. Aber Michael? Er hatte eine Zukunft verdient.

Das war nicht fair! Sie … musste ihren Bruder wählen. Eine emotionale Wahl konnte sie nicht treffen, also musste es eine rationale sein. Und ihr Verstand sagte ihr, dass die Argumente für ihren Stiefbruder besser waren.
 

„Verzeih mir … Nick …“, murmelte sie, als sie sich entschieden hatte. „Bitte … verzeih … mir.“

„Sieht so aus, als hättest du dich endlich mit dir geeinigt. Gut! Dann können wir ja jetzt weitermachen!“, sprach Matt, als würde ihn das alles gar nicht berühren. Er zog auf sechs Handkarten auf und rief: „Mein Zug! Ich beschwöre [Steelswarm Cell] von meiner Hand als Spezialbeschwörung, da ich keine Monster kontrolliere!“

Vor ihm und seiner gesetzten Karte tauchte ein dicker, schwarzer Käfer auf. Aus seinem kreisrunden, von spitzen Zähnen besetzten Maul kamen unheimliche, schrille Laute hervor.

 

Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)]

 

Abby versuchte mit aller Macht, die Tränen zurückzuhalten. Sie musste sich jetzt konzentrieren und gewinnen, damit wenigstens Michael nichts geschah. Das schlechte Gewissen gegenüber Nick war jedoch so erdrückend, dass sie kaum atmen konnte.

„Wie du weißt, habe ich letzte Runde meinen [Steelswarm Girastag] auf die Hand zurück gerufen! Nun biete ich Cell als Tribut an, wobei Girastag, wie du ebenfalls weißt, trotz seiner hohen Stufe nur ein Tribut erfordert, solange dieses eines seiner Artgenossen ist. Erscheine!“

Der kleine, kugelrunde Käfer verschwand. Dann war es plötzlich wieder da. Dieser humanoide, schwarze Käferdämon mit dem Kanonenarm. Wütend peitschte sein bestialischer Schweif über das Gras.
 

Steelswarm Girastag [ATK/2600 DEF/0 (7)]

 

„Effekt aktivieren! Wenn Girastag beschworen wird und sein Opfer ein Steelswamer war, lege ich eine deiner Karten auf-“

„Nein“, erwiderte Abby leise, aber bestimmend. „Ich kontere mit Landoises Fähigkeit! Indem ich eine Zauberkarte“, sie zeigte [Landoise's Luminous Moss] vor, „abwerfe, kann ich die Aktivierung eines Monstereffekts verhindern und besagtes Monster zerstören!“

Matt schreckte zurück, als Landoise ein ohrenbetäubendes, tiefes Gebrüll von sich gab und sein Monster damit zum Explodieren brachte. Gleichzeitig stiegen hunderte kleiner Lichtfunken rund um den Wald auf.

„Wenn ein Karteneffekt annulliert wird, kann ich dank [Naturia Forest] ein Naturia-Monster mit einer Höchststufe von 3 von meinem Deck meiner Hand hinzufügen“, erklärte Abby und zeigte die Stufe 3 [Naturia Marron] vor.

Ihr Gegner lachte. „Verdammt, da habe ich mich wohl verschätzt! Aber hey, wenn du dir Mühe gibst, bist du gar nicht so übel!“

„Das ist alles deine Schuld!“, klagte Abby ihn bitter an. „Wenn du nicht wärst-“

„Ich bin aber! Und ich werde auch nicht so schnell wieder verschwinden! Und um dir das zu beweisen, aktiviere ich jetzt meine [Swords Of Revealing Light]! Mit ihnen-!“

„Konterfalle, [Exterio's Fang]!“, donnerte Abby aufgewühlt. „Mit ihnen annulliert eines meiner Naturia-Monster jede beliebige Zauber- oder Fallenkarte! Nur muss ich dafür eine Karte abwerfen!“

Sie nahm [Glow-Up Bulb], ein Monster, und legte es auf den Friedhof. Das Abbild der Zauberkarte vor Matt zersprang, bevor Abby von den Lichtschwertern eingekreist werden konnte.

„Dazu erhalte ich aufgrund des Effekts von [Naturia Forest] wieder ein Naturia-Monster von meinem Deck! [Naturia Fruitfly], Stufe 3!“

Matt zog die Stirn kraus und starrte aus funkelnden Augen auf seine Gegnerin herab. „Junge, du kannst ja richtig garstig werden! Aber wie heißt es so schön? Beurteile niemanden allein nach dem Aussehen. Nun denn, ich setze eine Karte verdeckt und beende den Zug.“

Neben seiner ersten, verdeckten Zauber- oder Fallenkarte erschien nun noch eine zweite.

 

„Macht dir das Spaß?“, klagte Abby bitter und sah ihm fassungslos in die Augen. „Macht es dir Spaß, mich so zu quälen? Nur weil du willst, dass ich-“

Sie sah zu Anya herüber. Ihre Freundin war so ahnungslos und hockte frustriert in ihrem Lichtkäfig. Die Blondine bemerkte ihren Blick, fuhr sich mit dem Finger über die Kehle und deutete auf Matt.

