Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 124: Dr. Doom --------------------- Dr. Doom „Er entschuldigte sich für den Angriff im Lagerhaus, denn er wusste, dass Jei einen ihrer Leute ausgeschaltet hatte, als er mir half dort raus zu kommen. Sie fanden es offenbar witzig die gleiche Aktion wieder durchzuziehen.“ „Sie haben Sinn für Humor“, erwiderte Brad nachdenklich. „Gehen wir davon aus, dass sie es waren, dann wäre es interessant Jei dazu befragen zu können. Wie hat er auf dich gewirkt?“ „Wortkarg.“ Brad wartete auf etwas Besseres. „Kudou.“ „Wir standen beide im Schatten, falls er zu dem Zeitpunkt bereits eine Verletzung hatte, habe ich sie nicht bemerkt. Ich hätte ihn sonst nicht angegriffen“, versuchte er sich genervt zu verteidigen. Was sollte er denn noch sagen? Brad hob eine Braue und sah ihn abwartend an. „Erzähl mir alles was du an ihm beobachtet hast.“ Nach einem abschätzenden Blick in die beunruhigend hellbraunen Augen, schürzte er die Lippen und atmete tief ein. Also gut, verdammt. „Er stand vor mir, vielleicht zwei Meter. Ich ging an ihm vorbei, sein Gesicht wirkte wie immer, vielleicht sah er etwas abwesend aus. Sein Auge… es…“ Yohji warf dem Amerikaner einen flüchtigen, unsicheren Blick zu. „… er sieht mich immer auf eine Art an, die… ich kanns schlecht erklären.“ „Intensiv?“, half ihm Brad auf die Sprünge. Nachdem er keine spöttische Bemerkung als Antwort bekam, nickte Yohji ebenso ernst. „Ja. Intensiv. Forschend. Das war nicht so, er sah durch mich durch. Ich ging an ihm vorbei, ich war... wütend. Dann sagte er mir ich würde in die falsche Richtung laufen. Ich war schon einige Schritte von ihm weg. Ich schrie ihn an und ging weiter. Wir waren am Spielplatz, als ich die Drähte auf ihn zufliegen ließ. Einen wehrte er ab, den Zweiten – auf der Seite über dem Streifschuss – nicht. Wir kämpften, danach ging ich weg.“ „Ihr kämpftet? Wenn Jei kämpft dann stirbt meist jemand. Sehr oft sogar.“ Immer, fügte Brad in Gedanken hinzu. „Ja. Sicher, es war kein richtiger Kampf“, stöhnte Yohji aufgrund der pingeligen Nachfragerei. „Wir balgten uns. Ich ließ Wut ab, er spielte den Prellbock.“ Das war ihm jetzt auch klar. „Er ließ es also zu, dass du ihn verletzt“, stellte Crawford fest und Yohji kam sich nach diesen Worten noch schlechter vor als ohnehin schon. Yohji schwieg. Crawford drehte sich um und spülte seine Tasse aus. „Ich habe nichts von ihm gespürt, rein gar nichts“, sagte Yohji dann. Ihm war das aufgefallen. Nach ihrer letzten Begegnung unter der Dusche, hätte er etwas anderes erwartet. Er wusste aber nicht was. Jei war kein normaler Mensch, hier galten im Umgang keine normalen Maßstäbe. Er wusste nicht, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. Crawford hielt für einen Moment inne, bevor er ein Trockentuch in den Schränken suchte und damit begann die Tasse abzutrocknen. „Ist das für gewöhnlich bei euren ‚Treffen‘ anders?“ „Was heißt hier Treffen?“, maulte Yohji genervt. „Er lauert mir auf, wenn du das als Treffen bezeichnen möchtest…“ „Im weitläufigen Sinne…“, Brad lächelte ungesehen und stellte die Tasse in den Schrank zurück. „Ja, es ist üblich. Er testet an mir herum. Vor ein paar Tagen… vorgestern, ihr wart in Osaka. Ich war shoppen, plötzlich sitzt er mir völlig verdreckt gegenüber…“ „Ich erinnere mich. Er hatte vor, so meine Anweisungen zu missachten, denn ich habe ihm verboten mit dir zu sprechen.“ Yohji lachte schnaubend. „Deshalb saß er stumm vor mir. Danke auch, das war strange.“ Crawford entsorgte das Küchentuch und nahm die Armbänder an sich, sah dabei fragend zu Kudou. Dieser griff sich eines der Bänder, strich vorsichtig mit dem Daumen über einen Lesestreifen, der aktiv wurde und drückte sanft auf den Rand. Aus dem Band schob sich ein weicher Draht, der nur millimeterdick war, mit dem Auge im Flug kaum zu sehen. „Er ist so dünn, dass er von den meisten Menschen nicht oder zu spät wahr genommen wird. Er sagte, dass er die Sakurakawas observiert hat, dabei sei nichts Interessantes rausgekommen.“ Crawford nickte. „Was nichts heißt. Vielleicht war es das falsche Anwesen, die falsche Stelle an der wir suchen.“ „Was für eine Scheiße“, murmelte Yohji. „Er war abwesend, weil er verletzt war.“ „Das weiß ich nicht. Es kann gut sein, dass sie ihn angegriffen haben, während er von mir geschwächt am Boden lag.“ „Oh bitte, Kudou, das ist ein Witz. Jei filetiert dich bevor du mitbekommst, dass du angegriffen wurdest. Vergiss den Gedanken, dass du ihn besiegen könntest.“ Crawford beobachtete das zerknirschte Gesicht. „Wahrscheinlicher ist, dass er bereits verletzt war. Das erklärt die Abwesenheit. Er war darauf konzentriert herauszufinden wer euch gefolgt war und damit beschäftigt Schmerzen, die ihn behindern konnten zu unterbinden. Jei arbeitet hauptsächlich mit dem limbischen System, der Ort im Gehirn der für die Verarbeitung von Gefühlen verantwortlich ist. Unter anderem auch ein Ort der für die Schmerzverarbeitung zuständig ist. Kämpft er ohne Gefühl - und das tut er seit ein, zwei Jahren - kann ihn niemand mehr aufhalten. Ich vermute, dass er in deiner Nähe diesen Umstand vermeiden wollte, zuließ, dass Schmerzsignale aus der Peripherie in sein zentrales Bewusstsein gelangen konnten und ihn zum Teil behinderten.“ Das erklärte das erstaunte Gesicht. Jei war überrascht gewesen. „Er kann also fühlen?“, murmelte Yohji eher für sich als für den Amerikaner gedacht. Crawford nahm die Brille ab, schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen. „Er ist ein Empath. Wie zum Teufel kommst du auf die Idee er könne nicht fühlen?“ Yohji nahm das zweite Armband an sich und befestigte es sich um das Handgelenk, möglichst weiter oben, sodass es nicht sofort sichtbar unter dem Shirt herauslugte. „Ich hatte den Eindruck.“ „Sein Problem ist, dass er seine von den Gefühlen der anderen nicht separieren kann. Es gibt keinen Filter, keine Grenze dafür.“ Crawford setzte die Brille wieder auf. Er dachte einen Moment nach, denn es musste sorgfältig überlegt werden ob er diese Dinge, die sonst keiner wusste, mit diesem blonden Schönling teilen sollte. Es waren Informationen, die Jei in der Zukunft helfen würden. Sicher war das nicht. Er wusste es nicht. Er konnte weder die Zukunft von Jei noch von Kudou sehen. Ein Zeichen dass es vielleicht keine gab. Ein paar ‚Vielleichts‘ zu viel. Nur sah er nicht, dass was er wissen wollte. Er empfing andere Bilder, Standbilder von Szenerien, die ihn indirekt selbst betrafen. Kudou schien zu bemerken, dass er ihm Zeit geben musste. So ganz dämlich konnte der Blonde also nicht sein, auch wenn man es aufgrund der attraktiven, unbekümmerten Maske annehmen könnte. Yohji wartete. Die härteste Währung waren Informationen in der heutigen Zeit und der beste Dealer war Crawford, dafür musste man geduldig sein. Crawford nahm sein Jackett auf und legte es zur Seite um sich den Plastiksack anzusehen, in den sie Jei gesteckt hatten. „SZ hatten sich das zunutze gemacht. Sie warteten nicht bis er sich an etwas Bekanntes erinnerte, an eine Zugehörigkeit, an ein Gefühl der Zuneigung. Es war effizienter sein Bewusstsein auszuschalten, ihn in eine Zwangsjacke zu stecken und ihn aufwachen zu lassen, wenn man ihn brauchte. Sie ließen keine Entwicklung zu, die es ihm erlaubte ein Leben ohne ihre Kette zu führen. Er war nicht besser als ein bissiger, wahnsinniger Hofhund an der Kette. Wir wissen viel zu wenig über ihn, wie intelligent er wirklich ist, was er versteht und was nicht. Es gibt Zeiten in denen er sich nicht anziehen kann oder will.