Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 36: Arrest ------------------ Oscar spazierte am Strand und atmete tief die salzige Meeresluft in ihre Lungen ein und ließ sie durch die Nase lautlos ausatmen. Hier war es in der Tat wärmer und ihr ging es schon etwas besser. Jedoch an Erholung dachte sie nicht. Unruhe und Sorge herrschten in ihr. Die Schatten einer dunklen Vorahnung begleiteten sie auf Schritt und Tritt. Sie musste ständig an ihren André denken und wie er sie schweren Herzens gehen ließ – weil er ihr es versprochen hatte, in der Kaserne zu bleiben und mit Alain stellvertretend über die Kompanie zu bestimmen. Zwar hatten sie den Oberst Dagout, aber Oscar verließ sich mehr auf die beiden als auf den ihresgleichen untergebenen Adjutanten.   „Oscar, liebes, du bist wieder in Gedanken“, hörte Oscar die sorgenvolle Stimme neben sich und kehrte in die Wirklichkeit zurück. „Es ist nichts, Mutter. Der Wind wird frischer. Gehen wir lieber wieder ins Haus.“   „Wie du willst.“       - - -       „Madame Oscar! Gilbert ist hier.“, teilte Rosalie mit, kaum dass die zwei Damen das Haus betraten und Oscar war sofort auf der Hut. „Ist etwas passiert?“   „Das wollte er uns nicht sagen, solange Ihr nicht zurück seid.“, erwiderte Rosalie und Oscar eilte in den Empfangssalon. Gilbert stand sofort von einem Stuhl auf und verbeugte sich. „Lady Oscar...“   „Rede, was vorgefallen ist!“, verlangte Oscar auf der Stelle.   Gilbert reichte ihr stattdessen einen versiegelten Brief. „Ich sollte Euch das von Grafen de Girodel übergeben. Er meinte, er habe alles Mögliche getan, aber mehr kann er auch nicht tun...“   Oscar brach hastig das Wachssiegel und überflog schnell den Brief ihres einstigen Untergebenen: „Madame, ich grüße Euch. Ich hätte Euch gerne besucht, aber zu meinem Leidwesen stehe ich unter Hausarrest. Diesen Brief habe ich deshalb in Eile geschrieben und wenn Ihr ihn liest, dann habe ich es auch rechtzeitig geschafft, ihn Eurem einstigen Kindermädchen zu geben, damit sie jemanden findet, der ihn Euch übergeben kann. Aber nun zur Sache: Gestern wurde das königliche Regiment zum Parlament beordert, um die nationale Volksversammlung mit Waffengewalt zu vertreiben. Ich habe an Euch gedacht und dementsprechend gehandelt. Ich habe dem obersten General erklärt, dass wir nicht gegen Unbewaffnete angehen können und abwarten, bis sie zu Waffen greifen. Dafür wurde ich unter Hausarrest gestellt – im Gegensatz zu gewissen Söldnern, die den gleichen Befehl von gestern, wenige Stunden bevor ich denselben Befehl erhalten habe, verweigert hatten. Sie beharrten darauf, dass nur ihr Oberst ihnen die Befehle erteilen kann und solange dieser nicht zurück ist, werden sie nichts unternehmen. Tja... Der Anführer dieser Abtrünnigen, mit einem roten Halstuch, sein einäugiger Freund und elf weitere Männer wurden wegen Befehlsverweigerung verhaftet und im Gefängnis eingesperrt... Sie werden alle am ersten Juli um die Nachmittagszeit hingerichtet. Ich bedauere sehr, Euch damit konfrontieren zu müssen, meine liebe Madame, aber der Hausarrest ist nicht gerade erheiternd und Eure Anwesenheit könnte die Stimmung natürlich in andere Bahnen lenken. Mit vielen Grüßen, Euer treuergebener Freund.“   Es gab keinen Namen, aber Oscar verstand auch zwischen den Zeilen sehr gut, wer alles gemeint war. Der Brief stellte eine geheime Botschaft dar, falls er in falschen Hände geraten sollte. Der erste Juli... Noch drei Tage bis dahin... Es müsste etwas im Parlament vorgefallen sein, weshalb der oberste General den Männern solch einen abschreckenden Befehl gegeben hatte! Und sie, Oscar, hatte fast eine Woche hier vergeudet, ohne ihren Männern Rückhalt zu gebieten oder ihnen auch beistehen zu können! Oscar hatte genug gelesen. „Rosalie, hol meine Uniform sofort aus der Truhe! Ich muss auf der Stelle nach Paris!