Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 102: Einsam, zweisam, dreisam ------------------------------------- ~ Einsam, zweisam, dreisam ~ o~ „Oh Verzeihung“, verneigte und entschuldigte sich ein junger Mann, der Crawford scheinbar touchiert hatte und er nickte zurück, konzentrierte sich allerdings sofort wieder auf seinen Weg, den er noch vor sich hatte. Der Taxistand vor dem Krankenhaus war nur über den Platz vor dem Haupthaus zu erreichen und bot genug Möglichkeiten damit er in seinem noch immer etwas angeschlagenen Zustand der Länge nach hinschlagen konnte. Ein Wagen im noblen Schwarz stand da. Brad trug ein Hemd und eine schlichte schwarze Anzughose. Bis vor kurzem hatte er noch einen Beutel mitsamt seinen zerschnittenen Kleidungsstücken besessen. Sie hatten ihm in der Notaufnahme die Kleidung aufgeschnitten um schneller an die Verletzungen kommen zu können. Entsprechend hatte er danach keine vernünftige Kleidung als sein Eigen nennen können. Die zerschnittenen Sachen hatte er jedoch vor wenigen Minuten im nächsten Mülleimer im Krankenhaus entsorgt. Er hatte sich selbst um Ersatzkleidung gekümmert, als es ihm besser ging. Über den Krankenhausservice hatte er sich ein frisches Hemds, samt Unterwäsche, Hose und Jackett besorgen lassen. Es gab schließlich einen privaten Bringservice, den er über den Krankenhausservice kontaktieren konnte. Er hätte Schuldig darum bitten können, allerdings … Nagi war erst vor zwei Tagen wieder aus seinem Kurzurlaub zurückgekehrt und er hatte ihm verboten vorbeizukommen. Die Frage nach seiner Familie, nach seinem Stiefbruder war der Krankenschwester ins Gesicht geschrieben. Offenbar fragte sie sich weshalb dieser Stiefbruder ihm keine Ersatzkleidung brachte. Sie war nicht die Einzige, die sich das fragte, nur hatte Brad eine plausible Erklärung dafür. Schuldig war wütend. So wütend, dass er gewaltsam in seinen Geist eingedrungen war und ihm seine Fähigkeiten auf eine Art und Weise wiedergegeben hatte, die ihm jetzt immer noch in der Erinnerung daran Übelkeit und einen kalten Schauer bereiteten. Brad strich diese zugegebenermaßen bitteren Gedanken aus seinen jetzigen Überlegungen. Er musste zusehen, dass er nach Hause kam. Ihm wurde jetzt erst gewahr, dass er über den Gedanken an Schuldig stehen geblieben und sein Blick unfokussiert auf eine Anzeigetafel der unterschiedlichen Kliniken, die das Haus beherbergte, gerichtet war. Seine Sehkraft ohnehin schlecht, machte ihm die grobe Orientierung zwar nicht schwer, jedoch fühlte er sich nicht sicher in seiner Umgebung. Sich der vollen Einsatzfähigkeit seiner hellseherischen Fähigkeiten wieder bewusst ließ ihn dieser Umstand ruhig und gelassen dem Kommenden entgegensehen. Er nahm seinen Weg wieder auf. Die Sonne stand hoch am Himmel von einigen Kumuluswolken flankiert, als er aus dem glasüberdachten Vorgebäude ins Freie trat und sich umsah. Einige Menschen vertraten sich die Beine im Freien und sahen sehr nach Patienten aus, die in Begleitung ihrer Angehörigen das schöne Wetter für einen Spaziergang nutzten. Noch war es nicht zu heiß. In ein paar Tagen, Wochen würde sich dies ändern. Hinter dem Krankenhaus schloss sich ein kleiner Park an. Es war viel zu hell, viel zu laut, befand Brad und atmete tief ein. Zumindest so tief es ging ob der Schmerzen, die immer noch beim tieferen Einatmen deutlich zu spüren waren. Er hatte nichts weiter bei sich außer der Kleidung, die er auf sich trug und die Papiere, die ihn als Dr. Richard Winter auswiesen. Sein Gang war vorsichtig, jeder Schritt wohl überlegt und nicht zu hastig. Die Sonnenbrille die er sich hatte besorgen lassen – ein sehr günstiges Modell, wie er bemerkte – schob er sich auf die Nase. Ein Bild glitt in seine Wahrnehmung. Ein leerer Taxistand. Als er wieder aufblickte fuhr das schwarze Taxi gerade ab. Ohne ihn. Es wurde immer besser. Aber kam – dank Schuldigs Eingreifen – wenig überraschend. Er hatte seine Vorhersehung wieder. Zu einem hohen Preis. Aber er war nicht zu hoch gewesen. Nicht zu hoch. Sich dies wieder vor Augen haltend, ging er gemächlichen Schrittes zu einer Bank vor dem Taxistand und setzte sich vorsichtig hin. Es würde schon bald ein Taxi kommen. In ein paar Minuten… Mit hoher Wahrscheinlichkeit. Solange genoss er es die Bank für sich alleine zu haben und vertrieb sich die Wartezeit damit sich von seinen Gedanken abzulenken, indem er die Leute um sich herum betrachtete, wie sie an ihm vorüber zogen. o~ Aya fühlte sich schon seit einer Stunde hellwach und bereit für allerlei Schandtaten. Woher er diese Energie nahm, konnte er sich denken, denn er ging seit drei Tagen wieder arbeiten und es schadete ihm nicht, ganz im Gegenteil. Er zog Energie aus seiner Tätigkeit, aus seinen Arbeitskollegen und den Gästen, dem Leben, an dem er wieder teilnahm. Allerdings schonte ihn Gabriele noch, gab ihm nicht so viele Schichten wie vor seinem Zusammenbruch. Daher hatte er auch - entgegen seines Protestes - die nächsten drei Tage frei. Nun gut… aber es würde schließlich wieder werden. Momentan war er, voller Energie, damit beschäftigt, Schuldigs Sommersprossen zu zählen, die sich auf der rechten Gesichtshälfte darboten. Die linke knautschte gerade das Kissen zu Tode, während Speichel träge für die nötige Bewässerung sorgte. Schuldig schnorchelte leise, kräuselte hier und da die Nase, während seine Haare wild auf dem weißen Kopfkissen verteilt waren. Der Telepath hatte es sich wieder angewöhnt, nackt zu schlafen und lag nun, platt wie eine Flunder und so, wie ihn Gott geschaffen hatte, vor ihm auf den Laken. Ayas Blick wanderte nach unten, dort, wo im Sonnenlicht, das gerade Schuldigs Hintern beschien, ganz leichter, roter Flaum in die Spalte zwischen den Pobacken verschwand. Selbst auf dem Hintern hatte Schuldig ein paar… also war Aya schon bei 103 Sommersprossen. In Betrachtung der muskulösen Oberschenkel versunken, kam Aya eine ganz andere Idee… eine Idee, wie er den anderen Mann aufwecken konnte… da nun das Bedürfnis nach Beschäftigung geradezu drängend wurde. Unerkannt von Schuldig kroch Aya über den anderen Mann und ließ sich auf ihn fallen… der Länge nach. Schuldig stöhnte und rieb seine Nase im Kissen. So richtig wach war er noch nicht und seine Augenlider klebten noch höllisch am Unterlid fest. Aber er wusste zumindest schon, wer ihn als Unterhaltungsinstrument missbrauchte. „Ra~an“, quengelte er mit schlafesschwerer Stimme. „Geh… runter“, leierte er und räusperte sich gequält. „Oder soll ich dir dein Flohhalsband wieder umlegen?“, kams noch immer sehr lahm. „Träumst du noch? Wer hat wem denn das symbolische Flohhalsband angelegt, als jemand etwas zu vorlaut angedroht hatte, meinen Hintern zum Brennen zu bringen?“ Aya grinste und ruckelte sich auf Schuldig zurecht, bevor er sich zur Erleichterung des Telepathen auf die Seite rollte und ihm einen feuchten Kuss auf die Nasenspitze drückte. Er schlängelte gerade einen Arm um Schuldig, als das Telefon klingelte und er mit einem Aufstöhnen den Kopf in die Kissen grub. Stimmt, heute Morgen war Crawford entlassen worden… und würde jetzt sicherlich mit Schuldig sprechen wollen - die Probleme gingen also weiter. „Ich geh ran“, knurrte er und kroch soweit an den Rand des großen Bettes, das er nach dem Hörer angeln konnte. „Ja?