“ Yohji wusste, dass er all das konnte, aber andere Dinge für Jei wichtiger schienen. „Hatten sie Angst vor ihm?“ „SZ?“ Yohji nickte. „Weil er ihnen zu befremdlich war. Er kommt mir oft losgelöst von all den Menschen vor, überirdisch wenn du so willst. Vielleicht war er ihnen zu stark.“ Crawford lächelte in kaltem Spott. „Du siehst zu viele Filme, Kudou. Jei ist kein ‚Gott’. Auch wenn er sich wie einer verhält, dem die irdischen Belange nichts angehen. Er kann ohne Nahrung und Gefühle nicht überleben. Jei ist nicht zu kontrollieren – von keinem wenn er durchdreht. Er nimmt keine Befehle an, keine Ratschläge und ist blind für die Not anderer. Nagi kann ihn mit roher Gewalt in die Schranken weisen, Schuldig ihn im bestimmten Maß beeinflussen und ich kann ihm allerhöchstens ausweichen, aber wenn er anfängt uns zu beeinflussen, haben auch wir keine Chance.“ „Aber warum?“ fragte Yohji, nach wie vor nicht verstehend. „Ich kapiers nicht.“ „Ja. Das steht fest.“ Crawford gähnte verhalten und ging hinüber zu einer der Couchen. Er legte seine Jacke hin und setzte sich. „Wenn er aufwacht ist er in einem Stadium der Reizüberflutung. Er empfindet jede Emotion als extrem. Wut, Angst, Gier oder auch Freude, alles dringt extrem auf ihn ein. Wenn ihm dann niemand sagt, dass er die Fähigkeit hat die Lautstärke nach unten zu regulieren, verliert er sich. Dann wird es schwerer zu ihm durchzudringen.“ „Wer sagt ihm das, wenn er im Wahn ist?“ „Schuldig. Er ist derjenige, dem dieser Job zufällt. Ich kann mir gut vorstellen wie begeistert er von der Tatsache sein wird, dass wir bei Jei wieder bei Null angekommen sind.“ „Kann ich etwas tun?“ Crawford sah von seiner sitzenden Position zu Yohji der an der Küchentheke mit verschränkten Armen lehnte. „Er wird dich früher oder später umbringen, wenn du diese seltsame, wie auch immer geartete Beziehung zu ihm weiterhin unterhältst.“ Yohji erstarrte. „Ist das eine Prophezeiung?“ „Ja.“ Crawford verlor den Fokus nach dieser Antwort und sein Blick verschwamm. Er riss sich die Brille vom Gesicht, warf sie auf die Couch neben sich und griff sich an die Schläfe, denn plötzlich einsetzender Kopfschmerz kündigte eine Vision elementaren Ausmaßes an. Bilder schlugen so schnell auf ihn ein, dass er sie kaum kognitiv erfassen, denn verarbeiten konnte. Als er die Augen wieder aufschlug, schwebte das Gesicht des Weiß Agenten vor seinem Blickfeld. Er holte keuchend Luft, bäumte sich auf und versuchte sich zu orientieren. Als er das Gefühl hatte, dass er sich wieder unter Kontrolle hatte, wischte sich über die Augen und tat erst ein paar Atemzüge. Er musste sich zwingen Luft zu holen, so nebensächlich kam es seinem Körper vor. „Crawford. Was war das? Du hast zu Atmen aufgehört.“ Kudou setzte sich auf den niedrigen Tisch vor der Couch. Den großen Kerl hilflos zu sehen war schrecklich und faszinierend zugleich. Brad blinzelte heftig. Er hatte Durst. Die Trockenheit in seinem Mund schmeckte nach Staub, eine Erinnerung an Knochenstaub. „Die Konsequenz einer Lüge“, krächzte Brad und blickte hinüber zur Küche. Verschwommen sah er den Wasserhahn. „Das heißt es war keine Prophezeiung und du hast mich angelogen?“ hoffte Yohji. „Es war ein Test.“ Crawford rutschte an den Rand der Couch, suchte nach seiner Brille neben sich und setzte sie auf. Die verräterischen, kalten Augen verschwanden hinter der Fassade des harmlosen Anzugträgers, der jeden Morgen brav seiner Arbeit im Büro nachging. Er erhob sich und ging erst unsicher, dann immer sicherer werdend zum Kühlschrank und nahm sich eine kleine Wasserflasche hervor, um sie zu öffnen und einen Schluck zu nehmen. „Warum zum Henker seid ihr alle so verdammt wortkarg, wenn es darum geht, dass wir verstehen, was in euch vorgeht?“, platzte Yohji der Kragen und er erhob sich. „Was war das eben?“ „Weil wir es nicht gewohnt sind uns zu erklären. Schuldig redet für uns alle schon genug.“ „Gut, dann tu es jetzt trotzdem. “ Yohji konnte auch das Argument der Sicherheit verstehen, aber… „Selbst wenn du jetzt sagen würdest: es dient der Sicherheit sich in Schweigen zu hüllen, ist es zu spät dafür. Hätte ich gewusst, dass Jei… ich meine… wie Jei tickt, wäre das Problem jetzt nicht vorhanden.“ „Du hättest dich von ihm fernhalten sollen! Anstatt ihn zu ermutigen“, knurrte Crawford jetzt aggressiv. „Ach? Und euch ist es ja prima gelungen ihn von mir fernzuhalten! Wie sollte ich das bitte tun? Ihn erschießen?“ Crawford musste Schuldig fragen warum die Sache mit Jei so derart schief gelaufen war. Er konnte sich sogar vorstellen, dass der Deutsche seine Finger im Spiel hatte. Erstaunen würde es ihn nicht. „Halte ich dich von ihm mit einer Lüge oder etwas anderem fern, hat das weitreichende Konsequenzen für alle von uns. Das ist alles was die Vision mir zeigte. Es war eindrucksvoll.“ Yohji starrte den Amerikaner an. „Was? So einfach?“ Er lachte freudlos auf. „Du findest es einfach, dich von ihm fernzuhalten? Sagtest du nicht gerade etwas anderes?“ Crawford erstaunte so viel Dummheit auf einem Haufen. Yohji runzelte die Stirn und hob die Hände, um etwas Schlaues zu sagen, ließ sie dann nach einem Moment der Überlegung, enttäuscht über die vertane Gelegenheit seinen überragenden Intellekt zu beweisen, sinken. „Das ist bei genauerer Betrachtung… ziemlich beschissen. Gehen wir davon aus, dass die Sache für mich tödlich laufen wird und er mich um die Ecke bringt, überlebst wenigstens du die Angelegenheit. Versuchst du mich zu retten – was schon per se zweifelhaft ist – gehst du drauf, wie auch immer. Richtig?“ „Falsch.“ Yohji stemmte die Hände in die Hüften und sah Crawford fragend an. „Falls ich eingreifen und die Zukunft manipulieren sollte, wird sich das rächen und schlecht auf mich und die Menschen die mir Nahe stehen auswirken. Lasse ich alles so laufen wie es gerade läuft weiß keiner was passiert.“ „Gut. Also… falls du mich anlügen und mir eine falsche Prophezeiung nennen solltest, um mich von ihm fernzuhalten, stirbst du oder jemand von uns?“ Crawford sagte nichts. Ganz so einfach war es nicht. Er hatte nicht seinen eigenen Tod gesehen, denn er tat sich schwer damit Visionen, die ihn selbst betrafen direkt zu sehen. Es war viel mehr so, als könne er es in einer Vision aus dem Augenwinkel erahnen, dass es ihn selbst mit betraf. Das war etwas, dass er erst lernen hatte müssen. „Der Tod ist nicht immer das Schlimmste was uns im Leben ereilen kann, Kudou.“ „Wie?“, hakte Kudou nach und Crawford empfand den gleichen quälenden Kopfschmerz wie mit einem Gespräch gleicher Art mit Fujimiya. „Das ist unerheblich. Die Ereignisse sind ineinander verwoben, schubse ich dich in eine andere Richtung gerät alles in Bewegung und das Resultat habe ich dir gerade erläutert. Eigennützigerweise möchte ich das verhindern, also lasse ich alles so laufen wie es läuft.“ „Solltest du nicht eine Vision davon erhalten wie jetzt alles wieder seinen geordneten Gang geht?“ „Nicht unbedingt.“ Crawford nahm erneut einen Schluck Wasser. Der Blonde hatte wirklich nicht die Spur einer Ahnung, was er überhaupt da von sich gab. Dieser hübsche Mund plapperte einfach so vor sich hin, ohne Kontrolle und Zensur durch die Schaltzentrale weiter oben. „Das heißt du sitzt auf heißen Kohlen, nicht wissend ob es dich nicht doch irgendwann dahinrafft?