Die Motus von Futuhiro (Magister Magicae 5) ================================================================================ Kapitel 8: Code-Name -------------------- „priwjet, ich bin wieder da.“, stöhnte Adelina gestresst, als sie endlich zur Tür herein kam, ihren Korb absetzte und sich aus dem Anorak zu befreien begann. „Du bist spät. Ich war schon in Sorge.“, gab er mit einer halben Verbeugung zurück und nahm ihr die Jacke sofort dienstbeflissen ab. Adelina ließ ihn machen. Er war jetzt seit einer Woche hier und sie hatte langsam eingesehen, daß sie ihn nicht davon abbringen würde, ständig wie ein Knecht um sie herum zu springen und sie von allen Seiten zu bedienen. „Ja, auf der Hauptstraße war echt die Hölle los. Der Sklavenhändler, von dem ich dich gekauft habe, ist tot. Der hat offenbar eine Rotkappe nicht mehr unter Kontrolle gehabt und wurde von ihr erschlagen. Samt seinem Genius Intimus. Überall Polizei-Aufgebot. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob die wirklich hinter der entflohenen Rotkappe oder doch eher hinter dem Sklavenhändler her waren. Der Begriff 'Motus' fiel mehrfach. Ich glaube, der Polizei war klar, daß die es gerade mit einem toten Verbrecher zu tun haben.“ Er nickte nur emotionslos, als berühre das Thema ihn nicht im Mindesten. Obwohl er selbst Opfer dieses Sklavenhändlers gewesen war. Von seiner Verbindung zur Motus ganz zu schweigen, von der sie gar nichts ahnte. Wortlos hängte er Adelinas Jacke an den provisorischen Haken hinter der Tür. In dieser kleinen 5x6-Meter-Bretterbude war so ziemlich alles improvisiert. Sie besaß so gut wie nichts. Und was sie besaß, wirkte durchweg sehr selbstgebastelt. „Sag mal, ist 'Nikolai Grigorijewitsch Medwedew' wirklich dein echter Name?“ „Ja.“, gab der Junge mit den langen, schwarzen Haaren unterwürfig zurück. Der Bannzauber wirkte. Er benahm sich immer wie ein ergebener Diener, selbst wenn er nur belanglos mit Adelina plauderte ohne irgendwelche Befehle erhalten zu haben. Allein schon diese nervige Tatsache, daß er ständig den Blick andächtig gesenkt hielt. Das machte sie bisweilen echt wahnsinnig. Sie wollte ihm gern in die Augen sehen, wenn sie sich mit ihm unterhielt. „Ich komme gerade von der Meldebehörde. Ich hab mich da spaßeshalber mal nach dir erkundigt, um zu sehen, ob wir dir vielleicht wieder einen gültigen Identifikationsnachweis beschaffen können. Dich gibt es dort gar nicht.“ Nun sah er doch mal auf. Einer dieser seltenen Momente, wo doch ein Fünkchen Selbstbewusstsein bei ihm durchschlug. „Wurde ich tot gemeldet?“ Adelina schüttelte den Kopf. „Nein. Sie haben dich in der Meldekartei überhaupt nicht gefunden. Ich habe alle Schreibweisen durchprobieren lassen, die mir irgendwie eingefallen sind. Es ist, als hätte es dich nie gegeben.“ Er nickte, als wäre das nichts Neues. „Die Motus hat Verbindungen zum Meldewesen. Sie lassen gern mal Personen löschen oder mit falschen Daten überschreiben, nach denen keiner mehr suchen soll. Viele, die in die Sklaverei geschickt wurden, wirst du in der Meldekartei und im Geburtenregister nicht mehr finden.“ In Adelinas Blick blitzte es kurz verräterisch auf. Seine Antwort gab ihr zu denken. Er wusste ziemlich gut Bescheid, für einen, der nichts damit zu schaffen hatte. Aber sie beließ es vorerst dabei. „Dann wird es schwierig, dir wieder einen Registrier-Armreif zu beschaffen.“, meinte sie nur. „Ich weiß. Das ist ja auch nicht gewollt.“, gab er zurück. Keine Frage, warum sie ihm überhaupt einen besorgen wollte. Sklaven stellten keine dummen Fragen. „Was ist, wenn ich mit dir mal ins Ausland will?“ Er zuckte ungerührt mit den Schultern und kam vom Kleiderhaken langsam wieder zu ihr herüber. „Die, die sich illegal Sklaven halten, wissen, woran sie sind. Die nehmen keine Sklaven mit ins Ausland.“ „Okay!?“, fand Adelina ratlos und überlegte sichtlich, was ihr das sagen sollte. Dann hakte sie das Thema vorläufig ab und wandte sich dem Herd zu. Da drauf standen zwei Töpfe und köchelten vor sich hin. „Du kochst?“, wollte sie wissen. „Ich hielt es für angebracht, etwas vorbereitet zu haben, bis du zurück bist. Um dir ein wenig Arbeit abzunehmen.“, erklärte er sich. Und da war er wieder: der unterwürfig gesenkte Blick. Schon war er wieder im Dienermodus. „Das ist ja lieb von dir, danke.“, merkte Adelina an, um dieses Sklavendenken nicht auch noch zu unterstützen. „Was gibt es denn heute?