Wie man es noch sagen kann von Yosephia ([Romance OS-Sammlung/ Prompt-Liste]) ================================================================================ 66. “Stay over.” (Lavia) ------------------------ Wenn seine Freunde jetzt hier wären, hätten sie eine Menge zu sagen. Zumindest Evergreen und Bixlow würden mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten. Vielleicht würde sogar Freed sich hinreißen lassen, ein Urteil zu fällen – denn entgegen aller Vorwürfe, die Evergreen und Bixlow ihm manchmal an den Kopf warfen, war Laxus sehr wohl aufmerksam genug, um zu bemerken, dass auch die Geduld von Freed nicht mehr lange anhalten würde. Deshalb war Laxus froh, dass die Drei eben nicht hier waren und somit auch nicht sehen konnten, wie er durch die Straßen torkelte – gestützt nur von einer jungen Frau, die viel zu klein und zu zierlich für sein Gewicht war. Er merkte sehr wohl, wie ihre Knie immer wieder einzuknicken drohten, und er hörte auch ihr gelegentliches Ächzen, aber er hatte keine Möglichkeit, ihr die Arbeit zu erleichtern. Nicht in seinem Zustand. Das hieß: Eine Möglichkeit gäbe es. Er könnte jemanden anrufen. So gesehen gäbe es sogar viele Möglichkeiten, denn trotz seines widerwärtigen Betragens in den letzten Monaten gab es immer noch genug Menschen, die er anrufen könnte, um sie um Hilfe zu bitten. Sein Großvater wäre sofort zur Stelle, selbst seine Freunde wären es, egal wie ungeduldig sie mittlerweile waren. Oder er könnte auch einfach ein Taxi rufen. Doch all diese Dinge würden bedeuten, dass er ausdrücklich um Hilfe bitten müsste – was wiederum hieß, dass er sich seine Schwäche eingestehen müsste. Dazu war er immer noch nicht bereit. „Laxus…“ Die junge Frau neben/unter ihm ächzte wieder leise. „Können wir uns kurz dort hinsetzen? Juvia braucht eine Pause.“ Hinsetzen. Laxus wusste gar nicht mehr, wie oft man ihm eben das empfohlen hatte. Ihm, einen Mann in den Zwanzigern, kerngesund, durchtrainiert. Ihm, einen… Mit einem leisen Grunzen stimmte Laxus zu und ließ sich von Juvia zu einer nahen Bushaltestelle führen. Um diese Uhrzeit fuhr hier kein Bus mehr und die unbequemen Plastiksitze waren frei. Dennoch war es eine Erleichterung, zu sitzen, und Laxus ertappte sich dabei, wie er sich nach hinten lehnte, um seine Wirbelsäule zu entlasten. Schnell richtete er sich wieder gerade auf und schielte zu Juvia hinunter, um sich zu vergewissern, dass sie nichts bemerkt hatte. Die Blauhaarige lehnte sich erleichtert nach hinten und hielt die Augen geschlossen. Sie wirkte vollkommen entspannt. Nichts wies darauf hin, dass sie schlecht von Laxus dachte, weil er so stur war und sie belastete. Es war Laxus unbegreiflich, woher sie all diese Geduld mit ihm nahm. Seit er sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte, tauchte er andauernd in Pantherlilys Bar auf, trank zu viel und legte sich mit Gajeel oder Cobra oder eben jemand anderem x-beliebigen an, der gerade zum Frustablassen zur Verfügung stand. Ein paar Mal hatte er schon das Wort Hausverbot auf den Lippen des Barbesitzers erkennen können, aber bevor die Dinge jemals hätten eskalieren können, war immer Juvia zur Stelle gewesen. Laxus kannte die zart gebaute Kellnerin bereits, seit er als Rekrut das erste Mal mit seinen Kumpanen ins Wing Sword eingekehrt war, um einen drauf zu machen. Damals war sie noch Schülerin gewesen, ihre Kleidung mehrfach geflickt und nicht selten zu klein oder zu eng, ihre Haltung viel scheuer und verschlossener. Doch im Verlauf der Jahre war sie aufgeblüht zu einer attraktiven Frau, resolut und verständnisvoll und direkt und mit dem unglaublichen Talent gesegnet, immer dort schlichtend zur Stelle zu sein, wo die Dinge zu eskalieren drohten. Und in letzter Zeit hatte Laxus das Gefühl, selbst eine wandelnde Eskalation