Alice in Magicland von Lazoo (Die Geheimnisse von Taleswood) ================================================================================ Kapitel 1: Happy Birthday!? --------------------------- Die Wintersonne weckte mich aus meinem Schlaf. Ihre weißen Strahlen brachen sich durch das gerissene Fenster von Zimmer 111 und zauberten wirre, manchmal hübsch anzusehende Formen auf die gegenüberliegende Wand. Müde richtete ich mich in meinem Bett auf und ging zum Balkon, um etwas frische Luft zu schnappen. Wobei frisch ein dehnbarer Begriff war. Zwar war die Luft frostig kalt, doch es stank nach Alkohol, Urin und Erbrochenem, die Spuren der letzten Nacht. In den Straßen waren nur wenige Menschen unterwegs und irgendwo läuteten Kirchenglocken zum sonntäglichen Gottesdienst. „Hey Baby, willst du nicht ein wenig Spaß mit ein paar echten Kerlen haben?“, hallte es von der Straße. Die Scheibe des Steamed Rat – Pubs war mal wieder zerschlagen und aus ihm torkelten die letzten Ale-Anhänger auf die Straße. Der Charmebolzen war Dean Hart, der Boss der örtlichen Gang. Genervt streckte ich ihm den Mittelfinger entgegen. Das war nicht das erste mal, dass er versuchte, mich anzumachen. Zu seinem Pech war ich nicht so dumm, wie der Rest seiner Mädchen. Außerdem war mir sein ungepflegtes Aussehen und sein Parfüm Marke abgestandenes Guinness einfach zuwider. „Leck mich, Hart! Sehe ich so aus, wie eine deiner Huren!?“ Wer lange genug auf den Straßen von Whitechapel wandelte, entwickelte so eine Ausdrucksweise. Auch wenn ich darauf nicht stolz war. Im Heim hatte man uns beigebracht, sich anständig auszudrücken. Etwas, das mir mittlerweile fehlte. Je länger ich - mehr oder weniger - frei auf der Straße wohnte, desto mehr schien ich die geregelte, wenn auch manchmal etwas unfaire Welt, vor der ich damals geflohen war, zu vermissen. Oder sie zumindest als weniger schlimm zu empfinden, als früher. „Ach komm schon Sarah, du willst es doch auch! Ich stell mir grade schon vor, wie ich dir dieses hübsche Stück Stoff runterreiße und dich ordentlich durchvögel!“, lachte er und fing an seine Pläne an der nächstbesten Laterne bildlich darzustellen. „Nein wirklich, wie charmant!“, rief ich sarkastisch. „Dann komm doch hoch, wenn du so große Lust hast!“ „Oh glaub mir, das kommt noch früher als du denkst! Und dann wird dir dieses dumme Grinsen noch vergehen“, keifte Dean und zog zusammen mit seinen Jungs in dreckigem Gelächter ab. Versuch's doch! In der Hotelruine war ich auf unerklärliche Weise vor allem und jedem geschützt. Niemand, außer mir, konnte hineingehen und niemand konnte mir den Grund dafür erklären. Es war wie eine emotionale Blockade, die die Menschen davon abhielt, dieses Gebäude zu betreten. Bis auf mich... und einer weiteren Person. Wütend machte ich die Balkontür wieder zu und ließ mich auf das Bett fallen. Dieser Vorfall hatte mir die Stimmung wirklich verdorben. Am liebsten wäre ich einfach wieder eingeschlafen, doch dann fiel mir wieder ein, welcher Tag heute war. Freudig sprang ich auf und sputete hinunter, in die Eingangshalle. Wie ich gehofft hatte, stand am Tresen ein mannshohes Paket. An ihm klebte ein Zettel, mit meinem Namen darauf in einer mir vertrauten, verschnörkelten Schrift. Ich riss ihn ab und las die Rückseite: Alles Gute zum 16. Geburtstag Keine Ahnung, ob heute tatsächlich mein 16. Geburtstag war, immerhin gab es nie Papiere, die mein genaues Geburtsdatum enthielten. Doch seit ich hier wohnte, erhielt ich jedes Jahr zu genau diesem Tag, ein Geschenk mit Geburtstagsgrüßen, sowie auch am 25. Dezember ein Weihnachtsgeschenk inklusive geschmückten Baum. Wahrscheinlich alles von der gleichen Person, die mich damals hierher geführt hatte, diesen bizarren Traum haben ließ und mir am nächsten Morgen den merkwürdigen Zettel ins Fach legte. Ich wusste nicht, wer das war und warum ausgerechnet ich so einen Schutz und eine Fürsorge genoss, doch es war mir auch egal. