Lieben und geliebt werden von Saph_ira ================================================================================ Kapitel 5: Neuer Freund ----------------------- André wollte nicht mehr auf sein Zimmer gehen. Ihm war schlecht - und das auch nicht nur wegen seinem geschlagenen Körper. Er fühlte sich hundeelend. Immer wieder kreiste die leidenschaftliche Stimme von Oscar in ihm durch: „...von Fersen...“ hatte sie gestöhnt... mit so einer Intensität, die ihm zuwider war und er am liebsten in dem Moment gestorben wäre... Eigentlich kein so abwegiger Gedanke.... Vielleicht würde er dadurch von seinem Leid erlöst werden und Oscar könnte dann getrost weiter von von Fersen schwärmen?! Vielleicht würde sie einsehen, dass sie ihren besten Freund, ihren über alles treuen und loyalen Gefährten seit Kindesalter, für immer verloren hatte?! Aber würde sie seinen Freitod nicht in ein noch größeres Unglück stürzen? Was würde Oscar dann überhaupt machen? Würde sie um ihn trauern, ihn beweinen? Sie war doch dazu erzogen stets hartherzig zu sein und keine Schwäche zuzulassen. Denn Gefühle, die in ihren Augen weich waren, durfte sie sich nicht einmal erlauben und erst recht nicht zur Schau tragen...   André beschleunigte seinen Schritt. Seine Beine gehorchten ihm allerdings nicht so, wie er das am liebsten hätte. Als wären ihm Bleifesseln angelegt, schleppte er sich an der Wand den langen und kaum beleuchteten Gang entlang. Kurz vor der Treppe, die in das untere Stockwerk führte, blieb er stehen und versuchte tiefer zu atmen. Aber das ging nicht. Ein erdrückender Kloß schnitt ihm beinahe die Atemwege zu, kaum dass er tief Luft holte, und mit Ausatmen war ebenso schwer.   „...von Fersen...“, erklang wieder die betörende Stimme von Oscar in seinem Kopf. Welch eine bitterböse Enttäuschung!   André brannten die Augen und wurden immer glasiger. Er zwang seine Füße buchstäblich die Treppe herunter zu laufen und den Weg nach draußen einzuschlagen. Er brauchte unbedingt die frische Luft, sonst würde er noch ersticken – gepeinigt und geplagt von der falschen Liebe, die Oscar gerade hervorgebracht hatte.   Nein! Bitte nicht! Warum musste das nur passieren? Wieso hatte er sich auf diese Liebelei eingelassen? Auch wenn André über die verborgenen Gefühle von Oscar zu Graf von Fersen wusste, hatte er trotzdem gehofft, dass es eine vorübergehende Phase von Oscar war, aber sie hatte ihn eines Besseren belehrt...   Kühl umfing ihn die nächtliche Luft, als er nach draußen trat und der sternenklare Himmel tauchte die Umgebung in ein silbriges Licht, aber André blieb nicht stehen. Seine Füße trugen ihn weiter bis in den Stall und dann zu der Box seines Pferdes. Der Braune empfing ihn mit leisem Schnauben und André begann ihn fachmännisch zu satteln. Auch in der Dunkelheit gelang es ihm gut, immerhin kannte er sich hier schon bestens aus. Er wollte nur noch weg von hier - von Oscar und davon, was vor wenigen Augenblicken geschehen war. Am liebsten wollte André das Anwesen für immer verlassen, und das tat er schlussendlich. Er ritt einfach fort nach Paris.       - - -       André leerte einen zweiten Krug Bier, ohne darauf zu achten, dass er immer betrunkener wurde. Und auch ohne das Bier mitzuzählen, das er vor der Schlägerei am heutigen Abend bereits getrunken hatte...   