“ Yohji sah skeptisch aus. Crawford lachte ehrlich amüsiert auf. „Langsam verstehe ich warum Jei dich so faszinierend findet. Er ist wie ein Kind mit seinem ersten Haustier. So gesehen sitzen wir alle auf heißen Kohlen und warten darauf, dass es uns dahin rafft.“ Ganz stimmte die Aussage mit dem ersten Haustier nicht. Jei hatte schon einmal ein Faible für einen Menschen gehabt. Und damals hatte er damit Schwarz in große Schwierigkeiten gebracht. Einem Haustier das ihn gebissen hatte, als er es nicht erwartete. Schönes Haustier, bemerkte Yohji in Gedanken. „Toller Vergleich. Da fühle ich mich doch sofort in der Familie Schwarz aufgenommen. Was bin ich? Der tollwütige Kater?“ Crawford wollte etwas antworten, als der Doktor den Gang entlang kam und zu ihnen stieß. Er blieb jedoch in der Umrahmung des Einganges stehen. „Er hat keine nennenswerte Schädelverletzung, nur eine leichte Gehirnerschütterung. Wir beginnen jetzt mit der Operation. Das Hämoglobin in seinem Blut ist momentan in einem niedrigen aber noch nicht lebensbedrohlichen Bereich, sodass von einer Bluttransfusion Abstand genommen werden kann. Ich werde ihm ein anderes Präparat verabreichen, das die Bildung der roten Blutkörperchen beschleunigt. Trotzdem wird er einige Zeit brauchen bis er sich erholt hat.“ „Von welchem Zeitraum sprechen wir hier?“, hakte Crawford nach. „Wochen. Das betrifft nur die körperliche Unpässlichkeit und die Wundheilung. Das Infektionsrisiko ist bei Ihnen und ihrem Team geringer, wie wir bereits in der Vergangenheit herausgefunden haben. Er hat gutes Gewebe, sodass die Wunden gut verheilen werden. Natürlich nur wenn er die Nähte nicht sabotiert. Haben Sie noch Fragen?“ „Dieser Herr hier wird so lange bleiben, bis sie etwas Gegenteiliges von mir hören. Können Sie ihm ein Zimmer einrichten?“ „Sehr gern. Ich bin im OP. Falls Sie etwas brauchen wenden Sie sich bitte an Hisoka.“ „Ich werde nicht hier bleiben.“ Yohji sah dem Arzt nach und wandte sein Gesicht dann dem Amerikaner zu. In diesem stand deutlich geschrieben wie wenig er von dieser Idee hielt. Crawford hatte mit diesem Widerstand gerechnet. Er nahm den letzten Schluck aus der PET Flasche und warf sie in den Müll. Zwang brachte ihn hier kein Stück weiter, also wie war das störrische Blondchen, hier vor ihm, rumzukriegen? „Wie stellst du dir das hier vor? Sollen wir ihn allein lassen? Ist das bei euch, bei Weiß, so üblich?“ Yohji kniff die Lippen zusammen. „Nein, das ist bei uns nicht üblich, aber ich habe mit ihm nichts zu tun. Wieso muss ich also hier bleiben? Er gehört schließlich deinem Team an, solltest du nicht deshalb als Teamleader hier bei ihm bleiben? Du kennst sein Problem am Besten.“ Er konnte nicht hier bleiben, er würde hier unten ausrasten. Ein paar Tage vielleicht, aber keine Wochen, denn wer wusste schon wie lange Jei brauchte um sich zu erholen? Das ging einfach nicht. Er brauchte Luft zum Atmen. Der Blonde wurde regelrecht blass im Gesicht. „Ich bin der Teamleader meines Teams und entscheide, dass du hier bei ihm bleibst...“ Kudou wollte dazu ansetzen um ihm zu erklären, dass er sich sein Teamleader sonst wohin stecken solle, als Crawford diese Absicht voraussah und weitersprach. „...während ich Nagi und Omi diesen Datenkristall bringe.“ Er hob die Hand um dem beginnenden Protest Einhalt zu gebieten. „Ja. Ich weiß bereits, dass Omi bei Nagi ist, denn ich weiß, wem ich das Ding übergeben werde. Warum du nicht der Überbringer sein kannst, ist dir hoffentlich auch mit deinem Spatzenhirn klar geworden.“ Ja das war ihm klar geworden. Yohji vermutete, dass dies auch der Punkt war warum Crawford ihn von der Straße haben wollte. Aber hier unten? „Deine Beleidigungen kannst du dir sparen. Ich weiß warum ich von der Bildfläche verschwinden muss. Sin klebt mir offenbar sehr gern am Hintern“, sagte er zynisch, im Gedenken an die Lagerhalle, und er erlaubte sich einen angewiderten Blick in das Paar schwefelgelber Augen ihm gegenüber. „Ich weiß noch nicht ob Schuldig und Fujimiyas Wohnung enttarnt ist, wenn ja, geht das auch auf dein Konto. Bis wir wissen was auf diesem Datenkristall ist und weitere Maßnahmen planen, bleibst du hier.“ „Was ist mit Ken?“ „Darum werden wir uns kümmern. Manx hat ihre Verbindungen zu den Amerikanern spielen lassen und das war eine sehr schlechte Entscheidung.“ Crawford hatte die Ahnung einer Katastrophe, die vor allem ihn selbst betreffen würde. „Wie kann ich Kontakt zu euch halten?“ „Gar nicht. Dieser Trakt ist autark. Es gibt keine Möglichkeit der Kommunikation nach draußen, es sei denn, du übergibst Hisoka eine Nachricht, die er dann per Internet außerhalb von hier verschickt.“ Für Yohji schwebte zwischen den Worten: und hier wird dich niemand je wieder finden. Er versuchte die aufkommende Panik im Zaum zu halten. Was ihm nur ansatzweise gelang. Seine Hände waren unangenehm feucht und kalt. „Wie… wie hast du das hier gefunden?“ „Gar nicht. Ich habe es ins Leben gerufen.“ „Dann bist du hier der Boss?“ „Nein. Ich bezahle wie jeder andere für diese Dienstleistungen.“ Natürlich, höhnte Yohji. Mit ein paar Extrazulagen, für den Begründer. Vermutlich gab es hier irgendwo ein Denkmal mit einer Büste. „Wann?“ „Wir können dieses Frage und Antwortspielchen noch ein wenig weiter treiben, aber das wird mich nicht davon abhalten hier hinaus zu spazieren und dich hier zurück zu lassen, Kudou.“ Arschloch, fiel Yohji daraufhin nur ein. „Falls er dazu in der Lage sein sollte sie zu beantworten, kannst du alle weiteren Fragen Jei stellen. Wenn dies der Fall sein wird, dann ist dir deine Wiedergutmachung an Schwarz geglückt.“ „Wiedergutmachung?“, echote Yohji. Spinnt der komplett?, zerfaserten Yohjis Gedanken ins Unbegreifliche und er sah Crawford zu, wie dieser an ihm vorbei zur Couch ging, seine Anzugjacke aufnahm und zur Tasche zurückkam. Er nahm sie samt Leichensack an sich. „Zwei, vielleicht drei Tage“, sagte Brad ohne auf das blonde Echo einzugehen. Yohji folgte dem Amerikaner wie das ausgesetzte Haustier, als dass er sich fühlte. Er würde hier schon rauskommen, wäre doch gelacht, fasste er wieder Mut. Im Anmeldebereich angekommen wurden sie von Hisoka empfangen, und dieser geleitete Crawford in Richtung seines fahrbaren Untersatzes. Seines hässlichen fahrbaren Untersatzes. „Wenn Jei stirbt, bist du der nächste, also halte ihn schon aus eigenem Interesse am Leben, Kudou, wenn nicht um seinetwillen.“ Crawford drehte sich für diese Drohung nicht einmal um, so wenig hielt er von ihm. „Fick dich, Orakel.“ Er würde hier rauskommen, egal wie. Als die Türen sich schlossen und er alleine in dem zentralen Flur stand, in dem mehrere Gänge sich abteilten, fühlte er sich von allen verlassen. Er orientierte sich und ging zur Tür Nummer drei im Gang geradeaus und spähte durch ein Sichtfenster hinein. Drei vermummte Gestalten, vermutlich Fuma, Yume und der Doc waren noch mit Jei beschäftigt. In der Zwischenzeit hatten sie ihn offenbar unter Narkose setzen müssen, denn die OP war in vollem Gange. Wie er da so stand, bemerkte er nicht wie Hisoka zurückgekommen war und nun schräg hinter ihm stand. Erst ein höfliches Hüsteln machte ihn aufmerksam. „Ich habe Ihnen ihr Quartier für Ihren Aufenthalt vorbereitet. Wenn Sie mir bitte folgen möchten?