Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 147: Resistance ----------------------- Resistance Brads Versuch ein paar Stunden zu schlafen war nur marginal von Erfolg gekrönt. Entsprechend gerädert fühlte er sich als ihn ein störendes Gefühl im Gesicht weckte. Er wischte es weg, was jedoch wenig erfolgreich schien, da es wieder kehrte. Die Augen öffnend sah er gerade noch Banshees Schnurrhaare wie sie an seiner Nase vorbei nach oben tapste um sich ein bequemes Plätzchen über seinem Kopf zu suchen. Wie zum Teufel war das unnütze Tier hier her gekommen? Türen öffnen konnte sie seines Wissens nicht. Er richtete sich auf einen Ellbogen auf und strich ihr sanft über den Kopf, was ihr zu gefallen schien. „Wer hat dir dieses Kunststück beigebracht?“ Er nahm sie hoch, setzte sich mit ihr auf und beschäftigte sich einige Augenblicke damit sie zu kraulen. Es war stickig und schwül im Raum, er hatte nicht daran gedacht die Klimaanlage des Hauses wieder einzuschalten. Nagi kümmerte sich um die Systeme des Hauses. Da Nagi nun ausfiel, sollte er sich selbst darum kümmern. Was er nicht getan hatte. Banshees beruhigende Gegenwart genießend gönnte er sich diesen entspannenden Augenblick bis er aufstand um sie vor die Tür zu setzen. Irgendwie kam es ihm so vor als würde sie ihn vorwurfsvoll anblicken. „Mein Haus, meine Regeln, Kitty“, eröffnete er ihr um seine frevelhafte Tat zu rechtfertigen, was sie nicht im Mindesten zu interessieren schien, sie setzte sich und sah ihn unbeeindruckt an. Jetzt wurde schon die Katze ihm gegenüber aufmüpfig. Aber wie sollte dieses Tier Respekt vor ihm haben wenn sie von Schuldig und Fujimiya auf Rebellion und Meuterei getrimmt worden war? Wo sollte das enden? Mitleidlos schloss er die Tür von innen und wähnte sich nunmehr allein. Mit einem amüsierten Schmunzeln über seine eigenen Gedanken ging er wieder zum Bett, dort wurde er auf einen Schatten aufmerksam, der halb verdeckt vom Bett in der Ecke am Fenster saß. Er ging näher und erkannte Asugawa mit der Waffe im Schoss augenscheinlich tief schlafend. „Du hast sie herein gelassen“, sagte er und bezog es nicht auf den Schlafenden sondern auf die Person die gleich sein Zimmer entern würde. Als er so dastand und erwog Asugawa aus seinem Zimmer zu werfen, öffnete sich die Tür und Jei tauchte hinter ihm auf. Brad brauchte sich nicht umzudrehen um den Geruch von Farbe zu interpretieren und sie einer Person zuzuordnen. Davon abgesehen, dass er ihn ohnehin schon hatte... kommen sehen. „Jei? Ich will das Tier nicht in meiner Nähe haben.“ „Sie mag dich.“ „Das ist nicht mein Problem.“ „Sie wollte trösten. Es gefällt ihr nicht wenn ein Herz bricht.“ Jei wandte sich ab und ging zur Tür um nach wie vor mit der Katze konfrontiert zu sein. Banshee wartete auf ihn ungewöhnlich folgsam für eine Katze. Jei legte den Kopf schief. Nun sie war keine gewöhnliche Katze musste er zugeben. Schließlich lebte sie in ihrem Haushalt! Seine Aufmerksamkeit wurde von Banshee abgelenkt als er Crawfords Worte hörte. „Es ist mir völlig egal ob sein Herz bricht“, sagte Brad und Wut vibrierte zwischen den Worten. Er zweifelte Jeis Interpretation der Situation nicht an, diese pathetischen Worte kamen von Jei, einem Empathen. Aber was kümmerten sie ihn? Jei wandte den Kopf leicht und er sah nur das Profil im Gegenschein des Lichts auf dem Flur. „Wer spricht von seinem?“ Dann schloss sich die Tür leise und Brad stand im Dunkeln. Er hielt einen Moment inne. Jei war kein Lügner, er würde dieses ethische Problem eher umgehen indem er ihm keine konkrete oder lediglich eine unvollständige Antwort gab. Brad ging um das Bett herum. „Ich will es nicht... “, flüsterte er zu dem Schlafenden und die Dringlichkeit dieser Worte ließ ihn erneut zögern. Jahrelang hatte er gewusst was zu tun war, wohin der Weg führen würde. Nun schien diese illusionäre Sicherheit zu schwinden und er wurde unsicher auf dem Weg den er für sie eingeschlagen hatte. Viele Unwägbarkeiten kamen in letzter Zeit hinzu, die Visionen waren vielfältiger geworden, schwieriger einzuschätzen und noch kannte er nicht alle Gegebenheiten. Wie sollte er da eine Einschätzung vornehmen können um sie alle zu schützen? Und jetzt noch einer mehr, den er in seine Einschätzung aufnehmen sollte? Einer der ihn dazu zwingen wollte, mit allem was er war, mit seinem ganzen Wesen...? Falls er Schuldig glauben schenken wollte. Schuldig hatte zudem den Vorschlag unterbreitet, dass sie aus der Deckung kommen sollten. Nur was war die Konsequenz daraus? Einen Totalausfall wie Nagi ihn hingelegt hatte? Ihre Fähigkeiten waren instabil, weniger gut geschult, weniger kontrolliert als sie allen glauben machen wollten. Nachdem sie SZ vernichtet hatten waren sie in kurzen Abständen anderen PSI begegnet, allesamt waren ihre Fähigkeiten zwar schwächer, aber sie hatten sie besser im Griff und sie waren flexibler und versierter in ihrer Anwendung. Er näherte sich ihm wieder, kniete sich hin und hob den zur Seite gesunkenen Kopf an. Die Lippen öffneten sich, die Augen blieben geschlossen. Brad konnte sich kaum von diesem Bild losreißen. Hingebungsvoll, verletzlich, erotisch... dennoch für einen Attentäter, einen intriganten Spion, der stets auf der Hut sein sollte ein unnatürlich tiefer Schlaf. ‚Schuldig’, hegte Brad einen Verdacht in den stillen Äther hinein. ‚Jepp, zur Stelle!’, antwortete dieser eilfertig - eine Spur zu beflissen für Brads Geschmack. Was die Vermutung nahe legte, dass Schuldig sich bereits in seinen Gedanken aufgehalten hatte. ‚Du brichst die Vereinbarung, die wir getroffen haben bezüglich des Aufenthaltes in meinen Gedanken.‘ ‚Ich war nur um dein Wohl besorgt.‘ Brad bezweifelte das, ließ es jedoch für den Moment gut sein. Neugierde war wohl eher der Beweggrund. Zu gegebener Zeit würde er darauf zurückkommen. ‚Was ist mit ihm, er wacht nicht auf.’ ‚Oha höre ich da Besorgnis...?’ ‚Treibs nicht zu weit...’, grimmte Brad und spürte einen Hauch von Resignation in sich aufkommen. Die Zeit... in der er Schuldig dafür sanktionieren konnte wenn er ihn ärgerte war leider vorbei. Er hatte diese befriedigende Verantwortung an Fujimiya abgetreten, was ihm geblieben war, waren simple Worte der Warnung, die ihre Schärfe verloren hatten. Wann war das passiert? Seit ihre beider Vergangenheit mit Kitamura ans Licht gekommen war, gab er sich selbst die Antwort. ‚Ich hab ihn schlafen geschickt, er war fertig und er wollte nicht schlafen solange Euer Hochwohlgeboren noch schläft, damit Eure Eminenz nicht von einem Attentäter gemeuchelt wird.‘ ‚Das ganze verdammte Haus ist voller Attentäter!‘ fühlte sich Brad verpflichtet darauf hinzuweisen. ‚Haben wir keine Gästezimmer mehr?’ ‚Keine die frei wären.’ ‚Was ist mit der Couch?’ ‚Die habe ich gerade angezündet, wieso?’, fragte er tatsächlich. ‚Er kann hier nicht schlafen.’ ‚Weshalb? Dein Bett ist das größte im Haus.’ ‚Weil ich Ruhe brauche.’ ‚Er schläft, wie soll dich ein schlafender Mann der dich nicht die Bohne interessiert von deinem rechtschaffenen Schlaf abhalten?’ ‚Weil ich allein sein möchte, verstanden?’ ‚Es gibt nichts was er noch nicht an deinem Astralkörper gesehen oder berührt hätte, also tu dir keinen Zwang an, Boss. Und wenn du so erpicht darauf bist deinen Luxuskörper in einem überdimensionalen Bett zu wälzen und das allein, dann lass ihn gefälligst dort sitzen wo er jetzt sitzt und nerv mich nicht länger, ich will schlafen. Du kannst ihn auch Jei übergeben, er hat ohnehin Interesse an ihm bekundet. Adieu.’ ‚Was heißt hier ich nerve dich?‘ Es kam keine Antwort mehr. „Dammit!“ In der Heimatsprache zu fluchen barg noch immer die größte Befriedigung. Er setzte sich zu Asugawa. „Was soll ich mit dir machen?