Dieser antwortete auf die Frage hin: „Nein, bestimmt nicht. Aber ich habe lernen müssen, dass man manchmal zum Mörder werden muss, um andere zu beschützen.“

„Was soll das heißen!?“, fragte seine Gegnerin aufgebracht. „Dass es okay ist, über Leben und Tod zu entscheiden, nur weil es einem gerade so in den Kram passt!?“

Das war nicht die Welt, in der Abby leben wollte. Jedes Lebewesen war ihrer Ansicht nach gleichberechtigt und jemand wie Matt, der ganz offenherzig über andere richten wollte, war für sie die Verkörperung eines wahren Dämons. Obwohl er von sich behauptete, jene zu jagen. Er war viel schlimmer …

„In den Kram passt!?“, donnerte der Schwarzhaarige ungläubig. „Denkst du, ich habe meinen Vater ermordet, weil mir gerade danach war!?“

Abby erstarrte. „W-was … ?“

„Du hörst schon richtig“, erwiderte Matt bitter und ließ den Kopf hängen. „Vor sechs Jahren. Er war … ein mieser Scheißkerl. Hat meine Schwester geschlagen. Jahrelang. Niemand hat davon gewusst, nicht mal unsere Mutter. Als sie es herausfand, hat er auch bei ihr angefangen und sie … hat sich kurz darauf umgebracht. Von da an waren Sophie und ich diesem Etwas ausgeliefert.“

 

Dem Mädchen stockte der Atem. Dieser Mensch vor ihr, er hatte sein eigen Fleisch und Blut auf dem Gewissen. Egal, was die Hintergründe waren, er hatte einfach Selbstjustiz ausgeübt und seinen Vater ermordet.

Wo sie doch alles dafür geben würde, um ihre leiblichen Eltern noch einmal sehen zu können …

 

Matt starrte Abby hasserfüllt an, doch das Funkeln in seinen grauen Augen galt nicht ihr, sondern seinen Erinnerungen. „Du kannst dir sicherlich denken, was dann passiert ist? Manche Dinge sind unvermeidlich, das habe ich dir schon neulich erklärt. Ich musste ihn umbringen, sonst hätte neben dem Grab unserer Mutter irgendwann noch Sophies Grab gestanden.“

„Aber das gibt dir doch kein Recht-!“

„Das Recht ist nicht immer auf der Seite der Schwachen!“, polterte er aufgewühlt und streckte weit die Arme aus. „Denkst du denn, die Polizei hätte irgendetwas unternommen? Wenn mein Vater doch alle Fäden in der Hand hatte!? Ja, ich habe ihn umgebracht! Aber ich hatte keine Wahl! Meiner Schwester geht es jetzt gut, weil ich mich für sie geopfert habe! Dafür musste ich meine Freundin Tara zurücklassen, bin jahrelang untergetaucht und jedes Mal erstarrt vor Angst, wenn ich Polizisten gesehen habe!“

„Und jetzt willst du mich dazu zwingen, dasselbe durchzumachen!?“, fragte Abby atemlos.

„Ich habe dir schon gesagt, was ich dir verständlich machen möchte! Dass man manchmal keine andere Wahl hat!“

„Man hat immer die Wahl!“

Matt lachte höhnisch auf. „Das ist doch naiv …“

 

Abby spürte, wie ihr Herz wild in ihrer Brust trommelte. Dieser Dämonenjäger, er war völlig durchgedreht! So selbstgerecht über sein Verbrechen zu reden, zu glauben, dass das der einzige Weg gewesen sei, seine Schwester zu beschützen. Natürlich musste man die Familie beschützen, doch nicht, indem man seinen Vater umbringt!

Dem Mädchen standen die Tränen in den Augen. Dieser Dummkopf wusste gar nicht, wie kostbar die eigene Familie war. Warum hatte er nicht versucht, mit seinem Vater zu reden? Für dessen Verhalten musste es doch schließlich einen Grund gegeben haben!

Sie wäre überglücklich, wenn ihre leiblichen Eltern noch leben würden. Aber die waren gestorben, als Abby noch ein kleines Kind gewesen war. Bei einem Autounfall, den sie als Einzige überlebt hatte. Ihr Bruder, ihre Mutter, ihr Vater … sie konnte sich kaum an sie erinnern. Nur Bilder waren ihr geblieben, als die befreundete Familie Masters sie bei sich aufgenommen hatte. Sie behandelten sie wie ihre eigene Tochter und doch war sie immer ein Außenseiter gewesen. Das adoptierte Kind, die durchgeknallte Abby, die dauernd ihren Lebensstil änderte, weil sie nicht wusste, wo sie hingehörte.

Sie ballte eine Faust. Was wusste dieser Kerl vom Wert eines Leben!? Wie selbstgerecht konnte man sein, um nicht nur die eigene, sondern auch andere Familien ins Chaos zu stürzen!? Dachte er denn nicht an Nicks Eltern, wenn sie erfuhren, dass ihr Sohn ums Leben gekommen war? Nur wegen einer sinnlosen Lektion, die dieser Abschaum ihr erteilen wollte? Sie hasste ihn! Nie hatte sie gegenüber einem Menschen derart viel Abscheu empfunden, wie es bei Matt der Fall war.

Sie wünschte sich, dass er … dass dieser … einfach … !

 

Ohne Vorwarnung stieß sie einen schrillen Schrei aus. Es brannte, ihr ganzer Körper brannte wie Feuer. Sie bekam keine Luft mehr, hielt sich den Hals und röchelte. Ihr wurde schwarz vor Augen, doch Abby bemühte sich um Halt, torkelte einen Schritt zurück.
 

Derweil konnte Anya nicht glauben, was sie gerade mitansah. Man konnte sie selbst durch den Käfig aus Licht zwar nicht hören, aber sie hingegen verstand jedes Wort von außen. Und der Schrei ihrer Freundin bereitete selbst der Blondine eine Gänsehaut.