“ Yohji wandte den Blick aus dem OP nur allzu bereit ab und folgte dem „Sicherheitsbeauftragten“ Hisoka. Wenn er sich länger ansah wie sie Jei zusammenflickten, wurde er noch verrückt. Er konnte die sorgenvollen Gedanken nicht loswerden, die seit ihrem Kampf an ihm hingen wie übler Geruch, denn er hatte immer noch das erstaunte Gesicht vor seinen Augen. Sie gingen den Korridor entlang und Yohji zählte außer der Nummer drei noch weitere vier Räume, die ähnlich ausgerüstet waren wie der OP Saal, die metallenen Schiebetüren standen offen. Yohji folgte Hisoka in eine Schleuse. Die nächste Tür öffnete sich erst als die, durch die sie gekommen waren verschlossen war. Der Korridor durch den sie nun kamen hatte Hotelcharakter und stellte einen krassen Gegensatz zum Klinikcharme von zuvor dar. Er fühlte sich beschissen. Das Einzige was ihn davon abhielt gleich einen Ausbruchsversuch zu starten war die Tatsache, dass er seine Waffen noch hatte und diese wohlgehütet an seinen Unterarmen lagen. Hinzu kam der leidliche Umstand, dass Crawford mit dem was er gesagt hatte gar nicht so Unrecht hatte. Sin waren ihm irgendwie immer auf der Spur und er fragte sich warum. Warum nicht Omi? Oder Ken? Ran fiel aus, da dieser von Schuldig überwacht wurde. Wobei Ran auch von ihnen angegriffen worden war und, soweit er in Erfahrung hatte bringen können, war es Jei gewesen, der ihn aufgesammelt hatte. Wieder Jei. Er war immer dort wo… Sin… waren… Hisoka blieb stehen, berührte eine der Türen mit der flachen Hand und Yohji staunte nicht schlecht, denn die komplette Wand, mitsamt der Tapete und der Tür, entpuppte sich als Hologramm. Die standen vor einer Plexiglaswand, deren Tür von Hisoka zuvorkommend geöffnet wurde. Yohji sah eine Fensterfront, eine Terrasse und ein Fenster direkt neben dem Bett. Die Jalousien waren herabgelassen, sodass die strahlende Sonne das Zimmer zwar in ihr warmes, weiches Licht tauchte, es aber nicht flutete. „Das ist eine Tageslichtsimulation. Unser Zimmer für traumatisierte Patienten. Es gehört Ihnen für die nächste Zeit. Sie dürften in den Wandschränken alles was sie benötigen finden.“ Yohji lugte hinein, tat aber keinen Schritt in den gemütlich eingerichteten Raum. Er sah es durch die durchsichtigen Wände. Das reichte völlig aus. Das war also sein Gefängnis für die nächste Zeit. Hübsche Zelle. „Ich…bin kein traumatisierter Patient“, brachte er bärbeißig lächelnd hervor, obwohl er das am Liebsten geschrien hätte. Hisoka drehte sich von seiner Erklärung des Zimmers, und der Bedienelemente des in die Wand eingelassenen Paneels um, und sein rundes Gesicht das in dem bullig, massigen Körper etwas debil wirkte, sah ihn freundlich an. Yohji machte nicht den Fehler den Mann zu unterschätzen. Die gewählte Ausdrucksweise und das freundliche Lächeln täuschten ihn nicht darüber hinweg, dass Hisoka eine Revolte unter den Patienten schnell blutig enden lassen konnte. „Mr Crawford unterrichtete mich darüber, dass Sie das so sehen würden. Aber seien Sie versichert, dass dies keine Rolle bei der Auswahl des Zimmers spielte. Es gibt fünf dieser Zimmer und ein Spezialzimmer. Treten Sie näher, ich zeige es Ihnen.“ „Ich denke ich kann es von hier… draußen ganz gut erkennen.“ Yohji hatte nicht vor dieses Zimmer zu betreten. „Sie haben freien Zugang in der ganzen Anlage. Es ist Ihnen nur nicht angeraten sie zu verlassen. Die Türen können nicht verriegelt werden. Außer diese eine.“ Das sollte ihn wohl vom Gedanken abbringen ein Gefangener zu sein. Sollte es – tat es aber nicht. Hisoka tippte auf das Paneel neben der Tür und sämtliche angrenzenden Räume wurden sichtbar. Yohji konnte durch alle Räume sehen, die sich nebeneinander in derselben Ausstattung anschlossen. Hisoka gab erneut etwas ein und die Wände wurden wieder sichtbar. Nur ein Raum, der sich an Yohjis anschloss war einsehbar. Keine Einrichtung, nur Lichtleisten, unten dort wo die Seitenwände auf den Boden trafen. In der Mitte des Raumes hing eine runde Auflagefläche von der Decke, sie sah aus wie ein Luftkissenbett. Sie hing an dicken Seilen die an die vier oberen Ecken des Raumes befestigt waren, ungefähr einem Meter über dem Boden. Sonst gab es nichts in dem Raum, keine Tageslichtsimulation, kein Schrank, kein gar nichts. „Was ist das?“ „Hat Ihnen Mr Crawford nichts erzählt?“ Hisoka wartete einen Moment, doch als Yohji nichts antwortete, aber zumindest näher trat, fühlte er sich wohl aufgefordert eine Erklärung abzugeben. „Dieser Raum ist eigens für Schwarz angefertigt worden. Ursprünglich für… ein Mitglied, das an einer bipolaren Störung, an affektiver Schizophrenie leidet, dann verwendeten wir es für das Mitglied welches nun im OP weilt. Als Schwarz unsere Dienstleistung nicht mehr benötigten, verwendeten wir den Raum für schwer zu kontrollierende Patienten nach Traumata.“ Aha. Also erst für den gestörten Schuldig und dann für den gestörten Jei. Yohji fragte sich warum sie Schuldig dann in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie aufgestöbert hatten, wenn es hier doch eine praktische Einrichtung gab, wo er niemals hätte gefunden werden können. „Mr Crawford hat das alles hier finanziert?“ Yohji wandte sich von dem Raum ab, er machte ihm Angst, und ging wieder auf den sicheren Flur hinaus. Hisoka folgte ihm. „Ja, es war sein Wunsch, danach übergab er diese Anlage dem Doktor.“ „Das war sehr nett von ihm“, heuchelte Yohji und lächelte aufmerksam wie der gute Japaner, der er doch war. Bullshit. „Ja, das war es.“ „Sind hier keine anderen Patienten?“ Hisoka ging an ihm vorbei und Yohji sah verwundert den wulstigen Nacken an. „Nein. Wir nehmen keine weiteren Patienten an, wenn Schwarz hier ist. Das würde die eine oder andere Situation vielleicht eskalieren lassen. Mr Crawford gleicht den finanziellen Verlust sicher aus. Der Doktor macht sich darüber keine großen Sorgen.“ „Warum auch?“, stimmte Yohji zu. Crawford musste nur kurz an der Börse spekulieren, oder mal ganz schnell eine Wette abschließen, oder die Lotterie bemühen. Ein Spielkasino war für den Hellseher auch nichts anderes als eine Kreditkarte ohne Limit. Das stimmte auch nicht so ganz, eher so etwas wie seine persönliche Gelddruckmaschine. „Wenn Sie dann noch etwas benötigen, ich bin über das Paneel in ihrem Zimmer zu erreichen. Ansonsten brauchen Sie nur in eine der Kameras zu winken.“ Er ließ Yohji allein im Flur, vor der breiten Schiebetür mit der Nummer drei darauf, stehen. Sich an die gegenüberliegende Wand lehnend begann er damit zu warten. Früher in seinem Job in der Detektei war er es gewohnt zu warten, geduldig zu sein, seit Asukas Tod war das schwieriger geworden. Die Mädchen, die sie entführt und zu Killern gemacht hatten... Mit dem Auftauchen von Neu hatte sein Weltbild einen weiteren Riss bekommen. Er hatte gedacht zu wissen wie er selbst tickte, dass er der Gute war und dass er wusste zu was er fähig und zu was er auf keinen Fall fähig war. Und doch war es ihm gelungen Neu zu töten. Die Sache hatte ihn verkorkst. Er schnaubte in gespielter Entrüstung, denn trotz allem - traumatisiert war ER nicht! Seufzend ließ er sich die Wand hinab gleiten und zog die Knie an die Brust, den Kopf nach hinten angelehnt und die Unterarme auf seine Knie abgelegt. So schloss er die Augen und wartete. Asuka ließ ihn nicht los, sie verfolgte ihn, sie brachte ihn dazu, dass er Menschen, die ihm scheinbar arglos vertrauten, betrog und verletzte. Er öffnete die Augen und starrte in die Oberlichter. Nein. Nicht Asuka war es. Er. Er ließ sie nicht los. Er zog sie mit sich herum, wie einen alten geliebten Teddy, bei dem schon das Auge heraushing, die Füllung hervorquoll, das Fell abgenutzt, die Farbe verblichen war und der stank als wäre er zu oft in den Dreck gefallen. Er war blind für die Realität geworden, denn