“, tönte er unfreundlich durch den Hörer, wurde jedoch sofort freundlicher, als es nicht Crawford am anderen Ende der Leitung war, sondern Nagi. Ein aufgeregter Nagi, der ihm noch aufgeregter das erzählte, was er als letztes an diesem wunderbaren Mittag hatte hören wollen. „Er ist nicht nach Hause gekommen? Wann wurde er entlassen? Seit fünf Stunden also? Nicht bei euch im Haus? Wo dann?“ Für einen Moment war Stille am anderen Ende der Leitung. Dann eröffnete Nagi ihm, dass es auch eine andere Möglichkeit gab. Doch welche… Aya hörte schon im Zögern des anderen, dass es besser Schuldig war, der diese Information erhielt. „Warte, ich reiche dich weiter.“ Aya wandte sich zu Schuldig um, seine Augen ernst. „Hier, Nagi ist am Telefon. Crawford ist vom Krankenhaus aus nicht nach Hause gekommen… er meldet sich weder am Handy noch am Telefon.“ „Dieser Arsch“, knurrte Schuldig kaum zu verstehen ins Kissen und öffnete ein Auge probehalber um das Telefon in Augenschein zu nehmen. Seine Hand unter dem Kissen kroch umständlich hervor und griff sich das Telefon, welches zunächst bleischwer auf Schuldigs Ohr krachte, was ihm ein Stöhnen des Schmerzes einbrachte – seinerseits. „Morgen, Kleiner. Ich versuch ihn aufzutreiben. Vermutlich ist er beleidigt, weil ihn keiner abgeholt hat“, brummte Schuldig und drehte sich wohl oder übel doch halb zur Seite um seinen Mund zum Sprechen freizulegen. „Warum hast du ihn nicht abgeholt?!“ fragte Nagi mit eindeutig aufgebrachter Stimme, wobei der Tonfall immer schön gleichmäßig blieb. ‚Nur nicht ausfallend werden…’ meckerte Schuldig für sich in Gedanken. Allerdings setzte Nagi noch einige hochfremdwörtliche Sätze an, die Schuldig alle als unwichtig abhakte. „Weil er eine Bestrafung verdient hat, für das, was er abgezogen hat. Und jetzt halt den Rand, Naoe, ich kümmere mich schon drum. Bald.“ Er reichte das Telefon weiter ohne aufgelegt zu haben und versenkte sein Gesicht aufstöhnend im Kissen. Aya schwieg einen Moment lang und hörte nur noch das leise Tut. Er legte an Schuldigs Statt auf und wandte sich an den Deutschen. „Wo ist er?“, fragte er gepresst, recht unterdrückt, aber definitiv wütend. Und weg war ihre gute Stimmung. Weg war die morgendliche Entspannung, alles weg dank des Amerikaners. Aber warum wunderte sich Aya darüber? Seitdem Schuldig wieder da war, machte Crawford nur Ärger. „Was weiß ich“, murrte Schuldig, hörte jedoch das unterschwellige Brodeln in Rans Stimme, was ihn veranlasste aus seiner Zuflucht aufzublicken und Rans Gesicht zu suchen. Dazu musste er sich aber umdrehen, was zumindest der Oberkörper auf die Reihe bekam, der Rest war schlicht zu faul dazu und blieb, wie er war. „Entweder er hat keinen Bock ans Telefon zu gehen, oder er liegt in irgendeiner Ecke und sein Leben hängt am seidenen Faden. Wir können davon ausgehen, dass es ihm nicht sonderlich gut geht und er sich sofort ins Bett gelegt hat, was am Wahrscheinlichsten ist um es mit seinen Worten auszudrücken.“ Schuldig wischte sich die wirren Haare aus dem Gesicht. „Es ist sein gutes Recht, für uns nicht erreichbar zu sein, wenn wir ihn schon so sitzen lassen“, sagte er wesentlich ernster und leiser. „Allerdings entwickelt sich das Ganze hier zu einem Pingpong Spiel. Und gipfelt wohl bald darin, dass einer den Löffel abgibt.“ „Und diesen Gipfel wollen wir verhindern. Nein, will ich verhindern. Ich habe keine LUST mehr auf diese Kleinkriege. Er hat uns alle gefährdet, UNS ALLE. Es reicht, Schuldig. Ich werde ihn suchen und ihm eins in die Fresse hauen, dafür, dass er Nagi und dir Sorgen bereitet und permanent die Stimmung zerstört.“ Ayas Haltung war angespannt, wütend, seine Augen dunkel vor Zorn. Schuldig wandte den Blick ab und setzte sich auf, zog seine Beine aus dem Bett und raffte sich die dünne Decke um die Hüfte. „Sehe ich aus als wäre ich besorgt?“ Er stand auf und wandte sich zu Ran um, ihm einen reservierten Blick zuwerfend, das genaue Gegenteil zu Rans wütender Aura. Er verharrte einen Moment, mit seiner Telepathie suchte er Nagis, Brads und Jeis Ryokan auf, doch dieses barg kein Individuum. „Ich denke, es gibt eine Chance, wo er sein könnte. Im Ryokan ist er jedenfalls nicht. Warte einen Moment… ich muss zunächst die Daten abrufen.“ „Gut“, grollte Aya und erhob sich ebenso wie Schuldig, strebte das Badezimmer an. Was bildete sich dieser Amerikaner ein? Verletzt, ohne sich zu melden, sich nicht blicken zu lassen und sich nicht im Haupthaus einzufinden, sie im Unklaren zu lassen. Verdammt! Er wusch sich das Gesicht und griff zum Rasierer. Das leise Surren beruhigte ihn nicht im Geringsten. Wenn sie so weiter machten, brachten sie sich selbst um… das brauchte die gegnerische Gruppierung gar nicht zu erledigen. Schuldig stand auf und schloss die Schlafzimmertür, danach setzte er sich wieder aufs Bett und versetzte sich mittels einer Atemtechnik in Trance. Das dauerte bei ihm einige Minuten, aber nicht länger. Erst dann ging er in seinem Gedächtnis auf die Suche nach den abgespeicherten Adressen, die ihm Brad einmal gegeben hatte, als Rückversicherung. Brads Rückversicherungsort… ja… er hatte ihn. Eine Wohnung in Roppongi. Schuldig weilte noch einen Augenblick in seinem Unterbewussten und kam dann langsam wieder in die Realität zurück. „Roppongi… wo sonst“, schmunzelte er und schüttelte den Kopf. Mittels seiner Telepathie erforschte er das Stadtviertel, suchte und fand Brad. Er machte noch ein paar Lockerungsübungen und stand dann auf um Richtung Badezimmer zu gehen. Er öffnete die Tür. „Eine Wohnung in Roppongi, ich schreib dir die Adresse auf… er befindet sich dort.“ Aya besah sich Schuldig, doch nicht wirklich registrierend, was dieser schrieb. Viel zu tief war er schon in seinen Plänen versunken, wie er dem Amerikaner das Leben für seine Kaltschnäuzigkeit zur Hölle machen konnte. Schuldig reichte ihm die Adresse und er steckte sie ein, anschließend stieg er unter eine sehr warme Dusche… sehr warm, beinahe schon heiß. Er musste sich entspannen, um sich für das kommende Gespräch zu wappnen, musste innere Stärke erlangen. Crawford würde nicht als Sieger aus diesem Krieg herausgehen. Zwanzig Minuten später betrat er fertig geduscht den Wohnraum und zog sich an, schwarz in schwarz, Leder und Stoff. „Ich werde alleine fahren… und ihn schließlich hierhin bringen.“ Schuldig lümmelte nackt samt um die Hüfte geschlungenem Leintuch auf dem Sofa herum, die Beine angezogen und seinen Ellbogen darauf abgestützt. Der schwere müde Kopf thronte mittels Kinnstütze in der Handfläche. Als Ran das sagte, horchte er jedoch auf und seine Augen wurden nur minimal größer. „Meinst du das… ist gut?“ „Fällt dir eine bessere Lösung ein?“, fragte Aya. „Du sagtest, du würdest ihn an mich verkaufen. Das ist unwahrscheinlich, aber die Idee dahinter, ihn zu kontrollieren, ist gar nicht mal so falsch. Anscheinend weiß er momentan nichts von der Pflicht, sein Team zusammen zu halten und diese Pflicht muss er erst wieder erlernen. Außerdem gibt es immer noch das Problem, das ihr beiden habt… und für das es irgendeine Lösung zu finden gilt, EGAL welche.“ Aya zog sich seine Schuhe an. „So… aha“, formulierte Schuldig vorsichtig. „Aber du könntest ihn ja trotz allem dort lassen wo er gerade ist oder?