Die Motus von Futuhiro (Magister Magicae 5) ================================================================================ Kapitel 16: Differenzen ----------------------- „Hey, ihr wart aber lange weg.“, begrüßte Ruppert die beiden, als er ihnen zu Hause die Tür öffnete. „Was ist denn mit dir passiert?“, wollte er von Urnue wissen, der als erster herein stapfte. Der Genuis Intimus sagte nichts. Er zog nur ein versteinertes Gesicht, klatschte schlecht gelaunt die Einkaufstüten auf den Boden, die er getragen hatte, und stakste dann mit verschränkten Armen in Richtung Badezimmer davon. Ruppert musterte als nächstes Victor und dessen neuen, bodenlangen, schwarzen Ledermantel. Er konnte sich ein abwertendes Brummen nicht verkneifen. „Du hast genauso einen furchtbaren Geschmack wie Urnue. Kein Wunder, daß ihr zwei euch so blendend versteht.“ „Oh, da wäre ich mir jetzt nicht mehr so sicher.“, lachte der Russe. „Im Moment findet er mich gar nicht mehr so cool.“ „Wieso?“ „Ich hab den 'Rollenden Rubel' kalt gemacht.“ „Wie bitte!?“ „Ich hab Urnue gebeten, heim zu fahren, aber er wollte unbedingt mitkommen. Ich kann nichts dafür!“, hob Victor sofort abwehrend die Hände. „Aber dein Genius Intimus war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Ich hab gut auf ihn Acht gegeben.“ „Das meinte ich nicht!“, jappste Ruppert Edelig überrumpelt. „Du kannst doch nicht einfach in London rumlaufen und Leute kalt machen!“ „Wir haben jahrelang nichts anderes getan als das, Ruppert. Und die Polizei hätte es auch nicht geschafft, ihn lebend zu fangen. Wenn sie ihn überhaupt gefunden hätte. Und du weißt selber gut genug, daß das Schwein es verdient hat. Ein paar Jahre Gefängnis auf Staatskosten hätten nie wieder aufgewogen, was er alles getan hat. Im Gegenteil, wahrscheinlich hätte er es noch geschafft, aus dem Gefängnis zu entfliehen.“ Urnue war inzwischen aus dem Bad zurück und hatte die letzte Argumentation der beiden noch mitbekommen. „Du bist keinen Deut besser als der!“, hielt Urnue ihm sauer vor. „Du bist hier in der zivilisierten Welt! Hier gelten Gesetze! Und im Gegensatz zu deinem Russland hält man Gesetze hier auch ein!“ Die ganze Rückfahrt über hatte Urnue verbissen die Klappe gehalten. Klar, er konnte ja auch schlecht im Beisein eines Taxifahrers auswerten, wie mies er es fand, daß Victor gerade einen Mord begangen hatte. Aber jetzt, wo sie wieder unter sich waren und frei sprechen konnten, sprudelte alles aus ihm heraus. „Mir scheint, du hast keine Ahnung, wer der Kerl war.“, meinte Victor versöhnlich. „Es ist mir scheißegal, wer der Kerl war! Nichts gibt dir das Recht, mit ner Waffe durch London zu rennen und kaltblütig Leute abzuknipsen! Genau genommen hast du nichtmal das Recht, überhaupt mit ner Waffe durch London zu rennen! ... Ich bin im Keller, wenn ihr mich sucht. Ich muss nen Sandsack vermöbeln.“ Sowohl Ruppert als auch Victor seufzten still in sich hinein, ließen ihn aber gehen. Der musste sich erst wieder abregen. „Was hast du mit der Leiche gemacht?“ „Hab sie mit einem Feuerzauber restlos eingeäschert.“ Ein verstehendes Nicken. „Ich hoffe, deine Aktivitäten ziehen keine Aufmerksamkeit auf sich, Dragomir.“, gab Ruppert zu bedenken. „Im Moment hat Vladislav vielleicht keine Ahnung, wo du steckst. Aber wenn hier noch mehr Motus-Handlanger auf mysteriöse Weise verschwinden, merken die bestimmt sehr schnell, daß du in London bist.“ Victor nickte mit einem dünnen Lächeln. „Ich weiß ... Ich hoffe ja, daß er möglichst bald von der Polizei festgesetzt wird, so wie schon der Rest seiner Führungsetage.“ „Wo willst du hin?“ „Ach, du redest wieder mit mir?“, entgegnete Victor belustigt, als er am nächsten Tag von Urnue im Flur dabei erwischt wurde, wie er sich gerade seinen langen, schwarzen Mantel um die Schultern warf und in die Ärmel schlüpfte. Er hatte Urnue den ganzen gestrigen Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen und heute hatte der Genius Intimus noch kein Wort mit ihm gewechselt. Der hatte geschmollt und Victor mit Nichtachtung gestraft. Er war immer noch spürbar angefressen von Victors kriminellem Treiben, egal ob für oder gegen die Motus. „Wo du hin willst, hab ich gefragt!