Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 140: Friends & Foes 2.0 ------------------------------- Friends & Foes 2.0 Schuldig starrte immer noch auf Kudou, der mit Jeis und Hisokas Hilfe den Kawamori über die Kante zogen. Dünne blutige Rinsaale blieben auf dem Metall zurück. Schuldigs Blick haftete daran wie das Blut an dem Material klebte. Er war gesprungen. Einfach so. Ohne zu kämpfen. Warum? Jei hatte ihm übermittelt, dass er Todesangst hatte. Vor ihm? Vor ihnen allen? Warum? Jetzt so plötzlich? Schon immer? Wie passte das zu dem Mann, den er in China getroffen hatte? Den Blick jedoch, dieser letzte Blick hatte Brad gegolten. Er hatte gelächelt wie jemand der sich verabschiedete, der ging, ohne zurück zu kommen und dies bedauerte. Sie hatten alles gehört was er erzählt hatte, ihm eine Falle gestellt, um ihn endlich in die Finger zu bekommen, was er unter allen Umständen verhindern wollte. Schuldig blinzelte und sah zu, wie Kudou ihm die Drähte durchschnitt. Die Kleidung färbte sich rot. Jemand sprach ihn an. Er reagierte nicht darauf. Wie viele Menschen hatte er selbst über die Kante geschickt? Und wenige hatten dieses traurige Lächeln auf den Lippen getragen. Ran trat in sein Blickfeld und versuchte Augenkontakt zu ihm aufzunehmen. „Schuldig.“ Er spürte eine Hand an seiner Wange, die sein Gesicht wegdrehte hin zu violetten Augen, die ihn fragend ansahen. „Warum?“ „Das müssen wir ihn fragen.“ „Er hat nicht gekämpft. Warum? Er ist einfach gesprungen.“ „Seine Familie hat ihn verraten. Es gab nur einen Ausweg für ihn.“ „Wir sind nicht hierher gekommen, um ihn zu töten.“ „Ich denke nicht, dass er auf diese Idee gekommen ist.“ Hisoka trug ihn hinein. „Wo ist das Schlafzimmer?“ Schuldig holte tief Luft. „Ich zeig es dir.“ Er ging voran, öffnete die Türen. Ran folgte ihnen. Im Schlafzimmer ging er zum Fenster und sah hinaus, während Schuldig sich an die Wand lehnte und Hisoka dabei zusah, wie er seinen Halbbruder untersuchte und ihn dabei die Kleidung vom Körper schnitt. Die Schnitte der Drähte gingen nicht so tief wie zunächst vermutet. „Rufen Sie meinen Vater.“ Schuldig rief ihn in seinen Gedanken und schilderte kurz die Lage. Es dauerte lange bis alle Schichten genäht waren. In der Zwischenzeit lag Finn Kawamori nackt auf dem Bett und Schuldig starrte auf die Tätowierungen am ganzen Körper. Hisoka hatte ihm die Silikoneinlagen an Hüften, Brust und teilweise an Stirn, Kiefer und Wangen entfernt. Es waren nur flache Streifen des Materials und veränderten dabei nur minimal das Gesicht. Hisoka machte sich daran, ihm das Make-up zu entfernen und ihn zu waschen. Schuldig ließ Ran und die Kawamoris alleine. Er brauchte frische Luft. Kudou und Jei waren unterwegs, um ihnen etwas zu essen zu besorgen. Als er ins Wohnzimmer kam saß Brad auf der Couch und rieb sich vorsichtig über die verbundene Hand. Er sah ihn verwirrt an, dabei sah er verletzlich für Schuldig aus, was er gar nicht mochte. Er musste an Asugawas Worte denken, dass Rosenkreuz bereits hier waren. Sie waren nicht davon gekommen wie sie es zunächst gehofft und dann schließlich geglaubt hatten. „Wie geht’s dir?“ Schuldig setzte sich auf den niedrigen Tisch vor ihn. „Wie...?“ Brad hatte einige Bilder in seinem Kopf, die ihn verworren daran erinnerten, was geschehen sein musste. Aber wie war er hierher gekommen? „Asugawa hat dich hergebracht. Vielmehr der missratene Kawamori Spross.“ „Finn?“ fragte er irritiert. Sein Körper meldete einige Bereiche, die wohl mehr unter Beschuss gestanden hatten als andere. Er besah sich den Verband an seiner rechten Flanke. Das dürfte wohl ein paar Tage dauern, bis das verheilt war. Seine Hand war da das größere Problem, die Heilung würde an dieser Stelle, die er häufig bewegte, bestimmt mehr Zeit benötigen. „Ich verstehe nicht ganz“, gab er unumwunden zu. „An was kannst du dich erinnern?“ „An einen Kampf. Ich... ich bin einer Frau gefolgt... ich dachte es wäre die... du weißt schon in Shanghai... Fuchoin. Es konnte unmöglich ein Zufall sein. Wir kämpften...“ Das Techtelmechtel in Shanghai war Schuldig noch ein Begriff. Er verzog den Mund zu einem ironischen Lächeln. „Das war Finn.“ Brad schüttelte den Kopf, als wolle er es nicht glauben. „Hast du da oben schon wieder etwas Platz für einen Lagebericht der besonderen Art?“ fragte Schuldig. Brad nickte. Er hatte Kopfschmerzen und war noch nicht vollständig auf der Höhe, aber eine telepathische Übertragung war aufgrund ihrer Detailgenauigkeit wesentlich sinnvoller als eine mündliche Erzählung. Schuldig übermittelte ihm, was in den letzten Stunden geschehen war und er hielt sich den Kopf und starrte auf den Boden des Wohnzimmers, während die Bilder und das Gesprochene vor seinen geöffneten Augen vorbeizogen. Als er Finn nackt im Blut liegen sah, wie sie ihn aus der Verkleidung schälten und zusammenflickten, hob er die Hand und die Bilder brachen abrupt ab. Er keuchte und wandte sich ab. Er bekam kaum mehr Luft. Etwas drückte heftig auf seinen Brustkorb und er versuchte aufzustehen, um besser atmen zu können. Vielleicht waren es wieder seine Rippen, die er sich vor Monaten bei seinem letzten Alleingang gebrochen hatte. Vermutlich waren sie bei ihrem Kampf zu Schaden gekommen. „Ich muss raus hier“, brachte er mühsam hervor. Schuldig stützte ihn und sie gingen auf den Balkon. „Wird er überleben?“ Brad stützte seine Hände auf die Umrandung und versuchte keine allzu tiefen Atemzüge zu tätigen. „Der Doc sagt ja. Die Schnitte sind nicht das Problem, sie sahen auf den ersten Blick schlimmer aus als sie tatsächlich sind. Allerdings wissen wir nicht, wie schwer er gegen das Dach geknallt ist. Kann sein, dass er schräg aufgekommen ist und es zunächst die Schulter und dann erst seinen Kopf erwischt hat. Wäre von Vorteil.“ „Gut. Ich habe noch einiges mit ihm zu besprechen“, sagte Crawford eisig. Schuldig lehnte sich an die Umrandung und sah Brad besorgt an. Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Ich denke wir sollten das Ganze etwas langsamer angehen. Er wird uns sonst bei der nächsten Gelegenheit entwischen oder wieder so ne Nummer abziehen.“ „Irgendetwas will er um jeden Preis vor uns verbergen. Die Frage ist, was und ob wir es nicht schon längst wissen.“ Schuldig verschränkte die Arme. „Du meinst, dass er dich schon als Jugendlichen um die Ecke bringen wollte?“ „Kann sein.“ „Dann wäre die Show vorhin völlig umsonst gewesen“, meinte Schuldig ironisch. „Das war keine Show, Schuldig. Er ist zu allem fähig.“ Und es hatte ihn erschrocken wie einfach sich der Mann aus dem Leben entfernen konnte. Er selbst brachte es nicht auf die Reihe, dabei trug er den Gedanken schon sein Jahren mit sich herum. Es hatte Phasen gegeben, da hatte er nicht einmal im Traum daran gedacht, sich das Leben zu nehmen. Die letzten drei Jahre und auch, als sie darum kämpften, von SZ loszukommen, hatte er keinen Gedanken daran verschwendet. Davor und auch jetzt war der Wunsch wieder da. Abzuhauen und alles hinter sich zu lassen war verlockend, aber er brachte es nicht fertig. Nicht so lange es jemanden gab, der auf ihn zählte. Er sah Schuldig an. So lange sein Team nicht den Halt fand, den es brauchte, war es für ihn nicht angebracht, sich auszuklinken. „Und wie geht’s jetzt weiter?“ hörte er Schuldig fragen. „Er kommt aus dieser Wohnung nicht mehr raus, ohne dass ich alles von ihm weiß. Und wenn ich ihn dafür fesseln muss. Ich halte ihn solange am Leben bis ich sicher bin, dass er mir alles erzählt hat.“ Schuldig runzelte die Stirn. „Scheint wohl das vernünftigste in dieser Situation zu sein“, sagte Schuldig nachdenklich. Ob es den Erfolg mit sich brachte, den sich Brad vorstellte wagte Schuldig zu bezweifeln. „Er wird dich anlügen. Das, was er seinem Vater erzählt hat, nehme ich ihm ab – muss ich zugeben. Aber du kannst dir nie sicher sein ob es stimmt, was er dir erzählt. Ich kann ihn nicht knacken. Ich hab's probiert, was zur Folge hatte, dass er den Engel ohne Flügel spielen wollte.“ „Sehr poethisch“, erwiderte Brad und trat den Rückzug nach drinnen an. Die Enge in seiner Brust hatte sich gegeben. „Ich habe es dir gezeigt.“ Schuldig half Brad sich hinzulegen. Er holte ihm aus der Küchenzeile ein Glas Wasser. Ja, und die Bilder wurde Brad so schnell nicht mehr los. „Was hältst du davon, wenn wir eine neue Taktik versuchen?“ Brad hatte den Unterarm über die Augen gelegt und stöhnte leise. „Welche neue Taktik? Bisher hatten wir noch keine, an die ich mich erinnern könnte.“ „Du hast ihn gejagt, das nenne ich tatsächlich eine Taktik.“ Schuldig kam näher und sah skeptisch auf die Wunde, die mit ihrem Verband wohl nicht zufrieden war, so durchtränkt wie dieser bereits wieder aussah. „Eine kurze Jagd. Es war ja nicht so, als wenn er freiwillig zu uns gekommen wäre. Ich hätte lange darauf warten können.“ Ach so war das: BRAD hätte lange darauf warten können. Nicht sie: Schwarz. Das war interessant, resümierte Schuldig und lächelte schmal. „Dein Verband braucht einen Wechsel. Ich hol das Zeug eben schnell.