Die Motus von Futuhiro (Magister Magicae 5) ================================================================================ Kapitel 14: Geschäftspartner ---------------------------- „Das war eine knappe Sache bei Adelina.“, erzählte Victor, während er ein paar Papiere lochte und abheftete. Er war jetzt schon 3 Wochen hier und hatte seit einer Weile begonnen, Ruppert bei der Arbeit zu helfen. Wenn er schon hier rumlungerte, konnte er sich auch nützlich machen. Ruppert brummte nur verstehend und hackte nebenbei Zahlen in den Taschenrechner. Ruppert machte immer einen sehr muffeligen Eindruck, als würde Victors bloße Anwesenheit ihm schlechte Laune bescheren, aber der kleingeratene, zierliche Russe störte sich nicht daran. Soweit er wusste, war Ruppert noch nie ein lebenslustiger oder gar herzlicher Typ gewesen. „Mit etwas Pech wäre ich dort nicht mehr weggekommen. Ihre Fessel hat sich von Tag zu Tag fester zugezogen. Mit jedem Tag der vergangen ist, war sie weniger bereit, mich gehen zu lassen. Hätte die Motus nicht begonnen, jedes Haus in dem Viertel auseinander zu nehmen, hätte sie die Arbeit an meiner Bannmarke sicher nicht mehr beendet, sondern hätte mich behalten. Sie mochte mich gern und hat sich sehr unverblümt an mich rangeschmissen. Sie dachte, weil sie mich nicht schlägt, behandelt sie mich besser als der Sklavenhändler. Sie dachte, weil sie sanft mit mir umgeht, tut sie mir nicht weh. Aber als Gefangener ist und bleibt man halt ein Gefangener.“ „Was hat sie denn so schlimmes getan?“ „Ich hatte ständig ihre fordernden, fummelnden Finger irgendwo unter meiner Kleidung, zum Teil an Stellen, die wirklich nicht mehr schicklich waren, und musste es wehrlos hinnehmen. Die Tatsache, daß ich durch das Bannsiegel meinem Unwillen keinen Ausdruck verleihen konnte, hat sie als Bestätigung genommen und einfach immer weitergemacht.“ Rupperts Blick scannte den kleinen, dürren Jungen von oben bis unten und wieder zurück und fragte sich sichtlich, wie jemand was an diesem Erscheinungsbild finden konnte. Aber aussprechen tat er das diplomatischerweise nicht. Er fragte auch nicht nach, wie weit diese Adelina es wirklich getrieben hatte. Die Türklingel ließ beide hochschrecken. Rupperts Augen weiteten sich perplex, dann sah er auf die Uhr. „Au, Mist, das ist ein Geschäftspartner von mir! Ich hatte total vergessen, daß der heute herkommen wollte. Er darf dich hier nicht finden!“ „Keine Sorge, das wird er nicht.“, schmunzelte Victor und verwandelte sich in eine Fliege. Die kleinste Form, die er beherrschte, um in jedes noch so winzige Versteck und durch jede noch so enge Spalte zu passen. Heute hatte er Sachen an, die die Verwandlung mitmachten. Ruppert musterte die Fliege auf seinem Sofa einen Moment lang nachdenklich. „Du bist inzwischen sehr fähig und geschickt, wie ich sehe.“, urteilte er. „Hör zu, tu mir einen Gefallen und verzieh dich aufs Gästezimmer, ja? Ich kann dich hier nicht brauchen, wenn ich Verhandlungen führe.“ Die Fliege hob gehorsam vom Sitzkissen ab und flog summend davon. Ruppert folgte der Fliege bis in den Flur, um sicher zu gehen, daß der auch wirklich verschwand, und um seinen Geschäftspartner herein zu lassen, der wartend draußen vor der Tür stand. Diese Fähigkeiten, die Victor hatte, waren beunruhigend. Jemand der sowas fertigbrachte, konnte förmlich unsichtbar werden und durch Wände gehen. Er war mit nichts aufzuhalten. Vor so jemandem war man nirgends sicher. Kein Wunder, daß er Vize-Boss der Motus geworden war. Wie hatte Vladislav es wohl geschafft, einen wie ihn so einfach zu überrennen? „Schick mir Urnue runter, wenn du einmal gehst.