“ Seine Überredungskünste waren schon mal besser, aber nach dieser durch… zech… nein durchfickten Nacht, war nicht mehr viel von seinem Elan vorhanden. Selbst im Bezug auf Brad. Oder gerade in Bezug auf Brad. „Damit er sich zurückzieht und wieder die Gelegenheit hat, sich von seinem Team abzusondern und alleine Aufträge anzunehmen, die ihn beinahe umbringen? Nein, Schuldig, er braucht jemand, der ihm seinen Kopf zurechtrückt und dieser jemand bist am Besten du. Ihr seid euch am Nächsten von eurem Team. Und damit nichts schief geht, bin ich auch noch da.“ Ja, gaanz Klasse. Jetzt hatte er sozusagen den Oberlehrer hinter sich stehen, der auch noch dabei war, wenn Schuldig und Brad sich anschwiegen. „Na, super“, murmelte Schuldig und saß da wie der begossene Pudel, als der er sich fühlte. Ran hatte keinen blassen Schimmer, dass er aus seinem hübschen Köpfchen gelesen hatte, dass Brad seine Fähigkeiten nicht mehr gehabt hatte und er hatte auch keine Ahnung, dass er ihm seine Fähigkeiten zurückgegeben hatte. UND er hatte keine Ahnung wie er… das getan hatte. Schuldigs Mundwinkel kamen vom Weg ab, als sie lächeln wollten und fielen die Klippen hinab, schlugen auf und zerbröselten zu einem traurigen Etwas. „Fällt dir etwas besseres ein?“, fragte Aya auf diesen wenig begeisterten Kommentar hin. „Die einzige Möglichkeit die sich mir hier erschließt, wäre, ihm eine Gehirnwäsche zu verpassen oder gewaltsam in seinen Geist einzudringen, aber das ist, wie du schon einmal erwähnt hast, eine Vergewaltigung. Außerdem würde er es wenig erfreut aufnehmen.“ Er seufzte schwer. „Dein angeblicher Tod hat ihn schwer mitgenommen, deine Wiederauferstehung noch mehr. Unsere Abwesenheit ebenso… er weiß nun, was er an dir hat. Das ist das Problem.“ Schuldig nickte langsam. Was sollte er dazu sagen? Ja… er hatte ein wenig mit Brads Gehirnmasse gespielt und einmal kräftig drin rumgerührt? Nein, das besser nicht… „Also.“ Aya hatte das als Zeichen genommen, dass Schuldig ihm zustimmte und griff sich die Schlüssel zum Geländewagen. „Ich bin in ein paar Stunden wieder da. Zur Sicherheit habe ich mein Handy dabei.“ Und zwei Waffen, doch das brauchte er Schuldig nicht zu erzählen, das war dem anderen nur allzu bekannt. Ran rauschte ab und Schuldig saß wie die Unschuld vom Lande im weißen Leinentuch auf der roten Couch und starrte der schwarzen Drohung nach. „Oh man“, murmelte er. Das würde ja was werden. Was sollte er denn mit Brad hier anfangen? Er konnte doch jetzt nicht mit ihm reden. Vor allem über was sollten sie sprechen? Über das Wetter? Darüber wie mies er ihm seine Fähigkeiten wiedergegeben hatte? Oder darüber, dass er Aufträge hinter ihrem Rücken vollzogen hatte und sie alle gefährdet hatte? Am meisten sich selbst? Und… dass er hätte sterben können? Und dass er gefälligst auf sich zu achten hatte? Dass er der Schwächste unter ihnen war und sie die Pflicht hatten ihn zu schützen? Dass sie seine kleine Privatarmee waren und er der Kopf dieser Armee war? Dass er ihn nicht alleine lassen konnte, indem er einfach so wegstarb? Dieser Arsch… Schuldig erhob sich energisch und durchquerte den Wohnraum Richtung Flur und von dort ins Badezimmer. Er würde duschen, sich anziehen und… und… dann was anderes machen. Was wusste er noch nicht, aber nicht dasitzen und dem Henkersbeil beim Fallen zusehen. Es war schließlich sein Kopf, der bald rollen würde… Aya bahnte sich währenddessen seinen Weg durch den Wahnsinn des Stadtverkehrs, der ihn durch die Straßen kriechen ließ. Er brauchte lange, sehr lange, um bei besagter Adresse in Roppongi anzukommen und festzustellen, dass es eine exklusive und teure Wohngegend war, in der er sich hier befand. Hatte er etwas anderes erwartet? Aya schnaubte. Bei diesem eingebildeten Orakel… nein. Definitiv nicht. Aya parkte seinen Wagen etwas weiter entfernt und lief den Rest des Weges, blieb jedoch schließlich beim Portier des Hauses hängen, der ihn mit einem musternden Blick von oben bis unten betrachtete. Mit der ihm gegebenen Arroganz nickte er dem Portier zu, der dienstbeflissen in seinem Häuschen saß und betrat die rechts liegenden Fahrstühle. Natürlich gehörte er in dieses Haus, auch wenn er nicht so aussah… so oder so ähnlich. Er drückte den Knopf der zwanzigsten Etage und ließ sich von dem Fahrstuhl nach oben fahren. Jetzt konnten die Spiele beginnen. An Rans Zielort herrschte zwielichtiges Halbdämmer und Dunkelheit. Die Räumlichkeiten im zwanzigsten Stockwerk waren spärlich eingerichtet. Puristisch würde dem Einrichtungszustand dieser Wohnung nicht gerecht werden. Es wäre schlichtweg übertrieben gewesen. Brad saß in dem Ledersessel, hatte eine kleine Lampe am Schreibtisch herangezogen und seine Hemdsärmel waren hochgekrempelt. Das dunkle Hemd selbst war offen. Die Spritze steckte noch auf der Nadel in seiner Ellbeuge. Sein Kopf lag müde im Nacken und er hatte die Augen halb geschlossen, genoss die Stille um sich herum und das Nachlassen der Schmerzen in seiner Flanke. Ein mattes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er ungehindert atmen konnte und ihn keine drückenden Schmerzen plagten. Er hatte sich ein Medikament gespritzt, welches zur Opiatgruppe gehörte und wahre Wunder wirkte. Stets behielt er sich einen kleinen Vorrat in seiner Wohnung bereit. Er hatte es bisher lediglich für Schuldig gebraucht. Für sich selbst noch nie. Für Schuldig… ja… Aya überlegte sich genau, wo er seine Faust hinplatzierte: in welcher Partie von Crawfords Gesicht sie landen würde, mit welcher Intensität und aus welchem Winkel, dass es möglichst sehr wehtat. Es zerstreute ein wenig seiner Wut, die in ihm brodelte, doch es linderte sie nicht. Er fand Crawfords Apartment, natürlich unter falschem Namen aber mit der richtigen Nummer und klingelte. Mal sehen, ob ihm geöffnet wurde. Das Summen der Türklingel riss Brad aus seinem medikamenteninduzierten Halbschlaf und sein Kopf rollte zur Seite und nach vorne. Er wischte sich eine längere Haarsträhne aus der Stirn und hörte das Herabfallen von Plastik auf den Boden, noch bevor er den kurzen Schmerz in seiner Ellbeuge verspürte. Etwas kitzelte ihn und er besah sich das dünne Blutrinnsaal, welches seinen Arm entlanglief. Müde griff er zu einer Kompresse und presste sie in die Ellbeuge. Es klingelte erneut. Noch kam keine Vision. Es war also nötig, dass er sich erhob und die Tür öffnen wollte um eine Voraussicht der Person zu empfangen, die auf das Öffnen wartete. Die Wahrscheinlichkeit lag sehr nahe, dass es jemand aus seinem Team war. Vermutlich Schuldig, der nicht sonderlich begeistert sein durfte. Schließlich hatte er keine der Anrufe angenommen. Dass Schuldig besorgt um ihn war, konnte er zumindest sofort ausschließen. Mit der Gelassenheit eines Hellsehers nahm er die Kompresse weg und klebte sich ein Pflaster auf die Stelle aus der immer noch Blut trat. Erst dann erhob er sich und durchquerte die Wohnung. Im Eingangsbereich überkam ihn dann die erste Vision. Es war also Ran Fujimiya, der Einlass begehrte. Sofort wurde das Bild von einem anderen überlagert. Ran hatte vor ihm eine kleine Abreibung zu verpassen. Er sah einen Schlag mit der Faust kommen. Nun, dem konnte er ausweichen. Selbst mit den Medikamenten, die bereits in ihm herumschwammen und dabei ihre blockierende Wirkung an den Schmerzrezeptoren erfüllten. Brad fasste den Türgriff, öffnete die Tür und … NEIN. Eine weitere Vision, in dem Moment in dem er ausweichen wollte. Erst als er ausweichen wollte, kam diese