“ Er stellte Brad das Wasser auf den Tisch neben sich und ging durch das Wohnzimmer in den Flur und ins Schlafzimmer. Es roch nach Blut. Das Bett wurde gerade von Ran frisch bezogen während Hisoka sich um seinen Halbbruder kümmerte, der auf der anderen Seite lag. Hisoka deckte ihn gerade zu als Schuldig hereinkam. Die Matratze schien nichts davon abbekommen zu haben. Der verletzte Mann war dick in Decken eingepackt und nur das blasse Gesicht lugte daraus hervor. Hisoka kontrollierte gerade seine Pupillen, während sein Vater das Fenster öffnete um frische Luft in den Raum zu lassen. Schuldig kniete sich vor den Koffer mit dem Verbandszeug. Er hatte leidliche Erfahrung darin, Verbände zu machen. Er suchte sich die nötigen Dinge heraus. „Durchgeblutet?“ fragte Hisoka, ohne seinen Blick von seinem Halbbruder zu nehmen. „Hmm... ist aufgestanden. Seine Rippen machen ihm zu schaffen.“ „Ich sehe mir das an“, sagte der Doc und überließ Ran das Feld. Schuldig hörte wie das Türschloss im Flur sich öffnete. Jei hatte sich ihnen vor kurzem schon angemeldet, als er überprüft hatte, wo die beiden solange blieben. Schuldig nahm sich die Sachen, die er brauchte und trat auf den Flur hinaus. „Habt ihr das Zeug selbst gekocht?“ „Is viel los gewesen“, brummte Kudou. Er war nicht glücklich über das Ausmaß der Verletzung seiner Drähte gewesen. Aber ohne seine schnelle Reaktion wäre Asugawa jetzt Geschichte. Schuldig ließ die beiden voran gehen und das Essen in den Wohnraum bringen. Unterdessen hörte der Doc Brad mit dem Stethoskop ab. Schuldig ging zu ihnen. „Jei konntest du...“ fing Brad an. „Nein. Keine Beeinflussung möglich. Eine Wahrnehmung durchaus“, gab der Ire zurück, scherte sich aber sonst nicht sonderlich um sie. Er saß auf einem Hocker und sah augenscheinlich Kudou dabei zu, wie der das Essen auspackte. „Wie ist das möglich?“ fragte Schuldig und half Brad beim Aufsetzen, als der Doc ihnen Platz machte. „Sie haben eine Verbindung.“ „Eine Verbindung?“ echote Schuldig und sah Brad an. Dieser schüttelte nur den Kopf. Er wich seinem Blick dabei aber aus. „Wie hat es in ihm ausgesehen?“ fragte Brad und nahm das Wasser von Schuldig entgegen. „Angst, Verlust, Zuneigung, Trauer, aber das waren nur marginale Komponenten des großen Ganzen“, spulte Jei ab. „Und was war das große Ganze?“ fragte Schuldig und drehte sich zu Jei um. Jei blieb ihnen die Antwort schuldig, denn er antwortete nicht und erweckte auch nicht den Anschein, als wenn er Lust darauf hätte, so abwesend, wie er ihnen schien. Schuldig sah nach dieser inpertinenten Verweigerung jeglicher Kommunikation mit ihm zum großen Anführer hin, der Jei schon dazu bringen würde ihm eine ausführliche Antwort zu geben, doch der hob nur eine Augenbraue als würde er sagen: du kennst ihn doch! Aber so abwesend war er nicht, denn er sah zu Kudou auf, der vor ihm an der Theke – die den Wohnraum von der Küche trennte - stand und das Essen verteilte. Sie sahen sich an und Yohji hob einen Mundwinkel zu einem Lächeln. Er ahnte, was dieses große Ganze war und er ahnte auch, warum Jei den beiden nicht auf die Sprünge half. „Hey Kudou, was gibt’s da zu grinsen?“ blaffte Schuldig. „Hmm?“ fragte Yohji, als hätte er sich eben erst der anderen im Raum erinnert. „Ich freu mich nur tierisch aufs Essen. Mann, reg dich ab.“ Er stellte Jei die Nudeln mit Gemüse hin und reichte ihm sein Essbesteck. „Iss das bitte auf. Du hast heute noch nichts gegessen.“ Sie waren mit dem Umzug beschäftigt gewesen. Er hatte nicht nur einmal darüber geflucht, dass er Schwarz den Umzug machte. Der Doc und Hisoka hatten sich mit ihnen in der Klinik getroffen um das Vorgehen mit Naoe zu besprechen, denn der lag immer noch in der Klinik und wurde von Omi bewacht. Wenn Naoe hier gewesen wäre, dann hätten sie jetzt ein Problem weniger. Brad saß währenddessen auf der Couch, die Beine auf der Chaiselongue ausgestreckt, den Kopf in den Nacken gelegt und darüber nachgrübelnd, wie er an die Informationen heran kommen sollte, die er brauchte. Er hatte die Augen geschlossen als sich in seine seherische Wahrnehmung etwas Helles schob. Im ersten Moment glaubte er, dass der Doc ihn wieder einem Pupillenreaktionstest unterziehen wollte und seine kleine Taschenlampe vor seinen geschlossenen Augen angeknipst hatte. Er öffnete die Augen, um dem Arzt zu sagen, dass dies nicht nötig sei, als er sich auf einer Bühne wähnte. Die Ränder seines Blickfelds waren mit schwarzen Schlieren verzerrt. Er sah sich um. Kannte er diesen Ort? Eine Konzertbühne? Die Sitze waren leer, die Lichter der modernen Theaterhalle bis auf einige Spots aus. Er drehte sich um und fand sich mit Somi konfrontiert . Der Mann war die Pest. Etwas besseres fiel Brad im Moment nicht ein und er wusste auch, dass dies nicht seine eigenen Gedanken waren. Es waren Schuldigs, der auf dem Boden gefesselt vor ihm kniete und in dessen Haare sich Somis Hand geschlungen hatte. Somi lächelte auf Schuldig hinunter, der Brad mit mühsam aufrecht erhaltener Beherrschung angrinste. Das dreiste Lächeln war nur gespielt, die Angst, die von Schuldig ausging, vordergründiger für Brad. Im Schatten konnte Brad weitere Rosenkreuzer ausmachen. Er wandte den Blick wieder zu Somi, da dieser etwas zu sagen hatte. Brad musste sich stark darauf konzentrieren was genau, denn er hörte sehr schlecht. Noch bevor er verstehen konnte, was Somi sagte, hörte er sich selbst sprechen. „Lassen Sie ihn gehen.“ Somi lächelte. „Er gehört zu ihrem persönlichen Kreis, Mr Crawford. Ihre gesamte Entourage ist in unserem Gewahrsam. Ihnen bleibt keine Wahl“, sagte er bedauernd. „Ihr kleiner Hofstaat, Hellseher.“ „Ich wüsste nicht, dass ich einen hätte.“ Somi lachte. Es war eher das Zerspringen von Glas als ein angenehmer Laut. Schuldig zuckte zusammen und sein Grinsen verkam zu einem hilfesuchenden Blick in Brads Richtung. „Ihr Telepath, ihr Empath, ihr Telekinet. Der innere Schutzring, den Sie sich so mühsam aufgebaut haben. Nicht viele Hellseher konnten in der Vergangenheit einen ihr eigen nennen. Hinzu kommen vier Guards, ihr äußerer Schutzring samt ihrem Leibarzt und ihrer retrokognitiven Schwester.“ „Welche fünf Guards?“ hörte er Schuldig fragen, dem Somi jetzt einen Dolch an die Kehle legte. „Habe ich dir erlaubt zu sprechen?“ „De la Croix wird dich auseinander nehmen wenn du mir etwas tust“, flüsterte Schuldig und brachte ein dreckiges Grinsen zustande. „Er wird nicht erfahren, dass ich seinem Liebling weh getan habe.“ „Welche fünf Guards?“ hörte sich Brad erneut fragen. „Eure vier Kritiker-Zugänge und einer der Kawamoris. Hätte nicht gedacht, jemals einem zu begegnen.“ Brad fühlte, wie ihn Erleichterung in der Zukunft erfasste. Warum konnte er nicht sagen. Schuldig sah ihn grimmig lächelnd an. „Knieen Sie sich hin Mr Crawford. Wir wollen ihren Eintritt in meine Gefolgschaft offiziell machen.“ „Ich knie vor niemanden, Somi. Vor Ihnen schon gar nicht.“ Somi sah ihn spöttisch an bevor er den Kopf vor sich packte und das Messer mit einem Schnitt über Schuldigs Kehle führte. Dessen Augen wurden groß und Brad hörte nur mehr, wie Somi etwas davon sagte, dass sie genug Telepathen hatten, bevor Brad einen wütend verzweifelten Schrei hörte und er auf die Knie fiel. Danach verdunkelten sich die Ränder seines Gesichtsfeldes bis nur noch das Rot des Blutes übrig blieb das aus Schuldigs Kehle lief. Es dauerte nur Bruchteile eines Wimpernschlags bis sich auch dieses Bild verdunkelte. Er riss die Augen auf und starrte blinzelnd gegen die Decke. ‚Beruhige dich’ sagte er sich wiederholt, um sein hämmerndes Herz zu beruhigen. Brad sah sich nach Schuldig um. Er fand ihn an der Küchenzeile auf Jei einreden. „Schuldig.“ Dieser drehte sich zu ihm um. ‚Was gibt’s?’, fragte Schuldig ausnahmsweise telepathisch, da Brad gerade so aussah als hätte er eine Vision der besonderen Art gehabt. Er war kreideweiß im Gesicht. ‚Fahr auf dem schnellsten Weg... nach Hause... bring mir einen AI-Sender. Ich will sicher gehen, dass wir wissen wo sich Asugawa herumtreibt wenn ich ihn verlieren sollte.’ Schuldig hob einen Mundwinkel und lächelte spöttisch. Wenn Brad ihn verlieren sollte? ‚Klar, mach ich. Ich bring den ganzen Koffer mit.’ Er ging zu Ran und sagte ihm wohin er wollte, was mit einem knappen Nicken genehmigt wurde. „Sei vorsichtig.“ „Klar, bin ich doch immer“, tönte Schuldig zurück. Ran schnaubte und drohte mit harten Sanktionen falls er sich erdreisten sollte und es zuließ, dass die Bösen ihn erwischten – oder er sich hinreißen ließ und Dummheiten machte. Schuldig hätte dieses Gespräch gerne fortgesetzt aber er hatte einen Auftrag und wollte den großen Boss nicht lange warten lassen, nicht wenn dieser aussah als hätte er Gevatter Tod persönlich getroffen. Folglich ging er schweren Herzens, aber nicht ohne Ran eine Fortsetzung ihres Geplänkels zu versprechen. o Ran sah zu wie Hisoka die Abfälle in große Mülltüten stopfte und sie nach draußen schleppte. „Kann ich das kurz entsorgen?