Viel mehr aber noch, was mit ihr geschah. Eine leuchtend blassgelbe Aura breitete sich um Abby aus, ihr Haar begann zu wachsen. Wie Schlangen bewegten sich die einzelnen Strähnen in der Luft, peitschten und verloren immer mehr an Farbe.

Dann kam die Druckwelle. Anya wurde aus ihrem Schneidersitz gerissen und hart gegen die Stäbe ihres Gefängnisses gepresst.

„Alter, was geht'n hier ab“, ächzte sie unter dem starken Sturmwind.
 

Deine Freundin! Sie ist eine Sirene!

 

„Eine was!?“

 

In ihren Adern fließt das Blut der Sirenen. Ich habe es nicht bemerkt, weil es bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht aktiv war, aber Abby ist zur Hälfte eine Sirene. Ihre Mutter muss ein Reinblut gewesen sein, sonst könnte das Kind seine Kräfte nicht erwecken.

 

„Und was ist 'ne Sirene? Ist das was Gutes?“ Anya spürte dabei unter Schmerzen, wie sie mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe gepresst wurde.

Auch Matt musste mit dem Sturm kämpfen. Er hielt sich mit wehendem Mantel die Arme vor das Gesicht, sein schwarzes Haar war nicht zu bändigen.

 

Sirenen sind unglaublich mächtige, gleichwohl aber seltene Geschöpfe. Schon seit Jahrhunderten hört man nichts mehr von ihnen, da sie von Dämonenjägern gejagt wurden und infolgedessen untertauchen mussten. Es dürfte heute nicht mehr als eine Handvoll von reinblütigen Sirenen existieren.

 

„Warum hat Abby nie ein Wort gesagt!?“

 

Weil sie selbst nicht um ihr Geheimnis gewusst zu haben schien. Hüte dich, Anya Bauer, denn Sirenen sind sehr gefährlich. Sie kennen in der Regel weder Freund, noch Feind und ziehen die Unachtsamen in ihren Bann. Meide direkten Blickkontakt, wenn du ihr nicht verfallen willst, denn es ist zu bezweifeln, dass dieses Mädchen ihre Kräfte zu beherrschen weiß!
 

„Ich bin doch nicht lesbisch!“

 

Eine Sirene macht keinen Unterschied zwischen Mann und Weib. Hüte dich vor ihr, denn ich kann dich nicht vor ihr schützen! Selbst als Halbblut ist sie unglaublich gefährlich!

 

Der Sturm verebbte langsam. Doch noch immer tanzte ein Teil Abbys neuer, weißer Haarpracht durch die Luft. Einige Strähnen hatten sich um ihr hellbraunes Kleid gewickelt, andere um ihre Arme.

Sie drehte sich zu Anya um, wobei ihre getönte Brille auf den Boden fiel. Ihrer Freundin hingegen fiel beim Anblick Abbys die Kinnlade herab. Deren runde Gesichtszüge waren noch immer dieselben, doch auf gewisse Weise viel feiner und schärfer als zuvor. Die Lippen hingegen hatten einen hauchzarten, blauen Teint bekommen, was aber nichts gegen die Augen war. Rosa waren sie, Schlitzaugen und voller Stolz. Anya spürte instinktiv, dass Levriers Warnung ernstzunehmen war und folgte ihr, indem sie sofort wegsah.

Die Sirene schnippte mit den Fingern, deren Nägel um Einiges gewachsen waren. Neben Matt verschwanden die beiden Kreuze samt der Geiseln und tauchten je links und rechts neben Anyas Käfig wieder auf.

„Alter Falter“, staunte die. „Das ist ja mal fett!“

 

Derweil schreckte Matt zurück. „Auch das noch! Du bist eine Sirene!?“

Süffisant grinste die neue Abby. „Die Spielregeln haben sich geändert“, hauchte sie mit widerhallender, verführerisch tiefer Stimme. „Jetzt werde ich -dir- eine Lektion erteilen.“

Ihrem Gegner lief der Schweiß von der Stirn. Er wusste, dass er sie nicht zulange anstarren durfte, wenn er nicht ihrem Zauber erliegen wollte.

„Warum machen wir nicht weiter?“, fragte die Sirene und deutete auf das Spielfeld mit ihren abnormalen, langen Fingern. „Nur bist du jetzt meine Beute.“

„Dir ist klar, dass ich dich jetzt töten muss, oder?“, presste Matt in seiner Aufregung hervor.

 

Er hatte ja mit vielem gerechnet, aber dass hier? Das war selbst für ihn eine Nummer zu groß! Selbst Alastair hatte noch nie gegen eine Sirene gekämpft! Aber an Flucht war gar nicht zu denken, denn wenn Anya sich mit ihr verbündete, würde das sein und Alastairs Vorhaben, Anya Bauer zu vernichten, um Einiges erschweren. Er hatte praktisch keine andere Wahl als sich ihr zu stellen.

 

„Warum musst du mich denn töten? Weil ich kein Mensch bin? Ist alles Unnormale, Unbegreifliche schlecht? Verdient es den Tod, nur weil du es fürchtest?“

„Du bist ein Monster! Solche wie du töten völlig grundlos Unschuldige!“

„Und das weißt du mit solcher Sicherheit?“ Sie lächelte kalt. „Aber wenn du so sehr daran glauben möchtest, werde ich dich nicht enttäuschen.“

„Wenn du meinst …“ Er musste sich ihren Worten verschließen, oder er wäre verloren! „Spiel weiter!“

 

Die Sirene nickte. „Ganz wie du wünscht. Mein Zug beginnt.“

Allein mit ihren Fingernägeln zog sie die nächste Karte und lächelte finster. Dann aktivierte sie sie. „Ich benutze [Monster Reborn], oh, welch ein ironischer Zufall, und belebe [Naturia Rosewhip] von meinem Friedhof wieder. Genau, wie ich wiedergeboren wurde.“

Vor ihren Füßen wuchs die kleine Rose aus dem Boden und grinste fröhlich. Abby bückte sich zu ihr und streichelte mit verträumter Mimik über die roten Blätter.