Nach dem ziellosen Ritt durch das nächtliche Paris, kehrte er in einen billigen Gasthof ein, um seinen Kummer und die Geschehnisse zu ertränken. Das war ein anderer Gasthof, als der, wo er mit Oscar vor einigen Stunden zusammen war. Und das war ihm recht egal. Er hatte sich im Gasthof nicht einmal umgesehen, als er hierhergekommen war und nur zielstrebig an der Theke ein Bier bestellt hatte. Die herbe Flüssigkeit hatte genauso einen bitteren Beigeschmack wie seine zerrissenen Gefühle.   Die Gaststube war nicht allzu groß und ärmlich, sogar etwas schäbig ausgestattet und spärlich beleuchtet – ganz passend, um nicht großartig aufzufallen. Nur leer war sie zu seinem Leidwesen nicht, sondern mit irgendwelchen Söldnern gefüllt. Sie lachten, scherzten und sangen. Aber auch deren Leutseligkeit ging an André gleichgültig vorbei. Er musste seine Gefühle in Ordnung bringen, auch wenn das unmöglich schien.   Oscar! Welch eine bittere und niederschmetternde Enttäuschung, ging es André erneut durch den Kopf! Und er war darauf reingefallen! Zu sehr war er der Verführung erlegen, dass er einfach alles was Oscar und ihre verborgenen Gefühlen zu Graf von Fersen betraf, außer Acht gelassen hatte... Das war ein riesen großer Fehler seinerseits... Nun war es der Preis für sein voreiliges und unbedachtes Vergehen... Nie würde er Oscar wieder so offen in die Augen schauen können, da sie nun über seine Liebe zu ihr Bescheid wusste... Was würde nun mit ihnen geschehen? Wie ging es weiter? Würde Oscar ihn verstoßen? Nicht mehr an ihrer Seite haben wollen? Wie würde sie reagieren, wenn sie sich wieder begegnen? War das jetzt das Aus von ihrer langjährigen Freundschaft? Wenn dem so sein würde, dann wäre der Weg in den Freitod bestimmt das Beste für ihn – und auch vielleicht für sie... Was hatte er nur getan?! Es war zum Haare raufen!   Ein dumpfes Poltern riss André plötzlich aus seinen trübsinnigen Gedanken und als er von seinem halbwegs geleerten Bier aufsah, stand ein breitschultriger, schwarzhaariger Söldner neben ihm an der Theke. Um dessen Hals war ein auffällig rotes Tuch gebunden und seine dunkelbraunen Augen richteten sich geradewegs auf ihn. „Hey, Kumpel, du siehst richtig niedergeschlagen aus!“, stellte der Mann mit rauer, aber angenehm klingender Stimme fest. „Willst du dich nicht zu uns gesellen?“ Er zeigte dabei mit seinem Kinn auf die Söldner, die am anderen Ende der Gaststube an einem Tisch saßen und schienen etwas zu feiern – ihre gutgelaunten Gemüter kannten keine Grenze.   Niedergeschlagen in allen Sinnen – körperlich, wie auch seelisch - André warf einen flüchtigen Blick auf die freudige Söldnertruppe und es drehte ihm beinahe der Magen um: Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Dieses Gelage würde seinen Kummer nicht vertreiben, das wusste er genau. Die Söldner winkten ihm auch noch zu. „Komm zu uns!“, rief einer dabei und der andere stimmte auch mit ein: „Mit uns wird es dir bestimmt besser gehen, als wenn du alleine dort sitzt!“   „Nein, danke“, murmelte André entschuldigend und wandte sich wieder seinem Bier zu.   „Auch gut.“ Der Mann mit dem roten Halstuch neben ihm lachte auf. „Wenn du nicht willst, dann bleibe ich bei dir. Ich bin eigentlich nicht der Mensch, der sich in fremde Angelegenheiten einmischt, aber du scheinst ein netter Kerl zu sein und siehst so aus, als würdest du Gesellschaft gut gebrauchen.“ Er drehte seinen Kopf und hob eine Hand: „Hey, Wirt! Für uns zwei Bier bitte!