“ fragte der Hüne ihn und Ran sah zu ihm auf. Ran nickte kurz. Hisoka warf einen besorgten Blick auf seinen Bruder, bevor er eher widerstrebend, wie Ran es schien, das Schlafzimmer verließ. Er war nicht einverstanden damit gewesen, dass Brad und Schuldig dem Mann einen Sender unter die Haut implantiert hatten. In Anbetracht der Lage jedoch war es keine ganz so schlechte Idee wie Ran schließlich für sich befunden hatte, weswegen er sich auch nicht laut zu seinen Bedenken geäußert hatte als Schuldig mit dem Koffer ins Schlafzimmer gekommen war. Die fiebrige Erleichterung die Brad verströmt hatte fiel sowohl Schuldig als auch ihm auf als der Sender im Nacken des Schlafenden platziert wurde. Schuldig hatte ihm erklärt, dass sie die Sender ursprünglich für sich selbst angeschafft hatten, falls einer von ihnen ‚verloren’ ging. Jetzt war das Schlafzimmer bis auf Ran und Asugawa leer. Er stand noch eine Weile so da, bis eine Bewegung vom Bett her seine Aufmerksamkeit erregte. Der Mann bewegte sich zunächst auf die Seite, stöhnte verhalten und blieb dann mit einer Hand abgestützt halb auf dem Bauch liegen. Er atmete schwer. Ran kniff die Lippen zusammen und stöhnte frustriert. Jetzt musste er sich wohl kümmern. Es half ja nichts. Er ließ sein Katana am Fenster zurück und ging zum Bett, legte seine Hand unter die Brust des anderen und drehte ihn wieder zurück. Nichts leichter als das, denn der Körper spannte sich an und wehrte sich. Zwar nur halbherzig, aber Ran erkannte lang geübte und verinnerlichte Abwehrgriffe. „Du hast keine Kraft um dich gegen mich zu wehren. Dein Vater hat dich gerade erst zusammengeflickt, reiss die Wunden nicht wieder auf.“ Finn ließ es zu, dass er auf den Rücken gedreht wurde und öffnete langsam die Augen. Er hatte starke Kopfschmerzen und ihm war schlecht. So richtig. Sein Bauch und seine Oberschenkel schmerzten, auch seine Oberarme. Seine Schulter ebenfalls. Er schloss die Augen als eine erneute Übelkeitswelle ihn gefangen hielt, aber sie ging vorüber, wäre ohnehin nichts drin, was er auskotzen konnte. Er befreite sich langsam aus den Decken, besah sich die Verbände und raffte die Decke wieder halbherzig um sich herum. Probleme mit Nacktheit hatte er keine, sie war schließlich das größte Kapital, das er in den Kreisen, in denen er verkehrte, hatte. „Hast du Durst?“ Sie hatten ihm zwar eine Infusion gegeben, aber sein Vater hatte beschlossen, dass eine ausreichen würde, da die Schnitte aufgrund der robusten Kleidung, die er trug nicht ganz so tief waren wie anfangs befürchtet und auch weniger bluteten. Finn sah auf. So nahe war er Ran Fujimiya noch nie gewesen. Er konnte vor Kopfschmerzen kaum sprechen, deshalb schüttelte er nur den Kopf – obwohl er Durst hatte. Er würde jetzt nichts runterbekommen und wenn, dann würde er es wohl nicht lange behalten. Er schloss die Augen als er mit einem Mal das Gefühl hatte, seine Schulter würde ihm ausgerissen werden. Er verbiss sich ein Stöhnen und verkrampfte sich derart, dass er vergaß, Luft zu holen. Ran stand unschlüssig da aber er erkannte, wenn jemand Schmerzen hatte und zu stolz war, dies zuzugeben. Und wie lästig das war. Aber Beschweren kam nicht in Frage, er war schließlich aus dem gleichen Holz geschnitzt. Weswegen er auch sein Katana mitnahm und das Schlafzimmer verließ. Er würde seinen Vater informieren, dass sein Sohn wach war. Derselbige wähnte sich nun alleine und schälte sich erneut aus den Decken. Er rutschte seine Beine an den Bettrand und ließ sie nach unten auf den Boden gleiten. Dann griff er sich die Bettkante und zog sich mit der weniger schmerzenden Schulter nach oben. Schwindel erfasste ihn und er keuchte. Ihm war speiübel. Er hatte das Gefühl, als würde ihm die Galle bereits im Rachen sitzen. Wahrscheinlich war das nicht nur so ein Gefühl. Er musste nicht nur deshalb dringend auf die Toilette. Er blieb einen Moment so sitzen. Die Verbände saßen alle noch an Ort und Stelle. Als er glaubte, genug Kraft gesammelt zu haben, straffte er sich und stand auf. Er blinzelte und tapste weniger elegant als sonst über den teuren Holzboden. Er hielt sich seinen Arm und atmete die Schmerzen weg so gut es ging. Mit der richtigen Atmung war es erträglicher. So schaffte er es bis zur Schlafzimmertür, die offen stand. Wohin jetzt? Von rechts hörte er die Stimmen seines Vaters und Fujimiyas, dazwischen Schuldig. Also nach links. Er tappte den Flur entlang, warf einen interessierten Blick in den Eingangsbereich, der ihn aufgrund der Konsole sagte, dass er hier nicht so einfach rauskommen würde. Er grinste zynisch. Das wär's jetzt: Einfach abhauen, nackt wie er war und auch noch davonkommen... Träumen konnte er ja noch. Weitere drei Türen kamen in seine Blickrichtung. Eine davon stand offen und war das Badezimmer. Na das lief ja alles nach Plan, ganz nach seinem Geschmack. Kleine Erfolge waren auch wichtig. Es klappte nur nicht ganz bis zum Schluss, so wie er sich das gedacht hatte. Kurz vor der Ziellinie ging ihm die Puste aus. Der Schwindel setzte wieder ein und er stützte sich an der Wand ab. Sein Sichtfeld schränkte sich ein und er ließ sich langsam nach unten gleiten. Er kauerte an der Wand mit Blick ins Badezimmer. Kurz mussten ihm wohl die Lichter ausgegangen sein, denn als er seine Augen wieder öffnete sah er seinen Vater vor sich, der sein Gesicht hielt. „Sag mir deinen Namen“, forderte er ihn auf. Finn tat ihm den Gefallen, aber sein Vater schien nicht glücklich mit dieser Antwort zu sein. Was hatte er gefragt? Seinen Namen. „Kawamori Finn“, wisperte er. Sein Vater lächelte minimal. „Wo wolltest du hin?“ Er schielte mit den Augen in Richtung Badezimmer. „Sag es mir. Du musst mit mir sprechen, Finn.“ „Bad. Ins Bad.“ Sein Vater schickte sich an, ihm aufzuhelfen. Finn würgte, schluckte die Galle wieder hinunter, doch ihm lief der Speichel samt dem grünen Zeug aus dem Mundwinkel. Dann ging alles irgendwie durcheinander. Er spürte kräftige Hände unter seinem Hintern und an seiner Schulter und dann sah er nur mehr die Decke und kurz darauf wurde er vor der Toilette abgesetzt. Beim Geruch der Reinigungsmittel würgte es ihn wieder. Eine Tür knallte irgendwo hinter ihm zu und eine Hand drückte sich warm an seine Stirn, während er der Toilette seine grünen Grüße entgegenspie. Irgendwann endete das ganze Intermezzo und ihm wurde ein Glas mit Wasser gereicht. Er spülte seinen Mund aus und das ganze verschwand dank der helfenden Hand auf Nimmerwidersehen. Er sank zurück und ihm wurde Stoff um die Schultern gelegt. Er zitterte stark als ihn jemand zurückzog. Hisoka oder sein Vater vielleicht. Er hatte die Augen immer noch geschlossen, als er sich zurücklehnte. Schon wieder diese lästigen schwarzen Punkte vor dem unvermeidlichen Abklappen. Er schloss die Lider und spürte, wie er fiel. Als er sie wieder öffnete sah ihn jedoch weder Hisoka noch sein Vater an. Die Augen waren blaugrün und stachen aus dem Gesicht gar leuchtend hervor. Und er fürchtete sie. „Warum bist du gesprungen?“, fragte ihn Schuldig leise. Er war gesprungen? Wohin? „Gesprungen?“ „Du kannst dich nicht erinnern? Du bist über die Brüstung des Hochhauses gesprungen. Und soweit wir erkennen konnten, ohne Absicht einen Fallschirm zu öffnen.“ Finn schüttelte langsam den Kopf, ließ den anderen aber nicht aus seinem Blick. „Kurzschluss?“ versuchte er sich an einer Erklärung. „Bin mir nicht sicher“, gab Schuldig lapidar zu. „Scheinst eher der große Planer zu sein, als der Typ für unüberlegte Handlungen.“ „Pläne scheitern“, erwiderte Finn nüchtern. Nach einem Moment des Zögerns sah er wieder in die jetzt grünen Augen. War er so stark am Kopf verletzt, dass er schon Augenfarben nicht mehr richtig sehen konnte? Vorhin waren sie noch blaugrün gewesen, da war er sich sicher. Wechselten sie ihre Farbe? Er scheute den Blick, ganz anders als bei Crawford, dessen Augen ihm trotz ihrer Andersartigkeit Sicherheit gaben. „Wie geht’s ihm?“ fragte er möglichst neutral. „Er ist schwer zu töten. Wenn ich bedenke, wie oft er in der Vergangenheit Ziel derartigen Angriffen ausgesetzt war wundert es mich hin und wieder schon, wie gut seine Konstitution ist.“ Schuldig lächelte schief. Brad war gut trainiert, ein Muskelpaket, wenn es auch nicht sofort zu sehen war. Dennoch war sich Schuldig sicher, dass er schlussendlich Asugawa unterlegen gewesen wäre. „Es war nicht eingeplant, dass Crawford mich verfolgt“, sagte der und wurde wütend. „Was hat er sich dabei gedacht zu Sowas Sohn zu gehen? Außerdem, wo wart ihr? War er wieder allein unterwegs? Habt ihr ihm das nicht endlich ausgetrieben? Es ist zu gefährlich für ihn... momentan. Seht ihr nicht die Gefahr?“ Schuldig lächelte leise. „Du weißt, dass er schon einmal alleine unterwegs war?“ Finn verzog den Mund leidend. Natürlich pickte sich Schuldig diese Frage aus dem möglichen Katalog heraus. „Ja. Aber ich konnte nichts machen. Sonst wäre die Sache sicher anders gelaufen.“ „Woher wusstest du das?“ „Der Auftrag lief indirekt über mich“, gab er zu und seufzte. „Was wird das hier? Nutzt du meine Schwäche aus, um an Informationen zu gelangen?“ fragte Finn, ein schiefes Lächeln auf dem Gesicht. Schuldig lachte auf. „Natürlich. Was glaubst du denn? Anders komm ich ja nicht ran. Da oben komm ich nicht rein und sobald du wieder fit bist, springst du von der nächsten Brücke, sobald du mich siehst.“ Finn sah ihn einen Moment lang an bevor er sich einen Ruck gab. „Ein Kunde von mir hatte ein Problem und ich riet ihm, sich an euch zu wenden. Liegt ja auf der Hand, dass ich das überwache“, meinte er verteidigend. „Nur hat sich Brad offensichtlich nicht richtig um die Recherche gekümmert. Da mischten noch mehr Leute mit und ich hätte nie gedacht, dass er das allein durchziehen will. Dafür ist er nicht gemacht.“ Schuldig hob die Augenbrauen. Wollte er wissen, was für ein Kunde das war? Nein. „Er ist nicht schwach...“ „Natürlich ist er das nicht!