Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 35: Offenbarung ----------------------- André machte sich große Sorgen um seiner Frau. Mit Oscar stimmte etwas nicht – sie wirkte immer blasser und erschöpft. Nun gut, erschöpft waren sie alle, in Anbetracht der Umstände, die in den letzten Wochen geschahen. Der Streit im Parlament zwischen den Abgeordneten spitzte sich weiterhin zu und es schien kein Ende zu haben.   „Sag mal, wo ist eigentlich unser Oberst?“, fragte ihn Alain während der Wache vor dem Parlamentsgebäude an einem von grauen Wolken verzogenen Junitag. Das war äußerst selten, dass Oscar unbegründet ihren Posten als Verantwortliche für die Sicherheit und als Befehlshaber verließ.   „Sie ist nach Versailles geritten“, meinte André und versank wieder in Grübeleien über seine Frau.       Oscar war in der Tat zu Audienz bei der Königin vorbestellt. „Ihr habt mich rufen lassen, Majestät?“ Sie beugte ordnungsgemäß das Knie.   Marie Antoinette saß wie immer hochmütig auf ihrem Thron – seit das Parlament geöffnet wurde, war sie hager und ernster geworden. Neben ihr stand Madame de Jarjayes und begutachtete sorgenvoll ihre Tochter. Und da war noch ein Mann dabei – ein Arzt, der bei ihr ein ungutes Gefühl hervorrief. Was sollte er hier? Ging es der Königin etwa nicht gut?   Das wäre gut möglich, nach den ganzen Strapazen wegen der Nationalversammlung und dem Verlust des Kindes... Marie Antoinette deutete Oscar mit einem Wink, aufzustehen. „Erhebt Euch, liebe Oscar.“ Oscar tat wie ihr geheißen und Ihre Majestät fuhr fort. „Wie geht es Euch?“   „Mir geht es bestens, Euer Majestät.“   „Oscar...“, murmelte Emilie verständnislos.   Marie Antoinette schüttelte den Kopf und gab zu verstehen, dass sie ihr nicht glaubte. „Lady Oscar, warum seid Ihr nicht ehrlich?“   „Ich verstehe nicht...“ Oscar wunderte sich und das Gefühl des Unbehagens wuchs. „Ich war stets ehrlich zu Euch und das bin ich noch immer...“, versicherte sie überzeugt.   Erneut schüttelte die Königin den Kopf und gab dem Arzt ein Handzeichen, woraufhin dieser ein Taschentuch rausholte, es auffaltete und ihr vorzeigte. Oscar war erschrocken, denn auf dem Tuch hafteten sich vertrocknete Blutstropfen und in einer Ecke waren ihre Initialen aufgenäht. „Woher...“   „Ein Stallknecht hatte es in Euer Satteltasche gefunden.“, erklärte Marie Antoinette nachdrücklich. „Das ist doch Euer Tuch, nicht wahr? Und Ihr seht blass aus...“   Besser gesagt ein Stallknecht erhoffte sich wohl in den Satteltaschen von dem erhabenen Kommandanten Oscar auf etwas Wertvolles oder Essbares zu stoßen und stattdessen fand er aber das blutbefleckte Taschentuch, was er auch gleich der Königin meldete und diese dann ihre Eltern einweihte.   „Das bedeutet noch gar nichts!“, schnaubte Oscar außer sich.   „Oscar, bitte...“, flehte ihre Mutter. „Verrate uns was du hast...“   „Nichts, Mutter, ich schwöre es!“, verteidigte sich Oscar und bekam mehr das Gefühl, auf einem schmalen Pfad zu laufen und kurz vor dem Abgrund zu stehen, denn niemand glaubte ihr hier.   Marie Antoinette schüttelte abermals den Kopf, aber diesmal bedauerlich. „Dann lasst Ihr uns keine andere Wahl, als Euch erneut zu untersuchen, Lady Oscar...“   „Wie bitte? Nein, ich...“, setzte Oscar zum Protest an, aber die Königin verbat ihr sofort den Mund. „Ihr verlasst diesen Raum nicht, bevor Ihr nicht untersucht worden seid!“, erhob Marie Antoinette ihre Stimme und schaute auffordernd zum Arzt. „Doktor, Ihr könnt beginnen.“   „Jawohl, Euer Majestät.“       Wohl oder übel musste sich Oscar fügen. In dem kleinen, abgetrennten Zimmer untersuchte der Arzt sie und als er fertig war, stellte er eine schreckliche Diagnose fest. „Tuberkulose?“ Marie Antoinette wurde kreidebleich.   „Ja, Euer Majestät, mein Verdacht wurde nun bestätigt. Ich empfehle Lady Oscar, ans Meer und dort, wo es wärmer ist, zu fahren. Sonst wird es noch schlimmer und ihre Lebenszeit ist verkürzt. Hier im Norden herrscht zur Zeit Chaos und auch regnet es ununterbrochen, das wird die Krankheit nur noch verstärken und ausbreiten lassen.“   „Danke, ich habe genug gehört, Doktor.“ Marie Antoinette sah wieder die perplexe Oscar an. „Ihr werdet zu Eurem Gutshaus in die Normandie gehen, Lady Oscar, dort ist es wärmer und die Meeresluft wird Euch sicherlich kurieren können.“   „Majestät, ich kann aber nicht ausgerechnet jetzt meinen Posten als Kommandant verlassen!“, empörte sich Oscar.   „Nun, ich entbinde Euch von dem Posten als Kommandant für zehn Tage und wenn Ihr zurück seid, dann könnt Ihr ihn wieder aufnehmen. Ach ja, damit keiner Euer Soldaten Verdacht schöpfen kann, lasse ich verlauten, dass Ihr in meinem Auftrag in die Normandie gereist seid.