“   „Geht klar, Alain!“, sagte der Wirt und nahm die Bestellung unverzüglich auf.   Ein netter Kerl... André hätte wahrscheinlich bei diesen Worten losgelacht, wenn ihm nicht gerade elend zumute wäre... Ein netter Kerl, dem Vernunft und Anstand fehlten... Ein netter Kerl, der seine Freundschaft aufs Spiel setzte und seine Liebe auf eine Art verraten hatte, die nie hätte passieren sein dürfen... Noch immer hatte er das prickelnde Gefühl, als brenne Oscars zarte und weiche Haut unter seinen Fingern... Er konnte nicht einfach dieses Gefühl verdrängen, dass sie ihm so spürbar nahe war... dass sie sich ihm beinahe hingegeben hätte... Das alles konnte André erst recht nicht mehr aus seinen Gedanken verbannen – und vor allem nicht aus seinem Herzen... Ach, wenn man das nur rückgängig machen könnte, dann würde er jetzt nicht hier sitzen und sich mit Selbstvorwürfen überschütten.... All seinen Mühen zum Trotz brannte sich die Erinnerung in ihm ein. Krampfhaft umklammerte André seinen Bierkrug und wünschte sich, der Boden möge aufgehen und ihn in den tiefsten Schlund des Abgrundes verschlingen.   Der besagte Alain machte aus Andrés Trübsinn keinen Hehl daraus. Er setzte sich gemütlich an die Theke und widmete sich schon wieder seiner neuen Bekanntschaft zu. Warum konnte er ihn, André, nicht einfach in Ruhe lassen? Was wollte er von ihm?   „Wie du gehört hast, heiße ich Alain. Alain de Soisson um genau zu sein. Ich bin ein Soldat in der Söldnertruppe.“ Er zeigte diesmal mit dem Daumen auf seine Kameraden, die sich nun nicht nur über anzügliche Lieder amüsierten, sondern auch dabei Karten spielten. „Wir sind dort alle einfacher Herkunft, im Gegensatz zum königlichen Garderegiment – dort sind sie alle adlig. Aber was erzähle ich dir hier?!“ Er verstummte kurz, als erwarte er eine Antwort und bekam keine. „Jetzt bist du an der Reihe!“, spornte er seinen Gegenüber gleich darauf an: „Wie heißt du denn eigentlich?“ Alain konnte selbst nicht genau sagen, warum er von seiner neuen Bekanntschaft mehr wissen wollte. Eigentlich war er nicht der Mann dafür und die unbekannten Menschen gingen gleichgültig an ihm vorbei. Aber dieser Neuankömmling hier hatte einfach etwas an sich, was ihn bei ihm zu bleiben und ihn aufzuheitern bewog.   Ja, warum belastete ihn dieser Alain mit dem Gespräch überhaupt? Und warum musste er unbedingt das königliche Garderegiment erwähnen? So, als hätte André es mit seinen Gedanken um Oscar nicht schon schwer genug! Aber unhöflich wollte er auch nicht sein. Vielleicht würde Alain danach von ihm ablassen? „Mein Name ist André... André Grandier... Ich arbeite als Bediensteter auf einem Anwesen nicht weit von Paris...“   „Und heute hast du dienstfrei“, schlussfolgerte Alain grinsend. Der Name war ihm selbstverständlich unbekannt, aber er war auch mit diesem Anfang zufrieden.   André verdrehte die Augen. Dieser Mann hatte offensichtlich an ihm einen Narren gefressen. Andererseits würde vielleicht die Gesellschaft ihn ablenken können, schwebte ihm gleichzeitig in Gedanken... „Nicht ganz, aber fast...“   „Na, geht doch!“ Alain lachte wieder auf und entblößte seine weißen Zähne. Der Wirt stellte in dem Moment zwei Krüge Bier auf die Theke und Alain hob eines in die Höhe: „Auf unsere neue Bekanntschaft!“   „Zum Wohle...“ André tat ihm unwillig gleich, leerte schnell die Reste aus seinem Krug, hob den neuen an und nahm dann einen großen Schluck von dem frischen Bier.   