 

Naturia Rosewhip [ATK/400 DEF/1700 (3)]

 

Matt stöhnte leise. „Verdammt, sie benutzt ihre Kräfte, um aus Illusionen Realität zu machen. Und sie kann meine Zauber neutralisieren … das ist schlecht.“

„Exakt“, antwortete seine Gegnerin mit ihrer widerhallenden, rauchigen Stimme. „Damit du den Schmerz spürst, den du mir zufügen wolltest.“

„Du machst mir keine Angst!“, entgegnete er mutig.

„Wart es nur ab“, hauchte sie ihm jedoch zwinkernd entgegen und nahm eines ihrer beiden Monster aus ihrer Hand hervor. „Erscheine, [Naturia Fruitfly]!“

Eine kleine Fliege summte um Abby herum. Ganz ihrem Namen nach bestand ihr Körper aus Trauben und einer Erdbeere – eine wahre Fruchtfliege.

 

Naturia Fruitfly [ATK/800 DEF/1500 (3)]

 

„Dann lass uns sehen, was du hiervon hältst“, murmelte die Weißhaarige geheimnisvoll und streckte den Arm in die Höhe. „Ich stimme meine Stufe 3 [Naturia Rosewhip] auf meine Stufe 3 [Naturia Fruitfly] ab! Oh great god of the east! Scare my enemies with your mighty presence! Synchro Summon! Descent down, [Naturia Barkion]!“

Ihre Rose zersprang in drei grüne Lichtringe, die die Fliege durchquerte. Ein Lichtstrahl ließ jene anwachsen und machte aus ihr einen eindrucksvollen, schlangenhaften Drachen. Dieser brüllte majestätisch, während sich der Kamm aus Holzrinde auf seiner grauen Haut bewegte.

 

Naturia Barkion [ATK/2500 DEF/1800 (6)]

 

Er gesellte sich zu [Naturia Landoise].

Matt wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Na toll! Noch so eins …“

Indes zeigte Abby ausdruckslos in ihrer neuen Schönheit auf ihren Gegner. „Los meine Monster, direkter Angriff auf seine Lebenspunkte! Lehrt ihn, Respekt vor Mutter Natur und all ihren Geschöpfen zu haben, ob Dämonen oder Menschen!“

Doch der Schwarzhaarige grinste nur selbstsicher. Er schwang seinen Arm aus. „Dazu wird es nicht kommen! Ich aktiviere [Call Of The Haunted]! Damit kann ich ein x-beliebiges Monster von meinem Friedhof reanimieren, solange meine Falle wirkt! Und dieses Monster wird [Steelswarm Girastag] sein!“

Die Sirene aber schüttelte den Kopf. „Ich habe andere Pläne. [Naturia Barkion], annulliere seine Falle! Ich verbanne zwei Karten von meinem Friedhof, um deinen Effekt zu aktivieren!“

Sie hielt die Zauber [Landoise's Luminous Moss] und [Gaia Power] zwischen ihren langen Fingernägeln und schob sie in einen Extraschlitz unter dem Friedhof ihrer schwarzen Duel Disk. Matts Falle zersprang nach einem eindrucksvollen Gebrüll des grauen Drachen.

„Verdammt!“, schrie der und sah sich plötzlich zwei riesigen Monstern gegenüber.

Die Schildkröte stampfte nur einmal mit dem Fuß auf, um die Erde erbeben zu lassen. Zeitgleich verpasste Abbys Drache Matt einen schmerzhaften Hieb mit dem Schweif, der ihn mehrere Meter weit über den Hügel schleuderte.

Hart schlug er auf das Gras auf, welches nur ein Hologramm war und tatsächlich Schrott überdeckte und rollte den ganzen Hang hinab. Einen Schmerzensschrei von sich gebend, blieb er hinter dem getarnten Schrottberg liegen.

 

[Abby: 2900LP / Matt: 5000LP → 150LP]

 

Fassungslos zog er sich eine große Scherbe aus dem linken Oberschenkel. Blut sickerte unter seiner schwarzen Hose hervor. Er stöhnte vor Schmerz, denn der Fall hatte ihm gewiss einige Rippen gebrochen und schlimme Prellungen zugefügt. Seine rechte Wange war blutverschmiert.

Trotzdem stand er auf und schleppte sich den Hügel hinauf, bis er wieder an der Spitze stand, vor seiner verdeckten Karte.

„Netter Treffer“, lobte er die Sirene kühl. „Aber so leicht kippe ich nicht aus den Latschen.“

Abby lächelte nur wissend. „Das will ich auch gar nicht.“ Sie zeigte zwischen ihren Fingern eine Monsterkarte hervor. „Da ich abermals die Aktivierung einer deiner Karten annulliert habe, schenkt mir [Naturia Forest] ein Monster. [Naturia Cosmobeet] wird es genannt. Damit beende ich meinen Zug, indem ich eine Karte setze.“

„Auch besser so … für mich“, lachte Matt selbstironisch, als sich die Karte vor Abby materialisierte.