sie war tot. Er suhlte sich darin, immer noch um sie zu trauern, er wälzte sich in dem Wunsch, nein der Obsession, nach Vergebung, die er von keinem je erlangen würde. Sie war tot. Sie konnte ihm nicht mehr verzeihen. Wer also sollte es tun? Das war es... das war es was ihn zerriss. Diese endlose Suche nach Vergebung. Genau dadurch… war das alles passiert. Es war nicht einfach passiert. ER hatte es getan. Er hatte zugelassen, dass es passierte. Yohji schloss die Augen. Er musste das in Ordnung bringen, denn aus diesem Sumpf kam er nur heraus wenn er sich Hilfe holte. Rache hatte ihm keine Genugtuung gebracht. Nichts hatte das. Seine Knöchel traten weiß hervor als er seine Hände zu Fäusten ballte. Es war ihm, als fühlte er immer noch wie der Draht sich um ihren Hals legte und sie auf seinem Rücken im Todeskampf zuckte. Jetzt hatte er es wieder geschafft. Diesmal war Jei an der Reihe und nicht Asuka, nur musste er es dieses Mal dringend verhindern, dass sich die Geschichte wiederholte. So wie Asuka zur lebenden Toten wurde, durfte Jei jetzt nicht zum Berserker werden. Wenn er das auf die Reihe bekam, war er vielleicht doch noch kein hoffnungsloser Fall. Viele Gedanken gingen ihm im Kopf herum während er wartete, und er schlief darüber ein. Die letzten, schlaflosen Nächte forderten ihren Tribut. Auf eine verquere Art und Weise fühlte er sich hier sicher. o~ Der Doktor fuhr den Patienten auf dem OP Tisch in den speziellen Raum mit dem schwebenden Bett. Fuma und Yume packten die Instrumente zusammen um sie zu reinigen und für den Sterilisator vorzubereiten. Die Tür stand noch offen und Yume zog den Mundschutz herunter und warf ihn in den Müll. Sie deutete mit dem Kopf auf die zusammengesunkene Gestalt, die im Sichtfeld der Tür saß. Fuma warf ihr einen bedeutsamen Blick zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Tag jemals kommen würde“, sagte er. Yume nahm das Sieb mit den benutzten, blutigen Instrumenten und schob es auf einen fahrbaren Metallwagen. Sie zog die Handschuhe aus und ließ sie in den übervollen Müll fallen, den sie mit dem Fuß wegschob. „Ja. Der Tag an dem wir uns an Balinese rächen können.“ Sie grinste. o~ „Los… raus da!“ Schuldig schlug zwei Mal auf die Schiebetür des Vans und wartete mit verschränkten Armen, an die Tür der Beifahrerseite gelehnt, bis die beiden Jüngsten heraus gepurzelt kamen. Er verzog das Gesicht über diesen Gedanken. Es dauerte ein paar Augenblicke bis er hektische Betriebsamkeit hörte und die Tür des Vans geöffnet wurde. „Ähm…“, sagte Omi in das Morgengrauen hinein. Wohl eher Grauen des Morgens, das rote Haare hatte und rachsüchtig grinste. Er hielt sich am Rahmen fest und warf einen Blick zurück zu Nagi, der sich gerade aufsetzte und in seinen Yukata schlüpfte. Das tat er so, als hätte er nicht vor fünf Minuten noch tief und fest wie ein Toter geschlafen. Routiniert, leidenschaftslos, zweckmäßig. Omi seufzte innerlich. „Spars dir. Sie zu, dass Nagi fit und einsatzbereit ist. Wir brauchen euch. Und zwar euch beide. Also, Dusche und dann ab in die Küche. Wenn es geht… bevor Brad hier auftaucht, denn wenn er mitbekommt, dass ihr hier gevögelt habt…“ Omi trat aus dem Van und sah zu Schuldig hoch, einen gelangweilten Gesichtsausdruck präsentierend. „Das hat er doch schon, denke ich. Er hat Nagi angerufen.“ Na klar, brummte Schuldig in Gedanken. Big Daddy is watching you. “Gut. Dann schwingt euch hier raus und lüftete diesen Karnickelstall aus. Es könnte sein, dass wir den Wagen bald brauchen.“ Schuldig löste sich vom Van und wandte sich ab um ins Haus zu kommen. An ihm vorbei stolzierte schließlich Nagi, noch bevor er das Haus erreichte. „Vergnügst du dich, in Ermangelung besserer Unterhaltung, jetzt damit unschuldige Menschen beim Schlafen zu stören?“, zischte ihm - offenbar ein sehr verärgerter - Nagi zu, während er ihn überholte. Schuldig blieb im Eingang stehen und sah dem Jüngeren zu wie er davon eilte. „WER ist hier UNSCHULDIG?“, rief ihm Schuldig ungläubig nach. „Er denkt nur schlecht von dir, was?“, hörte er da die nächste Plage spöttisch hinter sich und betrat den Eingangsbereich. Omi wechselte das Schuhwerk und Schuldig schloss die Tür hinter dem Satansbraten. „Jeder tut das.“ Schuldig schüttelte, mit gespielter Tragik in Geste und Mimik, den Kopf. Omi wollte hinter Nagi her um zu sehen ob mit ihm alles in Ordnung war, blieb dann doch stehen und sah Schuldig dabei zu, wie er sich die Zigaretten vom Tischchen im Aufenthaltsbereich der ehemaligen Rezeption nahm und wieder in Richtung Vordertür ging. Vermutlich um den ‚Karnickelstall‘ zu inspizieren. „Warum die morgendliche Weckaktion? Nur um Nagi zu ärgern?“ Omi konnte sich nichts anderes vorstellen. „Ran ist in der Küche und macht Frühstück“, sagte Schuldig im Vorbeigehen. „Brad hat Jei und die Blondine gerade zu einem Arzt gebracht und Ken… euer lieber Ken hat sich mit Jemandem oder Etwas eingelassen, dass es ihm unmöglich macht sich zur vereinbarten Zeit bei der Familie zu melden.“ Welche Blondine? Fragte sich Omi. Schuldig war an der Tür angekommen, hielt inne und sah für einen Moment mit einem amüsierten Lächeln zurück. „Ach… und bevor ich es vergesse: Während ihr zwei im Van gevögelt habt, hat Blondie versucht dich verzweifelt auf dem Handy zu erreichen. Der Arme war ganz allein, als sie ihn erwischten. Ach...“, fiel ihm ein. „... kann auch sein, dass die Umschreibung ‚verzweifelt’ nicht nur für die Dringlichkeit des Anrufs galt, sondern auch für das Blondchen selbst. Ging dem Jungen ganz schön an die Nieren.“ Die Scheiße die er gebaut hat, fügte Schuldig in Gedanken hinzu. Omi hatte das Gefühl mit eiskaltem Wasser übergossen zu werden. Die Blondine war Blondie… und Blondie Youji. Er starrte das falsche Lächeln an, das definitiv nicht zu den bedauernden Worten passte. Die Augen des Telepathen spießten ihn förmlich vor boshafter Belustigung auf. Youji war verletzt? Ken verschwunden? Er wandte sich um und rannte die Treppen nach oben, in Nagis Zimmer. Die Dusche lief. Auf dem Bett lagen seine Kleidung und sein Rucksack. Sein Handy war in seiner Hose. Es waren fast über zehn Anrufe darauf. Alle von Yohji. Keiner von Ken. Keiner von ihrem Operator Manx. „Nein.“ Er ließ das Mobiltelefon sinken, ihm wurde unangenehm heiß und er versuchte die Übelkeit, die in ihm hochstieg, hinunter zu schlucken. Es mussten ein paar Minuten vergangen sein, als er sich aufgrund einer sich schließenden Tür umdrehte. Nagi stand vor der geschlossenen Badezimmertür, eines ehemaligen Gästezimmers, im fahlen Licht der Bildschirme war sein Blick unleserlich. Seine Haltung abwartend, steif. Er war unsicher, wartete darauf wie Omi reagierte um seinerseits eine Reaktion zu bieten. Die Haare des Telekineten waren feucht und standen in alle Richtungen ab, offenbar hatte er sich beeilt. „Du hast nichts gesagt. Warum bist du einfach an mir vorbei ins Haus gegangen?“, hakte Omi nach, das Mobiltelefon in seiner Hand halb zerdrückend. Es gab jetzt andere Probleme, aber er hatte hier Nagi vor sich, der so unsicher in sich gekehrt schien, dass er zunächst dafür Sorgen tragen musste, dass er hier ein sicheres Fundament hatte auf dem er bauen konnte. Diese Frage hatte Nagi nicht erwartet. Er sah aufmerksam auf und erkannte Sorge in den blauen Augen. „Schuldig hat mich daran erinnert, was ich beinahe getan hätte. Es war gefährlich. Ich denke, es lag an seiner Gegenwart. Es lag keine Absicht darin“, bot er in kurzen emotionslosen Sätzen eine Erklärung, die vom anderen akzeptiert werden würde. „Lüg mich nicht an.