zweite Vision und sie verstörte ihn zutiefst. Er wurde getroffen, fiel zurück, samt Türgriff, den er immer noch in der Hand hielt und jetzt losließ, als die Wand viel zu schnell seinen Rücken traf und er an selbiger zum Stillstand kam. „Nghh…“ Der Schmerz schoss ihm in den Kiefer… aber diese zweite Vision war… unmöglich. Wie konnte das geschehen? Crawford war blass, hatte dunkle Ringe unter den Augen...alles in allem sah er überhaupt nicht gesund aus. Natürlich nicht. Und nun würde eine Verletzung mehr hinzukommen, denn der Schlag hatte hundertprozentig so gesessen, wie Aya es sich gewünscht hatte und die Befriedigung der Rache für alles, was Crawford ihm und Schuldig angetan hatte, wirbelte in seiner Blutzirkulation. Das große, allmächtige Orakel, das meinte, alles alleine machen zu können… Er lächelte und betrat die Wohnung, als wäre er schon oft hier gewesen. Leise schloss er die Tür hinter sich und sah sich in Ruhe um, bevor sein Blick zum Orakel zurückkehrte und minutiös seinen Zustand aufnahm. Kein schlauer Kommentar, keine wutentbrannte Replik, keine Gewalt als Antwort auf seine Gewalt, ein Orakel ohne Biss, dem etwas in den Augen stand, das Aya nicht genau beziffern konnte. Irgendwie abwesend… nicht wirklich hier in diesem Moment. „Bist du zufrieden, dein Team an den Rand des Auseinanderbrechens gebracht zu haben?“, fragte Aya, einen zweiten, dieses Mal verbalen Schlag setzend. Den Brad im Augenblick nichts entgegensetzen konnte, denn er war immer noch damit beschäftigt, die Bilder, die ihm absurd vorkamen, aus seiner Sicht zu verbannen. Was gänzlich unmöglich war. Erneut überlagerte die Realität eine Vision, dieses Mal ausführlicher, detaillierter. Ihm blieb der Atem im Hals stecken. Er keuchte auf, hieb mit der Faust gegen die Wand hinter sich… „Nein…“, krächzte er mit aufkommender Wut. „Das… existiert nicht…“ Er löste sich von der Wand, Fujimiya komplett ignorierend und ging halb taumelnd, sich an der Wand mit einer Hand tastend Richtung Wohnzimmer. Er musste sich hinsetzen. Das konnte nicht sein. Es musste falsch sein. Schuldig hatte etwas mit seiner Gabe angestellt. Er …hatte ihm den Kopf verdreht. Darüber musste Brad lachen. Er stoppte, lachte leise zunächst, bis er immer lauter wurde und das Lachen dann verstummte. „Gott… nein“, waren seine letzten Worte bevor er den Kopf wandte und Ran mit einem glasigen Blick direkt ansah. Hier stimmte etwas nicht. Das sah Aya auch hinter seiner Wut, hinter dem festen Vorsatz, Crawford ein wenig Verstand einzuprügeln… genau das ließ ihn auch ruhiger werden. Was existierte nicht? Was brachte das beherrschte Orakel dazu, sich so derangiert zu zeigen? Sehr langsam kam er auf Crawford zu, blieb direkt vor ihm stehen und sah ihm in die Augen, so wie dieser ihm das erste Zusammentreffen, das sie anscheinend unzertrennbar aneinander gekettet hatte, in die Augen gesehen hatte. Die gleiche Situation, die gleiche Arroganz und Überlegenheit, nur dass sie die Rollen getauscht hatten, dass Aya diese Macht nutzen wollte, Crawford in seinen Händen zerschmettern wollte für einen Moment. Dann jedoch brachen sich die hellbraunen, stumpfen Augen einen Weg durch den kurz aufgebrandeten Hass und holten ihn in die Realität zurück, ließen ihn sich in dieser großen, weitläufigen Wohnung nur auf einen fixieren. „Was ist mit dir los?“ Übrig geblieben von dem Lachen war ein schmales Lächeln, das vielleicht ein zynisches Lächeln werden hätte können, wenn es nicht so müde gewirkt hätte. „Was würdest du dazu sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich gerade eine Vision davon hatte, dass wir beide zusammen mit unserem heiß geliebten Telepathen ein… nein mehrere Aufenthalte in ein und demselben Bett haben werden? Und das nicht nur zum Kuscheln.“ Brad stieß einen sarkastischen Laut aus, bevor er sich weiter auf den Weg machte, schließlich im Wohnzimmer ankam und sich nach einigen Momenten des haltlosen Laufens in den Sessel gleiten ließ. „Das Beste daran ist, ohne deine reizende Begrüßung – der natürlich sofort die Frage nach meinem Wohlbefinden gefolgt ist - wäre diese Vision und diese Richtung der Zukunft nie eingetreten…“ Er lachte wieder leise, den Kopf in den Nacken gelegt, die Hand suchte blind nach dem Schmerzmittel auf dem Schreibtisch, welches er noch in einer anderen Spritze aufgezogen bereitgestellt hatte. Das sah Aya zunächst nicht, da er im Eingangsbereich stehen blieb und die Worte des anderen erst einmal für sich selbst verarbeiten. Sie würden miteinander schlafen? Sie drei? Im Leben nicht. Aya lachte auf und es war ein ähnlich bitterer Laut wie Crawfords kurz zuvor. Er kam langsam ins Wohnzimmer. Die Wohnung an sich war zu groß, zu kalt, zu leer… zu unpersönlich und indifferenziert. Crawford eben. Aya sah die Spritze in den Händen des Orakels, ebenso wie er die zu Boden gefallene Kanüle bemerkte. Was war das? Drogen? War es also soweit mit Crawford, wurde der andere verrückt? „Deine Fähigkeiten funktionieren nicht richtig“, sagte Aya schlicht, nicht glauben wollend, was ihm gesagt wurde. „Seit Schuldigs angeblichem Tod sind sie blockiert… wer sagt dir, dass sie dir jetzt nichts vorgaukeln? Dass du dir hier einen Drogenrausch spritzt und fantasierst? Wir werden NIE miteinander schlafen. NIE.“ Und schon gar nicht ausgelöst durch den Schlag. Schon gar nicht dadurch, das war einfach lächerlich! Brad rollte die Spritze zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her als er seinen Kopf aus dem Nacken hob und den Japaner anblickte. „Das ist ein Schmerzmittel. Es wirkt besser wenn ich es mir spritze, bevor ich warte, bis die Tabletten wirken“, erklärte er nüchtern. Einen Moment blickte er Ran noch mit glasklarem Blick, abwägend an, bevor er den Blick wieder auf die Spritze richtete. „Ich habe meine Fähigkeiten wieder. Schuldig hat sie mir wiedergegeben. Es funktioniert alles bestens. Keine Sorge“, sagte er langsam und mit einem nur leisen ironischen Unterton. Dieser besagte, dass auch leugnen nichts an der Zukunft ändern würde. Rein gar nichts. „Du könntest Selbstmord begehen. Dann wäre das Problem aus der Welt. Oder… du könntest mich töten. Jetzt. Hier. Dann hätten wir auch eine sofortige Lösung.“ Er sagte nicht, dass die Zukunft fest stand. Denn keiner von ihnen würde diese Art der Problemlösung ausführen. Schuldig… stand dazwischen. Schuldig hatte dem Amerikaner seine Fähigkeiten wiedergegeben? Deswegen war er so neben sich gewesen...hatte er vermutlich gesehen, was Crawford wieder und wieder sah und ihm vermutlich noch nicht mitgeteilt hatte. Was für ein Masochist...und stolzer, arroganter, idiotischer Masochist. Aya beugte sich so nahe zu Crawford herunter, dass er den Atem des anderen Mannes auf seinem Gesicht spürte und dessen Geruch wahrnehmen konnte, der von der freigelegten Haut der breiten Brust zu ihm hinaufströmte. Normalerweise würde er es ansprechend finden, nun aber waren die Zeichen des Krankenhausaufenthaltes wie Symbole der Wut und des Zorns, die sich gegen Crawford richteten. Ayas Rechte legte sich um den Hals des Orakels und drückte zu, leicht nur, nicht um zu töten, nein, noch nicht, sondern um zu fühlen, wie es sich anfühlte. „Ich werde keinen Selbstmord begehen. Aber dein Tod ist eine durchaus akzeptable Lösung, wenn Schuldig dadurch Leid erspart wird.