 

Anya indes staunte wahre Bauklötze, während sie mitansah, wie Abby mit diesem Dreckskerl umging. Gut, sie sah jetzt zwar aus, als wäre sie der „Rocky Horror Picture Show“ entsprungen, aber solange sie diese fiese Kröte zu Gulasch verarbeitete, war Anya das nur recht.

 

Die Kraft des Käfigs wird schwächer. Vermutlich, weil dieser Matt schwere Verletzungen erlitten hat. Gib mir noch ein wenig Zeit, dann befreie ich dich.

 

„Beeil' dich 'n bisschen!“, schnauzte Anya Levrier an. „Ich will auch noch was von dem abhaben, 'kay?“
 

Ich tue schon mein Bestes. Etwas mehr Dankbarkeit wäre angebracht.

 

„Klappe!“ Das Mädchen verschränkte im Schneidersitz die Arme. „Wenn das so weitergeht, dreht Abby noch völlig durch …“

 

Höre ich da Besorgnis in deiner Stimme?
 

„Keine Ahnung, was du meinst! Und jetzt mach hinne, mir jucken schon die Finger!“

Anya war sich nicht sicher, ob sie Abby überhaupt noch beruhigen konnte. Was, wenn sie jetzt für immer in dieser Form bleiben würde? Wäre sie dann überhaupt noch ihre Freundin? Sie war so verdammt anders als Sirene …

 

Während die Blondine sich den Kopf über Abbys Situation zerbrach, hatte Matt ganz andere Sorgen. Er zog von seinem Deck und musterte nervös sein Blatt. Er musste diesen Albtraum beenden, schnell! Und er musste Abby töten, egal wie schwer es ihm fallen würde. Sie war nicht mehr die, die er gestern kennengelernt hatte. Alles hatte sich mit einem Schlag verändert! Das Mädchen war jetzt eine Kreatur der Finsternis, wie Alastair sagen würde. Und es war ihr Job als Dämonenjäger, die Menschen vor solchen wie diesen zu beschützen!

„Okay“, murmelte er leise. „Ich aktiviere den Zauber [Recurring Nightmare]! Damit erhalte ich zwei Finsternis-Monster von meinem Friedhof. Die einzige Bedingung dabei ist, dass sie 0 Verteidigungspunkte haben dürfen. So wie [Steelswarm Cell] und [Steelswarm Girastag]!“

Tief durchatmend fügte er sie seinem Blatt hinzu. „Du solltest wissen, dass Girastag nur eine meiner besseren Karten ist. Jetzt wirst du eine weitere kennenlernen! Doch zunächst beschwöre ich Cell, da ich keine Monster kontrolliere, von meiner Hand als Spezialbeschwörung! Danach reanimiere ich [Steelswarm Scout] durch den Zauber von [Monster Reborn], da ich noch eine Karte in meiner Backrow kontrolliere und ihn daher nicht durch seinen eigenen Effekt reanimieren kann!“

Vor ihm tauchten der dicke, schwarze Käfer und das kleine Insektenkind mit den riesigen Facettenaugen wieder auf.

 

Steelswarm Cell [ATK/0 DEF/0 (1)]

Steelswarm Scout [ATK/200 DEF/0 (1)]

 

„Nimm dich in Acht!“, rief Matt stolz und nahm die Monster von seiner Duel Disk, um für sie ein neues hinzulegen. „Ich biete diese Monster als Tribut an und beschwöre [Steelswarm Caucastag]! Reiß unsere Feinde mit deiner Macht entzwei!“

Matts Kreaturen lösten sich auf. Um ihn herum begann das Gras welk zu werden, zerfiel zu Staub.

Aus dem Nichts erhob sich eine gewaltige, humanoide Gestalt. Wie alle Steelswarm-Monster war sie pechschwarz und ein Insektoid, ähnelte in diesem Fall einem Hirschkäfer. Auch er besaß einen langen Schweif, der hinter seinen Flügeln hervorlugte. An seiner Spitze ruhte der Lauf einer Laserkanone.

 

Steelswarm Caucastag [ATK/2800 DEF/0 (8)]

 

Abby hingegen zuckte nicht einmal mit den Wimpern. „Du hast eine Normalbeschwörung durchgeführt. Deswegen werde ich [Naturia Cosmobeet] von meiner Hand als Spezialbeschwörung rufen.“

Zwischen ihrer Schildkröte und dem Drachen zeigte eine vergleichsweise winzige Gestalt plötzlich ihr Antlitz. Auf dem Haupt des kugelrunden, schwebenden Erdklumpens mit Knopfaugen wuchsen drei Blumen.

 

Naturia Cosmobeet [ATK/1000 DEF/700 (2)]

 

Matt aber lachte nur bissig. „Pah! Das war ein Fehler, denn Caucastag wird es und all deine anderen Monster sowieso gleich vernichten! Denn wenn er beschworen wird, und dabei zwei Steelswarmer als Tribut angeboten worden sind, kann er entweder alle anderen Monster oder alle Zauber- und Fallenkarten auf dem Feld vernichten!“

Und der Schwarzhaarige wusste genau, dass [Naturia Landoise] ihm dabei nicht in die Quere kommen konnte, denn die einzige Karte auf der Hand seiner Gegnerin war ein Monster namens [Naturia Marron]!

Sein Hirschkäferdämon hob seinen Schweif an und schoss einen roten Laserstrahl ab. Dieser brachte bei Kontakt nach und nach alle von Abbys Monstern zum Explodieren.