“ Schuldig sagte, dass er sich an den Mann gebunden und dieser die Bindung angenommen hatte. War es wirklich damals geschehen? Oder erst dieses Jahr? War seine Gemütslage derart derangiert gewesen, dass er sich dem nächstbesten an den Hals geworfen hatte? Er verwarf diesen Gedankengang im Hinblick auf Schuldigs Schilderung von Asugawas Seelengerüst. Es hatte den Anschein, dass es tatsächlich in der Zeit gewesen sein musste als er jünger und verletzlicher gewesen war. „Es wäre leichter dich hier und jetzt zu töten, als dich dort hinaus zu schicken“, sagte er leise. War es das? Hatte er Angst ihn zu verlieren? Wo er doch noch gar nicht sicher war ob er ihn aufnehmen wollte. Er war verwirrt und es störte ihn immens. Brad seufzte. Ein verwirrter Hellseher… war langfristig gesehen keine positive Entwicklung. War es wie bei Schuldig und Ran? Diese Art extremer Bindung war ihm fremd, sie existierte nicht in seiner Vorstellung. Er wusste nicht wie es war einen Menschen näher als Schuldig, Nagi oder Jei an sich heran zu lassen. Und gerade vor ihnen musste er seine Gedanken, Gefühle und seine Absichten verbergen um Handlungsfähig zu bleiben. Er war es der zwischen dem Irrsinn, der unkontrollierten Wut und ihren Fähigkeiten einen klaren Weg fand und sie stets darauf gehalten hatte um zu überleben und um ihre Freiheit zu wahren. War es nicht immer er gewesen, der sich mit den Konsequenzen ihrer Taten auseinander gesetzt hatte? Nur diesen klaren Weg fand er zurzeit nicht. Zu viele Einflüsse, zu viele Hindernisse, die nicht einfach wie es ihm beliebte aus dem Weg geräumt werden konnten. Die Schlinge zog sich zu und es war sein Hals der in ihr steckte. Er war derjenige der am Meisten dabei verlieren würde wenn sie untergingen. Denn wenn er sie alle verlor, wer sollte dann auf dem Weg gehen, den er in die Zukunft weisen konnte? Dann wäre das was ihn ausmachte nutzlos geworden. Die Welt definierte ihn über seine Hellsicht, was war er anderes als ein Hellseher? Sein gesamtes Team hatte sich um ihn geschart weil er war was er war, nicht weil er ein so liebenswürdiger Zeitgenosse war. Er selbst definierte sich über seine Hellsicht. Was war er ohne sie? Brad blieb noch einen Moment dort sitzen bevor er sich dazu entschloss endlich schlafen zu gehen. Er hob Asugawa hoch, legte ihn auf dem Bett ab und zog ihm die Stiefel aus. Nachdem er ihn zugedeckt hatte legte er sich daneben und versuchte ebenfalls zu schlafen. Was ihm nur schwer gelang, doch irgendwann musste er eingeschlafen sein, denn als er aufwachte war es Mittag. Er sah neben sich, das Bett war bis auf ihn leer, das Zimmer ebenso. Er stand auf und ging wie er war – mit einer leichten Schlafanzughose in mondänem Schwarz ins Badezimmer um sich zu erleichtern. Ein leichter Bartschatten zeugte von der fälligen Rasur, seine Haare standen in alle Richtungen ab, was auch das bisschen Sortieren mit den Fingern nicht in Ordnung brachte. Er ließ sich Zeit damit sein Gesicht zu waschen und sich abzutrocknen. Sein Weg führte ihn wieder ins Schlafzimmer zurück, dort öffnete er die Fenster, im Glauben daran, dass er frische kühle Luft hereinlassen würde. Doch die drückende Schwüle, die durch die geöffneten Fenster waberte, ließ ihn sehr schnell die Rollläden wieder hinunter fahren. Auf dem Weg nach unten ging er am Besprechungsraum vorbei und fuhr alle Systeme der Rechner hoch. Unten angekommen bemerkte er mit Zufriedenheit, dass der Umzug weiter voranschritt. Nachdem die Spülmaschine lief hatte das Mittagessen wohl schon stattgefunden. Fujimiya saß am Küchentisch und war damit beschäftigt Schuldigs Luger zu reinigen. Er hatte auch Finns Messer vor sich liegen. „Wo ist er?“ Ran sah auf als er den Raum betrat. „Wen meinst du?“, fragte Ran beiläufig und täuschte Desinteresse vor. Er vermutete, dass es nur einen Menschen gab, der momentan in Brads Fokus lag, verkniff sich dabei aber eine Bemerkung über seine legere Aufmachung. Mit Crawfords Maßstäben gesehen war diese modische Entgleisung ein Zeichen von Disziplinlosigkeit. Es war schwül heute und eine drückende Hitze lag über der ganzen Stadt. Nur war das Grund genug für den stets korrekt gekleideten Amerikaner hier halb nackt in der Küche herumzulaufen? Wer hatte hier einen derart schlechten Einfluss auf Crawford? „Asugawa.“ Brad lieferte unbeabsichtigt die Antwort auf Rans unausgesprochene Frage. „In der Garage.“ Ran zierte sich mit der bereitwilligen Freigabe von Informationen. Schuldig hätte gesagt: Hellseher-like. Ran schmunzelte ungesehen von Brad, da dieser gerade den Kühlschrank inspizierte. Brad schloss ihn nun langsam. „Um was dort zu tun?“ „Schlafen.“ Brad schien die eigene Medizin nicht zu schmecken und Ran gefiel es, den Hellseher aufzuzeigen wie wenig befriedigend es war einsilbige Antworten auf drängende Fragen zu erhalten. Offenbar war Fujimiya nicht sehr gesprächig heute. „Und warum schläft er in der Garage?“ „Weil es sonst keinen Platz für ihn im Haus gibt. Auf der Couch hat er es nicht lange ausgehalten. Das lag daran, dass Schuldig und Jei sich das Erdgeschoss vorgenommen haben. Es war zu laut, dann ist er auf einer der Liegen am Pool ausgewichen.“ „Lass mich raten, ihr habt den Pool eingelassen?“, wagte Brad eine Prognose. „Yohji wollte deiner Schwester etwas Abkühlung verschaffen“, konnte sich Ran diese Bemerkung nicht verkneifen. Brad lehnte sich an die Anrichte und verschränkte die Arme. „Ganz selbstlos, natürlich“, fügte Ran an und musste sich beherrschen um nicht zu grinsen. Yohji flirtete auf Teufel komm raus mit des Teufels Schwester. „Natürlich“, antwortete Brad spöttisch. „Schlussendlich habe ich ihn dann in der Speisekammer auf dem Boden entdeckt.“ Brads Miene verfinsterte sich ob dieser Schilderung. Was versuchte Asugawa mit diesem Verhalten zu bezwecken? Wollte er sein nicht vorhandenes Mitleid wecken? Ran hielt es für das Beste zum ursprünglichen Thema zurückzukehren, denn wenn er sich die düstere Miene des Amerikaners so ansah fürchtete er bereits jetzt schon um Yohjis Leben. „Ich schlug ihm die Garage vor, dort ist es dunkel, der Ü-Wagen ist bequem, es ist zwar eng für seine Größe aber er schläft dort immerhin schon seit zwei Stunden am Stück. Ein Fortschritt wenn man bedenkt, dass er zuvor wenig Ruhe hatte.“ Ran legte eines der Messer vor sich auf die Unterlage ab, stand auf und holte sich einen neues Tuch. „Und bevor du fragst, ich habe es überprüft, er hat mich nicht einmal kommen hören, so weggetreten war er.“ Brad gefiel nicht, dass Asugawa nicht greifbar in seiner Nähe war. „Hat er sich dazu geäußert was diese Suche nach einem neuen Schlafplatz anbelangt?“ „Er möchte nicht bei dir schlafen, ebenso wenig in einem der anderen Betten.“ „Gibt es dafür eine Erklärung?“ Fujimiya setzte sich wieder und sah ihn ruhig an. „Er sagte es macht ihm nichts aus, er sei es gewohnt und müsse nicht in einem Bett schlafen. Zumal ohnehin kein Platz ist. Dieses Haus hat acht Schlafzimmer, in Anbetracht der jetzigen Lage ist keines davon frei. Er ist nicht dumm, Brad; ihm war dieser Umstand wohl klar. Für nähere Informationen wende dich an ihn. Wir müssen heute besprechen wie wir weiter vorgehen“, brachte Ran das Gespräch auf ein anderes Thema. „Wann sind alle da?“ Brad ging auf den Themenwechsel nur zu gern ein, musste er sich so nicht mit unangenehmen Gefühlen herumschlagen, die er ohnehin lieber ignorieren würde. „Abends; Lilliy und Omi sind noch bei Nagi und leisten ihm Gesellschaft. Sollen wir ihn herholen?“ „Ja, der Gedanke kam mir auch“, sagte Brad in Gedanken versunken. „Wie geht es Schuldig?