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, nicht wahr? Passte dieses Sprichwort an dieser Stelle überhaupt? Immerhin waren es wahre Schätze, die man mir schenkte. Das Negligé, das ich trug, war mein letztes Weihnachtsgeschenk und so samt und edel, dass ich mir kaum ausmalen konnte, welchen Wert es wohl besaß. Was wohl in diesem Paket stecken könnte? Am liebsten hätte ich es sofort aufgerissen, doch wer weiß, ob ich es dann noch hochbekommen hätte. „Verflucht, ist das schwer!“, schimpfte ich, während ich versuchte, es die Treppe hinauf zu stemmen, oder besser gesagt: Zu schieben. Langsam, Stufe für Stufe, kämpfte ich mich hoch und verlor ein paar mal fast das Gleichgewicht. Das wäre es ja noch gewesen: Vom eigenen Geburtstagsgeschenk erschlagen. Endlich oben angekommen und in das Zimmer verfrachtet, war meine Aufregung kaum mehr zu bremsen. Schnell riss ich das Paket auf und stand vor einem großen Spiegel. Er war oval und hatte einen auffälligen, breiten Rahmen. In ihn waren verschiedene Figuren geschnitzt und bemalt. Die Füße waren zwei Totenschädel, vor denen Katzen lagen. Es folgte ein Geäst aus dunkelgrünen Blättern mit goldener Verzierung und einigen violetten und dunkelblauen Rosen, die daraus hervorlugten. Die Ranken kletterten bis zum Kopfende, wo sie sich in einer Rosenkrone verhakten. In dieser saß ein kleines, menschenähnliches Geschöpf mit weißen Flügeln. Es besaß zwei große rote Augen und hatte langes, blauschwarzes Haar mit goldenen und silbernen Strähnchen. Ich nahm an, dass es sich um eine Art Fee handelte. Ein wenig unheimlich mutete der Spiegel an, aber auch wunderschön. Ich betrachtete mich darin aus allen Winkeln, drehte mich vor und zurück, als wäre ich das jüngste Kind von Queen Victoria, denn mein Spiegelbild konnte ich bisher sonst nur in der Wasserschüssel sehen. Ich begutachtete meine zierliche Gestalt mit dem schmalen Gesicht und richtete meine kurzen, rotblonden Haare. Männer sagten mir nur allzu gern, wie hübsch ich wäre, doch sich selbst ansehen zu können, war noch einmal etwas ganz anderes. War ich denn wirklich schön? Ich dachte an die hohen Damen, die ich manchmal in Westminster sah, mit ihren aufgeplusterten Dekolletés und ihren Wespentaillen. Diesem Ideal könnte ich Jahrzehnte nachjagen, ohne es zu erreichen. Meine Brust war zu klein um sie zu pushen und meine Hüfte viel zu schmal. Und die Meinung von Männern aus dieser Gegend war auch nicht sonderlich viel wert. Die Erkenntnis verpasste meiner Laune einen kleinen Dämpfer. Aber was soll's! Solange ich mir selbst gefiel, war doch alles in Ordnung. Ich hätte vielleicht noch Stunden vor dem Spiegel verbringen können, doch irgendwann konnte ich mich losreißen um mich anzuziehen und rauszugehen. Geburtstag hin oder her, von selbst kommt kein Geld in die Kasse. Und in der City waren heute viele gut betuchte Leute unterwegs, die man bestehlen konnte. Es war nichts worauf ich stolz war, doch immerhin nahm ich nie mehr, als ich brauchte und nur von denen, die auch genug hatten. Die Steamed Rat war mittlerweile in einem wesentlich besseren Zustand, als noch am Morgen. Gerade fegte der Kellner Thomas die letzten Scherben vom Gehweg. Man musste kein Psychologe sein, um zu sehen, wie wenig Spaß ihm das machte. Sein missmutiger Gesichtsausdruck hellte sich aber leicht auf, als unsere Blick sich trafen. Thomas war einer der wenigen Menschen, die eigentlich nicht ins East End gehörten. Ein intelligenter, höflicher, wenn auch etwas schüchterner, junger Mann, der eigentlich das Zeug dazu hätte, nach Oxford oder Cambridge zu gehen, wenn ihm dafür nicht das nötige Kleingeld fehlen würde. Stattdessen spielte er Kellner in einem dreckigen Pub für einen Hungerlohn. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Und so sah er leider auch aus: Ein wenig dünn, blass und immer müde. Aber er versuchte, sich seine Würde durch ein möglichst gepflegtes Äußeres zu bewahren. „Hallo Sarah! Alles liebe zum Geburtstag“, grüßte er und umarmte mich so vorsichtig, als wäre ich aus hauchdünnem Porzellan. In meiner Nähe benahm er sich immer noch unsicherer, als er sowieso schon war, weswegen der Verdacht nahe lag, dass er über beide Ohren in mich verliebt war. Und auch wenn ich nicht wirklich etwas für ihn empfand, war mir seine Nähe hundertmal lieber, als die der Stammgäste des Pubs. „Möchtest du vielleicht kurz reinkommen und einen Kaffee trinken? Der geht natürlich auf mich!“ „Ich weiß ja nicht. Du hast doch selbst kaum Geld. Und von dir armen Schlucker soll ich dann auch noch einen Kaffee erschnorren?“, sagte ich mit der wohl süßesten Unschuldsmiene, die ich aufsetzen konnte. Thomas lief rot an. Eigentlich ziemte sich so eine Neckerei nicht und ich wusste auch selbst, wie gemein es war, doch es machte Spaß, ihn so verlegen zu sehen. Immerhin unterschied ihn das von den meisten anderen Kerlen im Viertel, die nicht einmal gegen Bezahlung Gefühle zeigen würden. Jedenfalls bestand er weiter auf die Einladung und so nahm ich bereitwillig an. „Immerhin hast du mir doch auch diese tolle Taschenuhr geschenkt und so ein Kaffee und ein kleines Stück Kuchen decken sich damit nicht annähernd und...“ „Jetzt mach aber mal halblang, Tom“, entgegnete ich während er zwei Tassen zu unserem Tisch brachte. „Du weißt genau, dass die Uhr gestohlen ist. Und sie ist nun wirklich nichts außergewöhnliches. Ich hätte sie auch nicht geklaut, wenn nicht zufällig dein Geburtstag gewesen wäre.“ „Nein, für mich ist sie etwas besonderes. Denn du hast sie ja gestohlen, weil du an mich gedacht hast... und deswegen möchte ich dich nicht nur hiermit vertrösten. Also ich... ich würde dich gerne, naja... du weißt schon... ausführen.“ Jetzt war ich beeindruckt. Es musste ihn viel Mut gekostet haben, dies auszuprechen. Dafür sollte er belohnt werden. Aber noch sollte er ein wenig zappeln. „Hmm ich weiß ja nicht... was möchtest du denn machen?“, fragte ich in einem gelangweilten Ton. Tom zerfloss geradewegs. „In den Zirkus. Ich habe einen Freund bei den Artisten und der hat mir Karten für die 6-Uhr-Vorstellung geschenkt. Aber wenn du nicht möchtest, dann können wir natürlich auch woanders hingehen und...“ „Nein, Zirkus klingt schön. Treffen wir uns dann um fünf hier vor dem Pub?“ „Du.. du findest die Idee gut? Ich meine, natürlich, wir treffen uns hier. Das passt. Dann also... bis heute Abend?“ Ich nickte lächelnd, küsste ihn sanft auf die Wange und verließ die Steamed Rat. Das hatte er sich verdient. Auch wenn ich sagte, dass ich eigentlich nichts für Thomas empfand, war er es wert, es zu versuchen. Aufrichtigkeit, wie die seine, gab es auf der Welt sowieso viel zu selten. In der City war es, wie erwartet, belebt. Und dementsprechend gut fiel die Ausbeute aus. Fast drei Pfund hatte ich bereits zusammen. Ich warf einen Blick auf die nächstbeste Kirchturmuhr: Halb 4. Höchste Zeit, dass ich mich auf dem Rückweg machte. Da kreuzte sich mein Blick mit dem eines großen Mannes mit Zylinder und langem, grauen Wollmantel. Er lehnte an einer Wand und rauchte eine Zigarette. In seinem Gesichtsausdruck lag eine gewisse Besorgnis. Etwa um mich? Beobachtete er mich ? Oder schauten wir uns nur zufälligerweise in die Augen und ich