“ Omis klare feste Stimme machte deutlich was er von dieser angebotenen Erklärung hielt. Er wollte Nagi nicht in die Ecke drängen, nicht jetzt. Er ging auf ihn zu, nahm ihn in den Arm und hauchte einen zarten Kuss auf die Lippen. „Hör auf zu glauben, dass ich schöne Lügen brauche.“ Nagi kniff die Augen zusammen und ließ seine Stirn auf Omis Schulter fallen. „Ich hatte Bedenken, wie ich mich richtig verhalten sollte und dann stand Schuldig da. Er war wie ein Mahnmal.“ „Das nächste Mal wenn dieses Mahnmal so dermaßen unverschämt grinsend vor mir steht, tret ich es in den Arsch.“ Omi kraulte die Haare im Nacken des Jüngeren. „Wir sollten runter gehen. Es ist etwas passiert und außer, dass Schuldig mir ein schlechtes Gewissen eingetrichtert hat, weiß ich noch nichts Genaues, was mich … sehr beunruhigt.“ „Er heißt nicht umsonst Schuldig. Er hat sich den Namen nicht selbst gegeben. Das kam, weil er die Schuld in anderen hervorruft. Er zeigt sie ihnen auf, lässt sie sie fühlen und er bringt sie dazu sich schuldig zu fühlen“, murmelte Nagi an Omis Hals. Sie blieben noch ein Weilchen so und Omi ließ Nagi die Zeit, die er brauchte. Nagi genoss diese Nähe und hob erst als er sich sicherer fühlte den Kopf. „Du solltest duschen gehen. Wenn du sagst, dass etwas passiert ist und Schuldig und Ran noch so ruhig im Haus agieren, dann können wir zwei an der Tatsache nichts ändern. Schuldig sagte, dass er uns beide braucht, wir sollten dann angemessen gekleidet und bereit sein.“ Omi hatte nicht das Bedürfnis nach Körperpflege wenn in ihm der Gedanke hauste, dass Youji verletzt war und er mit Schuld daran trug. Aber… „Du hast Recht. Ich geh kurz duschen.“ Er küsste Nagi noch bevor dieser die Tür zum winzigen Badezimmer frei gab. „Ich ziehe mich an und gehe runter“, hörte er Nagi noch bevor er die Tür schloss. Nagi öffnete einen der Wandschränke auf und zog bequeme Kleidung an. Danach ging er an den Rechnern vorbei, kontrollierte die Energieversorgung und beschloss, dass er den Generator ausschalten konnte. Im Vorbeigehen nahm er die Tasse vom Vorabend auf und mit sich hinunter in die Küche, wo er Fujimiya vorfand. Es war seltsam ihn dort zu sehen. Genauso merkwürdig wie es vor ein paar Stunden war den ehemaligen Weiß Agenten nackt neben sich zu spüren. Er musste sich erst daran gewöhnen sie nicht als Eindringlinge zu sehen. Fujimiya war für ihn immer das Sinnbild, die Triebfeder von Hass und Wut gegen Schwarz gewesen, gegen ihre Art. Und jetzt lag er oben in Schuldigs Bett mit nur einem dünnen Leintuch, dass seine Nacktheit verhüllte und hatte so gar nichts mehr von dem wütenden rachsüchtigen Mann von früher an sich. „Wo ist Omi?“ Nagi stellte die Tasse in den Spülautomaten. „Duschen.“ Er drehte sich um und sah dem Älteren dabei zu wie er Gemüse schnitt. „Was ist passiert?“ Aya sah auf. Der Telekinet wahrte einen Abstand von einigen Metern zu ihm. „Hat Schuldig euch nichts gesagt?“ „Er sagte ich solle mich duschen gehen.“ Folgsam wie er war hatte der Junge das wohl getan. Er stand sehr unter der Herrschaft der beiden Ältesten von Schwarz, wie Aya bemerkte, doch das war nicht seine Angelegenheit und er besann sich wieder auf seine Tätigkeit. „Youji und Jei hatten Kontakt zu – wie Youji vermutete - Sin. Jei wurde schwer verletzt, sodass Crawford sich gezwungen sah ihn zu einem Arzt zu bringen.“ Nagi überbrückte ihre Entfernung rasch und stellte sich Fujimiya gegenüber. „Jei? Und Kudou? Omis sagte, dass er auch verletzt ist.“ „Nur Jei.“ Nagi schüttelte den Kopf. „Das ist inakzeptabel. Jei muss nie zu einem Arzt gebracht werden. Er… wir können selbst eine ausreichende Versorgung gewährleisten.“ Aya sah wieder auf und erkannte die Angst in den Augen des anderen. „Er ist schwer verletzt, Naoe. Als ich mit Youji telefonierte war er bewusstlos.“ „Nein. Nein!“ Nagi schüttelte den Kopf. „Das ist… „ …meine Schuld, wollte Nagi sagen. Er hatte Jei vernachlässigt. „…eine Katastrophe. Ja, so weit war ich auch schon“, hörte er Schuldig, der zur Küchentür hereinkam. Der Telepath wusste um Nagis Schuldgefühle, aber er hielt sie für ungerechtfertigt, denn Nagi konnte nicht ständig auf Jei aufpassen, das war nur möglich, wenn Jei es zuließ. Und das hatte er in diesem Fall nicht. „Wir besprechen das später, wenn Brad da ist, Kleiner. Beruhige dich.“ Schuldig sah die Angst in dem Jungen. Sie war nicht das Schlechteste in ihnen, denn sie ließ sie vorsichtig werden, aber die Zweifel und die Unsicherheit waren es, die sie mitbrachte. „Geh und richte das Besprechungszimmer so ein, dass wir beide Bildschirme zur Verfügung haben. Wir müssen einen Datenabgleich vornehmen und planen was wir jetzt tun. Außerdem haben die beiden herrschsüchtigen Herren mir in Osaka den Blick auf gewisse Bilder und Daten verwehrt, die ich zwar durch die Observierung von Oniwara in etwa erahnen kann, aber ich will sie trotzdem sehen. Ich schick dir Tsukiyono wenn er hier unten aufschlägt.“ Nagi eilte davon, die Gedanken völlig konfus. Jei war bewusstlos? So schwer verletzt, dass er zu einem Arzt musste? Er hätte ihn… wo war er gestern gewesen? Er war doch im Haus… und dann war Omi gekommen… er hatte gestern Banshee, die Katze in Schuldigs Wohnung, eine Stunde betreut und dann war er nach dem Einkaufen ins Ryokan gefahren und hatte am Rechner gearbeitet. Jei war doch noch im Bad bei Schuldig und Fujimiya gewesen. Er musste danach weggegangen sein. Nachdem Nagi hinausgestürmt war begann Schuldig, Ran dabei zu helfen das Frühstück für sie alle vorzubereiten. Es wurde langsam hell und der Regen hatte aufgehört vom Himmel zu gießen. „Wenn ich daran denke, dass du dir darüber Sorgen gemacht hast, dass Jei Yohji verletzen könnte...“ meinte Schuldig mit Ironie in den Worten, während er einen Topf für die Miso hervorholte. Aya hielt im Schneiden inne und wandte sich um. „Wie meinst du das?“, denn Schuldig sagte so gut wie nichts, ohne einen verbalen Hinterhalt zu planen. Aya ahnte, dass da noch etwas kam so provozierend wie dieser unvollendete Satz in der Luft zwischen ihnen hing. Es gefiel ihm ohnehin nicht, dass Schuldig ihn an die Horrorbilder des letzten grausamen Mordes in Osaka erinnert hatte. Bisher hatten sie ihm die Bilder vorenthalten können... „Hat er dir nichts davon erzählt?“ Schuldig ging hinüber zu Ran und sah in das umwölkte Gesicht. „Hat er mir von was nicht erzählt?“ Aya musste sich seit dem Telefonat wirklich zusammenreißen um ruhig zu bleiben. Ihn machte die ganze Sache nervös und vor allem ungehalten. „Er hat Jei verletzt. Nun, nicht alleine, aber er hat seinen Teil beigetragen um eine wirklich schwierige Situation herbeizurufen“, erwiderte Schuldig, trat neben Ran und nahm sich einen Teil des noch nicht verarbeiteten Gemüses um es zu säubern. Wenn er daran dachte wie dumm dieser Frauenversteher Kudou war, dann wurde ihm übel. Aya betrachtete sich Schuldigs Profil und er erkannte in dem eifrigen Aktionismus Wut. „Du hattest geistigen Kontakt zu ihm, deshalb weißt du auch warum er dies oder jenes gemacht hat. Youji würde nie etwas tun, um jemand anderen hinterhältig oder aus Profitgier zu schaden. Warum also bist du wütend?“ Schuldig hielt inne, sah aber Ran nicht an. „Ich bin nicht wütend“, sagte er mit mehr Ruhe als er innerlich spürte. Ayas Hand rammte sein Messer in das arme, unschuldige Holzbrett und wartete bis hektisches Grünblau sein Violett traf. „Sehr wütend sogar. Du kannst kaum atmen vor Wut. Aber warum? Warst nicht DU es der ihn an Jei verkauft hat?