Es blieb nicht nur bei dem einen Krug. Nach dem das eine ausgetrunken war, bestellte Alain gleich neues. So, als hätte er mit ihm eine Wette abgeschlossen und wollte ihn deshalb unter den Tisch trinken. Die herbe und kühle Flüssigkeit rann André immer angenehmer den Hals herunter und schien ihn mit jedem Schluck von seinem Kummer zu erlösen. Er wollte doch einfach nur Vergessenheit darin finden und das schien nach einigen Krügen und dank der Redseligkeit von Alain gut zu funktionieren. Mehr noch: Dieser Alain wirkte im nächsten Augenblick nicht mehr so lästig wie zu Beginn. Er erwies sich als ein unterhaltsamer Geselle, der viele Soldatenwitze auf Lager hatte und mit dem es nie langweilig sein würde. Alain schien vom Aussehen her noch zusätzlich des gleichen Alters wie er zu sein. Also in etwa zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig.   André erfuhr von ihm einiges über ein einfaches Soldatenleben, wie schwer es manchen von seinesgleichen erging und dass Alain der Söldnertruppe hauptsächlich wegen des besseren Soldes beigetreten war. André hörte ihm meistens mit Interesse zu und sein Gemüt heiterte sich immer mehr auf – vor allem wenn das Bier immer wieder nachbestellt und getrunken wurde.       „...und nun erzähl, warum du so aussiehst, als habe dich deine Geliebte verlassen?!“, fragte Alain urplötzlich nach einer Weile der näheren Bekanntschaft zu ihm.   André schreckte innerlich auf. Das ging ihn nichts an, hätte er gesagt, aber bei Erwähnung des Wortes „Geliebte“ wurde seine Zunge auf einmal bleischwer und klebte trocken an dem Gaumen fest. Warum musste Alain unbedingt die Stimmung mit dieser Frage umkippen! Die Unterhaltung lief doch gerade so gut, dass er an Oscar und den Vorfall bereits nicht mehr dachte! Erneut entstand ein dicker Kloß in seiner Kehle und er versuchte ihn krampfhaft herunterzuschlucken.   „Also habe ich ins Schwarze getroffen!“, stellte Alain begnügend fest und als von André keine Antwort kam, zwinkerte er ihm verschwörerisch zu. „Wenn du willst, kann ich dir einen Rat geben, wie du sie zurückgewinnen kannst. Ich bin nämlich ein Frauenversteher!“   André musste unwillkürlich grinsen. Egal was Alain ihm für Ratschläge geben würde, bei Oscar würde nichts funktionieren. Denn sie war eine äußerst außergewöhnliche Frau und nur er, André, wäre in der Lage sie zu verstehen. Aber vielleicht wäre es einen Versuch wert? Alain schien völlig in Ordnung zu sein und er musste zugeben, dass dessen Art ihm gefiel. „Also gut“, gab er schlussendlich nach. „Gib mir deinen Ratschlag und ich sage dir, ob es bei ihr wirken könnte oder nicht.“   „Du scheinst sie gut zu kennen, wenn du dir so sicher bist, wie gut meine Empfehlungen bei ihr ankommen werden.“ Alain griff schon nach dem nächsten Krug, den der Wirt gerade auf die Theke vor ihm und André hingestellt hatte.   „Ich kenne sie in- und auswendig. Ich bin mit ihr zusammen aufgewachsen.“ André nahm wieder einen tiefen Schluck von dem frischen Bier und als er den Krug abstellte, wusch er die Schaumreste mit dem Ärmel von seinen Lippen. „Aber lass erst einmal hören, was du so für Ratschläge hast.“   „Du gefällst mir immer besser!“ Alain rückte zu ihm näher heran und senkte seine Stimme zu einem Flüsterton: „Na dann, hör mir gut zu...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)