“ Natürlich wusste er, dass auch Crawford litt, doch sie hatten dieses Thema sehr oft durchgekaut und der andere hatte es jedes Mal niedergeschlagen und als unwichtig abgetan. Jedes Mal. Und nun? Nun war es zu spät, angeblich landeten sie zu dritt im Bett und konnten nichts dagegen tun. Dass Aya nicht lachte. Es gab IMMER eine Möglichkeit. „Aber sag mir…“, fragte er mit Spott in der Stimme. „…großes Orakel… wie soll das gehen, wenn wir nicht miteinander schlafen wollen? Werden wir uns vergewaltigen?“ Brad unterließ den Wunsch danach Rans Hand von seinem Hals zu ziehen. Stattdessen blickte er in die mandelförmigen violetten Augen und sah den Japaner spöttisch an. „Woher soll ich das wissen? Es sah nicht danach aus, als würden wir das, was wir tun, hassen oder es dem anderen aufzwingen. Es sah nach Spaß aus. Und das für alle Beteiligten.“ Er zuckte mit den Schultern. „Du meinst Schuldig wird Leid erspart, wenn ich sterbe?“ „Nein, aber ich versuche gerade herauszufinden, ob du ihm mehr Leid zufügst, wenn du weiterhin lebst und dich und dein Team gefährdest, ganz zu seinem Leidwesen, weil ihr seine Familie seid.“ Nein, er war es nicht wert und so ließ Aya angewidert seine Hand sinken. „Er hat dir deine Gabe wieder gegeben? Sag mir, was an dieser Geste nicht von Freundschaft spricht… er hat dich davon befreit, immer wieder seinen Tod zu sehen!“ Er richtete sich auf und verschränkte die Arme. Eine Augenbraue hob sich in Brads Gesicht, welches ansonsten eine Maske bildete zu dem was dahinter lag. Er blickte diesen aufgeblasenen selbstgerechten Japaner für lange Momente an ohne zu antworten. Als er dann antwortete erhob er sich, sein Hemd flatterte immer noch leger und offen an ihm herunter. „Meine Familie? Du meinst, die Familie, die offiziell zwar existiert, aber mir inoffiziell nie neue Kleidung gebracht oder mich aus dem Krankenhaus abgeholt hat? Diese Familie meinst du?“, fragte er ernst mit dem nüchternen Ton eines Menschen, der etwas feststellte ohne es zu werten. Allerdings barg die Frage an sich schon einen gewissen Vorwurf, jedoch lediglich als Replik darauf was Fujimiya ihm hier an den Kopf warf. Brad begann sein Hemd zuzuknöpfen ohne Ran anzusehen. „Deine Familie, die du gefährdet hast, als du hinter ihrem Rücken und ohne ihr Wissen Aufträge angenommen hast und - seien wir mal ehrlich - kläglich versagt hast. Sonst würdest du dich nicht mit Drogen voll pumpen und dich verkriechen wie ein weidwundes Tier. Aber damit ist jetzt sowieso Schluss. Du wirst mit mir zurückkommen und es werden sich einige Dinge klären.“ Ayas Stimme war entschlossen, keinen Widerspruch zuzulassen. Ebenso wie seine Haltung, denn er war keinen Millimeter gewichen, keinen einzigen. „Sie machen ohnehin was sie wollen“, sagte Brad. „Warum kann ich das dann nicht auch?“ Er wandte sich fragend zu Fujimiya um. „Im Übrigen verkrieche ich mich nicht.“ „Nein? Anstelle ins Ryokan zurück zu kehren, kommst du hierhin, wo sie dich nicht sofort finden. Du antwortest nicht auf Anrufe und bringst Nagi dazu, vor Sorgen schier verrückt zu werden.“ Eine der langen Strähnen war aus Ayas geflochtenem Zopf entkommen und nervte ihn, also schob er sie unwirsch hinter sein Ohr zurück. „Sie machen, was sie wollen? Sie respektieren dich mehr als du es verdient hast. Sie sehen zu dir als Anführer auf und du lässt sie im Stich, ausgerechnet jetzt. Warum lieferst du sie der unbekannten Gruppierung nicht gleich aus?“ Es reichte. Brad griff sich sein Jackett und schlüpfte auf der einen Seite in den Ärmel während er die andere Seite nur umständlich über die Schulter hängte. „Und… was willst du jetzt hier?“ Danach schob er sich die Spritze mit dem Schmerzmittel in die Jackettasche und löschte das Licht. Das verbliebene hereinfallende Licht des abendlichen Himmels reichte um sie beide als Schemen darzustellen. Er würde ins Ryokan zurückkehren und Nagi anrufen. Zumindest würde er so diesen nervenansengenden Japaner loswerden. So hoffte er. Hoffte er vergebens, denn Aya folgte ihm auf Schritt und Tritt, darauf bedacht, Crawford zu seinem Auto zu bringen, damit dieser sich schlussendlich mit Schuldig auseinandersetzte. „Dich zu Schuldig und mir mitnehmen, damit ihr euch die Köpfe einschlagen könnt.“ Ayas dunkle Miene erhellte sich für einen Moment, als er lächelte. „Ach ja… weigern kannst du dich nicht, wenngleich ich die hier sehr gerne an dir testen würde.“ Das Lächeln war kalt und teuflisch, als er Handschellen aus seiner Tasche zog und sie Crawford vor die Nase hielt. Von den Handschellen in das kalte Lächeln des Japaners hinab blickend behielt Brad seine stoische Miene bei, als er an dem anderen vorbei trat und Richtung Tür ging. „Hat dir schon jemand gesagt, dass dir dieses Lächeln nicht steht?“ Er fühlte sich immer noch leicht benommen, allerdings konnte er schon wesentlich besser laufen und schwankte nicht mehr wie ein Grashalm im Wind. Die Schmerzen waren leicht in den Hintergrund getreten. „Ich brauche mich nicht mit ihm auseinandersetzen. Wir haben uns schon alles gesagt“, sagte er als er an der Tür angekommen war, Fujimiya hinter sich wissend. „Habt ihr? Dann wird von nun an ja alles wunderbar laufen“, ätzte Aya und steckte die Handschellen zurück in seine Hosentasche. Aya öffnete für Crawford die Tür und packte den Oberarm des größeren Mannes, zog ihn mit sich auf den Gang. „Du wirst mitkommen, ansonsten ist das Lächeln nicht das einzige, was mir nicht stehen wird.“ Fujimiya bevorzugte natürlich die Seite seines Körpers, die verletzt war. Natürlich. Die Tür fiel ins Schloss und Brad befreite sich mit einem Ruck aus dem Griff des Japaners. „Fass mich nicht an“, presste Brad zwischen seinen Zähnen heraus. „Ich kann alleine laufen.“ Er folgte Ran zu den Aufzügen. Dass Crawford alleine laufen konnte, bezweifelte Aya nicht. Er bezweifelte höchstens, dass Crawford ihm folgen würde. Doch seine Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht, denn der Amerikaner stieg wider Erwarten ohne Diskussion ein, wenngleich auch kalkweiß im Gesicht und mit verschlossener, ja beinahe schon feindlicher Miene, die er für den Rest der Fahrt über beibehielt. Das mochte vielleicht auch daran liegen, dass Aya die automatische Wagenschließung getätigt hatte, sodass Crawford nichts anderes übrig blieb, als bei ihm zu bleiben und ihm schließlich in die Wohnung zu folgen, in der Schuldig wartete. Oder vielleicht auch nicht, vielleicht war der Telepath ja geflohen, mutmaßte Aya, als sie vor der Tür standen und er den Schlüssel ins Schlüsselloch steckte. o~ Das Tapsen seiner nackten Füße auf den Steinfließen hielt inne als Schuldig erneut auf die Uhr blickte und dann mit einem komisch verzweifelten Gesicht zu Banshee, die das ganze Drama von der Couch aus beobachtete. „Jetzt sieh mich nicht so vorwurfsvoll und schlau an. Ich… habs vergeigt. Ja… ja… und … was soll ich jetzt machen? Wenn Ran ihn mitbringt…“ Er seufzte theatralisch und setzte sich auf die Couch, schon bereit wieder aufzuspringen. Sein Gesicht war blass, selbst die Sommersprossen hatten sich dieser Blässe angepasst. Kurz nachdem Ran gegangen war, hatte er sich geduscht und schlussendlich eine Jeans angezogen, darüber trug er ein weißes Hemd. Trotzdem fühlte er sich nicht wohl. Was würde werden, wenn Brad hier aufschlug? Schuldig war nervös. Einerseits war er sauer. Immer noch. Andererseits hatte er keinen blassen Schimmer, wie er Brad begegnen sollte… nach den ganzen… Problemen… Und seit dem Krankenhaus war sein Wutlevel beträchtlich gesunken. Er hörte die Tür… den Schlüssel. Schuldig sah fast schon ängstlich Richtung Flur. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Was sollte er denn hier? Brad hatte bestimmt keinen Bock mit ihm zu reden. Die Tür öffnete sich langsam und Aya trat hinein, hinein in die Höhle des Löwen, den er im Moment nicht ausmachen konnte. Er wandte sich um und holte Crawford ebenso mit sich hinein und sah Schuldig, wie er auf der Couch saß, das Gesicht bleich und die Augen groß. Wie ein verängstigtes Reh. Himmel… das war ja noch schlimmer, als er es befürchtet hatte. Das konnte etwas werden... Aya bezweifelte plötzlich, ob es eine so gute Idee war. Oh… und Schuldig erhob sich unsicher, gestattete sich schnell eine interne Moralpredigt, samt dazugehörigem Arschtritt und riss sich etwas zusammen. Er korrigierte seinen Gesichtsausdruck und übte sich in Entschlossenheit. Die Brauen kritisch zueinander gezogen empfing er also die beiden, als diese näher kamen. Brad sah sich dabei um. Schuldig versuchte seine Stimmung einzuschätzen, versuchte herauszufinden, wie es dem Amerikaner ging. Doch Brad bewegte sich ganz normal und seine Mimik drückte nichts als… als kalte Geringschätzung aus. Brad kam auf die Couch zu, augenscheinlich wollte er sich setzen. Die Anzugjacke hatte er über die verletzte Schulter gelegt. „Du hättest anrufen können. Und warum warst du nicht im Ryokan? Nagi hat sich…“ Schuldig sah aus dem Augenwinkel, wie Ran Richtung Küche ging, blickte hin und im nächsten Augenblick wischte im Schatten eine Hand in seine Richtung und traf ihn in der Magengrube. „Hgn…“ Er stöhnte und krümmte sich und ging halb in die Knie… verdammt… keine Luft… Scheiße, das tat weh… Doch viel Zeit blieb ihm nicht um sich damit zu beschäftigten, denn er wurde fast augenblicklich an seinen Haaren zu Brad emporgezogen. „Nie wieder rührst du mich an. Hast du mich verstanden?“, sagte Brad leise und drohend. „Wenn du noch einmal so etwas abziehst, dann kannst du dich warm anziehen. Dann ist das, was Fei Long mit dir gemacht hat, noch das kleinere Übel gewesen. Hast du das kapiert?“ Schuldig versuchte zu schlucken und es gelang ihm die bittere Magensäure wieder zurückzudrängen. Er zitterte, allerdings nicht von dem Schlag, auch nicht von seiner brennenden Kopfhaut, sondern… weil… Crawford… er war wieder da. Es war verrückt, aber DAS hier war wieder der alte Brad Crawford. Diese Verströmung von Macht und Autorität, dies konnte nur er ihm geben. Ran nicht, sonst niemand, außer Brad. „Hast du das verstanden?“ Schuldig nickte automatisch und Brad ließ seinen Kopf los, gab ihn einen Schubs Richtung Couch auf der er dann landete. Schuldig wischte sich über den Mund, sah mit finsterem Blick zu Brad hoch und ließ ihn nicht aus den Augen. Brad setzte sich daneben und legte den Kopf wieder in den Nacken, so als habe es diese kleine Szene nicht gegeben. Schuldig atmete noch schwer, fühlte sich angepisst und wie im Rausch zugleich. Er strich sich fahrig die Haare aus der Sicht, Brad vor sich, der sehr entspannt wirkte. Aber das war ohnehin kein Indiz für eine mögliche Entspannung des Amerikaners und durchaus trügerisch. Schuldigs Stöhnen hatte Aya aus der Küche vertrieben und ihn misstrauisch in den Wohnraum kommen lassen. Er sah, wie Crawford Schuldig an den Haaren zu sich zog, wie er ihm Dinge zuzischte, die Aya misstrauisch machten und ihn stutzen ließen. Was in aller Welt hatte Schuldig gesagt...oder getan, dass Crawford gewalttätig wurde? Ein leiser Verdacht keimte in Aya auf, als er an Crawfords Worte zurückdachte. Schuldig hatte ihm seine Fähigkeiten wieder gegeben...aber wie? Die Stirn kritisch gerunzelt, verharrte Aya für einen Moment lang, solange, bis er sah, dass die beiden keine Prügelei anfingen, sondern nur schweigend nebeneinander auf der Couch saßen und ging dann zurück in die Küche um sich seine eigenen Gedanken über die Situation zu machen. Er konnte hier nicht helfen, geschweige denn vermitteln und wollte es auch gar nicht. Schwarz war nicht sein Team, nicht seine Familie, er war nur… Schuldigs Familie. Sicherlich nur ein lästiges Anhängsel für Crawford… er würde sich hier nicht einmischen. Aya schenkte sich einen Kaffee ein und streichelte gedankenvoll Banshee, die sich zu ihm in die Küche gesellt hatte. Seit Schuldig Brad zum ersten Mal begegnet war, hatte dieser ihn zurück auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, wenn er abgedriftet war. Und das nicht erst seit Kitamura. Brad hatte ihm Halt gegeben. Eine Art Halt, die Ran ihm niemals geben konnte, nicht in diesem Umfang, nicht mit dieser Ausstrahlung von Macht und Autorität. Dazu brauchte Brad keine Gewalt, hatte er nie, doch es untermalte die Strenge, die er übte, wenn Schuldig zu weit gegangen war. Wie im Krankenhaus. Schuldig kauerte seitlich angelehnt an die Couchlehne und hielt den Blick auf Brad gerichtet, der mit geschlossenen Augen neben ihm saß, nicht mal einen Meter weit entfernt. In Schuldig herrschte ein wildes Durcheinander an Gefühlen und vor allem an der Lust Brad zu reizen. Mit was auch immer. Aber er ließ es, denn so wie Brad seine Schulter und seine Flanke hielt hatte er sicher Schmerzen darin. Aya lauschte angespannt in das ihn umgebende Schweigen und kam zu dem Schluss, dass die beiden im Leben nicht miteinander reden würden, wenn sie nicht Input von außen bekamen. Doch auch jetzt noch fragte er sich, was Schuldig dem Amerikaner angetan hatte, dass dieser so reagierte und ob es nicht hinderlich für das sein könnte, was die beiden endgültig untereinander klären mussten Zwei Tassen Kaffee fanden ihren Weg in seine Hände, und er den Weg ins Wohnzimmer, direkt zu den beiden Schwarz. Zu den Männern, mit denen er schlafen würde. Niemals. Nie! „Er hatte eine Vision, dass wir zusammen im Bett landen - wir drei“, warf er in die Stille des Raumes und Banshee umstrich seine Beine, maunzte leise. Mal sehen, ob dieses Statement die beiden aus ihrer Starre brachte. Bei Brad rührte sich nicht viel, denn er kannte die Hiobsbotschaft bereits, schließlich hatte er sie verkündet. Schuldig dagegen drehte den Kopf zu Ran, noch immer seitlich an der Rückenlehne der Couch gelehnt und sah ihn ungläubig und vor allem mit wachsendem Unbehagen und Unsicherheit an. „Red keinen Scheiß“, murmelte er und wandte seinen Blick zu Brad hinüber. Der saß immer noch entspannt da und rührte sich nicht. Scheinbar fühlte sich Brad jedoch nach einigen Momenten dazu bemüßigt Schuldig das Gesicht zuzuwenden und ihn ernst anzusehen. Es stimmte also. Das war zuviel. Schuldig schob sich nach hinten und stand abrupt auf. „Ihr habt doch beide nen Knall.“ Er wandte sich ab, das abstruse Bild vor Augen wie Ran die Kaffeetassen hielt und ging auf die Terrasse hinaus. Er brauchte frische Luft. Was sollte das alles? Er setzte sich auf die gemauerte Brüstung und lehnte sich an die Wand des Hauses an, den Blick in Richtung Stadt gerichtet. Sein Kopf fühlte sich so leer und gleichzeitig so schwer an. Es wäre schön gewesen, wenn es einfach wäre. Doch nichts war einfach. Aya setzte die Kaffeetassen ab. Er konnte Schuldigs Flucht gut verstehen, sehr gut. Er würde den Amerikaner auch am Liebsten ganz weit weg wissen. „Du tust nicht gerade viel, damit deine Vision wahr wird“, richtete er an Crawford. „Ich habe nicht vor sie wahr werden zu lassen, Fujimiya“, gab Brad zurück und seufzte, beugte sich vor und wischte sich über die Augen. Er war müde. „Oder empfindest du das als angemessen?