“, zischte Aya und machte sich Luft. „Du hast WAS?“, donnerte es vom Eingang der Küche und Schuldig rollte mit den Augen. „Könnt ihr euch nicht irgendwie nacheinander auf mich stürzen?“ „War das wieder einer deiner tollen Strategien, Mastermind?“, höhnte nun Brad und Aya fühlte sich in einer misslichen Lage. Er wollte sich Schuldig selbst vornehmen, aber zu seinen Konditionen und nicht zu Brads, denn diesen hatte Aya nicht unter Kontrolle. Und diese brauchte er heute dringend. Schuldigs elegante Finger schlossen sich, auf der mittleren Anrichte, zur Faust. „Hör mit diesem Scheiß auf, Brad. Das war vor x Monaten gewesen. Ich sagte, er könne Kudou haben, wenn er mir dafür auf Ran aufpasst. Was er auch tat. Das habe ich nur gesagt, weil zwischen den beiden bereits Kontakte stattgefunden hatten.“ Schuldigs Lippen bildeten eine schmale Linie. Aya spürte wie sich die Atmosphäre in der Küche in etwas Giftiges verwandelt hatte. Da Brad den Ankläger spielte, hielt sich Aya zurück. Zwei Ankläger vertrug Schuldig extrem schlecht. Zumindest wenn es sich dabei um sie beide handelte. Außerdem neigte Aya dazu, zu sehr Schuldig zu helfen wenn die Vorwürfe von Brad Crawford kamen. „Erzähl du mir nichts von Strategien. Du warst es, der nicht nach Kyoto wollte. Ich würde meinen Kopf darauf verwetten, dass du weißt was dort abgeht“, sagte Schuldig wütend. „Du meinst, dein K…“, wollte Brad gerade in eisig, spöttischen Tonfall darauf hinweisen, dass Schuldigs Kopf kein sehr lohnender Wetteinsatz war, als Fujimiya ihren Schlagabtausch unterbrach. „Kein Wort mehr, Crawford“, warnte Aya. „Was soll das jetzt bringen?“, fragte er mit gefährlich ruhiger Stimme. „Das Kind ist in den Brunnen gefallen, wir sollten uns jetzt überlegen wie wir es bergen.“ Schuldig kannte diesen Tonfall bei seinem Ran. Zu ruhig, zu langsam gesprochen, zu dunkel. Er vermutete, dass sich der Japaner momentan auf unsicherem Terrain befand. Ran hatte zu wenig zu tun, zu wenig Informationen und zu wenig das Gefühl die Kontrolle über das alles zu haben – die er brauchte – im Gegensatz zu Schuldig, denn der mochte es wenn sich alles der Kontrolle entzog. Brad dagegen verzog nur minimal, verächtlich die Lippen bevor er entschied, dass er Durst hatte. Er ging in ihren Lagerraum, der sich an die Küche anschloss und holte sich eine Flasche Wasser. Aya starrte unterdessen Schuldig an, der die Kiefer immer noch so fest aufeinander presste, dass er das Gefühl hatte dem Deutschen müssten gleich ein paar Zähne herausbrechen. Ayas Mundwinkel zuckte als er sich vorstellte wie das geschah. Er hob die Hand und strich besänftigend über die Kieferlinie. „Entspann dich.“ Schuldig war so starr in seiner angespannten Haltung verharrt gewesen, dass er Ran fast völlig ausgeblendet hatte. Die kühle Hand an seiner Wange brachte ihn tatsächlich dazu sich zu beruhigen. Der gestrige Tag war anstrengend gewesen. Die Beeinflussung des Flughafenpersonals, von Oniwara, einiger Polizeibeamten und zwei Reportern. Dazu noch die ständige geistige Verbindung die er zu Oniwara unterhielt, und der ganze Rest des Tages und der Nacht setzten seinem Nervenkostüm offenbar zu. Aber das war nichts Ungewöhnliches, denn früher hatte er mehr Fäden gleichzeitig gesponnen und in der Hand gehalten. „Ich glaube… ich werde alt“, brummte Schuldig und ließ langsam seinen angehaltenen Atem aus. Aya hob eine Augenbraue, einer seiner Mundwinkel hob sich in seinem ironischen Lächeln. „So? Das glaubst du nur?“ Brad war wieder in der Küche und kam zu ihnen. Die mittlere Konsole trennte sie vom Hellseher, der gerade seine Brille abnahm und sie nachlässig auf die Oberfläche warf. „Er ist müde“, sagte Brad. „…und um das Ganze abzukürzen. Ja, er fühlt sich durch die letzten Jahre verbraucht und leer und ja er braucht Urlaub, eine Luftveränderung und nein, er wird sich nicht schonen. Noch Fragen?“ „Das hast du jetzt alles erfunden“, Schuldig sah Brad mit gelangweilter Skepsis an. „Hat er?“, Aya hob beide Brauen, zog das Messer aus dem Brett und nahm seine Arbeit wieder auf. Die aufgeladene Spannung hatte sich gelegt. Aber er war geneigt Brads „Erfindung“ zuzustimmen. „Woher willst du das wissen?“, meinte Brad und grinste sein Wolfsgrinsen in Richtung Schuldig. Schuldig schnaubte, raffte die Schalen mit Gemüse an sich und drehte ihnen den Rücken zu. Aya sah zu Brad. „Wie geht’s Jei?“ „Sie operieren ihn. Das dauert eine Weile. Ruf bitte Naoe und den Takatori Jungen. Ich habe keine Lust das noch öfter zu erzählen.“ Aya versetzte der Name immer noch einen leichten Stich. Es erinnerte ihn daran wie verzweifelt Omi einst gewesen war als er in das Intrigenspiel von Schuldig und Takatoris Söhnen geraten war. Schuldig klinkte sich bei Nagi ein und wies ihn an in die Küche zu kommen und seinen Lover mitzubringen. „Die Nerds sind informiert“, sagte Schuldig und drehte sich mit einem aufgesetzten Haifischgrinsen halb um. Es war eher Zähne zeigen als ein aus seiner Seele kommendes freudiges Lächeln, dass oft dann erschien wenn er etwas wirklich teuflisches vorhatte. Die Nerds zu informieren war natürlich völlig unter seiner Würde – unter seiner verbrecherischen Würde. Kurz darauf kamen Omi und Nagi in die Küche. Sie setzten sich an die Barhocker der mittleren Anrichtenkonsole und sahen dabei zu wie gekocht wurde. Die kleinen Racker, kommentierte Schuldig bissig. „Schuldig, du hattest Kontakt zu Kudou, hast du ihn gelesen?“ Brad ließ sich auf einen Barhocker nieder, die Beine leicht gespreizt, die Arme vor der muskulösen Brust verschränkt. Während Schuldig und Aya die Suppe fertig stellten gab Schuldig einen lückenlosen Rapport ab, dem Aya intensiv zuhörte. „… natürlich entstand ein gewisser innerer Konflikt bei Kudou wegen der wütenden und völlig divenhaften und überzogenen Midlifecrisisaktion, die er sich geleistet hat…“, plapperte er munter darauf los. Bisher war der Bericht von Schuldig detailgetreu, auf Fakten bezogen und straff gehalten worden jetzt aber gab es nichts Vernünftiges mehr zu sagen, denn offensichtlich hatte Schuldig genug von Fakten. Aya hob stumm eine Augenbraue. „Schuldig“, mahnte Brad. „…das dient lediglich der Untermauerung der These, dass Kudou zur Zeit der Tat unzurechnungsfähig war. In seinem gefühlsduseligen Zustand übersah er Jeis Verletzungen und er übersah, dass Jei noch keine stark blutende Wunde am Kopf hatte. Was mich dazu führt die Behauptung aufzustellen, dass sie Jei zuvor dran gekriegt haben. Dann kam unsere blonde Furie und dann griffen ihn sich Sin.“ „Dann war es tatsächlich Sin?“, hakte Omi ein und Aya bemerkte wohlwollend wie sich Omis Arm zu Nagi bewegte. Ihn würde es nicht wundern wenn sie, ungesehen von ihnen, Händchen hielten. Nagi schien verschreckt, und Aya kannte Omi, er würde den Telekineten mit diesem Gefühl nicht alleine lassen. Der Junge war empfindsamer als sie bisher gedacht hatten. War denn hier alles nur Fassade? „Zunächst sei bemerkt…“ Aya drehte sich zu Schuldig um und dieser reichte ihm den Topf mit dem Sushireis. Dabei streifte er den Mann mit dem Wolfsblick und erwiderte den stoischen Blick, der aussagte, dass ihnen nichts übrig blieb als die Show hinter sich zu bringen. Aya seufzte innerlich und Crawford sah mit seinen Wolfsaugen zu Schuldig hinüber. „… dass sich die Angreifer nicht explizit zu ihrer Zugehörigkeit geäußert haben, aber es gilt anzunehmen, dass nur Sin etwas über den Angriff in der Lagerhalle wissen konnten. Trotz seiner…“ er drehte sich um und griff nach einem Küchentuch das neben Ran lag. „…eingeschränkten Sichtverhältnisse habe ich in Kudous Erinnerung eine Parallele zu der Aktion in China ziehen können. Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich fürchte es ist der Typ, der mich mit Asami aus Fei Longs Machtbereich holte.“ „Die gleiche Ratte?“, fragte Crawford und der Tonfall glitt fast unmerklich vom Gelangweilten zu etwas Bedrohlichem. „Jepp. Die gleiche Ratte. Ich habe kein Wiedererkennen in Kudous Gedanken gelesen, das schließt also aus, dass der Typ in der Lagerhalle dabei war. Außerdem gilt es zu bemerken, dass zwei der Angreifer Masken trugen. Die gleichen Masken wie damals in der Lagerhalle. “ „Kudou kann ihn damals vielleicht nur nicht gesehen oder gehört haben“, wandte Nagi ein. „Richtig. Oder so.“ Schuldig drehte sich um, überließ die Miso sich selbst und half Ran bei den Sushirollen. „Aber… der Typ entschuldigte sich für die Lagerhalle und er wusste dass Jei damals der Ritter in glänzender Rüstung war. Er sagte etwas von einer Botschaft.“ „Ja, eine Botschaft auf einem Datenkristall. Die Tasche steht drüben, im Besprechungsraum.“ „Ein Datenkristall?“, murmelte Nagi interessiert. „Ich habe ein Lesegerät oben.“ „Wir sollten das in Ruhe angehen. Erst essen wir etwas, dann sehen wir uns an was darauf ist.“ Crawford wusste in etwa was sie sehen würden. „Okay“, sagte Omi langsam. Er sah Nagi zu wie er sich erhob. „Willst du Tee oder Kaffee?“, fragte der Telekinet höflich und Omi hätte ihm am Liebsten die feuchten Strähnen aus der Stirn gestrichen. „Tee, danke.“ Er erinnerte sich an den Duft der Haarsträhnen, an den Geruch der warmen Haut unter seinen Lippen. „Wo ist Youji jetzt?“, sagte er während er Nagi dabei beobachtete wie er ihm in der großen Küche, auf seine Weise, einen Tee machte. Hier schwebte eine Tasse, dort der Tee in der Dose und gegenüber an der Kaffeemaschine wurde das heiße Wasser aus dem Menü des Vollautomaten gewählt. „Beim Doc.“ „Nagi, wir brauchen Geschirr“, erwiderte Schuldig darauf in einem angespannten Tonfall. Er hatte die Hände auf die Ablage gestützt und sah Brad direkt in die Augen. Während die Schränke sich öffneten und sich Geschirr, Besteck und Gläser zu jedem verteilten, bemerkte Aya, dass zwischen den Beiden etwas lief. Ob sie per Telepathie kommunizierten konnte er nicht sagen, aber etwas stimmte nicht. „Zum Doc? Zu diesem gierigen Opportunisten?“, fragte Schuldig und er haderte mit sich selbst. Warum hatte Brad diese Entscheidung getroffen? „Sind sie dort nicht sicher?“, hakte nun auch Aya nach. „Solange Brad den Doc bezahlt, sind sie es.“ Sie schwiegen und Omi blickte von einem zum anderen. „Also was ist jetzt los? Jei ist verletzt. Was haben sie mit Youji gemacht?“ Crawford unterbrach den irritierenden Blickkontakt zu Schuldig und sah zum letzten lebenden Spross des Takatori Clans hinüber. „Nichts. Er ist bei Jei geblieben um ein Auge auf ihn zu haben. Da Sin nun schon zum zweiten Mal hinter ihm her waren erklärte er sich damit einverstanden auf Jei aufzupassen, während wir die Daten sichten. Er war kaum von Jei zu trennen, schweren Herzen ließ ich ihn dort.“ Das Geschirr krachte so plötzlich die letzten Zentimeter auf den Tisch vor ihnen, dass Omi zusammenzuckte, während Schuldig einen halben Lachanfall bekam. „Brad, das ist… das ist wirklich gut. Wer soll das glauben?“ „Fujimiya und Takatori junior“, sagte der Hellseher eiskalt. „Schuldig?“, hakte Aya nach. Irgendetwas wurde hier von Schwarz verschwiegen. „Der Doc ist ein opportunistisches Schwein. Er flickt jeden für Geld zusammen. Jeden. Das heißt unser Blondchen könnte auf Menschen treffen, denen er in der Vergangenheit vielleicht einmal zugesetzt hat. Das zum Einen, dann…“ „…wir haben niemandem am Leben gelassen bei unseren Missionen“, warf Omi ein. „Gut für ihn“, meinte Schuldig nicht ganz überzeugt. „…zum anderen… ist Jei noch das Problem. Hast du ihn deshalb dort runter in dieses scheiß Grab gebracht?“ „Grab?“, echoten Omi und Aya gleichzeitig. Schuldig runzelte die Stirn über diese unwillkommene Unterbrechung, ignorierte sie aber für den Moment und wollte mit Brad über die Tatsache sprechen, dass es vielleicht doch etwas unglücklich war, dass er Kudou dort gelassen hatte. Nur gestattete es ihm Ayas Hang und Geschick mit scharfen Klingen, und dem momentanen Zugang zu einem solchen Werkzeug, nicht weiterzusprechen. „Schuldig…“ „Es ist kein Grab für die Jungs… sondern … für jeden anderen der dort unten mit Jei ist“, versuchte sich Schuldig an einer Erklärung, an einer leicht zu schluckenden Erklärung für Aya. „Was ist mit Youji? Ich will sofort wissen wo dieser Arzt ist“, Aya knallte das Messer hin. „Ich lasse ihn keine weitere Minute dort“, knurrte er warnend. Sein eiskalter Blick traf den Wolf, der ihm gegenüber stand. „Es war die einzige Möglichkeit, die uns, und ich betone dieses ‚uns‘, geblieben ist um die Situation unter Kontrolle zu halten.“ Das klang verdammt nach einer Rechtfertigung, die er nicht nötig hatte, befand Brad und schluckte die aufkommende Wut hinunter, solange sie die Lüge dahinter schluckten. „Du hast alle Möglichkeiten in Betracht gezogen?“, fand sich Schuldig in der Pflicht als Schlichter. „Ja, auch die einer Lüge. Aber Kudou sprang nicht darauf an. Er wollte unter allen Umständen seinen kleinen Fehler wieder gut machen und dort bei Jei bleiben. Ich habe ihn gewarnt.“ „Unter allen Umständen? Er weiß also was… passieren könnte?“, fragte Schuldig langsamen Wortes nach. Er konnte nicht glauben, dass Kudou derart dämlich war, eher glaubte er, dass Crawford ihn gezwungen hatte dort zu bleiben. „Ja, er weiß es.“ „Dann ist er wohl doch suizidgefährdet“, zischte Aya und sah Schuldig vorwurfsvoll an. Schuldig hob beide Hände von der Arbeitsfläche und machte eine beschwichtigende Geste in Richtung beider potentieller Zeitbomben im Raum. „Brad, ich will von dir wissen was du dir dabei gedacht hast? Dort unten sind keine Waffen erlaubt. Das Personal allerdings hat…“ „…Kudou hat seine Drähte behalten. Sie haben seine schicken Armreifen nicht als solche erkannt. Außerdem weiß niemand wie Jei wieder aufwacht. Es kann durchaus sein, dass er sich an den Schnüffler erinnert.“ „Könntet ihr bitte von Anfang an und in ganzen Sätzen sprechen! Ich habe das Gefühl nicht die Hälfte von dem zu verstehen, was Youji in Gefahr bringt“, mischte sich nun Omi wütend ein. „Es ist Jei“, sagte Nagi und brachte Omi sein Essgeschirr und stellte es ihm mit Sorgfalt und Bedacht hin. „Du erinnerst dich, wie er früher war?“, wollte der Telekinet wissen. Aya ließ sich von Schuldig das Messer unter den Fingern entwenden und warf ihm einen mörderischen Blick zu, den der Deutsche mit einem entschuldigenden Lächeln erwiderte. Statt das Messer in jemanden zu versenken, beschäftigte sich Aya damit das Essen zu verteilen und zuzuhören. „Ja. Sicher. Berserker. Er war nicht zu besiegen wenn er in seinem Blutrausch war, deshalb ja der Name.“ „Nun… sicher, das stimmt… zum Teil“, zögerte Nagi und sah zu Brad hinüber. Der hob nur minimal die Augenbraue und zuckte ebenso sparsam mit den Schultern. Das hieße also, dass es ohnehin nichts ausmachte bestimmte Informationen zu verlautbaren. Informationen, die sie für gewöhnlich für sich behielten... Fortsetzung folgt… Das Beta übernahm Beatrice. Vielen Dank dafür! ^.^ Bis zum nächsten Mal! Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)