“ ereiferte sich Finn empört über diese Unterstellung. Seine Augen blitzten aufgebracht. Crawford und schwach! „Das habe ich nie behauptet. Und bisher lief ja auch alles glatt. Mit SZ seid ihr spielend fertig geworden, sieht man mal von der marginalen Unterstützung von Weiß ab. Nur jetzt... jetzt braucht er Schutz.“ Finn versuchte hochzukommen und Schuldig ließ ihn. Er fädelte seinen unverletzten Arm in den Ärmel des Yukattas und half ihm mit dem anderen Arm. Was nicht leicht war. „Warum?“ Schuldig fragte sich im Moment gerade, warum er nicht wütender auf den Halbjapaner sein konnte. Er runzelte die Stirn. Keiner von ihnen – nicht einmal Ran – hatte sich zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen. Es war, als wären alle in eine Starre verfallen, die keine Rachegedanken zuließ. Was war mit China? Das war doch noch nicht so lange her. Wo war seine Wut hin? Wut darauf, dass er damit beinahe Ran verloren hätte. Er sah dem Mann zu, wie er sich abmühte, nicht zu schwanken und sah dann in das Gesicht. War es seine unverfängliche, ja fast schon unschuldige Art? Es war schwer zu beschreiben und Schuldig konnte es nicht klar erfassen. Die Ausstrahlung des Mannes hatte nichts von einem Killer und doch war er wohl der Schlimmste von ihnen in dieser Wohnung. Was ihn nur umso gefährlicher machte, denn offenbar war er ein guter Schauspieler. Finn setzte sich mit der Unterstützung von Schuldig auf die Bank. „Warum?“ Schuldig sah ihn auffordernd an. „Weil Rosenkreuz Jagd auf ihn machen. Das hast du doch vorhin gehört. Wann auch immer vorhin war. Wie spät ist es?“ „Nach elf.“ „Die Trias ist gespalten. Sie brauchen einen Machtbeweis, um sie zu einen. Wir haben bereits einen Abweichler – die dritte Spitze hat sich für Unabhängig erklärt. Das lässt zwei zurück, die um die Macht kämpfen. Das heißt nicht, dass die Fraktion, die sich abgespalten hat, aus dem Rennen ist.“ „Was hat das mit Brad zu tun?“ „Sollten wir das nicht mit ihm besprechen?“ „Später.“ „War das dann alles?“ hakte Finn misstrauisch nach. „Das war es noch lange nicht.“ Schuldigs Blick ließ ihn nicht aus den Augen. „Können wir dann mit dem Verhör später weiter machen?“ „Wenn du dann noch lebst, sehr gern“, sagte Schuldig ernst. „Mal sehen, ob ich nicht doch noch Lust auf eine zweite Flugrunde habe“, brummte Finn zur Antwort und seufzte frustriert. Ende Gelände. Schuldig lachte, als er die Tür öffnete und Ran vorfand. „Knall mir noch einmal die Tür vor der Nase zu und...“, schallte es ihm dunkel entgegen. Das Lachen fiel ihm aus dem Gesicht, als er Rans finsteren Blick begegnete. Da musste er dringend Gegenmaßnahmen einleiten, bevor sich das ausweiten konnte. „Niemals wieder“, versprach Schuldig und küsste Ran auf die Lippen. Was diesem unangenehm war, wie Finn bemerkte. Er senkte den Blick und spürte der Hitze auf seinen Wangen nach. Na Hoppla, wo kam denn das jetzt her? Er, die Edelhure schlechthin, wurde rot, wenn sich zwei küssten? Vielen hatte er bisher noch keinen Kuss geschenkt. Und er musste schon schwer was an den Augen haben, um zu übersehen, dass sich hier zwei liebten. Finn raffte sich auf und wickelte sich den Stoff behelfsmäßig um, gürtete ihn und stützte sich ab, als er aufstand. Dabei fiel ihm ein, dass er noch etwas zu erledigen hatte. Er sah die Beiden im Türrahmen auffordernd an. „Was?“ Schuldig erwiderte fragend seinen Blick. „Könnte ich etwas Privatsphäre haben?“ „Gefangene haben kein Recht auf Ansprüche, aber ich bin heute großzügig. Großzügiger als Fei Long es gewesen war“, sagte Schuldig und trat aus der Tür, er lehnte sie an, schloss sie aber nicht. Das musste wohl reichen, befand Finn. Fei Long... ja da hatte er wohl daneben gegriffen. Wieder ein Plan, der nicht ganz funktioniert hatte. Zumindest nicht bis ins kleinste Detail. Schuldig zuckte mit den Schultern, als Ran ihm einen bösen Blick zuwarf. Er zog ihn von der Tür weg und wieder ins Wohnzimmer zurück. Ran hatte Hisoka und den Doc vom Badezimmer verscheucht, als er sicher war, dass Schuldig keinen Unsinn machte. Er hatte es am Lachen erkannt und den Gesprächsfetzen, die er durch die geschlossene Tür aufgeschnappt hatte. Ran setzte sich an den Tresen und holte sich eine der Schalen mit seinen Nudeln heran. Sie hatten die Speisen warm gehalten bis Schuldig wieder zurück gekommen war. Jei bildete hier wie stets eine Ausnahme. Sie aßen alle gemeinsam, beäugten nur einmal misstrauisch – unisono – wie sich Brad von seinem Lager erhob und den Wohnraum verließ. „Ist das gut?“ fragte Yohji nach. „Werden wir gleich sehen“, erwiderte Schuldig selbst unentschlossen. „Sie sind alt genug.“ Ja, die Befürchtung hatte Schuldig auch. Sie aßen weiter schweigend und lauschten weniger auf das Radio denn auf mögliche, verbale Attacken oder Kämpfe aus Richtung Flur. Irgendwie schienen sie alle auf dem Sprung zu sein, befand Schuldig und musste in seine Nudeln hineingrinsen. „Jei... behalt die beiden im Auge“, wies er an. Finn stand gerade mehr schlecht als recht am Waschbecken und wusch sich sein Gesicht, fuhr sich mit dem Wasser über die verschwitzten Haarsträhnen im Nacken, da er dort ein leichtes schmerzendes Ziehen verspürte. Er vermutete einen kleinen Kratzer an dieser Stelle und war noch damit beschäftigt im Spiegel zu erkunden wie groß diese Verletzung war als die Tür aufging. „Keine Angst, ich spring nicht aus dem Fenster“, murmelte er verdrossen und trocknete sich sein Gesicht vorsichtig ab. Mit einer Hand war das irgendwie schwierig. Brad sah die schmale Gestalt sich mühsam auf den langen Beinen halten. Ihm hing immer noch seine Vision in den Knochen, die Wut über seine Machtlosigkeit in so vielen Belangen zehrte an ihm. Seine Voraussicht sagte ihm, dass es nicht nur Kopfschmerzen waren, die den Mann lähmte sondern auch eine halb herausgerutschtes Schultergelenk. Die Röntgenaufnahmen konnte sich sein Vater ersparen... Finn hängte das Handtuch sorgfältig wieder auf, zupfte es noch zurecht und drehte sich langsam um, nur um nicht gerade vorsichtig am Hals gepackt zu werden und gegen die nächste Wand zu prallen. Er schrie halb auf, als seine Schulter ein seltsames Geräusch von sich gab, ihm wurde schwarz vor Augen und er versuchte hektisch Luft zu holen. Mit einer Hand hielt er sich an seinem Angreifer fest. „Du wirst zu keiner Sekunde deines Lebens mehr etwas tun, dass ich nicht weiß. Du gehörst mir. Verstehst du das? Kein Schritt, ohne dass ich es weiß...!“ zischte Brad. Und Finn rang noch immer krampfhaft nach Atem, Tränen traten in seine Augen. „Lass mir... lass mir Luft zum Atmen...“ er sah ihn an und Brad ließ seinen Hals los, fasste ihn unter dem Arm. Er zog ihn an sich. „Ich kann dir keine Luft zum Atmen lassen, wenn ich selbst das Gefühl habe, durch dich zu ersticken.“ Brad wusste nicht warum, aber es war für ihn im Augenblick unabdinglich, dass er ihn fest an sich drückte, wie das Stofftier eines Kindes, das es nicht mehr hergeben würde. Er strich beruhigend über Finns Rücken. Wie gegensätzlich war dieses Verhalten? Er fügte Finn Schmerzen zu, bedrohte ihn und berührte ihn dann, als wäre er etwas kostbares, dass es zu bewahren galt. Was sollte Finn davon halten? Sollte er es ignorieren? Vermutlich. „Wir...wir hätten diese Nacht... es hätte nie passieren dürfen“, krächzte Finn gepresst. „Du hättest es nie erfahren“, fauchte er mit mehr Biss als noch vor ein paar Augenblicken. Trotz seiner Zweifel würde er diese Nacht nicht verleugnen und das dunkle Geschenk, das er erhalten hatte, nicht missen wollen, auch wenn es ihn schmerzte. „War das der Plan gewesen?“ „Ja. Solange bis...“ Finn verstummte. Es wäre wohl nicht zielführend gewesen, was er da sagen wollte. „Bis?“ Eine Hand fuhr in seinen Nacken und wickelte sich die überlange Strähne dort um die Hand, er konnte es genau fühlen wie sich der Zug verschärfte und sein Kopf in den Nacken glitt. „Wie lange? Bis wann?“ Schuldig versuchte herauszufinden, warum sie eher besorgt um Asugawa waren als um Brad. Das war verrückt. Asugawa war eine verlogene kleine Natter und hatte sich jedwedes positive Gefühl, das sie ihm entgegenbrachten in keiner Weise verdient. Dennoch war das, was er seinem Vater erzählt hatte, als sie ihn belauscht hatten, plausibel und im Wissen ausgesprochen, dass er sich ehrlich um Brad sorgte. Sie aßen alle still bis es einen Moment gab, als sich Jei ruckartig umdrehte. Alle hörten auf zu essen und dann hörten sie einen Schrei. Wie auf Kommando stellten sie das Essen ein. Schuldig war schon mit einem Bein auf dem Boden als Jei sich wieder dem Essen zuwandte. „Ich dachte nur...“ sagte er uninteressiert. „Du DACHTEST NUR?“ kiekste Schuldig empört. „Nichts passiert. Sie haben sich wieder lieb“, murmelte Jei und alle starrten ihn völlig konsterniert an. „Lieb?“ echote Kudou. „Die... wir...“ Finn befeuchtete seine Lippen mit der Zunge. „Die Droge muss alle paar Wochen aufgefrischt werden. Ich nehme das Zeug seit ein paar Jahren. Das ist nicht gesund. Ein paar Jahre geht der Spaß noch, dann ist Schluss.“ „Dann setz es ab“, forderte Crawford und Finn sah ihn misstrauisch an. Warum sollte er das? Was spielte es für eine Rolle, ob er den Löffel abgab oder nicht? „Die Entzugssymptome können tödlich sein“, sagte er langsam. „Und warum das Ganze? Nur, um von uns nicht entdeckt zu werden? Von mir nicht entdeckt zu werden, ist es das?