zu sein. Seit er an diesem einen Tag im Krankenhaus erwacht war, war alles ein Kampf um die Selbstbehauptung, ein Versuch, weiter auf den eigenen Beinen stehen zu bleiben. Und wenn man ihm mit Mitleid und Ratschlägen und Rücksichtsnahme daher kam, fühlte es sich jedes Mal wie ein Fallstrick an. Dass Juvia ihn genauso schalt wie Gajeel und Cobra, dass sie eben keine Rücksicht auf seine Diagnose nahm und ihn in seine Grenzen verwies, war irgendwie… erleichternd. Deshalb hatte er zulassen können, dass sie ihn stützte, sobald sie aus dem Sichtfeld der Anderen im Wing Sword verschwunden waren. „Geht’s wieder?“, brummte er schließlich in einem Versuch, freundlich zu sein. Die blauen Augen der jungen Frau öffneten sich wieder und spiegelten das Lächeln wieder, das sich auch auf ihren schmalen Lippen fand. Es war schwer, ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Er war so intensiv, ging Laxus unter die Haut. Als würde Juvia mehr in ihm sehen als seine ruinierte Karriere und seine jämmerlichen Versuche, eben diese zu überspielen – was auch immer sie dort erkannte, er sah es nicht. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer oder was er jetzt überhaupt noch war… Wortlos machten sie sich wieder auf den Weg durch die nächtlichen Straßen Magnolias bis zu dem Wohnblock, der Jahre lang Laxus’ Heim gewesen war, wenn er nicht in der Kaserne geschlafen hatte. Es war eine ruhige, saubere Gegend, durchaus im gehobeneren Milieu – sobald er nach seiner Grundausbildung den vollen Sold erhalten hatte, hatte Laxus sich etwas fernab der lauten und hektischen Wohngebiete mit den vielen Spielplätzen gesucht. Hier war er fündig geworden und hier hatte er sich Jahre lang wohl gefühlt, aber jetzt war es jedes Mal eine Tortur, die zweimal sechzehn Stufen zu erklimmen. Beim letzten Absatz schnaufte Juvia bereits ganz schön, obwohl Laxus wirklich versuchte, sie zu entlasten – was angesichts des zunehmenden Stechens in seinem Rücken immer schwieriger wurde. Sie waren Beide völlig erschöpft, als sie seine Wohnungstür erreicht hatten, und Laxus gestattete es sich, das vor Juvia auch zu zugeben und sich gegen seine Wohnungstür zu lehnen. „Also…“, begann Juvia schließlich und stemmte sich wieder von der Wand ab. „Juvia hat dafür gesorgt, dass du nicht gegen eine Wand läufst, aber immer kann sie das nicht machen. Du solltest wirklich nicht so viel trinken.“ Selbst jetzt noch brachte sie das eigentliche Problem nicht zur Sprache, aber dennoch – oder vielleicht auch gerade deswegen – hinterließen ihre Worte einen weitaus größeren Eindruck als alle anderen. Wahrscheinlich sollte er sich bedanken. Nicht bloß dafür, dass sie ihn immer wieder aus dem Ärger herausholte, in den er sich selbst brachte, und dass sie ihn gestützt hatte und all das, sondern vor allem für ihre so völlig andersartige Unterstützung. Aber ihm fehlten wie immer die Worte. „Gute Nacht“, sagte die Blauhaarige und ihre zarte Hand streifte kurz seine schwielige, ehe sie sich abwandte. Sein Rücken mochte verkrüppelt sein, aber sein Arm war es nicht. Ohne noch mal darüber nachzudenken, ergriff Laxus Juvias Hand und hielt sie fest, verzweifelt darum bemüht, ihr nicht weh zu tun und sie doch auf keinem Fall entwischen zu lassen. „Bleib’ über Nacht hier“, bat er mit rauer Stimme. Die Worte klangen gequetscht und schwach, waren fremd in seinen eigenen Ohren. Er wollte noch mehr sagen, wollte ihr Dinge anvertrauen, womöglich sogar sich selbst, aber alles, was er wirklich tun konnte, war, sie festzuhalten und darauf zu hoffen, dass sie ihn auch so verstand und weiterhin darauf warten konnte, bis er bereit war… Und ohne ein Wort des Protests drehte sie sich um und folgte ihm, wie sie es schon so oft getan hatte seit seiner Diagnose. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)