“   „Was ist passiert?“ Emilie kam besorgt auf sie zu.   „Mein André ist in Gefahr!“ Oscar drückte ihr nur den Brief in die Hand, bevor sie auf ihr Zimmer stürmte, um sich umzuziehen. „Lest selbst, Mutter!“       - - -       „Ich habe es geahnt, ich hätte nicht abreisen dürfen!“, erklärte sie allen Beteiligten, als sie wieder im Salon in ihrer blauen Uniform erschien. Die Stimmung war angespannt und hing schwer im Raum. „Gilbert, du kommst mit mir mit! Mutter, Ihr, die Kinder, Rosalie und Diane bleiben hier! Am besten kehrt ihr alle nie mehr nach Paris!“ Sie ging an die Wiege und strich den schlafenden Zwillingen liebevoll über die Wange. „Ich bringe euren Vater zurück, ich schwöre es!“ Sie drehte sich um und sah die verängstigte Diane an. „Auch Alain, und alle anderen meiner Männer! Ich lasse niemanden sterben!“   Emilie kam auf sie zu und nahm ihre angespannten Hände an sich. Sie betrachtete kurz ihr Gesicht, das schon seit Tagen keine verräterische Blässe mehr aufwies und auch das Bluthusten hatte sich zwei Tage nach ihrem Aufenthalt hier in der Normandie abgeebbt. Oscar sah genesen aus und doch war Emilies mütterliches Herz voller Sorge. „Ich weiß, ich kann dich nicht aufhalten, aber versprich mir, dass du auf dich aufpasst, mein Kind.“   „Ich verspreche es, Mutter.“ Oscar sah sich im Raum um. „Gilbert, wir gehen!“   Dieser nahm nur noch Dianes Hand und hauchte ihr einen Kuss darauf. „Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut.“ und dann eilte er Oscar nach.       Oscar ritt geradewegs zum Anwesen und gönnte weder sich, noch ihrem Pferd eine Pause. Die Zeit rann ihr davon wie Wasser zwischen den Fingern. Morgen sollte die Hinrichtung stattfinden – das war zu knapp, um die Königin oder den obersten General um die Freilassung zu bitten. Sie musste sich etwas anderes einfallen lassen!       „Lady Oscar?“ Sophie war sichtlich erstaunt, als ihr Schützling unverhofft durch das Anwesen stürmte.   „Ist mein Vater zuhause?“ Oscar hatte im Stall sein Pferd gesehen und schöpfte eine gewisse Hoffnung. Sophie nickte nur und Oscar erstürmte buchstäblich dessen Salon. „Vater, ich muss mit Euch reden!“   „Was machst du hier, Oscar?!“, brauste General gleich auf. „Du musst in der Normandie sein!“   „Aber nicht wenn mein Mann und meine Soldaten schon morgen hingerichtet werden sollen!“ Oscar schnaufte schnell und außer sich vor Wut und Reynier glaubte noch etwas in ihrem gehetzten Blick zu erkennen. Etwas, was einer Verzweiflung glich. Aber er versuchte das zu ignorieren, er war noch für einen Wimpernschlag verdattert. „Woher weißt du das?“   „Das spielt keine Rolle!“, fauchte Oscar kaum noch an sich haltend. „Ich bin hier, um sie freizulassen! Sie sind unschuldig und hatten nur meinem Befehl gefolgt!“   Welchen Befehl? Wie konnte sie Befehle erteilen, wenn sie in der Normandie war? Woher wusste sie überhaupt, was hier geschah? „Du sorgst dich um deine Soldaten?“ Reynier wurde in demselben Moment etwas klar: Jemand musste Oscar eingeweiht haben. Wer das allerdings war, würde er später herausfinden. Jetzt musste er als erstes seine Tochter in die Schranken weisen. „Ich hätte es verstanden, wenn es nur André wäre...“   „Er gehört mit dazu!“   „Schweig!“, schnitt Reynier ihr barsch das Wort ab. „Du missachtest die Befehle Ihrer Majestät, kommst frühzeitiger zurück als es dir angeordnet wurde und stellst mir auch noch Forderungen!“   „Es sind keine Forderungen, Vater! Es ist eine Bitte!“ In Oscar stieg noch mehr Wut und Aussichtslosigkeit zu gleich. Es war anscheinend keine gute Idee einer falschen Hoffnung zu glauben, sich ausgerechnet an ihren Vater zu wenden, denn einen Verständnis für so ein Handel würde er nie zeigen, geschweige denn ihr die Bitte erfüllen. Dennoch hatte sie keine andere Wahl und die Zeit war auch noch knapp... „Ich stelle Euch sogar gerne mein eigenes Leben zur Verfügung, um das der meinem Männer zu schützen!