„Sieh, wie du dich an den Lebewesen vergehst!“, beklagte die sich. „Ich werde dem ein Ende setzen!“

„Komisch, so etwas Ähnliches wollte ich auch gerade sagen“, gab Matt sich trotz seiner Schmerzen selbstbewusst. „Caucastag, direkter Angriff!“

Wieder hob sein Monster seinen Schweif und bombardierte sie mit einer Salve leuchtend roter Kugeln, die überall um sie herum einschlugen. Die verdammte Sirene wich flink zurück und konnte tänzelnd jedem Angriff entkommen. Trotzdem hatte er ihren Lebenspunkten großen Schaden zugefügt!

 

[Abby: 2900LP → 100LP / Matt: 150LP]

 

Matt betrachtete seine letzte Handkarte, [Steelswarm Girastag], dann seine verdeckte Falle. Egal was sie ihm entgegenbringen würde, er hatte die Oberhand! Er würde sie vernichten, damit es eine niederträchtige Kreatur weniger auf dem Planeten gab!

„Ich beende meinen Zug!“

 

Ganz langsam zog Abby die nächste Karte und betrachtete sie aus ihren rosafarbenen Katzenaugen. Dann schmunzelte sie. „So ist das also. Gut.“

„Was ist?“, fragte Matt.

„Mein Karma ist stark wie nie zuvor“, hauchte sie verführerisch. „Deines hingegen … nicht so sehr. Ich beschwöre [Naturia Marron]. Durch ihren Effekt lege ich eine Naturia-Monsterkarte vom Deck auf den Friedhof. Das wäre [Naturia Guardian]!“

Während Abby tat, was sie angekündigt hatte, tauchte vor ihr eine stachelige Kastanie auf.
 

Naturia Maron [ATK/1200 DEF/700 (3)]

 

„Nun mische ich [Naturia Barkion] und [Naturia Landoise] in mein Deck, in diesem Fall das Extradeck, zurück und ziehe eine Karte“, erklärte die Weißhaarige weiterhin seelenruhig. Mit ihren langen Fingernägeln zog sie eine Zauberkarte und lächelte böswillig.

Matt indes hielt sich seine Wunde am Bein, die immer noch blutete.

„Ich aktiviere [Barkion's Bark]“, erklärte Abby weiter und zeigte die gezogene Zauberkarte vor. „Mithilfe eines Naturia-Monsters auf meinem Spielfeld sind jetzt alle Fallenkarten nutzlos für diese Runde!“

„Verdammt!“ Matt schreckte zurück. Jetzt konnte er [Infestation Wave] nicht mehr dazu benutzen, um einer drohenden Gefahr aus dem Weg zu gehen! Aber er hatte immer noch seinen Caucastag!

„Nun, da ich den Effekt eines Naturia-Monsters aktiviert habe, kann ich [Naturia Hydrangea] von meiner Hand als Spezialbeschwörung beschwören.“

Um Abby herum wuchs ein Beet aus wunderschönen Hortensien. Eine der Blumen besaß Augen und blinzelte neugierig.

 

Naturia Hydrangea [ATK/1900 DEF/2000 (5)]

 

Matt wusste nicht, was seine Gegnerin damit bezwecken wollte. Sie hatte jetzt keine Handkarten mehr und zwei schwache Monster auf dem Spielfeld – beides Nicht-Empfänger und dazu unterschiedlicher Stufe. Was plante sie? Ihm behagte nicht bei dem Gedanken, dass sie vielleicht noch ein geheimes Ass im Ärmel haben könnte.

„Ich aktiviere jetzt einen weiteren Effekt, jedoch von meinem Friedhof. Indem ich die oberste Karte meines Decks abwerfe, kann ich [Glow-Up Bulb] einmal während des Duells auferstehen lassen! Also erscheine!“

Sie steckte die Karte in den Friedhofsschlitz ihrer Duel Disk und ließ eine Blumenzwiebel mit weißer Blüte vor sich erscheinen.

 

Glow-Up Bulb [ATK/100 DEF/100 (1)]

 

Er hatte es geahnt, dachte Matt sauer. Das hatte sie also vor: ein weiteres Synchromonster zu beschwören.

Und genau das kündigte Abby nun an. „Ich stimme meine Stufe 1-[Glow-Up Bulb] auf meine Stufe 5-[Naturia Hydrangea] und Stufe 3-[Naturia Maron] ab!“

Nun schon zum dritten Mal verwandelte sich eines ihrer Monster, die Blumenzwiebel, in einen grünen Kreis und ließ die anderen beiden ebenjenen durchqueren. „When the blood of the wild is spilled, earth-breaking power will awaken! Synchro Summon! Mother Nature's Power, [Naturia Leodrake]!"

Aus dem Nichts kam ein Löwe mit Fell aus grünen Blättern hinter Abby hervorgesprungen. Seine Mähne war rot wie Herbstlaub, denn genau daraus bestand sie auch. Das anmutige Tier brüllte ohrenbetäubend laut und stellte sich schützend vor die Sirene.

 

Naturia Leodrake [ATK/3000 DEF/1900 (9)]

 

Matts Gesichtszüge entglitten ihm und wurden zu einer fassungslosen Fratze. „Unmöglich!“

Doch Abbys kalte, blaue Lippen formten nur stumme Worte, welche das Ende des Duells besiegeln sollten. Denn ein Angriff genügte, um Matts restliche Lebenspunkte auszulöschen.

Verzweifelt sah dieser sein Blatt an, als sein Caucastag mit einem Hieb der wuchtigen Pranke des Löwen einfach niedergerungen wurde. Dann stürmte das Ungeheuer auf ihn zu. Er schloss die Augen, denn weglaufen war zwecklos. So stellte er sich dem Schicksal und wurde hart zu Boden geworfen.

