Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 11: Erkenntnis ---------------------- Es war ungerecht, wie das Schicksal André zuspielte...   Ein Dieb, der nur die Adlige bestahl und seine Beute unter den Ärmsten der Armen verteilte, trieb neuerdings sein Unwesen. Den Beinamen schwarze Ritter verdankte er seinem schwarzen Kostüm und der Maske.   Und als wäre das schon nicht eigenartig genug, verließ André fast jeden Abend das Haus und kehrte erst spät nachts zurück... Wie eigenartig! Was verheimlichte er denn vor ihr?   „André?“ Oscar passte ihren Freund an einem dieser Abende ab und wollte sich nun Klarheiten verschaffen. „Warst du noch so spät unterwegs?“   „Ist es verboten?“, konterte dieser mit der Gegenfrage. Seit dem Ballabend vor einigen Wochen war ihr Verhältnis zueinander deutlich verändert. Für die Augen der Welt benahmen sie sich wie alte Freunde, aber innerlich trugen sie ihre Gefühle jeder für sich. Sie gingen nur pflichtbewusst den gemeinsamen Weg, obwohl sie am liebsten noch mehr Zeit zusammen auf dem Anwesen und nicht nur dienstlich in Versailles verbringen würden... „Ich bin nur ein Stück ausgeritten“, kam André auf Oscars Frage zurück.   „In so einer kalten Nacht?“ Das war nicht zu fassen! Wenn nicht der schwarze Ritter wäre, dann hätte ihm Oscar dies vielleicht noch durchgehen lassen und als verzweifelter Versuch empfunden, seiner Liebesqual zu entkommen.   „Was ist dabei? Das macht mir nichts aus!“ Wieder so eine seltsame Antwort von ihm! Und der schwarze Ritter trieb seine verbrecherischen Machenschaften auch immer nachts... „Gute Nacht, Oscar, schlaf gut.“, verabschiedete sich André ohne sich etwas anmerken zu lassen und ging einfach auf sein Zimmer.   „Danke du auch!“, rief ihm Oscar nach, bevor auch sie auf ihr Zimmer ging. Morgen würde sie sich der Sache annehmen und endlich herausfinden, was oder wer hinter dem schwarzen Ritter steckte! Und André... Er benahm sich in letzter Zeit äußerst verdächtig... War das ihretwegen? Weil sie ihm noch immer keine Antwort gab? Die Antwort, die sie sich selbst in jener Nacht nach dem Ball versprochen hatte... Aber wie konnte sie das Versprechen einlösen, wenn kurz darauf merkwürdige Dinge anfingen zu geschehen – wie beispielsweise mit dem schwarzen Ritter und den nächtlichen Ausritten von André... Nein, das Versprechen einlösen musste noch etwas warten – es gab jetzt wichtigeres zu tun!   Schon am nächsten Tag begann Oscar die Jagd auf den schwarzen Ritter. Jeden Abend besuchte sie mit André die Bälle, um auf ihn zu treffen und ihn sich zu schnappen. Erfolglos... So, als hätte der schwarze Ritter geahnt, dass der Kommandant der königlichen Garde auf dem jeweiligen Ball auf ihn wartete... Oscar wusste keinen Rat. Aber aufgeben stand ihr auch nicht im Sinn.   Nicht einmal, als André ihr das auszureden versuchte. „...hör mal, Oscar...“, sagte er ihr an einem frühen Morgen beim Frühstück in ihrem Salon und gähnte noch schlaftrunken. „...findest du es wirklich so wichtig, dass wir den schwarzen Ritter fangen? Er tut doch niemanden etwas zu leide...“   Oscar war nach dieser Wortwahl noch skeptischer als vorher. André machte sich damit nur noch verdächtiger... „Aber was er tut ist unrecht! Dieb ist Dieb und man muss ihn bekämpfen!“ Schon alleine der Gedanke, dass André in Verbindung mit diesem Verbrecher stand, war fragwürdig und abscheulich zu gleich... Deshalb musste Oscar etwas unternehmen und endlich die Wahrheit ans Licht bringen!   Aber wie sollte sie es tun, wenn André noch am gleichen Abend wieder aus dem Haus ging, ohne ihr davon etwas zu sagen? „Er ist ausgeritten“, erfuhr sie von Sophie.   „Schon wieder?“ Oscar war empört und fassungslos.   „Ja, und er bat mich Euch auszurichten, Ihr möget auf ihn warten.“   „Danke, Sophie.“ Oscar konnte nicht mehr abwarten. Sie begab sich alleine auf den Ball. Und ausgerechnet an diesem Abend begegnete sie dem schwarzen Ritter! Oscar zögerte keine Sekunde und verfolgte ihn durch ganz Paris...   Oscar wollte ihn unbedingt dingfest machen, den Diebstählen somit ein Ende bereiten und auch sehen, wer hinter der Maske steckte! Sie war so versessen darauf, dass sie erst zu spät die Gefahr bemerkte... Der schwarze Ritter hatte sie im günstigsten Moment in eine Falle gelockt und sie mit seiner Bande von dutzenden Männern umzingelt. „Tötet sie nicht, sie ist Kommandant der königlichen Garde und könnte uns lebendig mehr von Nutzen sein. Nehmt sie als Geisel“, erörterte der schwarze Ritter höhnisch und einer von seinen Männern schlug sie am Kopf. Oscar behielt jedoch das Gleichgewicht und mit einer blutenden Wunde am Kopf konnte sie gerade so der Geiselnahme entfliehen. Sie versteckte sich von den Verfolgern in einem Haus und brach dort zusammen...           - - -           Oscar saß am nächsten Abend in ihrem Sessel vor dem Kamin und überdachte all die Ereignisse des Tages und der vergangene Nacht: Heute früh war sie in einer fremden, ärmlichen Wohnung aufgewacht und hatte festgestellt, dass auch Rosalie dort wohnte. Rosalie... Das war eine trostlose und überraschende Begegnung zugleich. Rosalie wohnte schon längst nicht mehr bei den Polignacs und führte ein bescheidenes, aber zufriedeneres Leben unter dem einfachen Volk – was Oscar einigermaßen beruhigte, da es Rosalie offensichtlich besser ging. Die junge Frau hatte sich fürsorglich um sie gekümmert und einen Verband um ihren Kopf gelegt. Dann verließ Oscar Rosalie und wartete nun seit Stunden in ihrem Sessel vor dem Kamin auf André. Draußen wurde es bereits dunkler, als er endlich heimkam. „Das war leichtsinnig. Alles in einem hast du Glück gehabt“, machte er ihr gleich Vorwürfe, kaum er ihr Zimmer betrat. „Warum hast du nicht auf mich gewartet? Wie konntest du nur alleine losgehen?“ Besser gesagt: Wie konnte sie ihm das antun? Er war ihretwegen fast vor Sorge umgekommen, als er gestern spät nachts heimkam und erst heute früh von seiner Großmutter erfahren musste, dass Oscar von dem Ball noch immer nicht zurückgekehrt war! André hatte das Frühstück verschmäht und war überstürzt nach Paris aufgebrochen, aber fand nicht einmal einen Hinweis darauf, wo Oscar sein könnte. Nun, nach dem seine Suche nach ihr den ganzen Tag über erfolglos blieb, kehrte er heim und erfuhr von seiner Großmutter, dass Oscar verletzt wieder zurück war... Er versuchte nicht auf ihren Verband zu achten, versuchte seinen knurrenden Magen zu ignorieren und so vorwurfsvoll zu klingen wie möglich – Oscar sollte endlich verstehen, wie töricht ihr Unterfangen ohne ihn war und beim nächsten Mal auf ihn warten!   André sprach zwar ruhig, aber Oscar hielt es dennoch nicht mehr aus. Genug war genug! „Und darf ich wissen, wo du warst? Wo führen sie dich hin – deine langen Ausritte an so vielen Abenden?“, gereizt erhob sie sich aus dem Sessel und ungeachtet ihrer Kopfschmerzen baute sie sich beinahe herausfordernd vor ihm auf. „Ich will wissen, was du tust, wenn du stundenlang ausreitest und erst spät nachts nach Hause kommst! Alles kann ich vertragen, alles! Nur keine Lügen, keine Lügen! Verstehst du? Das ist unserer Freundschaft unwürdig!