“, zischte er sauer. Victor deutete leichthin auf die Tür. „Raus.“, meinte er nur, mehr nicht. „Hast du wieder deine Pistole dabei?“ „Na logisch.“ „Her damit! Rück sie raus!“, verlangte Urnue und streckte ihm fordernd die Hand hin. „Nimm sie mir ab, wenn du dich traust!“, schmunzelte der Russe. Urnue starrte ihn eine Weile feindseelig an, bewegte ihn damit aber offensichtlich nicht zu einer Kapitulation. „Schön, du Revolverheld, ich komme mit! Egal wo du hin willst oder was du vor hast! Wage es ja nicht, ohne mich zu gehen!“, legte er fest und verschwand wieder durch die Tür. Victor musste schon fast lachen, als er ihm ins Wohnzimmer folgte. „Ruppert, Victor will außer Haus!“, trug Urnue seine neuen Erkenntnisse breit. „Victor will außer Haus ...“, äffte der Bankenbesitzer ihn nach. „Meine Fresse, Urnue, du bist wie ein kleines Kind, das bei seiner Mami petzen geht. Was interessiert´s mich, ob er raus geht oder nicht? Dragomir ist erwachsen und mir keine Rechenschaft schuldig. Lass ihn doch rausgehen, wenn er´s unbedingt braucht.“ „Er hat ne Knarre einstecken!“ „Und?“ „Und!? Er wird wieder Leute meucheln!“ Ruppert reagierte nur mit einer abfälligen Handbewegung und wandte sich wieder seinem Laptop zu, um weiter zu arbeiten. „Wenn er rausgeht, werde ich mitgehen!“, informierte Urnue ihn bockig. „Meinetwegen.“ „Ich halte das für keine gute Idee.“, streute Victor nachdenklich ein. „Wenn Urnue erkannt und mit mir zusammen gesehen wird, wird man Rückschlüsse ziehen, daß ich mich in deinem Haus aufhalte. Oder zumindest, daß du mir hilfst. Ich will euch beide nicht unnötig in Gefahr bringen.“ „Dann lass deine Waffe da!“, verlangte Urnue streng. „Nix da, mich selber will ich ja auch nicht unnötig in Gefahr bringen. Die nehm ich mit!“ „Jetzt macht mich doch nicht wahnsinnig, ihr zwei!“, maulte Ruppert genervt. „Nimm Urnue und dein Schießeisen und zieh endlich Leine! So bekannt ist Urnue bei der Motus nicht, ich hab sein Gesicht nie rumgezeigt!“ „Wie du meinst.“ „Okay, dann erzähl mal. Wen jagen wir heute?“, wollte Urnue muffelig wissen, als sie gemeinsam davonschlenderten. Unfassbar, daß er schon wieder seinen Schützling allein ließ, um mit diesem Verbrecher um die Häuser zu ziehen. Diesmal sogar freiwillig. Er war entsetzt über sich selbst. Er hatte das Gefühl, durch den schlechten Umgang einem akuten Werteverfall anheim zu fallen. Victor lachte nur. „Wieso bist du mitgekommen, hm? Um zu verhindern, daß ich noch mehr Leute über den Haufen schieße? Du hast doch weder den Mut, noch die Macht, mich aufzuhalten, wenn es drauf ankommt.“ „Ich weiß auch nicht.“, gestand der Genius Intimus, nun eine ganze Ecke ruhiger. „Ich hab mit Ruppert gestern noch die halbe Nacht über Iwan Pawlowitsch diskutiert. Diesen Kerl, den ihr 'Rollender Rubel' genannt habt. Der muss echt ein Dreckschwein vor dem Herrn gewesen sein. Hat seine eigene Frau über Tage hinweg zu Tode gefoltert und seine eigenen Kinder einem seltsamen Totengott geopfert, wobei sie lebendig verbrannt wurden. Mit seinen zahllosen anderen Opfern scheint er ausnahmslos ähnlich verfahren zu sein. Der Typ war echt ein Sadist. Und ich sehe ein, daß unser Rechtssystem so einem Psychopathen nicht gerecht werden kann. Wahrscheinlich hätten sie ihn noch für unzurechnungsfähig gehalten und gar nicht erst bestraft. Allerdings bin ich auch der Meinung, daß ihn einfach abzuknallen auch nicht der richtige Weg war. Ich seh nur keine Alternative. Welche Strafe wäre für so einen Typen gerecht? Ich weiß nicht, was man mit so einem am besten machen sollte. Er gehört weg, keine Frage. Aber wie? Wie wird man so einen auf korrektem Wege los, ohne selber auf sein dreckiges Niveau herab zu sinken? Wenn man ihn tötet, wird man selber zum Mörder und ist keinen Deut mehr besser als er. Das ist ne Zwickmühle. ... Seit ... seit ich mit dir im St. Dunstan-in-the-East war, weiß ich überhaupt nicht mehr, was ich noch denken soll. Meine ganze Moralvorstellung ist aus den Fugen geraten, seit ich dich besser kenne und zu verstehen beginne, was du tust.