“ fragte Brad zornig. „Auch aber nicht nur. Sie haben einen Spion im Clan. Ein Spion der Rosenkreuzer. Er hätte gewusst, wer ich bin, wenn ich mich nicht dem Experiment mit der Droge ausgesetzt hätte. Du wärst in Gefahr gewesen.“ „Nur durch dich.“ Finn verstummte. Was sollte er darauf sagen. Ja. Wahrscheinlich. Brad näherte sich seinem Gesicht und Finn wurde unruhig in seinen Armen, bis er die Lippen auf den Seinen spürte. Er öffnete sich für den anderen, ließ ihn für einen räuberischen, wütenden, besitzanzeigenden Kuss ein. Brad riss sich abrupt von seinen Lippen los und ließ ihn keuchend zurück. Was sollte das alles? Eine Demonstration seiner Überlegenheit? Warum verprügelte er ihn nicht einfach? Das wäre weitaus weniger schmerzhaft als ein Kuss, der ihm fast den Verstand raubte. „Deine Droge ist Geschichte. Sobald möglich, wird Schuldig deine Gedanken danach absuchen, wann und wo du mich manipuliert hast. Danach werfe ich dich persönlich von diesem Gebäude.“ Brad machte sich von ihm los und schubste ihn vor die Tür. Er schloss die Tür und sperrte hinter sich ab. Finn stand Halt suchend an der Wand im Flur und sah den Korridor entlang. Der Empath stand im Türrahmen zum offenen Wohnraum. Hinter ihm der Rest der Bande. Er gab sich keine Blöße und hangelte sich an der Wand entlang bis zum Schlafzimmer, in das er trat und die Tür hinter sich leise schloss. „Habt ihr das Fenster abgeschlossen?“, fragte Jei. Ran hielt den Schlüssel hoch. „Was hat er angestellt?“, fragte Ran düster und Schuldig ahnte, dass Ran nicht Asugawa damit meinte. Jei starrte den Flur entlang und bewegte sich keinen Millimeter vom Fleck. Hisoka drängte sich an ihm vorbei. „Ich sehe nach seinen Verbänden.“ Schuldig hätte erwartet, dass er zu seinem Halbbruder ging, aber er ging geradeaus und klopfte am Bad an. Ihm wurde sogar geöffnet. Ran sah zu Schuldig als Hisoka im Badezimmer verschwand. Der zog nur ein fragendes Gesicht und rollte dann mit den Augen. „Sollte er sich nicht eher um seinen Bruder kümmern als um unseren missgelaunten Boss?“ Ran sah ihn an als hätte er etwas Saures gegessen. „Ihr mit eurer...“ brummte Schuldig daraufhin, riss dem Doc das Verbandszeug aus der Hand und stapfte in Richtung Schlafzimmer. Er riss die Tür auf und knallte sie ins Schloss. Deutlicher konnte die Botschaft hoffentlich nicht sein. „Als wenn ich es nicht wüsste“, frotzelte er und zog ein Gesicht wie Drei-Tage-Regenwetter gegen die unschuldige Tür. Er drehte sich um und fand seinen Patienten auf dem Bett sitzend, die schöne Aussicht genießend. Das Licht war aus, die Vorhänge zur Seite gezogen, um die Lichter der Nacht hereinzulassen. „Ich sag dir eins, deine Familie ist Scheiße. Bei uns hier läuft die Nummer etwas anders ab. Da spaziert doch dein Bruderherz schnurstracks zum Griesgram da rein und bietet ihm einen kleinen Verbandswechsel an. Und lässt dich links liegen. Tja das stimmt sogar... von unserer Warte aus lag das Schlafzimmer tatsächlich links.“ „Du redest Unsinn“, schnaubte der Ältere. Ein schiefes und ziemlich verunglücktes Lächeln empfing ihn. Es waren wohl die Tränen in seinen Augen, die ihn verrieten. „Wieso? Weil die Familie immer Vorrang hat? Er hätte erst zu dir gehen müssen.“ „Ich habe Crawford verletzt...“ fing Finn an und Schuldig konnte sich die Litanei schon ausmalen. „Halt die Luft an“, wies Schuldig ihn schlecht gelaunt an. Naja, er gab sich zumindest so. „Ich brauche keinen Vortrag über Ehre und Moral. Da bist du bei mir wirklich an der falschen Stelle. Crawford hätte diesen Alleingang besser nicht gemacht. Schon gewusst, dass er dich von Asami jagen lässt? Nein? Das Gesocks der halben Stadt ist hinter deinem Arsch her. Wusstest du das?“ Finn sah vorsichtig zu ihm auf, seine Lippen öffneten sich für einen Satz, schlossen sich aber wieder. „Er... das ist völlige Zeitverschwendung. Warum konzentriert ihr euch nicht endlich auf den Clan?“ Er senkte den Blick wieder und sah nach draußen. „Ganz davon abgesehen, dass einige tatsächlich hinter meinem Arsch her sein werden. Scheiße“, sagte er ernst. „Er will nicht mehr kämpfen. Er hat es satt, denke ich. Das sagt er nicht, aber ich habe da so ein dumpfes Gefühl.“ „Ein dumpfes Gefühl, hmm?“ Finn lachte bitter auf und verstummte für einige Augenblicke in denen er seinen Gedanken nachhing. „Das habe ich jetzt auch. Es wäre wirklich besser gewesen, ich hätte den kurzen Flug genießen dürfen. Wenn Sowa seine Hunde ausschickt - und das wird er tun, wenn Asami zur Jagd geblasen hat – dann habe ich ein Problem.“ Er runzelte nachdenklich seine Stirn. Er hatte eine lädierte Schulter, ein paar genähte Schnittwunden, eine Gehirnerschütterung... naja, das machte seine Chancen nicht gerade besser. Vorsichtig bewegte er seine Schulter und das Ergebnis war positiver als gedacht. Hatte Brad die Schulter wieder ins Gelenk zurück befördert? Schuldig konnte förmlich sehen was hinter dem hübschen Köpfchen vorging. „Das kannst du vergessen.“ Schuldig warf das Verbandszeug auf das Bett, als die Tür sich öffnete und sein neugieriger Freund Ran hereinschlich. Da war wohl jemand eifersüchtig, hmm? Schuldig grinste und sah wieder auf den Mann auf dem Bett hinunter. Er selbst lehnte seitlich am Fenster. „Gut, angenommen du würdest hier raus kommen, abgesehen davon, dass Crawford dich hier nie rauslassen wird...“ „Er kommt raus“, sagte Ran ruhig aus dem Hintergrund und Finn drehte seinen Kopf zur Seite. Ran befand den Einfall mit dem Sender immer besser, jetzt gab es keinen Grund mehr den Mann hier festzuhalten. „Kommt er nicht, wie denn? Die Tür ist...“ fing Schuldig an, Ran zu erklären, dass dies völlig unmöglich war, als er Ran ansah. „Du weißt, dass er raus kommt“, sagte Ran mit samtiger Stimme und Schuldig seufzte und sah Ran lange an. „Klar kommt er raus“, sagte er schließlich in Angedenken an ihrer beider Vergangenheit. Er holte tief Luft und sah Kawamori an, der ihrem Gespräch aufmerksam gelauscht hatte. „Also gut du...“, Schuldig seufzte. „Wenn du raus kommst, was würdest du als nächstes tun?“ „Verletzt oder unverletzt?“ „Sagen wir unverletzt, um bei der Hypothetik zu bleiben.“ „Zunächst hätte ich kontrolliert, ob ihr auch wirklich aus dem Ryokan auszieht. Seit dort erneut ein EMP aufgetreten ist seid ihr enttarnt. Sie planen einen Angriff auf das Ryokan. Kiguchi soll mir in ein paar Tagen berichten, wann dieser Angriff stattfinden wird. Ich hatte vor, dort auf sie zu warten. Das wäre interessant geworden. Ein paar Fallen aufstellen, das ganze Haus nur für mich ein großer Spielplatz. Ich hätte mir sogar neue Sachen einfallen lassen können. Ihr seid verdammt spät dran.“ „Der große Träumer im Badezimmer hatte eine Vision und die kam eben erst vor Kurzem.“ „Will ich wissen, was sie zeigt?“ fragte Finn unbestimmt nach. „Nein.“ „Aber ich will's wissen“, meldete sich Ran und kam näher. Er nahm das Verbandszeug vom Bett und deutete mit dem Finger auf das Fußende. Finn sah ihn mit großen, fragenden Augen an. Er zog seine Beine aufs Bett. „Hinlegen“, bekräftige Ran seine Anweisung knapp. „Schuldig“, forderte Ran ihn auf und hörte das unwillige Stöhnen mit Missfallen was er Schuldig zeigte, bevor er sich seiner Aufgabe widmete und die Verbandsmaterialen aus ihrer Verpackung holte. „Brad hat gesehen, wie du und das Mädchen sterben. Das gab dann doch den Ausschlag.“ Finn hob beide Hände. „Ran und Lilli?“ Schuldig nickte, er sah sich mit einem ernst blickenden Mann konfrontiert, dessen Gesicht ganz anders als noch vor wenigen Augenblicken aussah. Konzentriert und voll da. Er erhob sich trotz Rans wütenden Blicken und ging ein paar Schritte zum Fenster, wo Schuldig stand. Dieser schmale Körper schien mehr auszuhalten, als Schuldig angenommen hatte. Finn blieb vor Schuldig stehen. „Wenn...“ Finn sah zu Ran, der auf dem Bett saß. „Wenn sie dich und Lilli ausschalten wollen... und das wollen sie, denn ihr seid keine Kollateralschäden, läuft hier noch eine andere Sache als bisher vermutet. Dann weiß Yoshio Sakurakawa bereits von Chiyos Plänen. Chiyo braucht Crawford, dich und die Kinder für ihren Plan. Ihr Mann wäre besser bedient damit, wenn alle genannten ausgeschaltet würden – außer Ran. Er würde dir nie etwas tun, er braucht dich als offiziellen Erben. Rosenkreuz brauchen nur Crawford und den Jungen. Alle anderen stören nur. Und wenn du tot bist, gibt es keinen Erben mehr. Dann stecken Rosenkreuz hinter dem Angriff auf das Ryokan. Vermutlich mischte sich Superbia mehr ein als ich dachte. Das liegt nahe und würde erklären, warum Yoshio sein Enkel nicht mehr wichtig ist. Interessant.“ „Wenn er ein Telepath ist, wie von dir behauptet, kann er Yoshio jederzeit lenken“, gab Schuldig zu bedenken. Er sah zu Ran, der ihn schockiert ansah. Ran wollte gerade etwas sagen, als Schuldig den Kopf schüttelte. „Schön hört sich nach ner Therorie an... nur ... warte mal kurz... habe ich da grade etwas nicht richtig mitbekommen? Erläutere uns doch bitte noch einmal die Sache mit dem Erben und dem Clan und dem „du“.“ Finn war noch in Gedanken und sah jetzt auf. Er sah erst Schuldig an und dann Ran. „Hat die aschfahle Farbe in deinem Gesicht jetzt etwas mit einem plötzlichen Blutverlust zu tun oder der Tatsache, dass du hier etwas ausgeplaudert hast, dass du eher mit ins Erdgeschoss nehmen wolltest? Vorhin meine ich.“ Finn sah schnell zu Schuldig auf. „Klar vorhin...