“, hakte er nach und lehnte sich wieder an, den Arm an sich ziehend, der langsam wieder zu schmerzen begann. Er sah zu Ran hoch. „Ich kann mir nicht vorstellen, mit dir zu schlafen, nein. Von daher halte ich es nicht für angemessen, nein. Aber wenn sie, wie du behauptest, definitiv wahr werden wird, was wäre dann angemessen, sie zu verhindern?“ Aya schnaubte und Enge in seiner Brust schnürte ihm das Atmen zu. Schuldig und er waren glücklich, doch er konnte nicht über das hinwegsehen, was Crawford getan hatte und er konnte schon gar nicht mit ihm im Bett liegen, sich ihm derart wehrlos ausliefern. Niemals. Schweigen beherrschte die nächsten Minuten, in denen Brad den Japaner ansah. Er kam jedoch zu keinem gedanklichen Abschluss seiner Überlegungen. „Was willst du das ich tue?“, fragte er während er sich erhob. „Was soll ich deiner Meinung nach unternehmen?“ Sein Blick fiel auf die Kaffeetasse. „Sind die beide für dich?“ „Nein.“ Aya schob Crawford eine Tasse zu und nahm aus der anderen einen tiefen Schluck. Viel zu bitter, doch warm und ablenkend. „Was du tun sollst? Uns in Ruhe lassen, ihn aber glücklich machen. Aufhören, ein Arschloch zu sein. Zum Beispiel.“ Sein Blick glitt auf die Terrasse hinaus. Brad nahm die Tasse und ging zur Frontseite des Wohnraumes der komplett aus Fenstern bestand und blickte auf die Terrasse hinaus. Er nahm einen Schluck des Kaffees. Man konnte ihn gerade so trinken. „Euch in Ruhe lassen und ihn glücklich machen, das erklär mir näher, vielleicht hast du einige Tipps für mich“, Brad lächelte kühl und seine Stimmte troff nur so vor Sarkasmus. „Du bist das Orakel, sag du es mir. Du hattest bisher immer alle Antworten.“ Ayas Ironie stand eben jenem Sarkasmus in nichts nach. „Wir wissen nur, was wir nicht wollen, also uns. Aber wir wissen, wen wir wollen: Schuldig. Wenn es dich und ihn glücklich macht, gibt es wohl nur eine Möglichkeit.“ Und diese auszusprechen, weigerte sich Aya. Er weigerte sich ja auch, den gerade eben in seinen Gedanken erschienenen Vorschlag ganz auszudenken und auszuarbeiten. Nein… Es würde viel von ihm fordern, sehr viel. Das würde Brad erledigen. Ganz sicher. Denn es war nicht schwer zu erahnen, dass Fujimiya Ran eben diese Möglichkeit nicht aussprechen wollte. „Du meinst, ich soll mit ihm schlafen und endlich würde sich alles finden? Ist das die Lösung?“ Brad war sich nicht sicher. Er war sich nicht einmal im Klaren darüber wann diese Vision Wirklichkeit werden würde. „Vermutlich ja.“ Diese Worte schmerzten wie die Hölle. Er wollte Schuldig nicht teilen, er hatte Angst ihn zu verlieren, an Crawford zu verlieren, doch wenn es die einzige Möglichkeit war… Dennoch tobte und schrie es in ihm wie verrückt. „Er braucht deine Nähe…“ Brad stieß einen Laut aus, der sich wie Schnauben und einem tiefen Atemzug gleichzeitig anhörte. „Er braucht nicht meine Nähe. Er braucht das was ich darstelle. Autorität, Grenzen. Das ist alles“, wischte er diesen Punkt zur Seite und nahm einen Schluck des Kaffees. „Das war schon immer so, seit ich ihn kenne. Er lotete seine Grenzen aus und bei mir… war Schluss.“ Er schüttelte einmal den Kopf. „Das ist auch ein Grund, jemanden zu lieben.“ Eine einfache Aussage, doch schlicht und ergreifend die Wahrheit. Grenzen… Schuldig brauchte Grenzen und die gab ihm Crawford. „Schuldig braucht das.“ Das war das Schreckliche an der ganzen Sache. „Ich bin nicht sein Vater“, sagte Brad und sein Tonfall war kühl, endgültig. Er wollte nicht Schuldigs Vater sein, er … „…das bist du nicht und das ist das Problem. Und nicht nur der Vater kann Grenzen setzen.“ Crawfords Argumentation schwächelte gewaltig und Aya schlug genau in die Kerbe hinein… warum, das wusste er nicht. Warum fehlte ihm der gesunde Egoismus? Schuldig kämpfte unterdessen damit ruhig zu bleiben. Doch das Zittern in seinen Händen hatte nicht aufgehört und der Kloß in seinem Hals wurde auch nicht weniger. Der Druck in seinem Inneren hörte nicht mehr auf, bis er ihm schließlich nachgab und die ersten Tränen in seine Augen traten. „Verdammt“, zischte er ungehalten. Wut stieg gleichzeitig in ihm auf, doch sie wollte nicht so recht heraus. Viel zu verwirrt war er. In ihm tobte ein Aufruhr der Gefühle und er wusste noch nicht welche davon die Oberhand gewinnen würden. Er zerbiss sich die Innenseite seiner Lippe um dieses nagende Gefühl des drohenden baldigen Verlustes seiner geistigen Kontrolle loszuwerden. Brad drehte sich zu Ran um und stellte die Kaffeetasse schweigend ab, bevor er sich seiner Anzugjacke entledigte und hinaus auf die Terrasse ging. Er fand Schuldig auf der Mauer an die Wand gelehnt. Für einen Augenblick genoss Brad den beginnenden Abend bevor er sich zu Schuldig umwandte und auf ihn zuging. Zwei Schritte entfernt hielt er inne und besah sich den anderen genauer. Schuldig versuchte zu verbergen was in ihm vorging, so verbissen wie er dort saß, das Gesicht ein einziger Ausbund an Trotz. Allerdings erkannte Brad, dass es nicht nur Trotz war, was hinter den Augen schwellte. Schuldig warf ihm einen vermeintlich nichts sagenden Blick zu und wandte sich dann wieder ab. Doch es war genau dieser Zug in Schuldigs Wesen, der ihn für Brad so anziehend machte: dessen offene Art. Schuldig konnte vor ihm nichts verbergen. Nicht was seine Gefühlswelt anbelangte. Es war schwierig für Brad hier verbal kühl zu sein, auch wenn er meinte es zu sein. Doch Schuldigs Anblick in dieser Situation … „Glaubst du dein Geflenne ist die Lösung?“, fragte er mit ruhiger aber vor allem auch sanfter Stimme. Die Worte jedoch bildeten den Gegensatz dazu. Schuldig zuckte mit den Schultern und das Zittern nahm allerhöchstens noch zu. „Ich… ich…“, fing Schuldig an, doch Brad unterbrach ihn. „Ja. Du. Du bist der Grund für dieses Problem. Wenn du dich endlich entscheiden könntest, dann hätten wir dieses Problem nicht. Das weißt du doch sicher. Du könntest uns verlassen und mit Ran irgendwo anders hingehen. DAS wäre eine Entscheidung. Oder ich gehe an einen anderen Ort. Es gibt genügend Städte…“ Daraufhin schüttelte Schuldig heftig den Kopf und lachte verzweifelt auf. „Nein… ich … ich kann nicht… ich brauche dich doch du verdammter Hurensohn…“ Schuldigs Verzweiflung gipfelte darin, dass er die Hand vor den Mund schlug um das Schluchzen zu dämpfen. Er lachte und heulte gleichzeitig. Ran… was war mit Ran… er durfte nicht… er… würde ihn verlieren… Ran würde gehen. Verzweiflung breitete sich wie ein Geschwür in ihm aus und er spürte wie das Fass überzulaufen begann. Seine Kiefer pressten sich aufeinander, er festigte den Blick auf den anderen mit dem ausdruckstarken Grün, dass sich langsam verdunkelte. Brad sah sich das Ganze Drama an, bevor er näher ging und Schuldig, der immer noch auf der Brüstung saß an sich zog. Und zum ersten Mal seit längerem fühlte er ein Lächeln in sich. Man konnte es zwar nicht sehen, aber Brad fühlte es. Dieses gute Gefühl, ihn endlich… im Arm halten zu können. Jahre zogen in seinem Inneren in diesem Augenblick vorüber und er hatte das Gefühl die Zeit würde einfrieren. Pathetisch. Wahr. Schuldig klammerte