“ „Ruppert hat dir nie viel über die Motus erzählt, was?“ „Nein. Er hat mich da immer rausgehalten und ich war dankbar dafür. Ich hab ihn auch nie groß danach gefragt. Ich wollte das gar nicht wissen. Ruppert hat ja auch nie selber Genii gejagt oder versklavt. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie eine Waffe in der Hand. Er wüsste nichtmal, wie man damit umgeht. Er hat immer nur Zahlen in Kassenbüchern hin und her jongliert. Mit der eigentlichen Arbeit der Motus sind wir beide nie so direkt konfrontiert worden.“ „Die Motus ist voll von solchen psychopathischen Schweinen wie Iwan. Dutzende, wenn nicht gar hunderte. In 8 Ländern der Welt. Und es gibt keinen, der sich um sie kümmert. Die Justiz wird es nicht. Wenn man solche Kaliber jagen will, hat man keine andere Wahl als so zu werden wie sie, sonst hat das mit Gerechtigkeit nichts zu tun.“ Urnue nickte langsam. „Ja, vermutlich. Und genau das ist der Punkt, mit dem ich mich partu nicht anfreunden kann.“ „Das verlangt ja auch keiner von dir. Im Gegenteil, ich bin froh, daß du noch sowas wie Moral und Werte hast, Urnue. Bewahr dir das. Und pass auf, daß Ruppert sich das auch bewahrt. Er ist ein guter Mann, auf seine Art. Und alles weitere überlasst mir. Lasst mich einfach meine Arbeit machen, mehr will ich nicht.“ Urnue warf ihm einen unschlüssigen Seitenblick zu. „Willst du die Wahrheit hören? Das schlimmste ist, daß ich nichtmal Angst vor dir habe. Das ich dich trotz der Aktion gestern immer noch ziemlich hoch achte, setzt mir gerade am meisten zu.“ Victor stand auf dem Dach eines Hauses und schaute aufmerksam in die Straße hinunter. Inzwischen war auch Urnue bis hier rauf vorgedrungen. Im Gegensatz zu Victor konnte er zwar nicht fliegen, aber er hatte es in seiner Wieselgestalt dennoch irgendwie geschafft, im Hinterhof über die Äste eines Baumes bis auf das Dach zu klettern und zu springen. Rupperts Genius Intimus war echt gut, er hatte eine fabelhafte Körperbeherrschung, dachte Victor anerkennend und versuchte ihn darüber hinaus zu ignorieren. Sein Augenmerk lag gerade viel mehr auf den Passanten unten auf der Straße. „Wonach genau suchen wir?“, wollte Urnue gelangweilt wissen. Sie hockten immerhin schon seit über zwei Stunden hier oben und beobachteten den alltäglichen Trubel auf den Fußwegen. Er war es langsam leid. Und er wollte endlich zurück zu seinem Schützling, der alleine zu Hause saß. Ihre Haushälterin war zwar auch eine ungebundene Genia und konnte im Notfall handeln, aber Urnue war es entschieden lieber, seinen Schützling selber zu verteidigen. Victor hatte seine Zielperson endlich entdeckt. Einen Motus-Sklavenhändler, der dafür bekannt war, etliche seiner weiblichen Sklaven missbraucht zu haben, bevor er sie verkauft hatte, und nicht wenige auch einfach um die Ecke gebracht hatte, wenn er der Meinung war, daß sie sowieso keinen guten Preis erzielen würden. Statt Urnue zu antworten, griff er unter seinem Ledermantel nach hinten und zog seine Waffe aus dem rückwärtigen Hosenbund. Es waren verdammt viele Leute auf dem Gehsteig. Er musste gut zielen, wenn er nicht jemand falschen anschießen wollte. Aber dazu kam er gar nicht mehr, denn in diesem Moment sprang ihn ein riesiges Wiesel von der Seite an und riss ihn hart zu Boden. Die Waffe flog ihm aus der Hand und segelte klappernd über das Häuserdach davon, um ein Stück weiter weg liegen zu bleiben. Victor drehte sich reflexartig auf den Rücken und spürte auch schon das schwere Gewicht von Urnue auf sich, der – nun wieder in seiner menschlichen Gestalt – rittlings auf ihm saß. Er riss beide Arme vor das Gesicht, um sich vor den wilden, wütenden Schlägen zu schützen, mit denen Urnue ihn eindeckte, und musste einen Moment lang fieberhaft überlegen, was er tun sollte. Alle Kampftechniken, die ihm auf die Schnelle einfielen, hätten Rupperts Genius Intimus sofort getötet. Und das wollte er nicht. Er war schon ewig nicht mehr in einer Situation gewesen, in der er sich wehren musste, ohne sein Gegenüber zu verletzen. „Du Flachzange, du gottverdammte! Lass die scheiß Knarre stecken!