“ „Er ist ausgeschlafen.“ Brad nickte und nahm sich einen Kaffee. „Wo ist er?“ „Im Ryokan und organisiert die Säuberung desselbigen und deiner Wohnung.“ „Es läuft also alles“, resümierte Brad. „Auch ohne dich, ja“, Ran sah auf. „Falls es das ist was deine Laune trübt.“ „Sicher nicht.“ „Gut, dann kümmere dich um das Problem.“ „Welches meinst du genau?“, hakte Brad nach, denn für ihn gab es viele Probleme um die er sich kümmern musste, oder wollte. „Der Straßenkater der dir seit einiger Zeit hinterher läuft und am Verhungern ist.“ Brad sagte nichts, nahm sich seinen Kaffee und seine Zeitung und ging in Richtung Garage. Ran sah ihm nach und das Schmunzeln weitete sich zu einem düsteren Grinsen aus. Schuldig wäre von dieser Zurschaustellung von sadistischer Zufriedenheit begeistert gewesen. Brad enterte den Überwachungswagen, stellte den Kaffee auf die nächste Abstellmöglichkeit, räumte Pads, flexible Tastaturen und sonstiges auf die Seite und legte seine mitgebrachte Tageszeitung in digitaler Form vor sich ab. Ein Blick hinüber zur Liege zeugte davon dass Finn Asugawa aufgewacht war. „Schlaf weiter“, sagte Brad in befehlendem Tonfall und nahm einen Schluck Kaffee. „Ein guter Schlafplatz, beengt, aber dennoch kühler als im Rest des Hauses.“ Asugawa schloss langsam die Augen wieder, dankbar dafür, dass ihm jemand seinen Schlaf gönnte. Nur um sie dann wieder aufzureißen und sich aufzusetzen als er bemerkte wer ihn mit seiner Anwesenheit beehrte. „Ich... bin... wach“, murmelte er reichlich verschlafen und versuchte Brads nackten Oberkörper zu ignorieren. Das hatte er schon versucht als er aus dem Bett gekrochen war. Bei dem Versuch war es geblieben als er sich dabei erwischte wie er Brad sehr lange beim Schlafen beobachtet hatte. „Natürlich bist du das, aber ich habe angeordnet, dass du schlafen sollst.“ „... du bist nicht umsonst hier. Was soll ich tun?“ Finn wischte sich den Schlaf aus den Augen. Er fühlte sich wie ausgekotzt und wagte nicht zu fragen ob Brad ihm beim Schlafen zusehen wollte. Was außer einer Aufgabe die Brad ihm zuteilen wollte konnte dieser sonst von ihm wollen? „Schlafen.“ Brad lächelte milde, dieser Anblick hatte etwas für sich, ein heruntergerutschter Pullover in Übergröße, der eine halbe Schulter offerierte und ein Schlüsselbein freilegte. Der Verband um den Hals saß zu locker, er sollte bald erneuert werden. Dieser Umstand zeugte von nachlässigem Umgang mit seinen Wunden. Was inakzeptabel für Brad war. Das Arrangement krönte ein sehr verschlafener Blick und die Bemühung selbigen zu kaschieren um Wachheit vorzutäuschen. Dazu noch die glatten halblangen Haare, die ihm ins müde blickende Gesicht fielen. „Ich bin hier um Zeitung zu lesen und meinen Kaffee zu trinken ohne den Trubel in diesem Haus. Und du bist hier um zu schlafen. Also tu es.“ „Aber...“ Finn hatte dieses Lächeln gesehen, aber er hatte auch erkannt, dass es nicht die Augen erreichte. Diese fantastischen Augen, die ihn magisch anzogen. Wenn Brad ihn ansah, dann hatte er den Eindruck als würde dieser Blick in sein Innerstes gehen, als würde sein ganzes mickriges Leben vor diesem Mann ausgebreitet liegen. Von ihm ging eine Ausstrahlung aus die ihn auf gewisse Weise einschüchterte, ihn aber auch anzog. Bei Schuldig, einem Telepathen, vor dem er zuvor die größten Ängste besessen hatte, fühlte er sich nicht derart bloß gestellt. Und das obwohl Schuldig alles von ihm wusste. „Warum bist du nicht liegen geblieben?“ Finn legte sich wieder zur Seite knüllte sein Kissen zusammen und zog die Beine an, es war sonst unmöglich bequem zu liegen. Er lag jetzt auf dem Rücken und sah an die Wagendecke. „Wie kann ich dort schlafen wenn...“ „... wir dort gefickt haben?“ „Nein, wir haben miteinander geschlafen“, sagte Finn ruhig. „Ficken würde ich das nicht mehr nennen. Es spielt keine Rolle mehr. Warum sollte ich mich freiwillig an das erinnern wollen was ich nicht mehr haben kann?“, fragte er und zuckte mit den Schultern. Sie hatten gut zueinander gepasst, als wären sie füreinander geschaffen worden. Kein einziges Zeichen der Unsicherheit, jede Berührung wie sie hatte sein sollen, als würden sie sich schon ewig kennen. Mit dem gleichen Dilemma schlug sich Brad ebenfalls herum, denn er würde den unbeschwerten unschuldigen Mann von damals nicht zurückholen können. „Diese Lüge bekommen wir nicht zurück, heute Nacht war lediglich ein Echo dieser Lüge.“ „Es war keine Lüge, ich habe jede Berührung so gemeint wie ich sie gemacht habe“, sagte Finn. Er wusste wie sich eine Lüge anfühlte. Sein Leben war eine Lüge. „Und ich habe die Berührungen bekommen wie ich sie mir erhofft hatte.“ Ich kann dich nicht aufnehmen, dachte Brad plötzlich und stellte seine Tasse ab. Es war einer dieser Momente in denen man etwas erkannte, was bereits längst eingetreten war. Er konnte ihn nicht reinlassen, wenn er es tat... er war sich nicht sicher wie es enden würde, denn er sah das Ende nicht. Er hatte Nagi reingelassen und Schuldig... Tja was und? Dafür hatte er seine Schwester mit der Vergangenheit zurück gelassen um sie zu schützen. Welche Konsequenz hatte es diesen Mann näher an sich heran zu lassen? Es war zeitweise schmerzhaft gewesen, für sie alle. Warum sträubte er sich bei diesem hier so sehr? Was war er anderes als ein weiteres ausgesetztes Kätzchen um bei diesem bildhaften von Fujimiya angeregten Vergleich zu bleiben, dass... Brad verdrängte den Vergleich. Jeder seiner Feinde könnte diese Beziehung gegen ihn verwenden. Und selbst wenn er dies außer Acht lassen würde, was sollte er eine Beziehung zu... was? Er wurde wütend auf seine Gedankengänge. Auf was? Einer manipulativen, verräterischen Schlampe? ‚Weißt du nichts über ihn außer das?’, keimte ein Gedanke in ihm auf und es war nicht Schuldig den er zu Gast hatte. Ja, tatsächlich wusste er nicht mehr als das. Brad ließ seinen Blick wieder über die müde Gestalt gleiten. „Es gibt einen Platz im Haus den ich dir anbieten kann - falls du ihn willst. Es sei denn dir gefällt dieser Wagen hier. Es spricht einiges dafür hier zu schlafen, er ist geschützt vor Blicken, du könntest leicht fliehen und dabei hättest du sogar einen fahrbaren Untersatz, der auf dem neuesten Stand ist“, räumte er ein. Finn sah ihn bar jeder Emotion an und Brad konnte absolut nichts, rein gar nichts auf diesem Gesicht ablesen, was sich dahinter abspielte. Finn verspürte Widerwillen gegen den Gedanken an Flucht. Wo sollte er hin? Wollte Brad ihm damit sagen, dass er abhauen sollte? Oder war das eine Prüfung seiner Loyalität ihm gegenüber? Finn fühlte sich ratlos. Brad verglich diesen Mann heute erneut mit dem Mann der ihm damals so offen und warmherzig erschienen war. Nun hatte er jemanden vor sich sitzen, den er nicht einschätzen konnte, obwohl er kein Serum bekommen hatte. Finn war sich nicht sicher wohin dieses Gespräch führen würde. Brad sah ihn mit diesen schimmernden Augen an und Finn war klar, dass er in alles einwilligen würde, was dieser ihm anbot. „Wo ist dieser Platz?“ „Im Keller.“ Vielleicht doch nicht in alles. Finns Mundwinkel zuckten als er plötzlich ein Lachen in sich spürte und es herausließ. „Im Keller? Ist das dein Ernst? Ist das nicht ein bisschen zu sehr Cosa Nostra-mäßig?“ „Was ist so komisch daran?“ Brad fühlte sich nicht ganz ernst genommen und entsprechend verschnupft reagierte er auch. „Komm mit.“ Er mochte dieses Lachen, es klang ehrlich amüsiert. Es erinnerte ihn an… Sophie Fuchoin. „Nein, ich komme nicht mit“, Finn winkte ab und lag halb lachend verdreht auf der Liege. Brad war bereits mit einem Bein aus dem Van und drehte sich nun wieder um. Wieso zog er immer nur die kratzbürstigen, eigensinnigen Menschen an? Er seufzte innerlich und stellte die von ihm erwartete Frage. „Weshalb nicht?