“, trug er Victor noch auf, bevor er sich der Tür zuwandte und öffnete. Urnue tauchte während der gesamten Besprechung nicht auf. Ruppert beriet seinen Kunden ausführlich und gewissenhaft zur aktuellen Börsenlage, machte Kaufverträge über einige Aktien mit ihm und trank dann sogar noch bei einer Runde Smalltalk einen Kaffee mit ihm. Seine magische Begabung erstreckte sich auf Hellseherei, und dort speziell auf die Weltwirtschaft und die daraus resultierenden Börsenkurse, daher war er im Umgang mit Aktien extrem erfolgreich und machte damit ein Vermögen. Natürlich sagte er das keinem, sonst wäre er sicher wegen unlauteren Wettbewerbs angezinkt worden und das wäre es dann mit seinen schönen Millionen gewesen. Offiziell behauptete er deshalb, daß seine magische, hellseherische Begabung sich auf die finanzielle Lage seiner Kunden beschränke, was er angeblich dazu nutzte, ihre Kreditwürdigkeit zu beurteilen, wenn sie bei seiner Bank Geld leihen wollten. Ruppert verabschiedete seinen abgefertigten Kunden also reichliche 2 Stunden später wieder an der Haustür und stapfte dann mürrisch in die obere Etage, um zu sehen, warum Urnue nicht wie aufgefordert heruntergekommen war. Nicht, daß er seinen Genius Intimus bei solchen Meetings gebraucht hätte, aber er wollte ihn nichts desto trotz gern etwas unter Kontrolle haben. „Die Kinder hast du auch erschossen?“ „Ja, leider. Es wäre aufgefallen, wenn ich die lebend dort zurückgelassen hätte. Und auch 5-jährige sind Zeugen und können reden, weißt du?“ „Wie kommst du damit klar, so viele Leben auf dem Gewissen zu haben?“, wollte Urnue wissen, dann schob er sich eine Erdnuss in den Mund. Und trotz seiner anfänglichen Feindseligkeit schien er den Russen zunehmend interessant zu finden, jetzt wo er wusste, daß der gar nicht so rightdown evil war wie gedacht. Victor nippte schmunzelnd an seiner Limonade. „Eigentlich ganz gut. Kommt halt darauf an, wie plausibel man es vor sich selbst rechtfertigen kann.“ „Das kannst du?“, hakte Urnue mit der Neugier eines Forschers nach. „Ich habe ein Verbrecherkartell von internationalem Ausmaß aufgedeckt. Und ich verfolge die Mörder und Schänder, die immer noch frei da draußen rumlaufen. Ist das nicht plausibel?“ „Naja, ob das gleich eine 'Rechtfertigung' ist ... Der Zweck heiligt die Mittel, was?“ „Es ist mein Lebensinhalt. Ich habe jede freie Minute gelernt und trainiert, um so mächtig wie möglich zu werden. Ich habe die Bann-Magie und die Gestaltwandlung gemeistert. Für die Gestaltwandlung habe ich schon den Magister Magicae, und den für Bann-Magie werde ich auch noch machen, sobald sich die Chance dazu bietet. Und dann mache ich mit Angriffs- und Abwehrzaubern weiter. Wer drei verschiedene Magie-Arten gemeistert hat, darf sich offiziell 'Magister Artificiosus Magicae' nennen. Von denen gibt es auf der ganzen Welt nur eine Handvoll. Das sind so hochbegabte Genossen. Die meisten Menschen und Genii haben nur eine oder maximal zwei magische Veranlagungen. Das jemand überhaupt drei verschiedene Arten von Magie bewerkstelligen kann, zählt zu den Ausnahmetalenten. Aber bis dahin bringe ich es bestimmt noch!“ „Du hast keine Freunde oder Familie, oder?“, wollte Urnue zynisch grinsend wissen. Das war eine rethorische Frage, eindeutig. „Ich? Nein, ich hab keine Familie. Das wäre mir bei der Motus auch schlecht bekommen. Damit hätte Vladislav ein viel zu massives Druckmittel gegen mich in der Hand gehabt. Ich habe es vorgezogen, mich ganz der Arbeit bei der Motus zu widmen, um möglichst schnell in die Führungsetage aufzusteigen.“, beantwortete Victor Urnues Frage trotzdem. „Aber sag mal, hatte Ruppert nicht Kinder? Das Haus ist leerer, als ich erwartet habe.