“   „Du stehst höchstens unter Hausarrest!“, beschied sie Reynier streng, aber bei Oscar prallte das ab wie Wasser und sie geriet immer mehr in Rage. „Und was ist mit meinen Männern? Bedeuten denn deren Leben gar nichts?“   „Wenn sie keine Verräter wären, dann schon!“ Reynier kam immer näher auf sie zu. Wenn sie nicht gleich aufhören würde, dann würde er für nichts garantieren können!   Oscar spürte, dass jetzt etwas geschehen würde, dass er gleich etwas machen würde, aber das war ihr gleichgültig und sie war nicht bereit, vor ihm deswegen nachzugeben. „Einem Befehl ihres Kommandanten zu folgen ist kein Verrat, Vater!“   Reynier hielt es nicht mehr aus und verlor die Kontrolle über sich. Er hatte sie ja gewarnt! „Ich sagte, du sollst schweigen und mir zu hören!“ Hart schlug seine Handfläche gegen Oscars Wange, dass seine Tochter zurücktaumelte, aber in ihrer Standhaftigkeit nicht brach. „Dafür ist es keine Zeit!“ Oscar stellte sich wieder aufrecht hin und verbat sich an der rotglühenden Wange zu reiben. „Wenn Ihr es nicht wollt, dann gehe ich selbst zu dem König!“   „Das wird dir nichts nützen!“, schnaubte Reyner gedämpft und das bewirkte, dass Oscar verwundert auf der Stelle verharrte. „Woher wollt Ihr das wissen?!“   „Weil ich schon mit seiner Majestät und dem obersten General darüber gesprochen habe!“   „Und was haben sie geantwortet?“ Besser gesagt, warum sagte ihr Vater das nicht gleich, sondern ließ es zuerst zu so einer Debatte kommen?!   „Das, was ich dir bereits gesagt habe.“, meinte Reynier und ließ sie nicht aus den Augen. „Die Hinrichtung wird vollzogen und an den Männern ein Exempel statuiert.“   „Nein, bitte nicht...“   „Doch, Oscar. Sie willigten ein, nur einen einzigen Mann zu verschonen, dank meinen guten Verdiensten und der Bitte Ihrer Majestät der Königin...“   „André...“ Oscar schluckte hart.   „Ja, André. Allerdings wird er erst nach der Hinrichtung freigelassen – gerechtigkeitshalber. Und jetzt geh auf dein Zimmer und störe mich nicht! Ich muss heute noch nach Versailles und wenn du dein Hausarrest abgesessen hast, sollst du das Gleiche tun und dich bei Ihrer Majestät bedanken, wenn du nicht als Verräterin da stehen willst.“   „Ja, Vater...“ Im Gegensatz zu ihrer Zustimmung dachte Oscar aber nicht daran, hier tatenlos herumzusitzen. Sie wartete, bis ihr Vater fort war und noch in derselben Nacht suchte sie Bernard in Paris auf. „Ich bitte Euch mir zu helfen, Bernard...“ Sie schilderte ihm die Lage ihrer gefangengenommenen Männer ausführlich.   „Ich werde Euch selbstverständlich helfen, Lady Oscar! Ich schulde Euch doch einen Gefallen und Ihr kümmert Euch bereits seit langem um meine Rosalie...“   „Ich danke Euch von Herzen, Bernard.“, verabschiedete sich Oscar. Sie schaffte es gerade rechtzeitig nachhause zu kommen und sich umzuziehen, als ihr Vater sie beim Morgengrauen aufsuchte. „Oscar! Ich habe gerade von Ihrer Majestät erfahren, dass dein Hausarrest aufgehoben wird!“   „Aber wie...“   „Nun, es gab Gerüchte, dass tausende Menschen sich vor dem Gefängnis von Abaye versammeln und du sollst mit deinen Soldaten dafür sorgen, dass es keinen Aufstand gibt! Das ist die beste Gelegenheit für dich deine Königstreue zu beweisen! Also enttäusche mich nicht!“   Also hatte es Bernard geschafft. Als der Befehlshaber der Wache war Oscar für die Ruhe in der Stadt verantwortlich und konnte mit ihrem Vorhaben den König davon überzeugen, dass eine aufgebrachte Bevölkerung durchaus anders sein könnte um die Männer zu begnadigen – darauf hoffte Oscar sehr, während sie ihre blaue Uniform anzog und zur Kaserne aufbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)