“ „Ich will nicht in euer... Folterstudio... oder wie auch immer ihr diese Art Raum bezeichnen würdet.“ Finn hatte sich aufgesetzt und sah ihn an. „Du meinst einen ähnlichen Raum wie den in dem du meine Schwester angeblich gefoltert hast. Mit nur einem Stuhl, viel Platz und abgeschottet um mögliche Schreie vor der Außenwelt zu verbergen? Einen Raum der gut zu reinigen ist?“ Finns Schultern sanken etwas herab. „Ja... so einen Raum meinte ich“, erwiderte er mit wesentlich weniger Elan als zuvor. Er fühlte sich unwohl unter dem ruhigen Blick. Ihre Unterhaltungen bezüglich seiner Aktivitäten in den letzten Jahren waren bisher nicht sehr erfreulich oder gar konstruktiv verlaufen. „Ich war in einer... schwierigen Lage. Es war nicht gerade einer meiner Glanzleistungen... aber ich wusste nicht wie ich alle unter einen Hut bringen sollte“, begann er mit einer Rechtfertigung, war sich aber nicht sicher ob sie Gehör finden würde. Nüchtern betrachtet war es eine Glanzleistung, das zuzugeben empfand Brad jedoch als unzweckmäßig. Schließlich waren sie das Opfer dieser sogenannten Glanzleistung. Bei all dieser nüchternen Betrachtungsweise musste er zugeben, dass es ihm gefiel wenn dieser Intrigant etwas kleinlaut wurde. Das schlechte Gewissen schien an dem Mann zu nagen, ein Umstand den Brad begrüßte: Asugawa besaß ein Gewissen. Brad könnte daran Geschmack finden. „Kommst du nun, mein Kaffee wird kalt. Und ich werde... wie sagt Schuldig so schön... unleidig wenn mein Kaffee kalt wird.“ Das stimmte nicht ganz, denn Schuldig hatte dafür drastischere Beschreibungen angeführt. „Offenbar ist das ein Zustand, in dem dich keiner deines Teams gerne um sich hat.“ Finn zog die Beine von der Liege und folgte Brad aus dem Wagen, samt seiner Decke und dem Kissen. Sie durchquerten die weitläufige Garage, deren Inhalt zum gegenwärtigen Zeitpunkt vier Wagen inklusive dreier Motorräder zählte. Die Größe zeugte jedoch davon, dass der Platz für mehr als zehn Wagen reichen würde. In der Küche fanden sie noch immer Fujimiya vor wie er am Tisch saß, eine Reihe von unterschiedlichen Waffen vor sich. Dieses Mal hatte er Messer in verschiedenen Größen zur Pflege. Finn blieb stehen. „Sind das meine?“ Fujimiya trug gerade eine Schicht Öl auf eine der Klingen auf. „Ja. Hast du etwas dagegen?“ Finn unterdrückte den Impuls Zuspruch bei Crawford zu suchen. Fujimiya war gefährlich und auf Finn machte es den Eindruck als ströme diese Gefahr aus jeder Pore des vor ihm sitzenden Japaners aus. Und Chiyo hatte von ihm verlangt diesen Mann hier zu beschützen? Das war geradezu lächerlich. „Nein, nein. Ich meine nur... dass ich das selbst erledigen kann“, beeilte er sich zu versichern. „Davon gehe ich aus. Ich habe Zeit und wir sollten vorbereitet sein“, kam die Antwort. Finn wusste durchaus wann ein Gespräch beendet war, also sah er zu, dass er Crawford einholte. Finn fühlte sich nicht mehr ganz so müde, aber immer noch nicht fit. Die Verletzungen die Kudous Draht angerichtet hatten als sie ihn gerettet hatten waren längst nicht verheilt. Eine zusätzlich kleine Dosis Schlaf wäre sicher nicht verkehrt. Er folgte Brad durch die Küche, in einen kleinen Gang, an dessen Ende eine Treppe nach unten führte. „Unter dem Hauptgebäude gibt es mehrere Räume, unter anderem einen Trainingsraum, einen für Waffenübungen und dann noch diesen hier. Er war für andere Zwecke vorgesehen, aber er genügt vielleicht deinen Ansprüchen.“ Brad öffnete eine schwere Tür und knipste das Licht an. Finn trat ein und erspähte ein Bett für eine Person, antiquierte Büromöbel, Karteischränke und leere Regale. Für Finn sahen sie aus wie Überbleibsel eines Büros, die niemand mehr brauchte. Der Raum war größer als Brads Schlafzimmer. Es war also nicht nur eine Besenkammer. „Gut, ich nehme ihn dankbar an“, sagte Finn höflich, aufgrund der Offerte, die Brad ihm bot. Er hatte schon an widrigeren Orten genächtigt und er durfte ein Geschenk nicht ausschlagen, wenn es ihm gegeben wurde. „Du hast ihn zur freien Verfügung. Schade niemandem der hier lebt.“ „Dann darf ich keine Bomben basteln?“, fragte Finn scheinheilig als Brad sich zum gehen wandte. Er war nicht so der Bombenbastler...eher der Giftmischer. Er mochte den heimlichen Tod ohne Aufsehen lieber. „Nimm es ernst.“ „Das tu ich“, rief er noch nach, als die Tür ins Schloss fiel. Finn hastete hinterher und riss die Tür wieder auf. Sie ging mühelos auf und Brad drehte sich mit einem Lächeln halb zu ihm um. Für Finn hatte es einen spöttischen Beigeschmack. „Ich sperre dich nicht ein, du hast ein Versprechen gegeben. Ich… vertraue darauf, dass du es hältst.“ Finn nickte. „Kümmere dich um deine Wunden.“ Finn hob fragend die Augenbrauen. „Ist das so etwas wie eine... Anweisung?“ Finn wollte nicht das Wort Befehl in den Mund nehmen, aber es klang fast so. „Es ist ein Befehl.“ Brad neigte den Kopf als wolle er fragen ob Finn etwas dagegen einzuwenden habe. „Und – nur einmal angenommen – ich würde darauf antworten, dass sie wesentlich besser heilen würden, wenn du mir dabei helfen würdest?“ Finn lächelte. „Dann würde ich dir antworten, dass du dir dieses Privileg nicht verdient hast.“ In Brads Gesicht bewegte sich kein Gesichtsmuskel, nichts nur Ausdruckslosigkeit brachte er Finn entgegen. „War es nicht so, dass du es... vor ein paar Stunden getan hast?“ „Eine Notwendigkeit.“ Finn spürte wie die Kälte in Brads Stimme auf ihn überzugreifen schien. „Ich verstehe.“ Er schloss die Tür wieder, entschied sich aber dafür sie etwas offen zu lassen. Brad war wirklich nicht der humorige Typ. Aber er war auch nicht der Typ der Spielchen mochte, keine verbale Hinterlist, keine Fallstricke, vor denen er aufpassen musste und die ihm das Genick brechen konnten. Klare Regeln... vielleicht ohne Hintergedanken. Vielleicht ein ganz anderes Leben als bisher. Trotz allem war er schwierig zu knacken. Aber Finn war geduldig und auch wenn die Situation nicht gerade rosig aussah – das tat sie bei genauerer Betrachtung sowieso selten – würde er so schnell nicht aufgeben. Da war allerdings noch die Kleinigkeit, dass Brad ihm das Serum nicht geben wollte. Freiheit war etwas Neues für ihn, so ohne örtliche Begrenzung durch jemanden der ihn jederzeit töten lassen konnte wenn er nutzlos geworden war. Nun, Brad hatte dies jederzeit in der Hand, leichter als Chiyo es je vermocht hätte. Jeder in diesem Haus könnte dies bewerkstelligen. Und nutzlos war er allemal für Schwarz geworden – Schuldig hatte alle Informationen die er brauchte. Chiyo hatte ihn stets an der kurzen Leine gehalten. Es gab Regeln für jeden Fall in seinem bisherigen Leben. Regeln wie er sich im Haus verhalten musste, wie er sich gegenüber diesem oder jenem Menschen verhalten musste. Die wichtigsten Regeln jedoch lautete: Nimm dir was du kriegen kannst und am Besten so, dass niemand bemerkt, dass du etwas genommen hast. Schieb anderen deine Fehler in die Schuhe damit du eine weiße Weste hast. Und jetzt? Jetzt war er umgeben von Menschen die ihn durchleuchten konnten wie sie wollten. Das hier war vielleicht weniger Freiheit als bisher. Aber es fühlte sich noch nicht schlimm an. Finn löschte das Licht und warf das Kissen auf das Bett, dann schlug er die Decke über sich und hoffte auf Schlaf. Er atmete tief ein und lauschte auf seine Umgebung. Es war ruhig hier, von den beiden geöffneten Kellerfenstern aus, hörte er entfernt Stimmen. Das Bett muffelte etwas, es war staubig hier unten, aber kühler als sonst an einem Platz in diesem riesigen Haus, was es schon wieder angenehm machte. Ab und an öffnete er noch seine Augen um den Lichtspalt im Auge zu behalten, er hegte die Befürchtung, dass die Tür doch noch abgesperrt wurde... Als Brad wieder in der Küche ankam schenkte sich Ran gerade einen Tee ein. „Dann lebt dein Haustier jetzt im Keller?