“ „Ja, zwei Söhne, Josh und Danny. Sie leben bei ihrer Mutter. Ruppert hat sich irgendwann von ihr scheiden lassen. Ich hab nie ganz verstanden, warum. Vielleicht, weil er sie auch nicht in diese ganze Motus-Sache mit reinziehen wollte.“ „Wie alt sind die beiden jetzt?“, hakte Victor interessiert nach. „15 und 17. Josh ist sowas ähnliches wie ein Hellseher, so wie Ruppert auch. Wir haben seine Fähigkeit immer 'Intuition' genannt. Er konnte aus einem Gefühl heraus sagen, was es mit einer Sache auf sich hat. Bei Danny wissen wir es noch nicht so genau, in welche Richtung sich seine Fähigkeiten entfalten könnten. Ich schätze, es wird irgendwas in Richtung Bannmagie. Aber er setzt alles daran, sie nicht einzusetzen, weil sein Genius Intimus nie aufgetaucht ist.“, erzählte Urnue ganz unbekümmert und wahrheitsgemäß und steckte sich dann wieder eine Erdnuss in den Mund. „Wie das?“ Urnue zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Er und Danny haben sich bis heute nicht gefunden. Vermutlich ist der Genius schon im Kindesalter gestorben, sonst wäre er ja sicher gekommen, als Dannys Begabung das erste Mal zu Tage getreten ist. Danny hat sich jedenfalls nie getraut, seine magische Begabung so richtig zuzulassen, ohne den Schutz eines Schutzgeistes. Ich hab oft auf ihn eingeredet, daß ich ihn ja auch beschützen könnte, wenn ich da bin, aber das wollte der Junge nicht. Er wollte mir keine Umstände machen. Er meinte, ich sollte lieber ganz für Ruppert da sein, das wäre meine Aufgabe.“ Victor beugte sich vor und griff mit in Urnues Erdnusspackung, um sich auch eine Portion Erdnüsse zu schnappen. In diesem Moment wurde die Tür grob aufgestoßen und Ruppert, der darin erschien, holte sichtlich Luft, um wütend los zu toben. Victor fiel ihm sofort mit einem „Oh, hey, ist dein Kunde wieder weg?“ ins Wort, um den Gewittersturm schon im Keim zu ersticken, und schenkte Ruppert noch einen warnenden Blick dazu. Der Bankenbesitzer, von dieser vorlauten Frage aus dem Konzept gebracht, konnte nicht viel mehr tun, als sich nach einer Sekunde des Gedankensammelns in ein beleidigtes 'hmpf' zu retten und sauer die Arme vor der Brust zu verschränken. „Sitzt ihr zwei schon die ganze Zeit hier?“, wollte er wissen. Nichtmal ansatzweise so wütend, wie er es vorgehabt hatte. Immerhin hatte er Urnue ja angehalten, sich nicht mehr mit Victor abzugeben als nötig. Nur machte keiner der beiden Anstalten, das großartig zu beherzigen. Erst vorgestern hatte er die beiden ausgelassen lachend und sich spielerisch raufend auf dem Fußboden vorgefunden. Die zwei Kerle waren sich offensichtlich einig. Wahrscheinlich hatte Victor ihm gar nicht erst ausgerichtet, daß Ruppert ihn schon seit 2 Stunden unten hatte sehen wollen. Ruppert war zwar sauer darüber, wusste allerdings immer noch nicht so recht, wie er sich gegen Victor durchsetzen sollte. „Ja, wir sitzen schon die ganze Zeit hier und vertreiben uns die Langeweile. Wir wollten ja deine Unterredung dort unten nicht stören.“, gab Victor ungerührt zurück. Er machte einen Eindruck als ob er wüsste, daß er im Recht war. Kein schlechtes Gewissen. Kein Unrechtsbewusstsein. Wenn er mit Urnue reden wollte, redete er mit Urnue. Da hatte ein Ruppert Edelig ihn nicht zu reklementieren. Auch wenn er nur Gast im Haus war, war der Russe doch extrem selbstsicher, befehlsgewohnt und strahlte – wenn er wollte – nach wie vor die Autorität eines Vize-Chefs aus, der sich Ruppert als Untergebener zu beugen hatte. Selbst wenn Victor so wie jetzt auf der Tischplatte saß, die Füße baumeln ließ und sich mit Urnue gemütlich plaudernd eine Packung Knabberkram teilte, konnte er mit einem bloßen Blick genug Bedrohung aufbauen, um ernstgenommen zu werden. Ruppert war sich nichtmal sicher, ob er es schaffen würde, Victor wieder des Hauses zu verweisen, wenn er genug davon hatte. Wenn der entschied, hier nicht wieder weg zu gehen, dann würde er auch nicht gehen. „Urnue, du unnützes Gesindel, hatte ich dich nicht gebeten, weg zu bleiben?