 

[Abby: 100LP / Matt: 150LP → 0LP]

 

Die Zähne des Tieres verkeilten sich tief in seinem rechten Unterarm, den er zum Schutz erhoben hatte, während der Löwe ihn mit seiner anderen Pranke auf den Schrotthaufen drückte.

Anschließend verschwanden die Hologramme von Abbys verdeckter, ungenutzter Fallenkarte sowie Matts gesetzter [Infestation Wave]. Doch nicht so [Naturia Leodrake], der weiter mit Matt rang, während das falsche Mondlicht seines Bannkreises die Hügel voller Abfall in silbriges Licht tauchte. Matt kämpfte schreiend um sein Leben, während Abby ruhigen Gewissens zusah.

„Zerfalle zu Asche und werde mit Mutter Erde wieder eins“, flüsterte sie nur boshaft und sah zu, wie ein Stofffetzen von Matts Mantel durch die Luft flog.
 

Plötzlich wurde sie zu Boden geworfen und umgedreht.

„Hör auf damit!“, brüllte Anya, die endlich aus ihrem Gefängnis entkommen war, sie zornig an.

Die Sirene umfasste die Oberarme des Mädchens mit ihren langen Fingern und drückte sie mühelos von sich weg. „Womit? Willst du sagen, dass eine Bestie wie er es verdient hat zu leben?“

Ein feines Rinnsal von Blut lief dank Abbys spitzer Fingernägel über Anyas aufgekratzten, rechten Arm, als sie diesen hob und mit voller Wucht eine Faust auf das feine Gesicht ihrer Freundin niedersausen ließ. Abbys Kopf wurde mit einem Ruck zur Seite geschlagen.

„Nein! Am liebsten würde ich dieser Ratte sämtliche Knochen brechen!“, zischte Anya wütend und rang mit Abby. Kräftemäßig mochte sie einer Sirene zwar unterlegen sein, doch blieb die Blondine hartnäckig. „Aber du bist nicht diejenige, die so etwas zu entscheiden hat!“

Mit einer gezielten Ohrfeige des Handrückens wurde Anya regelrecht von Abby heruntergerissen, die sich nun ihrerseits auf das Mädchen stürzte und sie zu würgen begann. Im Hintergrund drangen die Schreie von Matts Todeskampf zu ihnen. „Das war damals! Sieh mich an und erkenne, was ich bin!“

Wieder traf sie eine Faust im Gesicht, dieses Mal Anyas Linke. „Idiot! Hast du mein Versprechen dir gegenüber etwa vergessen?“

Abby hielt inne und wurde infolgedessen von einem saftigen Knietritt in die Nieren wieder umgeworfen, sodass Anya sich auf sie hockte und erneut zuschlug. „Ich habe versprochen, dich nie alleine zu lassen, als du deine Eltern verloren hast! Dich zu beschützen, egal vor wem! Wenn es jemandes Aufgabe ist, diesen Kerl ins Jenseits zu befördern, dann verdammt nochmal meine!“

Noch eine Faust traf die Sirene ins Gesicht. „Und ich hasse es, wenn du einen auf egoistisch machst und mir meine Aufgaben abnehmen willst! Ich kann das sehr gut alleine!“

Wieder wollte Anya zuschlagen, doch sie stoppte ihre Faust kurz vor Abbys Nase.

„Es tut mir leid“, wimmerte die unter Tränen. Das Unglaubliche war geschehen, so schnell, dass Anya es gar nicht bemerkt hatte.

Abby war wieder völlig sie selbst, das Haar kürzer und braun, die Gesichtszüge weniger scharf und die Augen die eines Menschen. „Ich weiß nicht, was in mich gefa-“

Anyas nächster Schlag ins Gesicht ließ sie abrupt verstummen. „Mach das nie wieder, hörst du!? ICH bin hier die, die die Kommandos gibt, 'kay? Also sag ich, was mit dem Kerl passiert und wie es passiert!“

 

Du bist eine schlechte Schauspielerin. In Wirklichkeit willst du doch nur nicht, dass Abby einen Mord begeht, denn das würde ihrer Seele auf ewig schaden.

 

„Es tut mir leid.“ Abby vergrub ihr geschundenes Gesicht in die Hände und weinte bittere Tränen.

Anya seufzte resignierend und tätschelte ihr unbeholfen die Schulter, ehe sie sich von ihr erhob. Dann drehte sie derart ruckartig den Kopf zur Seite, dass so mancher Exorzist bei ihrem Anblick die Beine in die Hand nehmen und davon rennen würde. „So, und jetzt zu dir, Kackbratze!“

 

Zu spät. Er ist weg. Oder was noch von ihm übrig geblieben ist.

 

„Was!?“

 

Nachdem Abigail Masters sich zurückverwandelt hat, ist auch ihr Monster verschwunden. Mit letzter Kraft hat der Dämonenjäger einen Teleportationszauber benutzt, um zu entkommen. Aber ich schätze, er ist noch irgendwo in der Stadt, genau wie Alastair.

 

In einer Welle von Flüchen fiel Anya aus allen Wolken. Wieder war ihr einer dieser Mistkerle entkommen! Wieso hatte immer sie so ein verdammtes Pech!?

Abby erhob sich auf wackeligen Beinen neben ihr und hielt sich die geschwollene Wange. „Er ist weg, oder?“

Nur ein unmenschlicher Grunzlaut kam als Antwort.