“ murmelte er. Er ging wieder zurück zum Bett und setzte sich vorsichtig. „Erzähl mir deine Familiengeschichte“, bat Finn und Ran hob die Verbände wieder auf. Er brauchte etwas, das seine Hände tun konnten. Er war nervös. Ran schwieg jedoch beharrlich, seine Finger zitterten. Finn hievte seine Beine auf das Bett und ließ sich von Ran die Verbände erneuern. Als Finn verbunden war besah sich Ran die Schulter. Als Ran immer noch nichts sagte, begann Finn... „Deine Mutter war eine Kawamori. Ebenso wie deine Großmutter eine ist. Ich bin ihr Schüler, wie deine Mutter, die eine Kawamori und ebenso Schülerin ihrer Mutter war. Dies ist Chiyo Sakurakawa. Dieser Clan ist kein Clan mit Blutsverwandschaft. Die Sakurakawas hatten einst eine wichtige Aufgabe. Aber dazu irgendwann einmal mehr.“ „Ich kenn die Story“, sagte Schuldig. „Hätte mich auch gewundert wenn nicht.“ Finn sah wieder Ran an, der ihm half, seinen Yukatta zu schließen. „Deine Mutter lernte einen jungen Mann kennen, deinen Vater. Ihr Vater war mit dieser Verbindung anfangs einverstanden, dann jedoch ergaben sich immer mehr Differenzen. Sie verließ die Familie, heiratete deinen Vater und bekam dich und dann deine Schwester. Sie verschwand einfach, tauchte ab und war nicht mehr gesehen. Jeder Versuch, sie zurück in die Familie zu bringen, scheiterte. Sie wehrte sich, denn die Methoden ihres Vaters waren nicht gerade nett.“ Es war nicht die ganze Wahrheit, die er da verkündete, aber es war ein Teil davon. Mit einer Halbwahrheit kam er besser hin, als wenn er eine komplette Lüge erzählte und schließlich ließ er nur etwas aus, das war ja nicht direkt gelogen oder? Ran saß wie versteinert da. Er versuchte Erinnerungen aus seiner Kindheit hervorzukramen um nach verräterischen Anzeichen zu suchen, nach Hinweisen auf das, was ihm hier erzählt wurde. Und er fand sie auch. Er durfte nicht ins Kendotraining gehen, sie hatte ihn selbst unterrichtet. Die Streitigkeiten...die er mitbekommen hatte. „Siehst du deshalb ist es besser, manche Dinge mit ins Erdgeschoss zu nehmen“, sagte Finn zu Schuldig, wenig begeistert davon, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein. „Nein, das ist es nicht“, sagte Schuldig. „Und das weißt du auch. Es macht alles nur schlimmer.“ Finn seufzte schwer, griff sich die Decke und wickelte sich darin ein. Er sah missmutig zu Ran und verzog mitfühlend den Mund. „Eines Abends fanden deine Großeltern den Kopf ihres Sektionsbosses aufgespießt vor ihrer Tür. Er hatte den Auftrag erhalten, euch unter allen Umständen zu den Großeltern zu bringen. Ihr wart damals noch klein. Deine Familie tauchte ab. Danach war ein paar Jahre Ruhe.“ Ran spürte eine tröstende Hand in seinem Nacken. Sie war ihm nicht recht. Er wusste nicht, ob er Trost wollte. Er wäre am Liebsten aufgestanden und gegangen, irgendwohin, wo er niemanden um sich hatte. Aber das hätte Schwäche bedeutet und Schuldig... wäre ihm nachgekommen. Also blieb er sitzen, wenn auch eine Kälte in ihn Einzug gehalten hatte, die ihn körperlich taub machte. „Dann, an einem schönen, lauen Abend gab es einen neuen Attentäter. Yoshio beauftragte Takatori, der damals noch Geld für seinen Wahlkampf benötigte, ihm einen kleinen Gefallen zu tun. Als Geschäftsfreund ließen deine Eltern ihn in ihr Haus. Sie luden ihn zum Essen ein, während ihr beiden beim Fest wart. Ganz unverfänglich. Perfide nicht wahr? Ihr war nicht in Gefahr. Eure Eltern tot, ihr beide Waisen. Eure Großeltern die einzigen Verwandten weit und breit. Wie tragisch“, sagte Finn mit leiser Stimme und sah in die Ferne, ganz so, als würde er sich die Tragweite der Geschichte noch einmal vor Augen holen wollen. Ran erhob sich und sah Schuldig an. „Ich wusste... ahnte... dass da etwas nicht stimmte. Ich habe dir doch...“ versuchte Ran seine Gedanken zu sortieren. „Du hast mir gesagt, dass du Manx nicht traust... sie habe dir nicht alles erzählt.“ „Und was ist mit ihr?“ „Chiyo? Oder meinst du Manx?“ fragte Finn. „Chiyo.“ „Sie hat deine Mutter geliebt. Nie hätte sie euch etwas tun können. Sie hat mich immer wieder darum gebeten, dich zu schützen.“ Er sah weg. „Wen denn noch alles? Schwarz, Fujimiya, die Kinder, Eve... ja klar, die ganze Welt am Besten!“ rief er aus und Schuldig musste unfreiwillig über diese Entrüstung schmunzeln. Rans Gesicht wirkte wie versteinert. „Was ist mit Manx?“, hakte Schuldig an seiner Stelle nach. „Wie ich herausgefunden habe, arbeitet sie für Chiyo. Chiyo war Kritikers Geldquelle. Die öffentlichen Gelder hätten für einen Feldzug, wie Persha ihn ins Leben gerufen hat nie ausgereicht, dazu hat ihn sein Bruder zu kurz gehalten. Chiyo steht auf der richtigen Seite, aber sie hat fragwürdige Methoden, wie Kritiker auch. Das gefiel ihr so gut an dieser Organisation. Manx hat dich eingesammelt als Chiyo Wind von Crashers erhalten hat. Sie wollte ein Auge auf dich haben und deine Rache in die richtige Richtung lenken, bei Crashers wäre es dir nicht gelungen an Takatori heran zu kommen. Die Mittel hatten nur Kritiker, durch Chiyo. Und Persha natürlich, der ohnehin eine persönliche Rechnung mit Takatori zu begleichen hatte. Manx hat dich zu Kritiker geholt, weil Chiyo das so wollte. Was ihr ein Dorn im Auge war, war die Tatsache, dass ihr PSI jagtet. Das hat ihr nie besonders gut gefallen. Aber sie sagte immer, dass die Zeit noch nicht reif dafür war, dass Schwarz Hilfe bräuchten. In den letzten Jahren jedoch hat sich das Blatt gewendet. Informationen über Angriffe auf PSI in der ganzen Welt drangen zu ihr. Ihr waren nur leider die Hände gebunden. Sie hat getan, was sie tun konnte, aber hat sich eher in den USA betätigt. Das Feld hier hat sie größtenteils mir überlassen.“ Ran sagte nichts dazu, er musste das alles erst einmal verdauen. „Was ist mit der rothaarigen Amazone?“ „Manx?“ Finn dachte einen Augenblick nach, wie viel er von der Frau wusste. Das war nicht viel, aber er hatte sich nach ihrer Begegnung im Wald des Anwesens erkundigt. „Sie ist eine von Chiyos Kindern, wie ich auch. Sie wurde an die Familie verkauft. Sie hatte nur Glück, dass Chiyo in ihr etwas sah, was ihren Zwecken dienlich war. Sie suchte sie sich für ihren persönlichen Kader aus. Andere Kinder hatten weniger Glück, sie landen bei ihrem Mann, der sie zu seiner Schutztruppe ausgebildet hatte.“ „Kennst du Manx von früher?“ „Nein. Die meisten ihrer Kinder zieht sie selbst bis zu einem bestimmten Alter mit heran, bevor sie sie wegschickt zu anderen Meistern.“ „Und du?“ fragte Ran. Finn seufzte und sah zu Schuldig, bevor er den Blick senkte. „Sie hat mich bei sich behalten und mich das gelehrt, was sie wusste.“ Vermutlich die härteste Schule für ein Kind. Er dachte immer noch an das eine Jahr zurück, in dem er als Mädchen leben musste. Das hatte sie später, als er siebzehn war, noch einmal wiederholt. Er hatte es gehasst. „Hattest du andere Lehrer?“ „Sicher, aber sie hat diese überwacht“, und seine Ausbildung war auch nicht so korrekt und vorbildlich verlaufen wie die beiden sich das vielleicht vorstellen mochten. Die Jahre waren vergangen und Heimlichkeit stand auf der Tagesordnung. Er war emotional, seelisch lange nicht so gefestigt wie manch ein Guardian aus früheren Zeiten. Er war der Beste, den sie unter diesen Umständen heranzüchten konnte und das war beileibe nicht gut genug. Er war zu emotional, gehorchte nicht immer und dachte zu viel nach. Er änderte ihre Pläne zu seinen Gunsten, fragte zu viel und war zu aufmüpfig... gelegentlich. Nur wenn es um Bradley Crawford ging versagte all sein Widerstand. Der Hellseher war seine seelische Rettung gewesen, ihm all sein Denken, sein Handeln zu widmen war das, was ihn nach vorne getrieben hatte und Chiyo war dabei nur noch das Mittel zu seinen Zwecken gewesen. Er hatte sich immer ausgemalt, wie es sein würde, wenn Brad von ihm wusste. Dabei waren verschiedene Szenarien entstanden, wenige davon waren gut ausgegangen. Jetzt war er hier und keine dieser kleinen Träume war wie die Wirklichkeit. „Und all das da... was ist damit?“ Schuldig deutete auf die Zeichnungen an seinem Körper, die jetzt unter der Decke verborgen lagen. Finn ließ den Kopf in den Nacken fallen. Er war müde. Aber was machte das jetzt schon. „Ist das die letzte Frage?“ „Für den Augenblick... schon“, gab Schuldig nach. „Eine Bestrafung von... deiner Tante... und danach fand Gula das lustig und machte weiter damit.“ „Meine Tante...“ Schuldig lachte bitter auf. „Könnten wir uns auf einen anderen Namen einigen?“ Finn rollte den Kopf herum und lächelte trostlos, als er Schuldig ansah. „Du meinst eher so etwas wie Biest, oder Psychopathin oder Wahnsinnige, aber wie wäre es mit Psychopathin, der Folter gefällt?“ Er verzog angewidert das Gesicht. „Wenn es zutreffend ist?“ sagte Schuldig und er sah nach draußen. Ran wandte sich zu ihm um. „Sie hat dir die Zeichnungen machen lassen?“ fragte Ran dann. „Für Verfehlungen. Jede Sichel stellt einen Fluch dar. Sie fand es unterhaltsam, mich auf einen Tisch zu ketten und ihren hofeigenen Tätowierer einfliegen zu lassen, um mir ein neues Souvenir einzuzeichnen.“ „Warum hast du dich nicht gewehrt?“ Die Frage lag nahe. Finns Blick rutschte auf die Bettdecke und heftete sich dort fest. Seine Tarnung wäre aufgeflogen und war es nicht seine Philosophie gewesen, alles für die Sicherheit von Brad zu tun? Nur daran hatte er sich festgehalten. Nur die Gedanken an ihn hatten ihn vor dem Untergang bewahrt. Lächerlich bei genauer Betrachtung. Lächerlich wie sein Leben. „Das war eure letzte Frage für heute, ich bin müde. Darf der Gefangene jetzt schlafen?