Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 43: Unfall ------------------ Nach dem Überfall versuchten die Hinterbliebenen ihr Leben weiter zu führen wie gewohnt. Das war schwer, aber mit Ankunft des ersten Kindes von Diane schien es sich endlich zu normalisieren, denn es bedeutete Hoffnung und ein neues Leben. Weitere Jahre genossen Oscar und André das Familienleben und versuchten das Geschehene zu vergessen.   Rosalie und Bernard kamen einmal zu Besuch und überraschten sie, als sie zwei kleine Jungen mit sich brachten. Rosalie hatte also doch ihr Mutterglück gefunden, was Oscar sehr erfreute und die vierköpfige Familie Chatelet blieb über Winter bei ihnen.   Leise knirschte der Schnee unter den dicken und mit Wolle gefüllten Stiefeln, als die vierzehnjährige Andrée über den zugefrorenen Fluss glitt. „Geh aber nicht allzu weit weg!“   „In Ordnung, Mama!“ Was sollte da schon passieren? Sie war ja hier nicht zum ersten Mal. Nun gut, am Ende des Winters und wo der Frühling vor der Tür stand, war es bereits gefährlich über das Eis zu laufen, aber für sie galt das nicht. Sie wog gar nicht so viel und das Eis war noch nicht so dünn, dass sie schon hier, nicht weit von dem Ufer, einbrechen konnte. Ihr Zwillingsbruder rief ihr auch noch etwas zu, aber ihn nahm sie kaum wahr. Er wollte sie bestimmt dazu motivieren, mit Dianas und Rosalies Kindern bei der Schneeballschlacht mitzuspielen. Andrée jedoch hatte dazu keine Lust. Seit dem blutigen Überfall war sie im Allgemeinen zurückhaltender geworden und mied laute Gesellschaften, sei es auch ihr eigener Bruder oder all die vertrauten Menschen in ihrer Umgebung. Sie war lieber alleine mit sich oder mit ihrer Mutter, denn sie hatte noch immer dieses Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren könnte... Das war albern und kindisch, aber noch vor zwei Jahren war es noch schlimmer. Dank diesen Übeltätern war sie zu ihrer Mutter sehr anhänglich geworden und folgte ihr überall hin. Nicht einmal beim Einschlafen wollte sie von ihr getrennt sein, auch wenn ihr damit bewusst war, dass sie wegen ihren Verhaltens immer mehr zur Last fiel...   Letztes Jahr hatte sie ihren ersten Monatsfluss bekommen und seitdem versuchte sie sich zu ändern. Denn sie war jetzt zu einer reifen Frau geworden und auch wenn ihre Eltern der Meinung waren, sie wäre noch zu jung für eine Heirat und ließen ihr diesbezüglich die freie Wahl, konnte sie trotzdem nicht weiter wie ein kleines und anhängliches Kind leben. Besonders nicht, wenn ihre Großeltern oder Rosalie mit ihrer Familie zu Besuch da waren. Morgen würde die gesamte Familie Chatelet abreisen und zurück nach Paris kehren und deshalb unternahmen sie heute alle zusammen einen Spaziergang an dem Fluss.   Andrée glitt in Gedanken versunken immer weiter auf das Eis, entfernte sich immer mehr von dem Ufer und als sie das bemerkte, erinnerte sie sich an die Worte ihrer Mutter und machte kehrt. Ihr Bruder machte leutselig mit den kleinen Kindern von Diane und Rosalie eine Schneeballschlacht und ihre Eltern mit den anderen standen nicht weit davon entfernt und winken ihr zu. Andrée verstand. Das war ein Zeichen, dass sie nach Hause aufbrechen wollten und sie beeilte sich. Die frostige Kälte zwickte ihr in die Wangen und der Nase, aber das war für sie kaum von Bedeutung. Sie würde ja gleich Zuhause sein und sich an dem Kaminfeuer wärmen. Andrée blieb kurz stehen, hüllte sich noch mehr in ihren Mantel ein und hastete weiter, als es plötzlich unter ihren Füßen knackte und eine verdächtige Zickzacklinie direkt vor ihren Füßen sich in die Länge ausbreitete und ihr Körper in das Eis einbrach...       - - -       Wasser... eisige Kälte... Atemnot... panische Angst... und die Dunkelheit... Aber sie konnte doch lange unter dem Wasser ohne zu atmen durchhalten, sie hatte doch früher viel dafür geübt... Ja, früher, als sie noch ein Kind war und ein unbeschwertes Leben geführt hatte... bis die bösen Männer kamen und ihr, ihrer Mutter und den anderen, ihre lieben Menschen, Leid antun wollten...       - - -       Der vierzehnjährige Oskar stürmte in das elterliche Gemach ohne Anzuklopfen. Nachdem was heute Nachmittag, vor wenigen Stunden geschah, würden sie ohnehin nicht schlafen können. „Mutter! Vater! Andrée geht es schlimmer! Sie schlägt um sich und sie schreit!“   Oscar und André rannten unverzüglich los, kaum dass sie sich in trockene Sachen angezogen hatten. Es war ein Fehler, Andrée zu verlassen und nun hatten sie die Strafe dafür. Aber was hätten sie denn sonst tun sollen? Sie wollten doch, auf Empfehlung des Arztes, sich nur umziehen und Andrée hatte ja friedlich ausgesehen...   Die Bilder des Unfalls gingen allen beiden nur so durch den Kopf, während sie zu dem Zimmer ihrer Tochter rannten: Andrée, wie sie zu ihnen ans Ufer rannte und dann plötzlich in das eisige Wasser eingebrochen war. Oscar und André waren sofort zu ihr geeilt, das bereits angeschlagene Eis brach auch unter ihren Füßen, aber das war ihnen egal. Nur ihre Tochter zählte und sie konnten schwimmen, im Gegensatz zu ihr. Sie hatten sie gerettet, aus dem Wasser gezogen und nach Hause gebracht, jedoch war sie bereits bewusstlos. Bis der Dorfarzt von Alain geholt wurde, wachten sie über sie. Rosalie und Diane hatten ihr die nassen Wäsche ausgezogen, in ein trockenes Nachthemd gekleidet und ins Bett gelegt. Gilbert und Bernard machten Feuer im Kamin und Oskar, zusammen mit den Kindern von Diane und Rosalie, brachte warme Decken.   Nun, nachdem der Arzt sie untersucht und medizinisch versorgt hatte, bekam Andrée Fieber, lag schweißgebadet in ihrem Bett, schlug um sich und schrie, wie Oskar zuvor geschildert hatte. „Nein! Lasst sie los! Mama! Mama!“   Oscar drang sich bis ans Kopfende ihres Bettes vor und nahm sie in ihre Arme. „Ich bin hier! Mir geht es gut!“, beschwor sie immer wieder und haderte mit ihren eigenen Gewissensbissen. Wozu hatte man sie wie ein Mann erzogen, ihr der Kraft und Stärke gelehrt, sich zu verteidigen, wenn sie das Leben ihrer eigenen Tochter nicht gut genug beschützen konnte?   „Es wird alles gut...“ Auch André setzte sich von der anderen Seite und nahm alle beide in die Arme. Es tat höllisch weh, sie so zu sehen und er hoffte wirklich auf eine Besserung.   Seine und Oscars Stimme schienen ins Bewusstsein von Andrée durchzudringen und sie zu beruhigen. Langsam wurde sie still und Oscar legte sie behutsam in die Kissen zurück. „Bleibt bei mir... Mama... Papa...“   Oscar nickte. „Das werden wir.“, beschloss sie selbstverständlich und auch André stimmte ihr zu.       - - -       Die aufgehende Sonne des nächsten Tages erhellte das Zimmer von Andrée und kitzelte die Gesichter der Schlafenden. André machte seine Augen auf und realisierte kurz, wo er gerade war. Auf jeden Fall nicht in seinem Ehegemach. Neben ihm schliefen seine Tochter und Oscar. Er stützte sich ganz vorsichtig auf einen Ellbogen, um beide besser betrachten zu können und schmunzelte bei dem sinnlichen Bild. Andrée schien es besser zu gehen, sie hatte wieder die normale Hautfarbe im Gesicht und ihr Atem ging gleichmäßig. Auch die ganze Nacht hatte sie ruhig geschlafen und er befühlte ihr die Stirn. Das Fieber schien nachgelassen zu haben, was ihn noch mehr erleichterte und ihn dazu bewog seine Frau zu wecken. Sachte strich er ihr durch das blonde Haar und dann an der Wange, bis Oscar ihre Augen öffnete und zu ihm schaute. „Guten Morgen, meine Liebe.“ Er hätte ihr gerne einen Kuss gegeben, aber da Andrée zwischen ihnen beiden lag und er sie nicht wecken wollte, beließ er es dabei.   „Guten Morgen Liebster.“ Noch etwas schlaftrunken saß Oscar auf und schaute sofort zu ihrer Tochter.   „Es geht ihr besser.“, flüsterte André und Oscar atmete auf. „Gott sei Dank“, wollte sie sagen, aber hielt inne. In ihren Lungen rasselte es und ein brennender Reiz kroch in ihrer Kehle.   „Was hast du, Liebes?“   „Ich glaube, ich habe mich erkältet...“, vermutete Oscar und André glaubte eine gewisse Besorgnis in ihren Augen gelesen zu haben. Ein leises Stöhnen ließ ihn jedoch nicht weiter fragen und sein Blick folgte dem seiner Frau auf Andrée, die gerade aufwachte. „Mama, Papa...“, murmelte sie mit schwacher Stimme und lächelte etwas.   „Wie fühlst du dich?“ fragte das Ehepaar fast im Chor und hätte deswegen fast gelacht.   „Etwas schwach, aber besser...“, erwiderte Andrée wahrheitsgemäß und von der anderen Seite des Bettes hörte sie schon die erfreute Stimme ihres Bruders: „Endlich! Du hast uns allen einen mächtigen Schreck eingejagt! Aber jetzt wird alles wieder gut!“ Er schoss aus dem gepolsterten Stuhl, in dem er die ganze Nacht verbracht hatte und solange seine Eltern ihn überrascht ansahen und ihn nicht diesbezüglich befragten, ging er mit langen Schritten aus dem Zimmer. „Ich sage den anderen Bescheid und hole den Arzt.“, rief er noch zu und dann war er weg. In dem Moment überkam Oscar ein Husten und sofort verdeckte sie ihren Mund mit der Hand und brachte Abstand zu ihrer Tochter. „Ich stehe lieber auch auf, bevor ich euch mit meiner Erkältung anstecke.“, sagte sie mit einem matten Lächeln, als der Husten aufhörte und schloss dabei die kleinen Blutstropfen verborgen in ihrer Faust...       Mit jedem Tag ging es Andrée besser und nach zwei Wochen Ruhe, Fürsorge und Pflege konnte sie sich richtig erholen und wurde gesund. Dafür aber wurde Oscar immer kränker und hustete oft Blut wieder. Das war schrecklich! Der Dorfarzt empfahl ihr ans Meer zu gehen, denn die salzige Meeresluft konnte den Lungen gut tun, wie damals bei dem ersten Anfall.   „Ich kann nicht gehen.“, protestierte Oscar. „Bald ist Saatzeit und es muss deswegen vieles erledigt werden.“   „Ich werde mitkommen, denn schließlich geht es um dich, Oscar...“, meinte André besorgt und fügte noch vorsichtig hinzu: „Wir wollen dich nicht verlieren.“ Sie saßen zu siebt in dem großen Gemeinschaftssalon und berieten sich gewohnheitsgemäß über geschäftliche Sachen.   Alain zog seine buschigen Augenbrauen zusammen und ließ seine Meinung nicht hinter dem Berg stehen. „Entschuldigt, dass ich mich einmische, Oberst, aber Ihr müsst fort...“   „Da hat er nicht unrecht...“, sagte Gilbert und Diane ergänzte es genauer: „Wir werden uns um den Haushalt kümmern, während Ihr Euch in der Normandie erholt.“   Oscar runzelte missverständlich die Stirn. Auch wenn ihr die ausgesprochenen Worte nicht passten, musste sie dennoch allen recht geben. „Nun gut, ich werde in die Normandie gehen, aber du bleibst hier.“, entschied Oscar mit dem Blick auf ihren Gemahl. „Und ich nehme Andrée mit.“ Damit sie ganz genesen konnte und auch um sicherzugehen, dass sie ihre Tochter nicht angesteckt hatte.   „Ich lasse dich nicht alleine gehen.“, beschloss André unverzüglich und erntete Oscars Kopfschütteln. „Nein, du bleibst und kümmerst dich um die Geschäfte, André.“   „Ich muss ihr recht geben.“, mischte sich Alain erneut ein. „Einer von euch muss hier bleiben, denn die Menschen werden ohne es mit euch abgesprochen zu haben, sonst nichts machen und nichts auf ihre Felder säen können. Sie lassen doch nur mit euch Geschäfte machen.“   „Und wir begleiten Euch, Lady Oscar.“, erbot sich Rosalie und Bernard stimmte ihr zu. „Ich komme wieder hier her, sobald wir dort sicher angekommen sind und halte euch im Laufenden.“, versprach er André und sein Freund gab wieder einmal gezwungenermaßen nach. Nur wegen dem Haushalt und den laufenden Geschäften musste André zustimmen. Um Oscar zu Liebe ließ er sie mit ihrer gemeinsamen Tochter gehen und erwartete mit Sehnsucht auf den ersten Besuch von Bernard. Dieser kam in drei Wochen und seitdem besuchte er seinen Freund fast jeden Monat, um ihm die Neuigkeiten aus der Normandie mitzuteilen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)