“ Brad hob nur eine Braue ob der Titulierung ihres Gastes, er enthielt sich eines Kommentares, er war nur der Provokation gedacht. Er setzte sich an den Tisch, stellte Pad und Tasse ab und fuhr sich durch die Haare. „Vorerst.“ „Warum?“ „Warum nicht?“ „Weil es der Keller ist“, fühlte sich Ran genötigt, explizit darauf hinzuweisen. „Wir alle müssen uns erst daran gewöhnen, dass er hier ist. Ihm zu viele Privilegien zu gestatten ist nicht für alle nachzuvollziehen. Vor allem nicht für Nagi. Ich möchte ihn im Auge behalten ohne ihn einzusperren, aber weit genug von einem wütenden, rachsüchtigen Telekineten entfernt.“ Ran schätzte, dass sich einer hier im Haus zuallererst daran gewöhnen musste. „Habt ihr schon... geredet?“ Brad nahm einen Schluck des lauwarmen Kaffees. Er verzog das Gesicht und stand auf. „Worüber? Es gibt vieles was wir besprechen müssen.“ Er kippte den Kaffee weg und begann damit sich einen neuen zu machen. Schade drum. „Über seine Vergangenheit.“ „Nein. Das spielt auch keine Rolle zumindest im Augenblick nicht. Das fehlende Vertrauen dagegen schon. Was nützt es wenn er behauptet all die Jahre nur um unser... um mein Wohlergehen besorgt gewesen zu sein, wenn wir ihm nicht vertrauen können? Vor allem wenn er dasselbe Spielchen spielt, dass er all die Jahre mit dem Clan spielte.“ „Schuldig sagt wir können ihm vertrauen.“ „Ja, nur wegen Schuldigs Expertise ist er hier“, räumte Brad ein. Er trank seinen Kaffee und sah Ran dabei zu wie dieser mit seiner Arbeit fortfuhr. „Was hältst du davon wenn wir deinem geschätzten Großvater einen Besuch abstatten?“, fragte Brad plötzlich. Ran sah von seiner Arbeit auf. „Du fragst mich?“ Brad machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es ist dein Großvater.“ Ran antwortete nicht sofort und Brad ließ ihm die Zeit. „Gibt es andere Optionen?“ Ran scheute sich davor diese Tür zu einer Vergangenheit aufzustoßen die vielleicht eine Veränderung herbeiführen würde. Schuldig hatte Recht damit, dass seine Mutter wahrscheinlich einen guten Grund dafür gehabt hatte den Kontakt zu ihren Eltern abzubrechen. Aber er wollte immer noch Antworten und er wollte sie alle. Nur... öffnete er die Büchse der Pandora dann konnte er das was daraus entwich nicht einfach so wieder hineinstopfen. Was würde noch auf sie zukommen? War dieses Wissen es wert alles was sie bisher erreicht hatten aufs Spiel zu setzen – um der Wahrheit willen? „Die gibt es.“ Brad legte das Pad zur Seite, zog sich seinen Kaffee heran und setzte sich seitlich an den Tisch. „Asugawa könnte zurück zu Chiyo gehen, wir folgen ihm und finden sie auf diesem Weg. Ich habe noch einen Deal mit ihr, über einen alten Vertrag.“ Brad pokerte hoch dem Weiß Anführer hier seine Machenschaften zu offenbaren. In Anbetracht der momentanen Lage jedoch war es nutzlos geworden es geheim zu halten. „Was für ein Deal?“ „Sie sichert mir einen alten Vertrag zu, dafür bekommt sie Asugawa, das Mädchen und dich.“ Rans Augen schmälerten sich. „Zunächst... um was geht es in diesem Vertrag?“ Brad lächelte minimal. Ihm war bewusst was nach dieser Frage kommen sollte. „Um die Zusicherung von Waffen, Männern und Support.“ „Von wem?“ „Der Sakurakawa Organisation und somit Kritiker.“ „Du bist dir sicher, dass wir Unterstützung nötig haben werden?“ „Ja.“ „Warum?“ „Das kann ich dir nicht sagen.“ „Du kannst nicht oder du willst nicht? Ich bin…“ Ran verstummte. „wir sind keine kleinen Kinder, die du schonen musst vor der großen hässlichen Wahrheit in dieser weiten, kalten Welt.“ „Das ist mir durchaus bewusst.“ Brad lehnte sich auf dem Stuhl zurück und betrachtete sich sein Gegenüber für einige Minuten. „Eine Vorhersage ist primär unsicher, ihr Muster festigt sich sobald mehrere Gegebenheiten eintreffen. Die Vorhersage gewinnt dann mehr und mehr an Festigkeit.“ „Hmm, du willst solange es noch nebulös ist nichts sagen? Damit wir nichts unternehmen um die Zukunft weiter zu verändern.“ „So ähnlich. Jede Veränderung benötigt erneut mehrere Gegebenheiten um sich erneut zu festigen, ein ewiges Spiel. Außerdem verändert ihr aufgrund einer Aussage von mir erneut das Ereignis, könnte dies auch Auswirkungen auf die Vergangenheit haben.“ „Ist das schon einmal vorgekommen?“ „Das herauszufinden ist mir bisher noch nicht gelungen. Wird die Vergangenheit geändert verändern sich auch unsere Erinnerungen daran. Für uns erscheint sie logisch und plausibel.“ „Hast du etwas Konkretes gesehen?“ „Ich kann dir nur sagen, dass wir in etwas verwickelt sind, dass es nötig werden lässt, dass wir Unterstützung brauchen werden. Nur: wen wir zur Unterstützung benötigen werden ist mir noch nicht klar.“ „Weshalb will sie Asugawa?“ „Um ihn für seine Subordination zu bestrafen, oder anderer Dinge. Vielleicht will sie ihn auch nur um Sowa einen besseren Handel anbieten zu können, wer weiß?“ „Du wolltest ihn Sowa überlassen?“ fuhr Ran auf. Die Waffe in seiner Hand war noch nicht abgelegt und Brad lächelte spöttisch ob dieser gewollten oder auch ungewollten subtilen Drohung. „Die Dinge haben sich geändert, aber ja, ich hätte ihn Chiyo überlassen. Wie sie mit ihm verfahren wäre... nun das war schließlich nicht mein Problem.“ Es waren seine Worte, die seinen Mund verließen, aber er stand nicht ganz dahinter. Nicht mehr. „Und was ist mit mir?“ Ran fand diese Ehrlichkeit geradezu erfrischend von dem Mann, ihm war jedoch auch bewusst, dass sie hier über Dinge sprachen, die so nicht mehr stattfinden würden. Zumindest nicht auf diesem Weg. „Das lag und liegt kaum in meinem Ermessen, sie aber in dem Glauben zu lassen es wäre so war von Vorteil. Ich wollte nur herausfinden warum sie dich so dringend haben will.“ „Ich bin ihr Enkel... wenn das denn alles so stimmt.“ „Das war keine alte Dame, die sich nach ihrer Familie sehnt, die ich getroffen habe. Sie ist kalt und berechnend. Sie will etwas anderes von dir als Zuneigung. Und was genau, das weiß ich immer noch nicht. Ich dachte das große Geheimnis war, dass du ihr Enkel bist, aber da ist noch etwas anderes und vielleicht kann dein Großvater uns mehr dazu sagen.“ „Und wie sollen wir dort einfallen? Das letzte Mal wurde das ganze Gelände zerstört. Da Nagi nicht zur Verfügung steht können wir selbst das nicht zustande bringen.“ „Ein offizieller Termin?“ „Wie bei Asami?“ „Warum nicht?“ „Was haben wir ihm anzubieten?“ „Dich.“ Ran legte das Messer ab, rückte den Stuhl etwas zurück und zog ein Bein auf den Stuhl. Er nahm sich die Tasse Tee und nahm einen Schluck. „Jei sagte, dass er die Männer des Clans nicht beeinflussen konnte, Schuldig hat also ebenfalls keine Möglichkeit.“ „Das ist nicht gesagt. Wir sollten das ausführlicher mit Jei besprechen.“ Ran nickte. „Wen haben wir also?“ „Uns beide, Schuldig und Jei als Nahkämpfer, Omi, Ken und Yohji. Asugawa als Köder?“ „Nicht nur als Köder, Asugawa kennt sich in Kyoto aus, er weiß wie viele Männer zurzeit dort sind. Wir bräuchten ein Backup-Team und einen Ausweichplan, falls sich der alte Herr nicht an die Gastregeln hält.“ „Uns stehen nicht genug Männer zur Verfügung, auch wenn wir ihnen – gemessen an unserer Gesamtkapazität - überlegen sein könnten.“ „Du spielst auf unsere Fähigkeiten an?“ Ran brummte zustimmend. „Allerdings wollen wir nicht entdeckt werden, was ein subtileres Vorgehen nötig machen wird.“ „Richtig. Manx könnte uns unterstützen, wenn wir die Möglichkeit hätten sie zu fragen.