“ fragte Finn erschöpft und schloss die Augen. Ran und Schuldig sahen sich an. Schuldig schüttelte den Kopf und Ran erhob sich. Sie verließen das Schlafzimmer. Vor der Tür wartete Crawford mit verschränkten Armen. Er war allein im Flur. Hisoka stand etwas weiter entfernt. Sie gingen alle in den Wohnraum. Jei und Kudou waren nicht mehr da. Crawford war mit Schuldig in Verbindung gestanden und hatte das Gespräch so mitverfolgt. Schuldig war geradezu prädestiniert dafür, Verhöre zu führen. Brad neigte dazu, wenig auf den Befragten einzugehen und schüchterte diesen eher ein. Was in der Vergangenheit oft dazu geführt hatte, dass etwaige Gefangene von Takatori gar nichts mehr sagten. Schuldig war dagegen ein hervorragender Folterknecht, wenn man so wollte. Ran ging zunächst zu der kleinen Bar und schenkte sich ein Glas Scotch ein. Nicht das Getränk der ersten Wahl für ihn aber in Anbetracht des betäubenden Gefühls das er verspürte war es ihm fast egal was ihm dabei half seinen tauben Körper wieder zu spüren. Als er in die Runde blickte, kramte er weitere Gläser hervor und schenkte den anderen ebenso ein. „Gibt es einen Grund für dieses Schweigen?“ fragte Hisoka und sie setzten sich bis auf Brad auf die beiden gegenüberliegenden Sofas. Brad stand am Fenster und sah hinaus. „Wie oft haben Sie versucht, Ihren Sohn aus Chiyos Händen zurückzubekommen?“ fragte Brad und Schuldig sah zu ihm auf. Ihm wurde jedoch nur die Rückfront präsentiert. Brad war so angepisst wie schon lange nicht mehr, befand Schuldig, als er die angespannte Haltung des Amerikaners sah. Eine tiefsitzende Wut, die nicht an die Oberfläche kam. Schuldig gefiel es besser, wenn Brad um sich schlug. „Einige Male. Die letzte Unternehmung in diese Richtung dürfte Ihnen noch im Gedächtnis sein.“ „Was hat es mit den Tätowierungen auf sich?“ Erneut eine so kalt gestellte Frage ohne Emotion oder Klang. „Das haben wir bereits besprochen. Traditionell gelten diese Worte als Zeichen für besondere Leistungen.“ „Besonders gute oder besonders schlechte?“ hakte Ran nach. „Gute natürlich. Jede Sichel beschreibt die Tat des Guardians, als er das Leben seines Schützlings positiv beeinflusst oder gerettet hat. Sowohl Seelenleben als auch Physis werden berücksichtigt. Es gibt Taten die mehrere Sicheln nach sich ziehen können. Jeder Guard oder Guardian ist stolz darauf.“ „Ihr Sohn nicht.“ „Aber...“ Hisoka sah sie verständnislos an. „Ihr Sohn wurde dazu gezwungen. Ein Clanmitglied... hat ihn gefesselt und sie ihm mittels eines eingeflogenen Tätowierers eingestanzt. Die Erklärung dafür war, dass die Sicheln Flüche wären, Zeichen seiner Verfehlungen. Er schien mir nicht gerade stolz darauf zu sein.“ „Nicht stolz?“ Hisoka schüttelte den Kopf und stand auf. Er ging ein paar Schritte und sah sie dann nur ruhig an. „Nein. Das ist er nicht“, sagte Brad. Er konnte sich noch daran erinnern, wie unsicher der Mann in der Dusche gestanden hatte. Er hatte damals von ihm wissen wollen, ob sie Brad gefallen und es war pure Unsicherheit und kein Stolz in der Stimme gewesen. Jetzt wusste er warum. „Warum hat sie das getan?“ Hisoka wandte sich an seinen Vater. Der nahm einen Schluck und sah in sein Glas. „Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, er wäre ein Guardian. Das ist das Einzige, was ich mir vorstellen kann. Aber sie hätte es ihm sagen müssen. Es ist ein gut gehütetes Geheimnis der Familie Kawamori. Die Zeichnungen wurden stets verborgen getragen, aber ich bezweifle, dass es heute noch jemanden gibt, der sie zuordnen kann und weiß, was er vor sich hat wenn er eine sieht. „Dann ging das von Chiyo aus? Nicht von...“ „Nein. Es ging mit Sicherheit von Chiyo aus. Es gibt nur einen Tätowierer der das macht und das ist ein Kawamori, er hat es von seinem Vater und dieser von seinem, eine lange Tradition in unserer Familie. Die Anordnung der Worte, die Auswahl und der Übergang zur nächsten Sichel. Sie haben alle eine Bedeutung und stehen in Verbindung.“ „Chiyo hat es deiner Tante so verkauft, dass es nach Bestrafung aussieht, nicht nach Belohnung“, sagte Ran. Sie hingen ihren Gedanken nach und tranken ihre Gläser leer. „Wie jetzt weiter?“ „Wie geplant. Wir ziehen ins Haus zurück. Doc... ich möchte, dass Sie für kurze Zeit ihr Lager bei uns aufschlagen.“ „Warum?“ „Naoe. Er kann nicht länger in der Klinik bleiben. Angesichts der Aussicht, dass Rosenkreuzer bald einfallen werden, muss er bei uns sein.“ „Das kostet extra fürchte ich“, sagte der Doc und Ran sah das Lächeln in seinen Augen. „Das sollte kein Problem sein. Ich kürze Schuldigs Taschengeld.“ „Was?“ ereiferte sich Schuldig. „Du bist derjenige, der auf schnellstem Weg an Geld kommt“, kappte Brad den Einwand, der da kommen mochte. „Pfft“, machte Schuldig und ertränkte seinen Frust in Alkohol. Reine Show, er hatte schließlich genug Geld, nur es schien Brad Spaß zu machen anderen zu zeigen, dass er ihn an der kurzen Leine hielt, Schuldig ging wie immer gerne darauf ein. Er grinste innerlich während er den beleidigten Untertan mimte. „Was ist mit der Tatsache, dass Chiyo meine Großmutter ist? Falls es denn stimmt.“ „Mich sorgt eher der Umstand, dass nicht nur wir davon wissen und die Aussicht auf ein milliardenschweres Erbe. Viele werden hinter dir her sein“, wandte Schuldig ein. „Es stimmt“, sagte Brad. „Hast du das gesehen?“ „Ja“, log Brad frei heraus. Er würde sich hüten und sein Treffen mit Chiyo offenbaren. „Und jetzt verschwindet, treibt den Umzug voran. Ich komme morgen...“ „Du kommst morgen nicht. Du kümmerst dich um deine Wunde, außerdem hast du einen Gast“, murrte Schuldig. „Wir nehmen Kaito mit“, sagte Hisoka. „Ich fürchte das geht nicht. Die Fluchtgefahr ist zu hoch. Sobald er den Fuß auf den Asphalt setzt, ist er weg. Noch weiß ich nicht alles, was ich wissen will, ich habe noch ein paar Fragen an ihn“, erwiderte Brad. Der Doc stellte sein Glas ab und sah Hisoka an. „Wir gehen, kommen morgen aber wieder, um nach den Verletzungen zu sehen.“ Das Machtwort war gesprochen und Hisoka fügte sich, wenn auch widerwillig, wie Ran bemerkte. Schuldig und er erhoben sich auch und zwanzig Minuten später war Brad allein. Brad machte sich daran, die Wohnung aufzuräumen, was nicht gerade förderlich für seine Hand und seine frisch versorgte Flanke war. Er warf sich zwei Tabletten ein und ging ins Schlafzimmer. Und erinnerte sich daran, dass er es nicht länger für sich allein zur Verfügung hatte. Er legte sich hin, nahm die Brille ab, legte sie zur Seite und rieb sich seine müden Augen. „Bringt es etwas, dich zu fesseln, damit ich morgen früh aufwache?“ fragte er in den stillen Raum hinein. Kein Mucks war vom anderen zu hören, als hätte er den Atem angehalten. „Kommt auf die Fesselung an“, hörte er dann vernuschelt aus den Decken heraus. „Standard reicht wohl nicht“, erwiderte Brad und schloss die Augen. Sie brannten unangenehm. „Eher nicht“, sagte Finn unbestimmt. „Prahlerei?“ „Du kannst es ja darauf ankommen lassen.“ „Muss ich wohl. In jeder Hinsicht.“ „Wie sieht es mit deiner Absicht aus, mir Flugstunden zu spendieren?“ „Nach deiner Mitleidsgeschichte von vorhin würde mir wohl so gut wie jeder, der sie kennt, den Hals umdrehen, wenn ich etwas in dieser Richtung vorhabe. Das heißt aber nicht, dass du so ohne weiteres davon kommst.“ Er hörte Geraschel und leise ausgestoßene Flüche, bevor er einen Schatten vor dem Fenster sehen konnte. „Leg dich wieder hin Kawamori“, sagte er und seufzte. Er wollte Ruhe und Frieden. Zumindest für den Augenblick. „Finn. Mein Name ist Finn. Finn Asugawa.“ „Warum? Hast du auch ein Trauma mit deinem wirklichen Namen wie unser Milliardenerbe?“ Finn sah zu ihm hinüber. „Nein?“ Er schüttelte verständnislos den Kopf. „Meine Mutter wollte, dass ich Finn heiße und an Asugawa habe ich mich einfach gewöhnt. Ich bin kein Kawamori mehr, das ist alles. Keine tragische Geschichte.“ „Du hast den Namen abgelegt, als du verkauft wurdest?“ „Du hat gelauscht“, stellte Finn fest. „Kunststück wenn du meiner rechten Hand – einem Telepathen - etwas erzählst.“ Finn schnaubte. „Leg dich hin.“ „Ich habe Schmerzen, ich kann nicht mehr liegen.“ Er ging langsam auf und ab. Seine Schulter schmerzte, aber wenn er lief oder stand war es besser. Für die Nähte war es jedoch nicht gut. Na ja, einen Tod musste man sterben. Brad ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie langsam wieder. Er hätte ihn am Liebsten in einen anderen Raum gezerrt und dort verschnürt, nur um nicht ständig mit seiner Anwesenheit konfrontiert zu sein. Er war innerlich unruhig, an Schlaf war nicht zu denken, im Wissen, dass dieser Mann mehr von ihm wusste als jeder andere, den er kannte, Schuldig eingeschlossen. Seine Gefühle fuhren Karussell und Angst – musste er zugeben – war nur eines davon. Ihm war es fremd und es stellte seine lang antrainierte Selbstbeherrschung auf die Probe. Dieser Mann stellte alles in Frage, was ihn ausmachte. Er sann dem Drang nach, ihn von sich zu stoßen und ihn zu töten, nur um dieser Angst zu entkommen oder ihn an sich zu ziehen und ihn so stark an sich zu binden, dass er nie wieder auch nur einen Schritt von ihm wich. Er verstand es nicht und das machte ihn halb verrückt. Sie schwiegen lange und Brad schien eingeschlafen zu sein. Finn verließ leise das Schlafzimmer und atmete vor der Tür auf. Brad schien sich beruhigt zu haben. Er war so erleichtert, dass er heulen hätte können. Aber alles, was passierte war, dass er zufrieden lächelte. Er ging auf die Toilette, sah sich sein zerkratztes Gesicht an und kämpfte den erneut aufkommenden Schwindel nieder. Dann tapste er in den Wohnraum, schenkte sich Wasser ein und besah sich die Wohnung. Er stolperte halb über seine Tasche, die immer noch im Wohnzimmer stand. Da fiel ihm ein... „Scheiße...