“ Sie konnte sich gar nicht daran erinnern, noch irgendwas kochbares im Haus zu haben. Seit gestern Abend waren sie doch eigentlich bei Wasser und trockenem Brot gewesen, so wie Nikolai es vorher schon vom Sklavenhändler nicht anders gewohnt gewesen war, wenn man seinen Erzählungen glaubte. Er hatte auch Geschirr gespült, entging dem Mädchen nicht. Oh, und die halb herunterhängende Tür ihres Kleiderschrankes hatte er ebenfalls repariert. Er versuchte spürbar, sich nützlich zu machen. Vielleicht konnte er ihr ja künftig dabei helfen, Tongefäße zu töpfern, die sie auf dem Markt verkaufen konnte, überlegte sie. Das war immerhin ihre einzige Einnahmequelle. Statt zu antworten, was im Kopftopf war, folgte Nikolais Blick ihr wortlos zur Sitzecke. Als sie sich an den kleinen Tisch setzte, an dem kaum zwei Personen Platz hatten, fiel ihr Augenmerk auch endlich auf dessen Platte. Waren das etwa Scheine? Dort lag Geld offen herum. Und nicht ganz wenig, wie sie sofort sah. Sie wusste, daß es nicht ihr eigenes war. Mit gemischten Gefühlen griff Adelina nach dem Geld und legte es dann wieder zurück, nachdem sie es gezählt hatte. „Woher hast du das?“, wollte sie von ihrem Hausdiener wissen. Woher sollte es kommen, wenn nicht von ihm? „Frag nicht.“ „Doch, ich frage dich!“ „Es ist nicht gestohlen, wenn du das glaubst.“, wich er aus. Adelina war ein wenig erstaunt, daß der Bannzauber, der ihn unterdrückt hielt, es ihm erlaubte, Antworten zu verweigern. Oder ohne ausdrückliche Zustimmung das Haus zu verlassen. Sie hatte ihm zwar nicht wortwörtlich verboten, hinauszugehen, aber direkt erlaubt hatte sie es ihm auch nicht. Wohl würde er die Auskunft nicht mehr verweigern können, wenn sie es etwas ausdrücklicher als Befehl formulierte. „Ich habe Haustürgeschäfte gemacht. Wir haben nichts mehr zu essen. Du hast dein letztes Geld für mich ausgegeben und bist bettelarm. Du hast nichts mehr, seit du mich gekauft hast. Du kannst es brauchen.“, tat er leichthin ab. Und sah schon wieder ruhelos aus dem Fenster. Das kannte Adelina inzwischen von ihm, nach der taggenau einen Woche, die er nun schon hier weilte. Er war die meiste Zeit irgendwie nervös. „Ich will nicht, daß du draußen rumläufst, ohne daß ich davon weiß, hörst du?“ Ein abgelenktes Nicken, mehr nicht. „Meine Güte, Nikolai, jetzt setz dich doch endlich mal hin. Du machst einen ja hibbelig, wenn du ständig so rumstehst oder rumläufst.“ Keine Reaktion. Er schaute weiter aus einigen Metern Sicherheitsabstand zum Fenster hinaus und fummelte dabei nervös an seinem T-Shirt-Kragen herum. Auch das tat er übrigens ziemlich oft. „Victor!“, blaffte sie ihn an. Mit schreckgeweiteten Augen fuhr er herum und starrte sie an. Schnappte fast nach Luft, als wäre hinter ihm ein Silvesterknaller explodiert. Hatte er richtig gehört? Adelina nickte mit verstehendem Blick, als sie endlich seine Aufmerksamkeit hatte. „Du bist es also wirklich.“, stellte sie zufrieden fest. Sie hatte es schon eine ganze Weile geahnt. „Ja, ich weiß, warum du ständig so unruhig rumwanderst. Warum du dauernd besorgt aus dem Fenster schaust. Warum du nachts nicht schlafen kannst. Du bist dieser Victor Dragomir – noch irgendwas – Akomowarov. Der, der die Motus hat auffliegen lassen.“ Das war der Deckname, unter dem jeder, der Ahnung von der Motus hatte, ihn kannte. Seinen wahren Namen 'Nikolai Grigorijewitsch' wusste niemand, ebenso wenig wie kaum jemand wusste, wie er und der Boss aussahen. Nur die ranghöchsten Geschäftsführer hatten die Gesichter der beiden je in einer Videokonferenz oder gar persönlich zu sehen bekommen. Deshalb waren der Sklavenhändler und sein Genius auch nicht stutzig geworden. Einen Nikolai Grigorijewitsch Medwedew kannte keiner. Hätte man ihnen erzählt, daß sie da gerade Akomowarov in ihrer Gewalt hatten, hätte die ganze Situation bestimmt anders ausgesehen. „Sie suchen dich, und das weißt du. Du erwartest ständig, daß sie dich finden.“, fuhr sie fort. Er wich verängstigt rückwärts vor ihr zurück, bis ihn ein Schrank unsanft stoppte. Sein Atem ging schwerer. Er machte akut einen sehr panischen Eindruck. Wie jemand, der ums nackte Überleben fürchtete. Adelina setzte ein beruhigendes Lächeln auf, um ihn nicht noch weiter in Angst und Schrecken zu versetzen. „Keine Sorge. Ich hasse diese Verbrecher, und ich bin dir dankbar dafür, daß du ihnen endlich ein Ende gemacht hast. Ich will dir helfen. Ich bin auf deiner Seite.“ „Woher kennst du mich?“, wollte er argwöhnisch wissen. „Du warst damals dabei, als sie meinen Mann geschnappt haben. Deine Leute haben dich mit 'Akomowarov' angesprochen. Ich hab dich bloß nicht gleich wiedererkannt, so wie der Sklavenhändler dich zugerichtet hat.“ Sie streckte ihm einladend eine Hand hin, damit er sich zu ihr an den Tisch setzte. „Komm her. Erzähl mir, was passiert ist. Wer genau ist hinter dir her?“ Hosted by Animexx e.V. 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