“ „Sie hat nicht mehr viele Leute und sie unterstützt Chiyo.“ Sie gingen wohl beide gedanklich möglicher Strategien nach, bemerkte Ran, denn Brad sagte einige Minuten nichts. „Oder wir fangen bei Sowa an. Er ist der Lieferant dieser unseligen Truppen. Graben wir ihnen den Nachschub ab können sowohl Chiyo als auch Yoshio ihre Reihen nicht mehr füllen.“ „Das wäre für den Anfang die bessere Variante.“ „Wir sollten das heute Abend mit allen besprechen.“ „Ich denke wir sollten Nagi hinzuziehen.“ „Dann solltest du ihn selbst abholen.“ „Das macht Sinn. Es wäre von Vorteil Asugawa mitzunehmen, er wird sich um das Mädchen kümmern.“ „Ein Babysitter?“ „Damit kennt er sich aus.“ Brad trank den letzten Schluck und erhob sich, er stellte seine Tasse in die Spülmaschine und ging nach oben. Er wollte sich duschen und rasieren. Gegen Abend würden sie dann Nagi abholen. o Zürich Fabienne hatte das Treffen vor Sabin geheim gehalten. Sabin wäre wenig begeistert davon wäre wenn er wüsste, dass sie sich mit dem ehemaligen Archivar der alten Trias treffen würde. Sie war heute am Morgen bei ihm gewesen um Normalität vorzutäuschen hatte sich dann einen halben Tag ins Auto gesetzt und war nach Zürich gefahren um sich mit Peter Stiller zu treffen. Es hatte bereits zu dämmern begonnen als sie vor wenigen Minuten in dem Haus angekommen war, das sie unter falschem Namen vor einigen Monaten angemietet hatte. Sie seufzte und strich den figurbetonten Bleistiftrock glatt, obwohl dieser es kaum nötig hatte. Als sie bemerkte was sie tat stillte sie ihre Hand, sie wollte keine verräterischen Anzeichen ihrer Nervosität dem Archivar vorführen. Peter Stiller war ein Mann in ihrem Alter und sie hatten stets ein freundliches Verhältnis zueinander gepflegt. Die neue Trias hatte ihn verschont bei dem Machtwechsel vor ein paar Jahren, doch sie hatten ihn auch aufs Abstellgleis gestellt und Fabienne wusste wie wenig ihm das behagte. Er war ein Empath, wenn auch ein wenig begabter, diesen Umstand jedoch machte er mit seinem Informationsnetzwerk wieder wett, das er seit Jahrzehnten unterhielt und immer noch zu schätzen wusste. Es klingelte und Fabienne stillte ihre Gedanken. Sie ging hinaus in den Eingangsbereich und vergewisserte sich, dass es Peter war bevor sie öffnete. „Fabienne“, grüßte Peter sie und schloss die Tür. Er kam auf sie zu, nahm ihre Hände in seine und küsste sie auf beide Wangen. „Wie geht es Ihnen?“ Sie tauschten Befindlichkeiten aus, während sie ins Wohnzimmer gingen. Sie erwiderte sein freundliches Lächeln, mit einer feinen Note Traurigkeit, die ihr stets einen Hauch von Melancholie verlieh. „Ich bin in Sorge, Peter“, kam sie unumwunden zu dem Punkt, der sie beschäftigte. „Das zeichnet sie aus, Fabienne“, sagte er milde. Er bedeutete ihr sich zu setzen, bevor er selbst Platz nahm. „Geht es um Sabin?“ Sie nickte. „Indirekt.“ Ihr Blick verlor sich in der Silhouette eines Baumes der nur einer von unzähligen auf dem weitläufigen Anwesen war. Er schwieg und wartete bis sie mehr von sich preisgeben würde als nur ein Wort. Nach einigen Momenten sprach sie und ihre Stimme wurde brüchig. „Ich brauche Informationen darüber was SZ meinem Sohn angetan haben.“ „Wissen Sie denn wo er sich aufhält?“ Fabienne nickte. „Ja, er ist in Japan. Sabin möchte keinen direkten Kontakt herstellen, er scheut sich davor. Und vielleicht ist es auch der richtige Weg Vergangenes nicht erneut aufzurühren, dennoch glaube ich nicht daran.“ „Sie kennen meine Einstellung zu Sabins selbstgewählter Geißelung. Sie allein führte dazu, dass wir jetzt erneut diese Missstände innerhalb des Ordens haben.“ „Ich kann ihn nicht dazu bewegen es zu beenden. Ich brauche einen Grund, einen Grund ihn ins Leben zurück zu bringen. Etwas das ihn aufrüttelt. Gibt es Videos von den Sitzungen? Irgendetwas, das ich ihm zeigen kann, etwas, dass er seinen Sohn sieht?“ „Nein. Bradley Crawford hat sie gestohlen, ich konnte ihn bei seinem Tun keinen Einhalt gebieten. Als Archivar hatte ich damals keine große Handhabe um ihn aufzuhalten.“ Er schwieg einen Augenblick. „Fabienne ich will ehrlich sein, ich hatte damals die Hoffnung Crawford würde die Trias vereinen, sie vielleicht aussöhnen und dem Ganzen eine andere Richtung geben. Meine Hoffnung wurde enttäuscht.“ „Er ist nicht konvertiert?“, fragte sie, als wüsste sie es schon und wollte sich noch einmal bei jemand anderem die Sicherheit holen. „Nein. Crawford wurde... und das wissen wirklich wenige... niemals einer Konvertierung unterzogen. Er tat und tut das was er tut aus freien Stücken. Was seine Intention nur noch schrecklicher erscheinen lässt. Ganz Schwarz mittlerweile ebenso, sie brachen die Konvertierung, allerdings wird vermutet, das sie Schwierigkeiten mit ihren Fähigkeiten bekommen haben sollen. Es wird behauptet, dass sie dem Irrsinn verfallen sind. Ein Umstand der sie brandgefährlich erscheinen lässt.“ „Sie wissen wer mein Sohn ist?“, fragte sie neutral, doch innerlich war sie aufgewühlt. „Ja, ich weiß es.“ „Wer noch?“ „Niemand sonst.“ „Erzählen Sie keinen Unsinn, Peter. Weiß De la Croix es?“ „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er es weiß.“ „Sind sie deshalb in Japan? Um ihn gegen Sabin einzusetzen?“ Sie erhob sich und wandte sich dem Fenster zu. Er folgte ihr und trat neben sie. Er fasste sie sanft am Arm. Sie wandte sich ihm zu und sah ihn an. „Das ist nur eine Möglichkeit von vielen. Eine die Sie sicher schon selbst in Erfahrung gebracht haben. Fabienne was wollen Sie von mir?“ „Sagen Sie mir die Wahrheit darüber, was sie mit ihm gemacht haben um ihn derart zu zerstören. Sabin sagt er sei so zerbrechlich... so... zerbrechlich wie Glas...was... was haben sie ihm angetan?“ Peter ließ ihren Arm los. Er schien zu überlegen. „Diese Information gibt es nicht umsonst, Fabienne.“ „Warum nicht? Weil die Welt danach brennen wird?“ Er schnaubte belustigt. „Das wird sie. Und ich möchte diesem Brand nicht zum Opfer fallen.“ „Ich biete Ihnen an, dass sie Sabins rechte Hand werden, falls er ausbrechen wird.“ „Sind das nicht schon längst, Sie Fabienne?“ Sie lachte nun und schmunzelte leise. „Nein, ich bin seine Frau. Eine von vielen in der Vergangenheit und nun in der Gegenwart die Einzige, die für ihn zählt.“ „Wenige konnten das sicher bisher behaupten“, erwiderte er und spiegelte ihr Lächeln. „Ja, das dachte ich auch immer, aber... ich war die Einzige der er ein Kind schenkte. Ein Kind, dass wir beide im Stich ließen.“ „Sie wollen das ändern. Wieso jetzt?“ „Weil die Fessel tot ist und Sabin nun weggehen könnte. Aber er ist diese Fessel schon so gewohnt, dass er die Freiheit nicht mehr zu schätzen weiß. Jahrelang haben sie ihn mit unserem Sohn an der kurzen Leine gehalten.“ „Vor drei Jahren hätte alles enden können“, sinnierte Peter. „Ja. Er wurde eine der drei Spitzen, doch er wusste nicht, was er mit dieser neuen Macht anfangen sollte und gab sie ab. Thomas hat ihm das eingeredet. Ich war dabei als er sich anbot Sabins Sprachrohr zu sein und in seinem Sinne die Geschäfte zu führen. Er hat sich sein Vertrauen erschlichen.“ Sie verstummte und war in Gedanken bei dieser Begegnung, die zunächst so harmlos erschienen war. Thomas hatte versprochen einen Weg zu finden um Sabin aus seinem Gefängnis zu befreien. Er hatte es aufgeschoben, ihm versichert die Suche nach einem Weg schreite nur schleppend voran, da es im Orden Probleme geben würde. Sabin hatte ihm gestattet sich Zeit zu lassen, bis Thomas Besuche immer seltener kamen und schließlich ausblieben. „Er blieb lieber dort wo er war im Glauben daran, dass es nobel und uneigennützig wäre sich von der Welt zurückzuziehen, alles so zu belassen wie es war. Die Welt vor dem was er war zu schützen.