„Das ist gut … oh! Nick, Michael …!“

Abby eilte zu den beiden, die am Boden lagen und friedlich zu schlafen schien. Unter Tränen schloss sie ihren kleinen Bruder, welcher müde die Augen aufschlug, in die Arme. Dabei betrachtete sie überglücklich Nick, der schnarchte und gar nicht mitbekommen zu haben schien, was um ihn herum vor sich ging.

 

Derweil warf Anya einen skeptischen Blick über ihre Schulter, während die Sonne am Horizont schon fast untergegangen war und den Schrottplatz in warmes, orangefarbenes Licht tauchte. Der Bannkreis war längst fort und mit ihm die falsche Nacht.

„Wird sie sich wieder in eine Sirene verwandeln?“, fragte sie Levrier dabei ernst.

 

Höchstwahrscheinlich, eines Tages. Wenn ich richtig liege, ist unbändiger Hass der Auslöser für ihre Transformation gewesen. Als ihr dieser durch deine Worte genommen wurde, hat sie wieder ihre ursprüngliche Form angenommen. Es ist aber zu bezweifeln, dass sie die Verwandlung bewusst zu kontrollieren vermag, schließlich ist sie nur ein Halbblut.

 

„Dann sollte man sie wohl nicht ärgern, huh?“

 

Mach dir keine Sorgen. Sie muss dich schon ihr ganzes Leben ertragen und hat sich nicht einmal verwandelt. Doch das Leben kann einem so manches Mal einen bösen Streich spielen. Gib gut auf sie Acht, wenn du verhindern willst, dass sich das heute Geschehene wiederholt.

 

„Was soll das denn heißen!? Und wie soll ich das überhaupt machen, wenn ich erstmal zu Eden geworden bin!?“

Doch Levrier enthielt sich einer Antwort und schwieg.

Abby trat zusammen mit ihrem Bruder neben Anya, während sie Michael dabei sanft über den Kopf streichelte, welcher sich eng an ihre Hüfte geschmiegt hatte. Die Blondine bückte sich und hob Abbys getönte Brille auf, welche sie ihrer Freundin unwirsch in die Hände drückte. „Da!“

„Danke“, sagte die leise und setzte sie auf. Nun sah sie endlich wieder wie die Abby aus, die Anya so sehr mocht- Die sie in ihrem Umfeld ertragen konnte!

„Du musst zum Arzt … huch!?“ Abby deutete auf die zerkratzten Stellen, die ihre langen Sirenenfingernägel in Anyas Oberarm geritzt hatten. Bloß waren genau jene fort. Nur das Blut war noch an Anyas Arm.

„Ach, Kinderkacke. Du müsstest viel eher zum Arzt“, meinte Anya brummend.

Abby streichelte sich die Wange und verzog schmerzhaft das Gesicht. „Geht schon. Das hab ich verdient. Aua!“

„Hast du auch!“

Das Mädchen seufzte und sah Anya durch ihre Brille plötzlich ernst an. „Du darfst niemandem erzählen, was du heute hier gesehen hast! Wenn herauskommt, dass ich-“

Anya zuckte mit den Schultern. „Was erzählen? Dass du den Kerl mühelos vom Platz gefegt hast?“

„Nein, dass ich-“

Wütend trat Anya ihrer Freundin gegen das Schienbein, ehe die ihren Wink verstanden hatte. „Oh! Na klar … danke. Du bist 'ne echte Freundin … so jemanden wie dich habe ich gar nicht verdient, nach allem, was passiert ist.“

„Erspar' mir die Gefühlsduseleien und hilf mir lieber, Nick aufzuwecken.“

Die beiden drehten sich zu ihrem Freund um, der immer noch wie ein Baby schlief.

„Wie konnte sich der Trottel eigentlich fangen lassen?“, fragte Anya garstig. „Das ist jetzt schon das zweite Mal!“

Abby zuckte mit den Schultern. „Glaubst du denn, dass das so schwer ist?“

„Neeee.“

Die Mädchen fingen laut an zu lachen, während Nick in seinem Schlaf grunzte. Zufrieden stellte Anya fest, dass Abby immer noch fröhlich sein konnte. Dass das auch so blieb, war schließlich ihre Aufgabe …

 

 

Turn 11 – None For All, All For Fun

An Anyas Schule findet ein Duel Monsters-Tag Turnier statt. Alle Schüler dürfen daran teilnehmen, solange sie einen Partner vorweisen können. Da Abby sich, nach den schrecklichen Ereignissen der letzten Zeit, noch nicht wieder duellieren möchte, muss Anya sich einen anderen Mitstreiter suchen. Doch gerade das stellt sich in ihrem Fall als unsagbar schwierig heraus. Als sie es letztlich dennoch schafft und wie durch ein Wunder sogar ins Finale vordringt, besteht das generische Team aus niemand Geringerem als …



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  fubukiuchiha
2017-04-14T14:43:51+00:00 14.04.2017 16:43
Hey
Klasse Kapitel, also das habe ich bei Abby nicht kommen sehen und der gute Matt auch nicht. Wenigstens konnte Anya sie wieder zur Vernunft bringen. Anya kann auch nett sein, aber nur manchmal.
Ich finde die Geschichte absolut Genial, mach so weiter.
Lg fubukiuchiha
Antwort von:  -Aska-
15.04.2017 11:24
Hey,
vielen Dank für dein Feedback und das Lob. Freut mich, dass wenigstens irgendjemand hier mitliest. Hätte ich gar nicht mit gerechnet.
Manchmal kann Anya sogar ganz ... annehmbar sein. Vielleicht in Zukunft sogar öfter mal. ;-)

LG,
-Aska-


Zurück