“, erinnerte Ruppert seinen Genius matt und resignierend. „Ich muss nicht in Ruhe gelassen werden.“, klinkte sich Victor erneut ein, bevor Urnue selbst was dazu sagen konnte. Dann hüpfte er schwungvoll von der Tischplatte herunter und streckte seinen verspannten Rücken durch. „Ruppert, ich muss mal raus hier. Ich geh ne Weile in die Stadt. Ist das okay für dich?“ Ruppert seufzte schwer und ließ den Kopf hängen, als wisse er nicht mehr, was er mit diesem Kerl noch machen sollte. Es war aussichtslos. Dann griff er in seine Gesäßtasche, holte sein Portemonnaie heraus, daß er zufällig gerade noch einstecken hatte, und hielt ihm wortlos einige große Scheine hin. Wäre ja sonst auch Quatsch gewesen. Was sollte er ohne Geld in der Stadt wollen? „Nimm Urnue mit.“ „Ach, auf einmal?“, machte Victor überrascht. „Ist eh zwecklos mit euch beiden. Euch auseinander zu halten ist wie den Wind mit bloßen Händen zu fangen. Ich geb´s auf.“ „Ich will aber nicht mit in die Stadt!“, maulte Urnue empört. „Willst du etwa alleine hier bleiben? Ich bin immer noch dein Genius Intimus und hab auf dich aufzupassen!“ „Als ob du das könntest.“, hielt Ruppert höhnisch dagegen. „Was soll mir in diesem Hochsicherheitstrakt von einem Wohnhaus schon passieren? Pass lieber auf, daß der towarisch draußen keinen Unsinn anstellt.“, verlangte er mit einem vehementen Fingerzeig auf Victor und drehte sich dann um, um zu gehen. „Aber ...“ „Kein 'aber', du elendes Pack! Würdest du wohl einmal gehorchen, wenn ich dir was befehle? Sieh zu, daß du fort kommst!“ Victor quittierte die ganze Situation mit einem ungläubigen Kopfschütteln, hob mit einem ernsten 'Danke' nochmal vielsagend das Geld hoch, das er bekommen hatte, und stopfte es dann lose in seine Hosentasche. „Ja-ja. Lass dich draußen nicht wegfangen ... Dragomir.“, murrte Ruppert noch und war schon durch die Tür und um die Ecke verschwunden. Victor schmunzelte amüsiert. „Er ist angefressen, weil ich mit dir rede, was?“ „Ich versteh bloß nicht ganz, warum.“, gab Urnue zurück. „Bist du gefährlich für mich?“ „Für dich nicht, nein. Aber für ihn.“, schmunzelte Akomowarov in einer rätselhaften Tonlage, aus der man sich nichts nehmen konnte. Er ließ ganz bewusst offen, was er damit jetzt hatte sagen wollen. "Ich mag aussehen, als könnte er mein Vater sein, aber er muss aufhören, mich so zu behandeln als wäre er das." „Wo gehen wir hin?“, wollte Urnue wissen, kaum, daß sie das Haus so richtig verlassen hatten. Er war ein bisschen hibbelig. Er hoffte, Victors Ausflug würde nicht zu lange dauern. Er wollte so schnell wie möglich wieder zu Ruppert zurück, denn es machte ihn ziemlich nervös, nicht in der Nähe seines Schützlings zu sein. Das machte wohl die unsichtbare Verbindung zwischen ihnen. „Naja, es war zwar nicht mein Ziel, aber wenn Ruppert mir schonmal ein paar Scheinchen gesponsort hat, kann ich mir ja neue Klamotten kaufen gehen. Dann muss ich nicht mehr deine tragen.“, lächelte Victor ihn aufmunternd an. „Eigentlich wollte ich bloß mal für ne Weile aus dem Haus, um nicht mehr mit ansehen zu müssen, was zwischen Ruppert und dir so abgeht.“ „Ach, er meint es nicht so. Er war schon immer ziemlich raubeinig. Ich nehm mir das nicht zu Herzen.“, gab Urnue zurück, auch wenn er ein wenig unglücklich klang. „Wie du meinst ... Ach ja, vorher muss ich unbedingt zum Bahnhof.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)