“ Nicht nur das, er ließ sich in dieses Gefängnis sperren, das seinen Körper dort hielt, nur sie allein hatte Zugang zu ihm. Durch ein teuflisches Kraftfeld geschützt, dass die Alten der Trias errichtet hatten, umgeben von Tonnen von Gestein. Und nur sie ließ dieses Kraftfeld eintreten. Wie oft hatte sie versucht den Ursprung des Feldes zu ermitteln, doch sie war bisher stets gescheitert. Was sie dazu brachte, davon auszugehen, dass er selbst dieses Kraftfeld errichtet haben könnte. „Wenn ich Ihnen dieses gefährliche Wissen gebe, Fabienne, sollten Sie sich sicher sein, was sie entfesseln.“ „Ich hätte es nicht nötig, wenn De la Croix sich meinem Sohn nicht nähern würde. Sie wissen, Peter, dass ich nur ein normaler Mensch bin, mir bleibt nur die Möglichkeit...“ „... die Bestie... die sie ihren Geliebten nennen mit einem Köder vor den Bau zu lotsen um alles zu vernichten was ihre Brut bedroht?“ Fabienne verzog den Mund zu einem halben Lächeln. „Wo haben Sie nur immer diese Vergleiche her, Pete?“ „Stimmt es nicht?“ „Sie haben ganz Recht“, gab sie zu. „Ich werde älter. Was habe ich zu verlieren?“ „Sabin und Gabriel?“ „Richtig.“ „Sehen Sie Peter, während ich altere bleibt Sabin so wie er ist. Mein Sohn wird ebenfalls langsamer altern. Ich werde irgendwann vergehen. Ich bin die Einzige, deren Zeit bald abgelaufen ist. Was glauben Sie wird geschehen wenn das passiert?“ „Sabin...“ Er verstummte. „Er wäre allein, ohne das moralische Vorbild, zu dem er mich ernannte.“ „Es wird Zeit ihm jemanden zu suchen, der ihn ebenso fest verankern kann wie ich.“ „Sie wollen die Verankerung lösen? Tun Sie das nicht, Fabienne, das würde ihn zerstören!“ Er sah sie einigermaßen entsetzt an. Sie runzelte die Stirn und lächelte milde. „Nein, noch nicht. Ich habe noch niemandem gefunden den ich für geeignet erachte meinen Platz einzunehmen.“ Niemanden der stark genug war. „Ich selbst war es damals nicht und bin an diesem Mann... an diesem Wesen zugrunde gegangen. Er hat mich aus den Armen des Todes gerissen und...“ Sie sah ihn für einen hastigen Moment in die Augen. „ich übertreibe nicht.“ „Glauben Sie mir Fabienne, dessen bin ich mir bewusst. Sie mussten in ihre Rolle hineinwachsen, sie mussten stärker werden ob sie wollten oder nicht.“ Sie nickte. „Ja, aber heute... heute kann ich ihm jemanden suchen, der von Anfang an stark ist, der ihn halten kann wenn ich nicht mehr bin.“ „Sie könnten dabei umkommen.“ „Ich war schon einmal tot. Das ist meine zweite Chance. Ich habe sie bisher gut genutzt, so gut es eben ging“, fügte sie an. Ihre Gedanken schweiften für einen Moment ab zu dem kleinen Trupp Sabin-Getreuer die sie um sich geschart hatte. Und von denen Sabin selbst nicht viel hielt, er nahm sie nicht ernst. Peter gehörte zu ihrem kleinen Kreis und noch einige andere. Wenn sie Tristian auf ihre Seite ziehen hätte können... aber diese hatte ihre eigenen Pläne und war in Aktion getreten bevor Fabienne es hatte tun können. „Vielleicht sollten Sie den Rat eines Schmiedes in Erwägung ziehen.“ Sie seufzte. „Chiyo hat sich zurückgezogen, nachdem sie Sabin verloren glaubte. Sie ist daran zerbrochen, fürchte ich und spielt nun die Hausfrau an der Seite dieses PSI Jägers Yoshio.“ Peter lachte leise und sie sah ihn an, er zeigte ihr nur sein Profil, denn er blickte nachdenklich nach draußen. „Fabienne, ein Schmied setzt sich nicht zur Ruhe. Er stirbt, er arbeitet im Verborgenen oder er versteckt sich beim Feind, all dies sind Möglichkeiten, aber zur Ruhe setzen... nein. Dazu ist Chiyo zu gut. Sie war und ist immer noch eine der besten Schmiede. Ein gerissenes, hinterhältiges, brutales Miststück, aber der beste Schmied, den die Welt je gesehen hat.“ „Ich... dachte...“, sie verstummte. „Hatten Sie mit ihr Kontakt?“ „Vor ein paar Jahren, als sie Sabin so zusetzten, habe ich sie gebeten ein Auge auf unseren Sohn zu haben. Ich habe sie unter Tränen angefleht Sabins Sohn zu schützen, wenn sie es schon nicht um meinetwillen tun würde so doch um seinetwillen. Sie legte einfach auf. Sie hat weder ja noch nein gesagt, sie sagte gar nichts.“ „Sie schätzt diese Art der Zurschaustellung von Gefühlen nicht sonderlich“, lachte Peter leise. „Nein, das tut sie nicht.“ Fabienne ging hinüber zu der kleinen Bar und holte zwei Gläser hervor. Sie bot ihm einen Scotch an und er nahm an. „Sie wollen etwas, dass Sabin wachrüttelt? Dann trinken Sie, Fabienne, denn die Ereignisse vor sieben Jahren waren keineswegs Etwas, das man nüchtern hören möchte.“ Er kam zu ihr und nahm das Glas entgegen. War es so schlimm gewesen?, fragte sich Fabienne gerade als sie einen großen Schluck nahm. „Bevor Sie mir etwas erzählen möchte ich Sie fragen woher Sie die Informationen haben.“ Er nahm selbst einen Schluck. „Ich war der Kontakt zu Crawford. Sie wollten damals nicht selbst mit dem Hellseher sprechen. Ich durfte die Befehle übermitteln.“ Sie nickte. „Fangen Sie an, Peter.“ „Sie schickten Gabriel nach Tokyo um die dortige Generalvertretung Crawford zu unterstützen. Er hatte den Auftrag Japan unter seine Kontrolle zu bringen. Sowohl die Finanzwelt als auch die politischen Strukturen sollten unterwandert werden.“ „Der Hellseher war nach Japan versetzt worden?“ „Ja, sie wollten ihn weit weg von Sabin haben. In der Angst, dass Sabin sich an den Hellseher binden würde. Das hätte ihr Ende bedeutet. Aber Crawford hatte soweit ich weiß nie Kontakt zu Sabin.“ „Was würde denn geschehen, wenn sich Sabin an ihn bindet?“, fragte sie nachdenklich. Sabin war an sie gebunden. Sie hätte die Bindung aufgeben müssen, damit sich Sabin an jemand anderes binden konnte. Freiwillig hätte sie das nie getan, aber es hätte sich Mittel und Wege gegeben um sie dazu zu zwingen. Gabriel wäre sicher eines dieser Mittel gewesen. „Keine gute Idee, Fabienne. Crawford war einmal ein liebenswürdiger, fürsorglicher, warmherziger junger Mann. Mit der Zeit entwickelte er Schutzmechanismen und wurde zu einem eiskalten, gefühllosen, berechnenden Killer. Er bemerkte schnell, dass er keine Chance in dieser Welt hatte wenn er so blieb wie er war. Er begann eine Entwicklung vom Gejagten zum Jäger. Keine guten Voraussetzungen um Sabin an ihn zu binden. Mit Ausnahme von Gabriel schien er die schwierigsten PSI um sich zu scharen.“ „Was passierte dort?“ Er sah sie fragend an. „In Japan... was ist dort geschehen?“ „Sie erinnern sich wie Sabin hier seine kleine Rebellion startete? Sie schickten Gabriel damals nach Japan um ihn von hier wegzubringen. Danach warnten sie Sabin und drohten damit seinen Sohn zu verletzen wenn er sein Tun nicht sofort einstellte.“ „Ja, aber Sabin hat aufgegeben, er hat seither keinen einzigen Fluchtversuch mehr unternommen.“ „Ja, aber Sabin hatte bis dato mehrere hunderte PSI getötet. Sie wollten Rache.“ Peter presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Was haben sie getan?“ „Kurzum... überließen sie Gabriel ein halbes Jahr lang einem perversen Sadisten. Er hieß Kitamura Tohai. Crawford berichtete mir vom Verfall des jungen Mannes, er flehte uns an, Gabriel abzuziehen. Doch die alten Herrschaften hatten noch nicht genug ihre Rache ausgekostet.“ Fabiennes Hand zitterte als sie das Glas zum Mund führte und einen Schluck trank. Ihre Augen verschwammen, sie blinzelte um ihre Sicht zu klären, aber es hörte nicht auf. Nach ein paar Augenblicken fand sie sich in dem Sessel wieder. „Wir... wir haben das nie erfahren.“ „Nein, sie haben wohl auf den richtigen Moment gewartet.“ „Der nicht mehr kam.“ „Nein, denn ich vermute... dass Crawford blutige Rache schwor.