“   „Nein, ich bitte Euch, schickt mich nicht fort, meine Männer brauchen mich!“   „Deine Kinder brauchen dich auch, Oscar...“, hielt Emilie es nicht mehr aus und Oscar hielt inne. „Meine Kinder...“, murmelte sie leise.   „Was soll denn aus ihnen werden, wenn Ihre Mutter der Krankheit erliegt?“, fügte Emilie ganz mitleidig hinzu. „Und erst recht aus ihrem Vater, wenn er seine geliebte Frau verliert?“   Daran hatte Oscar nicht gedacht. „Trotzdem möchte ich hier bleiben...“, brachte sie beinahe kleinlaut von sich.   „Lady Oscar, mein Entschluss steht fest.“ Marie Antoinette wollte keine Widerrede mehr hören. „Ihr geht in die Normandie und die Kinder werden derweilen bei mir in Versailles sein.“   „Bitte nicht...“, schoss es Oscar in Gedanken, aber bevor sie weiteren Protest von sich gab, sprach Ihre Majestät schon unbeeindruckt weiter: „Da fällt mir ein, Euer Vater hatte sogar vorgeschlagen, seinen Ziehsohn hier schon bald in Erziehung zu geben und damit können wir eigentlich gleich beginnen...“   „Nein!“ Oscar hielt es nicht mehr aus, ihr platzte der Kragen. „Mein Vater hat nicht über seinen Ziehsohn zu bestimmen! Das alleinige Recht haben nur dessen leibliche Eltern! Sonst niemand mehr! Ich lasse das nicht zu!“   „Ich habe geahnt, dass du so reagierst, Oscar.“, mischte sich nun auch Emilie ein – in einem gelassenen und ruhigen Ton, als rede sie auf einen unbändiges Kind ein. „Deswegen bat ich Ihre Majestät, die Kinder mit dir in die Normandie zu schicken, da sie noch klein sind und weil hier in Versailles und der Umgebung große Unruhen herrschen.“   „Und ich habe bereits zugestimmt. Auch Eure Mutter beurlaube ich für zehn Tagen, damit sie sich um ihre Ziehkinder und Euch kümmern kann.“, meinte Marie Antoinette und lies Oscar somit keine andere Wahl zu weiteren Einwänden. „Also fahrt in die Normandie mit ihnen und erholt Euch, das ist nun ein Befehl, Lady Oscar.“   „Damit kann ich leben...“, sagte Oscar zähneknirschend und verneigte sich tief.       - - -       „Normandie? Aber wieso?“, fragten Alain und André fast im Chor, als Oscar ihnen das mitteilte.   „Ja, im Auftrag Ihrer Majestät soll ich schon morgen dorthin aufbrechen. Deswegen übernehmt ihr beide die Befehlsgewalt für mich. Es sind nur zehn Tage, aber haltet mich auf den Laufenden und wenn etwas passiert, dann lasst nach mir sofort rufen.“   „In Ordnung, Oberst.“ Alain salutierte. „Wir werden hier schon für Sicherheit und Ordnung sorgen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.“   „Gut. Und ich vertraue auf euch. Jetzt muss ich noch meine Sachen packen.“ Oscar ritt dann gleich Heim, in Begleitung von André.   „Ich werde dich natürlich begleiten.“, sagte André auf dem Weg wie selbstverständlich.   „Nein, bleibe bitte hier und sorge mit Alain für Ordnung.“ Sonst würde er noch über ihre Krankheit herausfinden und das wollte Oscar ihm nicht antun.   „Aber Oscar...“   „Bitte André, mache es mir nicht noch schwerer...“ Oscar schluckte bitter und versuchte ihn zeitgleich zu beruhigen. „Und zudem noch kommen unsere Kinder und meine Mutter auch mit. So ist es sicherer für sie.“   „Ich verstehe nicht, was das für ein Auftrag sein sollte, dass du unsere Kinder und deine Mutter mitnimmst?“ Es reichte! André war genug am verzweifeln und nun wollte er sich endgültig Klarheiten verschaffen. „Was ist passiert, Oscar? Was ist mit dir in letzter Zeit los? Du siehst blass aus...“   „Ich habe mich nur erkältet, mehr nicht...“ Oscar sprach das nicht einmal zu Ende aus, als André ihr ungewöhnlich scharf das Wort abschnitt: „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass die Königin dich nur wegen einer Erkältung in die Normandie schicken würde und das auch noch mit den Kindern! Mir kannst du nichts vormachen, ich spüre doch ganz genau, dass mit dir etwas los ist. Bitte, Oscar, sag mir, was du hast!“   Oscar war hin und her gerissen. Sie wollte ihm nichts sagen, aber genauso wollte sie ihn nicht im Ungewissen lassen. Es blieb ihr nur eine Möglichkeit, aber dafür brauchte sie sein sicheres Wort. „Versprich mir aber, dass du hier bleibst.“   „Ich schwöre es dir sogar, Oscar!“ Egal was er zu Hören bekommen würde, aber Hauptsache war, dass sie ihm endlich alles erzählte! „Bitte befreie mich von dieser Ungewissheit!“   „André...“ Oscar hatte Mühe, ihren Mut zu sammeln und ihm die schreckliche Gewissheit offenbaren: „Ich habe Blut gehustet... Ihre Majestät hat den Verdacht, dass ich Tuberkulose habe und deshalb schickt sie mich fort, damit ich mich von dieser Krankheit erholen kann...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)