“   Freundschaft... Das war das also... Sie beschuldigte ihn, der schwarze Ritter zu sein... Jetzt wurde ihm einiges klar und er begriff, warum sie ohne ihn die Jagd auf den maskierten Dieb gemacht hatte... André senkte schuldbewusst seinen Blick. „Ich verstehe, dass du mir solche Vorwürfe machst... Also gut, beim nächsten Mal kannst du mich begleiten...“       Und beim nächsten Mal sagte er ihr Bescheid und sie kam mit. Da war eine ärmliche Dorfkirche, wo Bauern und edle Menschen sich versammelten. Sie diskutierten neue fortschrittliche Ideen, um die Verhältnisse dieses Landes besser zu durchschauen. Oscar konnte ihrem Freund diese Ausflüge nun nicht mehr verübeln und nun wusste sie den Grund seiner Ausritte. Und verwehren konnte sie ihm das auch nicht, denn er gehörte nicht dem verfaulten Adel an und es war sein Recht, das zu tun, was er für richtig hielt. Es schmerzte ihr im Herzen und Gewissensbisse plagten sie, weil sie ihm etwas unterstellen wollte... Sie hätte sich gerne bei ihm entschuldigt, aber nicht jetzt, wo der schwarze Ritter noch auf freiem Fuß war.   Der Winter brach an, ihre Kopfverletzung verheilte gut und der Dieb schien mit den Raubzügen aufgehört zu haben, bis der Frühling angebrochen war, er wieder auftauchte und Oscar die Jagd auf ihn aufs neue begann.   André konnte sie verstehen, hörte mit seinen Ausflügen zu der neuen Bewegung auf und begleitete sie überall hin. Obwohl sein Herz immer mehr von der unerwiderten Liebe zu ihr litt, stand er ihr dennoch weiterhin zur Seite und empfahl sich sogar, den schwarzen Ritter spielen, um ihn auf diese Weise schneller fangen zu können.   Anstelle auf Bälle begleitete Oscar ihn jede Nacht auf seinen provisorischen Raubzüge. André ließ sich niemals schnappen und spielte den schwarzen Ritter hervorragend – bis der echte eines späten Abends im Wald irgendwann mal auftauchte und ihn stellte. Oscar war äußerst erfreut über dessen Erscheinen und kam aus ihrem Versteck heraus. „Ihr seid verhaftet!“, grollte sie und zog schussbereit ihre Pistole.   Dem schwarzen Ritter wurde einiges klar. „Verstehe! Der Junge ist also ein Lockvogel!“ Und anstelle sich zu ergeben, zog er schnell sein Schwert und griff André an.   André reagierte ebenso schnell, zog seinen Degen und parierte gerade rechtzeitig den Hieb. Oscar wollte schießen, aber konnte nicht. Denn in der fast nächtlichen Dunkelheit – auch wenn silberne Sterne und der Vollmond herab leuchteten und die Umrisse der Umgebung sichtbar machten - sahen alle beide trotzdem gleich aus! Oscar war gezwungen, den Kampf tatenlos mit anzusehen. Ihr Herz raste – wer war von ihnen nun André?   Ihr André! Ihm durfte nichts geschehen! Was konnte sie aber tun, ohne ihn zu verletzen und nur den echten schwarzen Ritter zu treffen? Dann erkannte sie plötzlich wie einen der beiden Männern das Schwert aus der Hand geschlagen wurde und der andere das ausnutzte und ihm die Maske, die er um die Auge trug, aufschlitzte. Sein Gegner konnte nicht ausweichen und die Spitze der Klinge fuhr ihm übers Gesicht, über den Wangenknochen, bis zu der Augenbraue und trennte die Maske entzwei. Der getroffene Mann schrie schmerzverzerrt auf, sein Degen fiel ihm aus der Hand und er selbst sackte auf dem Boden zusammen. Er bedeckte sein linkes Auge und Blut sickerte ihm nur so durch die Finger.   „André!!!“ Oscar erkannte den verletzten und sich vor Schmerzen krümmenden Mann allein an der Stimme! Nein! Bitte nicht! Schreckensbleich stieg sie aus dem Sattel und eilte zu ihm. „André!