sich an Brad, er keuchte auf, entließ somit den Druck wie aus einem Kessel und beruhigte sich langsam wieder, er fühlte Brads Körperwärme an seinem Gesicht. „Du bist so ein Arschloch. Das hast du mit Absicht gesagt, damit ich mich in deine Arme verkrieche“, meckerte er, kaum zu verstehen. Die beiden passten zusammen. Das bemerkte Aya sofort und es tat weh. Es tat sehr weh, so weh, dass er sich wegdrehen musste. Es war, als wäre eine Glaswand zwischen ihm und den beiden, die stetig dicker und undurchsichtiger wurde. Jetzt schon. Banshee kam zu ihm und versuchte, seine Hosenbeine hochzuklettern. Er nahm sie hoch und schmiegte sein Gesicht in ihr weiches Fell, das die gleiche Farbe wie Schuldigs Haare hatte. „Scheiße“, fluchte er leise. Scheiße, was hatte er getan, was in aller Welt hatte er hiermit losgetreten? Und was, wenn es schief gehen würde, was, wenn seine Freunde weg waren, für immer und die Sache mit Schuldig nicht gut ging? Wenn er sich für Crawford entschied? Was dann? Aya ging in die Küche, wollte den beiden ihre Privatsphäre lassen. Das war zumindest der offizielle Grund. Der inoffizielle war, dass er sie sich so nicht ansehen konnte. Unterdessen lehnte Schuldig mit seiner Stirn an Brads Brust und warf ihm einige Dinge an den Kopf, die ihm so einfielen und die ihn ziemlich gestört hatten in letzter Zeit. Eine Schimpftirade samt ausgefeilter Flüche. Brad hielt sich währenddessen damit auf ab und zu ein „sicher…“ oder ein „hmm ja“ einzuwerfen, damit der Monolog für ihn nicht ganz so langweilig wurde. Er wusste um Schuldigs Vorwürfe, hatte sie kommen sehen und konnte das amüsierte angedeutete Lächeln auf seinem Gesicht nicht verleugnen. Nach einiger Zeit in der Brads Hand in Schuldigs Nacken gelegen hatte, griff diese in die sich weich anfühlenden Haare hinein und zog sanft daran bis Schuldig verstand und sein Gesicht hob. „Was?“, fragte er unwirsch nach, entließ Brads Hemd aus seinen Fingern. „Bist du fertig?“ Schuldig nickte stumm, wischte sein Gesicht an Brads Hemd noch kurz trocken, was dieser mit einer erhobenen Augenbraue und einem nicht begeisterten Gesichtsausdruck quittierte. „Gut. Ich sollte Nagi anrufen. Und wo ist Jei?“ Schuldig rutschte endgültig vom Geländer herunter und Brad entließ ihn aus seinem Griff. Beiden tat es fast augenblicklich Leid. „Der ruht sich aus.“ Schuldig fühlte sich noch nicht ganz auf der Höhe und er wischte sich die Haare aus dem Gesicht, atmete ein paar Mal tief ein. „Willst du… willst du noch hier bleiben? Dich hinlegen? Oben auf der Galerie ist das Gästebett…“, bot er an, die Mundwinkel immer noch trotzig nach unten gebogen, aber der Blick bereits kämpferisch. Brad nickte und zog sein Mobiltelefon heraus, wählte die Nummer aus dem Gedächtnis… Währendessen ging Schuldig hinein und sah sich um. Ran war… in der Küche, stand mit dem Rücken zu ihm mit Banshee auf dem Arm und als wäre es nicht schon besser fühlte sich Schuldig schlecht. Er schluckte und ging auf Ran zu. Nicht wissen wie er ihm jetzt begegnen sollte. Er hätte schreien können… er wusste nicht mehr was er machen sollte. Warum zum Teufel hing alles an ihm? Schuldig war hinter ihm, war zu ihm zurückgekehrt, doch Aya fiel es schwer, sich zu dem anderen umzudrehen. Er wusste nicht, warum, aber er wollte es nicht, aus Angst, dass er etwas in den Augen des Telepathen las, das er nicht verwerten konnte, das ihm noch mehr verdeutlichte, welche Richtung diese Katastrophe von nun an nehmen würde. Dennoch drehte sich Aya schlussendlich Schuldig zu, Banshee noch auf dem Arm und lächelte. "Du siehst... glücklich aus", sagte er, was er beobachtete. Glücklicher als in der letzten Zeit. Glücklicher als mit ihm alleine. Er mochte sich nicht sonderlich für den Gedanken, eigentlich überhaupt nicht. In dieser Situation war es schwierig Ran nicht völlig haltlos an sich zu reißen und ihn nicht mehr los zu lassen. Das Gesicht des Japaners war nicht so ausdrucksstark wie sein eigenes, doch er hatte gelernt in Ran zu lesen. In den violetten Augen zu lesen, in den Gesten in seiner Haltung zu lesen. Und nach der Begutachtung aller Signale konnte Schuldig sagen, dass Ran vorsichtig war, er klammerte sich gerade zu an Banshee. Schuldig ging auf Ran zu , fasste sanft dessen Unterarme und küsste Rans Stirn, ließ seine Lippen zu Rans Wange hinabgleiten und traf auf die warmen Lippen, die ihre Liebkosung erhielten, derer sie gebührten. „Du hörst dich an, als wolltest du eher sagen: du siehst glücklicher aus“, wisperte er an Rans Lippen, sah ihm in die Augen und löste den Hautkontakt für einen Moment. Seine Hände schlichen Rans Arme empor verließen diese und legten sich auf Flanke und Schulterblatt. „Ist das so? Sei ehrlich.“ Er wollte von Ran wissen, ob dieser sich zurückzog, ob er Angst hatte oder ob er sich Schuldig sicher war. Wenn nicht, würde Schuldig etwas einfallen müssen um dies zu beweisen oder zu zeigen. Und zwar so, damit Ran es für sich selbst verinnerlichte. Er war noch nicht vollständig von seinem Zusammenbruch genesen und konnte erneute seelische Last nicht ertragen. Und das sollte er auch nicht. „Das auch. Aber es freut mich für dich.“ Aya lächelte und küsste Schuldig auf die Lippen, eine Spiegelung der Geste des anderen Mannes. Doch es war zögerlich, wie fremd und Aya fragte sich, wohin das noch führen sollte. Schuldig war nicht seine erste Beziehung, doch die… verletzlichste. Ihre Basis war wacklig… da sie als Feinde gestartet waren und nun eine so intensive Beziehung lebten, als wären sie nie etwas anderes als Partner gewesen. „Wir können uns Konflikte in dieser Zeit nicht leisten… es ist gut, dass ihr es klärt…“ „Das klingt nicht nach dem, was du fühlst, sondern nur nach dem, was du denkst. Und nicht einmal das nehme ich dir ab. Es ist was du denken solltest, was von dir erwartet wird.“ Schuldig strich Ran über die Wange, löste sich von ihm ein wenig und nahm Banshee im Nacken hoch um sie sofort auf den Boden abzusetzen. Was ihr natürlich nicht gefiel, denn sie hatte es sich bei Ran so schön gemütlich eingerichtet. Und hin war seine Ablenkung. Aya seufzte lautlos und sein Blick glitt aus der Fensterfront nach draußen, bevor er wieder zu Schuldig zurückkehrte. „Ich denke, was nötig ist zu denken, um uns gegen diese Gruppierung zu schützen. Und ich möchte dich glücklich sehen. Du warst vorher nicht glücklich, Schuldig, du hast unter seinem Verhalten gelitten.“ Das war jetzt vorbei. Zumindest schien es so. Es war blauäugig, das anzunehmen, da noch viele Probleme auf sie warteten. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wohin uns dieser Weg noch führen wird, doch wenn er unser Überleben sichert, ist es der Richtige.“ Schuldig sah Ran in das verschlossene Gesicht, hatte immer noch keine wirklich Antwort auf seine Frage. Das war doch alles nur Gewäsch, was Ran hier rausließ, befand er innerlich aufseufzend und schüttelte den Kopf leicht, ein schmutziges Schmunzeln bildete sich um seine Mundwinkel. „Komm mit.“ Er griff sich Rans Hand und zog ihn mit sich durch die halbe Wohnung und ins Schlafzimmer, wirbelte ihn einmal um die eigene Achse, ließ die Tür ins Schloss krachen und schubste Ran schlussendlich auf ihre große Liegewiese. Fortsetzung folgt... Vielen Dank für‘s Lesen. Bis zum nächsten Mal! Gadreel & Coco Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)