war nicht gemeint? Je mehr Zeit verstrich, desto flauer wurde das Gefühl in meiner Magengrube. Vielleicht war es ein Cop? Nein, dem schien nicht so. Wenn er mich beim Stehlen erwischt hätte, wäre ich schon verhaftet worden. Dennoch machte ich mich auf, zurück nach Whitechapel zu kommen. Ich schlüpfte durch die Menschenmenge und nahm diverse Abzweigungen, um meine Spuren zu verwischen. Als ich mir sicher war, dass er mir nicht folgen würde, machte ich mich über die Hauptstraße wieder auf den Weg zurück nach Hause, um mich für die Verabredung fertig zu machen. Es war eine wirklich unterhaltsame Vorstellung. Für dieses Date hatte ich sogar mein einziges Kleid angezogen. Es war zwar mit seinem schmucklosen Stil und dem schlichten rotbraunem Jäckchen nicht besonders edel, doch ohne Zweifel das Beste, was mein limitierter Kleiderschrank zu bieten hatte. Auch Tom hatte sich das scheinbar beste Hemd rausgesucht, das er besaß. Ein Erbstück seines Vaters, wie er begeistert erzählte. Tatsächlich war sein alter Herr wohl etwas kräftiger gebaut gewesen, denn besonders im Schulterbereich schlackerte es und fiel auch ein kleines Stück zu lang aus. Er machte aber das Beste draus und trug es mit solch einem Stolz, dass man ihn dafür nun wirklich nicht auslachen konnte. Zu schade, dass ihm die passende Weste und Krawatte fehlten, denn dieses Outfit stand ihm wirklich gut. Man hätte fast vergessen können, wo er eigentlich herkam. „Und? Hat es dir gefallen?“, fragte er, während wir gemütlich ein kleines Stück spazierten. „Ja sehr. Vielen Dank, für die Einladung.“ „Doch nicht dafür. Wenn du Spaß hattest, bin ich glücklich. Und außerdem...“ „Ja?“ „Versteh mich nicht falsch. Eigentlich ist es egal was du trägst, aber dich einmal in einem Kleid sehen zu dürfen... darin bist du einfach nur umwerfend.“ Ich merkte, wie meine Wangen rot wurden. So direkt hatte er mir noch nie Komplimente gemacht. Und es war nicht nur dummes Geschwätz, sondern kam absolut von Herzen. Es fühlte sich komisch an, von jemandem so offen geliebt zu werden. Aber auch wunderbar. Vielleicht sollte ich mich wirklich darauf einlassen. Langsam suchte ich mit meiner Hand nach seiner und drückte sie fest. „S-Sarah?“ Mein Atem wurde schwer und mein Herz schlug mit jeder Sekunde schneller. So nervös war ich schon lange nicht mehr gewesen. Ich blickte Tom ins Gesicht und sah, dass er wohl gerade das Gleiche fühlte. Wie sollte es jetzt weitergehen? Noch ehe ich genauer darüber nachdenken konnte, zog ich ihn zu mir hinunter und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Als ich ihn wenige Sekunden später wieder losließ, konnte ich Thomas' Überforderung deutlich erkennen. „Ich will ehrlich zu dir sein. Ich habe keine Ahnung, wie ich zu dir stehe. Bisher hielt ich dich für nicht mehr, als einen guten Freund, aber jetzt bin ich mir dabei nicht mehr so sicher...“ Tatsächlich weckte der Kuss ein wohliges Gefühl der Wärme in meinem Herzen. „Weißt du, ich habe lange gewusst, wie du für mich empfindest und dich trotzdem absichtlich geneckt. Das musste ich wiedergutmachen.“ Er wirkte leicht enttäuscht: „Also soll ich das nur als Entschädigung verstehen?“ Ich schüttelte den Kopf und fing an verlegen zu kichern: „Keineswegs. Für Paare gehört es sich doch, sich zu küssen, oder etwa nicht?“ Beherzt griff Tom nach meiner Hand und sah mir tief in die Augen. Seine Freude war unübersehbar. Ich wünschte mir, dieser Moment würde nie vergehen. Doch ein gehässiges Lachen riss mich aus meinen Träumen. Dean war mit zwei seiner Gorillas aufgetaucht. Sie trieben uns in die Enge und hielten uns in Schach. „Nun sie sich mal einer dieses Liebespärchen an. Das ist so süß, da muss ich schon fast kotzen!