“ Peter füllte ihr leeres Glas erneut. „Und eines hat mich diese Geschichte gelehrt, erzürne nie einen Hellseher. Ich denke die Fürsorglichkeit ist dem Killer noch geblieben. Wie auch immer es geschehen war, sie stürzten mit Hilfe von Weiß – einer gegnerischen Gruppierung - ihre Herren.“ „Wir haben... ihn im Stich gelassen“, flüsterte sie mit tränenschwerer Stimme. Peter sah sie besorgt an. „Chiyo würde jetzt...“ „...sie würde sagen: Deine Tränen kommen zu spät.“ Sie lachte bitter auf und wischte sich mit den Fingerspitzen die Tränen unter den Augen fort, dann trank sie einen weiteren Schluck und nickte. „Ja... das würde sie sagen und sie hätte Recht damit. Sie kommen viel zu spät.“ „Das heißt nicht, dass sie nicht jetzt etwas unternehmen können. Ihre Hauptsorge sollte Sabin gelten. Gabriel kann in der Zwischenzeit gut auf sich selbst achten. Er ist immer noch am Leben und soweit ich weiß ist er dick im Geschäft.“ Sie hörte die Worte kaum, als sie sagte: „Zu welchem Preis, kann er jetzt auf sich selbst achten…“, wisperte sie und ihre Stimme hörte sich weit entfernt an. Sie sah den kleinen Jungen vor sich, den sie damals im Stich gelassen hatte. Ihren kleinen Jungen. „Ich wüsste gar nicht was ich ihm sagen sollte, wenn ich ihm gegenüberstehen sollte. Was sagt man seinem Kind, dass glaubt seine Mutter sei tot, dass nie seinen Vater gekannt hatte? Was soll ich ihm sagen?“ Kurz wallte panische Angst in ihr auf. Welche Mutter ließ ihr Kind im Stich? Der Gedanke überwältige sie fast, sie brauchte einige Momente um sich über eines klar zu werden: Sie war schon lange keine Mutter mehr. „Was ist mit diesem... Mann geschehen, der Gabriel gequält hatte?“ Peter schwieg eine Weile und sah hinaus. „Kitamura Tohai starb. Wie... kann ich Ihnen nicht sagen.“ Sie schwieg eine Weile und nahm erneut einen Schluck. „Könnten Sie Ihre Kontakte dazu benutzen um Chiyo zu finden? Über die Firma will ich sie nicht kontaktieren.“ „Ich will es versuchen.“ „Wenn ich vor Ort bin muss sie mit mir sprechen, sie muss mich anhören.“ Peters Gesicht versteinerte, er blickte hinaus um seine Gefühle vor ihr zu verbergen. „Sie wollen Chiyo treffen?“ Er bezweifelte ob dies eine gute Idee war. Ein telefonischer Kontakt würde er noch unterstützen, aber ein Treffen? „Wir haben Chiyo aus den Augen verloren, vielleicht war mein Ratschlag sie zu kontaktieren doch kein so glücklicher, Fabienne.“ „Sie trauen ihr nicht?“ „Ich bin mir nicht sicher, Fabienne. Lassen Sie mich zunächst ein paar Fäden ziehen, bevor Sie etwas auf eigene Faust unternehmen.“ „Mir bleibt nichts anderes, Peter. Sabins Gefängnis ist zu gut gesichert, ich wüsste nicht wie ich allein befreien sollte. Zumal er immer noch die Befürchtung hegt, dass Gabriel wieder in Gefahr geraten könnte, wenn er es erneut versuchen sollte. Es ist in ihn eingebrannt was damals geschehen ist.“ „Das Steingefängnis birgt einige Sicherheitsmaßnahmen, die so leicht nicht zu überwinden sind. Ganz zu schweigen von diesem Kraftfeld, dessen Ursprung wir nicht kennen. Es sei denn er hätte genug Ansporn um sich daraus selbst zu befreien. Sabin war noch nie zimperlich wenn es darum ging sich aus schwierigen Situationen zu befreien.“ „Er ist eingemauert, Peter. Um daraus zu entkommen bräuchte er einen physischen Kontakt zu einem Telekineten. Was nicht passieren wird. Das Kraftfeld gestattet nur mir hinab zu ihm zu gelangen. Seine Fähigkeiten im telepathischen Bereich sind zwar vorhanden aber mit großer Anstrengung verbunden. Zum Teil mindert das Kraftfeld eine umfassende Anwendung seiner Fähigkeiten. Er kann einen Kontakt nur sehr kurz Aufrecht erhalten.“ „Kommunikation und Manipulation sind nicht seine primären Fähigkeiten“, resümierte Peter. „Nein, er vertreibt sich die meiste Zeit damit Menschen zu lesen und treibt in diesen Gedanken umher. Manchmal gibt es Tage in denen er hauptsächlich an anderen Orten ist. Erst vor kurzem hat er einen Kontakt hergestellt, das war ihm schon seit langer Zeit nicht mehr gelungen. Ich will dieses Kraftfeld vernichten.“ Peter nickte. „Er ist zu tief unter der Erde, umgeben von Kilometern harten Gesteins. Der Einsatz von Sprengungen würde ihn gefährden.“ „Ja, aber wenn sein Wille groß genug wäre, dann würde er es zumindest in Erwägung ziehen fliehen zu wollen. Er würde Hilfe akzeptieren.“ „Wir sind bereit, Fabienne. Nur ohne einen Plan und seine Mithilfe wäre ein derartiges Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ „Ich habe mich schon oft gefragt warum sie ihn nicht einfach erschossen haben oder mir den Zutritt verweigern?“ Sie seufzte erneut und hielt ihr Glas Peter hin. Dieser nahm es ihr ab und schenkte ihr nach. Sie sah ihm dabei zu. Peter lachte freudlos. „Weil sie Angst haben. Er ist im Moment noch an seinen Körper gebunden, Fabienne. Aber was wäre, wenn er diesen nicht mehr bräuchte? Ohne das Kraftfeld, könnte er telepathisch an jeden Ort der Welt gelangen, könnte dort jeden Menschen manipulieren und auf seine Seite ziehen. Er kann aus einer Laune heraus Seelen heilen oder vernichten, mit nur einer Berührung. Das obliegt nur ihm, niemand wird ihn je aufhalten können. Bisher wollten sie dieses Risiko nicht eingehen. Im Endeffekt kann nur Sabin sich selbst zügeln, ich bin mir fast sicher, dass seine Macht grenzenlos wäre, wenn er sie freien Lauf ließe. Warum rekrutieren sie derart viele PSI? Sie wollen ihn töten, Fabienne und dann sicher gehen, dass seine Seele sich nicht davon machen kann. Sie wollen ihn auslöschen. Sie suchen nach starken PSI. Ein Zusammenschluss mehrerer starker PSI oder gar einer Heerschaar würde selbst Sabin vernichten. Ich bin mir sicher, dass sie den Ursprung des Kraftfeldes kennen und nur vortäuschen nach einem Weg zu suchen. Thomas Straud würde alles tun um Sabin zu vernichten um mehr als nur sein Stellvertreter zu sein.“ „Aber er ist es doch. Was will er mehr? Es gibt nur eine Handvoll Menschen die wissen, dass er nicht der wahre Somi ist.“ „Das spielt für ihn keine Rolle denke ich.“ Peter fragte sich gerade was die Hälfte der Trias in Japan machte. Warum waren sie dort? Er hoffte nicht weil sie starke PSI rekrutieren wollten um einen gemeinsamen Feind niederzuschlagen. Er würde es De la Croix zutrauen Sabins Sohn für diese schmutzige Arbeit einzuspannen. Der Sohn, der den Vater tötete weil er zu gefährlich geworden war. Gabriel wüsste nicht einmal wen er da angriff. Armselig aber durchaus machbar, resümierte Peter. Aber eher etwas, dass er Thomas Straud zutrauen würde. De la Croix war ein Jugde, derlei Hinterlist war selbst ihm fremd und soweit Peter ihn kennen gelernt hatte zuwider. Seine Gedanken konnte er jetzt noch nicht Fabienne mitteilen, das würde sie verunsichern und noch mehr in Sorge stürzen. Vielleicht fantasierte er sich auch nur das Schlimmste zusammen. Er würde erst abwarten was seine Informanten über die Situation in Japan zu berichten wussten. „Dann drängt es umso mehr“, sagte Fabienne und riss Peter damit aus seinen Überlegungen. „Ich wäre meine Kontakte aktivieren und Ihnen Bescheid geben, sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe.“ Fabienne nickte. „Er ist der Einzige seiner Art, ich wollte ihn damals bewahren und will es heute noch.“ Peter berührte ihre Schulter, er betrachtete ihr Profil. Und ihm kam etwas an diesem Satz falsch vor. Er war zwar der EINZGE seiner Art... doch seine Spione hatten ihm berichtet, dass es in Las Vegas jemanden gab, der dem was Sabin war am Nächsten kam und dabei weniger Kontrolle über sich hatte. Schlimmer noch... er war in Thomas Miller Hand. Fortsetzung folgt… Vielen Dank fürs Lesen! Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)