“, schrie Urnue ihn stinksauer an und deckte ihn wie eine Furie weiter ungehalten mit Prügel ein. „Du legst hier niemanden um, wenn ich es verhindern kann! Verruchter Penner, ich hasse dich! Ich prügel dir deine gewissenlose Mordsucht aus dem Leib!“ Und noch mehr Fausthiebe. Die Tatsache, daß Victor schon wieder Leute abknallen wollte, ließ ihm eine Sicherung rausschnappen. Das sollte er nicht! Das durfte er nicht! Nicht nochmal! Urnue war völlig in Rage geraten. Okay, das reichte, entschied Victor. Er griff hart in einen Druckpunkt in Urnues Oberschenkel, damit der Genius vor Schmerz hochzuckte, und zwängte dann einen Arm durch die so entstandene Lücke zwischen seinem Körper und Urnues Hosenboden. Mit der anderen Hand krallte er Urnue vorn am T-Shirt. Dann hob er das erschrockene Kerlchen mit Wucht aus und schleuderte ihn von sich. Urnue flog gefühlte zwei Meter weit über das Dach und kam mit einer geschickt abgefangenen Vorwärtsrolle wieder auf, rollte aber durch den massiven Schwung, den er von Victor mitbekommen hatte, noch einige Überschläge weiter. Als er endlich wieder Herr über sich und seine Körpermotorik war, fuhr er knurrend herum. Ihrer beider Blicke fielen gleichzeitig auf die Wurzel allen Übels. Victors Waffe lag genau mittig zwischen ihnen auf dem Dach. Urnue und Victor fixierten einander. Das hier würde eindeutig ein Wettkampf werden. Wer die Waffe zuerst erreichte, hatte gewonnen und bestimmte über deren weiteren Verbleib. Entweder Victor war eher bei der Pistole oder er musste fortan ohne sie auskommen. „Glaub mir, ich bin schneller als du!“, drohte Urnue böse und war schon auf dem Sprung, als warte er nur auf einen Startschuss. „Schon möglich. Aber im Gegensatz zu dir bin ich gefährlich.“, lächelte der Russe zuckersüß zurück. Wie auf Kommando sprangen sie beide gleichzeitig vor. Victor verwandelte sich im Sprung in einen großen, schwarzen Wolf, so daß Urnue plötzlich riesige, gefletschte Reißzähne auf sich zukommen sah und entsetzt schreiend mitten in der Bewegung wieder zurückprallte. Als Victor die Pistole erreicht hatte, hatte er bereits wieder seine harmlose menschliche Gestalt angenommen. Lachend saß er im Hirtensitz auf dem Boden, die Waffe im Anschlag. „Du kannst mich nicht schlagen.“, bekräftigte er. „Hör auf, mit dem Ding auf mich zu zielen!“, maulte Urnue sauer. Das war in seinen Augen unfaires Spiel gewesen, aber was sollte er machen. Victor hatte die Pistole wieder, die Sache war entschieden. Victor hob ergeben die Hände, samt der Waffe darin, sicherte diese und steckte sie dann in Ruhe weg. „Schön. Ich hab´s vielleicht nicht geschafft, dir die Knarre wegzunehmen, aber ich hab immerhin verhindert, daß du wieder jemanden umbringst. Damit bin ich zufrieden.“, stellte Urnue selbstsicher klar, als er aufstand und sich die Kleider zu ordnen begann. „Diese Rechnung geht nicht auf. Du hast ein Leben gerettet, aber damit mindestens vier andere dem Tode geweiht, Urnue.“, erklärte der Russe mild. Er war nicht böse oder nachtragend. Weder, daß sein Zielobjekt ihm nun inzwischen entkommen war, noch, daß er von Urnue gerade Prügel bezogen hatte. Er hatte Verständnis für Urnues Skrupel. „Der Kerl ist auf Mission. Er wird fröhlich weiter Genii töten. Die Killer von der Motus stören sich nicht daran, daß der Chef weg ist. Die arbeiten nicht aufgrund von Befehlen, sondern aus Überzeugung. Die machen auch ohne Vladislav weiter, wenn sie nicht aufgehalten werden.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)