“ entfuhr es ihm. Er tigerte zurück ins Schlafzimmer. „Hey“, wisperte er. „Brad...“ etwas lauter und vertraulicher. „Ich wüsste nicht, dass ich dir erlaubt hätte, mich beim Vornamen zu nennen.“ „Ist dir Bradford lieber?“ „Wie hast du es eigentlich geschafft, dich nicht zu verplappern?“ „Tja, erstaunlich nicht war... angesichts der Umstände. Ich gebe zu, es war höllisch schwer und ich bin immer noch stolz auf meine Leistung“, sagte er in die Stille hinein. Finn ging näher ans Bett und setzte sich auf die Kante neben Brad. Er keuchte als er das Brennen der Wunde spürte. „Ich glaube, ich muss echt was einwerfen.“ „Tu das und lass mich schlafen.“ „Geht nicht. Wir haben ein Problem.“ Brad stöhnte. „Du weißt gar nicht wie ich diesen Satz hasse.“ „Kann ich mir vorstellen“, murmelte Finn. „Was ist?“ entfuhr es Brad gereizt. „Der Wagen mit dem ich dich hergebracht habe, steht immer noch in der Tiefgarage. Er muss weg. Er kann über das GPS geortet werden und mich würde es nicht wundern, hätte Steam einen Sender angebracht.“ Brad tastete nach dem Lichtschalter und griff sich seine Brille. „Das sagst du mir jetzt?“ Er sah Finn an, dessen Gesichtsfarbe kränklich grau wirkte. Die braunen Augen erwiderten trüb seinen Blick. Das Lächeln auf den verführerischen Lippen sah jedoch spitzbübisch aus. „Ich könnte ihn wegfahren!“ bot er an und wedelte mit dem Schlüssel. „Und wiederkommen? Wem willst du das verkaufen?“ Finns Lächeln verblasste. „Ich komme wieder“, sagte er ernst. „Die Frage ist wann! Abgesehen davon, dass ich dir in dieser Sache nicht traue, verliere ich deinen Vater als getreuen Mitarbeiter, wenn ich dich so rausschicke.“ „Ich schaffe das schon“, behauptete Finn und sah ihn fast schon schmollend an. „Nein. Gib mir die Schlüssel.“ Finn dachte einen Moment darüber nach, ob er das „Hol sie dir doch“-Spielchen spielen sollte, aber... „Wenn du jetzt an das denkst, was ich glaube, dann schmeiß ich dich wirklich noch von diesem Stockwerk. Und zwar unmittelbar nachdem ich mir die Schlüssel geholt habe.“ Finn sah ertappt auf. Er legte den Schlüssel in die wartende Hand. „Wohin?“ „Ein Parkhaus, aber ich würde ihn, wenn ich du wäre, einfach weit weg von hier abstellen. Du musst irgendwie wieder zurückkommen. Oder willst du ein Taxi nehmen, das ist zu unsicher. Es kann rückverfolgt werden.“ Brad antwortete nicht. Er schlüpfte aus seiner Hose und ging nackt wie er war aus seinem Schlafzimmer. Finn glotzte ungeniert und legte sich dann zurück. Er schloss die Augen und versuchte seine erregte Libido zu bekämpfen. Ein Blick auf diesen nackten Hintern und die Männlichkeit, deren samtige Oberfläche er noch genau in Erinnerung hatte, brachten ihn hier völlig aus dem Konzept. Er rollte zur Seite, sodass er die Tür im Blick hatte und das Licht des Flurs auf ihn fiel. Er hatte Schmerzen und trotzdem war er erregt. Schrecklich war das. Er seufzte und schloss die Augen, hörte die Hintergrundgeräusche im Bad und dann weiter entfernt. In Gedanken fuhr er mit den Händen über die festen Bauchmuskeln, hinunter zu den Leisten... Dann verdunkelte sich hinter seinen geschlossenen Lider der Lichtschein etwas und er öffnete verträumt die Augen. „Schon wieder da?“ „Ich war noch nicht weg.“ „Du weißt, dass ich auf dich stehe und trotzdem tanzt du nackt hier vor mir herum.“ „Weiß ich das?“ „Ja.“ „Dann verstehst du ja, was ich damit meinte, dass du nicht ungestraft damit davon kommst.“ „Was habe ich denn getan?“, fragte er wenig enthusiastisch nach. „Was war mit China? Und Shanghai? Und wenn ich mich nicht schwer täusche, hast du mich vergiftet.“ „Du weißt das?“ Finn setzte sich auf. „Bis später.“ Finn blieb allein zurück. Das war also seine Strafe? Wann hatte sich Crawford das ausgedacht? Und warum? Weil es grausamer für ihn war. Crawford würde ihn nicht einmal mehr die Hand geben, geschweige denn ihn küssen. Er würde ihn in seiner Nähe lassen aber nicht weiter. Der Sprung wurde immer verlockender. Finn legte sich wieder hin, robbte an die Stelle wo Brad zuvor gelegen hatte und kuschelte sich in Kopfkissen und Decke ein. Als es morgen wurde wachte er auf. Es war hell und er fühlte sich wie erschlagen. Bis er aufgestanden war dauerte es eine gefühlte Ewigkeit. Das Bett war bis auf ihn leer. Er ging die Wohnung ab, aber Brad war nicht da. Es war sieben Uhr. Er ging zu seinem Telefon, kramte es aus der Tasche hervor und wählte die Nummer seines Vaters. „Crawford...er hat den Wagen zurückgefahren und ist nicht mehr zurückgekommen.“ „Er hat hier geschlafen. Er trifft sich heute noch einmal mit Asami, um die Suche nach dir abzubrechen.“ „Das ist zu gefährlich.“ „Ihm das auszureden ist unmöglich.“ „Warum hat er bei euch geschlafen?“ „Er braucht seine Ruhe. Er stand kurz vor dem Zusammenbruch.“ „Das... habe ich nicht bemerkt.“ „Du kennst ihn nicht...“ „Nein. Wohl nicht.“ Finn legte auf. Er sah nur den Mann, nicht den übersinnlich Begabten Hellseher. Ein Fehler. o Manx lag nun schon seit drei Stunden und genau zehn Minuten flach auf dem Dach eines Seven-Eleven Shops und spähte das Lagerhaus gegenüber aus. Sie legte das Fernglas zur Seite und stöhnte, als sie sich auf den Rücken drehte. „Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das der richtige Ort ist, Boss“, gab Maneater ihre Zweifel endlich bekannt, nachdem sie schon die letzte halbe Stunde einfach nur genervt hatte mit ihrem Gezappel. „Chiyos Kontakt im Orden ist zuverlässig. Sie werden kommen, die Frage ist nur wann.“ Maneater übernahm das Fernglas und gab ihr ein bisschen Zeit, um sich auszuruhen. Manx hatte ein paar Minuten die Augen ruhen lassen, bevor sie von Maneater ein leises Lachen vernahm. „Sieh mal einer an, da tut sich was“, flüsterte sie, was Manx dazu veranlasste, sich auf den Bauch zu drehen und über die niedrige Kante zu spähen. Sie nahm das Fernglas, das ihr gereicht wurde und überzeugte sich selbst davon, was sich auf dem großen Areal vor dem Lagerhaus tat. Ein halbes Dutzend schwarzer Limousinen wurde durch das Tor eingelassen. Sie parkten im Halbkreis und hielten dann. Aus dem dritten Wagen stieg ein Mann vom Beifahrersitz und öffnete die Tür im Fond des Wagens. Ein Schwarzer stieg aus, er trug einen langen Mantel mit Fellbesatz am Kragen. Seine langen Haare waren zu Dreadlocks frisiert. Sie bauschten sich in den Kragen hinein obwohl sie zu einem Zopf zusammengehalten wurden. Das weiße Fell des Kragens leuchtete um die dunkle Gestalt. Als er sich umsah und seinen Mantel öffnete bot ihm der Mann, der ihm die Tür geöffnet hatte ein Zigarettenetui an und er entnahm eine Zigarette aus ihr. Er ließ sie sich anzünden und inhalierte genüsslich. Als er den Kopf in den Nacken legte und den Rauch ausstieß öffneten sich wie einstudiert die hinteren Wagentüren der anderen Autos und zeitgleich stiegen Personen aus. Insgesamt fünf, davon zwei Frauen und drei Männer. Sie sahen sich um als wären sie gerade eben erst auf diese Welt gekommen und müssten sich zunächst orientieren, oder als warteten sie auf ein Kommando. „Der Typ im Mantel scheint mir der Boss zu sein“, wisperte Maneater. „Still“, wies Manx sie an. Wer war es? De la Croix oder Somi? Oder einer ihrer Lakaien. De la Croix würde nicht selbst kommen, oder? Er hatte eine exponierte Position eingenommen, alle anderen standen einen Schritt weit hinter ihm. Sie holte ihr Pad hervor und rief sich die mickrigen Daten auf, die sie von der Trias hatten. Tatsächlich, es könnte De la Croix himself sein. Schwarzafrikanische Abstammung mit französischen Einflüssen, ein Mischling. Sie zoomte sein Gesicht heran. Es zeugte von eurasischen Einflüssen. Die Nase war sehr gerade, das Gesicht eher fein geschnitten, der Mund schmaler, die Hautfarbe zeigte keine so starke dunkle Pigmentierung, wie zunächst vermutet. „Scheiße“, entfuhr es ihr. Das WAR De la Croix. „Boss?“ Manx antwortete nicht. Sie schickte Chiyo eine Nachricht. Als sie hoch sah bekam sie gerade noch mit, wie sich das Rolltor des Lagerhauses öffnete und mehrere Gestalten herauskamen. Sie machten ein paar Schritte auf die Wartenden zu, dann verbeugten sie sich und traten zurück. De la Croix ließ die Zigarette fallen und ging mitsamt seiner Entourage in die Lagerhalle. „Wir müssen näher ran.“ „Ganz im Gegenteil: Wir müssen hier weg“, versetzte Manx im Kommandoton. Sie zogen sich zurück. Was wollte De la Croix hier? Wo war Somi? In den Staaten? Längst auch hier? Sie mussten schnell zurück zu Chiyo und sie mussten mit Schwarz zusammenarbeiten, wenn sie nicht wollten, dass der Hellseher von der Gegenseite umgedreht wurde. Fortsetzung folgt... Vielen Dank fürs Lesen! Für das Beta zeichnet sich 'snabel' verantwortlich. Dafür möchte ich mich herzlich bedanken! ^__^ Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)