“ Sie stützte ihn, gab ihm den Halt und verfluchte sich selbst für ihre Unachtsamkeit. André hatte doch ohnehin schon genug zu leiden! Und jetzt verletzte der schwarze Ritter ihn am linken Auge! Ihretwegen und weil er ihr helfen wollte, ihn zu schnappen. Oscar musste deswegen den echten schwarzen Ritter gehen lassen, um ihren Freund beizustehen. Sie konnte und wollte ihn nicht zurücklassen! Das wäre feige und unehrenhaft...       Nun lag er seit Stunden in seinem Bett mit einem großen Verband um seine linke Gesichtshälfte. Er hatte bestimmt große Schmerzen, aber zeigte sie nicht nach außen. Seine Großmutter geleitete gerade den Arzt hinaus und so blieb Oscar mit ihm alleine. Sie stand direkt an seinem Bett und sah auf ihn mit plagenden Gewissensbissen. André... Ihr Herz litt mit ihm mit und ein entstandener Kloß in ihrem Hals schien sie immer mehr zu erdrücken. André öffnete mühsam sein rechtes Auge und schaute zu ihr, als hätte er ihre schreiende und sich quälende Seele gehört und wollte ihr beweisen, dass sie sich keine Sorge um ihn machen brauchte. „Wer war dieser schwarze Ritter?“, fragte er sie rau.   Oscar schreckte auf. Warum interessierte ihn noch der schwarze Ritter? Er musste jetzt an sich denken! „Ich musste ihn leider entwischen lassen...“, murmelte sie ungewollt mit belegter Stimme.   „Was sagst du da?“ André klang verbittert und leicht angesäuert. „Warum hast du diesen Mann nicht bis ans Ende der Welt verfolgt und anschließend gefangen genommen?“   „Du weißt warum! Ich konnte dich doch nicht verletzt zurücklassen und ihn verfolgen!“ Oscar bewahrte äußerlich Ruhe, aber ihre schimmernden Blicke und der heisere Tonfall in ihrer Stimme verrieten die Besorgnis in ihr, was André vor den Kopf stieß. Zum ersten Mal zeigte sie ihm unbeabsichtigt, was er ihr wirklich bedeutete...   Es begann zu dämmern. Die ersten Sonnenstrahlen breiteten sich im Zimmer aus und André sah ihre schimmernden Blicke nun deutlicher. Das rührte ihn selbst fast zu Tränen. „Ich bin froh, dass mein Auge verletzt wurde und nicht deines, Oscar...“   „Ach, André, sag nicht so etwas...“ Wie konnte er?! So, als würde er ihr nichts bedeuten! Sie liebte ihn doch, das hat sie bereits erkannt, ihm aber nur noch nicht gesagt. Sie stellte sich jeder Herausforderung, aber ein Geständnis der Liebe abzulegen, war schwieriger als gedacht. Das waren nur bloße Worte, aber doch so bedeutend...   Oscar wollte ihm das auf einer anderen Weise zeigen. Sie setzte sich vorsichtig zu ihm auf die Bettkante und legte ihre Hand auf die seine. „Weißt du noch, als wir auf den Weg in Arras waren, da hatten wir den Sonnenaufgang beobachtet... Das hat dir so sehr gefallen... Lass uns noch einmal hin reiten... Ich möchte, dass du wieder gesund wirst.“   „Ja, das können wir machen, Oscar...“ André lächelte schwach. Oscars Worte waren für ihn wie wohltuender Balsam und überdeckte sogar den brennenden Schmerz auf seinem linken Auge unter dem Verband. Wenn sie ihn auch noch lieben könnte, dann wäre er noch glücklicher...   „Dann ist es abgemacht!“ Oscar lächelte auch, aber kurz und flüchtig. „Sobald ich den schwarzen Ritter geschnappt habe, reisen wir nach Arras!“   „Oscar...“ André umfasste ihre Finger kräftiger, als befürchte er, dass sie gleich los stürmen würde.   Oscar erwiderte zwar nicht den Druck seiner Finger, aber sie verharrte reglos. Jedoch nur für einen Wimpernschlag. Sie spürte die Wärme in ihr hochsteigen und ließ dieses Gefühl nach Zuneigung für einen kurzen Augenblick gewähren. Dann entriss sie ihm ihre Hand und stand auf. „Alles wird gut, vertrau mir“, versprach sie ihm aufgeschlossen und ging mit festen Schritten aus seinem bescheidenen Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)