“, grunzte er. Seine Jungs spuckten aus. „Du kannst auch nur das Maul aufreißen, wenn du dich hinter starken Schultern versteckst, oder Hart? Bist du etwa schwul?“, keifte ich. Thomas hielt mich zurück und gab mir mit einem flehenden Blick zu verstehen, keinen Ärger zu machen. „Bitte Dean, du kennst uns doch. Bei uns gibt es nichts zu holen.“ „Deine Kleine weiß schon worum es geht. Um ihren süßen Hintern!“ „Hast du nicht genügend Mädchen? Warum muss es denn ausgerechnet Sarah sein?“ „Jetzt pass mal auf, Milchbubi! Dieses Viertel gehört mir und wenn ich etwas will, bekomme ich's auch!“ Mit diesen Worten griffen die Schläger Thomas an, der sich schützend vor mich stellte. Er war ein mutiger Mensch, doch hatte nicht die geringste Chance. Sie benutzen Schlagringe und traten nach ihm, als er auf dem Boden lag. Dean drückte mich gegen die Wand. Ich war wie paralysiert und konnte nur mit ansehen, wie diese Mistkerle ihn immer wieder auf die Beine zerrten, um ihn niederzuschlagen. Warum konnte ich mich denn nicht wehren? Wann immer unsere Blicke sich trafen, lächelte Thomas mich immer nur an als wolle er mir sagen, dass alles gut wird. Von wegen gut... Sein Blut verteilte sich auf dem Boden und in seinem Gesicht gab es keine Stelle, die noch heil war. Das halte ich nicht mehr aus! „Bitte Dean, ich tue, was du willst. Aber lass ihn in Ruhe, er hat damit doch nichts zu tun“, platzte es aus mir heraus. Er grinste böse und entblößte eine Reihe gelber, kaputter Zähne. Dann befahl er seinen Jungs von ihrem Sandsack abzulassen und drückte mir einen abscheulichen Kuss auf die Lippen. Warum musste das denn nur mir passieren? Was hatte ich denn verbrochen? Doch, gerade als ich mich meinem Schicksal hingeben wollte, stieg in mir eine Wut auf, die ich so noch nie gespürt hatte. Ich riss die Augen auf und blickte den Gossenratten in ihre dreckigen Gesichter. Diese Verbrecher werden mir nicht meinen Geburtstag zerstören! Ich packte Dean am Arm und bemerkte, dass meine Hände glühten, als seien sie heißer Stahl. Er schrie, wie am Spieß. Seine Gorillas starrten uns geschockt an und waren unfähig, ihrem Boss zu helfen, während ich ihm grinsend die Haut abzog. Ich wusste nicht, warum, aber es fühlte sich einfach gut an, ihn winseln zu sehen. Ja, Dean Hart winselte wie ein kleines gequältes Hündchen. Meine Hände fingen an , Feuer zu fangen und ließen ihn lichterloh in Flammen aufgehen. Es waren nur wenige Sekunden, bis seine Todesschreie verstummten, doch ich genoss jede einzelne davon. Als mein Rausch verflog, verstand ich das Ausmaß meines Wutausbruchs. Thomas saß vor Deans stinkender, verkohlter Leiche und starrte mich verängstigt an. Was habe ich da nur getan? Was ist denn nur mit mir passiert? Habe ich... habe ich etwa gerade jemanden ermordet? Und hat es mir tatsächlich gefallen? Und was war mit meinen Händen los? Mein Gott, was bin ich? Voller Angst vor mir selbst, rannte ich nach Hause, stolperte immer wieder und fiel in den Matsch. Als ich endlich zuhause ankam, war mein Kleid verdreckt und meine Handflächen aufgeschlagen. Kaum etwas konnte ich durch den Tränenfilm sehen, während ich mich die Treppe hinaufschleppte. Am liebsten wäre ich heute niemals aufgestanden. Nein, am liebsten wäre ich niemals geboren worden. Und bestimmt hätte ich mich heute noch umgebracht. Doch als ich durch die Tür von Zimmer 111 taumelte, bemerkte ich den großen Mann, der auf dem Balkon stand und genüsslich eine Zigarette rauchte. Der hochwertige Tabak verteilte sich als ein angenehmes Aroma im gesamten Raum. Er blickte über die Schulter und sprach in einer tiefen, freundlichen Stimme: „Hallo Alice. Ich hoffe, der Spiegel hat dir gefallen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)